Urteil des BSG vom 24.05.2007
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Bundessozialgericht
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Kassel, den 24. Mai 2007
Medieninformation Nr. 13/07
BSG: Eine private Reise-Zusatzkrankenversicherung ist für Versi-
cherte der gesetzlichen Krankenversicherung bei Reisen in Nicht-EU-
Staaten auch dann naheliegend, wenn mit diesen Staaten ein
Sozialversicherungsabkommen besteht (hier: Tunesien)
Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. Mai 2007 im Verfahren eines auf einer
Reise in Tunesien verunglückten deutschen AOK-Versicherten entschieden, dass die dort
für die Behandlung in einer Privatklinik angefallenen Kosten von der AOK nur
ausnahmsweise erstattet werden müssen.
D e r Versicherte war 1999 zu einem Besuch nach Tunesien gereist, wo er bei einem
Verkehrsunfall ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt. Während er 12 Tage im Koma lag, wurde er
zunächst in das staatliche Krankenhaus einer kleineren Stadt eingeliefert, dann aber an eine
private neurochirurgische Klinik in Tunis überwiesen. Für die Krankenbehandlung wandte er
umgerechnet ca 8.800 € auf. Hiervon zahlte ihm die AOK nur etwa die Hälfte, weil sie die
Kosten einer entsprechenden Sachleistung der tunesischen Krankenversicherung als
maßgeblich ansah.
Während die AOK von den Vorinstanzen zur vollen Kostenerstattung verurteilt wurde, hat
das Bundessozialgericht entschieden, dass der Versicherte trotz des Abkommens nicht
umfassend so gestellt werden muss, als wäre die Behandlung in Deutschland erfolgt. Es gilt
insoweit vielmehr das in Tunesien maßgebende Recht, ohne dass die Leistungspflicht auf
den deutschen Versorgungsstandard angehoben wird. Der Kläger hatte daher nur Anspruch
auf dasjenige, was in einem vergleichbaren Notfall einem tunesischen Staatsangehörigen
gegen die tunesische Krankenversicherung zugestanden hätte, dh unter Beachtung der
Leistungsbeschränkungen und Infrastruktur des tunesischen Gesundheitssystems. Volle
Kostenerstattung
wegen "Systemversagens" kann der Kläger von der AOK nur
beanspruchen, wenn ihm entgegen dem Abkommen dasjenige verweigert bzw vorenthalten
worden ist, worauf auch ein leistungsberechtigter Tunesier in Tunesien Anspruch hatte. Da
die hierzu erforderlichen Feststellungen bisher fehlen, wurde der Fall an das
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
zurückverwiesen. Dieses muss weitere
Ermittlungen vornehmen, insbesondere zum Leistungsrahmen des tunesischen Rechts, zur
Frage einer abkommenswidrigen Leistungsvorenthaltung und zum Bestehen einer
rechtsgültigen Zahlungsverpflichtung des Klägers.
Ergänzende Hinweise:
Die im Rechtsstreit entschiedenen Rechtsfragen über die Auslegung des deutsch-
tunesischen Sozialversicherungsabkommen können sich auch für Versicherte auswirken,
die vorübergehend in Staaten außerhalb der EU reisen, welche in ähnlicher Weise ein
Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland geschlossen haben (zB Türkei).
Die
Rechtslage
bezüglich
der
Ansprüche von Versicherten der deutschen
Krankenversicherung auf Krankenbehandlung im Ausland ist insbesondere abhängig
davon, ob es bei dem Aufenthaltsstaat um einen Staat der Europäischen
Gemeinschaft/des Europäischen Wirtschaftsraums, einen mit Deutschland durch ein
besonderes Sozialversicherungsabkommen verbundenen Staat oder einen sonstigen Staat
handelt. Soweit nicht etwas Abweichendes bestimmt ist, ruht der Anspruch auf
handelt. Soweit nicht etwas Abweichendes bestimmt ist, ruht der Anspruch auf
Krankenversicherungsleistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und
zwar auch, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken (§ 16
Abs 1 Nr 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch). Weiterführende Informationen und Hinweise
sind
erhältlich bei der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung-Ausland
(DVKA), 53177 Bonn, im Internet:
www.dvka.de/oeffentlicheSeiten/dvka_home.html
Az.: B 1 KR 18/06 R C. ./. AOK Berlin - Die Gesundheitskasse