Urteil des BSG vom 27.05.2008

BSG: verwaltungsakt, haftung des arbeitgebers, unfallversicherung, planwidrige unvollständigkeit, eigenes verschulden, form, vergleich, versicherungsträger, bauwerk, gesetzesentwurf

Bundessozialgericht
Urteil vom 27.05.2008
Sozialgericht Karlsruhe S 14 U 1220/06
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 1 U 6465/06
Bundessozialgericht B 2 U 21/07 R
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Juni 2007
aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 2.121,99 Euro festgesetzt.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die beklagte Berufsgenossenschaft (BG)
des Baugewerbes die klagende GmbH für Beitragsrückstände der N-GmbH in Haftung nimmt.
2
Die Klägerin ist ein Unternehmen des Baugewerbes. Sie beauftragte die N-GmbH jedenfalls in den Jahren 2003 und
2004 mit der Erbringung von Bauleistungen, die diese der Klägerin mit 11 Rechnungen mit einem Gesamtnettobetrag
von 35.212,94 Euro in Rechnung stellte. Nachdem mit Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 4. Mai 2005 der
Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der N-GmbH mangels Masse abgewiesen wurde,
nahm die Beklagte die Klägerin aufgrund dieser Bauaufträge für die Beitragsrückstände der N-GmbH zunächst in Höhe
von 2.668,42 Euro in Anspruch (Bescheid vom 14. September 2005). Im Widerspruchsverfahren reduzierte die
Beklagte die Haftungssumme letztlich auf 2.121,99 Euro (Bescheide vom 27. Oktober 2005 und 2. Dezember 2005)
und wies den Widerspruch im Übrigen zurück (Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2006).
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Das angerufene Sozialgericht (SG) hat die streitigen Bescheide geringfügig abgeändert und die Klage im Übrigen
abgewiesen (Urteil vom 19. September 2006). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das
Urteil des SG sowie die streitigen Bescheide aufgehoben. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen (Urteil
vom 18. Juni 2007). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass die Beklagte zwar zum Handeln durch
Verwaltungsakt befugt gewesen sei. Allerdings handele es sich bei der Verweisung des § 150 Abs 3 des Siebten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) lediglich auf § 28e Abs 3a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) um
ein so genanntes qualifiziertes Redaktionsversehen des Gesetzgebers, welches durch eine entsprechende
Anwendung der Absätze 3b bis 3f des § 28e SGB IV im Rahmen der Verweisung des § 150 Abs 3 SGB VII zu
korrigieren sei. Aus den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens, insbesondere aus den Protokollen der Sitzungen
des Vermittlungsausschusses ergäben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein Auseinanderfallen der
ursprünglich gleichlaufenden Haftung im Bereich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der Beiträge zur
gesetzlichen Unfallversicherung beabsichtigt gewesen sei. Durch die eingeschränkte Verweisung des § 150 Abs 3
SGB VII lediglich auf § 28e Abs 3a SGB IV ergäben sich nicht nachvollziehbare Unterschiede in beiden
Haftungssystemen, die durch keine sachlichen Gründe zu rechtfertigen seien. Die damit zur Anwendung kommende
Wertgrenze des § 28e Abs 3d SGB IV sei im vorliegenden Fall nicht überschritten, was zur Rechtswidrigkeit der
streitigen Bescheide führe. Für die Frage, ob die Wertgrenze von 500.000,- Euro überschritten sei, müsse unter
Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Norm auf die Summe der in Auftrag gegebenen Leistungen und nicht
auf das Bauvorhaben insgesamt abgestellt werden.
