Urteil des BSG vom 12.03.2013

BSG: Krankenversicherung, Krankenkassenschließung dient öffentlichem Interesse, Arbeitnehmer

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 12.3.2013, B 1 A 1/12 R
Krankenversicherung - Krankenkassenschließung dient öffentlichem Interesse - Arbeitnehmer -
keine Verletzung von Grundrechten wegen Fehlens von Rechtsschutz gegen Schließung der sie
beschäftigenden Krankenkasse
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 28. Juni
2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert wird für alle Rechtszüge auf 5000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Schließung der City BKK (C-BKK) mit Ablauf des
30.6.2011.
2 Der 1984 geborene Kläger war seit 1.8.2002 bei der C-BKK als
Sozialversicherungsfachangestellter beschäftigt. Nach den tarifvertraglichen Regelungen
gehörte er zu den ordentlich kündbaren Arbeitnehmern. Aufgrund seiner Funktion als
Jugendvertreter war er nach Bundespersonalvertretungsrecht im Zeitpunkt der Schließung
jedoch ordentlich unkündbar. Die beklagte Bundesrepublik, vertreten durch das
Bundesversicherungsamt, schloss die C-BKK mangels sichergestellter Leistungsfähigkeit
mit Ablauf des 30.6.2011 und ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an (Bescheid
vom 4.5.2011). Die C-BKK teilte dem Kläger mit, dass sein Arbeitsverhältnis zum 30.6.2011
ende (Schreiben vom 6.5.2011). Sie bot den Abschluss eines befristeten
Arbeitsverhältnisses an mit der beigeladenen City BKK Körperschaft des öffentlichen
Rechts in Abwicklung. Sie kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30.6.2011, hilfsweise zum
30.9.2011 (Schreiben vom 20.5.2011). Für die Zeit vom 1.7.2011 bis zum 31.1.2012
vereinbarten der Kläger und die Beigeladene ein befristetes Arbeitsverhältnis als
Sachbearbeiter, das der Kläger zunächst auch erfüllte. Der Kläger kündigte das
Arbeitsverhältnis zum 31.12.2011 (Schreiben vom 9.11.2011). Seit 1.1.2012 ist er in einem
bis zum 31.12.2013 befristeten Arbeitsverhältnis bei der Securvita BKK beschäftigt.
3 Der Kläger hat gegen den Schließungsbescheid Klage beim LSG Baden-Württemberg
erhoben. Das LSG hat den Rechtsstreit an das SG verwiesen. Das SG hat die Klage
mangels Klagebefugnis abgewiesen (Urteil vom 24.10.2011). Das LSG hat die Berufung
zurückgewiesen (Urteil vom 28.6.2012).
4 Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung von § 54 SGG, Art 12 Abs 1 GG, Art 9
Abs 3 GG, Art 2 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 GG.
5 Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 28. Juni 2012 und des Sozialgerichts
Hamburg vom 24. Oktober 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2011
aufzuheben,
hilfsweise,
die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 28. Juni 2012 und des Sozialgerichts
Hamburg vom 24. Oktober 2011 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid der
Beklagten vom 4. Mai 2011 rechtswidrig ist.
6 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7 Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
8 Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
9 Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Seine Klage ist als
Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft (dazu 1.), aber unzulässig, weil dem Kläger die
erforderliche Klagebefugnis fehlt (dazu 2.).
