Urteil des BSG vom 01.04.2000

BSG (verwertung, kläger, höhe, wirtschaftliche betrachtungsweise, obiter dictum, wert, verkauf, bewilligung, zeitpunkt, verlust)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 27.8.2008, B 11 AL 9/07 R
Arbeitslosenhilfeanspruch - Bedürftigkeitsprüfung - Vermögensverwertung -
Zumutbarkeit - Aktienvermögen - offensichtliche Unwirtschaftlichkeit - Bewertung nach
dem aktuellen Kurswert unabhängig vom Anschaffungswert
Tatbestand
1 Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi)
für die Zeit vom 27. März bis 23. Juli 2001 sowie gegen seine Pflicht zur Erstattung der Alhi
einschließlich Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt
7.393,51 DM (= 3.780,24 Euro).
2 Der 1971 geborene (ledige) Kläger bezog vom 1. April 2000 bis zum 26. März 2001
Arbeitslosengeld (Alg). Im Zeitraum von März bis Oktober 2000 erwarb er Aktien
verschiedener börsennotierter Unternehmen, die nach den Kurswerten am jeweiligen
Kauftag insgesamt (umgerechnet) 53.056,81 Euro kosteten.
3 Am 1. März 2001 beantragte der Kläger Anschluss-Alhi. Auf dem Antragsvordruck
beantwortete er die Fragen nach Freistellungsaufträgen und nach Vermögen jeweils mit
"nein" und ließ die weiteren Fragen, insbesondere nach Wertpapieren "(z.B. Aktien,
Fondsanteile usw.)" offen, bestätigte aber durch Unterschrift die Richtigkeit seiner Angaben.
Die Beklagte bewilligte ihm daraufhin Alhi ab 27. März 2001 nach einem Bemessungsentgelt
von gerundet 1.110,00 DM wöchentlich; der Leistungsbezug endete am 3. Februar 2003.
4 Nachdem durch einen Datenabgleich ein Freistellungsauftrag bekannt geworden war, stellte
sich durch Rückfrage der Beklagten beim Kläger im März 2002 heraus, dass dieser über ein
Depot mit den erwähnten Aktien verfügte; nach einem nunmehr vorgelegten Kontoauszug
hatte es am 27. März 2001 einen Wert von 14.072,00 Euro (= 27.522,44 DM). Mit Bescheid
vom 17. Dezember 2002 hob die Beklagte nach Anhörung des Klägers die Bewilligung von
Alhi für die Zeit vom 27. März bis zum 31. Dezember 2001 auf Grund verwertbaren
Vermögens von 19.522,44 DM (= 27.522,44 DM - 8.000,00 DM Freibetrag) auf und forderte
Alhi in Höhe von 14.042,00 DM sowie Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe
von 3.354,58 DM zurück.
5 Der Widerspruch des Klägers, der sich auf einen zwischen Kauf und Alhi-Antragstellung
eingetretenen Wertverlust des Depots von mehr als 70 vH berief, blieb erfolglos
(Widerspruchsbescheid vom 5. September 2003).
6 Im Laufe des Klageverfahrens änderte die Beklagte mit Bescheid vom 19. März 2004 den
Bescheid vom 17. Dezember 2002 dahingehend, dass sie die Aufhebung der
Leistungsbewilligung auf die Zeit vom 27. März bis zum 23. Juli 2001 beschränkte und nur
noch Alhi in Höhe von 5.967,85 DM nebst Kranken- bzw Pflegeversicherungsbeiträgen in
Höhe von 1.324,22 DM bzw 101,45 DM zurückforderte, insgesamt 7.393,51 DM (= 3.780,24
Euro); auf Grund des verwertbaren Vermögens von 19.522,44 DM (= 9.981,67 Euro) habe
der Kläger für einen Zeitraum von 17 Wochen keinen Anspruch auf Alhi gehabt.