4
Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision die Verletzung materiellen Rechts, namentlich des § 150
Abs 3 SGB VII iVm § 28e Abs 3a SGB IV. Das LSG habe geltendes Recht unzulässig erweitert, was nur dem
Gesetzgeber selbst zustehe. Die Annahme, die Verweisung des § 150 Abs 3 SGB VII nur auf § 28e Abs 3a SGB IV
stelle ein Redaktionsversehen dar, sei eine bloße Spekulation, die weder durch den Gesetzeswortlaut noch durch die
Begründung des Gesetzentwurfes gestützt werde. Die sich aus dem Gesetz ergebenden Differenzen der Haftung im
Bereich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der Beiträge zur Unfallversicherung seien durch überzeugende
Gründe gerechtfertigt. Anders als im Bereich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge würden in der Unfallversicherung
die Arbeitgeber die von den Unfallversicherungsträgern selbst eingezogenen Beiträge allein tragen. Die
Unfallversicherungsträger würden durch die Ablösung der Unternehmerhaftpflicht die Verantwortung für die
Arbeitssicherheit und die Kompensation nach Versicherungsfällen tragen. Der Unfallversicherungsträger erbringe auch
Präventionsdienste, die bei Anwendung der Wertgrenze von 500.000,- Euro teilweise kostenlos erbracht würden. Bei
den anderen Sozialversicherungszweigen würde ein Ausgleich innerhalb der Allgemeinheit erfolgen, bei der Beklagten
jedoch nur durch die Mitgliedsunternehmen. Zudem habe schon § 729 der Reichsversicherungsordnung (RVO) keine
Haftungsbeschränkung vorgesehen. Aus den Protokollen des Vermittlungsausschusses lasse sich entnehmen, dass
nicht über § 150 Abs 3 SGB VII gesprochen worden sei. Daraus lasse sich schließen, dass zu dieser Vorschrift
wegen der Richtigkeit für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung kein Diskussionsbedarf gesehen worden
sei. Schließlich sei ein Handeln der Beklagten durch Verwaltungsakt zulässig, da die nach § 150 Abs 3 SGB VII iVm
§ 28e Abs 3a SGB IV Haftenden als Beitragspflichtige anzusehen seien.
5
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Juni 2007 aufzuheben und
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. September 2006 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen dahin
abzuändern, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird.
6
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II
7
Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des LSG und der Zurückverweisung der Sache
an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).
8
Rechtsgrundlage für die Beitragshaftung bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe ist §
150 Abs 3 Alt 2 SGB VII, der § 28e Abs 3a SGB IV für entsprechend anwendbar erklärt. Nach § 28e Abs 3a SGB IV
haftet ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im
Sinne des § 175 Abs 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch beauftragt, für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses
Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge.
Aufgrund dieser rechtlichen Vorgaben, war die Beklagte befugt, ihren Haftungsanspruch durch Verwaltungsakt geltend
zu machen (dazu unter 1.). Die Klägerin ist ein Unternehmer des Baugewerbes im Sinne des § 28e Abs 3a Satz 1
SGB IV (dazu unter 2.). Auf den Haftungsanspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin findet aber nicht nur der
Absatz 3a, sondern finden auch die Absätze 3b bis 3f des § 28e SGB IV Anwendung (dazu unter 3.). Das so
verstandene Haftungssystem begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und es besteht auch keine
Verpflichtung zur Vorlage nach Art 234 Abs 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV)
(dazu unter 4.). Es kann allerdings nicht abschließend entschieden werden, ob die Klägerin der damit grundsätzlich
eingreifenden Haftung nach § 150 Abs 3 SGB VII iVm § 28e Abs 3a bis 3 f SGB IV in diesem konkreten Fall
unterliegt, da hierzu weitere vom LSG nicht getroffene Feststellungen notwendig sind (dazu unter 5.).
9
1. Die Beklagte hat zur Geltendmachung des Haftungsanspruches aus § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII zu Recht die
Handlungsform des Verwaltungsaktes gewählt.
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Ein Handeln der Verwaltung durch Verwaltungsakt ist nur zulässig, wenn diese Handlungsform durch Gesetz gestattet
ist (vgl BSG, Urteil vom 28. August 1997 - 8 RKn 2/97 - SozR 3-2600 § 118 Nr 1 S 4; Waschull in LPK-SGB X, § 31
RdNr 2; P. Stelkens/U. Stelkens in Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 6. Aufl 2001, § 44 RdNr 55; Wolff/Bachof/Stober,
Verwaltungsrecht, Band 2, 6. Aufl 2000, § 45 RdNr 13a, 14, jeweils mwN). Allein aus der Zugehörigkeit einer
Forderung zum öffentlichen Recht leitet sich noch nicht die Befugnis ab, diese gegenüber dem Schuldner durch einen
Verwaltungsakt geltend zu machen. Die Befugnis, Rechtsbeziehungen hoheitlich durch Verwaltungsakt zu gestalten,
muss vielmehr dem Versicherungsträger vom Gesetz eingeräumt sein; sie muss sich aus dem materiellen Recht
ergeben, das den betreffenden Rechtsbeziehungen zugrunde liegt. Soweit der Versicherungsträger nicht ausdrücklich
zur Regelung durch Verwaltungsakt ermächtigt wird, muss jedenfalls aus der Systematik des Gesetzes und der
Eigenart des zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnisses zu ersehen sein, dass er berechtigt sein
soll, in dieser Form tätig zu werden (vgl Senatsurteil vom 13. Dezember 2005 - B 2 U 16/05 R - SozR 4-2700 § 150 Nr
