Urteil des BSG vom 25.03.2003

BSG: fahrkosten, unterbringung, rehabilitation, reformatio in peius, behinderter, wohnung, reisekosten, eingliederung, weiterbildung, behinderung

Bundessozialgericht
Urteil vom 25.03.2003
Sozialgericht Gelsenkirchen S 22 (20) AL 100/99
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 12 AL 183/00
Bundessozialgericht B 7 AL 8/02 R
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Dezember 2001
aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger zu erstattenden Fahrkosten.
Der Kläger nahm ab 7. Dezember 1998 an einer Maßnahme der beruflichen Rehabilitation im Berufsförderungswerk
Dortmund teil. Dabei fuhr der Kläger täglich von seiner Wohnung in Marl zum Berufsförderungswerk Dortmund, wobei
die einfache Fahrtstrecke 52 km betrug. Für die Fahrkosten stellte er am 10. November 1998 einen
Kostenübernahmeantrag bei der Beklagten.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 14. Dezember 1998 dem Kläger Fahrkosten in Höhe von kalendertäglich
39,52 DM, höchstens jedoch 549,08 DM monatlich. Den Widerspruch wies die Beklagte zurück
(Widerspruchsbescheid vom 30. März 1999). Sie führte zur Begründung aus, § 110 Sozialgesetzbuch Drittes Buch
(SGB III) sei eine Ermessensvorschrift. Auf die Fahrkosten bestehe kein Rechtsanspruch des Behinderten. Sie - die
Bundesanstalt für Arbeit - könne die Fahrkosten entsprechend dem Bundesreisekostengesetz (BRKG) mit 0,38 DM
pro Kilometer festsetzen. Jedoch seien Fahrkosten bei Pendelfahrten nur bis zur Höhe des Betrags der Kosten für
Unterbringung und Verpflegung nach § 111 SGB III (495 DM) zuzüglich der Kosten für zwei Familienheimfahrten
(54,08 DM) zu übernehmen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der oben genannten Bescheide verurteilt, die dem
Kläger anlässlich der Teilnahme an seiner beruflichen Bildungsmaßnahme ab 7. Dezember 1998 entstehenden
Fahrkosten in Höhe von 39,52 DM je Teilnahmetag zu bewilligen (Urteil vom 8. August 2000). Das
Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 12. Dezember 2001). Zur
Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, das SG habe die Beklagte zu Recht zur vollen Kostenübernahme
ohne Höchstbetragsbegrenzung verurteilt. Nach § 110 Abs 1 Nr 3 SGB III stehe dem Kläger ein Anspruch auf die
erforderlichen Fahrkosten zu. Trotz der Formulierung "können" bestehe ein Rechtsanspruch auf die Fahrkosten, weil
es sich gemäß § 109 Abs 1 Nr 4 SGB III iVm § 103 Nr 3 SGB III um besondere Leistungen handele. § 110 SGB III
selbst enthalte keine Regelung über eine pauschalierte Höchstbetragsgrenze. § 111 Nr 2 SGB III könne nicht
entsprechend herangezogen werden, weil diese Norm ausdrücklich Fälle einer auswärtigen Unterbringung betreffe.
