Urteil des BSG vom 03.08.1999

BSG: verwaltungsakt, leistungsklage, nationale sicherheit, ddr, halle, altersrente, höchstbetrag, verwaltungsverfahren, klagebegehren, anfechtungsklage

Bundessozialgericht
Urteil vom 03.08.1999
Sozialgericht Halle (Saale)
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Bundessozialgericht B 4 RA 29/99 R
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 24. November 1993 wird
auch zurückgewiesen, soweit sie darauf gerichtet ist, die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Januar 1992 den
bestandsgeschützten Betrag von 3.522,- DM dynamisiert zu zahlen. Die Beklagte hat dem Kläger ein Drittel der
außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe:
I
Bei Abschluß des Revisionsverfahrens war nur noch darüber zu entscheiden, ob der Zahlbetrag von 3.522,- DM ab 1.
Januar 1992 als Monatsbetrag der SGB VI-Regelaltersrente festzusetzen und zu dynamisieren ist.
Der 1924 geborene Kläger war ordentlicher Professor für Informationsverarbeitung in der Landwirtschaft an der M. -L. -
U. in H. -W ... Seit Oktober 1989 bezog er eine Altersrente aus der Sozialpflichtversicherung (zuletzt: 602 Mark der
DDR); ferner erhielt er eine Zusatzaltersrente aus der Altersversorgung der Intelligenz (AVI) von 2.190,- Mark der
DDR. Der Gesamtanspruch wurde ab 1. Juli 1990 auf 2.792,- DM aufgewertet. Bei diesem Betrag blieb es auch nach
Anwendung der 1. und der 2. Rentenanpassungsverordnung, bis der beklagte Rentenversicherungsträger ihn zum 1.
August 1991 auf 2.010,- DM kürzte. Zum 31. Dezember 1991 wurde die Zusatzaltersrente in die Rentenversicherung
des Beitrittsgebiets überführt; der Gesamtanspruch der Altersrente aus der Sozialpflichtversicherung erhöhte sich
entsprechend auf den Wert des bisherigen Gesamtanspruchs. Zum 1. Januar 1992 wurde dem Kläger stattdessen ein
Recht auf Regelaltersrente nach dem SGB VI gewährt; dessen Wert wurde zunächst im pauschalen Verfahren nach §
307b Abs 5 SGB VI ermittelt; als weiterzuzahlender Betrag wurden 2.010,- DM festgesetzt.
Der Kläger hat gegen die Entscheidungen, seinen Gesamtanspruch nach den beiden Rentenanpassungsverordnungen
nicht zu erhöhen, Klage erhoben und deren Aufhebung sowie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer
angepaßten Sozialpflichtversicherungsrente und einer entsprechend dynamisierten Rente aus der Zusatzversorgung
für die Zeit von Juli 1990 bis einschließlich Juli 1991 begehrt. Das Sozialgericht (SG) Halle hat die Klage abgewiesen.
Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte den Kürzungsbescheid zum 1. August 1991 zurückgenommen,
soweit der Gesamtzahlbetrag auf 2.010,- DM begrenzt worden war; ferner hat sie verfügt, ab 1. August 1991 betrage
der Gesamtanspruch 2.700,- DM. Vor dem Berufungsgericht hat die Beklagte in einem vom Kläger angenommenen
Teilanerkenntnis erklärt, ihm stehe für die Zeit von September 1990 bis einschließlich Juli 1991 eine Rente in Höhe
von 3.522,- DM (abzüglich bereits erbrachter Leistungen) zu. Vor dem Berufungsgericht hat der Kläger beantragt, das
Urteil des SG aufzuheben, die Entscheidungen der Beklagten nach den Rentenanpassungsverordnungen sowie die
Kürzung des Gesamtanspruches auf 2.700,- DM abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 1. Januar 1991
an auch den Zusatzversorgungsbetrag nach den allgemeinen Rentenanpassungsregeln zu erhöhen und zu zahlen.
