Urteil des BSG vom 26.06.2007

BSG: sinn und zweck der norm, satzung, diabetes mellitus, freiwillig versicherter, haushalt, belastungsgrenze, rehabilitation, ersatzkasse, rente, krankenversicherung

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Kassel, den 19. Juni 2007
Terminvorschau Nr. 31/07
Der 1. Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 26. Juni 2007 über sieben Revisionen aus dem
Gebiet der
gesetzlichen Krankenversicherung
Revision aus diesem Rechtsgebiet ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
A. Mit mündlicher Verhandlung
Lfd. Nr. 1 und Nr. 7 : Ohne mündliche Verhandlung
1)
Ohne mündliche Verhandlung
- B 1 KR 33/06 R - K. ./. Hanseatische Ersatzkasse
Die Klägerin lebt mit ihrer 1998 geborenen nicht ehelichen Tochter Nele und einer weiteren 1988 geborenen
Tochter in einem gemeinsamen Haushalt. Sie ist ebenso wie Nele bei der beklagten Ersatzkasse gegen
Krankheit versichert. Der Vater von Nele verließ Anfang 2002 den gemeinsamen Haushalt und lebt
seitdem in einer neuen Partnerschaft. Er und die Klägerin behielten das gemeinsame Sorgerecht für Nele.
Er ist beihilfeberechtigt und privat krankenversichert. Die Beklagte gewährte der Klägerin wegen einer
Erkrankung Neles im Jahr 2002 zunächst für sieben Tage Krankengeld (Krg). Auf den Antrag auf weiteres
Krg wegen Erkrankung Neles im Zeitraum vom 28.10. bis 1.11. und vom 4. bis 6.11.2002, gestützt auf
ärztliche Bescheinigungen, bewilligte die Beklagte die Leistung für die Zeit vom 28. bis 30.10.2002, lehnte
aber den Antrag im Übrigen ab, da der Anspruch mit der Gewährung von 10 Tagen Krg im Jahr erschöpft
sei. Nur wenn alleinerziehende Versicherte das alleinige Sorgerecht hätten, erhöhe sich der Anspruch auf
längstens 20 Tage. Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ua
ausgeführt, die Klägerin sei nicht iS von § 45 Abs 2 SGB V alleinerziehend, denn sie übe ihr Sorgerecht
gemeinsam mit dem von ihr getrennt lebenden Kindsvater aus.
Zur Begründung ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 45 Abs 1 und 2 SGB V. Als
alleinerziehende Versicherte könne sie für längstens 20 Arbeitstage in jedem Kalenderjahr Krg
beanspruchen. Maßgebend sei, dass sie mit dem erkrankten Kind alleine ohne einen weiteren zur Pflege
des Kindes fähigen Erwachsenen in häuslicher Gemeinschaft lebe. Dass sie gemeinsam mit dem Vater
Neles das Personensorgerecht innehabe, sei unerheblich. Es entspreche Sinn und Zweck der Norm, im
Interesse des Kindeswohls eine angemessene Betreuung im Krankheitsfall zu ermöglichen. § 45 SGB V
sei vor der Reform des Kindschaftsrechts erlassen worden und habe an die frühere Rechtslage
angeknüpft, wonach im Falle einer Trennung oder Scheidung einem Elternteil das alleinige Sorgerecht zu
übertragen sei. Das habe sich aber infolge der Kindschaftsreform geändert. Trotz gemeinsamen
Sorgerechts fehle faktisch Alleinerziehenden eine zweite Betreuungsperson im Haushalt des erkrankten
Kindes.
