Urteil des BSG vom 13.03.2017

BSG (Gkv, Bemessung der Beiträge, Private Krankenversicherung, Vergleichbare Leistung, Freiwillige Versicherung, Mitglied, Beitritt, Bezug, Krankheit, Krankenversicherung)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 13.6.2007, B 12 KR 32/06 R
Parallelentscheidung zu dem BSG-Urteil vom 13.6.2007 - B 12 KR 29/06 R.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin aufgrund ihres Beitritts freiwilliges Mitglied
der beklagten Krankenkasse geworden ist.
2 Die 1921 geborene Klägerin war zu keinem Zeitpunkt gesetzlich oder privat
krankenversichert. In der Vergangenheit bezog sie Leistungen nach dem
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und bis zum 31.12.2004 Leistungen nach dem Gesetz über
eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG). Seit dem
1.1.2005 erhält sie laufende Leistungen nach dem SGB XII. Den im Dezember 2004
gegenüber der Beklagten erklärten Beitritt zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung
lehnte diese mit Bescheid vom 15.12.2004 ab, weil der Beitritt nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 8
SGB V voraussetze, dass der Sozialhilfebezug vor dem 1.1.2005 geendet habe. Trete
anstelle der Leistung zum Lebensunterhalt nach dem BSHG eine Leistung der
Grundsicherung, könne nicht von einem beendeten Leistungsbezug ausgegangen werden.
Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 1.3.2005 zurück.
3 Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom 15.12.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin ab 1.1.2005
als freiwilliges Mitglied in die Krankenversicherung nach § 9 SGB V aufzunehmen. Zur
Begründung seines Urteils vom 9.3.2006 hat es ua ausgeführt, zwar spreche der Wortlaut
des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 8 SGB V dafür, dass für den Beitritt der Leistungsbezug zum
31.12.2004 beendet sein müsse, aus der Erwähnung von Leistungen nach dem BSHG
könne aber auch geschlossen werden, dass ein späterer Sozialhilfebezug unschädlich sei.
Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber für die noch erwerbsfähigen früheren
Sozialhilfeempfänger ab 1.1.2005 mit dem Bezug von Arbeitslosengeld II (Alg II)die
gesetzliche Krankenversicherungspflicht angeordnet habe. Bisherigen Empfängern von
Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem BSHG, die nicht erwerbsfähig seien und ab
Januar 2005 weiter Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhielten, werde
damit ein Beitrittsrecht eingeräumt. Wäre die Regelung dagegen auf die Personen begrenzt,
deren Leistungen zum Lebensunterhalt spätestens mit dem 31.12.2004 endgültig geendet
hätten, würde nur ein sehr kleiner Kreis früherer Sozialhilfeempfänger erfasst werden, ohne
dass ein Grund zu erkennen sei, warum die über den 31.12.2004 hinaus hilfebedürftigen
Sozialhilfeempfänger von dem Beitrittsrecht ausgeschlossen werden sollten.
4 Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom
11.7.2006 zurückgewiesen und ergänzend ausgeführt, die Leistungen nach dem SGB XII
beruhten auf einem anderen Leistungsgesetz. Hätten die Personen, die ab dem 1.1.2005
Leistungen nach dem SGB XII beziehen, vom Beitrittsrecht ausgeschlossen werden sollen,
hätte der Zusatz "nach dem Bundessozialhilfegesetz" weggelassen werden oder durch
einen Einschub klargestellt werden können, dass diese Personen nicht beitrittsberechtigt
sein sollten. Da weitere Voraussetzung sei, dass zu keiner Zeit eine gesetzliche oder private
Krankenversicherung bestanden habe, erfasse die Norm nicht alle Sozialhilfeempfänger. §
264 Abs 2 SGB V beinhalte einen Anwendungsbereich für Personen, die früher gesetzlich
oder privat krankenversichert gewesen seien oder die ihren Beitritt nicht innerhalb eines
Zeitraumes von sechs Monaten ab dem 1.1.2005 erklärt hätten.