Das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab Januar 1992 "einen an der
Bruttobestandsrente von 2.884,68 DM ausgerichteten Rentenzahlbetrag zu gewähren"; im übrigen hat es die Berufung
zurück- und die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden
Senat am 14. Juni 1995 hat er im wesentlichen beantragt, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die
Entscheidungen der Beklagten nach der 1. und der 2. Rentenanpassungsverordnung sowie die Kürzungsentscheidung
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, 3.522,- DM ungekürzt und dynamisiert zu zahlen.
Der Senat hat die Revision durch Teilurteil vom 14. Juni 1995 zurückgewiesen, soweit die Berufung die
Entscheidungen der Beklagten nach der 1. und 2. Rentenanpassungsverordnung betraf; im übrigen, dh hinsichtlich der
Kürzung des Gesamtanspruchs zum 1. August 1991 auf (im Ergebnis) 2.700,- DM, hat der Senat das Verfahren
ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorgelegt, ob § 10 Abs 1 Satz 2 des Anspruchs-
und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) mit Art 14 Abs 1 und 20 Abs 1 GG vereinbar ist. Das BVerfG hat
diese Frage in einer anderen vom Senat vorgelegten, vergleichbaren Sache durch Urteil vom 28. April 1999
dahingehend beantwortet, daß § 10 Abs 1 Satz 2 AAÜG gegen Art 14 Abs 1 GG verstößt und nichtig ist (1 BvL 32/95
und 1 BvR 2105/95, Rechtssache "M. "). In der mündlichen Verhandlung vom 3. August 1999 hat der erkennende
Senat seinen Vorlagebeschluß vom 14. Juni 1995 deswegen aufgehoben.
In diesem Termin hat die Beklagte die Kürzung des Wertes des Gesamtanspruches ab 1. August 1991 auf 2.700,- DM
aufgehoben und anerkannt, daß sich der Wert des Gesamtanspruchs vor Erlaß des Kürzungsbescheides auf 3.522,-
DM belief und daß es sich hierbei um den zahlbetragsgeschützten Wert gehandelt habe. Diesen Erklärungen hat der
Kläger zugestimmt und sie angenommen.
Der Kläger meint, aus der Entscheidung des BVerfG ergebe sich ausdrücklich, daß der bestandsgeschützte Wert, der
höher sei als der nach den Vorschriften des SGB VI ermittelte Wert der Regelaltersrente für Januar 1992, ab diesem
Monat zu dynamisieren sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 24. November 1993 und des
Sozialgerichts Halle vom 21. Oktober 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm den durch die
Zahlbetragsgarantie geschützten Zahlbetrag von 3.522,- DM ab 1. Januar 1992 nach den Grundsätzen der
gesetzlichen Rentenpflichtversicherung (Rentenanpassungsverordnungen) zu dynamisieren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hat während des Revisionsverfahrens mit Bescheid vom 22. Juni 1998 den Wert der SGB VI-Regelaltersrente
aufgrund des individuellen Versicherungsverlaufs des Klägers gemäß § 307b Abs 1 bis 3 SGB VI festgestellt und über
den Nachzahlungsanspruch für Bezugszeiträume seit Juli 1990 entschieden. Ferner hat sie durch Bescheid vom 26.
Juli 1999 den Wert des Gesamtanspruchs des Klägers ab August 1991 und die Höhe des anstelle des SGB VI-
Rentenwerts ab Januar 1992 zustehenden weiterzuzahlenden Betrages vorläufig neu bestimmt und unter Abzug
erbrachter Leistungen einen sich hieraus ergebenden Nachzahlungsanspruch in Höhe von 62.607,36 DM zuerkannt.
Schließlich hat sie darin einen endgültigen Bescheid zur Rentenhöhe nach gesetzlicher Neuregelung in Aussicht
gestellt.
II
Die Revision des Klägers ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet, weil seine Klage auf "Dynamisierung" des
durch die Zahlbetragsgarantie des Einigungsvertrages (EinigVtr) geschützten Wertes des früheren Gesamtanspruchs
von 3.522,- DM ab Januar 1992 unzulässig ist.
