Urteil des BSG vom 30.03.2000

BSG: ungarn, soziale sicherheit, bulgarien, ausländischer staat, datum, zugehörigkeit, abkommen, freiheitsentziehung, altersrente, anerkennung

Bundessozialgericht
Urteil vom 30.03.2000
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Bundessozialgericht B 12 RJ 3/99 R
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Juli 1999 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Streitig sind die Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge, die Anerkennung von Beitragszeiten und
Altersrente.
Die am 14. Oktober 1927 in Sofia/Bulgarien geborene Klägerin lebt seit 1949 in Israel und ist israelische
Staatsangehörige. Sie beantragte im Oktober 1995 bei der beklagten Landesversicherungsanstalt die Zulassung zur
Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach dem Zusatzabkommen (ZAbk) zu dem Abkommen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (Abk Israel SozSich) iVm § 17a des
Fremdrentengesetzes (FRG) idF des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) und die Zahlung von Altersrente. Sie
gab an, von Geburt an ungarische Staatsangehörige gewesen zu sein. Sie habe bis 1928 in Sofia gelebt, von 1928 bis
1931 in Budapest/Ungarn, von 1931 bis 1943 wieder in Sofia und von 1943 bis 1944 sowie in der Zeit nach der
Verfolgung von 1945 bis 1949 in Budapest. Sie legte eine Bescheinigung der Rentenversicherungsdirektion der
Hauptstadt und des Komitats Pest/Budapest vor, wonach für sie Zeiten zur Rentenversicherung zwischen Mai 1944
und November 1947 gemeldet sind. Auf Veranlassung der Beklagten führte das Finanzministerium in Tel Aviv am 14.
Juli 1996 eine Sprachprüfung durch, die zu dem Ergebnis kam, daß die Klägerin ohne zeitliche Einschränkung dem
deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) zuzurechnen sei. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 4.
Dezember 1996 und Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 1997 ab. Die Klägerin sei nach dem ZAbk zum Abk Israel
SozSich nicht berechtigt, Beiträge nachzuentrichten, weil sie zum Zeitpunkt, als sich der nationalsozialistische
Einflußbereich auf Bulgarien und Ungarn erstreckt habe, dem 6. April 1941, noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet
hatte. Da somit keine anrechenbaren Versicherungszeiten zurückgelegt worden seien, sei ein Rentenanspruch nicht
gegeben.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9. Juni 1998). Vor dem Landessozialgericht (LSG) hat
die Klägerin nach den Gründen des Berufungsurteils beantragt, das Urteil des SG sowie Bescheid und
Widerspruchsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Anrechnung von Fremdrentenzeiten und
unter Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge Altersrente zu gewähren. Das LSG hat die Berufung
zurückgewiesen (Urteil vom 19. Juli 1999). Eine Anrechnung der in Ungarn ab Mai 1944 zur Rentenversicherung
gemeldeten Zeiten und die Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge scheitere daran, daß die Klägerin im
Zeitpunkt, als sich der nationalsozialistische Einflußbereich auf Bulgarien und Ungarn erstreckt habe, noch nicht das
16. Lebensjahr vollendet hatte. Der nationalsozialistische Einflußbereich habe sich bereits am 6. April 1941 auf beide
Staaten erstreckt. Dieses Datum, das nach § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) bei
den von den Regierungen der Staaten Bulgarien und Ungarn aus Gründen der Rasse vorgenommenen
Freiheitsentziehungen als Zeitpunkt für den Beginn der deutschen Veranlassung gilt, sei auch im Rahmen des ZAbk
zum Abk Israel SozSich zugrunde zu legen. Es genüge nicht, daß die Klägerin das 16. Lebensjahr während des
Bestehens des nationalsozialistischen Einflusses vollendet habe.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 17a FRG und des Art 1 des ZAbk zum Abk Israel SozSich.