7 Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 17. März 2005 die Klage abgewiesen. Das
Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 25. Januar 2007 die Berufung des Klägers
zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Die angefochtene Entscheidung der
Beklagten in Gestalt des Änderungsbescheids vom 19. März 2004 sei rechtmäßig. Der
Kläger könne sich auf Vertrauensschutz nicht berufen, da die rechtswidrige
Leistungsbewilligung auf Angaben beruhe, die er zumindest grob fahrlässig in wesentlicher
Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Zum Zeitpunkt der Alhi-Bewilligung
habe für einen Zeitraum von 17 Wochen keine Bedürftigkeit bestanden. Die Verwertung der
Aktien sei trotz der erheblichen Kursverluste seit dem Kauf auch nicht wegen offensichtlicher
Unwirtschaftlichkeit unzumutbar gewesen. Der zu erzielende Gegenwert habe in keinem
deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden
Vermögensgegenstandes gestanden. Der am 27. März 2001 realisierbare Wert der Aktien
sei nicht hinter ihrem wirklichen Wert zurückgeblieben, sondern ein Verkauf am 27. März
2001 hätte nur die schon vorher durch Kursverluste eingetretene Vermögensminderung
offenbar werden lassen. Darin liege ein wesentlicher Unterschied zu anderen
Vermögensgegenständen, beispielsweise einer Kapitallebensversicherung. Bei Letzterer
trete oftmals ein wirtschaftlicher Verlust erst dadurch ein, dass der Vertrag vorfristig beendet
werde und sich aus diesem Grund ein reduzierter Rückkaufswert ergebe. Der Handel mit
Aktien sei dagegen von vornherein spekulativ, und ein normal und ökonomisch Handelnder
entscheide über Kauf und Verkauf regelmäßig auf Grund eigener Zukunftsprognose. Daher
könne nicht unterstellt werden, dass ein wirtschaftlich handelnder Aktionär die Aktien des
Klägers am Bewertungsstichtag offensichtlich nicht verwertet hätte. Vielmehr legten die
damaligen Entwicklungen am Aktienmarkt den gegenteiligen Schluss nahe. Nicht zu folgen
sei schließlich dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Mai 2005 (B 7a/7 AL
84/04 R = SozR 4-4220 § 1 Nr 4). Denn soweit dort auf einen Vergleich zwischen den
Kosten der Anschaffung mit dem Erlös bei einem Verkauf abgestellt worden sei,
widerspreche dies der sonstigen Rechtsprechung des BSG, nach der ein bereits vor dem
Antrag auf Alhi unabhängig von der Notwendigkeit eines Verkaufs eingetretener Wertverlust
als unerheblich anzusehen sei. Dies folge auch aus dem Sinn und Zweck der Alhi, die eine
fehlende Eigenleistungsfähigkeit voraussetze. Deshalb sei allein maßgeblich, ob die, wenn
auch durch Verluste verringerte, Eigenleistungsfähigkeit aktuell (noch) ausreichend iS der
Alhi-Vorschriften sei. Eine Berücksichtigung von Vermögenseinbußen vor der Antragstellung
sei nicht vorgesehen. Bei einer anderen Betrachtungsweise bestehe die Gefahr einer
Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Im Übrigen werde der Wertverlust der Aktien
des Klägers zumindest teilweise leistungsrechtlich ausgeglichen, weil das geringer
gewordene Vermögen nur noch für 17 Wochen die Bedürftigkeit ausschließe und zu einem
früheren Anspruchsbeginn führe.
8 Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er macht
im Wesentlichen geltend, ein Verkauf seiner Aktien am 27. März 2001 wäre offensichtlich
unwirtschaftlich gewesen, weil er dann von den Erwerbskosten, auf die nach dem Urteil des
BSG vom 3. Mai 2005 (aaO) abzustellen sei, nur noch 26,52 vH hätte realisieren können.
Der bereits eingetretene Verlust sei so erheblich gewesen, dass eine Veräußerung aus Sicht
eines normal und ökonomisch Handelnden nicht mehr sinnvoll erschienen sei. Vielmehr
habe er durch das Behalten der Wertpapiere am späteren Wiederaufschwung der Kurse
teilhaben können. Es bestehe auch kein wesentlicher Unterschied zwischen
Aktienvermögen und einer Kapitallebensversicherung, weil Letztere immer nur nach ihrem
Rückkaufswert zu bewerten sei, sodass auch in diesem Fall die Verwertung nur einen
eingetretenen Verlust offenbare. Die Verwertung von Aktien sei zumindest dann als
offensichtlich unwirtschaftlich anzusehen, wenn der aktuelle Kurswert in einem krassen
Missverhältnis zum Anschaffungswert stehe und mit einem derartigen Kursverfall nur in
äußert seltenen Fällen zu rechnen sei, was hier wegen eines Kursverlusts von 73,48 vH in
einem Jahr zutreffe.