5 Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte sinngemäß die Verletzung des §
9 Abs 1 Satz 1 Nr 8 SGB V. Bereits aus dem Wortlaut des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 8 SGB V
ergebe sich, dass nicht nur der Bezug von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem
BSHG zum 31.12.2004 geendet haben müsse, sondern auch über diesen Zeitpunkt hinaus
keine diesen Leistungen vergleichbare Leistung, insbesondere keine nach dem SGB XII,
bezogen werden dürfe. Auch nach der Gesetzesbegründung habe nur einem eng
begrenzten Personenkreis ehemaliger Bezieher laufender Hilfe zum Lebensunterhalt
entsprechend einer Empfehlung des Petitionsausschusses zur Regelung von Altfällen ein
einmaliges, befristetes Beitrittsrecht eingeräumt werden sollen, während Bezieher laufender
Sozialhilfeleistungen umfassenden Schutz bei Krankheit nach § 264 Abs 2 SGB V erhalten
würden. Die bezweckte Gleichstellung ehemaliger Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt,
die die Beitrittsvoraussetzungen des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 8 SGB V nicht erfüllten, mit
Personen, die aufgrund des Bezuges von Alg II Mitglied in der gesetzlichen
Krankenversicherung geworden und die Mitgliedschaft bei Aufnahme einer
versicherungsfreien Beschäftigung bzw selbstständigen Tätigkeit entsprechend dieser
Vorschrift fortsetzen könnten, sei nur im Hinblick auf die Möglichkeit des Beitritts nach dem
Ende des Leistungsbezugs, nicht jedoch im Hinblick auf die Mitgliedschaft als solche erfolgt.
6 Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 11.7.2006, Az.: L 11 KR 2771/06, sowie das
Urteil des SG Freiburg vom 9.3.2006, Az.: S 5 KR 955/05 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
7 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Sie hält die Urteile des LSG und SG für zutreffend.
9 Der beigeladene Sozialhilfeträger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10 Auch er hält die Urteile des SG und LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
11 Die Revision der Beklagten ist begründet.
12 Zu Unrecht hat das LSG die Berufung gegen das der Klage stattgebende Urteil des SG
zurückgewiesen.
13 Der Bescheid der Beklagten vom 15.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 1.3.2005 ist rechtmäßig. Zutreffend hat die Beklagte festgestellt, dass die Klägerin nicht
durch ihren Beitritt freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
geworden ist. Der Klägerin stand das von ihr geltend gemachte und nach den Feststellungen
des LSG allein in Betracht kommende Beitrittsrecht zur GKV nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 8 SGB
V nicht zu.
14 Nach dieser Vorschrift (eingefügt mit Wirkung vom 1.1.2005 durch Art 5 Nr 3a des Vierten
Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954)
konnten der GKV ab dem 1.1.2005 innerhalb von sechs Monaten Personen beitreten, die in
der Vergangenheit laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem BSHG bezogen
hatten und davor zu keinem Zeitpunkt gesetzlich oder privat krankenversichert waren. Diese
Voraussetzungen für einen Beitritt erfüllte die Klägerin nicht. Auch wenn sie in der
Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt gesetzlich oder privat krankenversichert gewesen war
und in der Vergangenheit laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem BSHG bis
zum 31.12.2004 erhalten hatte, stand dem Beitrittsrecht entgegen, dass sie seit Januar 2005
während der Sechs-Monats-Frist weiterhin laufende Sozialhilfeleistungen nach dem SGB
XII, nämlich Leistungen der Grundsicherung im Alter nach §§ 41 ff SGB XII (Viertes Kapitel
des SGB XII), bezog, denn das befristete Beitrittsrecht ab 1.1.2005 nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr
8 SGB V setzte voraus, dass jedenfalls in der Zeit bis zum 30.6.2005 keine laufenden
Leistungen zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung nach dem SGB XII mehr bezogen
wurden.
15 Der Wortlaut des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 8 SGB V nimmt allerdings keinen Bezug auf die
Verhältnisse ab dem 1.1.2005. Für die Beschränkung dieses Beitrittsrechts auf Personen,
die seit dem 1.1.2005 keine Leistungen nach dem SGB XII bezogen, spricht zunächst, dass
es anders als alle anderen in § 9 SGB V genannten Beitrittsrechte nicht an eine frühere
Versicherung anknüpft, sondern ausnahmsweise für eine Übergangszeit eine erstmalige
Versicherung in der GKV ohne Vorversicherungszeit und ohne Altersbegrenzung ermöglicht.