Aus gesetzessystematischen Gründen könne auch nicht auf § 83 Abs 3 SGB III zurückgegriffen werden. Der
Gesetzgeber habe bei den Leistungen zur beruflichen Eingliederung bewusst zwischen den allgemeinen und
besonderen Leistungen unterschieden. Nach § 98 Abs 2 SGB III würden besondere Leistungen nur erbracht, soweit
eine berufliche Rehabilitation nicht bereits durch die allgemeinen Leistungen erreicht werden könne. Der Gesetzgeber
habe insofern eine Stufenfolge vorgesehen, die nicht durchbrochen werden dürfe, indem eine Teilbestimmung aus
dem Bereich der allgemeinen Leistungen - hier § 83 Abs 3 SGB III - im Rahmen der Erbringung besonderer Leistungen
angewandt werde. Der Gesetzgeber habe in § 110 SGB III vielmehr in Kenntnis der Höchstbetragsregelung des § 83
Abs 3 SGB III bewusst auf eine entsprechende Regelung verzichtet. Der Beklagten stehe es im Übrigen frei, dem
Maßnahmeteilnehmer eine auswärtige Unterbringung anzubieten, wenn sie der Ansicht sei, dass dies kostengünstiger
als Pendelfahrten sei. Bewillige sie aber dem Teilnehmer tägliche Heimfahrten, so wäre es unbillig, den Behinderten
durch eine Begrenzung der zu erstattenden Fahrkosten zusätzlich zu belasten.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision eine Verletzung der §§ 83, 111 SGB III. Sie übernehme im Rahmen der
beruflichen Eingliederung Behinderter die Kosten für Pendelfahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte
grundsätzlich nur bis zur Höhe der Kosten für Unterbringung und Verpflegung zuzüglich der Kosten für zwei
Familienheimfahrten pro Monat. Im Siebten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III finde sich hinsichtlich der
konkreten Höhe der Kostenerstattung bei Pendelfahrten keine spezielle Regelung. Nach § 99 SGB III sei daher auf die
vorhergehenden Abschnitte zurückzugreifen. Sachnächste Bestimmung sei § 83 SGB III, der die Höhe der
Fahrkosten bei Teilnahme an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen regele. § 83 SGB III müsse auch für den Kläger
gelten. Im Übrigen könne dies aber dahinstehen, weil ohnehin nur die jeweils für die Maßnahme "erforderlichen"
Kosten übernommen werden könnten. Durch die Entscheidung des Rehabilitanden, zwischen der Wohnstätte und dem
Maßnahmeort zu pendeln, verteuere sich im vorliegenden Fall die Rehabilitationsmaßnahme, sodass höhere
Aufwendungen als bei auswärtiger Unterbringung entstünden. Bei einer auswärtigen Unterbringung wäre eine
Kostenerstattung nur im Rahmen des § 111 SGB III vorgenommen worden, sodass es "folgerichtig" sei, Fahrkosten
hier ebenfalls nur im Umfang des § 111 SGB III zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Dezember 2001 und des
Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 8. August 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Auf Grund der
Feststellungen des LSG kann nicht beurteilt werden, ob dem Kläger dem Grunde nach Leistungen zur Förderung der
beruflichen Eingliederung Behinderter (jetzt: zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben)
gemäß §§ 97 ff SGB III aF zustehen. Maßgebend sind im vorliegenden Fall die Regelungen der §§ 97 bis 115 SGB III
in der bis 30. Juni 2001 geltenden (ab 1. Juli 2001 durch das Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) vom 22.
Juni 2001, BGBl I, 1046, umgestalteten) Fassung durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG) vom 24. März
1997, BGBl I, 594, soweit sie nicht im Einzelfall - wie § 102 SGB III - durch das 1. SGB III-ÄndG vom 16. Dezember
1997, BGBl I, 2970, geändert worden sind. Ebenso wenig kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen
des LSG beurteilt werden, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung besonderer Leistungen zur
beruflichen Rehabilitation gemäß § 102 Abs 1 Nr 1 oder Nr 2 SGB III erfüllte (sogleich unter 1.). Zu Recht hat das
LSG allerdings entschieden, dass dem Kläger für die Tage seiner Teilnahme an der Maßnahme in Dortmund
Fahrkostenersatz ohne Höchstbetragsbegrenzung zusteht, wenn es sich bei der von der Beklagten bewilligten
Maßnahme um eine besondere Leistung iS der §§ 102, 103 SGB III aF gehandelt hat. Eine Begrenzung der Höhe der
erstattungsfähigen Kosten lässt sich in diesem Falle weder aus § 83 Abs 3 SGB III noch aus §§ 110, 111 SGB III aF
ableiten (siehe unter 2.).
