Urteil des BSG vom 25.08.2009

BSG: krankenpflege, arzneimittel, ärztliche verordnung, ärztliche behandlung, krankenkasse, versorgung, vertragsarzt, begriff, form, injektion

Bundessozialgericht
Urteil vom 25.08.2009
Sozialgericht Darmstadt S 10 KR 262/06
Hessisches Landessozialgericht L 8 KR 353/07
Bundessozialgericht B 3 KR 25/08 R
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. Oktober 2008 wird
zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I
1
Streitig ist ein Anspruch des Klägers gegen die beklagte Krankenkasse auf Erstattung der Kosten der
Inanspruchnahme eines Pflegedienstes für die Verabreichung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente mittels
intramuskulärer Injektionen bei seiner am 7.2.2009 verstorbenen Ehefrau.
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Die 1918 geborene Versicherte litt an Altersgebrechlichkeit, Appetitlosigkeit und Gehstörungen. Zur Behebung
altersbedingter Mangelerscheinungen verordnete ihr als Vertragsarzt tätiger Hausarzt zwei apothekenpflichtige, aber
nicht verschreibungspflichtige Vitaminpräparate (B 12 und Folsäure = B 9) auf Privatrezept. Beide Medikamente
waren einmal wöchentlich per intramuskulärer Injektion zu verabreichen. Da die Versicherte und ihr 1913 geborener
Ehemann hierzu nicht in der Lage waren, verordnete der Hausarzt durch Kassenrezept vom 5.5.2006 (Erstverordnung)
für die Zeit vom 18.5. bis zum 1.6.2006 häusliche Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung
in Form einmal wöchentlich zu verabreichender Medikamente mittels intramuskulärer Injektionen.
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Die Beklagte lehnte den Antrag der Versicherten vom 8.5.2006 auf Übernahme der Kosten der häuslichen
Krankenpflege ab (Bescheid vom 11.5.2006, Widerspruchsbescheid vom 1.8.2006). Zur Begründung führte sie aus,
die Krankenkassen dürften seit dem 1.1.2004 die Kosten eines Pflegedienstes für die Medikamentengabe nur noch
dann übernehmen, wenn die Arzneimittel verschreibungspflichtig und damit auch von der Leistungspflicht der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasst seien. Das sei bei den hier verordneten Vitaminpräparaten nicht der
Fall, weil sie zwar apothekenpflichtig, nicht aber verschreibungspflichtig seien; zudem seien die Medikamente nicht in
dem Ausnahmekatalog gemäß Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB
V enthalten. Demgemäß habe der Hausarzt für die Verschreibung der Medikamente auch ein Privatrezept und nicht
ein Kassenrezept verwendet. Der Pflegedienst hat der Versicherten die im Mai 2006 verabreichten Injektionen (11.5.,
18.5. und 25.5.) mit 29,47 Euro und die im Juni 2006 verabreichten Injektionen (1.6., 8.6., 13.6., 22.6. und 29.6) mit
41,20 Euro in Rechnung gestellt; zumindest den ersteren Betrag hat die Versicherte beglichen.
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Im Klageverfahren hat die Versicherte zur Stützung ihres zunächst auf Kostenfreistellung, später aber auf
Kostenerstattung gerichteten Begehrens geltend gemacht, der Gesetzgeber habe zum 1.1.2004 nur die nicht
verschreibungspflichtigen Arzneimittel selbst von der Leistungspflicht der Krankenkassen ausgenommen, nicht aber
Folgeleistungen wie die Medikamentengabe oder die Injektion durch einen Pflegedienst, wenn sie - wie hier - zur
Sicherung der ambulanten vertragsärztlichen Behandlung erforderlich seien. Auch die Richtlinien des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (ab 1.4.2007: Gemeinsamer Bundesausschuss) über die
Verordnung von häuslicher Krankenpflege nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 und Abs 7 SGB V (HKP-RL) vom 16.2.2000
verlangten nur, dass die Medikamente "ärztlich verordnet" worden seien. Von einer Verschreibung auf Kassenrezept
sei dort nicht die Rede. Im Übrigen wäre ein Ausschluss notwendiger medizinischer Leistungen allein durch die HKP-
RL auch unzulässig.
