Urteil des BSG vom 02.07.2013

BSG: satzung, festsetzung der prämien, änderung der verhältnisse, passiven, aktiven, vertrauensschutz, rentner, zukunft, leistungsfähigkeit, verwaltungsakt

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 2.7.2013, B 1 KR 24/12 R
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom
24. November 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Höhe der Monatsprämien für eine
Mehrleistungsversicherung.
2 Der 1956 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) als Rentner versicherte Kläger
bezog seit 1.4.2006 eine Rente für Bergleute in Höhe von 857,56 Euro. Daneben erhielt er
vom 1.4.2006 bis 31.3.2011 Anpassungsgeld (APG) an Arbeitnehmer im
Steinkohlenbergbau. Zudem bezog er von der Deutschen Steinkohle (DSK) einen
monatlichen betrieblichen Zuschuss. Seit dem 1.4.2011 erhält er
Knappschaftsausgleichsleistung. Die Krankenversicherung (KV) des Klägers umfasste -
seit dem 1.4.2006 - satzungsgemäß Anspruch auf zusätzliche Leistungen
(Chefarztbehandlung und Zweibettzimmer). Dafür fiel ab dem 1.7.2006 ein monatlicher
Beitrag von 38,59 Euro an (Bescheid vom 9.5.2006), den das Bundesamt für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle (BAFA), das das APG an den Kläger auszahlte, von diesem einbehielt und
an die Beklagte abführte.
3 Die Beklagte informierte im November 2008 die Mehrleistungsberechtigten darüber, dass
sie in ihrer Satzung aufgrund der gesetzlichen Änderung (Einziehung des
Gesamtsozialversicherungsbeitrags) zum Jahresanfang 2009 die Finanzierung des
Mehrleistungsanspruchs umstelle. Sie habe für Aktive einkommensunabhängige Prämien
in altersabhängigen Stufen konzipiert. Die Satzung sehe einkommensabhängige
Monatsprämien dagegen nur noch für Passive vor (Rentner, Rentenantragsteller und
Versicherte ab Vollendung des 65. Lebensjahres). Die Beklagte forderte vom Kläger für den
Mehrleistungsanspruch ab 1.1.2009 eine monatliche einkommensabhängige Prämie in
Höhe von 52,38 Euro (Bescheid vom 28.1.2009; Widerspruchsbescheid vom 9.11.2009,
aufgehoben für den Monat Januar 2009).
4 Das SG hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 8.7.2010). Der Kläger hat
mit Wirkung zum 31.12.2010 den Mehrleistungsanspruch gekündigt. Seine Berufung ist
ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, die Beklagte habe die
Prämien anpassen dürfen, ohne Grundrechte des Klägers zu verletzen. Sie habe die
wesentlichen Änderungen in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen mit Blick auf
die Neugestaltung der Finanzierung der Mehrleistungsversicherung rechtmäßig
berücksichtigt (Urteil vom 24.11.2011).
5 Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG. Zudem bedürfe es
einer Beiladung des BAFA.
6 Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. November 2011 und des
Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 8. Juli 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28.
Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2009
aufzuheben,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. November 2011
aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
Landessozialgericht zurückzuverweisen.
7 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
9 Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Das LSG hat zu Recht die Berufung des Klägers gegen das die
Klage abweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die statthafte und zulässige isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG) ist
unbegründet, denn die angefochtene Festsetzung der Prämien (Bescheid vom 28.1.2009; Widerspruchsbescheid vom 9.11.2009, aufgehoben
für den Monat Januar 2009) ist rechtmäßig. Der erkennende Senat stützt sich hierbei auf die unangegriffenen, ihn bindenden Feststellungen
des LSG (§ 163 SGG). Die nicht erfolgte Beiladung des BAFA hindert den erkennenden Senat nicht daran, in der Sache zu entscheiden (vgl
unten II. 1. d) bb) ccc).
10 1. Die Beklagte setzte gegenüber dem Kläger rechtmäßig durch Verwaltungsakt die zu zahlenden Monatsprämien ab Februar 2009 für seine
satzungsmäßigen Mehrleistungsansprüche fest. Sie war hierzu wirksam nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X iVm der Satzung ermächtigt (dazu a), die
auf Gesetzesrecht fußt (dazu b) sowie formell (dazu c) und materiell rechtmäßig ist, insbesondere wie ihre Ermächtigungsgrundlage mit
Verfassungsrecht in Einklang steht (dazu d). Die Festsetzung war auch im Übrigen formell (dazu e) und materiell rechtmäßig (dazu f).
