Urteil des BSG vom 10.11.2005

BSG: krankenpflege, wiederkehrende leistung, spina bifida, werkstatt, sachleistung, haushalt, schule, krankenversicherung, pflegebedürftigkeit, krankenkasse

Bundessozialgericht
Urteil vom 10.11.2005
Sozialgericht Regensburg S 2 KR 87/03
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 15/04
Bundessozialgericht B 3 KR 42/04 R
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Oktober 2004 wird
zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse die Freistellung von den Kosten der häuslichen Krankenpflege
für die Monate November und Dezember 2002 in Höhe von 249,25 EUR.
Die 1983 geborene, bei der Beklagten versicherte Klägerin leidet an einer angeborenen Querschnittlähmung (spina
bifida) mit Blasen- und Mastdarmlähmung und weiteren Behinderungen. Von der zuständigen Pflegekasse erhält sie
auf Grund eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) vom 9. Juni 1995
seit April 1995 als Schwerstpflegebedürftige Pflegegeld nach der Pflegestufe III. Bis September 2002 besuchte sie
eine tagesstrukturierende Einrichtung (Pater-R -Schule); seitdem arbeitet sie in einer anerkannten Werkstatt für
behinderte Menschen in S. Zuhause wird sie überwiegend von ihrer Mutter betreut.
Die Klägerin bedarf ua der Hilfe bei der Blasen- und Darmentleerung, wobei die Harnableitung mittels Einmalkathetern
erfolgt. Bis ins Jahr 2002 war dies fünfmal täglich erforderlich, wobei jeweils ein Zeitaufwand von 20 Minuten anfiel;
seitdem reichen vier Blasenkatheterisierungen pro Tag aus. Während des Schulbesuchs mussten jeweils zwei
Katheterisierungen in der Schule vorgenommen werden. Dies geschah durch Mitarbeiter eines Pflegedienstes des
Bayerischen Roten Kreuzes; die Kosten trug die Beklagte. Seit dem Wechsel in die Werkstatt für behinderte
Menschen muss die Klägerin dort montags bis donnerstags noch einmal täglich katheterisiert werden. Die Beklagte
trug die Kosten des Pflegedienstes für die auch hier vertragsärztlich verordneten Maßnahmen im Rahmen der
häuslichen Krankenpflege nach § 37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bis Oktober 2002. Seitdem lehnt sie
die Gewährung dieser Leistung ab. Der Pflegedienst erbringt die Pflegemaßnahme - nunmehr im Auftrag der Klägerin -
weiterhin; er hat seine Forderungen bis zum Abschluss dieses Rechtsstreits gestundet. Die offenen Forderungen des
Pflegedienstes für die Zeit bis zum 31. Dezember 2002 belaufen sich auf 249,25 EUR (149,55 EUR für November
2002 und 99,70 EUR für Dezember 2002).
Die Ablehnung der Leistung für die Zeit vom 27. Oktober 2002 bis zum 31. Dezember 2002 begründete die Beklagte
mit dem Verbot der Doppelleistung. Die Harnableitung mittels Einmalkathetern sei bereits bei der Bemessung des
Pflegebedarfs sowie der Zuordnung zu der Pflegestufe in der Pflegeversicherung zu berücksichtigen gewesen und dort
auch mit täglich fünfmal 20 Minuten in Ansatz gebracht worden; sie könne daher nicht zusätzlich als Sachleistung der
Krankenversicherung beansprucht werden. Die Einmalkatheterisierung falle als eine mit der Grundpflegemaßnahme
"Blasenentleerung" untrennbar zusammenhängende Maßnahme der Behandlungspflege in die Leistungspflicht der
Pflegekassen (Bescheide vom 23. Oktober 2002 und 4. Februar 2003; Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2003).
Auch für das erste Quartal 2003 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab (Bescheid vom 8. April 2003).