10 1. Die auf Aufhebung der Schließung der C-BKK mit Ablauf des 30.6.2011 (Bescheid vom
4.5.2011) gerichtete Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG) - eine
Aufsichtsangelegenheit gegenüber einem Träger der Sozialversicherung, bei dem die
Aufsicht von einer Bundesbehörde ausgeübt wird, (vgl § 29 Abs 2 Nr 2 SGG) - ist nicht
mehr statthaft. Der Kläger hat seine zunächst erhobene Anfechtungsklage im
Revisionsverfahren statthaft hilfsweise auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des
Schließungsbescheids umgestellt (§ 131 Abs 1 S 3 iVm § 54 Abs 1 S 1 SGG; zur
Zulässigkeit der Antragsumstellung im Revisionsverfahren vgl BSGE 92, 46 = SozR 4-
2500 § 61 Nr 1; BSG Urteil vom 12.9.2012 - B 3 KR 17/11 R - Juris, RdNr 18 mwN). Der
Schließungsbescheid hat sich nämlich mit Eintritt der Schließungswirkung erledigt. Die
Schließung der Krankenkasse (KK) gestaltet die Rechtslage um und schließt den
prozessualen, zunächst geltend gemachten Aufhebungsanspruch aus (vgl zum Begriff der
"Erledigung" des angegriffenen Verwaltungsakts Hauck in Hennig, SGG, Stand Dezember
2012, § 131 RdNr 66 ff). Die Schließung der C-BKK wurde nach Anordnung der sofortigen
Vollziehung des Schließungsbescheids vollzogen. In einem solchen Fall kann ein
Schließungsbescheid nicht mehr durch eine die Schließung aufhebende gerichtliche
Entscheidung - mit Wirkung ex tunc - beseitigt werden; in Betracht kommt vielmehr nur
noch eine Beseitigung der Folgen der Schließung (vgl entsprechend zum
Zusammenschluss BSGE 68, 54, 55 f = SozR 3-2500 § 147 Nr 2 S 3 f; BSG Urteil vom
11.9.2012 - B 1 A 2/11 R - RdNr 10 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500
§ 171a Nr 1 vorgesehen).
11 2. Die statthafte Fortsetzungsfeststellungsklage ist indes unzulässig. Eine
Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach Eintritt eines erledigenden Ereignisses zulässig,
wenn die ursprüngliche Anfechtungsklage zulässig gewesen ist, ein klärungsfähiges
Rechtsverhältnis besteht und ein Feststellungsinteresse vorliegt (vgl BSG Urteil vom
11.9.2012 - B 1 A 2/11 R - RdNr 13 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500
§ 171a Nr 1 vorgesehen; Hauck in Hennig, SGG, Stand Dezember 2012, § 131 RdNr 55).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Denn der Kläger war schon für die
Anfechtungsklage nicht klagebefugt.
12 Die Klagebefugnis für eine Anfechtungsklage besteht, wenn der Kläger behaupten kann,
durch den angefochtenen, von ihm als rechtswidrig angesehenen Verwaltungsakt
beschwert zu sein (vgl § 54 Abs 1 S 2 und Abs 2 S 1 SGG; BSGE 98, 129 = SozR 4-2400
§ 35a Nr 1, RdNr 12; BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 21; BSG Urteil vom
11.9.2012 - B 1 A 2/11 R - RdNr 14 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500
§ 171a Nr 1 vorgesehen; Hauck in Hennig, SGG, Stand Dezember 2012, § 131 RdNr 10).
Beschwert in diesem Sinne kann auch ein Drittbetroffener sein, in dessen Rechtssphäre
durch den an einen anderen gerichteten Verwaltungsakt eingegriffen wird. Eine rein
wirtschaftliche Betroffenheit reicht dafür jedoch nicht aus. Die Klagebefugnis fehlt, wenn
die als verletzt angesehene Rechtsnorm keinen drittschützenden Charakter in dem Sinne
hat, dass sie zumindest auch der Verwirklichung individueller Interessen des Klägers zu
dienen bestimmt ist (stRspr, vgl zB BSGE 70, 99, 101 = SozR 3-1500 § 54 Nr 15 S 38;
BSGE 77, 130, 132 f = SozR 3-2500 § 124 Nr 2 S 15; BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 19 S 84).