11 a) Rechtsgrundlage der Änderungen zum 1.2.2009 ist § 48 Abs 1 S 1 SGB X iVm § 59 Abs 5 Satzung 2009 (Satzung der Beklagten in der ab
1.1.2009 geltenden Fassung des 15. Satzungsnachtrags). Die Satzungsbestimmungen der Beklagten unterliegen revisionsgerichtlicher
Kontrolle (§ 162 SGG). Nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche
Änderung eintritt. In diesem Sinne ermächtigt § 59 Abs 5 S 5 Satzung 2009 die Beklagte lediglich dazu, ab dem Ersten des Monats, der dem
Monat folgt, in dem für das Mitglied eine Änderung eingetreten ist, die Prämie neu festzusetzen. Ausgeschlossen - und damit rechtswidrig - ist
eine Änderung der Prämienfestsetzung im laufenden Kalendermonat. Die Satzungsregelung bewirkt nicht, dass sich die Prämienhöhe ohne
weiteren Vollzugsakt von selbst ändert. Die Monatsprämien sind vielmehr durch Verwaltungsakt mit Dauerwirkung festzusetzen. Das gilt auch
bei einer Änderung der Verhältnisse, soweit sich der Verwaltungsakt nicht erledigt (vgl § 39 Abs 2 SGB X).
12 Nach § 59 Abs 5 Satzung 2009 hat das Mitglied für den Leistungsanspruch nach Abs 1 iVm Abs 2 vom 1.1.2009 an eine monatliche Prämie
zu entrichten. Bei pflicht- und freiwillig versicherten Rentnern, Rentenantragstellern nach § 198 SGB V sowie Mitgliedern ab Vollendung des
65. Lebensjahres richten sich die Prämien nach den in der Anl 11 der Satzung 2009 festgelegten Einkommensklassen. Für die Feststellung
des maßgeblichen Einkommens finden die §§ 226 ff, 237 und 240 SGB V Anwendung. Die Prämie ändert sich entsprechend der jeweils
aktuellen Prämientabelle nach S 2 ab dem Ersten des Monats, der dem Monat folgt, in dem wegen Einkommensveränderungen ein Wechsel
der Einkommensgruppe vorliegt. Die Prämie wird am 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, für den sie zu zahlen ist.
13 b) Rechtsgrundlage der Satzungsregelung über Monatsprämien für die Mehrleistungsversicherung ist § 173 Abs 2a SGB V (in der durch Art 1
Nr 133 Buchst b Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-
WSG - vom 26.3.2007, BGBl I 378, eingefügten Fassung) iVm § 2 Abs 1 S 2 KnVAusbauV (Verordnung über den weiteren Ausbau der
knappschaftlichen Versicherung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 822-4, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt
geändert durch Art 22 Nr 1 Gesetz über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung
in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe vom 22.12.1983
HBegleitG 1984 ->, BGBl I 1532). Danach gilt § 2 Abs 1 KnVAusbauV nicht für Personen, die nach dem 31.3.2007 Versicherte der Deutschen
Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See werden. Nach § 2 Abs 1 KnVAusbauV bestimmt die Satzung das Nähere über die Zuständigkeit
ua der besonderen KKn sowie über die Berechnung des Grundlohns. Sie stellt Richtlinien auf für die Gewährung der Mehrleistungen. Diese
können für Arbeiter, Angestellte und Rentner verschieden festgesetzt werden. Bestandteil der Satzung bildet auch die Krankenordnung.