9 Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Januar 2007 und das Urteil
des Sozialgerichts Potsdam vom 17. März 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17.
Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2003 und
des Änderungsbescheides vom 19. März 2004 aufzuheben.
10 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
11 Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
12 Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz ).
13 1. Nachdem die Beklagte ihre Ausgangsentscheidung (Bescheid vom 17. Dezember 2002 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2003) durch den
Änderungsbescheid vom 19. März 2004 zum Teil zu Gunsten des Klägers revidiert hat, ist im
Rahmen der vom Kläger erhobenen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) nur noch über die
Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 27. März bis 23. Juli
2001 sowie der entsprechenden Erstattungsforderung von insgesamt 3.780,24 Euro zu
entscheiden.
14 Die Beklagte hat zu Recht gemäß § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch
(SGB X) iVm § 330 Abs 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) die Leistungsbewilligung
für den noch streitbefangenen Zeitraum zurückgenommen und gemäß § 50 Abs 1 SGB X
bzw § 335 SGB III die Erstattung der überzahlten Leistungen sowie Beiträge verlangt.
15 Ob der angefochtene Bescheid zu Recht ergangen ist, hängt zunächst davon ab, ob der Alhi-
Bewilligungsbescheid bezogen auf den Zeitraum 27. März bis 23. Juli 2001 rechtswidrig war
(§ 45 Abs 1 SGB X). Maßgebend für die Beurteilung ist weiter, dass nach § 45 Abs 2 Satz 1
SGB X ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden
darf, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein
Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig
ist, und dass sich der Begünstigte nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X auf Vertrauen nicht
berufen kann, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob
fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Die Frage
der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheides sowie daran anschließend
der Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung gemäß § 45 SGB X ist auch vorgreiflich
für die Beantwortung der Fragen nach der Berechtigung der Beklagten zur Rückforderung
der erbrachten Leistungen (§ 50 Abs 1 Satz 1 SGB X) und Beiträge (vgl § 335 Abs 1 Satz 1,
Abs 5 SGB III).
16 2. Die ursprüngliche Alhi-Bewilligung war (teilweise) rechtswidrig. Denn der Kläger war in
der streitigen Zeit vom 27. März bis 23. Juli 2001 nicht bedürftig. Insoweit war die
Bewilligung der Alhi von Anfang an rechtswidrig. Das LSG hat bei der Prüfung des
Anspruchs auf Alhi zu Recht auf die im Zeitpunkt der Bewilligung (März 2001) geltende
Rechtslage abgestellt.
17 Die Bedürftigkeit ist danach Voraussetzung eines Anspruchs auf Alhi (§ 190 Abs 1 Nr 5 iVm
§ 193 Abs 1 SGB III). Nach § 193 Abs 2 SGB III (idF des 1. SGB III-ÄndG vom 16. Dezember
1997, BGBl I 2970) ist ein Arbeitsloser nicht bedürftig, solange mit Rücksicht (ua) auf sein
eigenes Vermögen die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist. Hierzu enthält die auf der
Grundlage des § 206 Nr 1 SGB III ergangene, bis zum 31. Dezember 2001 geltende
Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) vom 7. August 1974 (BGBl I 1929 idF durch das Gesetz
vom 16. Februar 2001, BGBl I 266, Art 3 § 42) nähere Regelungen. Vermögen ist danach zu
berücksichtigen, soweit es verwertbar und die Verwertung zumutbar ist und der Wert des
Vermögens, dessen Verwertung zumutbar ist, jeweils 8.000,00 DM übersteigt (vgl § 6 Abs 1
AlhiV). Bei der Berücksichtigung des Vermögens ist nach § 8 AlhiV der Verkehrswert ohne
Rücksicht auf steuerliche Vorschriften zu berücksichtigen.