Es müssen entweder die geltend gemachten rechtlichen Interessen des Dritten vom
Schutzzweck der dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm erfasst sein (vgl zB BSG
SozR Nr 115 zu § 54 SGG; BSGE 67, 30 = SozR 3-2200 § 368n Nr 1; BSGE 68, 291 =
SozR 3-1500 § 54 Nr 7; BSGE 70, 99, 101 = SozR 3-1500 § 54 Nr 15 S 38; dazu a). Oder
es muss eine weitergehende Grundrechtsverletzung des Dritten, gegen die die
Rechtsordnung schützt, tatsächlich möglich sein (vgl BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35
Nr 5, RdNr 14; dazu b). Von dem Verwaltungsakt dürfen in Bezug auf den Dritten nicht nur
- wie hier - Rechtsreflexe ausgehen.
13 a) Die von dem Kläger als verletzt angesehenen Rechtsnormen haben keinen
drittschützenden Charakter in dem Sinne, dass sie zumindest auch der Verwirklichung
seiner individuellen rechtlichen Interessen zu dienen bestimmt sind. Die
zugrundeliegende Regelung der Schließung von BKKn (§ 153 S 1 Nr 3 und S 2 SGB V
idF durch Art 1 Gesundheits-Reformgesetz vom 20.12.1988, BGBl I 2477)
bestimmt: "Eine Betriebskrankenkasse wird von der Aufsichtsbehörde geschlossen, wenn
… 3. ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr auf Dauer gesichert ist. Die Aufsichtsbehörde
bestimmt den Zeitpunkt, an dem die Schließung wirksam wird." Als Alternative zu einer
Schließung nach § 153 SGB V regelt § 171b SGB V (hier anzuwenden idF durch Art 1 Nr
7 Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen
Krankenversicherung vom 15.12.2008, BGBl I 2426 mWv 1.1.2010) die
Insolvenz von KKn. Danach gilt vom 1.1.2010 an die Insolvenzordnung für die KKn nach
Maßgabe der nachfolgenden Absätze (vgl § 171b Abs 1 SGB V). Wird eine KK
zahlungsunfähig oder ist sie voraussichtlich nicht in der Lage, die bestehenden
Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen (drohende Zahlungsunfähigkeit),
oder tritt Überschuldung ein, hat der Vorstand der KK dies der zuständigen
Aufsichtsbehörde unter Beifügung aussagefähiger Unterlagen unverzüglich anzuzeigen
(vgl § 171b Abs 2 S 1 SGB V). Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
Vermögen der KK kann nur von der Aufsichtsbehörde gestellt werden. Liegen zugleich die
Voraussetzungen für eine Schließung wegen auf Dauer nicht mehr gesicherter
Leistungsfähigkeit vor, soll die Aufsichtsbehörde anstelle des Antrages nach Satz 1 die KK
schließen (vgl § 171b Abs 3 S 1 und 2 SGB V). Mit dem Tag der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens oder dem Tag der Rechtskraft des Beschlusses, durch den die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, ist die KK
geschlossen mit der Maßgabe, dass die Abwicklung der Geschäfte der KK im Fall der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach den Vorschriften der Insolvenzordnung erfolgt
(vgl § 171b Abs 5 SGB V).
14 Die Regelungen schützen nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte (vgl Gesetzentwurf der
BReg eines GRG, BT-Drucks 11/2237 S 211 zu § 162: Die Vorschrift entspricht inhaltlich §
274 Nr 4 RVO; § 274 RVO schloss inhaltlich an § 68 Abs 1 KVG an, vgl Horst Peters,
Handbuch der KV, Teil II, Bd 2, 18. Aufl, Stand 31.7.1987, § 274 RVO Anm 1) und
Regelungszweck keine Individualrechte, insbesondere keine Interessen der von einer
Schließung einer KK betroffenen Arbeitnehmer. Die Schließung von BKKn, deren
Leistungsfähigkeit nicht mehr auf Dauer gesichert ist, dient vielmehr allein öffentlichen
Interessen, nämlich dem Erhalt der finanziellen Stabilität der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) und des Vertrauens in ihre Träger. Das spiegelt sich auch in
der jüngsten Gesetzesentwicklung wider. Nach § 153 S 2 SGB V (idF durch Art 1 Nr 59c
GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22.12.2011, BGBl I 2983 mWv
1.1.2012) müssen zwischen dem von der Aufsichtsbehörde bestimmten Zeitpunkt, an dem
die Schließung wirksam wird, und der Zustellung des Schließungsbescheids mindestens
acht Wochen liegen. Mit dieser Regelung soll erreicht werden, dass für die Mitglieder einer
geschlossenen KK ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung steht, um das Wahlrecht zu
einer neuen KK auszuüben, sodass davon ausgegangen werden kann, dass diese zum
Zeitpunkt, in dem die Schließung wirksam wird, eine Mitgliedschaft bei einer neuen KK
begründet haben (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit
<14. Ausschuss> zu dem Entwurf eines GKV-VStG, BT-Drucks 17/8005 S 122 zu Nr 59c
neu <§ 153 SGB V>). Die hierfür erforderlichen flankierenden Regelungen zum Verfahren
der Ausübung des Kassenwahlrechts im Fall der Schließung einer KK stellt § 175 Abs 3a
SGB V bereit. Individualrechte der Versicherten, gegen eine Schließungsentscheidung als
solche vorzugehen, erwachsen daraus nicht.