14 Die Ermächtigung, in der Satzung "Richtlinien für die Gewährung der Mehrleistungen" aufzustellen (§ 2 Abs 1 S 2 KnVAusbauV), umfasst
auch die Befugnis, über die Finanzierung der Mehrleistungen als fakultativer Teil der gesetzlichen KV (GKV) mitzuentscheiden. Die
Finanzierung der Mehrleistungen ist genuiner Bestandteil der Ausgestaltung des Mehrleistungssystems. Denn die differenzierend jeweils nur
für einen Teil der Versicherten der Beklagten vorgesehenen Mehrleistungen sollen nach Entwicklungsgeschichte, Regelungssystem und -
zweck jeweils nur von Mitgliedern aus dem Kreis der Begünstigten getragen werden. Das Regelungssystem für Mehrleistungen der
knappschaftlichen KV koppelte von Anfang an die Möglichkeit, unterschiedliche Leistungen für spezifische Personenkreise vorzusehen, mit
der Finanzierung durch den Kreis der entsprechend Begünstigten. Diese Regelung zielt darauf ab, die Vorteile der differenzierend
ausgestalteten Mehrleistungsversicherung nicht durch die Gesamtheit aller Mitglieder der Beklagten finanzieren zu lassen, sondern orientiert
an der Gruppennützlichkeit. Die Eingrenzung der Begünstigten bis hin zur Schließung der Mehrleistungsversicherung für neue Mitglieder
durch § 173 Abs 2a SGB V hat an diesem Grundprinzip nichts geändert.
15 Schon die ursprüngliche Regelung in § 2 Abs 1 und § 3 KnVAusbauV (idF vom 19.5.1941, RGBl I 287) sah je nach dem Kreis der
Begünstigten unterschiedliche Finanzierungsbestimmungen vor. Die KnVAusbauV legte selbst den Beitrag für die KV der Arbeiter fest (§ 3
Abs 1 KnVAusbauV), während sie dem "Leiter der Reichsknappschaft" die Befugnis übertrug, den Beitrag für die KV der Angestellten
festzusetzen (§ 3 Abs 2 KnVAusbauV). Der Gesetzgeber änderte dieses Grundprinzip nicht, als er die übrigen Bestimmungen der
KnVAusbauV aufhob und es nur noch bei der Regelung des § 2 Abs 1 KnVAusbauV beließ (vgl Art 22 Nr 1 HBegleitG 1984). Er wollte hiermit
lediglich die Finanzierung der knappschaftlichen KV der Rentner an die Finanzierung der KV der Rentner anpassen und hob hierzu alle
Bestimmungen auf, die bisher für die knappschaftliche KV der Rentner galten. Er wollte zugleich aber die Befugnis für die Bundesknappschaft
erhalten, durch Satzungsbestimmungen Mehrleistungen zu gewähren (vgl Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung über Maßnahmen
zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die
Verlängerung der Investitionshilfeabgabe, BT-Drucks 10/335 S 61 und S 90, zu Art 20). Auch die Schließung der Mehrleistungsversicherung
für neue Versicherte ab 1.4.2007 änderte das aufgezeigte Grundprinzip nicht. Sie trug lediglich der Öffnung der Beklagten für alle in der GKV
Versicherungspflichtigen und -berechtigten Rechnung (§ 173 Abs 2 S 1 Nr 4a SGB V, eingefügt durch Art 1 Nr 133 Buchst a DBuchst aa
GKV-WSGhttp://www.juris.de/jportal/portal/t/uyw/page/jurisw.psml?
pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=4&numberofresults=10&fromdoctodoc=yes&doc.id=BGBL1-
2007-378&doc.part=F&doc.price=0.0 - focuspoint, Abschaffung des § 177 SGB V und des § 6 Abs 5 SGB V durch Art 1 Nr 136 und Art 1 Nr 3
Buchst d GKV-WSG, mWv 1.4.2007). Sie schaffte die besonderen satzungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Beklagten mit Wirkung
für die Zukunft ab, um ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile für sie bei den Gestaltungsleistungen zu vermeiden (vgl Entwurf eines Gesetzes
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-WSG -, BT-Drucks
16/3100 S 157, zu Nr 133, zu Buchst b).