SG Berlin - S 87 KR 752/03 -
LSG Berlin-Brandenburg - L 9 KR 156/03 -
2) 10.45 Uhr - B 1 KR 19/06 R - S. ./. BKK für Heilberufe
Der bei der beklagten Betriebskrankenkasse krankenversicherte Kläger war ab April 2002 bei der Fa. P.
mit einem beitragspflichtigen Bruttoarbeitsentgelt von monatlich 4.500 Euro beschäftigt. Sie kündigte das
Anstellungsverhältnis während der Probezeit am 24.9.2002 zum 15.10.2002. Am 27.9.2002 beantragte der
Kläger bei der Bundesanstalt für Arbeit (BA; jetzt: Bundesagentur) Arbeitslosengeld (Alg). Er erhielt
Urlaubsabgeltung für die Zeit bis zum 5.11.2002. Am 16.10.2003 erlitt er einen Bruch des rechten oberen
Sprunggelenks bei einem Privatunfall in der Türkei. Ihn behandelten nach seinen Angaben die Klinik
Kemer, nach seiner Rückkehr ab 26.10.2003 das "AK St. Georg" (Hamburg) und in der Folgezeit die
Vertragsärzte Orthopäden Dr. T. und Dr. L. Sie hielten ihn für die Zeit bis zum 31.7.2003 für arbeitsunfähig.
Die Vorinstanzen haben nicht näher ermittelt, wann genau der Beklagten die Arbeitsunfähigkeit (AU)
gemeldet wurde, für welche Zeiträume ihr AU-Bescheinigungen vorgelegt wurden und ob die Beklagte dem
Kläger mitgeteilt hat, es bedürfe keiner weiteren AU-Bescheinigungen über die Vorliegenden hinaus. Die
BA lehnte es ab, vom 16.10. bis 5.11.2002 Alg zu zahlen, da der Anspruch auf Leistungen nach § 143 Abs
2 SGB III ruhe. Für die Folgezeit lehnte sie es ab, Alg zu gewähren, da § 126 SGB III nur dann eine
Leistungsfortzahlung vorsehe, wenn AU während des Leistungsbezugs eingetreten sei. Leistungen
könnten erst nach Beendigung der AU bei erneuter persönlicher Arbeitslosmeldung erfolgen. Die Beklagte
berechnete ab 16.10.2002 Beiträge des Klägers auf der Grundlage fiktiver beitragspflichtiger
Mindesteinnahmen in Höhe von kalendertäglich dem 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße nach § 18
SGB IV sowie des geminderten Beitragssatzes von 13,3 vH. Nach § 15 Abs 1 der seit 1.1.2002 geltenden
Satzung der Beklagten (Satzung) ist für die in § 5 Abs 2 Satzung bezeichneten Versicherten, die nicht
gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Anspruch auf Krg ausgeschlossen. § 5 Abs 2 Satzung erfasst
freiwillige Mitglieder, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen für den Beitritt erfüllt sind. Die Beklagte
lehnte es ab, ab 16.10.2002 Krg zu gewähren, da der Kläger freiwillig versichert gewesen sei und die
Satzung einen Anspruch auf Krg ausschließe. Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben.
Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, der freiwillig versicherte Kläger habe nach § 15 Abs 1
Satzung keinen Anspruch auf Krg. Das stehe mit § 44 Abs 2 SGB V in Einklang. Er sei ab 16.10.2002
nicht nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V versicherungspflichtig geworden. § 19 Abs 2 SGB V finde auf ihn als
freiwilliges Mitglied keine Anwendung.
Zur Begründung seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 44 Abs 2 SGB V, § 15 Satzung, §
143 Abs 2 SGB III und Art 3 Abs 1 GG. § 143 Abs 2 SGB III ordne an, dass eine Urlaubsabgeltung als
Urlaubsentgelt zu behandeln sei. Während des Bezugs von Urlaubsentgelt ( § 11 Bundesurlaubsgesetz)
liege stets eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt vor. In diesem Sinne sei § 15 Abs 1 Satzung zu
verstehen. Eine andere Auslegung würde gegen das Willkürverbot des GG verstoßen. Der Gesetzgeber
habe mit Sicherheit nicht anordnen wollen, dass für eine Urlaubsabgeltung für weniger als einen Monat
kein Krg-Anspruch entstehen könne, wohl aber bei einer Urlaubsabgeltung für mehr als einen Monat. Hätte
ein freiwillig Versicherter bei einer langen Erkrankung, die in dem in § 143 Abs 2 SGB III festgelegten
Zeitraum beginne, tatsächlich keinen Anspruch auf Krg, wäre ihm eine Vorsorge zur Sicherstellung des
Lebensunterhalts unmöglich. Die Absicherung eines solchen Risikos scheitere daran, dass hierfür keine
Versicherung angeboten werde. Der Ausschluss einer solchen Versicherung sei auch überraschend und
hätte zu einem Hinweis der Beklagten zu Beginn des Versicherungsverhältnisses führen müssen.