1. Betrifft die Klage - wie hier - höhere Leistungen als bewilligt, ist sie ua nur begründet, wenn auch die
Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach vorliegen. Fehlt eine solche Voraussetzung, kann zwar die bewilligte
Leistung wegen des Verbots einer reformatio in peius (Verböserungsverbot) nicht durch das Gericht entzogen werden,
jedoch hätte dann die Klage auf eine höhere Leistung (hier Fahrkostenersatz ohne Begrenzung) bereits aus diesem
Grunde keinen Erfolg. Insofern ist bereits fraglich, ob die Zuständigkeit der Beklagten zur Erbringung der streitigen
Maßnahme gegeben war oder ob nicht vorrangig ein anderer Leistungsträger zuständig war. Denn der Kläger könnte
die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Leistung zur Rehabilitation durch den
Rentenversicherungsträger erfüllt haben (§ 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI: Erfüllung der Wartezeit von 15 Jahren), sodass
gemäß § 22 Abs 1 SGB III die Bundesknappschaft vorrangig für die Rehabilitation zuständig gewesen wäre. Ebenso
ist ungeklärt, ob bei dem Kläger auch die Voraussetzungen für die besonderen Leistungen zur Rehabilitation vorlagen.
Diese setzen nach § 102 Abs 1 Satz 1 SGB III (§ 102 idF des 1. SGB III-ÄndG) voraus, dass Art und Schwere der
Behinderung oder die Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben
1. die Teilnahme an
a) einer Maßnahme in einer besonderen Einrichtung für Behinderte oder
b) einer sonstigen auf die besonderen Bedürfnisse Behinderter ausgerichteten Maßnahme unerlässlich machen, oder
2. dass die allgemeinen Leistungen die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlichen Leistungen nicht oder
nicht im erforderlichen Umfang vorsehen.
Der Senat hat allerdings bereits entschieden, dass eine Überprüfung dieser Leistungsvoraussetzungen dem Grunde
nach gerichtlicherseits nicht mehr erforderlich ist, wenn bereits bindende Entscheidungen der Verwaltung über die
Grundvoraussetzungen ergangen sind (BSGE 74, 199, 201 = SozR 3-4100 § 59 Nr 5). Insofern hat das LSG nicht
festgestellt - und ist auch aus den Verwaltungsakten nicht ersichtlich -, ob die Beklagte ihre Zuständigkeit für die
berufliche Rehabilitation des Klägers bindend durch Bescheid anerkannt hat (ob zu Recht oder zu Unrecht ist dann
nicht mehr zu prüfen). Ebenso fehlt es an Feststellungen zu einer bindenden Anerkennung der Voraussetzungen für
die besonderen Leistungen zur Rehabilitation durch die Beklagte gemäß § 102 SGB III aF. Hierzu wird das LSG
Feststellungen nachzuholen haben.
2. Unterstellt man - wovon auch das LSG ohne Weiteres ausgegangen ist - dass die Beklagte dem Kläger 1998 - zu
Recht oder bindend - besondere Leistungen zur beruflichen Eingliederung Behinderter gemäß § 102, § 103 SGB III aF
bewilligt hat, so ist die Entscheidung des LSG, dass dem Kläger dann Fahrkosten in der ausgeurteilten Höhe
zustehen, nicht zu beanstanden. Entgegen der Rechtsansicht der Revision kann zunächst nicht die in § 83 Abs 3
SGB III enthaltene Einschränkung hinsichtlich der Höhe der zu erstattenden Fahrkosten Anwendung finden, und zwar
weder unmittelbar über § 99 SGB III noch entsprechend im Rahmen der §§ 103, 110 SGB III aF (sogleich unter a). §§
103, 110 SGB III aF eröffnen für die Beklagte auch keinen Ermessensspielraum, sodass Gesichtspunkte der
Wirtschaftlichkeit oder Zweckmäßigkeit hinsichtlich der Fahrkosten keine Rolle mehr spielen dürfen, wenn zuvor
uneingeschränkt besondere Leistungen zur Rehabilitation - hier eine Maßnahme ohne Unterbringung am Maßnahmeort
- bewilligt worden sind (unter b).