16 § 173 Abs 2a SGB V iVm § 2 Abs 1 S 2 KnVAusbauV ermächtigten die Beklagte auch dazu, in der Satzung zu regeln, dass ab 2009 auf der
Basis einer Prämienkalkulation im Rahmen der Haushaltsplanungen für das jeweils folgende Kalenderjahr eine Festsetzung von
Monatsprämien durch Verwaltungsakt erfolgt in Form von einkommensunabhängigen Prämien in altersabhängigen Stufen (erste Stufe 0 bis
19 Jahre, anschließend jeweils Fünf-Jahres-Schritte bis 64 Jahre) für Aktive und von einkommensabhängigen Monatsprämien (in Stufen von
jeweils 499,99 Euro bis 3500 Euro und mehr) lediglich noch für Passive. § 173 Abs 2a SGB V iVm § 2 Abs 1 S 2 KnVAusbauV fordern als
ungeschriebene, systemimmanente Grenze eine Regelung der Finanzierung, die sich innerhalb der allgemeinen Grenzen für die
Finanzierung von Zusatzsozialleistungen der KV kraft Satzung hält. Unzulässig wäre etwa eine Finanzierungsregelung, die frei von jeglicher
sozialen Komponente allein auf Gewinnerzielung angelegt wäre. Die konkret beschlossene Ausgestaltung als Umlageverfahren mit im
Verwaltungsvollzug leicht zu ermittelnden pauschalierenden Stufen aufgrund des prognostizierten Bedarfs unter Berücksichtigung der
Leistungsfähigkeit der Mitglieder hält sich in den allgemeinen Grenzen, die sich für die Finanzierung von zusätzlich zu Pflichtleistungen
vorgesehenen gewillkürten Sozialleistungen kraft Satzung stellen.
17 c) Die Satzung 2009 der Beklagten ist formell rechtmäßig. Die hierzu kraft Gesetzes berufene Beklagte änderte ihre Satzung mit dem 15.
Nachtrag formal korrekt (Beschluss der Vertreterversammlung vom 14.11.2008, § 31 Abs 1 S 1, § 33 Abs 1 S 1 SGB IV; Genehmigung des
Bundesversicherungsamts, § 195 Abs 1 und Abs 3 SGB V, § 34 Abs 1 S 2, § 90 Abs 1 SGB IV, Bescheid vom 19.12.2008). Sie machte die
geänderte Satzung auch ordnungsgemäß auf ihrer Internetseite unter www.kbs.de öffentlich bekannt (vgl § 34 Abs 2 S 1 und S 3 SGB IV; § 97
Abs 1 Satzung 2009; s auch BSG SozR 4-2500 § 240 Nr 17 RdNr 36, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
18 d) Die Satzung 2009 der Beklagten ist - soweit hier betroffen - auch materiell rechtmäßig. Sowohl die gesetzliche Ermächtigung zur Regelung
der Finanzierung in der Satzung als auch die getroffene Satzungsregelung selbst sind mit Verfassungsrecht vereinbar, insbesondere mit dem
allgemeinen Gleichheitssatz (dazu aa) und dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz (dazu bb).
19 aa) Die von der Beklagten gewählte prognostische Kostendeckung durch die Prämien der mehrleistungsberechtigten Mitglieder und die dabei
vom Kläger gerügte Differenzierung zwischen den Aktiven und den Passiven in der Satzung verstoßen nicht gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG). Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem
Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders
als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass
sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55 mwN; BVerfGE 117, 316 = SozR 4-2500 §
27a Nr 11; stRspr BSGE 99, 95 = SozR 4-2500 § 44 Nr 13, RdNr 26 mwN). Verboten sind Differenzierungen ohne hinreichenden sachlichen
Grund (vgl BVerfGE 92, 53, 71 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6 S 21 = DStR 2000, 1353 mit Anm Schlegel; BVerfGE 102, 127 = SozR 3-2400 §
23a Nr 1; vgl zum Ganzen BSGE 109, 230 = SozR 4-2500 § 53 Nr 2, RdNr 15; BSGE 96, 246 = SozR 4-2500 § 47 Nr 4, RdNr 29).
Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der
Ungleichbehandlung angemessen sind. Art 3 Abs 1 GG gebietet nicht nur, dass die Ungleichbehandlung an ein der Art nach sachlich
gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpft, sondern verlangt auch für das Maß der Differenzierung einen inneren Zusammenhang
zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung, der sich als sachlich vertretbarer
Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist (vgl BVerfGE 124, 199, 220; 129, 49, 68 f; BVerfG Beschluss
vom 3.6.2013 - 1 BvR 131/13 ua - Juris RdNr 12 mwN). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter
verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen
unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl BVerfGE 75, 108, 157; 126, 400, 416; 129, 49, 69; BVerfG
Beschluss vom 3.6.2013 - 1 BvR 131/13 ua - Juris RdNr 13 mwN).