SG Itzehoe - S 1 KR 199/03 -
Schleswig-Holsteinisches LSG - L 5 KR 38/05 -
3) 11.30 Uhr - B 1 KR 36/06 R - Landkreis Rhein-Hunsrück ./. AOK - Die Gesundheitskasse
in Rheinland-Pfalz
Der klagende Landkreis begehrt als örtlicher Träger der Sozialhilfe von der beklagten Krankenkasse
Erstattung der Kosten einer sog Adaptionsmaßnahme, die einer Versicherten der Beklagten vom
überörtlichen Träger der Sozialhilfe gewährt wurde.
Die bei der beklagten Krankenkasse familienversicherte, 1981 geborene Helena G. (Versicherte) leidet an
einer Suchterkrankung (Heroin etc). Da sie die nach dem SGB VI rentenversicherungsrechtlich
erforderlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Rehabilitation nicht erfüllte, gewährte ihr die beklagte
Krankenkasse vom 27.2. bis 26.8.2003 eine stationäre Rehabilitationsleistung zur
Entwöhnungsbehandlung. Die Beklagte lehnte jedoch einen noch während dieser Behandlung von den
behandelnden Ärzten für die Versicherte gestellten Antrag ab, ihr im Anschluss an die
Entwöhnungsbehandlung eine 16-wöchige sog Adaptionsmaßnahme zur Stabilisierung der
Abstinenzfähigkeit sowie der sozialen und beruflichen Orientierung unter ärztlich-psychiatrischer und
psychotherapeutischer Überwachung und Begleitung zu gewähren. Die beklagte Krankenkasse leitete den
Antrag unter dem 8.7.2003 an den Kläger weiter und wies auf dessen Zuständigkeit im Rahmen der Sozial-
und Jugendhilfe hin. Die Adaptionsmaßnahme wurde der Versicherten sodann vom überörtlichen Träger
der Sozialhilfe bewilligt und die Maßnahme vom 26.8. bis 21.11.2003 im Therapiezentrum Speyer
durchgeführt. Im Bewilligungsbescheid wird ausgeführt, das Landesamt handle als "zweitangegangener"
Rehabilitationsträger iS von § 14 SGB IX. Die Adaptionsleistung werde als "Leistung zur medizinischen
Rehabilitation" nach § 26 Abs 2 und SGB IX iVm § 40 Abs 1 Nr 1 BSHG mit einem Barbetrag nach § 21
Abs 3 Satz 1 BSHG gewährt. Nach Abschluss der Adaptionsmaßnahme beantragte der klagende
Landkreis bei der Beklagten erfolglos die Erstattung von 8.624,88 Euro. Das SG hat die Zahlungsklage mit
der Begründung abgewiesen, alle denkbaren Erstattungsansprüche scheiterten daran, dass die Beklagte
mit dem Therapiezentrum Speyer keinen Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V abgeschlossen habe.
Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 8.762 Euro zu
zahlen. Der Kläger sei bzgl der vom überörtlichen Träger getragenen Kosten kraft Landesrechts selbst
klagebefugt. Bei der vorliegend durchgeführten Adaptionsmaßnahme handle es sich um eine aus
medizinischen Gründen erforderliche Rehabilitationsleistung, die der Sicherung des Erfolgs der
Entzugsbehandlung und damit letztlich der Heilung der Suchtkrankheit gedient habe. Sie sei ärztlich
verantwortet und beaufsichtigt worden. Zwar sei die Maßnahme überwiegend arbeits- und
sozialtherapeutischer Art und eine ärztliche Intervention nicht erforderlich gewesen. Entscheidend sei
jedoch, dass die Maßnahme zumindest auch der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung gedient
und unter ärztlicher Verantwortung gestanden habe.
Die beklagte Krankenkasse rügt mit ihrer Revision einen Verstoß gegen § 11 Abs 2, § 27 Abs 1 Satz 2 Nr
2 und § 40 SGB V. Entgegen der Ansicht des LSG habe die Adaptionsmaßnahme im vorliegenden Fall
nicht bzw "nur peripher" der Gesundheitserhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit gedient.
SG Mainz - S 11 KR 350/04 -
LSG Rheinland-Pfalz - L 5 KR 50/06 -
4) 12.00 Uhr - B 1 KR 37/06 R E. ./. Barmer Ersatzkasse
Der bei der Beklagten freiwillig (wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze) versicherte Kläger
arbeitete langjährig in einem Industrieunternehmen, zuletzt als Abteilungsleiter. In einem Personalgespräch
kam es am 27.3.2003 zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.3.2003 (Montag) unter Ausschluss
weitergehender Entgeltzahlungen. Nachdem der Kläger bereits zuvor Kontakt zu seinem Hausarzt
aufgenommen hatte, stellte dieser bei ihm am 1.4.2003 rückwirkend ab 31.3.2003 eine akute
Belastungsreaktion und AU fest. Die Beklagte lehnte die Gewährung von Krg ab, weil das mit Krg
ausgestattete Versicherungsverhältnis zum 31.3.2003 geendet habe und ein neuer Krg-Anspruch danach
nicht mehr habe entstehen können ( § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V). Während die Klage in erster Instanz
erfolglos blieb, hat das LSG die Beklagte zur Krg-Gewährung ab 2.4.2003 verurteilt: Der Krg-Anspruch aus
§ 44 SGB V sei noch während der Beschäftigung am 31.3. entstanden; § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V schließe
den Anspruch nicht dem Grunde nach aus, sondern schränke nur seine Zahlbarkeit bis zur AU-
Feststellung ein, zumal auch die AU-Richtlinien kurze rückwirkende AU-Feststellungen ermöglichten. Die
Rechtsprechung des BSG (BSGE 90, 72 = SozR 3-2500 § 44 Nr 10) stehe dem nicht entgegen, weil sie
nur für länger zurückliegende nachträgliche AU-Feststellungen gelte. Der Krg-Anspruch werde im Falle des
Klägers auch nicht wirksam durch die insoweit gesetzwidrige Satzung der Beklagten (= nach Ausscheiden
freiwilliger Mitglieder aus dem Beschäftigungsverhältnis nur Versicherung ohne Krg) ausgeschlossen. Da
seine Mitgliedschaft mangels eines Beendigungstatbestandes nach § 191 SGB V nicht zum 31.3.2003
geendet habe, greife hier der auch für freiwillig Versicherte geltende soziale Rechtsgedanke ein, fortlaufend
Arbeitsunfähige gegen das Risiko des Entgeltausfalls zu schützen.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 19 Abs 1, § 46 Satz 1 Nr 2 und § 44 Abs 2 SGB
V iVm ihrer Satzung sowie die Abweichung von der Rechtsprechung des BSG (aaO und BSG SozR 4-
2500 § 44 Nr 2). Danach entstehe der Krg-Anspruch erst, nachdem ein Arzt die AU festgestellt habe. Die
vom LSG mit Blick auf die AU-Richtlinien vorgenommene Differenzierung trage nicht, weil Richtlinien das
Gesetzesrecht nicht ändern könnten. Der nur zu einer abweichenden Rechtslage führende Fall einer
Geschäfts- bzw Handlungsunfähigkeit des Versicherten (vgl BSGE 25, 76 = SozR Nr 18 zu § 182 RVO)
habe beim Kläger nicht vorgelegen.