Dies legt es nahe, den Kreis der Beitrittsberechtigten zu begrenzen und zwar insbesondere
unter Berücksichtigung ihrer Schutzbedürftigkeit bei der Absicherung gegen das Risiko
Krankheit gerade durch Begründung einer eigenen Versicherung in der GKV. Diese ist aber
bei Personen in der Lage der Klägerin wegen des Bezugs von Leistungen nach dem SGB
XII nicht gegeben. Die Beschränkung des Kreises der Beitrittsberechtigten auf solche, die
aktuell keine Leistungen nach dem SGB XII beziehen, entspricht vielmehr dem bisherigen
und auch dem aktuellen gesetzgeberischen Konzept zur Absicherung der
Sozialhilfeempfänger gegen das Risiko der Krankheit.
16 In der Vergangenheit unterlagen Sozialhilfeempfänger, die vorher nicht Mitglied in der GKV
gewesen waren, keiner Krankenversicherungspflicht, sie hatten auch kein Beitrittsrecht zur
GKV. Bestand keine private oder gesetzliche freiwillige Versicherung bzw
Familienversicherung, wurde ihr Schutz im Krankheitsfall durch den Sozialhilfeträger
sichergestellt und wurden die Kosten hierfür von ihm getragen. Gemäß § 367a der
Reichsversicherungsordnung in der bis zum 31.12.1988 geltenden Fassung konnte die
Krankenkasse für Arbeits- und Erwerbslose, die nicht gesetzlich gegen Krankheit versichert
waren, sowie für andere Hilfeempfänger die Krankenpflege übernehmen, sofern der
Krankenkasse Ersatz der vollen Aufwendungen für den Einzelfall sowie eines
angemessenen Teils ihrer Verwaltungskosten gewährleistet wurde. Diese Regelung wurde
mit dem Gesundheits-Reformgesetz (GRG) ab 1.1.1989 in § 264 SGB V übernommen. Damit
wurden weiterhin Sozialhilfeempfänger weder einer gesetzlichen Versicherungspflicht
unterworfen noch wurde ihnen ein Beitrittsrecht eingeräumt (vgl Begründung des
Gesetzentwurfes der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Entwurf eines GRG, BT-
Drucks 11/2237 S 228) . Ab 1.1.1993 sah zwar Art 28 Abs 1 des
Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vor, Personen, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
nach dem BSHG erhielten, vom 1.1.1997 an in die Krankenversicherungspflicht nach § 5
Abs 1 SGB V einzubeziehen. Die hierfür erforderliche gesetzliche Regelung traf das GSG
jedoch selbst nicht. Das nach Art 28 Abs 2 GSG zur Durchführung erforderliche besondere
Gesetz, das auch Regelungen über die Bemessung der Beiträge enthalten sollte, wurde in
der Folgezeit nicht erlassen.
17 Der Gesetzgeber ist vielmehr von der Konzeption des Art 28 GSG abgewichen. Ab 1.1.2004
war die Krankenbehandlung von nicht krankenversicherten Empfängern laufender
Leistungen zum Lebensunterhalt und Hilfe in besonderen Lebenslagen nach den
Abschnitten 2 und 3 des BSHG zwingend von den Krankenkassen gegen Erstattung der
Aufwendungen zu übernehmen, soweit nicht Ausnahmetatbestände vorlagen (§ 264 Abs 2
Satz 1 SGB V in der Fassung des Art 1 Nr 152 des GKV-Modernisierungsgesetzes
vom 14.11.2003, BGBl I 2190) . Damit wurde dieser Personenkreis leistungsrechtlich den
Mitgliedern der GKV gleichgestellt, ohne ihm jedoch den Status als Pflicht- oder freiwilliges
Mitglied einzuräumen. Gleichzeitig rückte der Gesetzgeber von dem Vorhaben ab, die
Sozialhilfeempfänger als Mitglieder in die GKV einzubeziehen, ua weil sich Bund und
Länder nicht auf eine Umsetzung des Art 28 GSG zu angemessenen Beitragszahlungen
hatten einigen können (vgl BT-Drucks 15/1525 S 140 f) . Durch nachfolgende Änderungen
zum 1.1.2005 und 30.3.2005 wurden die Fassungen des § 264 Abs 2 SGB V an die
Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch angepasst (vgl Art 4 Nr 16 Buchst
a des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes vom 21.3.2005, BGBl I 818, und Art 4 Nr 7 des
Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003,
BGBl I 3022 ). Die Krankenbehandlung von nicht krankenversicherten Empfängern von
Leistungen nach dem SGB XII wird damit von den Krankenkassen gegen Erstattung der
Aufwendungen übernommen, soweit nicht ein - im vorliegenden Fall nicht in Betracht
kommender - Ausnahmetatbestand nach § 264 Abs 2 Satz 2 SGB V vorliegt.