20 Das BVerfG gesteht dem Normgeber generell auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts wegen der fortwährenden schnellen
Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zu, die nur einer eingeschränkten
verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl BVerfGE 81, 156, 205 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1 S 18). Speziell die Regelung der hier
betroffenen KV-Mehrleistungen kraft Satzung unterliegt wegen des fakultativ-ergänzenden Charakters der Leistungen sehr weiten
Gestaltungsgrenzen. Bereits der Pflichtleistungskatalog der GKV (vgl § 2 Abs 1 S 1, § 12 Abs 1 SGB V) enthält alle für die Versicherten
notwendigen Leistungen, die der Gesetzgeber nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zurechnet. Zudem steht es den berechtigten
Mitgliedern offen, jederzeit zum Ablauf des Folgemonats die Mehrleistungsberechtigung insgesamt oder in einem ihrer beiden Teile
(Chefarztbehandlung; Zweibettzimmer) mit ihrer finanziellen Last zu beenden (vgl § 59 Abs 4 S 1 Buchst b und c Satzung 2009).
21 Ausgehend von diesem Prüfmaßstab durfte die Beklagte zunächst an das - wie dargelegt schon historisch verfolgte - Grundprinzip der
kostendeckenden Umlage durch die Zahlungen der mehrleistungsberechtigten Mitglieder anknüpfen. Es ordnet sachgerecht der Gruppe der
durch Mehrleistungen Begünstigten die erwarteten Kosten der Begünstigung zu. Die Beklagte durfte zudem in ihrer Satzung 2009 in der
dargestellten Art und Weise für die Gruppe der Aktiven einkommensunabhängige Prämien in altersabhängigen Stufen (erste Stufe 0 bis 19
Jahre, anschließend jeweils Fünf-Jahres-Schritte bis 64 Jahre) vorsehen und für die Gruppe der Passiven einkommensabhängige
Monatsprämien (in Stufen von jeweils 499,99 Euro bis 3500 Euro und mehr). Zwischen beiden Gruppen bestehen Unterschiede von solcher
Art und von solchem Gewicht, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen. Sie betreffen vorrangig das unterschiedliche Morbiditätsrisiko,
aber auch nachrangig den unterschiedlichen Wechsel der Einkommensverhältnisse und der Leistungsfähigkeit in den betroffenen Gruppen.
22 Die Beklagte berücksichtigte rechtmäßig das unterschiedliche Morbiditätsrisiko zwischen den Gruppen. Es spiegelte sich bereits zuvor bis
Ende 2008 in den unterschiedlichen Beitragssätzen wider, die für die Aktiven bei 1,4 vH gegenüber 4,5 vH der in der KV beitragspflichtigen
Einnahmen der Passiven lagen. Der Normgeber - auch der Satzungsgeber - ist von Verfassungs wegen berechtigt, jüngere
Krankenversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für Rentner zu entlasten und die Rentner entsprechend ihrem Einkommen
grundsätzlich verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen (BVerfG SozR 3-2500 § 248 Nr 6 S 30; BVerfG SozR 4-2500 § 229 Nr 5 RdNr 34;
zustimmend zB BSG Urteile vom 10.5.2006 - B 12 KR 7/05 R, B 12 KR 21/05 R und B 12 KR 23/05 R - jeweils Juris RdNr 22 mwN). Hier
berücksichtigte die Beklagte zugleich durch die Anknüpfung an die - individuell unterschiedlich hohen - konkreten Einkommen in der Gruppe
der Passiven auch deren sozialen Schutz und ermöglichte den Solidarausgleich innerhalb ihrer Gruppe entsprechend der finanziellen
Leistungsfähigkeit. Die Beklagte trug zudem dem Morbiditätsrisiko innerhalb der Gruppe der Aktiven durch die entsprechend ansteigende
Prämienhöhe der Altersklassen Rechnung.
23 Die gewählte Klassifizierung der Versichertengruppen nach Altersklassen bei Aktiven und Einkommensklassen bei Passiven vermeidet
zudem kostenträchtigen Verwaltungsaufwand. Die Altersklassen sind leicht und ökonomisch festzustellen. Das wird auch regelmäßig für die
gestuften Einkommensklassen bei den Passiven gelten. Die Erwartung der Beklagten erscheint nachvollziehbar, dass demgegenüber bei
den Aktiven, insbesondere bei Arbeitnehmern, in Anbetracht ihrer Berufstätigkeit vielfältige kurzfristige Änderungen ihrer
Einkommensverhältnisse typischerweise eher zu erwarten sind als bei der anderen Versichertengruppe der Passiven.