SG Kiel - S 19 KR 70/04 -
Schleswig-Holsteinisches LSG - L 5 KR 67/05 -
5) 12.30 Uhr - B 1 KR 8/07 R - K. ./. City BKK
Der bei der Beklagten versicherte Kläger, der seit 1997 Rente wegen Berufsunfähigkeit bezieht, war vom
1.7.2002 bis 31.5.2003 bei einem Pflegedienst versicherungspflichtig beschäftigt. Er leidet seit Jahren an
Wirbelsäulen-Beschwerden und war deswegen wiederholt arbeitsunfähig. Vom 22.4. bis 31.5.2003
(Samstag) bescheinigte der Nervenarzt Dr. H. dem Kläger AU (ua "Radikulopathie"), die der Medizinische
Dienst der Krankenversicherung bestätigte ("Lumboischialgie") und zur Entgeltfortzahlung bis 31.5.2003
führte. Der Kläger hat vorgetragen, er habe sich am 30.5.2003 (Freitag) bei Dr. H. um eine Verlängerung
der Krankschreibung bemüht, jedoch keinen zeitnahen Termin erhalten. Am 2.6.2003 (Montag) suchte er
den Nervenarzt S. auf, der AU rückwirkend ab 1.6.2003 attestierte ("Spinalkanalstenose"). Die Beklagte
lehnte die Krg-Gewährung ab 1.6.2003 ab, weil die ursprüngliche AU mit dem 31.5.2003 geendet habe und
er anschließend am 1.6.2003 wegen seiner Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR)
nicht mehr mit Krg-Anspruch versichert gewesen sei. Das dagegen angerufene SG hat die Klage
abgewiesen, da ein neuer Krg-Anspruch erst am 3.6.2003 habe entstehen können ( § 46 Satz 1 Nr 2 SGB
V) und Ansprüche nach § 19 Abs 2 SGB V gegenüber der KVdR nachrangig seien. Auf die Berufung des
Klägers hat das LSG die Beklagte dagegen zur Krg-Gewährung ab 1.6.2003 verurteilt: Wegen des seit
22.4.2003 ununterbrochenen Krg-Anspruchs habe auch vom 1.6. an weiterhin eine Mitgliedschaft des
Klägers mit Krg-Anspruch bestanden ( § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V). Da die AU ab 1.6.2003 - wie näher
ausgeführt wird - auf derselben Krankheit beruht habe, stehe § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V dem durchgehenden
Krg-Anspruch nicht entgegen; die Regelung gelte nicht bei Fortdauer einer bereits festgestellten AU, wenn
der Versicherte alles Notwendige zur rechtzeitigen Verlängerung der Krankschreibung unternehme. Nach
den AU-Richtlinien genüge es bei einer an einem Samstag endenden AU, dass die fortbestehende AU am
folgenden Montag ärztlich bestätigt werde. Auch das BSG habe nicht entschieden, dass selbst bei
nachgewiesener durchgehender AU jeweils ein neuer Karenztag eintrete, welcher geeignet sei, die Wirkung
des § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V auszuschließen.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 103 SGG sowie von § 46 Satz 1 Nr 2 und § 192
Abs 1 Nr 2 SGB V. Das LSG habe verfahrensfehlerhaft ohne eigene medizinische Sachkunde "ein" zu AU
führendes durchgehendes Rückenleiden des Klägers bejaht. Tatsächlich würde eine notwendige
Begutachtung eine "neue" Erkrankung ab 2.6.2003 ergeben haben; zu dieser Zeit sei der Kläger aber nicht
mehr mit Krg-Anspruch versichert gewesen. Der Kläger habe vor Ende der bis 31.5.2003 attestierten AU
auch nicht alles ihm zur Wahrung seines Krg-Anspruchs Mögliche und Zumutbare getan (vgl BSGE 95,
219 = SozR 4-2500 § 44 Nr 8).