2 RdNr 12).
11
Rechtsgrundlage in diesem Sinne ist im vorliegenden Fall § 168 SGB VII. Nach dessen Absatz 1 teilt der
Unfallversicherungsträger dem Beitragspflichtigen den von ihm zu zahlenden Beitrag schriftlich mit, und nach dessen
Absatz 2 handelt es sich bei dieser schriftlichen Mitteilung um einen Verwaltungsakt ("Beitragsbescheid"). § 168 SGB
VII beinhaltet also die Ermächtigung der Beklagten, gegenüber den Beitragspflichtigen den von ihnen zu zahlenden
Beitrag durch Verwaltungsakt festzusetzen. Die Norm stellt damit klar, was aufgrund des
Regelungszusammenhanges ohnehin nicht zweifelhaft ist, dass nämlich der Unfallversicherungsträger bei der
Wahrnehmung der ihm vom Gesetz zugewiesenen Aufgaben der Beitragsfestsetzung und Beitragserhebung als Träger
öffentlicher Gewalt tätig wird (vgl Senatsurteil vom 13. Dezember 2005 - B 2 U 16/05 R - aaO RdNr 13). Dass der
Versicherungsträger dabei dem Beitragpflichtigen im Rahmen eines Über-/Unterordnungsverhältnisses gegenübertritt
und daher durch die Handlungsform des Verwaltungsaktes seine Ansprüche geltend machen kann, ist seit jeher in der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) anerkannt. Denn die Beitragserhebung ist zur Finanzierung der von
den Sozialversicherungsträgern nach dem Gesetz zu erfüllenden Aufgaben unerlässlich und stellt damit einen
Kernbereich ihrer öffentlich-rechtlichen Tätigkeit dar (vgl BSG, Urteil vom 26. Juni 1975 - 3/12 RK 1/74 - BSGE 40,
96, 99 = SozR 2200 § 393 Nr 2 S 5; BSG, Urteil vom 2. Februar 1978 - 12 RK 29/77 - BSGE 45, 296, 298 = SozR
2200 § 381 Nr 26 S 65 f; BSG, Urteil vom 12. Februar 1980 - 7 RAr 26/79 - BSGE 49, 291, 295 = SozR 4100 § 145 Nr
1 S 5; BSG, Urteil vom 24. November 1987 - 3 RK 13/87 - BSGE 62, 251, 254 = SozR 1500 § 54 Nr 84 S 83; BSG,
Urteil vom 25. Januar 1995 - 12 RK 72/93 - SozR 3-1500 § 54 Nr 22 S 54 f; Senatsurteil vom 13. Dezember 2005,
aaO).
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Die Ermächtigung des § 168 SGB VII, in der Form des Verwaltungsaktes handeln zu dürfen, erstreckt sich auch auf
den Haftungsanspruch aus § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII. Dies ergibt sich schon aus der Systematik des Gesetzes. §
150 SGB VII ist mit "Beitragspflichtige" überschrieben. Der Gesetzgeber macht damit deutlich, dass er die in § 150
Abs 3 SGB VII normierten Ansprüche als eine Art der Beitragspflichten ansieht, für deren Geltendmachung sich
dementsprechend die Befugnis zum Handeln durch Verwaltungsakt aus § 168 Abs 1, 2 SGB VII ergibt. Dies
entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Denn die Beitragshaftung dient der Sicherung des eigentlichen
Beitragsanspruches. Ihre Durchsetzung verfolgt genauso wie die Beitragsbeitreibung gegenüber dem eigentlichen
Schuldner das Ziel der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme. Es ist daher in der Rechtsprechung des BSG
anerkannt, dass ein Haftungsanspruch in der Form des Verwaltungsaktes geltend zu machen ist (vgl BSG, Urteil vom
26. Juni 1975 - 3/12 RK 1/74 - aaO; Urteil vom 7. Dezember 1983 - 7 RAr 20/82 - BSGE 56, 76, 79 = SozR 7685 § 13
Nr 1 S 3; Urteil vom 8. Dezember 1999 - B 12 KR 18/99 R - BSGE 85, 200, 203 = SozR 3-2400 § 28e Nr 2 S 14; Urteil
vom 27. September 1994 - 10 RAr 1/92 - BSGE 75, 82, 84 = SozR 3-7685 § 13 Nr 1 S 3). So wird für den Bereich der
unmittelbaren Anwendung der Haftung nach § 28 Abs 2 bis 4 SGB IV - teilweise ohne dies überhaupt zu
problematisieren - von einer Befugnis zum Handeln durch Verwaltungsakt ausgegangen (vgl BSG, Urteil vom 7. März
2007 - B 12 KR 11/06 R - SozR 4-2400 § 28e Nr 1; vgl auch Bigge in Wannagat, SGB VII, Stand: April 2007, § 150
RdNr 9; Sehnert in Hauck/ Haines, SGB IV, Stand: November 2007, § 28e RdNr 34; Werner in jurisPK-SGB IV, § 28e
RdNr 88).
