Urteil des BSG vom 11.12.2012

BSG: Grundsicherung für Arbeitsuchende, Einkommensberücksichtigung, steuerfreie Spesenzahlung des Arbeitgebers für Verpflegungsmehraufwendungen, keine zweckbestimmten Einnahmen

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 11.12.2012, B 4 AS 27/12 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - steuerfreie Spesenzahlung
des Arbeitgebers für Verpflegungsmehraufwendungen - keine zweckbestimmten Einnahmen -
Absetzung der Verpflegungsmehraufwendungen vom Einkommen bis zur Obergrenze gem § 6
BRKG 2005 iVm § 4 Abs 5 EStG - keine Beschränkung auf Pauschbetrag des § 6 AlhiV 2008 -
fehlende Öffnungsklausel - Ermächtigungskonformität
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 19.
Januar 2012 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
2 Die 1982 geborene, erwerbsfähige Klägerin zu 1 lebte im streitigen Zeitraum vom
10.9.2007 bis 14.1.2008 mit ihrem damaligen Lebensgefährten, dem 1979 geborenen
Kläger zu 2, und dem 2004 geborenen gemeinsamen Sohn (Kläger zu 3) zusammen. Sie
bewohnten eine 55,06 m² große 3-Zimmer-Wohnung. Die Gesamtkosten in Höhe von 400
Euro setzten sich aus der Kaltmiete in Höhe von 239,29 Euro sowie Vorauszahlungen für
Heizkosten in Höhe von 63,83 Euro und für Betriebskosten in Höhe von 96,88 Euro
zusammen.
3 Der Kläger zu 2 war als Fernfahrer beschäftigt. Die Tätigkeit begann in der Regel am
Sonntagabend oder am Montag und endete Samstagvormittag; zum Teil war er auch an
Wochenenden unterwegs. Nach § 4 Abs 1 des Arbeitsvertrags betrug das monatliche
Bruttoentgelt 1390 Euro. Reisekosten (Spesen) wurden gemäß § 5 S 1 des Arbeitsvertrags
nach den mit dem Betriebsrat festgelegten Richtlinien gezahlt. § 3 der
Betriebsvereinbarung vom 20.2.2007 sah eine Trennung zwischen steuerfreien und
versteuerten Teilen der Spesen vor. Sie betrugen bei einer Abwesenheitszeit von
mindestens 8 bis weniger als 14 Stunden 12 Euro (6 Euro steuerfrei, 6 Euro versteuert),
von mindestens 14 bis weniger als 24 Stunden 18 Euro (12 Euro steuerfrei, 6 Euro
versteuert) und von mindestens 24 Stunden 24 Euro (24 Euro steuerfrei, 0 Euro
versteuert).
4 Die Klägerin zu 1 bezog bis 30.9.2007 Alg in Höhe von 25,19 Euro täglich. Der Kläger zu
2 erhielt für August 2007 ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1920 Euro (= 1271,20 Euro
netto) sowie Vergütungen für "Verpflegungsmehraufwendungen" in Höhe von 492 Euro.
Für den Kläger zu 3 wurde Kindergeld in Höhe von 154 Euro gezahlt. Für die Kfz-
Haftpflichtversicherung waren monatlich 30,25 Euro zu zahlen. Daneben zahlte die
Klägerin zu 1 monatlich einen Betrag in Höhe von 52,50 Euro in eine private
Rentenversicherung und einen weiteren Betrag in Höhe von 132,30 Euro in eine private
Pflege- und Krankenversicherung. Der Kläger zu 2 leistete einen monatlichen Betrag in
eine private Rentenversicherung in Höhe von 50 Euro.
5 Der Beklagte lehnte den Antrag vom 10.9.2007 auf Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Einbeziehung der Vergütungen für Reisekosten
(Spesen) als Einkommen ab (Bescheid vom 1.10.2007; Widerspruchsbescheid vom
15.1.2008). Auch dem weiteren Antrag sämtlicher Kläger auf SGB II-Leistungen vom
15.1.2008 wurde nicht entsprochen (Bescheid vom 22.4.2008; Widerspruchsbescheid vom
2.3.2009).
6 Das SG hat die allein gegen den Bescheid vom 1.10.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 15.1.2008 erhobene Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid
vom 14.10.2008). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 19.1.2012).