15 Dass die Rechtsnormen über die KK-Schließung lediglich öffentlichen Interessen dienen,
entspricht auch dem Regelungssystem. Während §§ 153, 171b SGB V die Schließung
regeln, legt hiervon getrennt § 155 Abs 4 S 9 SGB V (eingefügt durch Art 1 Nr 3 Buchst b
Doppelbuchst bb GKV-OrgWG vom 15.12.2008, BGBl I 2426 mWv 1.1.2009) die
gesetzlichen Folgen der KK-Schließung für die Arbeitnehmer der BKKn fest. Diese
Gesetzesnorm, nicht aber die vorgelagerten Rechtsnormen über die KK-Schließung zielen
auf den Schutz der Arbeitnehmer. Danach gilt § 164 Abs 2 bis 4 SGB V entsprechend mit
der Maßgabe, dass § 164 Abs 3 S 3 SGB V nur für Beschäftigte gilt, deren
Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann.
16 Nach der demgemäß für BKKn entsprechend geltenden, unmittelbar die
Innungskrankenkassen (IKKn) betreffenden Regelung des § 164 Abs 3 SGB V (idF durch
Art 1 Nr 4 Buchst b GKV-OrgWG vom 15.12.2008, BGBl I 2426 mWv 1.1.2009) sind die
dienstordnungsmäßigen Angestellten verpflichtet, eine vom Landesverband der IKKn
nachgewiesene dienstordnungsmäßige Stellung bei ihm oder einer anderen IKK
anzutreten, wenn die Stellung nicht in auffälligem Missverhältnis zu den Fähigkeiten der
Angestellten steht. Entstehen hierdurch geringere Besoldungs- oder
Versorgungsansprüche, sind diese auszugleichen. Den übrigen Beschäftigten ist bei dem
Landesverband der IKKn oder einer anderen IKK eine Stellung anzubieten, die ihnen
unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung zuzumuten ist.
Jede IKK ist verpflichtet, entsprechend ihrem Anteil an der Zahl der Versicherten aller IKKn
dienstordnungsmäßige Stellungen nach Satz 1 nachzuweisen und Anstellungen nach
Satz 3 anzubieten; die Nachweise und Angebote sind den Beschäftigten in geeigneter
Form zugänglich zu machen. Nach § 164 Abs 4 SGB V enden die Vertragsverhältnisse
der Beschäftigten, die nicht nach Absatz 3 untergebracht werden, mit dem Tag der
Auflösung oder Schließung. Vertragsmäßige Rechte, zu einem früheren Zeitpunkt zu
kündigen, werden hierdurch nicht berührt. Die Rechtsnormen über die KK-Schließung
nehmen diesen - der Schließungsentscheidung nachgelagerten - Folgekomplex des
Arbeitnehmerschutzes nicht in den eigenen Schutzzweck auf, ungeachtet der umstrittenen
Reichweite des Arbeitnehmerschutzes in den Regelungen des § 155 Abs 4 S 9 SGB V
(vgl hierzu zB LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 31.10.2012 - 4 Sa 767/12 - Juris,
Revisionsverfahren BAG - 2 AZR 1050/12; aA zB LAG Baden-Württemberg Urteil vom
18.5.2012 - 7 Sa 13/12 - Juris, Revisionsverfahren BAG - 2 AZR 672/12; wieder anders
LAG Hamburg Urteil vom 23.8.2012 - 7 Sa 108/11 - Juris, Revisionsverfahren - 2 AZR
801/12 -).