a) Die Beklagte kann ihre Entscheidung nicht auf § 83 Abs 3 SGB III stützen. Nach dieser Regelung können Kosten
für Pendelfahrten nur bis zur Höhe des Betrags übernommen werden, der bei auswärtiger Unterbringung für
Unterbringung und Verpflegung zu leisten wäre. § 83 Abs 3 SGB III befindet sich im Sechsten Abschnitt des Vierten
Kapitels des SGB III, der die "Förderung der beruflichen Weiterbildung" regelt. Der Siebte Abschnitt dieses Kapitels
regelt, beginnend mit § 97 SGB III aF, die "Förderung der beruflichen Eingliederung Behinderter" und gliedert in § 98
Abs 1 SGB III die Leistungen für Behinderte in 1. allgemeine Leistungen und 2. besondere Leistungen. Nach § 99
SGB III richten sich allerdings die allgemeinen und die besonderen Leistungen für Behinderte nach den Vorschriften
des Ersten bis Sechsten Abschnitts (§§ 45 bis 96 SGB III), soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.
Damit ist klargestellt worden, dass sowohl die allgemeinen Leistungen (§ 100 SGB III) als auch die besonderen
Leistungen (§ 103 SGB III) vom Arbeitsamt grundsätzlich nach den allgemeinen Fördervoraussetzungen der §§ 45 bis
96 SGB III zu erbringen sind, soweit für die Behinderten in den folgenden Vorschriften (gemeint sind die §§ 100 ff
SGB III aF) nichts Abweichendes bestimmt ist. Abweichendes ist für die allgemeinen Leistungen in § 101 SGB III, für
die besonderen Leistungen in den §§ 104 ff SGB III aF, insbesondere für die Reisekosten in § 110 SGB III aF
bestimmt, sodass diese Regelung dem § 83 SGB III vorgeht. Dabei kann - entgegen der Meinung der Beklagten -
nicht auf einzelne Elemente dieser Regelung - hier die in § 83 Abs 3 SGB III enthaltene Kostenbegrenzung -
abgestellt und aus dem Umstand, dass § 110 SGB III aF keine entsprechende Einschränkung enthält und insoweit
gegenüber § 83 Abs 3 SGB III "nichts Abweichendes" bestimmt, geschlossen werden, dass § 83 Abs 3 SGB III nach
§ 99 SGB III als vorrangige Norm auch bei den besonderen Leistungen anzuwenden ist. Zu vergleichen ist vielmehr
die Gesamtregelung des § 83 SGB III mit derjenigen des § 110 SGB III aF, die ohne Weiteres erkennen lässt, dass
hier der Gesetzgeber der Sicherung des Eingliederungserfolges bei Behinderten durch zusätzliche Leistungen in
besonderer Weise Rechnung trägt. Während § 83 SGB III nur reine Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und
Bildungsstätte (Pendelfahrten) und Kosten für die An- und Abreise sowie eine monatliche Familienheimfahrt bei
erforderlicher auswärtiger Unterbringung betrifft, umfasst § 110 SGB III aF außer den erforderlichen Fahrkosten auch
Verpflegungs- und Übernachtungskosten sowie Kosten des Gepäcktransports (Abs 1), ferner Kosten für besondere
Beförderungsmittel einschließlich der entsprechenden Kosten für eine Begleitperson, zu deren Inanspruchnahme der
Behinderte wegen Art oder Schwere der Behinderung gezwungen ist. Bereits hieraus wird deutlich, dass § 110 SGB III
aF ersichtlich bezweckt, Sonderrecht im Sinne einer Privilegierung für Behinderte zu schaffen, das über die Regelung
des § 83 SGB III hinausgeht. Das gilt auch insoweit, als § 110 Abs 1 Nr 3 SGB III aF für Fahrten zwischen Wohnung
oder Unterbringung und Bildungsstätte keine - dem § 83 Abs 3 SGB III entsprechende - Einschränkung der
Kostenübernahme vorsieht; auch insoweit ist der Leistungsrahmen gegenüber den allgemeinen Vorschriften erweitert
worden.