Dabei ist es davon ausgegangen, dass sich das Klagebegehren auf den Zeitraum vom
10.9.2007 bis zum 25.1.2010 erstrecke, weil den Klägern zu 1 und 3 ab dem 26.1.2010
(Beginn des Getrenntlebens) SGB II-Leistungen gewährt worden seien. Würden die
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne zeitliche
Begrenzung abgelehnt, sei - je nach Klageantrag - Gegenstand des gerichtlichen
Verfahrens die gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit. Werde zwischenzeitlich -
wie hier - ein neuer Antrag auf Leistungen nach dem SGB II wiederum abschlägig
beschieden, sei diese (erneute) Ablehnung in unmittelbarer Anwendung des § 96 SGG
Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Das LSG hat weiter ausgeführt, die Kläger
hätten keinen Anspruch auf SGB II-Leistungen. Aus dem vom Beklagten zutreffend
berücksichtigten Nettoeinkommen des Klägers zu 2 in Höhe von 1763,20 Euro (= 1271,20
Euro + 492 Euro) ergebe sich ein anrechenbares Einkommen in Höhe von 1437,64 Euro
und ein Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1591,64 Euro. Bezogen
auf deren Gesamtbedarf in Höhe von 1216,32 Euro ergebe sich eine "Überdeckung" in
Höhe von 375,32 Euro. Auch bei dem geringeren Nettoeinkommen des Klägers zu 2 im
Dezember 2007 verbleibe es bei einem Einkommensüberhang von 359,84 Euro. Bei
dieser Ausgangslage könne dahingestellt bleiben, ob und ggf in welcher Höhe die
Beiträge zu den privaten Rentenversicherungen absetzbar seien. Die vom Arbeitgeber
gezahlten Vergütungen für Verpflegungsmehraufwendungen, Verpflegungszuschüsse
oder Spesen seien zweckbestimmte Einnahmen. Der privatrechtliche Verwendungszweck
ergebe sich aus dem in § 5 des Arbeitsvertrages enthaltenen Begriff der "Reisekosten"
und den ergänzenden Betriebsvereinbarungen. Die entsprechenden Zahlungen seien in
den Verdienstbescheinigungen gesondert ausgewiesen. Dass tatsächlich ein
Mehraufwand entstehen könne, der über die mit der Regelleistung (vgl § 20 SGB II) und
die mit den Leistungen für Unterkunft und Heizung (vgl § 22 SGB II) erfassten Bedarfe
hinausgehe, habe die Beweisaufnahme ergeben. Hinsichtlich der Höhe sei auf die
Regelungen in § 6 Abs 1 S 2 BRKG und § 4 Abs 5 S 1 Nr 5 S 2 EStG abzustellen. Für die
vom Arbeitgeber gewährten Spesen oder Vergütungen für
Verpflegungsmehraufwendungen sei der Nachweis ihrer zweckentsprechenden
Verwendung geboten, weil dieser Lohnbestandteil nennenswert über die Höhe der
existenzsichernden Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes hinausgehen könne
und zum Teil von der Regelleistung abgedeckte Bedarfe betroffen seien. Die Prüfung
einer zweckentsprechenden Verwendung der Spesenzahlungen ergebe, dass der Kläger
zu 2 tatsächlich nur einen geringen Anteil zweckentsprechend verwandt habe. Sowohl im
Klageverfahren als auch im Berufungsverfahren seien im Wesentlichen Kassenbelege von
Februar 2008 mit nachgewiesenen Ausgaben in Höhe von 74,07 Euro vorgelegt worden.
Dies reiche nicht, um bei einer geringstmöglichen Bedarfsüberdeckung in Höhe von
309,84 Euro eine Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II zu begründen. Die demnach als
Einkommen zu behandelnden Spesen seien nur um eine Pauschale in Höhe von 6 Euro
nach Maßgabe des seit 1.1.2008 geltenden § 6 Abs 3 Alg II-V zu bereinigen. Selbst wenn
der Kläger zu 2 monatlich 30 Tage auswärts tätig gewesen sein sollte, ergebe sich ein
Höchstbetrag von 180 Euro (= 30 Tage x 6 Euro/Tag). Damit verbleibe ein
Einkommensüberhang.
7 Mit ihrer Revision rügen die Kläger eine Verletzung von § 11 SGB II. Soweit das LSG
davon ausgehe, dass die Spesen nicht vollständig vom Einkommen abgezogen werden
könnten, sei dessen Argumentation brüchig. Das LSG beziehe sich auf § 6 Abs 3 Alg II-V,
obgleich diese Vorschrift erst seit dem 1.1.2008 in Kraft sei. Andererseits argumentiere es,
dass die zweckbestimmten Einnahmen nur dann nachzuweisen seien, wenn sie § 6 Abs 1
S 2 BRKG überstiegen. Mit dem vom Arbeitgeber geleisteten Betrag in Höhe von 492 Euro
monatlich solle nicht nur der Verpflegungsaufwand im Monat der auswärtigen Tätigkeit
erfasst werden. Vielmehr seien auch die Kosten der Gebühren für Parkplätze und
Körperhygiene abgegolten. Die zweckbestimmten Einnahmen seien ohne weitere
Nachweise nach den Sätzen des BRKG anzuerkennen.
8 Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 19. Januar 2012, den
Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 14. Oktober 2008 und den Bescheid des
Beklagten vom 1. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.
Januar 2008 aufzuheben sowie den Beklagten zu verurteilen, ihnen im Zeitraum vom 10.
September 2007 bis 14. Januar 2008 höhere Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.
9 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10 Der Beklagte führt aus, ein Verwendungsnachweis für Spesen sei zu fordern, weil die
Gerechtfertigkeitsprüfung nach § 11 Abs 3 Nr 1 SGB II aF ohne Betrachtung des
tatsächlichen Mehraufwands nicht möglich sei. Speziell bei Beschäftigungsverhältnissen
im Speditionsgewerbe sei dies wegen häufig niedrigen Löhnen bei gleichzeitig hohen
Spesensätzen objektiv notwendig, weil andernfalls eine versteckte Lohnsubventionierung
über aufstockende SGB II-Leistungen zu befürchten sei.