17 Schließlich entspricht es auch der Gesamtstruktur der Rechtsordnung,
aufsichtsbehördlichen Verfügungen grundsätzlich keinen drittschützenden Charakter
beizumessen. Die hier betroffene Ausübung der Staatsaufsicht über
Sozialversicherungsträger erschöpft sich nach der Rechtsprechung des erkennenden
Senats regelmäßig allein in der Wahrung der Gleichgewichtslage zwischen Staat und
Selbstverwaltungskörperschaft (vgl zB BSGE 98, 129 = SozR 4-2400 § 35a Nr 1, RdNr 13
mwN; zuletzt BSG Urteil vom 11.9.2012 - B 1 A 2/11 R - Juris RdNr 15, zur
Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 171a Nr 1 vorgesehen). Dagegen ist das
Aufsichtsrecht nicht dazu bestimmt, dem Individualinteresse Einzelner zu dienen (vgl
BSGE 26, 237, 240 = SozR Nr 112 zu § 54 SGG; vgl auch BSGE 86, 126, 130 ff = SozR 3-
2500 § 85 Nr 37). Ebenso wenig wie ein Dritter Ansprüche gegen eine Aufsichtsbehörde
auf ein aktives Einschreiten gegen die der Aufsicht unterstellte KK daraus ableiten kann,
dass über den Inhalt materiell-rechtlicher Normen gestritten wird, die (möglicherweise
auch) den Schutz des Dritten zum Gegenstand haben (vgl BSGE 26, 237, 238 f = SozR
aaO), kann sich der Dritte gegen einen Bescheid der Aufsichtsbehörde wenden, mit dem
der KK ein bestimmtes Handeln abverlangt wird (zur fehlenden drittschützenden Wirkung
einer aufsichtsrechtlichen Prüfung/Anordnung vgl zB BSGE 63, 173, 175 = SozR 2200 §
182 Nr 112; BSGE 90, 231, 248, 266 f = SozR 4-2500 § 266 Nr 1 mwN).
18 b) Eine Klagebefugnis ergibt sich - entgegen der Auffassung des Klägers - auch nicht aus
einer verfassungskonformen Auslegung der Normen des SGB V, die die KK-Schließung
regeln. Es verletzt keine Grundrechte des Klägers als betroffener Arbeitnehmer, dass er
gegen die Schließung der ihn beschäftigenden C-BKK als solche keinen Rechtsschutz
hat, sondern nur gegen die an eine wirksame Schließung anknüpfenden
Schließungsfolgen.
19 Die Regelung der KK-Schließung verletzt nicht die Berufsfreiheit des Klägers (Art 12 Abs
1 GG). Art 12 Abs 1 S 1 GG garantiert neben der freien Wahl des Berufs zudem die freie
Wahl des Arbeitsplatzes (vgl BVerfGE 84, 133, 146 f; 85, 360, 372 f; 96, 152, 163; 96, 205,
210 f; 98, 365, 385). Dazu zählt bei abhängig Beschäftigten auch die Wahl des
Vertragspartners (vgl BVerfGE 84, 133, 146; Kühling, ArbuR 1994, 126, 128). Dies gilt in
gleicher Weise für Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst (vgl BVerfGE 84, 133, 146 f; vgl
insgesamt auch BVerfGE 128, 157, 176 = Juris RdNr 69). Mit dem Recht auf freie Wahl
des Arbeitsplatzes ist aber weder ein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes
eigener Wahl noch eine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz
verbunden. Das Grundrecht gewährt keinen unmittelbaren Schutz gegen den Verlust eines
Arbeitsplatzes aufgrund privater Dispositionen. Ähnliches gilt für Arbeitsplätze bei
öffentlich-rechtlichen Trägern. Die Zahl der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst unterliegt
der Organisationsgewalt im weitesten Sinne des Staates oder des betroffenen Trägers
öffentlicher Verwaltung (vgl BVerfGE 7, 377, 398; 39, 334, 369 f; 73, 280, 292). Auch
insoweit gewährt Art 12 Abs 1 GG keinen Anspruch auf Schaffung oder Erhalt von
Arbeitsplätzen. Er lässt die Organisationsgewalt der öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber
unberührt (vgl BVerfGE 84, 133, 147).