Die Vorschriften ließen sich dahin auslegen, daß es ausreiche, wenn das 16. Lebensjahr während der
Verfolgungssituation vollendet worden sei. Auch bei diesen Personen sei ein Schaden in der Sozialversicherung
eingetreten, weil sie während der Verfolgungszeit ihre berufliche Entwicklung nicht hätten beginnen können. Es sei
daher folgerichtig, die Vorschriften auf diesen Sachverhalt zu erstrecken. Dies entspreche der bisherigen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Entschädigungsrecht. Außerdem könne die
nationalsozialistische Einflußnahme auf Ungarn erst mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Ungarn am 19. März
1944 angenommen werden, wie dies bei anderen Gebieten, zB Danzig und dem Memelgebiet geschehen sei. Ungarn
sei bis zur Besetzung durch deutsche Truppen ein in seiner Judenpolitik selbständiger Staat gewesen. Dies sei in der
Rechtsprechung der Zivilgerichte anerkannt. Auch die Beklagte sei bei der Anerkennung von Ersatzzeiten hiervon
ausgegangen. Eine entsprechende Anwendung des § 43 BEG im Rahmen des § 17a FRG und des ZAbk sei wegen
der unterschiedlichen Regelungsinhalte der Vorschriften ausgeschlossen. In der mündlichen Verhandlung hat der
Unterbevollmächtigte der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin erklärt: Soweit in dem folgenden Antrag die
Anrechnung von Versicherungszeiten erwähnt werde, sei das nur als Begründung für das Nachentrichtungsbegehren
zu verstehen und nicht als eigener Streitgegenstand.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LSG vom 19. Juli 1999, das Urteil des SG vom 9. Juni 1998 und den Bescheid
der Beklagten vom 4. Dezember 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 1997 aufzuheben sowie
die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin unter Anrechnung von in Ungarn zurückgelegten Fremdbeitragszeiten und
unter Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge Altersrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend verweist sie auf das inzwischen ergangene Urteil
des BSG vom 25. November 1999 - B 13 RJ 63/98 R.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat das klageabweisende Urteil des SG zu Recht bestätigt. Der
angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Der Klägerin steht insbesondere das Nachentrichtungsrecht nicht zu.
1. Durch Art 1 des ZAbk vom 12. Februar 1995 zum Abk Israel SozSich vom 17. Dezember 1973 (BGBl 1996 II 299)
ist dem Schlußprotokoll zu diesem Abkommen (Schlußprot Abk Israel SozSich) eine Nr 11 angefügt worden, wonach
israelische Staatsangehörige auf Antrag freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung nachentrichten können, wenn sie
bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt
hat, dem dSK angehört haben, das 16. Lebensjahr bereits vollendet und sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum
Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten und sie die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs 2 Nr 3 des
Bundesvertriebenengesetzes ((BVFG); ua Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien) verlassen haben. Dieses
Nachentrichtungsrecht ergänzt die Anrechnung von Zeiten nach dem zum 1. Juli 1990 durch das RRG 1992 vom 18.
Dezember 1989 (BGBl I 2261) in das FRG eingefügten § 17a. Es besteht nur, sofern durch die Anwendung des § 17a
FRG erstmals Beitragszeiten oder Beschäftigungszeiten nach dem FRG zu berücksichtigen sind (Nr 11 Buchst a
Satz 1 Schlußprot Abk Israel SozSich), und ist höchstens in dem Umfang zulässig, wie es zur Zahlbarmachung der
Rente aus diesen Zeiten ins Ausland erforderlich ist (Nr 11 Buchst b Schlußprot Abk Israel SozSich). Der zur
Nachentrichtung berechtigte Personenkreis ist jedoch enger als der von § 17a FRG begünstigte. Nach § 17a Buchst a
FRG in der rückwirkend zum 1. Juli 1990 durch Art 14 des Rentenüberleitungsgesetzes vom 25. Juli 1991 (BGBl I
1606) ergänzten Fassung werden Beitrags- oder Beschäftigungszeiten von Personen in das FRG einbezogen, die bis
zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat,
dem dSK angehört haben (Nr 1), das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten "oder im Zeitpunkt des Verlassens des
Vertreibungsgebietes dem dSK angehört haben" (Nr 2) und sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum
deutschen Volkstum bekannt hatten (Nr 3), wenn sie die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG verlassen
haben. Ob die Klägerin die Voraussetzungen der zweiten Alternative des § 17a Buchst a Nr 2 FRG (Zugehörigkeit
zum dSK im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebiets) erfüllt und für sie nach § 17a Buchst a iVm § 15 FRG
in Budapest zurückgelegte Fremdbeitragszeiten anzurechnen sind, ist nicht festgestellt. Das ist jedoch für das
Nachentrichtungsrecht der Klägerin nach Nr 11 Buchst a Satz 1 Schlußprot Abk Israel SozSich unerheblich. Denn
dieses ist nur Personen eröffnet, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einfluß auf ihr
Heimatgebiet erstreckte, das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten. Daran fehlt es bei der Klägerin.
Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob Heimatgebiet der Klägerin iS dieser Vorschrift Bulgarien oder Ungarn ist. Als
Zeitpunkt, von dem an sich der nationalsozialistische Einflußbereich iS der Nr 11 Schlußprot Abk Israel SozSich auf
Bulgarien und auf Ungarn erstreckte, ist der 6. April 1941 zugrunde zu legen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die am 14.
Oktober 1927 geborene Klägerin ihr 16. Lebensjahr noch nicht vollendet.
2. Maßgebender Stichtag für die Vollendung des 16. Lebensjahres iS der genannten Bestimmung ist der Beginn des
nationalsozialistischen Einflusses auf das jeweilige Heimatgebiet. Es genügt entgegen der Ansicht der Revision nicht,
wenn das 16. Lebensjahr erst während der Zeit des nationalsozialistischen Einflusses vollendet wird. Dies hat der 13.
Senat des BSG bereits zu § 17a Buchst a Nr 2 erste Alternative FRG für einen Sachverhalt entschieden, bei dem
feststand, daß die zweite Alternative der Vorschrift (Zugehörigkeit zum dSK im Zeitpunkt des Verlassens des
Vertreibungsgebietes) nicht vorlag (Urteil vom 25. November 1999 - B 13 RJ 63/98 R, zur Veröffentlichung in SozR
vorgesehen). Für Nr 11 Buchst a Satz 1 Schlußprot Abk Israel SozSich gilt nichts anderes. Die Vorschrift, nach der
nur Personen erfaßt werden, "die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einfluß sich auf ihr
jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat, das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten", ist eindeutig. Dieses Alter mußte
"bereits" zu dem näher bezeichneten "Zeitpunkt" vollendet sein. Die Regelung stimmt mit der
Nachentrichtungsvorschrift überein, die parallel zu dem ZAbk zum Abk Israel SozSich in Art 1 Abs 7 des Zweiten
ZAbk vom 6. März 1995 zum Abkommen vom 7. Januar 1976 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den
Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit (2. ZAbk zum Abk USA SozSich; BGBl 1996 II 302)
getroffen worden ist. Beide Bestimmungen sind insoweit bewußt abweichend von § 17a FRG gefaßt worden, weil
diejenigen, die bei Beginn des nationalsozialistischen Einflusses noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet hatten, im
Hinblick auf ihr jüngeres Alter in der Lage waren, im neuen Wohnland Rentenanwartschaften aufzubauen (vgl
Denkschriften zu den Zusatzabkommen, BT-Drucks 13/1809 S 9 und 13/1811 S 13 jeweils unter I). Angesichts des
klaren Wortlauts und des hiermit übereinstimmenden Willens der vertragsschließenden Staaten ist die von der
Revision angestrebte erweiternde Auslegung der Nr 11 Buchst a Satz 1 Schlußprot Abk Israel SozSich
ausgeschlossen. Sie ist keine "eben noch mögliche Lösung" iS der von der Revision herangezogenen Entscheidung
des BSG vom 16. September 1960 - 1 RA 38/60 (BSGE 13, 67, 71 = SozR Nr 4 zu § 1248 RVO), um
nationalsozialistisches Unrecht soweit wie möglich auszugleichen.