Entscheidungsgründe
11 Die Revision der Kläger ist insoweit begründet, als das Berufungsurteil aufzuheben und
der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG
zurückzuverweisen war (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Die bisher getroffenen Feststellungen
lassen keine abschließende - positive oder negative - Entscheidung darüber zu, ob der
geltend gemachte Anspruch auf SGB II-Leistungen in dem Zeitraum vom 10.9.2007 bis
zum 14.1.2008 begründet ist.
12 1. Gegenstand des Verfahrens ist nur der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom
1.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.1.2008. Der Bescheid vom
22.4.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.3.2009 ist nicht in das
Verfahren einzubeziehen. Der Beklagte hat sich im Übrigen in der mündlichen
Verhandlung vor dem erkennenden Senat verpflichtet, unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Senats und nach Rechtskraft in dem vorliegenden Verfahren für
den Zeitraum vom 15.1.2008 bis 25.1.2010 einen neuen Bescheid zu erteilen. Die Kläger
haben insoweit die Revision zurückgenommen.
13 2. a) Ob die Kläger in dem hier streitigen Zeitraum vom 10.9.2007 bis 14.1.2008 dem
Grunde nach Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II (ggf zzgl eines Zuschlags nach § 24 SGB II für die Klägerin zu 1) haben, konnte der
Senat nicht abschließend beurteilen. Zwar ist nach dem Gesamtzusammenhang der
Feststellungen des LSG davon auszugehen, dass die Anspruchsvoraussetzungen der Nr
1, 2 und 4 des § 7 SGB II erfüllt sind. Es fehlen aber Feststellungen zur Hilfebedürftigkeit
(b), insbesondere zum Einkommen des Klägers zu 2 (c). Allerdings sind die neben dem
Grundverdienst als Fernfahrer in dem streitigen Zeitraum in unterschiedlicher Höhe
gezahlten "Spesen", deren Höhe noch für einige der Monate im streitigen Zeitraum zu
ermitteln ist, als Einkommen bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts zu berücksichtigen (d). Hiervon ausgehend sind jedoch weitere
Feststellungen zu den vom Einkommen absetzbaren Beträgen erforderlich (3).
14 b) Hilfebedürftig nach § 9 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine
Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft
lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften, vor allem nicht 1.
durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen
oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere
von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Nach § 9 Abs 2 S 1
SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen
und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren
Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die Leistungen zur
Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen
beschaffen können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des
Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen (§ 9
Abs 2 S 2 SGB II). Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen
Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des
eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (§ 9 Abs 2 S 3 SGB II). Da die
Klägerin zu 1 und der Kläger zu 3 mit dem Kläger zu 2 in Bedarfsgemeinschaft leben (§ 7
Abs 3 SGB II), müssen sie sich dessen nach Maßgabe des § 11 SGB II zu
berücksichtigende Einkommen zurechnen lassen.
15 Nach diesen Grundsätzen ist auf der Bedarfsseite - wie das LSG zutreffend angenommen
hat - ein Gesamtbedarf der Kläger in Höhe von 1216,32 Euro monatlich zugrunde zu legen
(für die Kläger zu 1 und 2 eine monatliche Regelleistung in Höhe von jeweils 312 Euro
und für den Kläger zu 3 eine Regelleistung in Höhe von 208 Euro zzgl
Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 400 Euro abzgl Warmwasserpauschalen
in Höhe von insgesamt 15,02 Euro <= [2 x 5,63 Euro] + 3,76 Euro>). Neben dem vom LSG
bereits thematisierten Abzug von Warmwasserkosten von den Kosten der Unterkunft und
Heizung in Abweichung von den Berechnungen in den angefochtenen Bescheiden ist zu
berücksichtigen, dass der Beklagte das für den Kläger zu 3 gezahlte Kindergeld in das
Gesamteinkommen einbezogen hat, obwohl es allein auf den Bedarf des Klägers zu 3
anzurechnen ist (vgl zur horizontalen Berechnungsmethode: BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 4).
16 c) Hinsichtlich des zu berücksichtigenden Einkommens fehlt es an tatsächlichen
Feststellungen für die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit. So mangelt es für den hier
streitigen Zeitraum zunächst an Feststellungen zur Höhe des Entgelts des Klägers zu 2 für
die Monate Oktober und November 2007. Die Vorinstanzen haben lediglich die von den
Klägern im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren unaufgefordert vorgelegten
Verdienstbescheinigungen für die einzelnen Monate August, September und Dezember
2007 ausgewertet. Sein "Grundgehalt" unter Berücksichtigung des zu versteuernden
Anteils der Reisekosten als auch die steuerfreien Spesen wurden jedoch monatlich in
unterschiedlicher Höhe gezahlt.
17 d) Allerdings sind die vom LSG hinsichtlich ihrer Höhe noch für einzelne Monate
festzustellenden "Spesen" als Einkommen im Sinne des SGB II zu berücksichtigen. Es
handelt sich hierbei nicht um zweckbestimmte Einnahmen auf privatrechtlicher Grundlage,
die nach der Rechtslage bis zum 31.3.2011, wenn ein privatrechtlicher
Verwendungszweck vereinbart war, ggf unberücksichtigt bleiben konnten (vgl aber die
nunmehr geänderte Fassung des § 11a Abs 3 SGB II idF ab 1.4.2011; BT-Drucks 17/3404
S 94).