20 Dem Staat obliegt hinsichtlich des durch Art 12 Abs 1 GG geschützten Interesses des
Arbeitnehmers auf Achtung der ausgeübten Arbeitsplatzwahl insoweit grundsätzlich
lediglich eine Schutzpflicht, der er insbesondere im Kündigungsrecht nachgekommen ist
(vgl BVerfGE 84, 133, 146 f; 85, 360, 372 f; 92, 140, 150; 97, 169, 175). Außerhalb des
Kündigungsschutzgesetzes schützen die §§ 138, 242 BGB den Arbeitnehmer vor einer
sitten- oder treuwidrigen Kündigung. Im Rahmen dieser Generalklauseln ist auch der
objektive Gehalt der Grundrechte zu beachten (vgl BVerfGE 97, 169, 178). Soweit
öffentlich-rechtliche Vorschriften die Folgen der Ausübung der Organisationsgewalt des
Staates bei der Ausgestaltung, Beendigung oder Fusion öffentlich-rechtlicher Träger für
die öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse regeln, haben sie ebenfalls die aufgezeigte
staatliche Schutzpflicht aus Art 12 Abs 1 GG zu achten.
21 In diesem Sinne hat das BVerfG etwa die Regelungen des Einigungsvertrags über
Sonderkündigungsrechte an Art 12 Abs 1 GG gemessen, nicht aber den Beitritt der DDR
als solchen (vgl BVerfGE 84, 133, 146). Ebenso hat das BVerfG das Land Hessen als
nicht berechtigt angesehen, sich selbst kraft Gesetzes seinen arbeitsvertraglichen
Bindungen zu entziehen und sich von der Notwendigkeit zu entlasten, die gewünschte
Beendigung von Arbeitsverhältnissen in Einklang mit den allgemeinen
Kündigungsschutzvorschriften herbeizuführen (vgl BVerfGE 128, 157, 180 f = RdNr 85 ff).
Das BVerfG hat dabei aber nicht das Recht des Landes in Zweifel gezogen, durch
Landesgesetz die Universitätskliniken zu privatisieren (vgl BVerfGE 128, 157, 179 = Juris
RdNr 80). Nur in den Fällen, in denen der Rechtsschutz gegen die Umgestaltung des
Dienstverhältnisses wegen mangelnder Beachtung der staatlichen Schutzpflicht aus Art
12 Abs 1 GG untrennbar mit den Vorschriften über die Ausübung der staatlichen
Organisationsgewalt verknüpft ist, wirkt sich die Verfassungswidrigkeit der einen
Regelung unmittelbar auf die Verfassungsmäßigkeit der anderen Regelung aus. So liegt
es aber bei der Schließung von BKKn nicht.