Danach kann die Einschränkung des § 83 Abs 3 SGB III bzw der ihr zu Grunde liegende Rechtsgedanke aber auch
nicht entsprechend für die Bestimmung des Leistungsrahmens bei den besonderen Leistungen herangezogen werden
bzw in § 110 SGB III aF hineingelesen werden. Zu Recht hat das LSG insoweit darauf hingewiesen, dass § 98 Abs 1
SGB III ein Stufenverhältnis von allgemeinen und besonderen Leistungen vorsieht, wobei die allgemeinen Leistungen
des § 100 SGB III als nichtbehindertenspezifische Förderleistungen den Behinderten praktisch nach denselben
Vorschriften der §§ 45 bis 96 SGB III wie Nichtbehinderten erbracht werden, also auch unter der Einschränkung des §
83 Abs 3 SGB III. Demgegenüber werden die besonderen Leistungen in §§ 102 ff SGB III aF vom Gesetzgeber
ausdrücklich als zusätzliche Leistungen qualifiziert, die an Stelle der allgemeinen Leistungen nur erbracht werden
dürfen, wenn für das Arbeitsamt feststeht, "dass der Behinderte wegen Art oder Schwere der Behinderung oder zur
Sicherung des Eingliederungserfolgs auf die besonderen Hilfen einer behinderungsspezifischen Bildungsmaßnahme in
einer Rehabilitationseinrichtung oder auf eine gleichartige, auf Behinderte besonders ausgerichtete Maßnahme
außerhalb einer Rehabilitationseinrichtung angewiesen ist" (vgl hierzu BT-Drucks 13/4941, S 173 zu § 98). Die vom
Gesetzgeber gewollte deutliche Unterscheidung zwischen allgemeinen und besonderen Leistungen der Rehabilitation
würde verwischt, wenn die Begrenzung des § 83 Abs 3 SGB III auf § 110 SGB III aF übertragen würde. Dieser
Begrenzung liegt die Vorstellung zu Grunde, dass es dem Weiterzubildenden grundsätzlich überlassen bleibt, ob er
eine Unterbringung am Maßnahmeort in Anspruch nimmt oder zwischen Wohnung und Maßnahmeort pendelt.
Entscheidet er sich für Letzteres, soll er nicht besser gestellt werden als bei Unterbringung am Maßnahmeort (vgl
hierzu BT-Drucks 13/4941, S 170 zu § 83). Eine entsprechende Überlegung ist nicht zwingend auf Behinderte zu
übertragen, die die Voraussetzungen für besondere Leistungen iS von § 102 SGB III aF erfüllen. Bei ihnen kann die
Entscheidung für eine Unterbringung am Maßnahmeort behinderungsbedingt eingeschränkt sein, etwa wenn sie sonst
auf Unterstützung aus ihrem familiären Umfeld verzichten müssten. Die Regelungen über besondere Leistungen für
Behinderte (§§ 102 ff SGB III aF) sind insoweit ersichtlich als besondere Vergünstigungen für Behinderte konzipiert,
die nicht ohne Weiteres durch Regelungen aus dem allgemeinen Recht der Weiterbildung ergänzt werden können.