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Die konstruktive Anlehnung der Haftung an die einer zivilrechtlichen selbstschuldnerischen Bürgschaft ändert an
diesem Ergebnis nichts. Es ist nicht ersichtlich, dass durch diese Anleihe im Zivilrecht eine Haftung auf
Gleichordnungsebene geschaffen werden sollte, die im Gegensatz zur übrigen Geltendmachung von Ansprüchen im
Beitragsrecht ein Handeln durch Verwaltungsakt verbieten würde. Vielmehr ging es darum, eine gegenüber der
Gesamtschuldnerschaft inhaltlich weniger komplizierte und inhaltlich mildere Form der Haftung zu schaffen (vgl BT-
Drucks VI/2303 S 16 zu § 393 Abs 3 RVO und BT-Drucks 14/8221 S 15).
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Schließlich ergibt sich auch nichts Abweichendes aus der Rechtsprechung des BSG zu der Haftung nach § 729 Abs 2
RVO (vgl Senatsurteil vom 18. Dezember 1969 - 2 RU 314/67 - BSGE 30, 230 = SozR Nr 3 zu § 729 RVO;
Senatsurteil vom 6. Dezember 1989 - 2 RU 27/89; BSG, Urteil vom 25. Oktober 1977 - 8 RU 96/76 - SozR 2200 § 729
Nr 1; BSG, Urteil vom 15. Juni 1983 - 9b/8 RU 66/81 - SozR 2200 § 729 Nr 2). Der Senat lässt offen, ob mit Blick auf
die vorstehenden Ausführungen zur Rechtsnatur der Haftungsansprüche im Beitragsrecht aus heutiger Sicht an dieser
Rechtsprechung festzuhalten wäre; denn sie lässt sich auf die Haftung nach § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII ohnehin nicht
übertragen. Bei der Haftung nach § 729 Abs 2 RVO handelte es sich um ein für das System der gesetzlichen
Unfallversicherung untypisches Instrument, durch das der Bauherr als Privatperson zumeist außerhalb eines
Mitgliedschaftsverhältnisses und jenseits eines Sozialversicherungsverhältnisses für Beitragsansprüche in Anspruch
genommen werden konnte (vgl Senatsurteil vom 28. August 1990 - 2 RU 52/89 - BSGE 67, 199, 202 = SozR 3-2200 §
729 Nr 1 S 4). Die Haftung des § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII richtet sich hingegen ausschließlich an Unternehmer. Diese
sind regelmäßig Mitglied einer BG und zudem auch Arbeitgeber. Sie sind damit sowohl hinsichtlich der Beiträge zur
Unfallversicherung als auch der Gesamtsozialversicherungsbeiträge in das System der Beitragsfestsetzung und -
erhebung einbezogen. Dabei stehen die Unternehmer sowohl untereinander als auch gegenüber den Arbeitnehmern in
einer "spezifischen Solidaritäts- und Verantwortungsbeziehung" (vgl dazu Senatsurteil vom 8. Mai 2007 - B 2 U 14/06
R - SozR 4-2700 § 153 Nr 2). All dies war bei den von § 729 Abs 2 RVO erfassten Bauherren gerade nicht der Fall.
Zudem wurde die Haftung nach § 729 Abs 2 RVO mit Einführung des SGB VII zum 1. Januar 1997 aufgegeben (vgl
BT-Drucks 13/2204 S 110). Ihre strukturellen Wurzeln hat die Haftung des § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII daher nicht in §
729 Abs 2 RVO, sondern vielmehr in der Regelung des § 393 Abs 3 RVO iVm § 729 Abs 4 RVO.
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2. Die Klägerin ist ein Unternehmer des Baugewerbes im Sinne des § 28e Abs 3a Satz 1 SGB IV (vgl zu diesem
Begriff BSG, Urteil vom 27. Mai 2008 - B 2 U 11/07 R), wie sich schon aus ihrem Namensbestandteil "Baugeschäft"
und den für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG ergibt.
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3. Auf den Haftungsanspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin finden nicht nur der Absatz 3a, sondern auch die
Absätze 3b bis 3f des § 28e SGB IV Anwendung. Denn die Gesetz gewordene Fassung des § 150 Abs 3 Alt 2 SGB
VII beinhaltet eine Gesetzeslücke in Form eines Redaktionsversehens des Gesetzgebers, welche im Rahmen der
gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung durch eine Erweiterung der Verweisung des § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII auf die
Absätze 3a bis 3f des § 28e SGB IV zu schließen ist.