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Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 6.6.2007). Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses
Urteil auf die Berufung der Versicherten geändert und dem Kostenerstattungsbegehren stattgegeben (Urteil vom
30.10.2008): Weder der Wortlaut des Gesetzes (§§ 31, 34, 37 SGB V) noch die Materialien des zum 1.1.2004 in Kraft
getretenen GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) rechtfertigten die Annahme der
Beklagten, der Gesetzgeber habe über die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel (§§ 31, 34 SGB V) hinaus
auch die im Einzelfall mit ihnen verbundenen Leistungen der häuslichen Krankenpflege (§ 37 SGB V) aus der
Leistungspflicht der GKV ausklammern wollen. Es hätte vielmehr einer ausdrücklichen Regelung des Gesetzgebers
bedurft, wenn die Änderung des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB V Auswirkungen auf einen anderen Leistungsbereich wie zB
die häusliche Krankenpflege (§ 37 SGB V) hätte haben sollen. Die HKP-RL stünden der Leistungspflicht ebenfalls
nicht entgegen, weil der dort verwendete Begriff der "ärztlich verordneten" Medikamente nicht mit dem Begriff der
"Verordnung auf Kassenrezept" gleichzusetzen sei, was sich insbesondere aus der Differenzierung der
Medikamentenverordnung "auf Kassenrezept" zu Lasten der GKV sowie "auf Privatrezept" zu Lasten der Versicherten
in den Arzneimittel-Richtlinien ergebe. Die Verabreichung der von einem Vertragsarzt auf Privatrezept verordneten
Medikamente durch einen Pflegedienst sei also von der Krankenkasse zu tragen, sofern nur die häusliche
Krankenpflege als solche auf Kassenrezept verordnet worden sei.
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Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§§ 34, 37 SGB V). Sie
hält an ihrer Auffassung fest, die GKV sei nur dann für die Medikamentengabe durch einen Pflegedienst
eintrittspflichtig, wenn auch das Medikament selbst von der Leistungspflicht umfasst sei, was wiederum dessen
Verschreibung auf einem Kassenrezept voraussetze. Mit der Aufnahme der nicht verschreibungspflichtigen
Arzneimittel in die Regelung des § 34 SGB V über "ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel" habe der
Gesetzgeber diese Medikamente der Gesetzessystematik mit allen Konsequenzen unterworfen. Im Übrigen habe das
LSG gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) verstoßen, weil es nicht ohne konkrete medizinische
Ermittlungen hätte feststellen dürfen, dass die häusliche Krankenpflege hier zur Sicherung des Ziels der ärztlichen
Behandlung notwendig gewesen sei (§ 37 Abs 2 SGB V). Sie habe schon im Berufungsverfahren darauf hingewiesen,
dass die Ablehnungsentscheidung aus formalen Gesichtspunkten getroffen worden sei und eine materiell-rechtliche
Prüfung des Leistungsanspruchs nicht stattgefunden habe.
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Die Beklagte beantragt, das Urteil des Hessischen LSG vom 30.10.2008 zu ändern und die Berufung der früheren
Klägerin gegen das Urteil des SG Darmstadt vom 6.6.2007 zurückzuweisen.
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Der Kläger ist als Rechtsnachfolger seiner am 7.2.2009 verstorbenen Ehefrau in das Revisionsverfahren eingetreten.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II
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Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 11.5.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 1.8.2006 ist rechtswidrig. Der Versicherten stand die beantragte häusliche
Krankenpflege für die Zeit vom 18.5. bis zum 1.6.2006 als Sachleistung zu (§ 37 Abs 2 SGB V). Die Beklagte hat
deshalb die der Versicherten in Rechnung gestellten Kosten für die in diesem Zeitraum erfolgten drei Maßnahmen in
Höhe von 29,47 Euro zu tragen. Dies hat das LSG zutreffend entschieden.