18 Nach § 11 Abs 1 S 1 SGB II (idF, die die Norm durch das Gesetz zur Änderung des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.3.2006
erhalten hat) sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert
mit Ausnahme ua der Leistungen nach dem SGB II und weiterer hier nicht gegebener
Einkünfte. Nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II sind nicht als Einkommen zu
berücksichtigen Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen, einem anderen
Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht
so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt
wären. Die an den Begriff der "zweckbestimmten Einnahmen" zu stellenden
Anforderungen ergeben sich aus der Systematik des § 11 SGB II und dem Sinn und
Zweck der Regelung. Die Außerachtlassung von Einnahmen erfolgt unabhängig davon,
ob diese steuerfrei sind, nur unter engen Voraussetzungen, die ausdrücklich durch den
Zweck der weiteren Einnahmen gerechtfertigt sein müssen.
19 Nach der hier maßgebenden Rechtslage bis zum 31.3.2011 konnten nach diesen
Maßstäben auch zweckbestimmte Einnahmen auf privatrechtlicher Grundlage
unberücksichtigt bleiben. Die für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende
zuständigen Senate des BSG haben insofern gefordert, dass eine Vereinbarung
vorhanden sein muss, aus der sich objektiv erkennbar ergibt, dass die Leistung von dem
Arbeitnehmer für einen bestimmten Zweck verwendet werden soll (BSGE 102, 295 = SozR
4-4200 § 11 Nr 24, RdNr 21; BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 9/09 R - juris RdNr 22; BSG vom
28.10.2009 - B 14 AS 64/08 R - juris RdNr 20), ihm also ein bestimmter privatrechtlicher
Verwendungszweck "auferlegt" wird (BSGE 100, 83 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 6, RdNr 49
; BSGE 102, 295 ff = SozR 4-4200 § 11 Nr 24, RdNr 20 ff
; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 29 RdNr 15 ff
Sonntags- und Feiertagsarbeit>). Da tatsächliche Einnahmen abweichend von der
Grundregel des § 11 Abs 1 S 1 SGB II nach dem Sinn des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II
nur dann außer Betracht bleiben können, wenn dies eine besondere Zweckbestimmung
einer Leistung außerhalb des SGB II gebietet, welche durch die Berücksichtigung der
Leistung als Einkommen nach dem SGB II verfehlt würde, muss - bereits für die
Abgrenzungsentscheidung - klar erkennbar sein, für welche Zwecke die Leistung
verwendet werden soll (vgl BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 29 RdNr 16 "abweichender
Verwendungszweck feststellbar").
20 Für die in verschiedener Höhe gezahlten, arbeitsvertraglich vereinbarten und vom LSG
schon unterschiedlich als Entgelte für "Verpflegungsmehraufwendungen",
"Verpflegungszuschüsse" und "Spesen" bezeichneten Vergütungsanteile (im Folgenden:
"Spesen") ist ein solcher konkreter privatrechtlicher Verwendungszweck nicht vereinbart.
Er ist weder dem zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber geschlossenen
Arbeitsvertrag noch der Betriebsvereinbarung zu entnehmen. Allein die Bezeichnung als
Entgeltbestandteil rechtfertigt nicht die Annahme eines vereinbarten privatrechtlichen
Verwendungszwecks. Eine Bestimmung, wofür und ggf in welcher Höhe die "Spesen"
verwendet werden sollen, ist nicht erfolgt. Zwar sind diese in ihrer Staffelung nach der
Dauer der Abwesenheit ähnlich wie im BRKG festgelegt worden. Dies lässt jedoch schon
deshalb keinen Rückschluss auf eine "zwingende" Verwendungsform der Einnahmen
durch den Kläger zu 2 zu, weil die zwischen ihm und seinem Arbeitgeber
arbeitsvertraglich vereinbarten Werte ihrer Höhe nach von den Sätzen des BRKG
abweichen. Auch werden die festgesetzten Spesen nicht ausschließlich für
Mehraufwendungen für Verpflegung, sondern nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
des LSG auch für die bei Fernfahrern üblichen Reise- und Übernachtungskosten,
insbesondere Gebühren für Toiletten- und Duschraumbenutzung, und kostenpflichtige
Lkw-Stellplätze geleistet. Auf die von dem Beklagten geforderte Gerechtfertigkeitsprüfung
nach § 11 Abs 3 Nr 1 Halbs 2 SGB II kommt es daher nicht an.
21 3. a) Da die "Spesen" demnach als tatsächliche Einnahmen zu berücksichtigen sind, wird
das LSG noch weitere Feststellungen dazu treffen müssen, in welchem Umfang (Teil-
)Beträge vom Gesamteinkommen des Klägers zu 2 abgesetzt werden können. Neben der
bereits einkommensmindernd berücksichtigten Versicherungspauschale (30 Euro), den
allgemeinen Werbungskosten (15,33 Euro), der Kfz-Versicherung (30,23 Euro), den
Fahrkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (40 Euro) sowie ggf - ergänzend - den
Beiträgen zur privaten Rentenversicherung sind die konkret mit der beruflichen Tätigkeit
des Klägers als Fernfahrer verbundenen Aufwendungen als Absetzbeträge zu
berücksichtigen.