SG Berlin - S 72 KR 1840/03 -
LSG Berlin-Brandenburg - L 1 KR 98/05 -
6) 13.00 Uhr - B 1 KR 34/06 R - DRV Bayern Süd ./. Gmünder Ersatzkasse
Der am 29.9.1942 geborene K. (im Folgenden: Versicherter), bei der Klägerin renten- und bei der beklagten
Ersatzkasse krankenversichert, ist gelernter Bauschlosser und war bei der H. F. GmbH & Co KG
Schleifer. Auf der Grundlage des Tarifvertrags über Altersteilzeit in der Bayerischen Metall- und
Elektroindustrie (TV-AtZ) und der "Betriebsvereinbarung Altersteilzeit" vereinbarte er ab 1.10.2001 eine
Altersteilzeit, wonach die Arbeitszeit bis zum 30.9.2003 voll geleistet werden und anschließend bis zum
30.9.2005 eine Freistellung von der Arbeitsleistung erfolgen sollte. Vorgesehen war ein
Aufstockungsbetrag auf das Altersteilzeitentgelt nach Maßgabe der Ziff 6 TV-AtZ. Beim Versicherten ist
wegen Erkrankungen der Wirbelsäule, Übergewicht, Diabetes mellitus sowie Schwerhörigkeit ein Gesamt-
GdB von 40 nach dem SGB IX anerkannt. Ab 14.4.2003 erkrankte er arbeitsunfähig und wurde am
16.4.2003 an der Bandscheibe operiert. Auf seinen Antrag (19./21.5.2003) bewilligte und gewährte ihm die
Klägerin ein Heilverfahren (14.7. bis 8.8.2003). Nach dem Entlassungsbericht war er in seiner zuletzt
ausgeübten Tätigkeit drei bis unter sechs Stunden pro Tag einsatzfähig und auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt für leichte Tätigkeiten im Wechsel vollschichtig leistungsfähig. Die Klägerin verlangte von der
Beklagten Erstattung der Kosten der medizinischen Rehabilitation (3.054,27 Euro), da die Leistung nach §
12 Abs 1 Nr 4a SGB VI nicht von ihr habe erbracht werden dürfen. Erst jetzt sei ihr bekannt geworden,
dass der Versicherte in verblockter Altersteilzeit mit Beginn der Ruhephase ab 1.10.2003 gestanden habe
(Schreiben vom 7.10.2003). Das wies die Beklagte zurück. Klage und Berufung der Klägerin sind ohne
Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, die Voraussetzungen eines
Erstattungsanspruchs nach § 14 Abs 4 SGB IX oder § 105 Abs 1 SGB X seien nicht erfüllt. Die Klägerin
sei für die strittige Maßnahme der medizinischen Rehabilitation als Träger der Rentenversicherung
zuständig gewesen. Der Versicherte habe auch die persönlichen und versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen erfüllt. Die Leistung sei nicht nach § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI ausgeschlossen gewesen.