3. Als Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflußbereich auf Bulgarien und auf Ungarn erstreckte, ist der
6. April 1941 anzunehmen. Dieses Datum hat der 13. Senat des BSG der Anwendung des § 17a Buchst a Nr 2 erste
Alternative FRG zugrunde gelegt (Urteil vom 25. November 1999 - B 13 RJ 63/98 R). Der erkennende 12. Senat
schließt sich dieser Entscheidung für den Anwendungsbereich der Nr 11 Buchst a Satz 1 Schlußprot Abk Israel
SozSich an. Das Datum ist § 43 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 BEG idF des BEG-Schlußgesetzes (BEG-SchlußG) vom
14. September 1965 (BGBl I 1315) entnommen. Nach dieser Vorschrift haben Verfolgte Anspruch auf Entschädigung,
wenn ein ausländischer Staat unter Mißachtung rechtsstaatlicher Grundsätze die Freiheit entzogen hat und die
Regierung des ausländischen Staates von der nationalsozialistischen Regierung zu der Freiheitsentziehung veranlaßt
worden ist; als Zeitpunkt für den Beginn der deutschen Veranlassung gilt bei den von den Regierungen Bulgariens und
Ungarns aus rassischen Gründen vorgenommenen Freiheitsentziehungen der 6. April 1941. Die Fassung der
Abkommensregelung der Nr 11 Buchst a Schlußprot Abk Israel SozSich gibt keinen Anhalt dafür, daß ein anderes
Datum, für Ungarn insbesondere erst der Zeitpunkt des Einmarsches deutscher Truppen in Ungarn am 19. März 1944,
wie von der Revision angestrebt, zugrunde zu legen ist. Gleiches gilt für die Parallelregelung in Art 1 Abs 7 des 2.
ZAbk zum Abk USA SozSich.
Die Abkommensvorschriften legen das Datum, von dem an in den einzelnen Vertreibungsgebieten von einem
nationalsozialistischen Einfluß auszugehen ist, nicht fest. Sie enthalten auch keinen Hinweis darauf, daß es auf einen
unmittelbaren Einfluß des nationalsozialistischen deutschen Staates iS einer Abhängigkeit, sei es auf Grund
militärischer Okkupation des jeweiligen Heimatgebietes oder direkter Übernahme der politischen Macht ankommen
soll. Für das Lastenausgleichsrecht bestimmt § 1 Abs 2 Satz 1 der Elften Verordnung über Ausgleichsleistungen nach
dem Lastenausgleichsgesetz vom 18. Dezember 1956 (BGBl I 932), zuletzt geändert durch Verordnung vom 4. Juni
1970 (BGBl I 681, 1221), den Zeitpunkt der jeweiligen Einbeziehung in den "unmittelbaren" Einflußbereich der
deutschen Staatsführung als Beginn der Verfolgungszeit in den Vertreibungsgebieten außerhalb des Deutschen
Reichs nach dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937. Dem Wort unmittelbar sollte nach dem Willen des
Gesetzgebers eine den "Einflußbereich" einengende Bedeutung zukommen (vgl BVerwGE 20, 182, 184; BVerwGE 29,
122 ff mwN). Ein solcher Zusatz findet sich in den Abkommensregelungen nicht.
Eine weitergehende inhaltliche Beschränkung des "nationalsozialistischen Einflußbereichs" ergibt sich auch nicht aus
Sinn und Zweck der Abkommensregelungen und der Bedeutung, die dem "nationalsozialistischen Einflußbereich" in
diesem Zusammenhang zukommt. Sie haben das Ziel, die deutschsprachigen Juden, die aus den osteuropäischen
Staaten nach Israel oder in die USA ausgewandert sind und wegen des fehlenden Bekenntnisses zum deutschen
Volkstum nicht als Aussiedler anerkannt werden und damit auch nicht die Leistungen nach dem FRG erhielten, den
deutschstämmigen Aussiedlern gleichzustellen (vgl Denkschriften zu den Zusatzabkommen, BT-Drucks 13/1809 S 9
und 13/1811 S 13, jeweils unter I). Die Vorschriften machen die Gleichstellung nicht von einem individuellen
Verfolgungsschicksal abhängig. Vielmehr dient der Beginn der nationalsozialistischen Einflußnahme auf das jeweilige
Heimatgebiet als Abgrenzungsmerkmal für den in die Gleichstellung einbezogenen Personenkreis; dieser Zeitpunkt ist
für die Zugehörigkeit zum dSK, die Vollendung des 16. Lebensjahres und das Bekenntnis zum Judentum maßgebend.
Die Abgrenzung kann sich, da eine individuelle Betroffenheit nicht erforderlich ist, nur aus dem Beginn allgemeiner
Verfolgungsmaßnahmen durch den Nationalsozialismus in dem jeweiligen Gebiet ergeben (vgl Denkschriften, aaO).