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Eine Gesetzeslücke wird allgemein als "planwidrige Unvollständigkeit" des Gesetzes definiert. Ob eine solche
vorliegt, ist vom Standpunkt des Gesetzes selbst, der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht, der mit ihm
verfolgten Zwecke, also des gesetzgeberischen "Plans" im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu
beurteilen (vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373 mwN).
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Die Auswertung der Gesetzesmaterialien zur Entstehung von § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII und § 28e Abs 3a bis 3f
SGB IV ergeben keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein Auseinanderfallen der Haftungssysteme im Bereich der
Unfallversicherungsbeiträge und der Gesamtsozialversicherungsbeiträge gewollt war. Der Regierungsentwurf vom 21.
Dezember 2001 (BR-Drucks 1086/01) enthielt als Art 3 Nr 4 den § 28e Abs 3a SGB IV, auf den nach Art 6 Nr 1 in §
150 Abs 3 SGB VII verwiesen wurde. § 28e Abs 3a SGB IV bestand dabei aus dem Haftungsgrundtatbestand mit
einer Exkulpationsregelung und hatte folgenden Wortlaut:
"(3a) Ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im
Sinne des § 211 Abs 1 des Dritten Buches beauftragt, haftet für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses
Unternehmers, eines von diesem eingesetzten Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem
Nachunternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge; es sei denn, er weist nach, dass er
auf Grund sorgfältiger Prüfung ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass dieser Unternehmer, ein von
diesem eingesetzter Nachunternehmer oder ein von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragter
Verleiher seine Zahlungspflicht erfüllt. Dies gilt entsprechend für die vom Nachunternehmer gegenüber ausländischen
Sozialversicherungsträgern abzuführenden Beiträge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend."
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Die Ausschussempfehlung des Bundesrates sah die Streichung von Art 3 Nr 4 und Art 6 Nr 1 des Gesetzesentwurfes
mit der Begründung vor, dass durch diese Regelungen eine enorme bürokratische und finanzielle Zusatzbelastung vor
allem für rechtstreue Unternehmen entstehen würde (BR-Drucks 1086/1/01 S 16). Der Bundesrat ist dieser
Empfehlung in seinem Beschluss vom 1. Februar 2002 nicht gefolgt (BR-Drucks 1086/01 - Beschluss).
Dementsprechend finden sich diese Regelungen unverändert in dem dann in den Bundestag eingebrachten
Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks 14/8221). Während der Beratungen im Bundestag sah die
Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung keine Änderung der Art 3 Nr 4 und Art 6 Nr 1 vor (BT-
Drucks 14/8625), während ein Änderungsantrag einzelner Abgeordneter deren Streichung wünschte (BT-Drucks
14/8661). Das Gesetz wurde dann vom Bundestag in der Fassung der BT-Drucks 14/8625 angenommen (BR-Drucks
253/02). Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates empfahl die Anrufung des Vermittlungsausschusses und wegen
schwerwiegender rechtlicher Bedenken die Streichung von Art 3 Nr 4 und Art 6 Nr 1; der Bundesrat folgte dieser
Empfehlung (BR-Drucks 253/1/02 und 253/02 - Beschluss; BT-Drucks 14/8957). Der Vermittlungsausschuss schlug
zu Art 3 Nr 4 die Aufspaltung des § 28e Abs 3a SGB IV in § 28e Abs 3a bis 3f SGB IV vor; Art 6 Nr 1 blieb unberührt
zu Art 3 Nr 4 die Aufspaltung des § 28e Abs 3a SGB IV in § 28e Abs 3a bis 3f SGB IV vor; Art 6 Nr 1 blieb unberührt
(BT-Drucks 14/9630). Das Gesetz wurde dann in dieser vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagenen Form vom
Bundestag angenommen und ihm wurde vom Bundesrat zugestimmt (BR-Drucks 606/02).
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Die stenografischen Protokolle der Sitzungen des Vermittlungsausschusses (vgl Stenografisches Protokoll der 17.
Sitzung des Vermittlungsausschusses vom 15. Mai 2002, der 1. Fortsetzung dieser Sitzung vom 12. Juni 2002 und
der 2. Fortsetzung am 27. Juni 2002, angeführt und ausgewertet vom LSG Baden-Württemberg in dem dieser
Entscheidung zugrunde liegenden Urteil) enthalten keinen Hinweis, dass sich der Ausschuss mit den Auswirkungen
der vorgeschlagenen Änderungen auf die in Art 6 Nr 1 vorgesehene Verweisung in § 150 Abs 3 SGB VII befasst hat.