Das Sozialgericht (SG) hat diese Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin von den Forderungen
des Pflegedienstes für die Zeit ab 27. Oktober 2002 freizustellen (Urteil vom 9. Oktober 2003). Das
Landessozialgericht (LSG) hat den Streitgegenstand schon erstinstanzlich als auf die Zeit bis zum 31. Dezember
2002 beschränkt angesehen und die Berufung der Beklagten insoweit zurückgewiesen (Urteil vom 28. Oktober 2004).
Es hat die Auffassung vertreten, für die Durchführung der Blasenkatheterisierung in der Werkstatt für behinderte
Menschen sei in jener Zeit die Beklagte nach § 37 Abs 2 SGB V zuständig gewesen. Es handele sich um eine
Maßnahme der Behandlungspflege, die nach den Begutachtungs-Richtlinien (BRi) vom 21. März 1997 bei der
Feststellung des Pflegebedarfs nach den §§ 14 und 15 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) und der Zuordnung zu
den Pflegestufen nicht zu berücksichtigen sei. Entgegen der Ansicht der Beklagten und des Bundessozialgerichts
(BSG) im Urteil vom 22. August 2001 - B 3 P 23/00 R - scheide eine Gleichstellung dieser Behandlungsmaßnahme
mit einer Grundpflegemaßnahme (§ 14 Abs 4 Nr 1 bis 3 SGB XI) aus.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 37 Abs 2 SGB V, §
14 SGB XI). Sie beruft sich auf die Neufassung der BRi vom 22. August 2001, wonach entsprechend der ständigen
Rechtsprechung des BSG alle Behandlungspflegemaßnahmen, die einen untrennbaren Bestandteil einer
Grundpflegemaßnahme darstellen oder mit einer solchen Maßnahme objektiv notwendig in einem unmittelbaren
zeitlichen und sachlichen Zusammenhang durchzuführen sind, zur Grundpflege zählen. Dazu gehöre auch die
Blasenentleerung mittels Einmalkathetern (vgl die ausdrückliche Regelung in den BRi vom 22. August 2001, D 5.1.7.).
Die Blasenkatheterisierung falle daher im vorliegenden Fall nicht in die Zuständigkeit der Krankenkasse, sondern der
Pflegekasse.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des Bayerischen LSG vom 28. Oktober 2004 und des SG Regensburg vom 9.
Oktober 2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass die Beklagte 249,25 EUR an das
Bayerische Rote Kreuz, Kreisverband S , zu zahlen hat.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Beklagte im Ergebnis zu Recht für
verpflichtet gehalten, die Klägerin von den noch offenen Forderungen des Pflegedienstes für die in der Werkstatt für
behinderte Menschen erbrachten Behandlungspflegemaßnahmen aus der Zeit vom 27. Oktober 2002 bis zum 31.
Dezember 2002 freizustellen. Es geht dabei um Forderungen von insgesamt 249,25 EUR. Diesen Betrag hat die
Beklagte an das Bayerische Rote Kreuz, Kreisverband S , zwecks Freistellung der Klägerin von den zivilrechtlich
gegen sie gerichteten Forderungen zu zahlen.
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.
a) Das LSG hat zu Recht das Klagebegehren auf die Zeit bis zum 31. Dezember 2002 beschränkt angesehen und
deshalb über die Berufung der Beklagten auch nur bezüglich des Freistellungsanspruchs der Klägerin für diesen
Zeitraum entschieden. Das SG hat verfahrensfehlerhaft auch über den Freistellungsanspruch der Klägerin für das
erste Quartal 2003 entschieden. Die Voraussetzungen für eine Einbeziehung des dieses Quartal betreffenden
Bescheides der Beklagten vom 8. April 2003 lagen nicht vor. Da dieser Bescheid die das vorausgegangene Quartal
betreffenden Bescheide vom 23. Oktober 2002 und 4. Februar 2003 sowie den Widerspruchsbescheid vom 27.