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1. Streitgegenstand ist ein Kostenerstattungsanspruch über 29,47 Euro nach § 13 Abs 3 SGB V. Nur in der
Klageschrift selbst hatte die Versicherte von einem Kostenfreistellungsanspruch gesprochen, weil sie den in
Rechnung gestellten Betrag bis dahin nicht an den Pflegedienst gezahlt habe. Noch während des erstinstanzlichen
Verfahrens ist die Versicherte aber auf einen Kostenerstattungsanspruch übergegangen, wie sich insbesondere aus
ihrer Antragstellung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 6.6.2007 ergibt. Der Umstellung des
Klagebegehrens war konkludent zu entnehmen, dass sie den Rechnungsbetrag zwischenzeitlich überwiesen hat; dies
hat das SG sogar ausdrücklich festgestellt. Auch im Berufungsverfahren ist stets nur von der Kostenerstattung die
Rede gewesen. Dementsprechend hat das LSG die Beklagte auch zur Kostenerstattung und nicht zur
Kostenfreistellung verurteilt. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen in den Entscheidungsgründen des
LSG ist davon auszugehen, dass die Forderung von der Versicherten beglichen worden ist.
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2. Der Kläger ist klagebefugt und aktiv legitimiert. Er ist als Ehemann der am 7.2.2009 verstorbenen Versicherten
Alleinerbe geworden (Erbschein des Amtsgerichts Groß-Gerau vom 16.3.2009). Der geltend gemachte
Kostenerstattungsanspruch ist daher gemäß § 58 Satz 1 SGB I iVm § 1922 Abs 1 BGB auf ihn übergegangen. Eine
Sonderrechtsnachfolge nach § 56 SGB I hat nicht stattgefunden, weil ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3
SGB V keine "laufende Geldleistung" darstellt.
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3. Das Berufungsurteil ist insoweit unrichtig, als das LSG zur Begründung des Kostenerstattungsanspruchs allein auf
die Rechnung des Pflegedienstes vom 6.6.2006 abgestellt hat. Dabei hat das LSG übersehen, dass der Pflegedienst
seine Leistungen jeweils für einen Kalendermonat abgerechnet hat, sich die drei streitigen Maßnahmen aus dem
Zeitraum vom 18.5. bis zum 1.6.2006 also auf zwei Rechnungen verteilen. Die Rechnung vom 6.6.2006 enthält die
Injektionen vom 18.5. und 25.5.2006 sowie die - hier nicht streitige, von der Verordnung vom 5.5.2006 nicht erfasste
und daher von der Versicherten selbst zu tragende - Injektion vom 11.5.2006. Die Rechnung vom 10.7.2006 betrifft
hingegen die Leistung vom 1.6.2006 sowie die - ebenfalls nicht zum Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits
gehörenden - Leistungen vom 8.6., 13.6., 22.6. und 29.6.2006. Dies ergibt sich aus den der Klageschrift beigefügten
Leistungsnachweisen des Pflegedienstes für die Monate Mai und Juni 2006.
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Es ist deshalb - hinsichtlich des insoweit unrichtigen Tenors des Berufungsurteils - klarzustellen, dass sich die
Klageforderung nicht allein aus der Rechnung vom 6.6.2006, sondern auch aus der Folgerechnung vom 10.7.2006
ergibt. An der zuerkannten Höhe des Kostenerstattungsanspruches von 29,47 Euro ändert sich dadurch allerdings
nichts. Für einen Einsatz hat die Beklagte jeweils 3,48 Euro für die Injektion sowie 4,76 Euro Fahrkosten an normalen
Wochentagen bzw 9,51 Euro an Sonn- und Feiertagen zu zahlen. Dieser doppelte Fahrkostensatz war hier für den
25.5.2006 zu entrichten, weil es sich um den Feiertag "Christi Himmelfahrt" handelt. Für die drei Einsätze vom 18.5.,
25.5. und 1.6. 2006 errechnet sich daraus ein Gesamtbetrag von 29,47 Euro. Dieser stimmt nur zufällig mit dem
Endbetrag der Rechnung vom 6.6.2006 überein, weil er einerseits den - von der Beklagten nicht zu bezahlenden -
Einsatz vom 11.5.2006 über 8,24 Euro enthält, andererseits aber der Einsatz vom 1.6.2006 in gleicher Höhe erst mit
der Folgerechnung vom 10.7.2006 abgerechnet worden ist. In der Klageschrift ist der Sachverhalt zutreffend
beschrieben worden, indem die Versicherte auf die Einsätze des Pflegedienstes während des in der vertragsärztlichen
Verordnung vom 5.5.2006 genannten Zeitraums vom 18.5. bis zum 1.6.2006 abgestellt und zum Beleg der
Erstattungsforderung die Rechnungen sowie die Leistungsnachweise für die Monate Mai und Juni 2006 beigefügt hat.