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Die Verweisung des unverändert gebliebenen § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII führt im Zusammenspiel mit der Aufspaltung
und Ergänzung des § 28e Abs 3a SGB IV in der Fassung des Gesetzesentwurfes zu § 28e Abs 3a bis 3f SGB IV in
der Gesetz gewordenen Fassung dazu, dass die Haftung im Bereich des SGB IV im Vergleich zur Fassung des
Gesetzesentwurfes verschuldensabhängig bleibt, während sie im Bereich des SGB VII nunmehr
verschuldensunabhängig und damit wesentlich schärfer als im Bereich des SGB IV und vor allem auch wesentlich
schärfer als die im Gesetzesentwurf für beide Bereiche gleich angelegte Haftung ausgestaltet ist. Hinzu kommt, dass
auch die weitere Ausdifferenzierung der Haftung in § 28e Abs 3c bis 3f SGB IV, insbesondere die Schaffung einer
Wertgrenze in § 28e Abs 3d Satz 1 SGB IV, im Bereich des SGB VII nicht zur Anwendung kommt, was eine weitere
Verschärfung der Haftung gegenüber dem Haftungssystem des SGB IV darstellt. Vor dem Hintergrund, dass es bei
den Auseinandersetzungen während des Gesetzgebungsverfahrens um die Frage ging, ob die Haftung in ihrer
ursprünglichen, verschuldensabhängigen Fassung insgesamt zu weitgehend und damit ganz zu streichen ist, ist es in
keiner Weise nachvollziehbar, dass nunmehr eine im Vergleich zum Gesetzesentwurf deutlich verstärkte Haftung dem
Willen des Gesetzgebers entsprechen soll, ohne dass es hierzu irgendeine Art der Auseinandersetzung gegeben
hätte. Gerade der Umstand, dass sich die Haftung durch das Beibehalten des § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII und die
Änderung des § 28e SGB IV für den Bereich des SGB VII maßgeblich verstärkt, hätte eine Auseinandersetzung mit
dieser zentralen Frage erwarten lassen und geradezu herausgefordert. Das Schweigen zu diesem Punkt macht
deutlich, dass dieser Punkt schlicht übersehen wurde.
22
Nachhaltige Gründe, die aus teleologischer oder systematischer Sicht ein derartiges Auseinanderfallen der Haftung im
Bereich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der Beiträge zur Unfallversicherung erfordern könnten, sind nicht
ersichtlich.
23
Der maßgebliche Grund dafür, dass die Beiträge zur Unfallversicherung nicht gemeinsam mit den
Gesamtsozialversicherungsbeiträgen eingezogen werden, liegt in der Art und Weise ihrer Ermittlung und Festsetzung.
Die Gesamtsozialversicherungsbeiträge lassen sich für den zur Abführung verpflichteten Arbeitgeber leicht ermitteln
und sind von ihm eigenständig abzuführen. Eines Verwaltungsaktes bedarf es hierfür nur im Streitfall (vgl BSG, Urteil
vom 8. Dezember 1999 - B 12 KR 18/99 R - BSGE 85, 200, 201 = SozR 3-2400 § 28e Nr 2). Die Beiträge zur
Unfallversicherung werden hingegen im Wege der nachträglichen Bedarfsdeckung für jedes Unternehmen konkret
ermittelt und durch Verwaltungsakt festgesetzt (vgl §§ 152 ff SGB VII). Dieser Umstand vermag jedoch einen
unterschiedlichen Haftungsmaßstab in beiden Bereichen nicht zu rechtfertigen.
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Gleiches gilt für einen Vergleich mit der Haftung des früheren § 729 Abs 2 RVO bzw des § 1a des Arbeitnehmer-
Entsendegesetzes (AEntG). Hinsichtlich der Regelung des inzwischen aufgehobenen § 729 Abs 2 RVO wurde schon
unter 1. darauf hingewiesen, dass diese nicht mit der hier in Rede stehenden Haftung vergleichbar ist. Die
verschuldensunabhängige Haftung des § 1a AEntG dient dem unmittelbaren Schutz des Lohnanspruches des
Arbeitnehmers und verfolgt daher eine andere Schutzrichtung als die hier in Rede stehende Haftung. Denn im Bereich
der gesetzlichen Unfallversicherung ist der Versicherte unabhängig von der Zahlung der Versicherungsbeiträge
geschützt. Dieser Gesichtspunkt vermag daher hier keine verstärkte Haftung des Arbeitgebers zu rechtfertigen (vgl
BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 - 1 BvR 1047/05 - NZA 2007, 609, 611).