Februar 2003 nicht geändert oder ersetzt, sondern nur eine Regelung für einen Folgezeitraum getroffen hat, schied
eine Einbeziehung nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aus. Die Einbeziehung eines Folgebescheides ohne
Widerspruchsverfahren aus prozessökonomischen Gründen in Analogie zu § 96 SGG setzt voraus, dass der Kläger
entweder durch entsprechende Antragstellung oder auf andere Weise klar zum Ausdruck bringt, dass sich sein
Klagebegehren auf den Folgebescheid erstreckt. Dies war hier jedoch nicht der Fall. Vielmehr hat die Klägerin in ihrem
Schriftsatz vom 6. Oktober 2003 betont, die Anfechtung der Leistungsablehnung beschränke sich im vorliegenden
Verfahren auf die Zeit bis zum 31. Dezember 2002. Die fehlerhafte Einbeziehung des Folgebescheides vom 8. April
2003 durch das SG hat das LSG zutreffend korrigiert, indem es in den Entscheidungsgründen auf die Beschränkung
des Streitgegenstandes hingewiesen und dies auch im Tenor zum Ausdruck gebracht hat. Dies entspricht der neueren
Rechtsprechung des BSG zur Nichtanwendbarkeit des § 96 SGG auf Folgebescheide bei häuslicher Krankenpflege
(BSGE 90, 143, 144 = SozR 3-2500 § 37 Nr 5; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 96
RdNr 5a, 9a, 9b).
b) Das LSG hat die Berufung gegen das Urteil des SG zu Recht als zulässig angesehen. Ohne ausdrückliche
Berufungszulassung durch das SG ist eine Berufung nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG zulässig, wenn bei einer
Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, der Wert des
Beschwerdegegenstandes 500 EUR übersteigt. Bei Unterschreitung dieses Mindestbetrages ist die Berufung nach §
144 Abs 1 Satz 2 SGG nur zulässig, wenn das Rechtsmittel wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als
ein Jahr betrifft. Da es nach dem Urteil des SG um einen Freistellungsanspruch wegen der Kosten für eine
wiederkehrende Leistung für die Zeit vom 27. Oktober 2002 bis zum 31. März 2003 ging, also weniger als ein Jahr
betroffen war, kam es auf den Wert des Beschwerdegegenstandes an. Dieser betraf Freistellungsansprüche von rund
150 EUR im November 2002 und rund 100 EUR im Dezember 2002 (10 Pflegeeinsätze) sowie - verfahrensfehlerhaft -
von je rund 150 EUR im Januar, Februar und März 2003 (monatlich durchschnittlich 15 Pflegeeinsätze). Die vom LSG
zutreffend erkannte Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Zeit bis zum 31. Dezember 2002 (Wert nur 249,25
EUR) ist für den Beschwerdegegenstand unerheblich, weil es allein auf die nach dem angefochtenen Urteil zu
bemessende Beschwer des Rechtsmittelführers ankommt. Die Beklagte hat das erstinstanzliche Urteil insgesamt und
damit in einem Umfang von rund 700 EUR angegriffen.