18 Bei dem Aktiendepot des Klägers handelt es sich um Vermögen im Wert von mehr als
8.000,00 DM, da sich der Verkehrswert zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des
Leistungsbeginns am 27. März 2001 nach den unangegriffenen und damit nach § 163 SGG
bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 8 Satz 2 AlhiV) auf 27.522,44 DM belief. Das
Vermögen war auch verwertbar, weil der Kläger über den oberhalb des Freibetrags
liegenden Teil der Aktien mit einem Wert von 19.522,44 DM durch Veräußerung oder
sonstige Verwertung hätte frei verfügen können (§ 6 Abs 1 iVm Abs 2 AlhiV). Dem LSG ist
ferner darin zuzustimmen, dass die Verwertung auch zumutbar war (§ 6 Abs 1 iVm Abs 3
AlhiV). Da keines der Regelbeispiele des § 6 Abs 3 Satz 2 AlhiV für die Unzumutbarkeit
einer Verwertung ersichtlich ist, kommt es auf die generelle Regelung in § 6 Abs 3 Satz 1
AlhiV an. Danach ist die Verwertung zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich
ist und unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des
Vermögens und seiner Angehörigen billigerweise erwartet werden kann.
19 3. In Übereinstimmung mit der Rechtsansicht des LSG war bezogen auf den Zeitpunkt 27.
März 2001 eine Verwertung der Aktien nicht offensichtlich unwirtschaftlich. Nach der
ständigen Rechtsprechung des BSG ist die Verwertung eines Vermögensgegenstandes nur
dann "offensichtlich unwirtschaftlich", wenn der (aktuelle) zu erzielende Gegenwert in einem
deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert (Substanzwert) des zu verwertenden
Vermögensgegenstandes stehen würde (zB BSG, Urteil vom 17. Oktober 1990, 11 RAr
133/88 = DBlR 3785a, AFG/§ 137; BSG SozR 3-4100 § 137 Nr 7; BSG, Urteil vom 25. April
2002, B 11 AL 69/01 R = DBlR 4750a, AFG/§ 137). Daran hat der Senat auch in
Entscheidungen zur Frage einer "offensichtlich unwirtschaftlichen" Verwertung im Sinne der
- im vorliegenden Fall noch nicht maßgeblichen - am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen
AlhiV 2002 vom 13. Dezember 2001 (BGBl I 3734) festgehalten (BSG, Urteile vom 25. Mai
2005, B 11a/11 AL 51/04 R = SozR 4-4220 § 6 Nr 2 und B 11a/11 AL 73/04 R = SozR 4-
4220 § 6 Nr 3; Urteil vom 14. September 2005 - B 11a/11 AL 71/04 R - SozR 4-4300 § 193
Nr 9 - jeweils zu § 1 Abs 3 Nr 6 AlhiV 2002). Der Senat hat klargestellt, dass für dieses nach
objektiven Kriterien zu ermittelnde Tatbestandsmerkmal weiterhin dieselbe wirtschaftliche
Betrachtungsweise maßgeblich ist, wie schon unter der Geltung der AlhiV 1974 (BSG,
Urteile vom 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 51/04 R und B 11a/11 AL 73/04 R = SozR 4-4220 §
6 Nr 2 und Nr 3).
20 Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des 7. Senats des BSG. Dieser
hat in seinen Urteilen vom 9. Dezember 2004 (B 7 AL 30/04 R = SozR 4-4300 § 193 Nr 2
und B 7 AL 44/04 R = BSGE 94, 121 = SozR 4-4300 § 193 Nr 3), die sich mit zu
verwertendem Vermögen iS der AlhiV 2002 befassten, wegen der Frage der
Unwirtschaftlichkeit der Verwertung auf die frühere Rechtsprechung (BSG SozR 3-4100 §
137 Nr 7; BSG, Urteil vom 25. April 2002, B 11 AL 69/01 R) verwiesen. In seiner wiederum
zur AlhiV 2002 ergangenen Entscheidung vom 3. Mai 2005 (B 7a/7 AL 34/04 R = SozR 4-
4220 § 1 Nr 4) hat sich der 7. bzw 7a. Senat des BSG ausdrücklich auf die genannten Urteile
vom 9. Dezember 2004 bezogen. Soweit er zu dem Begriff der Unwirtschaftlichkeit iS des § 1
Abs 3 Nr 6 AlhiV 2002 weiter ausführt, die Norm enthalte einen rein ökonomischen Begriff
der Verwertbarkeit, "der einzig und allein auf den Vergleich der Kosten der Anschaffung
eines Vermögenswerts mit dem Erlös bei einem Verkauf abstellt", bezieht sich diese
Aussage auf die Verwertbarkeit einer Eigentumswohnung und von Lebensversicherungen.