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4. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Kostenerstattungsbegehrens ist § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V: "Konnte die
Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht
abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der
Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Die hier allein in Betracht
kommende zweite Alternative dieser Vorschrift ist erfüllt. Die Beklagte hat die am 8.5.2006 beantragten Leistungen
der häuslichen Krankenpflege mit Bescheid vom 11.5.2006 zu Unrecht abgelehnt. Daraufhin hat sich die Versicherte
die Leistungen vom 18.5., 25.5. und 1.6.2006, die in der vertragsärztlichen Verordnung genannt waren, auf eigene
Kosten beschafft.
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5. Der Leistungsanspruch bestimmt sich hier nach § 37 Abs 2 Satz 1, 1. Halbsatz SGB V in der bis zum 31.3.2007
geltenden Fassung (BGBl I 2003, 2190). Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als
häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich
ist. Die intramuskulären Injektionen zählen zu den verordnungsfähigen Leistungen der Behandlungspflege. Dies ergibt
sich aus Nr 18 der Anlage zu den HKP-RL. Als Leistungsbeschreibung intramuskulärer Injektionen ist dort das
Aufziehen, Dosieren und Einbringen von ärztlich verordneten Medikamenten genannt, wobei sich Dauer und Menge
der Dosierung streng nach Maßgabe der Verordnung des Präparates zu richten haben. Rechtsgrundlage der HKP-RL
ist § 37 Abs 6 SGB V, der auf die Richtlinien-Kompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 SGB V
verweist. Gemäß § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 iVm Abs 7 Nr 1 SGB V regeln die HKP-RL die Verordnung der häuslichen
Krankenpflege und deren ärztliche Zielsetzung. Nach Teil I Nr 3a der HKP-RL umfasst die häusliche Krankenpflege
Maßnahmen der ärztlichen Behandlung, die dazu dienen, Krankheiten zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten
oder Krankheitsbeschwerden zu lindern und die üblicherweise an Pflegefachkräfte/Pflegekräfte delegiert werden
können (Behandlungspflege). Die Voraussetzungen für eine positive Bescheidung des Leistungsantrages der
Versicherten vom 8.5.2006 lagen danach vor. Die verordneten Vitaminpräparate (B 12 und Folsäure = B 9) waren nach
den insoweit nicht angegriffenen und daher für den erkennenden Senat verbindlichen (§ 163 SGG) Feststellungen des
LSG zur möglichst weitgehenden Behebung der mit der Altersgebrechlichkeit und der Appetitlosigkeit verbundenen
körperlichen Mangelerscheinungen der Versicherten medizinisch notwendig. Die Verordnung auf dem Privatrezept
erfolgte lediglich, weil diese Medikamente in ihrer konkreten Zusammensetzung und Kombination zwar
apothekenpflichtig, aber nicht verschreibungspflichtig sind und daher bei erwachsenen Versicherten nach § 34 Abs 1
Satz 1 SGB V von der Leistungspflicht der Krankenkassen seit dem 1.1.2004 nicht mehr umfasst werden (vgl die
jeweils 1. Alternative des § 29 Abs 11 Satz 1 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) und des § 15 Abs 10 des
Bundesmantelvertrages-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä)). Die Verordnung auf Privatrezept erfolgte hingegen nicht, weil
die Medikamente für die ambulante ärztliche Behandlung nicht medizinisch notwendig gewesen wären (vgl die jeweils
2. Alternative des § 29 Abs 11 Satz 1 BMV-Ä und des § 15 Abs 10 EKV-Ä).
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6. Unerheblich ist der Einwand der Beklagten, das LSG habe nicht ohne medizinische Ermittlungen feststellen dürfen,
die verordneten Präparate und die verordnete Verabreichung in Form intramuskulärer Injektionen seien notwendig
gewesen. Es kann offen bleiben, ob es die Präparate mit gleicher Wirkungsweise auch in anderer Form, zB als
Tabletten, gibt, sodass die häusliche Krankenpflege im Ergebnis möglicherweise entbehrlich gewesen wäre.