2. In der Sache konnte die Revision der Beklagten keinen Erfolg haben.
a) Anspruchsgrundlage ist § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V, wonach Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten sind, die
dadurch anfallen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Variante
1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Variante 2) und sich der Versicherte die notwendige Leistung deshalb
selbst beschafft hat. Diese auf die Erstattung schon verauslagter Kosten zugeschnittene Regelung
(Kostenerstattungsanspruch) ist entsprechend auf die Freistellung des Versicherten von einer ihm gegenüber
bestehenden, aber - zB wie hier wegen Stundung - noch nicht erfüllten Forderung eines Leistungserbringers
anzuwenden (BSGE 80, 181, 182 = SozR 3-2500 § 13 Nr 14; stRspr). Im vorliegenden Fall geht es wegen der täglich
einmal an wöchentlich vier Arbeitstagen vorzunehmenden, nicht aufschiebbaren Blasenkatheterisierung im November
und Dezember 2002 um einen Freistellungsanspruch wegen Selbstbeschaffung einer von der Beklagten nicht
erbrachten, rechtzeitig beantragten unaufschiebbaren Leistung (Variante 1) und zugleich um einen
Freistellungsanspruch wegen einer zu Unrecht abgelehnten Leistung (Variante 2), weil der Ablehnungsbescheid vom
23. Oktober 2002 rechtswidrig ist. Dass die Leistungen der Beklagten und nicht der Klägerin in Rechnung gestellt
worden sind (vgl Rechnungen vom 30. Juni 2005), ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Auftraggeberin war nach
den nicht angegriffenen und für den Senat daher bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG ab November 2002
die Klägerin und nicht mehr die Beklagte. Gegenteiliges wird von den Beteiligten auch nicht behauptet.
b) Die Beklagte hätte die begehrte häusliche Krankenpflege in Form der vertragsärztlich verordneten
Blasenkatheterisierung am Arbeitsplatz als Sachleistung (§ 37 Abs 2 iVm § 2 Abs 2 und § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB
V) zur Verfügung stellen müssen. Die Pflegekasse war für diese Leistung nicht zuständig.
Nach § 37 Abs 2 Satz 1, 1. Halbsatz SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche
Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog
Behandlungssicherungspflege). Der krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form
der Behandlungssicherungspflege besteht neben dem Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen
Pflegeversicherung. Zur Behandlungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Krankheit
verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die
Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern,
wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder
auch von Laien erbracht werden (krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, vgl BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr
2; BSGE 83, 254 = SozR 3-2500 § 37 Nr 1; BSGE 90, 143 = SozR 3-2500 § 37 Nr 5; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 3 und
11). Die vom Hausarzt verordnete Blasenkatheterisierung zählt zu den im Rahmen der Behandlungspflege
verordnungsfähigen Leistungen. Wenn in Nr 23 der Anlage der am 14. Mai 2000 in Kraft getretenen Richtlinien des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) über die Verordnung von
häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 und Abs 7 Satz 1 SGB V vom 16. Februar 2000 (BAnz Nr 91 S
8878 vom 13. Mai 2000) nur von Dauerkathetern und vom Anlegen von Einmalkathetern zu Schulungszwecken die
Rede ist, ist dies für den Leistungsanspruch des Versicherten nicht maßgebend, weil diese Richtlinien den
gesetzlichen Anspruch auf die im Einzelfall notwendige wiederholte Verwendung von Einmalkathetern nicht
ausschließen können (vgl Urteil vom 17. März 2005 - B 3 KR 35/04 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR
vorgesehen). Die medizinische Notwendigkeit der Harnableitung mittels Einmalkathetern sowie die Notwendigkeit ihrer
Durchführung durch einen Pflegedienst stehen nach den bindenden Feststellungen des LSG außer Zweifel. Dass die
Maßnahme nicht im elterlichen Haushalt der Klägerin, sondern in der Werkstatt für behinderte Menschen, also am
Arbeitsplatz zu erbringen ist, steht dem Anspruch auf häusliche Krankenpflege ebenfalls nicht entgegen, weil § 37
Abs 2 SGB V auch die Versorgung eines Versicherten mit Behandlungspflege außerhalb der eigenen Wohnung
umfasst, falls er in einem eigenen Haushalt oder im Haushalt der Familie lebt. Dies hat der erkennende Senat bereits
mehrfach entschieden (Urteil vom 21. November 2002 - B 3 KR 13/02 R - BSGE 90, 143, 148 = SozR 3-2500 § 37 Nr
5). Der Anspruch ist auch nicht nach § 37 Abs 3 SGB V ausgeschlossen. Nach den Feststellungen des LSG waren
die Familienangehörigen der Klägerin, insbesondere ihre Mutter, nicht in der Lage, die Pflegemaßnahme auch am
Arbeitsplatz zu übernehmen.