Denn nur über diese Vermögensgegenstände war im dortigen Fall zu entscheiden. Was
Aktien betrifft gehört daher seine weitergehende Erläuterung, "dass ein Alhi-Antragsteller
möglicherweise zu einem ungünstigen Zeitpunkt Aktien oder eine Immobilie gekauft hat,
ändert nichts daran, dass ein erheblicher wirtschaftlicher Verlust zum Zeitpunkt der
Veräußerung iS des § 1 Abs 3 Nr 6 AlhiV 2002 nicht hingenommen werden muss", nicht zu
den die Entscheidung tragenden Gründen, sondern ist ein bloßes "obiter dictum." Der
erkennende Senat hat sich deshalb nicht veranlasst gesehen, vor seiner Entscheidung
gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 SGG beim 7. Senat anzufragen, ob dieser als Nachfolgesenat des
7a. Senats an dessen Rechtsauffassung festhalte. Er lässt ausdrücklich offen, ob er sich für
die Verwertbarkeit von Eigentumswohnungen (zu Kapitallebensversicherungen siehe unten)
der Sichtweise des 7a. Senats anschließt (vgl zum SGB II Senatsurteil vom 16. Mai 2007 - B
11b AS 37/06 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 4 RdNr 37).
21 Im vorliegenden Fall jedenfalls setzt der Senat die ständige Rechtsprechung des BSG fort.
Hiernach ist für das Merkmal der "offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit" der Verwertung eines
Vermögensgegenstandes entscheidend, ob (gerade oder erst) ein "Zwang zum Verkauf" die
Investitionen für den Erwerb eines Vermögensgegenstandes in einem nennenswerten
Umfang entwerten würde und daher ein normal und ökonomisch Handelnder die Verwertung
unterlassen würde (vgl BSG, Urteil vom 9. Dezember 2004 - B 7 AL 30/04 R - SozR 4-4300 §
193 Nr 2). Auch wenn es in besonders gelagerten Fällen angemessen sein mag, den
Anschaffungswert zur Bestimmung des "wirklichen Werts" als Indiz mit heranzuziehen (vgl
BSG, Urteil vom 25. April 2002 - B 11 AL 69/01 R; BSGE 94, 121 RdNr 9 = SozR 4-4300 §
193 Nr 3; BSG SozR 4-4300 § 193 Nr 9 RdNr 9; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, § 193
RdNr 268), kann jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art das Tatbestandsmerkmal der
Unwirtschaftlichkeit iS des § 6 Abs 3 Satz 1 AlhiV nicht durch einen strikt monetären
Vergleich des aktuell erzielbaren Verkaufserlöses mit den Erwerbskosten ermittelt werden.
Insoweit ist je nach Vermögensgegenstand zu differenzieren.