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Die somit aus einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers resultierende Gesetzeslücke ist im Rahmen der
gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung dadurch zu schließen, dass die Reichweite der Verweisung des § 150 Abs 3
Alt 2 SGB VII über ihren Wortlaut hinaus auf die Anwendbarkeit von § 28e Abs 3a bis 3f SGB IV erweitert wird. Dass
dabei die Grenze des Wortlautes des § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII überschritten wird (vgl LSG Nordrhein-Westfalen,
Urteil vom 26. Januar 2007 - L 4 U 57/06; SG Berlin, Urteil vom 26. Februar 2007 - S 25 U 732/06; Freischmidt in
Hauck/Noftz, SGB VII, Stand: Januar 2008, § 150 RdNr 20a; Bigge in Wannagat, SGB VII, aaO, § 150 RdNr 9), steht
dem nicht entgegen. Denn es liegt in der Natur der rechtsmethodischen Figur der Rechtsfortbildung, dass dabei - in
Abgrenzung zu den Grundsätzen der Auslegung eines Gesetzes - die Grenze des Wortlautes der Norm überschritten
wird (Larenz, aaO, S 366). Da sich die Rechtsfortbildung an die Regelungsabsicht, den Plan und die immanente
Teleologie des Gesetzes hält, welches fortgebildet wird, maßt sich die Judikative dabei keine Befugnisse der
Legislativen an, sondern verhilft deren Werk vielmehr auch in ungewollt lückenhaften Bereichen zur gewollten Geltung.
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4. Die um das Redaktionsversehen bereinigte Haftung des § 150 Abs 3 SGB VII iVm § 28e Abs 3a bis 3f SGB IV
begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und es besteht kein Anlass zu einer Vorlage nach Art 234 Abs 3
EGV.
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Die Haftung stellt zwar eine Berufsausübungsregelung dar und greift damit in den Schutzbereich des Art 12 Abs 1 des
Grundgesetzes (GG) ein, dieser Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Haftung dient der
Wiederherstellung der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt und der finanziellen Stabilität der Versicherungsträger (vgl BT-
Drucks 14/8221 S 12). Beide Ziele sind als Gemeinschaftsgüter von hoher Bedeutung anerkannt (vgl BVerfG,
Beschluss vom 20. März 2007 - 1 BvR 1047/05 - NZA 2007, 609 mwN). Die Haftung ist ein geeignetes, erforderliches
und unter Berücksichtigung der bestehenden Exkulpationsmöglichkeit verhältnismäßiges Mittel zur Durchsetzung der
genannten Ziele (vgl auch Sehnert in Hauck/Haines, SGB IV, aaO, § 28e RdNr 13; Felix in Wannagat, SGB IV, aaO,
§ 28e RdNr 33; zu § 1a AEntG vgl BVerfG, aaO, NZA 2007, 609, 611).
28
Auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art 3 Abs 1 GG ist nicht ersichtlich. Art 3 Abs 1 GG
gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl BVerfG,
Beschluss vom 15. Juli 1998 - 1 BvR 1554/89 - BVerfGE 98, 365, 385). Ein Verstoß gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz kommt daher in Betracht, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu
anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und
solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (stRspr des BVerfG, vgl
Beschluss vom 26. Juni 2007 - 1 BvR 2204/00, 1 BvR 1355/03 - SozR 4-2600 § 2 Nr 10 RdNr 32).
29
Die Beschränkung der Haftung nach § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII auf Unternehmer des Baugewerbes, die andere
Unternehmer mit der Ausführung von Bauleistungen beauftragen, ist sachlich gerechtfertigt (vgl Sehnert in
Hauck/Haines, SGB IV, aaO, § 28e RdNr 14). Nach den Erkenntnissen des Gesetzgebers ist für das Baugewerbe der
Einsatz von Nachunternehmern typisch und die illegale Beschäftigung im Baugewerbe ausgeprägt (vgl BT-Drucks
14/8221 S 16). Dies rechtfertigt die Beschränkung der Haftung auf Unternehmer des Baugewerbes und verlangt nicht
die Einbeziehung weiterer Branchen in die Haftung. Da Haftungsgrund die gewerbliche Beauftragung eines
Nachunternehmers mit der Durchführung der Bauleistungen ist, ist es gerechtfertigt, die Haftung nach § 150 Abs 3 Alt
2 SGB VII auf gewerbliche Bauunternehmer zu beschränken und andere Unternehmer, die als Bauherrn auftreten, von
der Haftung auszunehmen.