Die Leistungspflicht der Beklagten nach § 37 Abs 2 SGB V entfällt auch nicht deshalb, weil die benötigte Maßnahme
der Behandlungspflege in die Hilfeleistung bei einer Verrichtung der Grundpflege nach § 14 Abs 4 SGB XI
einzubeziehen und damit Gegenstand der Leistungspflicht der Pflegekasse wäre. Die Voraussetzungen hierfür lagen
nicht vor.
Nach der Rechtsprechung des BSG können krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen zum Grundpflegebedarf nach §
14 Abs 4 SGB XI zählen, wenn eine solche Maßnahme entweder (a) untrennbarer Bestandteil einer Katalogverrichtung
des § 14 Abs 4 SGB XI ist oder (b) mit einer solchen Verrichtung objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen
und sachlichen Zusammenhang durchzuführen ist (BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2; BSGE 82, 276, 279 =
SozR 3-3300 § 14 Nr 7; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 11 und 15). Eine solche Konstellation liegt hier vor. Die
Harnableitung mittels Eimalkathetern ist eine Maßnahme der Behandlungspflege, weil sie krankheitsspezifisch den
Folgen der Blasenlähmung und den daraus drohenden Komplikationen entgegenwirkt; zugleich ist sie Teil der
Grundpflegeverrichtung "Blasenentleerung" und kann deshalb bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit eines unter
einer Blasenlähmung leidenden Versicherten berücksichtigt werden. Die BRi vom 21. März 1997, die insoweit
Gegenteiliges bestimmten, waren sachlich unrichtig und unbeachtlich. Die der Rechtsprechung des erkennenden
Senats folgende Änderung der BRi (Teil D 5.1.7.) durch die Neufassung vom 22. August 2001, die nunmehr die
Möglichkeit der Anrechnung der Zeiten der Harnableitung mittels Einmalkathetern bei der Bemessung des
Pflegebedarfs vorsehen, geben die Rechtslage zutreffend wieder.
Vor dem Hintergrund der am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Änderung des § 37 Abs 2 Satz 1 SGB V durch das
GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14. November 2003 (BGBl I S 2190) sind Behandlungspflegemaßnahmen,
die untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung der Grundpflege sind oder mit dieser objektiv notwendig in einem
unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen, jedoch nur noch dann bei der Berechnung des
Umfangs des Pflegebedarfs nach den §§ 14 und 15 SGB XI und damit bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit und
der Zuordnung zu einer der Pflegestufen zu berücksichtigen, wenn der Antragsteller (der Pflegebedürftige) sich dafür
entschieden hat, die Behandlungspflegemaßnahme in seinem Haushalt durch eine nicht erwerbsmäßig tätige
Pflegeperson (§ 19 SGB XI), also durch Familienmitglieder, Nachbarn oder Freunde, und nicht durch einen
Pflegedienst (§ 71 Abs 1 SGB XI) erbringen zu lassen (selbst beschaffte Pflegehilfe). Hat der Pflegebedürftige
dagegen die Inanspruchnahme eines Krankenpflegedienstes (§ 132a SGB V), also eine Sachleistung, für die
Durchführung der Behandlungspflege gewählt, entfällt die Zuständigkeit der sozialen Pflegeversicherung für diese
Maßnahme; allein zuständig ist die gesetzliche Krankenversicherung (§ 37 SGB V). Dies gilt für nicht abgeschlossene
Fälle aus der Zeit vor dem 1. Januar 2004 auch dann, wenn der Versicherte professionelle Hilfe bei einer bestimmten
Maßnahme der häuslichen Krankenpflege gewählt hat und der Zeitaufwand für diese Hilfe bei der Berechnung des
Umfangs des Pflegebedarfs nach den §§ 14 und 15 SGB XI außer Ansatz geblieben ist (vgl zu allem Urteile des
erkennenden Senats vom 17. März 2005 - B 3 KR 8/04 R und B 3 KR 9/04 R -, zur Veröffentlichung in BSGE und
SozR vorgesehen). Der Nichtberücksichtigung des Zeitaufwandes für die Behandlungspflegemaßnahme in einem
Pflegegutachten steht der Fall gleich, dass der Hilfebedarf für diese Maßnahme zwar vom MDK bei der Begutachtung
in Ansatz gebracht worden ist, dies aber nicht leistungsrechtlich ausschlaggebend gewesen ist. Diese Gleichstellung
ist geboten, weil auch bei einer derartigen Konstellation eine Doppelleistung von Krankenversicherung und
Pflegeversicherung ausgeschlossen ist.