Abgesehen davon, dass die Beklagte hierzu weder im Klageverfahren noch im Berufungsverfahren konkrete Angaben
gemacht hat, die Anlass zu Ermittlungen des LSG (§ 103 SGG) hätten geben können, ist festzuhalten, dass im
Verhältnis zum Versicherten ein vom Arzt als notwendig verordnetes Arzneimittel sogar dann nicht der Genehmigung
der Krankenkasse unterliegt (vgl § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä und § 15 Abs 1 Satz 2 EKV-Ä), wenn es - anders als hier
- um ein von der Leistungspflicht der GKV umfasstes Arzneimittel geht. Die Genehmigungsfreiheit betrifft nicht nur
das Medikament selbst, sondern auch die Dosierung sowie die Form der Einnahme oder Gabe. Eine diesbezügliche
Notwendigkeitsprüfung findet im Verhältnis zwischen Versichertem und Krankenkasse auch nicht über den "Umweg"
der nach Nr 21 der HKP-RL vorgeschriebenen Genehmigungsprüfung für vertragsärztlich verordnete Leistungen der
häuslichen Krankenpflege statt. Die Krankenkasse ist im Verhältnis zum Versicherten an die vertragsärztliche
Verordnung gebunden und kann Verstöße des Vertragsarztes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot der
vertragsärztlichen Versorgung in diesem Bereich nur im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen (§ 106 SGB V)
ahnden. Sie kann dem Versicherten gegenüber deshalb nicht geltend machen, dass das Arzneimittel, das im Rahmen
der häuslichen Krankenpflege verabreicht werden soll, unwirtschaftlich sei, um damit den Anspruch nach § 37 SGB V
insgesamt abzulehnen (so auch Padé in: jurisPK-SGB V, 2008, § 37 RdNr 44 mwN). Das Prüfungsrecht der
Krankenkassen beschränkt sich im Verhältnis zum Versicherten auf die Fragestellung, ob die Krankenpflege
erforderlich ist, um die verordnete konkrete Pflegemaßnahme durchzuführen, und ob ein im Haushalt lebender Dritter
die Maßnahme übernehmen kann (§ 37 Abs 3 SGB V sowie Nr 22 und 23 der HKP-RL). Nach den nicht mit
Verfahrensrügen angegriffenen und für den erkennenden Senat daher bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG
war die Durchführung der einmal wöchentlich zu verabreichenden Injektionen durch einen Pflegedienst notwendig, weil
die Versicherte und ihr Ehemann dazu selbst nicht in der Lage waren.
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7. Dem Leistungsanspruch nach § 37 Abs 2 SGB V steht auch nicht entgegen, dass die intramuskulär verabreichten
Vitaminpräparate bei Erwachsenen nicht verschreibungspflichtig sind (ebenso Padé, aaO, § 37 RdNr 45) und die
Versicherte sich diese Arzneimittel deshalb auf eigene Kosten beschaffen musste. Der Umfang der von der GKV zu
leistenden häuslichen Behandlungspflege ist nicht durch die Neuregelung des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB V zum 1.1.2004
beschränkt worden. Die Änderungen dieser Vorschrift durch das GMG lassen nicht darauf schließen, dass auch der
Leistungsumfang der GKV bei der häuslichen Krankenpflege eingeschränkt werden sollte.