24 Die Beklagte konnte auch sachlich davon ausgehen, dass die einkommensbezogene Leistungsfähigkeit der Aktiven wegen ihrer geringeren
Belastung durch die Monatsprämien eine eher unwesentliche Rolle spielt, auch wenn diese morbiditätsorientiert altersgestuft ansteigen. Die
Beklagte durfte aufgrund ihrer Kenntnisse der Strukturen der Gruppe der Begünstigten demgegenüber annehmen, dass bei den Passiven die
Leistungsfähigkeit entsprechend dem Solidargedanken stärker zu berücksichtigen ist, um dort allen Berechtigten Versicherungsschutz zu
noch tragbaren Bedingungen anbieten zu können. Rein altersabhängige Prämien würden dies jedenfalls tendenziell ausschließen.
25 bb) Sowohl die Schließung des Mehrleistungssystems der Beklagten für neue Versicherte zum 1.4.2007 (vgl § 173 Abs 2a SGB V; dazu aaa)
als auch die Umstellung auf ein Prämiensystem, das zwischen Aktiven und Passiven differenziert (dazu bbb), verstößt nicht gegen
verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz, abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den betroffenen Grundrechten (vgl dazu
Hauck in Deutsches Anwaltsinstitut, 25. Jahresarbeitstagung Sozialrecht, 2013, Vertrauensschutz in der Rechtsprechung im sozialrechtlichen
Beitrags- und Leistungsrecht, unter II. 1. b) aa) bei Fn 6), hier Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG. Der Kläger kann sich gegenüber der Beklagten
dagegen schon im Ansatz nicht auf Vertrauensschutz wegen Wegfalls der Zuschüsse zu den Beiträgen von APG-Empfängern durch das
BAFA berufen (dazu ccc).
26 aaa) Die Schließung des Mehrleistungssystems ist ein Fall unechter Rückwirkung. Eine unechte Rückwirkung - oder tatbestandliche
Rückanknüpfung - liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die
Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Sie ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig
(vgl zB BVerfGE 30, 392, 402 f, stRspr). Jedoch können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Das ist dann der Fall, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte
Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die
Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl statt Vieler BSG SozR 4-5562 § 8 Nr 1 RdNr 28 mwN). Leistungsbegrenzende
Rechtsänderungen sind verfassungsrechtlich mit Wirkung für die Zukunft zulässig, sofern sie nicht verfassungsrechtlich geschütztes
Vertrauen in die Aufrechterhaltung des zuvor geltenden Rechts verletzen, etwa den KV-Schutz der GKV insgesamt entwerten (vgl zB BSGE
100, 221 = SozR 4-2500 § 62 Nr 6, RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 58 Nr 1 RdNr 20 f; BVerfGE 69, 272, 309 f = SozR 2200 § 165 Nr 81 S 132,
alle mwN; Schlegel, Übergangsrecht, VSSR 2004, 313 ff mwN; Hauck in Deutsches Anwaltsinstitut, 25. Jahresarbeitstagung Sozialrecht,
2013, Vertrauensschutz in der Rechtsprechung im sozialrechtlichen Beitrags- und Leistungsrecht, unter II. 1. b) aa) bei Fn 13).
27 Nach diesen Grundsätzen durfte der Gesetzgeber das Mehrleistungssystem der Beklagten für neue Versicherte zum 1.4.2007 schließen. Die
Regelung diente - wie bereits dargelegt - der Öffnung der Beklagten für alle Versicherten unter Vermeidung ungerechtfertigter
Wettbewerbsvorteile. Der Ausschluss neuer Versicherter vom Zugang zum Mehrleistungssystem war hierzu erforderlich. Die Schließung
schafft die Zusatzleistungen nicht übergangslos ab, sondern führt schrittweise zu einer Verteuerung der Mehrleistungsberechtigung. Sie ist
weit davon entfernt, den KV-Schutz der GKV insgesamt oder auch nur in der Gruppe der Mehrleistungsberechtigten zu entwerten. Die
Beklagte konnte aus den vorgenannten Gründen die günstige Versicherungsmöglichkeit in eine andere Versicherungsalternative
umgestalten, die aber der Gruppe der Mehrleistungsberechtigten und auch der Untergruppe der Passiven weiterhin eine angemessene
Sicherung ermöglicht.