22 Das SGB V regelt die Schließung der BKKn als eigenständigen, für sich selbst stehenden
Regelungskomplex unabhängig und getrennt von den Schließungsfolgen. § 155 Abs 4 S 9
SGB V bestimmt, wie dargelegt, den bei einer BKK-Schließung gesetzlich vorgesehenen
Schutz der Arbeitnehmer. Diese Regelung kann selbständig und abtrennbar von der
Schließungsentscheidung für sich bestehen oder modifiziert werden. Selbst ihre
Nichtigkeit würde den Bestand der Schließungsentscheidung einer KK nicht berühren,
sondern lediglich die Abwicklung der Dienst- und Arbeitsverhältnisse verkomplizieren. Bei
durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken kommt vorrangig eine
verfassungskonforme Auslegung der Regelung über die Schließungsfolgen für betroffene
Arbeitnehmer in Betracht. Hierüber haben die Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit zu
entscheiden, ohne dass für die betroffenen Arbeitnehmer hierdurch ungewollte
Rechtsschutzdefizite entstehen (zur Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung bei
andernfalls drohenden Rechtsschutzlücken vgl zB BSGE 100, 221 = SozR 4-2500 § 62 Nr
6, RdNr 13, 16 f mwN, stRspr). Ungeachtet des Auslegungsergebnisses lässt die
Eigenständigkeit der beiden Regelungskomplexe aber das Grundprinzip unberührt, dass
Art 12 Abs 1 GG keinen unmittelbaren Schutz gegen den dauerhaften Verlust eines
Arbeitsplatzes gewährt, der hier für den Kläger daraus erwächst, dass die
Leistungsfähigkeit der C-BKK nicht mehr auf Dauer gesichert ist.
23 Die übrigen Grundrechte des Klägers aus Art 3 Abs 1 GG (vgl zum Prüfmaßstab nur BSGE
109, 230 = SozR 4-2500 § 53 Nr 2, RdNr 15 mwN; das diesbezügliche Klägervorbringen
ist auf die Folgen des § 155 Abs 4 S 9 SGB V gerichtet), Art 9 Abs 3 GG (vgl zum
Schutzumfang zB BVerfGE 100, 214, 221 ff; BVerfGE 103, 293, 304 ff) und - wegen des
Vorrangs von Art 12 Abs 1 GG nicht anwendbar - Art 2 Abs 1 GG bieten insoweit keinen
weitergehenden Schutz. Auch Art 19 Abs 4 GG gebietet es nicht, alle Entscheidungen
über die Ausübung der Organisationsgewalt des Staates für jedermann - über seine
betroffenen Grundrechte hinaus - gerichtlichem Rechtsschutz zu unterwerfen. Hierfür
genügt weder die Verletzung nur wirtschaftlicher Interessen noch die Verletzung von
Rechtssätzen, in denen der Einzelne nur aus Gründen des Interesses der Allgemeinheit
begünstigt wird, die also Reflexwirkung haben (vgl BVerfGE 31, 33, 39 f). Art 19 Abs 4 GG
gewährleistet nicht selbst den sachlichen Bestand oder den Inhalt einer als verletzt
behaupteten Rechtsstellung. Diese richtet sich vielmehr nach der Rechtsordnung im
Übrigen (vgl BVerfGE 61, 82, 110). Von den Fällen der Grundrechte und sonstiger
verfassungsmäßiger Rechte abgesehen bestimmt der Gesetzgeber, unter welchen
Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zusteht und welchen Inhalt es hat (vgl BVerfGE
78, 214, 226). Dementsprechend gewährt Art 19 Abs 4 GG dem Kläger lediglich effektiven
Rechtsschutz gegenüber Eingriffen der öffentlichen Gewalt in seine eigenen Rechte nach
§ 155 Abs 4 S 9 SGB V und Art 12 Abs 1 GG. Die Rechtsschutzgarantie verleiht ihm aber
keine derartigen Rechte, um gegen die Schließung der C-BKK vorzugehen (vgl
entsprechend BVerfGK 17, 246, 253 = Juris RdNr 35 mwN).
24 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG (idF durch Art 7 Nr 5
des Gesetzes vom 24.11.2011, BGBl I 2302) iVm § 154 Abs 2 VwGO. Eine Erstattung
außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da sie im
Revisionsverfahren keine Anträge gestellt hat (stRspr, vgl zB BSGE 96, 257 = SozR 4-
1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
25 4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 52 Abs
1 und 2 GKG. Die Zulässigkeit, den Streitwert für alle Rechtszüge festzusetzen, folgt aus §
63 Abs 3 S 1 und S 2 GKG.