Die Aufstockungsleistungen und Rentenzusatzbeiträge gemäß § 3 Abs 1 Satz 1 Altersteilzeitgesetz (ATG)
habe der Versicherte ausschließlich vom Arbeitgeber empfangen. Eine analoge Anwendung von § 12 Abs
1 Nr 4a SGB VI komme nicht in Betracht.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI. Ein Versicherter, der sich
in der aktiven Phase der Altersteilzeit befinde, beziehe zumindest mittelbar eine Leistung iS des § 12 Abs
1 Nr 4a SGB VI, die bis zum Beginn einer Rente wegen Alters gezahlt werde, wenn zwischen der Stellung
des Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und dem Beginn der passiven Phase der
Altersteilzeit weniger als sechs Monate liegen. Es genüge, dass nach § 4 ATG die BA dem Arbeitgeber ua
einen Aufstockungsbetrag in Höhe von 20 vH des für die Altersteilzeitarbeit gezahlten Arbeitsentgelts
erstatte, die der Versicherte mittelbar über seinen Arbeitgeber erhalte. Entgegen der Ansicht des LSG
beziehe sich § 12 Abs 1 Nr 4a SGB VI nicht nur auf sozialrechtliche, sondern auch auf arbeitsrechtliche
Leistungen, wie die Entstehungsgeschichte zeige. Nach den Gesetzesmaterialien ziele die Regelung
darauf ab, keine Rehabilitationsleistungen mehr an Versicherte zu erbringen, die eine Leistung beziehen,
die regelmäßig bis zum Beginn des Bezugs einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt
werde. Dieses Ziel könne kurz vor Eintritt in die passive Phase der Altersteilzeit nicht mehr erreicht
werden. Die Grenze sei in dem Zeitraum von sechs Monaten vor Beginn der passiven Altersteilzeitphase
entsprechend dem Rechtsgedanken von § 101 SGB VI zu ziehen.
SG Landshut - S 10 KR 281/04 -
Bayerisches LSG - L 5 KR 83/06 -
7)
Ohne mündliche Verhandlung
- B 1 KR 2/07 R - D. ./. AOK Rheinland-Pfalz
Der Kläger erhielt Alg bis zur Erschöpfung des Leistungsanspruchs am 13.8.2005 (Samstag) und war mit
Rücksicht darauf bei der beklagten Krankenkasse in der Krankenversicherung der Arbeitslosen versichert.
Da er bereits Anfang 2005 Rente wegen Erwerbsminderung beantragt hatte, führte ihn die Beklagte ab
14.8.2005 als Rentenantragsteller in der KVdR. Am 11.8.2005 stellte der Arzt Dr. S. bei dem Kläger wegen
einer Gastroenteritis AU bis 12.8.2005 (Freitag) fest; im Oktober 2005 änderte der Arzt die AU-Feststellung
rückwirkend auf die Zeit bis 14.8.2005. Am 15.8.2005 (Montag) attestierte Dr. U. dem Kläger AU wegen
Neurasthenie von diesem Tag an bis 22.8.2005. Die Beklagte lehnte die Krg-Gewährung an den Kläger ab,
weil er bei der erneuten AU am 15.8.2005 Mitglied in der KVdR und daher ohne Krg-Anspruch versichert
gewesen sei; Ansprüche aus der früheren Versicherung bestünden nicht mehr, weil er vom 11.8.2005 an
nicht durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei; beide aufeinander folgende Krankheiten hätten nicht
mindestens an einem Tag gleichzeitig vorgelegen. Die von Dr. S. nach zwei Monaten rückwirkend
attestierte AU widerspreche zudem den AU-Richtlinien. Das dagegen angerufene SG hat die Klage
abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist beim LSG nur für einen weiteren Tag, den 14.8.2005, erfolgreich
gewesen: Auf Grund der korrigierten AU-Bescheinigung habe AU auch an diesem Tag bestanden, der Krg-
Anspruch wegen Alg-Bezugs aber nur bis 13.8.2005 geruht. Ab 15.8.2005 scheide eine Krg-Gewährung
aus, weil an diesem Tag eine neue Krankheit eingetreten sei und der neue Krg-Anspruch frühestens am
16.8. habe entstehen können; die Karenztags-Regelung des § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V greife nämlich auch
ein, wenn der Versicherte am ersten Tag seiner wiederhergestellten AU wegen einer anderen Erkrankung
arbeitsunfähig werde. Damit habe die Krg-Ansprüche umfassende Mitgliedschaft am 14.8.2005 geendet,
ohne dass in Bezug darauf darüber hinaus der Erhaltungstatbestand des § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V
eingreife. Nachgehende Krg-Ansprüche aus § 19 Abs 2 SGB V seien gegenüber der KVdR nachrangig.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 46 Satz 1 Nr 2 und § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V. Er
sei unstreitig ab 11.8.2005 an jedem Tag arbeitsunfähig gewesen. Dass die Neurasthenie als
Folgeerkrankung erst am 15.8.2005 diagnostiziert worden sei und für diesen Tag kein Zahlungsanspruch
bestanden habe, schließe den fortbestehenden Krg-Anspruch nicht aus. § 46 Abs 1 Nr 2 SGB V betreffe
nur den "Zahlungsanspruch" des Betroffenen, nicht die "originäre Anspruchsentstehung". Der 15.8.2005
sei ein Montag gewesen, sodass er am Tag zuvor einen Arzt nicht habe aufsuchen können. Unbeschadet
dessen würde ein Sachverständigengutachten ergeben, dass die den neuen Krg-Anspruch rechtfertigende
Erkrankung ohnehin schon am 11.8.2005 vorgelegen habe.