Mit diesem weiten Verständnis des nationalsozialistischen Einflußbereichs in den Abkommensregelungen ist es nicht
vereinbar, als Beginn des Einflusses in Ungarn erst den 19. März 1944 anzunehmen. Es handelt sich hierbei um den
Zeitpunkt, ab dem nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte zum BEG die Verfolgungsmaßnahmen durch den
nunmehr dem deutschen Herrschaftsbereich einverleibten ungarischen Staat im Regelfall als deutsche
nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen anzusehen sind, für die nach den §§ 1, 2 und § 43 Abs 1 Satz 1 BEG
einzustehen ist (vgl BGH RzW 1976, 214, 215 mwN). Der "nationalsozialistische Einflußbereich" erfordert jedoch
offensichtlich weniger an nationalsozialistischer Einflußnahme als unmittelbar dem deutschen Staat zurechenbare
nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen. Es bietet sich daher an, auf den Zeitpunkt abzustellen, ab dem das Gesetz
die Verfolgungsmaßnahmen noch selbständig handelnder Staaten dem deutschen Einflußbereich zuschreibt. Das ist
für Verfolgungsmaßnahmen des bulgarischen als auch des ungarischen Staates nach § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2
Halbsatz 2 BEG der 6. April 1941.
Der Anwendung dieses Datums im Abkommensrecht steht nicht entgegen, das es innerstaatlichem Recht entnommen
ist. Die Beurteilung des Beginns der allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen iS der Abkommensvorschriften einerseits
und der deutschen Veranlassung iS des § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 BEG andererseits knüpft an historische Tatsachen an
und kann hiervon ausgehend grundsätzlich nur einheitlich beantwortet werden. Die Abkommensregelungen dienen
außerdem ausschließlich dazu, die Renten aus den nach innerstaatlichem Recht (§ 17a FRG) anzuerkennenden
Fremdrentenzeiten ins Ausland zahlbar zu machen. Sie grenzen den nach dem Abkommen zur Nachentrichtung
berechtigten Personenkreis ausdrücklich unter Bezugnahme auf das innerstaatliche Recht ein, indem die
Nachentrichtung nur für Personen zugelassen wird, sofern für sie nach § 17a FRG Beitrags- oder
Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind. Der Kreis der nach den Abkommen Berechtigten kann daher jedenfalls
nicht weiter sein, als der innerstaatlich begünstigte. Die Übernahme der Stichtagsregelung des § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2
Halbsatz 2 BEG in die Regelung des § 17a FRG ist, wie schon der 13. Senat des BSG entschieden hat, aus Gründen
des inneren Zusammenhangs dieser Vorschrift mit dem Entschädigungsrecht und zur Wahrung von Rechtseinheit,
Rechtsklarheit und Rechtssicherheit geboten (Urteil vom 25. November 1999 - B 13 RJ 63/98 R, S 9 ff des
Umdrucks). Die von der Revision hiergegen vorgebrachten Bedenken überzeugen nicht.
Es trifft allerdings zu, daß der Anspruch auf Entschädigung nach § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 BEG ein individuelles
Verfolgungsschicksal voraussetzt. Dem Betroffenen muß durch einen ausländischen Staat auf deutsche
Veranlassung hin die Freiheit entzogen worden sein. Das steht jedoch der Annahme nicht entgegen, es handele sich
bei dem in Halbsatz 2 der Vorschrift geregelten Stichtag für den Beginn der deutschen Veranlassung um den Beginn
der allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen in den Vertreibungsgebieten. Für Bulgarien und Ungarn hat der durch das
BEG-SchlußG in § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 BEG rückwirkend zum 1. Oktober 1953 eingefügte Halbsatz 2 die
Einzelfallprüfung der deutschen Veranlassung durch ein festes Datum ersetzt. Im Rahmen dieser Vorschrift gilt
nunmehr jede Freiheitsentziehung aus Gründen der Rasse durch diese Staaten ab dem 6. April 1941 als auf
nationalsozialistische deutsche Veranlassung hin geschehen (vgl BGH RzW 1967, 78). Der Anspruch auf
Entschädigung nach § 43 BEG erfordert zwar weiterhin ein individuelles Verfolgungsschicksal in Gestalt einer
Freiheitsentziehung aus rassischen Gründen. Hinsichtlich der deutschen Veranlassung ist jedoch der Beginn der
allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen auf nationalsozialistische Veranlassung maßgebend.