22 Nichts anderes lässt sich auch der vom Kläger in seiner Revisionsbegründung angeführten
Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 73/04 R = SozR 4-4220 §
6 Nr 3 mwN) zur Verwertung von Kapitallebensversicherungen entnehmen. Denn die
Ausführungen zur Entwertung von Lebensversicherungsbeiträgen lassen sich nicht auf die
Verhältnisse bei einem Aktiendepot übertragen. Bei der Verwertbarkeit von
Kapitallebensversicherungen ist nach den bisherigen Entscheidungen des BSG
kennzeichnend, dass ein wirtschaftlicher Verlust erst dadurch eintritt, dass der Vertrag
vorfristig beendet wird und sich aus diesem Grund im Vergleich zum Substanzwert (=
Summe der eingezahlten Beiträge und Gewinnerwartung bzw -chance) ein reduzierter
Rückkaufswert ergibt. Anders als bei einer Lebensversicherung tritt bei Aktien ein
wirtschaftlicher Verlust nicht durch eine vorzeitige Beendigung des Vertrages und des aus
diesem Grunde reduzierten Rückkaufswertes ein, sondern durch den im Vergleich zum
Erwerbszeitpunkt eingetretenen Kursverlust. Denn die Entwicklung des Börsenwerts von
Aktien vollzieht sich in keinem kalkulierbaren und bei ungestörtem Verlauf gesicherten
vertraglichen Rahmen. Der Kurswert entspricht dem tatsächlichen Verkehrswert (vgl § 8 Satz
1 AlhiV 1974) zu dem genannten Stichtag, hier per 27. März 2001. Der von seiner Anlage her
hochspekulative Handel mit Aktien bringt immer die Gefahr eines erheblichen Kursverfalls
bis zum Totalverlust. Daher kann auch nicht unterstellt werden, dass ein normal und
ökonomisch Handelnder die Verwertung der Aktien im Regelfall unterlassen hätte, da diese
zur Schadensminimierung regelmäßig auch dann veräußert werden, wenn sich bereits
erhebliche Verluste realisiert haben. Insofern stellt sich auch - anders als bei einem Verkauf
von Lebensversicherungsverträgen (vgl BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS
66/06 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 5 RdNr 23) - nicht die Frage, ab welchem Grenzwert bei
Aktien generell von einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit der Verwertung ausgegangen
werden kann. Dass der Erwerb bzw das Halten von Aktien - wie andere Anlageformen - mit
Renditeerwartungen verbunden ist, wird damit nicht in Abrede gestellt. Diese
Gewinnerwartung rechtfertigt es indes nicht, die Frage der Wirtschaftlichkeit der Verwertung
davon abhängig zu machen, ob sie sich verwirklicht hat oder nicht bzw - im letzteren Fall - ob
damit ein geringer oder nachhaltiger Wertverlust verbunden ist.
23 Dabei lässt der Senat offen, ob bei der Verwertung von Aktien nach Kursverlusten der von
der Rechtsprechung entwickelte Maßstab, ob ein "normal und ökonomisch" Handelnder die
Verwertung unterlassen würde (vgl ua BSG SozR 4-4300 § 193 Nr 2 und BSGE 94, 121 =
BSG SozR 4-4300 § 193 Nr 3, jeweils mwN), überhaupt tragfähig ist. Ebenso kann
unentschieden bleiben, ob für den Fall, dass aus besonderen Gründen (beispielsweise kurz
nach dem 11. September 2001) ein situationsbedingter Preisverfall abseits der allgemeinen
Börsenrisiken eingetreten ist, von einer "offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit" eines Verkaufs
ausgegangen werden kann (so wohl Spellbrink in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des
Arbeitsförderungsrechts, § 13 RdNr 208; allgemein zu einem vorübergehenden Preisverfall:
Ebsen in Gagel, SGB III, § 193 RdNr 195 und Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, § 193
RdNr 268; zum SGB II vgl Hänlein in Gagel, SGB III mit SGB II, § 12 RdNr 65 und Mecke in
Eicher/Spellbrink, SGB II, § 12 RdNr 84; zum abweichenden Maßstab der Angemessenheit
in § 12 Abs 3 Satz 2 SGB II vgl BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 66/06 R -
SozR 4-4200 § 12 Nr 5, RdNr 23). Denn eine solche Situation liegt im Fall des Klägers -
schon im Hinblick auf den Zeitpunkt des Leistungsbeginns 27. März 2001 - nicht vor.
24 Die dargestellte Auslegung des Begriffs der "offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit" der
Vermögensverwertung im Recht der Alhi begegnet schließlich auch keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken. Insofern kann der Kläger auch nicht mit dem Argument
überzeugen, Anlagen in Wertpapieren würden im Vergleich zu anderen Anlageformen
ungerechtfertigt benachteiligt. Denn dem Wertverlust der Aktien wird leistungsrechtlich
Rechnung getragen. Anders ausgedrückt: Das nunmehr geringere Vermögen führt - wie
bereits das LSG ausgeführt hat - zu einem früheren Anspruch auf Alhi.