Fehlt in den §§ 102 ff SGB III aF eine Einschränkung oder Höhenbegrenzung, die im allgemeinen Recht der
Weiterbildung enthalten ist, so ist davon auszugehen, dass insofern gerade eine besondere "Privilegierung" von
Behinderten beabsichtigt war, die die Voraussetzungen für besondere Leistungen erfüllen. Deshalb kann die aus dem
Bereich der beruflichen Weiterbildung entstammende Regelung des § 83 Abs 3 SGB III nicht die "Schwelle" oder
Barriere des § 98 Abs 2 SGB III überwinden, da es ja eben Sinn und Zweck der besonderen Leistungen ist,
Behinderte bzw behinderte Menschen "besonders" zu fördern. Insofern stellt § 110 Abs 1 Nr 3 SGB III aF, der die
Übernahme der erforderlichen Fahrkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte - ohne Einschränkung -
vorsieht, eine Spezialregelung iS des § 99 SGB III gegenüber der allgemeinen Regelung des § 83 Abs 3 SGB III dar,
die es auch verbietet, den Rechtsgedanken des § 83 Abs 3 SGB III analog zu übernehmen. Dieses Ergebnis
unterstreicht zugleich, dass die Grundentscheidung, ob einem behinderten Menschen "besondere Leistungen" zur
Rehabilitation zustehen, weit reichende rechtliche Konsequenzen hat, sodass tatsächliche Feststellungen zu diesen
Grundvoraussetzungen der §§ 102, 103 SGB III nicht unterbleiben können (es sei denn es lägen entsprechende
"anerkennende" Verwaltungsakte der Beklagten vor, was ebenfalls nicht festgestellt ist).
Das hier gefundene Ergebnis wird zudem bestätigt durch die Regelungen des SGB IX (vom 22. Juni 2001, BGBl I
1046), durch die ab 1. Juli 2001 das Recht der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben neu gestaltet worden
ist. An Stelle des § 110 SGB III aF ist § 53 SGB IX getreten. Ebenso wie nach § 110 SGB III hat der behinderte
Mensch nach § 53 Abs 1 SGB IX einen Anspruch auf die erforderlichen Reisekosten (hierzu etwa Schütze in
Hauck/Noftz, SGB IX, K § 53 RdNr 16), ohne dass eine irgendwie geartete Höchstbetragsgrenze vorgesehen wäre.
Eine solche ist auch nicht § 44 Abs 1 Nr 5 SGB IX zu entnehmen. Vielmehr zeigt die Rechtslage nach Inkrafttreten
des SGB IX, dass eine Übernahme von Regelungen aus dem Bereich der allgemeinen Weiterbildung, die - wie etwa §
83 Abs 3 SGB III - uneingeschränkt im SGB III fortgelten, als Höchstbetragsbegrenzung im Regelungsbereich des
SGB IX nicht in der Absicht des Gesetzgebers liegt und auch im Zeitpunkt der Geltung des § 110 SGB III nicht dem
Willen des Gesetzgebers entsprochen haben kann.
b) Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten steht ihr bei der Übernahme der Reisekosten gemäß § 110 Abs 1 Nr 3
SGB III aF auch hinsichtlich der Leistungshöhe kein Ermessen zu, wenn sie besondere Leistungen zur beruflichen
Rehabilitation dem Grunde nach in der Form der Teilnahme an einer auswärtigen Maßnahme ohne Unterbringung
bewilligt hat. Zwar sieht § 110 Abs 1 Nr 3 SGB III aF vor, dass als Reisekosten die erforderlichen Fahrkosten für
Fahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte übernommen werden "können". Auf die Übernahme der erforderlichen
Reisekosten besteht jedoch ein Rechtsanspruch des Behinderten (ebenso Lauterbach in Gagel, SGB III, § 110 RdNr
2, Stand: März 2002; Niesel, SGB III, 1. Aufl 1998, RdNr 2 zu § 110 SGB III). Gehören die Reisekosten, wie sich aus
§ 103 Nr 3 SGB III und § 109 Abs 1 Nr 4 SGB III aF ergibt, zu den besonderen Leistungen zur Förderung der
Eingliederung Behinderter, so handelt es sich, was unzweifelhaft aus dem Wortlaut des § 102 Abs 1 Satz 1 SGB III
aF hervorgeht und sich auch aus der Entstehungsgeschichte dieser Norm ergibt, um Pflichtleistungen (vgl
Ausschussbericht zum AFRG, BT-Drucks 13/5936, S 27 zu § 102). Dass diese Leistungen - anders als die
allgemeinen Leistungen des § 100 SGB III - nicht im Ermessen der Beklagten stehen, ist im Übrigen nochmals
ausdrücklich in § 3 Abs 5 SGB III (§ 3 SGB III idF des 1. SGB III-ÄndG vom 16. Dezember 1997, aaO) geregelt.