22 Nach § 11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB II (in der bis zum 31.12.2011 unveränderten Fassung durch
das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I
2954) sind die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen
Aufwendungen abzusetzen. § 13 S 1 Nr 3 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954) bzw - ab 1.1.2008 - § 13
Abs 1 Nr 3 SGB II (idF des Siebten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 8.4.2008 ) ermächtigt das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium
der Finanzen ohne Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung zu bestimmen,
welche Pauschbeträge für die von dem Einkommen abzusetzenden Beträge zu
berücksichtigen sind (vgl BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 4 RdNr 37). Aufgrund von § 13 S 1 Nr
3 SGB II bzw § 13 Abs 1 Nr 3 SGB II hat der Verordnungsgeber die Alg II-V vom
20.10.2004 (BGBl I 2622) erlassen. Diese Verordnung wurde mehrfach geändert, durch §
10 der "neuen" Alg II-V vom 17.12.2007 (BGBl I 2942) aufgehoben und mit Wirkung vom
1.1.2008 während des hier streitigen Zeitraumes durch die neue Alg II-V vom 17.12.2007
(BGBl I 2942) ersetzt. Diese trat am 1.1.2008 in Kraft. Außer für die Berechnung des
Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit wurde ihre Anwendbarkeit nicht auf die nach
dem 1.1.2008 neu beginnenden Bewilligungsabschnitte begrenzt (§ 9 Alg II-V). Nach § 6
Abs 3 Alg II-V vom 17.12.2007 (BGBl I 2942) ist für Mehraufwendungen für Verpflegung,
wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige vorübergehend von seiner Wohnung und dem
Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten Erwerbstätigkeit entfernt erwerbstätig ist, für jeden
Kalendertag, an dem der erwerbsfähige Hilfebedürftige wegen dieser vorübergehenden
Tätigkeit von seiner Wohnung und dem Tätigkeitsmittelpunkt mindestens zwölf Stunden
abwesend ist, ein Pauschbetrag in Höhe von 6 Euro abzusetzen.
23 Im vorliegenden Fall mangelt es zunächst an tatsächlichen Feststellungen des LSG zu
den Mehraufwendungen für Verpflegung, die der Kläger zu 2 in dem hier streitigen
Zeitraum vom 10.9.2007 bis 14.1.2008 hatte. Das LSG hat nur im Rahmen des von ihm für
erforderlich gehaltenen Nachweises einer zweckentsprechenden Verwendung der
Spesenzahlungen des Arbeitgebers die von den Klägern eigeninitiativ vorgelegten
Kassenbelege ausschließlich für den Monat Februar 2008 gewürdigt. Diese
Feststellungen lassen daher keine ausreichenden Rückschlüsse zu den tatsächlichen
Aufwendungen des Klägers zu 2 für Mehraufwendungen für Verpflegung zu, die er durch
seine zumeist durchgehende häusliche Abwesenheit während der Arbeitswoche in dem
zeitlich zudem vor Februar 2008 liegenden streitbefangenen Zeitraum hatte.
24 b) aa) Bei der - nach den vorbenannten Ermittlungen zur Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen für Verpflegungsmehraufwendungen - noch vorzunehmenden Prüfung der
Absetzbarkeit von Mehraufwendungen für Verpflegung ist zwischen der Zeit bis zum
31.12.2007 und nach dem Inkrafttreten von § 6 Abs 3 Alg II-V zu unterscheiden. Für die
Zeit vor dem 1.1.2008 verbleibt es mangels rückwirkender Anwendbarkeit der neuen
Verordnungsregelung bei dem Maßstab des § 11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB II (vgl hierzu näher
unter cc). Für die Zeit ab Inkrafttreten der neuen Verordnung, dh ab 1.1.2008, wird das
LSG zu beachten haben, dass eine pauschale Begrenzung auf den in § 6 Abs 3 Alg II-V
festgesetzten Betrag nicht mit der Verordnungsermächtigung des § 13 S 1 Nr 3 SGB II bzw
§ 13 Abs 1 Nr 3 SGB II konform geht. Soweit diese Regelung die Berücksichtigung
höherer tatsächlicher Verpflegungsmehraufwendungen als 6 Euro bei einer Abwesenheit
von mehr als zwölf Stunden ausschließt, überschreitet sie den Rahmen der Ermächtigung
des § 13 SGB II mit der Folge der Erforderlichkeit einer Öffnungsklausel bei deren
Anwendung (bb). Maßstab für die Absetzbarkeit von Verpflegungsmehraufwendungen bei
mehr als zwölfstündiger Abwesenheit ist daher auch für den Zeitraum ab 1.1.2008 die
gesetzliche Regelung des § 11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB II (cc). Ggf sind weitere mit der
Fernfahrertätigkeit des Klägers verbundene notwendige und tatsächliche Aufwendungen
abzusetzen (dd).
25 bb) Nach § 13 S 1 Nr 3 SGB II bzw - ab 1.1.2008 - § 13 Abs 1 Nr 3 SGB II ist dem
Verordnungsgeber grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum zugebilligt, in dessen Grenzen
er eine an Zweckmäßigkeitserwägungen orientierte politische Entscheidung treffen kann,
aber nicht über den von der Ermächtigung gesteckten Rahmen hinausgehen darf (vgl zur
Alhi: BSG Urteil vom 9.12.2004 - B 7 AL 24/04 R - BSGE 94, 109 = SozR 4-4220 § 3 Nr 1,
RdNr 12).