Die Klägerin hat sich im September 2002 entschieden, die während des wochentäglichen Aufenthalts in der Werkstatt
für behinderte Menschen einmal täglich notwendige Pflegemaßnahme als Sachleistung in Anspruch zu nehmen. Der
Sachleistungsanspruch nach § 37 Abs 2 SGB V wäre deshalb nur dann ausgeschlossen, wenn diese Maßnahme
bereits beim Pflegebedarf berücksichtigt worden ist und zu einer höheren Pflegestufe geführt hat. Dies ist schon
deshalb nicht der Fall, weil die Klägerin letztmalig im Jahre 1995 vom MDK wegen ihres Pflegebedarfs begutachtet
worden ist. Die nach dem Wechsel von der Schule zur Werkstatt für behinderte Menschen im September 2002
notwendige erneute Begutachtung des Pflegebedarfs (§ 18 Abs 2 Satz 5 SGB XI) ist unterblieben.
Nicht nachvollziehbar ist die Einschätzung des MDK, die Begutachtung vom 9. Juni 1995 belege einen nicht
änderbaren Dauerzustand der Pflegebedürftigkeit der - damals knapp zwölf Jahre alten - Klägerin, so dass auf eine
spätere Überprüfung des Pflegebedarfs (§ 18 Abs 2 Satz 5 SGB XI) verzichtet werden könne. Gerade bei Kindern und
Jugendlichen kann sich in vielen Fällen der Pflegebedarf mit zunehmendem Alter ändern. So kann er bei
entwicklungsbedingten Fortschritten abnehmen, er kann aber auch im Einzelfall durch die Reduzierung der
Abzugswerte nach § 15 Abs 2 SGB XI (erhöhter Mehrbedarf gegenüber einem gleichaltrigen gesunden Kind)
ansteigen. Außerdem können Änderungen im häuslichen, schulischen oder beruflichen Umfeld Einfluss auf den
Pflegebedarf haben. Deshalb hätte für die Beklagte Anlass bestanden, nach Kenntnis vom Wechsel der Klägerin ins
Berufsleben im September 2002 und der in der Werkstatt für behinderte Menschen - wie zuvor zweimal täglich in der
Schule, nunmehr aber nur noch einmal täglich - notwendigen Behandlungspflege durch einen Pflegedienst die
Pflegekasse zu unterrichten, damit dort die Frage einer neuen Begutachtung durch den MDK geprüft werden konnte.
Es kann offen bleiben, welche Rechtsfolgen hinsichtlich des bereits gezahlten Pflegegeldes zu ziehen wären, wenn
eine erneute Überprüfung des Pflegebedarfs ohne Einbeziehung der Katheterisierungsmaßnahmen auf der
Arbeitsstelle zu dem Ergebnis käme, dass schon im September 2002 der Pflegebedarf nicht mehr die Einstufung in
die Pflegestufe III gerechtfertigt hat. Für die Zukunft wäre die Pflegekasse jedenfalls nicht gehindert, hinsichtlich des
Pflegegeldes einen Änderungsbescheid nach § 48 SGB X zu erteilen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.