Zwar ist dem für das Gericht maßgeblichen (§ 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) Begehren des Klägers in allen
Instanzen zu entnehmen, daß er die Verurteilung der Beklagten nicht nur zur Weiterzahlung von 3.522,- DM
angestrebt, sondern stets auch die Anhebung dieses Betrages gemäß den Rentenanpassungsverordnungen verlangt
hat. Für dieses Begehren stand ihm aber bis zum Abschluß des Berufungsverfahrens weder eine kombinierte
Anfechtungs- und Leistungsklage iS von § 54 Abs 4 SGG noch eine reine Leistungsklage nach Abs 5 aaO offen.
Denn die nach dem Gesetz vorgreifliche Verwaltungsentscheidung ist erst während des Revisionsverfahrens ergangen
und gemäß § 171 Abs 2 SGG nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden.
Gemäß § 54 Abs 4 SGG kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts (Anfechtungsklage)
gleichzeitig die Leistung verlangt werden (Leistungsklage), wenn der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung
betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht (sog kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage). Diese Klage ist für
das Dynamisierungsbegehren des Klägers nicht statthaft.
Dieses betrifft eine Leistung, auf die ihrer Art nach ein Rechtsanspruch besteht, weil der Rentenversicherungsträger
dann, wenn die Voraussetzungen der Dynamisierung vorliegen (dazu im einzelnen Senatsurteil vom 3. August 1999 -
B 4 RA 24/98 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen), kein Ermessen zusteht, sondern den zahlbetragsgeschützten
Wert als dynamisierbaren Monatsbetrag der Rente für Bezugszeiten nach dem 1. Januar 1992 so lange festsetzen
muß, bis der dynamisierte Wert der SGB VI-Rente ihn übersteigt. Darüber, ob dem Kläger ab Januar 1992 ein Recht
auf Zahlung des nach den allgemeinen Vorschriften dynamisierten zahlbetragsgeschützten Wertes statt des
dynamisierbaren Wertes seiner SGB VI-Regelaltersrente zustand, hatte die Beklagte jedoch bis zum Abschluß des
Berufungsverfahrens keine Verwaltungsentscheidung getroffen, die der Kläger mit der Anfechtungsklage hätte
angreifen können. Vielmehr hat die Beklagte erstmals mit dem während des Revisionsverfahrens ergangenen
Bescheid über die pauschale Festsetzung des SGB VI-Rentenwertes nach § 307b Abs 5 SGB VI vom 11. März 1994
eine Entscheidung zur Höhe aller Ansprüche getroffen, welche der Kläger - gleich aus welchen Rechtsgründen - gegen
sie haben könnte.
Eine Anfechtung dieser - inzwischen erledigten - Rentenwertfestsetzung auf pauschalierter Grundlage (§ 307b Abs 5
SGB VI) hätte aber ohnehin den Weg in eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage auf Dynamisierung eines
zahlbetragsgeschützten Wertes ab Januar 1992 nicht eröffnet. Denn diese Klage setzt notwendig voraus, daß
aufgrund der Ermittlung des individuellen Versicherungsverlaufs und insbesondere aufgrund der Feststellungen des
jeweils zuständigen Versorgungsträgers - ggf unter Einschaltung des Beauftragten der Bundesregierung für die
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (§ 8 Abs 1 Satz 6 und 7 AAÜG) - nicht nur der
konkrete Wert der nach den Erwerbsgründen des SGB VI berechneten SGB VI-Rente bekannt ist, sondern auch
feststeht, ob der offiziell bislang ausgewiesene Gesamtanspruch maßgeblich ist, oder aber ob nur der Höchstbetrag
des § 23 Abs 2 des Rentenangleichungsgesetzes der DDR (1.500,- DM Zusatzversorgungsrente zuzüglich
Sozialpflichtversicherungsrente oder nur 1.500,- DM Sonderversorgungsrente) oder aber die Höchstbetragsregelung
des Gesetzes über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes
für Nationale Sicherheit der DDR (Höchstbetrag 990,- DM) maßgeblich ist. Eine kombinierte Anfechtungs- und
Leistungsklage ist daher in Fällen der vorliegenden Art nur statthaft, wenn der Rentenversicherungsträger gem § 117
SGB VI durch schriftlichen Bescheid über den Wert der SGB VI-Rente aufgrund des individuellen
Versicherungsverlaufes und vor diesem Hintergrund über den nach § 307b Abs 3 SGB VI weiterzuzahlenden Betrag
(sowie über den Nachzahlungsanspruch) oder aber ausdrücklich über die Dynamisierung des zahlbetragsgeschützten
Wertes für Zeiten nach dem 1. Januar 1992 entschieden hat. Die Beklagte hat aber erst während des
Revisionsverfahrens mit dem Bescheid vom 22. Juni 1998 eine solche umfassende Entscheidung über die
Ansprüche, die der Kläger gegen sie hat, getroffen.