25 4. Bezogen auf das Depotvermögen ist auch kein Anhaltspunkt für die nach § 6 Abs 1 iVm
Abs 3 Satz 1 AlhiV 1974 zusätzlich zu prüfende Unbilligkeit einer Verwertung gegeben. Dies
lässt sich bereits dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG entnehmen.
Abgesehen davon, dass - über den reinen Wertverlust hinaus - Härtegesichtspunkte auch
vom Kläger selbst in seinem Revisionsvorbringen nicht geltend gemacht werden, bestehen
im Hinblick auf das Alter, die sonstigen Lebensumstände des Klägers und die Dauer des
Alhi-Bezugs keine Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit der Verwertung (vgl BSG SozR 3-
4100 § 137 Nr 7).
26 5. Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, dass das LSG die Voraussetzungen des § 45
Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X bejaht hat. Das LSG hat dabei entsprechend der ständigen
Rechtsprechung des BSG bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit einen subjektiven
Maßstab angelegt (vgl BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 45; BSG SozR 4-4300 § 122 Nr 5 mwN).
Das BSG hat bereits mehrfach klargestellt, dass die Entscheidung über das Vorliegen grober
Fahrlässigkeit nur in engen Grenzen revisionsrechtlich nachprüfbar ist (BSG SozR 4-4300 §
122 Nr 5 RdNr 14). Die Entscheidung des LSG hat den Begriff der groben Fahrlässigkeit
nicht verkannt; sie ist auch ansonsten nicht zu beanstanden. Die diesbezüglichen
Feststellungen des LSG sind vom Kläger in seinem Revisionsvorbringen nicht angegriffen
worden. Dies gilt insbesondere auch für die Feststellung des LSG, dass die
Leistungsbewilligung auf Angaben beruhte, die der Kläger zumindest grob fahrlässig in
wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2
SGB X). In diesem Zusammenhang teilt der Senat die Rechtsansicht des LSG, dass der
Kläger - unabhängig von seiner eigenen Einschätzung der Rechtslage - schon bei den
Angaben im Antragsformular auf das Vorhandensein von Vermögen in Form der Aktien
hinweisen bzw ggf bei der Beklagten nachfragen musste (vgl Senatsurteil vom 24. Mai 2006
- B 11a AL 7/05 R - SozR 4-4220 § 6 Nr 4 RdNr 34).
27 Die Beklagte hat die Jahresfrist nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X gewahrt, wonach die
Behörde bei einer Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit dies
innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun muss, welche die Rücknahme eines
rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Nach
den unangefochtenen Feststellungen des LSG hat die Beklagte erst im März 2002 von
einem Freistellungsauftrag und dessen Aktiendepot erfahren, sodass die
Leistungsaufhebung mit Bescheid vom 17. Dezember 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 5. September 2003 und des Änderungsbescheids vom 19.
März 2004 rechtzeitig erfolgte.
28 Auch rechnerisch hat die Beklagte die Länge der aufzuhebenden Leistungsbewilligung,
nämlich 17 Wochen, zutreffend ermittelt, denn nach § 9 AlhiV 1974 besteht Bedürftigkeit
nicht für die Zeit voller Wochen, die sich aus der Teilung des zu berücksichtigenden
Vermögens durch das Arbeitsentgelt ergibt, nach dem sich die Alhi richtet. Ausgehend von
dem zu berücksichtigenden Vermögen in Höhe von 19.072,00 Euro (= 27.522,44 DM -
Freibetrag in Höhe von 8.000,00 DM) ergibt sich aus dem nach den Feststellungen des LSG
zutreffend ermittelten Bemessungsentgelt in Höhe von gerundet 1.110,00 DM ein Zeitraum
von 17 Wochen, in denen keine Bedürftigkeit bestand. Dieses Ergebnis ist im Übrigen auch
von dem Kläger in seiner Revisionsbegründung nicht in Frage gestellt worden. Auch die
Höhe des Erstattungsbetrags von 5.967,85 DM (= 3.051,31 Euro) an Alhi und zu erstattenden
Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung von 1.324,22 DM (= 677,06 Euro) bzw
101,45 DM (= 51,87 Euro) sind - wie die Berechnungen des LSG im Einzelnen ausweisen -
zutreffend ermittelt worden.
29 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.