28 bbb) Auch die Umstellung ab 1.1.2009 auf ein Prämiensystem, das zwischen Aktiven und Passiven differenziert, verstößt nicht gegen
verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz. Die schlichte Erwartung, das geltende Recht werde auch in der Zukunft unverändert fortbestehen,
ist verfassungsrechtlich nicht geschützt (vgl zB BVerfGE 68, 193, 222; 105, 17, 40; 109, 133, 180 f; BVerfGE 128, 90 = SozR 4-1100 Art 14 Nr
23, RdNr 43). Überlässt der Gesetzgeber Versicherungsträgern die Ausgestaltung von Leistungsrechten kraft Satzung, schließt dies die
Befugnis zur Umgestaltung und Abschaffung der Rechte mit Wirkung für die Zukunft unter Berücksichtigung der materiellen Anforderungen an
Vertrauensschutz ein. Es kann generell kein Schutz des Vertrauens darauf anerkannt werden, dass das Satzungsrecht für alle Zukunft
unverändert so bestehen bleiben wird, wie es bei der Begründung einer Mitgliedschaft bestand (vgl BSG Urteil vom 30.5.2006 - B 1 KR 15/05
R - USK 2006-32; Hauck in Deutsches Anwaltsinstitut, 25. Jahresarbeitstagung Sozialrecht, 2013, Vertrauensschutz in der Rechtsprechung
im sozialrechtlichen Beitrags- und Leistungsrecht, unter II. 3. b) aa) bei Fn 100). Bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des
enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe muss aber die Grenze der
Zumutbarkeit gewahrt bleiben (vgl BVerfGE 127, 1, 18). So liegt es hier. So wenig sich Vertrauensschutz auf den dauerhaften Bestand der
Ausgestaltung von Leistungsrechten kraft Satzung gründen kann, so wenig gilt dies für die Regelungen über die Finanzierung von
Gestaltungsleistungen kraft Satzung.
29 ccc) Der Wegfall der Zuschüsse zu den Beiträgen von APG-Empfängern durch das BAFA berührt nicht das Rechtsverhältnis des Klägers zur
Beklagten. Er beruht ausschließlich darauf, dass das BAFA die Zuschüsse lediglich für Beiträge zur GKV gewähren darf (vgl Anm 4.2
Richtlinien über die Gewährung von APG an Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaus vom 25.10.2005, BAnz 2005 Nr 218 S 16032 vom
18.11.2005; ebenso die nachfolgende Fassung vom 12.12.2008, BAnz 2008 Nr 196 S 4697 vom 24.12.2008, mWv 1.1.2009). Die Zuschüsse
sind kein Bestandteil der Mehrleistungsfinanzierung, die die Beklagte regelte. Es bedarf dementsprechend keiner Beiladung (§ 75 SGG) des
BAFA.
30 e) Die hierfür zuständige Beklagte setzte die Prämien für 2009 gegenüber dem Kläger formell rechtmäßig fest. Insbesondere hörte sie den
Kläger zur beabsichtigten Umstellung der Finanzierung des Mehrleistungsanspruchs durch das an alle Mehrleistungsberechtigten gerichtete
Rundschreiben von November 2008 ausreichend "zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen" an (§ 24 Abs 1 SGB X). Sie
informierte ihn hierdurch und mittels der bereits dargelegten Bekanntmachung der Satzung über die sachlichen und zeitlichen Einzelheiten
der Umstellung des Mehrleistungsanspruchs auf Prämienfinanzierung sowie ihre Gründe und Auswirkungen auf die individuelle
Prämienberechnung.
31 f) Die Prämienfestsetzung ab 1.2.2009 gegenüber dem Kläger war auch materiell rechtmäßig. Die Beklagte setzte ordnungsgemäß eine
einkommensabhängige Prämie anstelle des bisher erhobenen Beitrags fest. Der Kläger war iS des § 59 Satzung 2009
mehrleistungsberechtigt. Die Beklagte qualifizierte ihn wegen des Bezuges einer Rente für Bergleute zutreffend als "Passiven". Sie
berechnete in Einklang mit § 59 Abs 5 S 3 nebst Anl 11 Satzung 2009 einkommensabhängig eine monatliche Prämie in Höhe von 52,38
Euro.
32 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.