Auch die allgemeine Leistungsklage war nicht statthaft. Gem § 54 Abs 5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zur
Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen
hat. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor, weil ein Verwaltungsakt zu ergehen hat. Gemäß § 117 SGB VI
bedarf die Entscheidung über einen Anspruch auf Leistung der Schriftform. Schon hieraus ergibt sich zwingend, daß
der Rentenversicherungsträger über einen gegen ihn erhobenen Leistungsanspruch durch formgebundenen
Verwaltungsakt entscheiden, also zunächst ein Verwaltungsverfahren iS von § 8 SGB X durchführen muß. Ein
solches Verwaltungsverfahren ist in § 307b Abs 1 bis 3 SGB VI geregelt. Da ein Verwaltungsakt zu ergehen hatte,
war die allgemeine Leistungsklage nicht statthaft.
Der Kläger konnte sein Begehren vor Erlaß dieses Verwaltungsaktes auch nicht mit einer anderen Klageart
durchsetzen. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind besondere Verwaltungsgerichte (§ 1 SGG). Sie dürfen
Verwaltungshandeln - schon wegen der verfassungsrechtlichen Eigenständigkeit der vollziehenden Gewalt - nur auf
der Grundlage und in den Grenzen der ihnen prozeßgesetzlich eingeräumten Befugnisse überprüfen, soweit nicht
ausnahmsweise das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1 GG) oder grundrechtliche
Verfahrensgarantien weitergehenden Rechtsschutz gebieten. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Wie der Senat
bereits in seinem rechtskräftigen Teilurteil vom 14. Juni 1995 mit Bezug auf die pauschalierte Rentenwertfestsetzung
im Bescheid der Beklagten vom 11. März 1994 ausgeführt hat, ist der Kläger nicht etwa klaglos gestellt; vielmehr ist
jener Bescheid wie auch die individuelle Rentenfestsetzung vom 22. Juni 1998 in der Gestalt der vorläufigen Regelung
vom 26. Juli 1999 vor dem SG anhängig geworden. Denn gemäß § 171 Abs 2 SGG gilt ein neuer Verwaltungsakt, der
während des Revisionsverfahrens den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt, als mit der Klage beim
SG angefochten, es sei denn, daß der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt oder dem
Klagebegehren durch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum "ersten" Verwaltungsakt in vollem Umfang genügt
wird. Da die während des Revisionsverfahrens ergangenen Verwaltungsakte der Beklagten betreffend den Wert der
SGB VI-Altersrente, den Nachzahlungsanspruch, den weiterzuzahlenden Betrag und die Ablehnung zusätzlicher
Versorgung den Kläger nicht klaglos gestellt haben und eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Kürzung des
früheren Gesamtanspruchs auf 2.700,- DM weder dem Klagebegehren in vollem Umfang genügt hätte, noch vorliegend
überhaupt ergehen konnte, gelten also die genannten Verwaltungsakte als mit der Klage beim SG angefochten. Dies
war dem Kläger aufgrund des Teilurteils des Senats jedenfalls seit dem 14. Juni 1995 bekannt.
Demnach konnte die Revision des Klägers auch in dem noch anhängig gebliebenen Umfang mangels Statthaftigkeit
der Klage keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG. Dabei war der Teilerfolg des Klägers zu berücksichtigen.