26 Zwar bewegt sich der Verordnungsgeber noch im Rahmen seines Gestaltungsspielraums,
wenn er annimmt, dass grundsätzlich erst bei einer bestimmten Mindestdauer der
Abwesenheit ein Verpflegungsmehraufwand entsteht. Die nach § 13 S 1 Nr 3 SGB II
grundsätzlich zulässige Festlegung von Pauschalen auch für
Verpflegungsmehraufwendungen beinhaltet insofern sachnotwendig eine Staffelung nach
Abwesenheitszeiten. Hierbei kann auch berücksichtigt werden, dass bei einer bestimmten
Abwesenheitsdauer die mit dem häuslichen Umfeld verbundene Möglichkeit eines
preiswerten Wirtschaftens und einer Zubereitung von Mahlzeiten jedenfalls zum Teil noch
vorhanden ist. Wenngleich es im Hinblick auf die Regelungen des BRKG
begründungsbedürftig erscheint, dass der Verordnungsgeber
Verpflegungsmehraufwendungen von SGB II-Aufstockern ab Inkrafttreten von § 6 Abs 3
Alg II-V erst bei einer Abwesenheitsdauer vom häuslichen Umfeld von mehr als zwölf
Stunden annimmt, bewegt er sich insoweit jedoch noch im Rahmen der
Verordnungsermächtigung.
27 Durch die mit einer Mindestabwesenheit von zwölf Stunden verknüpfte Begrenzung des
Verpflegungsmehraufwands auf eine Pauschale von nur 6 Euro je Kalendertag bei
gleichzeitigem Fehlen einer "Öffnungsklausel" für den Fall nachgewiesener höherer
Aufwendungen hat der Verordnungsgeber seinen Gestaltungsspielraum jedoch
überschritten. Er begründet die Abweichung von den im Einkommensteuer- und
Bundesreisekostenrecht geltenden Pauschbeträgen damit, dass es dem Hilfebedürftigen
bei auswärtiger Tätigkeit zumutbar sei, mögliche Verpflegungsmehraufwendungen soweit
wie möglich zu reduzieren und eine Besserstellung gegenüber anderen Hilfebedürftigen
zu vermeiden (S 18 des Entwurfs für eine Verordnung zur Berechnung von Einkommen
sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld
II/Sozialgeld). Insoweit fehlt es jedoch an einer Erklärung dafür, warum Kosten für
Verpflegungsmehraufwendungen auch bei sparsamer Wirtschaftsführung (vgl zur Alhi:
BSGE 45, 60, 62 = SozR 4100 § 138 Nr 2; BSG SozR 4100 § 138 Nr 27) und bei einer
berufsbedingten Abwesenheit von mehr als zwölf Stunden regelmäßig nur in der
angenommenen Höhe anfallen und diesen Betrag nicht überschreiten können. Die
Begründung, dass Leistungsberechtigten an den Abwesenheitstagen weiterhin die in der
Regelleistung enthaltenen Beträge zur Verfügung stünden (S 18 des Entwurfs für eine
Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von
Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld), vermag nicht zu
überzeugen. Die Festsetzung der in der Regelleistung enthaltenen Beträge für Ernährung
beruht schon auf anderen strukturellen Voraussetzungen, weil sie von der Möglichkeit
eines sparsamen Einkaufs mit eigener Zubereitung von Mahlzeiten ausgeht.
28 Der Begründung des Verordnungsgebers lässt sich daher nicht entnehmen, dass es sich
bei der Regelung des § 6 Abs 3 Alg II-V, soweit dort die Absetzbarkeit von
Mehraufwendungen für Verpflegung für eine berufsbedingte Abwesenheit von mindestens
zwölf Stunden ausnahmslos auf einen Betrag in Höhe von 6 Euro täglich begrenzt ist, um
eine realitätsgerechte Pauschalierung handelt. Mit der Festsetzung von Pauschbeträgen
sollen zeitraubende Ermittlungen im Rahmen der Massenverwaltung vermieden, nicht
jedoch Einsparungen (in größerem Umfang) erzielt werden (vgl zur Alhi: BSG Urteil vom
9.12.2004 - B 7 AL 24/04 R - BSGE 94, 109 = SozR 4-4220 § 3 Nr 1, RdNr 13). Insofern
sind einer Verwaltungsvereinfachung durch - wie hier nach der Ausgestaltung des § 6 Abs
3 Alg II-V - nicht widerlegbare Vermutungen in der Gestalt von Pauschbeträgen Grenzen
gesetzt. Spiegelbildlich zur Festsetzung von Pauschalen für Bedarfe bei den
existenzsichernden SGB II-Leistungen ist insofern zu beachten, dass an die Stelle eines
ganz oder teilweise notwendig zu berücksichtigenden Aufwands tretende Pauschalen
nicht an einem atypischen Fall orientiert sein dürfen und "realitätsgerecht" in einem
transparenten Verfahren sachgerecht so bemessen sein müssen, dass sie in möglichst
allen Fällen den entsprechenden Aufwand decken (vgl BSGE 94, 109 = SozR 4-4220 § 3
Nr 1 zur Pauschalierung von Absetzbeträgen für Versicherungen in der Alhi; zum
pauschalen Mehrbedarf für Alleinerziehende Urteil des Senats vom 23.8.2012 - B 4 AS
167/11 R). Konkret muss sichergestellt sein, dass nicht allein wegen der mit der
beruflichen Tätigkeit von Alg II-Aufstockern verbundenen notwendigen Aufwendungen das
dem Leistungsberechtigten und der Bedarfsgemeinschaft verfassungsrechtlich nach Art 1
Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG garantierte Existenzminimum nicht mehr verbleibt. Dies
gewährleistet die derzeitige Ausgestaltung des § 6 Abs 3 Alg II-V nicht uneingeschränkt.