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a) Der Wortlaut des § 37 SGB V gibt für die gegenteilige Ansicht der Beklagten nichts her; er ist durch das GMG nicht
geändert worden. Nach § 37 Abs 2 SGB V ist Voraussetzung für den Anspruch auf häusliche Behandlungspflege nur,
dass diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Die Beklagte kann sich zur Begründung
ihrer Rechtsauffassung auch nicht auf die Gesetzesmaterialien stützen. Seit der Neufassung des § 34 Abs 1 Satz 1
SGB V durch das GMG zum 1.1.2004 werden nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich nicht mehr
von der Medikamentenversorgung der GKV umfasst. Dies bedeutet jedoch nur, dass die nicht
verschreibungspflichtigen Arzneimittel selbst aus dem Leistungskatalog der GKV herausgenommen wurden. Nach der
Begründung zum GMG (BT-Drs 15/1525 S 75) sollten mit dieser Einschränkung der Versorgung die Ausgaben der
GKV gesenkt werden. So heißt es dort zu den Zielen der gesetzlichen Neuregelung: "Die Versorgung mit Arznei-, Heil-
und Hilfsmitteln erfolgt auf der Grundlage eines vielfältigen Angebots. Die Ausgaben der GKV in diesen Bereichen
sind in den letzten fünf Jahren überproportional angestiegen, ohne dass dies allein medizinisch zu begründen wäre.
Deshalb sind steuernde Maßnahmen erforderlich, die die Effizienz der Versorgung in diesen Bereichen erhöhen. Nicht
verschreibungspflichtige Arzneimittel werden grundsätzlich aus der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen.
Ausgenommen bleiben Verordnungen für Kinder bis zum 12. Lebensjahr sowie für Jugendliche mit
Entwicklungsstörungen. Ferner gelten Ausnahmen bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen, für die nicht
verschreibungspflichtige Arzneimittel zum Therapiestandard gehören. Der Gemeinsame Bundesausschuss erarbeitet
entsprechende Ausnahmen in seinen Arzneimittelrichtlinien. Dabei ist der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu
tragen." Dies macht deutlich, dass nur die Anschaffungskosten der Medikamente, nicht jedoch die Kosten der
Verabreichung aus dem Leistungskatalog der GKV gestrichen werden sollten. Entsprechend lautet auch die konkrete
Begründung zur Änderung des § 34 SGB V (BT-Drs 15/1525 S 86): "Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel
werden bereits bisher in den Apotheken zum überwiegenden Anteil ohne Rezept abgegeben. Es handelt sich dabei um
Arzneimittel im unteren Preisbereich von durchschnittlich weniger als 11 Euro je Packung, sodass die Herausnahme
dieser Arzneimittel aus der Leistungspflicht der GKV für den einzelnen Versicherten sozial vertretbar ist." Von
Folgeänderungen in anderen Leistungsbereichen wie zB der häuslichen Krankenpflege (§ 37 SGB V) ist in diesem
Zusammenhang nicht die Rede.
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b) Die Beklagte kann ihre Rechtsauffassung auch nicht auf die Bestimmungen der HKP-RL stützen. Ihr kann nicht
gefolgt werden, wenn sie meint, dass durch Teil I Nr 4 Satz 1 und 2 der HKP-RL iVm Nr 18 der Anlage (ähnlich auch
Nr 26) die Verordnung häuslicher Krankenpflege zum Zwecke der Medikamentengabe nur zum Verabreichen von auf
Kassenrezept verordneten Medikamenten zugelassen sei. Diese Einschränkung ergibt sich insbesondere nicht aus
dem Wortlaut der Nr 18 und 26 der Anlage, denn hierin ist nur die Rede von "ärztlich verordneten" Medikamenten.
Eine Unterscheidung danach, ob die ärztliche Verordnung auf Privatrezept oder Kassenrezept erfolgt ist oder eine
Beschränkung auf Medikamente, die zu Lasten der GKV verordnungsfähig sind, ergibt sich aus dem Richtlinientext
nicht. Im Recht der GKV ist der Begriff "ärztlich verordnet" auch nicht generell mit dem Begriff "auf Kassenrezept
verordnet" gleichzusetzen. Nach Nr 4 der Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen
Versorgung (Arzneimittel-Richtlinien - AMR) vom 31.8.1993 setzt die Versorgung mit Arzneimitteln im Rahmen der
vertragsärztlichen Versorgung eine Arzneimittelverordnung des Vertragsarztes voraus. Allerdings stellt nicht jede
Arzneimittelverordnung eines Vertragsarztes eine Verordnung zu Lasten der GKV dar. Die zu Lasten der GKV
verordnungsfähigen Arzneimittel hat der Arzt vielmehr "auf Kassenrezept" zu verordnen (Nr 9 Satz 1 AMR).