18 Zeitgleich mit dem GMG wurde das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 im Bundestag beraten. Mit diesem Gesetz ist ab 1.1.2005 für
Bezieher von Alg II die Krankenversicherungspflicht in § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V und zugleich
das hier umstrittene Beitrittsrecht nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 8 SGB V eingeführt worden.
Letzteres war zunächst im Gesetzentwurf nicht enthalten (vgl BT-Drucks 15/1516) und wurde
erst aufgrund der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
aufgenommen, um einem eng begrenzten Personenkreis ehemaliger Bezieher von laufender
Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG ein einmaliges, befristetes Beitrittsrecht zur GKV
zu geben (vgl BT-Drucks 15/1728 S 208). Damit sollte einem Anliegen des
Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages Rechnung getragen werden, bei der
Neuregelung der Versicherungspflicht von Sozialhilfeempfängern eine Regelung für Altfälle
vorzusehen. Dazu ist im Gesetzgebungsverfahren ausgeführt worden, während
erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger Alg II erhielten und aufgrund des Bezuges dieser
Leistung Pflichtmitglied in der GKV seien, hätten ehemalige Bezieher von Hilfe zum
Lebensunterhalt nach dem Ende des Bezuges von Sozialhilfe nur Zugang zur GKV bei
Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder als freiwilliges Mitglied bei
Erfüllung der Vorversicherungszeit. Empfängern von Sozialhilfe, die vor dem
Sozialhilfebezug zu keinem Zeitpunkt eine Zugangsmöglichkeit zur GKV gehabt hätten,
werde ein einmaliges Beitrittsrecht zur GKV gewährt. Eine Gleichstellung mit Personen, die
nach Inkrafttreten der Versicherungspflicht aufgrund des Bezuges von Alg II Mitglied in der
GKV werden und diese Mitgliedschaft in der Regel bei Aufnahme einer versicherungsfreien
Beschäftigung oder einer selbstständigen Tätigkeit fortsetzen könnten, erscheine geboten
(vgl BT-Drucks 15/1749 S 36). Der Petitionsausschuss hatte aus Anlass der Petition eines
Selbstständigen, der zuvor Sozialhilfe bezogen und die Mitgliedschaft in der GKV begehrt
hatte, für den Fall der Einbeziehung von Sozialhilfeempfängern in die Versicherungspflicht
angeregt, Altfällen, nämlich ehemaligen Beziehern laufender Hilfe zum Lebensunterhalt, ein
Zugangsrecht zur GKV zu verschaffen (vgl Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses,
Pet 2-14-15-8270-013478, Anl 3 zum Protokoll 14/41) . Mit der Änderung des Datums vom
1.7.2004 in den 1.1.2005 aufgrund der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
(vgl BT-Drucks 15/2259 S 6) trat die Vorschrift am 1.1.2005 in Kraft.
19 Die oben genannten Gesetzesmaterialien enthalten keinen Hinweis darauf, dass entgegen
der bisherigen gesetzlichen Konzeption des Krankheitsschutzes der Sozialhilfeempfänger
und in Abweichung von den im GMG zeitgleich beschlossenen Änderungen des § 264 SGB
V neben den ehemaligen, vom Petitionsausschuss in den Blick genommenen
Leistungsempfängern auch alle aktuell weiterhin Sozialhilfeleistungen beziehenden, bisher
nicht versicherten Personen durch ein für ein halbes Jahr eingeräumtes Beitrittsrecht
erstmals in die GKV einbezogen werden sollten. Vielmehr bestätigt der Verlauf des
Gesetzgebungsverfahrens, dass nur eine Benachteiligung der ehemaligen, bisher nicht
versicherten erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger im Vergleich zu den nunmehr Alg II
beziehenden erwerbsfähigen Leistungsempfängern gesehen wurde und beseitigt werden
sollte. Letztere waren weiter gegen das Krankheitsrisiko abgesichert, während für die erste
Gruppe der bisherige Anspruch auf Krankenbehandlung auf Kosten des Sozialhilfeträgers
nach § 264 Abs 2 SGB V nicht mehr bestand. Für diese zahlenmäßig kleine Gruppe
selbstständig tätiger oder aus sonstigen Gründen nicht mehr bedürftiger ehemaliger
Sozialhilfeempfänger sollte eine befristete Möglichkeit geschaffen werden, der GKV
beizutreten.