Es bedarf daher einer Öffnungsklausel.
29 Die Festlegung eines Pauschbetrags ohne "Öffnungsklausel", also Auffangregelung für
höhere nachgewiesene Verpflegungsmehraufwendungen, entspricht auch insgesamt nicht
den gesetzlichen Vorgaben des SGB II, innerhalb derer der Verordnungsgeber sich
systemgerecht und entsprechend dem Sinn und Zweck des Normgefüges bewegen muss.
Nur für diejenigen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die erwerbstätig sind und ein
Einkommen von weniger als 400 Euro erzielen, ist vorgesehen, dass an die Stelle der
Beträge nach § 11 Abs 2 S 1 Nr 3 bis 5 SGB II ein höhenmäßig begrenzter Betrag von
insgesamt 100 Euro monatlich abzusetzen ist (§ 11 Abs 2 S 2 SGB II). Beträgt das
Einkommen dagegen - wie hier - mehr als 400 Euro, gilt dies nicht, wenn der
erwerbsfähige Hilfebedürftige nachweist, dass die Summe der Beträge nach § 11 Abs 2 S
1 Nr 3 bis 5 SGB II den Betrag von 100 Euro übersteigt (§ 11 Abs 2 S 3 SGB II).
Dementsprechend hat der Verordnungsgeber für die einzelnen, von § 11 Abs 2 S 1 Nr 5
SGB II gleichfalls erfassten Abzugsposten der steuerrechtlichen
Werbungskostenpauschale und der Wegstrecken zwischen der Wohnung und der
Arbeitsstätte mit der bis zum 31.12.2007 geltenden Ersten Verordnung zur Änderung der
Alg II-V (1. Alg II-V-ÄndV) vom 22.8.2005 (BGBl I 2499) festgelegt, dass auch höhere
notwendige Ausgaben als die in § 3 Abs 1 Nr 3 Buchst a und b Alg II-V (ab 1.1.2008: § 6
Abs 1 Nr 2 Buchst a und b Alg II-V) vorgesehenen Pauschbeträge nachgewiesen werden
können.
30 Ausschließlich für Verpflegungsmehraufwendungen als in gleicher Weise mit der
Erzielung von Einkommen verbundene notwendige Ausgaben iS von § 11 Abs 2 S 1 Nr 5
SGB II ist eine Öffnungsklausel nicht vorgesehen. Zudem ist im Gegenzug kein
ausreichend hoher Pauschbetrag berücksichtigt worden. Dies ergibt sich insbesondere
unter Berücksichtigung der Sätze des § 6 BRKG iVm § 4 Abs 5 EStG (6 Euro bei weniger
als 14-stündiger, aber mindestens achtstündiger Abwesenheit; 12 Euro bei weniger als 24-
stündiger, aber mehr als 14-stündiger Abwesenheit; 24 Euro bei ganztägiger
Abwesenheit). Zwar besteht eine Identität zwischen den mit Erzielung des Einkommens
verbundenen notwendigen Ausgaben iS des § 11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB II und den
Werbungskosten (§ 9 EStG) bzw Betriebsausgaben (§ 4 EStG) nur insoweit, als nicht der
Zweck der Leistungen nach dem SGB II Differenzierungen gebietet. Im
Grundsicherungsrecht können nur notwendige Ausgaben als Abzugsposten berücksichtigt
werden, während es das Steuerrecht zum Teil genügen lässt, wenn die Aufwendungen
durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlasst sind (BSG Urteil vom 19.6.2012 - B 4 AS
163/11 R - BSGE 111, 89 = SozR 4-4200 § 11 Nr 53, RdNr 18 f; Hengelhaupt in
Hauck/Noftz, SGB II, K § 11 RdNr 462, Stand 6/2010). Auch wenn die steuerrechtlichen
Absetzmöglichkeiten grundsätzlich weiter sind als die durch § 11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB II
eröffneten Abzüge, können zur Beurteilung der Frage, ob Aufwendungen mit der Erzielung
des Einkommens notwendig verbunden sind, in einem ersten Schritt die steuerrechtlichen
Grundsätze herangezogen werden und kann dann - in einem zweiten Schritt - hinterfragt
werden, ob sich unter Berücksichtigung der Vorgaben des SGB II ein abweichendes
Verständnis ergibt (BSG aaO RdNr 19).