Andererseits "soll" der Vertragsarzt nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel iS des § 34 Abs 1 SGB V zu Lasten
der Versicherten verordnen, wenn sie zur Behandlung einer Erkrankung medizinisch notwendig, zweckmäßig und
ausreichend sind (Nr 16.10 Satz 2 AMR).
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Hieraus ergibt sich, dass im Recht der GKV einschließlich der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses
durchaus zwischen "ärztlich" verordneten, zu Lasten der GKV "auf Kassenrezept" verordneten und zu Lasten der
Versicherten "auf Privatrezept" verordneten Medikamenten unterschieden wird. Soweit daher in den HKP-RL lediglich
von "ärztlich verordneten" Medikamenten die Rede ist, bedeutet dies nicht, dass hiermit nur vertragsärztlich "auf
Kassenrezept" zu Lasten der GKV verordnete Medikamente gemeint sein könnten. Vielmehr können auch vom
Vertragsarzt "auf Privatrezept" verordnete, also vom Versicherten selbst zu bezahlende Medikamente erfasst sein,
sofern nur die häusliche Krankenpflege als solche vom Vertragsarzt zu Lasten der GKV verordnet wurde. Mit dem
Tatbestandsmerkmal der "ärztlich verordneten" Medikamente in Nr 18 und 26 der HKP-RL wollte der Gemeinsame
Bundesausschuss also lediglich sicherstellen, dass die zu verabreichenden Medikamente zuvor von einem
Vertragsarzt - auf Kassenrezept oder auf Privatrezept - verordnet (also nicht vom Versicherten aus eigenem
Entschluss und ohne Rücksprache mit dem Arzt beschafft) und auf ihre medizinische Notwendigkeit hin geprüft
worden sind.
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c) Wenn der Gesetzgeber die Verabreichung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch einen Pflegedienst aus
dem Leistungsspektrum der GKV bei der häuslichen Krankenpflege hätte ausklammern wollen, hätte dies einer
ausdrücklichen Regelung im Gesetz bedurft. Der in § 34 Abs 1 Satz 1 SGB V ausdrücklich geregelte Ausschluss der
nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus der Leistungspflicht der GKV hat nicht zur Folge, dass eine solche
Leistungseinschränkung automatisch auch in § 37 SGB V zu beachten wäre. Die häusliche Krankenpflege ist im
Gesetz eigenständig geregelt und stellt nicht lediglich einen Annex zu den §§ 31 und 34 SGB V dar, soweit es um die
Verabreichung von Medikamenten geht. Auch aus dem Begriff der "ärztlichen Behandlung" in der die
Krankenbehandlung zu Lasten der GKV umschreibenden Grundnorm des § 27 Abs 1 SGB V (vgl hierzu Follmann in:
jurisPK-SGB V, 2008, § 27 RdNr 12) lässt sich nicht ableiten, dass häusliche Krankenpflege nur bei zu Lasten der
GKV verordneten Medikamenten zu leisten ist. Zwar kann der Begriff der "ärztlichen Behandlung" in § 27 Abs 1 Satz
2 Nr 1 SGB V nur im Sinne einer "vertragsärztlichen" Behandlung verstanden werden. Im Bereich der
Arzneimittelversorgung (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V) kann jedoch der Vertragsarzt ein Medikament - wie bereits
ausgeführt - auf Kassenrezept, im Einzelfall aber auch auf Privatrezept verordnen (Nr 9 Satz 1 und Nr 16.10 Satz 2
AMR). Demgemäß kann sich die vertragsärztlich verordnete häusliche Krankenpflege in Form der Verabreichung von
Medikamenten als Leistung der GKV auf beide Arten der Arzneimittelverordnung beziehen (zum ähnlich gelagerten
Fall einer von der GKV zu leistenden häuslichen Krankenpflege, die unter Benutzung von Hilfsmitteln zu erfolgen hat,
deren Kosten vom Versicherten zu tragen sind, vgl Nr 14 der Anlage zu den HKP-RL).
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8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.