Die Auffassung der Revision trifft nicht zu, mit § 17a FRG (und auch mit Nr 11 Buchst a Satz 1 Schlußprot Abk
Israel) sei in bewußter Abkehr vom BEG ein alternativer Verfolgungssachverhalt geschaffen worden, der eine
eigenständige Interpretation verlange, die sich nicht an den Grundsätzen des BEG ausrichte. Soweit § 17a FRG
überhaupt an eine Verfolgung anknüpft, ist es, wie die Revision insoweit zutreffend ausführt, "das allgemeine
Schicksal der jüdischen Bevölkerung als Gruppenverfolgte" in den Vertreibungsgebieten. Auf dieses allgemeine
Schicksal nimmt auch § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Halbsatz 2 BEG Bezug, wenn er als Beginn der durch den deutschen
Nationalsozialismus veranlaßten Judenverfolgung in Bulgarien und Ungarn generell den 6. April 1941 bestimmt. § 17a
FRG knüpft also an denselben generellen Sachverhalt an wie § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Halbsatz 2 BEG.
Der Hinweis der Revision, daß der Gesetzgeber mit § 43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Halbsatz 2 BEG eine Regelung zugunsten
der Verfolgten treffen wollte (vgl BT-Drucks IV/1550 S 27 zu Nr 22), sich dieser Stichtag im Rahmen des § 17a FRG
aber als Beschränkung des anspruchsberechtigten Personenkreises auswirkt, ist für Personen wie die Klägerin, die
das 16. Lebensjahr erst ab dem Stichtag vollendet haben, zutreffend. Andererseits wirkt sich der Stichtag jedoch bei
Personen, die das 16. Lebensjahr vorher vollendet haben, jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang günstig aus.
Denn die Versicherungsträger gehen bei diesen Personen davon aus, daß eine etwaige frühere Erstreckung des
nationalsozialistischen Einflußbereichs auf das Heimatgebiet nicht mehr geprüft wird und damit unschädlich ist.
Insgesamt rechtfertigt das mit der Stichtagsregelung ebenfalls verfolgte Ziel einer einheitlichen Behandlung der Fälle
(vgl BT-Drucks IV/1550 S 27 zu Nr 22) ihre Anwendung auch im Rahmen des § 17a FRG. Die Rechtsprechung zu §
43 Abs 1 Satz 2 Nr 2 BEG vor Inkrafttreten des BEG-SchlußG hat gezeigt, daß letzte Klarheit über den Beginn des
nationalsozialistischen Einflußbereichs und der deutschen Veranlassung insbesondere in Ungarn nicht zu gewinnen
ist (vgl für eine deutsche Veranlassung vor der deutschen Besetzung: OLG Köln RzW 1958, 364; LG Darmstadt RzW
1960, 170; OLG Köln RzW 1960, 382; dagegen: LG Stuttgart RzW 1958, 363; OLG Stuttgart, zitiert nach BGH RzW
1958, 70; OLG Koblenz, zitiert nach BGH RzW 1959, 125). Die historischen Gegebenheiten können unterschiedlich
bewertet werden. Wenn der Gesetzgeber schon für den Anwendungsbereich des § 43 BEG, für den eine individuelle
Verfolgung mit Freiheitsentziehung erforderlich ist, die Schwierigkeiten durch eine Stichtagsregelung ausgeräumt hat,
so muß dieser Stichtag erst recht im Rahmen des § 17a FRG gelten, dessen Anwendung nur eine allgemeine
Ausdehnung des nationalsozialistischen Einflußbereichs voraussetzt.
4. Über die Anerkennung von Zeiten nach § 17a FRG war im vorliegenden Rechtsstreit nicht selbständig zu
entscheiden. Nach der erwähnten Erklärung des Unterbevollmächtigten der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin in
der mündlichen Verhandlung ist die im Antrag erwähnte Anrechnung von Zeiten nur als Begründung für das
Nachentrichtungsbegehren zu verstehen. Dieses scheitert jedoch schon aus den unter 2. und 3. genannten Gründen.
Das beantragte Altersruhegeld steht der Klägerin nicht zu, weil anrechenbare Versicherungszeiten bisher nicht
festgestellt sind und die Klägerin dieses im vorliegenden Rechtsstreit auch nicht begehrt.
Die Revision war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.