Mithin hätte der Kläger gemäß § 110 Abs 1 Nr 3 SGB III aF einen Rechtsanspruch auf Übernahme der erforderlichen
Fahrkosten, ohne dass der Beklagten hinsichtlich ihrer Höhe ein Ermessen zusteht.
Dass die Beklagte zur Berechnung des Kilometergeldes auf die Vorschriften des BRKG (insbesondere § 6 Abs 1
BRKG) zurückgegriffen hat, ist nicht zu beanstanden und auch im Hinblick auf das oben zu a) gefundene Ergebnis
unschädlich. Hinsichtlich der auch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität gebotenen Pauschalierung der Kosten
für Fahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte - hier mit dem eigenen Pkw - kann auf die
Wegstreckenentschädigung nach § 6 Abs 1 BRKG zurückgegriffen werden, die insoweit einen sachgerechten
Maßstab enthält. Die Verweisung auf diese Regelung entspricht einem allgemeinen Prinzip des SGB III, wie es ua in
§ 46 Abs 2, § 50 Nr 2 iVm § 46 Abs 2 SGB III und § 67 Abs 2 SGB III und im Übrigen auch in § 83 Abs 2 SGB III
zum Ausdruck kommt. Insoweit hat es in § 110 SGB III keiner ausdrücklichen Regelung für die
Wegstreckenentschädigung bedurft (vgl auch BSG SozR 3-4100 § 138 Nr 13 und BSGE 63, 227, 228 = SozR 4100 §
138 Nr 19). Dies wird von den Beteiligten im Übrigen auch nicht in Zweifel gezogen. Mithin stand dem Kläger ein
Anspruch auf Erstattung von 39,52 DM an Reisekosten für jeden Tag zu, an dem er zwischen Wohnort und
Maßnahmeort gependelt ist (104 km x 0,38 DM täglich). Die Beklagte kann insofern auch nicht geltend machen, dass
dem Begriff "erforderliche Fahrkosten" in § 110 Abs 1 Nr 3 SGB III aF entnommen werden könnte, den Rehabilitanden
betreffe insoweit eine Pflicht zur Kostenminimierung. Bewilligt sie eine Maßnahme an einem vom Wohnort entfernten
Maßnahmeort ohne Unterbringung, so kann dem Behinderten, der täglich pendelt, nicht eine Begrenzung der Kosten
für diese Fahrten auf die Kosten bei Unterbringung entgegen gehalten werden.
Dementsprechend kann auf die Erstattung von Fahrkosten entgegen der Rechtsansicht der Revision auch nicht § 111
SGB III aF entsprechend angewendet werden. Diese Regelung stellt eine Sonderregelung für die Fälle dar, in denen
für die Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme eine auswärtige Unterbringung erforderlich ist. In diesem Fall
kann - abgesehen von der vollen Kostenübernahme bei Unterbringung beim Maßnahmeträger nach Nr 1 - nach Nr 2
des § 111 SGB III aF ein Betrag in Höhe von 495 DM erbracht werden. Dieser Höchstbetrag bezieht sich jedoch nach
seinem eindeutigen Wortlaut nicht auf Fahrkosten. Eine entsprechende betragsmäßig festgesetzte Höhenbegrenzung
für Fahrkosten hätte in § 110 SGB III aF selbst vorgenommen werden müssen.
Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des Ausgangs des
Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.