30
Da der vorliegende Fall einen rein innerstaatlichen Sachverhalt ohne Verbindung zum Europäischen Recht aufweist,
kommt eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art 234 Abs 3 EGV schon aus diesem Grund nicht in
Betracht (vgl BSG, Beschluss vom 28. September 2005 - B 6 KA 19/05 B und Beschluss vom 27. April 2006 - B 6
KA 38/04 B, jeweils mwN).
31
5. Ob die Voraussetzungen der Haftung nach § 150 Abs 3 Alt 2 SGB VII iVm § 28e Abs 3a bis 3f SGB IV im
vorliegenden Fall erfüllt sind, konnte der Senat nicht abschließend entscheiden, weil das angefochtene Urteil keine
ausreichenden Feststellungen zur Prüfung der Voraussetzungen des § 28e Abs 3b und 3d Satz 1 SGB IV enthält.
32
§ 28e Abs 3d Satz 1 SGB IV lässt die Haftung des Absatz 3a erst ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein
Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 500.000,- Euro eingreifen. Dabei kommt es nach dem Wortlaut der
Regelung nicht auf den Wert des für den konkreten Haftungsanspruch in Rede stehenden Auftrags, sondern auf den
Gesamtwert aller für das Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen an, ohne dass es eine Rolle spielt, wer diese
Aufträge erteilt hat (vgl Sehnert in Hauck/Haines, SGB IV, aaO, § 28e RdNr 19; Werner in jurisPK-SGB IV, § 28e
RdNr 77; Felix in Wannagat, SGB IV, aaO, § 28e RdNr 35; Rixen, SGb 2002, 536, 538). Die Haftung greift damit erst
ab einer bestimmten Größe des Bauwerkes, für das der Auftrag erteilt wurde, ein. Auf diese Weise werden kleinere
Bauvorhaben mit einem kalkulatorischen Vorteil begünstigt und wirtschaftlich gesehen die mittelständischen
Bauunternehmen und die Betriebe des Handwerks, insbesondere im Reihen- und Einfamilienhausbau, gefördert (vgl
Werner in jurisPK-SGB IV, § 28e RdNr 77). Nur bei einem solchen Verständnis der Regelung macht auch der Verweis
des § 28e Abs 3d Satz 2 SGB IV auf § 3 der Vergabeverordnung vom 9. Januar 2001 (BGBl I 110) Sinn. Denn wollte
man mit dem LSG auf den Wert des konkret in Rede stehenden Auftrags abstellen (so auch Seewald in Kasseler
Kommentar, SGB IV, Stand: Dezember 2007, § 28e RdNr 36), fragt es sich, wofür eine Schätzung erforderlich sein
sollte, da davon ausgegangen werden kann, dass dieser Wert regelmäßig bekannt ist.
33
Es ist daher bezogen auf den vorliegenden Fall zunächst festzustellen, für welche Bauwerke die hier in Rede
stehenden Aufträge der Klägerin an die N-GmbH erteilt wurden. Dann ist im Rahmen einer Schätzung nach den
Maßgaben des § 28e Abs 3d Satz 2 SGB IV zu ermitteln, ob der Wert aller für das jeweilige Bauwerk insgesamt in
Auftrag gegebener Bauleistungen 500.000,- Euro übersteigt. Ein Haftungsanspruch der Beklagten gegenüber der
Klägerin kommt dann überhaupt nur in Bezug auf die in Rechnung gestellten Aufträge in Betracht, die für ein Bauwerk
erteilt wurden, bei dem diese Wertgrenze von 500.000,- Euro überschritten wurde. Der Wert des konkreten Auftrags
der Klägerin an die N-GmbH spielt nicht hier, sondern erst bei der konkreten Höhe des gegebenenfalls bestehenden
Haftungsanspruches der Beklagten gegenüber der Klägerin eine Rolle.
34
Der Senat kann die Prüfung des § 28e Abs 3d SGB IV nicht vornehmen, da die hierfür notwendigen Feststellungen
vom LSG nicht getroffen wurden und von dem Senat nicht selbst nachgeholt werden können. Die Sache ist daher zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Für den Fall des
Überschreitens der Wertgrenze des § 28e Abs 3d Satz 1 SGB IV wird das LSG außerdem zu entscheiden haben, ob
sich die Klägerin nach § 28e Abs 3b SGB IV exkulpieren kann.
35
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
36
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs 1, § 63 Abs 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in der ab
1. Juli 2004 geltenden Fassung, die hier gemäß § 72 Nr 1 GKG anzuwenden ist.