31 Bezogen auf Verpflegungsmehraufwendungen ist eine abweichende steuerrechtliche
Zweckbestimmung nicht erkennbar. Bei der Festsetzung des Tagegeldes bei
Verpflegungsmehraufwendungen iS des § 6 Abs 1 BRKG iVm § 4 Abs 5 S 1 Nr 5 EStG ist
eine häusliche Ersparnis bereits einbezogen (Kopicki/Irlenbusch, Reisekostenrecht, § 6
BRKG RdNr 1, Stand September 2011). Die Pauschalen des BRKG sind - ausgehend von
einer Mindestdauer der beruflich bedingten Abwesenheit von mehr als acht Stunden - so
berechnet, dass sie "in der Regel ausreichen, um diejenigen notwendigen
Mehraufwendungen abzugelten, die üblicherweise bei einer Dienstreise im
Zusammenhang mit der Verpflegung entstehen" (BVerwG Urteil vom 21.9.2010 - 2 C
54/09 - Buchholz 260 § 6 BRKG Nr 4). Auch hier wird damit auf die Notwendigkeit der
Aufwendungen abgestellt. Die steuerrechtlichen Sätze finden nicht nur auf bestimmte
Personengruppen Anwendung, sondern werden bezogen auf alle Erwerbstätigen und
unabhängig von deren Art der Erwerbstätigkeit und beruflichem Status als notwendige
Beträge für Verpflegungsmehraufwendungen angesehen.
32 cc) Ist die Verordnungsregelung des § 6 Abs 3 Alg II-V für die Zeit nach deren Inkrafttreten
am 1.1.2008 demnach nur unter Berücksichtigung einer Öffnungsklausel anwendbar,
können Mehraufwendungen für Verpflegung unter Berücksichtigung des Maßstabs des §
11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB II abgesetzt werden. Auch wenn von den SGB II-
Leistungsberechtigten eine vernünftige Wirtschaftsführung erwartet werden muss (vgl zur
Alhi: BSGE 45, 60, 62 = SozR 4100 § 138 Nr 2; BSG SozR 4100 § 138 Nr 27), kann dabei
- wie der vorliegende Sachverhalt zeigt - nicht regelhaft unterstellt werden, dass die
arbeitsvertraglichen Bedingungen die Inanspruchnahme einer preisgünstigen Kantine
oder ähnlichen Einrichtung ermöglichen. Die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit von SGB II-
Aufstockern (§ 1 Abs 1 S 4 Nr 2 SGB II), die der Verordnungsgeber im Blick haben muss,
dürfte bei längerer berufsbedingter Abwesenheit aber auch die Einnahme von warmen
Mahlzeiten erfordern.
33 Da andererseits dem Begriff der Notwendigkeit innewohnt, dass extrem hohe und damit
nicht nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se nicht notwendige
Aufwendungen nicht durch den Steuerzahler zu finanzieren sind, wird die Absetzbarkeit
der tatsächlichen und notwendigen Verpflegungsmehraufwendungen durch die
Tagessätze des § 6 BRKG iVm § 4 Abs 5 EStG im Sinne eines Höchstbetrags begrenzt.
Diese Pauschbeträge (6 Euro bei weniger als 14-stündiger, aber mindestens
achtstündiger Abwesenheit; 12 Euro bei weniger als 24-stündiger, aber mehr als 14-
stündiger Abwesenheit; 24 Euro bei ganztägiger Abwesenheit) bilden die Obergrenze für
nachgewiesene Verpflegungsmehraufwendungen. Für den streitigen Zeitraum bis zum
31.12.2007 gilt dies uneingeschränkt. Für die Zeit ab Inkrafttreten des § 6 Abs 3 Alg II-V
am 1.1.2008 sind die Obergrenzen des BRKG für die allein absetzbaren tatsächlichen
Verpflegungsaufwendungen bei über zwölfstündiger Abwesenheit anwendbar.
34 dd) Neben den tatsächlichen und notwendigen Verpflegungsmehraufwendungen sind ggf
auch sonstige notwendige und tatsächliche Aufwendungen der Fernfahrertätigkeit, etwa
Übernachtungs- und Reisenebenkosten (vgl zB Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Finanzgerichts vom 27.9.2012 - 5 K 99/12 - juris RdNr 8 zur Schätzung für Duschen- und
Toilettenbenutzung sowie die Reinigung der Schlafgelegenheit in Höhe von 5 Euro je
Tag), ergänzend im Rahmen des § 11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB II absetzfähig. Insofern fehlen
auch Feststellungen dazu, ob dem Kläger zu 2 die Kosten für Park- und Mautgebühren
sowie weitere, ggf mit der Auftragserfüllung verbundene Aufwendungen vom Arbeitgeber
erstattet worden sind (§ 670 BGB) und eine Absetzbarkeit dieser Beträge eventuell aus
diesem Grund ausscheidet.
35 Soweit der Kläger zu 2 neben den als Pauschbeträgen nach § 11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB II
iVm § 6 Abs 1 Nr 1 und Nr 2 Buchst a und b Alg II-V bereits berücksichtigten
Absetzbeträgen für die Versicherungspauschale (30 Euro), die allgemeinen
Werbungskosten (15,33 Euro) und die Fahrkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
(40 Euro) sowie ggf seine private Rentenversicherung (§ 11 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB II) nach
Maßgabe der obigen Ausführungen weitere mit der Erzielung des Einkommens
verbundene notwendige Aufwendungen iS des § 11 Abs 2 S 1 Nr 5 SGB II nachweist,
greift die in § 11 Abs 2 S 2 SGB II nur für den Regelfall vorgesehene Begrenzung der
Absetzbeträge nach § 11 Abs 2 S 1 Nr 3 bis 5 SGB II auf einen Betrag von 100 Euro nicht
ein (§ 11 Abs 2 S 3 SGB II). Ggf ist noch zu prüfen, ob und inwieweit die private
Rentenversicherung der Klägerin zu 1 von deren verbleibendem Einkommen abzusetzen
ist.
36 Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.