SG Koblenz - S 12 KR 570/05 -
LSG Rheinland-Pfalz - L 5 KR 128/06 -
B. Ohne mündliche Verhandlung
8) - B 1 KR 41/06 R - K. ./. AOK Baden-Württemberg
Streitig ist die Berücksichtigung von Freibeträgen für nicht familienversicherte Kinder bei der Berechnung
der Belastungsgrenze für Zuzahlungen chronisch Kranker.
Die 1960 geborene, seit 1995 an Multipler Sklerose leidende erwerbsunfähige Klägerin ist Mitglied der
beklagten Krankenkasse. Sie ist mit einem beihilfeberechtigten Beamten verheiratet, mit dem sie vier
gemeinsame, 1983, 1986, 1988 und 1989 geborene Kinder hat. Das älteste Kind befindet sich in
Berufsausbildung, bezieht Ausbildungsvergütung und lebt nicht mehr im Haushalt der Eltern. Im August
2004 beantragte die Klägerin gemäß § 62 SGB V die Befreiung von Zuzahlungen zur Krankenversicherung
für das Jahr 2004. Ausgehend von den Gesamteinkünften der Familie (Rente der Klägerin und dem
höheren, über der Jahresarbeitsentgeltgrenze liegenden Einkommen des Ehemannes) berücksichtigte die
Beklagte bei der Ermittlung der Belastungsgrenze einen Freibetrag für den Ehemann, jedoch keine
Freibeträge für die Kinder, weil diese nicht familienversichert seien. Während des sozialgerichtlichen
Verfahrens hat die Beklagte ausgehend von der Belastungsgrenze für chronisch Kranke eine
Belastungsgrenze der Klägerin von 523,82 Euro ermittelt und ihr darüber hinaus erfolgte Zuzahlungen in
Höhe von 217,02 Euro erstattet. Das SG hat die Beklagte unter Berücksichtigung von Freibeträgen für alle
vier Kinder zur Zahlung von insgesamt 362,94 Euro verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG
das SG-Urteil sowie die Bescheide der Beklagten abgeändert, die Beklagte über die bereits geleistete
Zahlung von 217,02 Euro hinaus zur Zahlung lediglich weiterer 109,44 Euro verurteilt und die
weitergehende Klage abgewiesen. Zwar seien auch für nicht familienversicherte Kinder Freibeträge nach §
26b Einkommensteuergesetz (EStG) zu berücksichtigen, jedoch könnten nur die im Haushalt lebenden
drei Kinder, nicht aber das älteste, nicht im Haushalt der Klägerin lebende Kind berücksichtigt werden.
Gegen das Urteil des LSG hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie macht geltend, bei der Ermittlung der
Belastungsgrenze dürften nur familienversicherte Kinder berücksichtigt werden.
SG Reutlingen - S 10 Kr 445/05 -
LSG Baden-Württemberg - L 4 KR 3780/05 -