20 Für eine Absicht, die GKV über diesen Personenkreis hinaus zu öffnen, fehlen dagegen
Anhaltspunkte. Während des Bezuges von laufenden Sozialhilfeleistungen nach dem SGB
XII bestehen im Krankheitsfall Ansprüche auf Krankenbehandlung, die leistungsrechtlich
denen der GKV entsprechen und auch durch die gesetzlichen Krankenkassen erfüllt werden
( vgl § 264 Abs 2 SGB V, §§ 48, 52 SGB XII ). Es liegen keine Hinweise dafür vor, dass diese
Leistungen für nicht ausreichend erachtet wurden. Ein Beitrittsrecht würde den
Sozialhilfeempfängern auch keine wirtschaftlichen Vorteile bringen, selbst wenn der
Sozialhilfeträger die Beitragszahlung gemäß § 32 Abs 2 SGB XII übernimmt, weil die GKV
keine weitergehenden Leistungen gewährt und deshalb für die Betroffenen keinen
zusätzlichen Schutz im Krankheitsfall bewirkt. Da die Sozialhilfeträger den Krankenkassen
deren Aufwendungen nach § 264 Abs 2 SGB V zu erstatten haben, könnte der Beitritt allein
und ausschließlich zur Entlastung der Sozialhilfeträger führen ( vgl insoweit - zum
Beitrittsrecht zur sozialen Pflegeversicherung - Urteil des Senats vom 18.5.2005, B 12 P 3/04
R, SozR 4-3300 § 26a Nr 1 RdNr 12 ). Unabhängig davon, dass die Befristung eines
allgemeinen Beitrittsrechts auf ein halbes Jahr auch dann nicht verständlich wäre, ist es nicht
ersichtlich, dass eine solche Entlastung beabsichtigt war, obwohl in der Vergangenheit von
einer Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger in die GKV aus finanziellen Erwägungen
abgesehen worden war und bis heute abgesehen wird.
21 Nicht nur der Bezug laufender Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten
Kapitel des SGB XII, sondern auch der Bezug laufender Leistungen der Grundsicherung im
Alter bzw bei dauerhafter Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII
schließen das Beitrittsrecht aus. Bei beiden Leistungen handelt es sich um steuerfinanzierte,
bedarfsorientierte Sozialhilfeleistungen (vgl insoweit - zum GSiG - Urteil des Senats vom
21.9.2005, B 12 P 6/04 R, SozR 4-3300 § 26a Nr 2 RdNr 11 ff) , die ergänzt werden durch
Ansprüche auf Krankenbehandlung gemäß § 48 SGB XII bzw nach § 264 SGB V. Ein Grund
für eine Differenzierung zwischen Beziehern von Grundsicherungsleistungen und Beziehern
von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt ist deshalb nicht ersichtlich (vgl hierzu auch Urteil
des Senats vom 21.9.2005, B 12 P 6/04 R, SozR 4-3300 § 26a Nr 2 RdNr 14) .
22 Schließlich spricht auch der Verlauf der Gesetzgebung seit 2005 nicht dafür, dass das
Beitrittsrecht des § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 8 SGB V auch für aktuelle Sozialhilfebezieher gelten
sollte. Seit dem 1.4.2007 regelt § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V des GKV-WSG die
Versicherungspflicht für Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im
Krankheitsfall haben. § 5 Abs 8a Satz 2 SGB V nimmt hiervon jedoch die Bezieher von
laufenden Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des SGB XII
aus. Als anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall soll der Anspruch auf
Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII oder § 264 SGB V gelten (vgl BT-Drucks 16/3100 S
94) . Der Bezug von laufenden Sozialhilfeleistungen steht damit weiterhin der
Krankenversicherungspflicht entgegen. Soweit § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V nunmehr allen
Personen, die aus dem Leistungsbezug nach dem SGB XII ausscheiden, den Zugang zur
Krankenversicherung ermöglicht, ist das einzige Bedenken, das gegen § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 8
SGB V bestehen konnte, ausgeräumt. Dieses Bedenken war die Befristung des
Beitrittsrechts, da unter Gleichheitsgesichtspunkten schwer verständlich war, weshalb das
Beitrittsrecht nur befristet bestand, also die Personen, die nach dem 30.6.2005 aus dem
Sozialhilfebezug ausschieden, keinen Zugang zur GKV hatten.
23 Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.