Urteil des BSG vom 13.03.2017

BSG (gkv, krankheit, eintragung, verhältnis zu, behinderung, hilfsmittel, hersteller, abweisung der klage, aufnahme, sgg)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 22.4.2009, B 3 KR 11/07 R
Krankenversicherung - Hüftprotektoren keine Hilfsmittel - Merkmale einer drohenden
Behinderung - Initiierung der Eintragung von Hilfsmitteln im Hilfsmittelverzeichnis auch
vor dem 1.4.2007 nur durch den Hersteller - Doppelfunktion des Eintragungsantrags für
das Hilfsmittelverzeichnis und das Pflegehilfsmittelverzeichnis - Anfechtungs- und
Leistungsklage als statthafte Klageart - keine notwendige Beiladung des Gemeinsamen
Bundesausschusses
Leitsätze
1. Hüftprotektoren sind keine Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung.
2. Eine Behinderung droht, wenn ohne ärztliche Behandlungsmaßnahmen aus einem
bestimmten Krankheitsbild bei natürlichem Verlauf in absehbarer Zeit mit einiger
Wahrscheinlichkeit ein Dauerzustand in Form einer sonst nicht mehr behebbaren konkreten
Funktionseinschränkung erwachsen kann.
3. Die Eintragung eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis (einschließlich des
Pflegehilfsmittelverzeichnisses) konnte auch schon vor dem 1.4.2007 nur vom Hersteller, nicht
aber vom Vertreiber des Produkts beantragt werden.
Tatbestand
1 Die klagende Gesellschaft vertreibt in Deutschland Hüftprotektoren der Marke "Safehip®"
eines dänischen Herstellers. Sie dienen dazu, bei einem Sturz auf die Hüfte das Risiko einer
Fraktur des Oberschenkelhalsknochens zu verringern. Der Safehip-Hüftprotektor besteht aus
zwei anatomisch geformten Schalen, die in eine Fixationshose integriert sind. Die ovalen
Schalen sind konvex geformt und bestehen aus elastischem, energieabsorbierendem
Polypropylen-Kunststoff. Aufgrund der konvexen Wölbung liegt die Protektorschale eng, aber
nicht direkt auf dem Trochanter major (Oberschenkelhalsknochen) auf; es bleibt ein kleiner
Zwischenraum, der so groß ist, dass bei einem Sturz kaum Druck auf den Femurkopf entsteht.
Das wichtigste Wirkprinzip der Schutzschalen ist die Umverteilung der Sturzenergie vom
Oberschenkelhalsknochen weg in das umliegende Weichteilgewebe. Zusätzlich wird durch
die Schutzschalen eine Vergrößerung des Aufprallareals erreicht, wobei die Energie in den
Schutzschalen, ähnlich wie bei einem Schaumstoff, weitgehend absorbiert wird.
2 Safehip-Hüftprotektoren gibt es in verschiedenen Ausführungen. Im vorliegenden Rechtsstreit
geht es um die Produkte Safehip Kompakt (mit fest in die Hose eingenähten Schutzschalen)
und Safehip Top (mit aus der Hose herausnehmbaren Schutzschalen).
3 In Deutschland erleiden jährlich rund 150.000 Menschen eine Hüftfraktur, wobei weit mehr als
90 % dieser Frakturen durch einen Sturz verursacht werden. Besonders betroffen sind ältere
Menschen. Mehr als 90 % aller Hüftfrakturen treten nach dem 65. Lebensjahr auf, wobei das
Risiko eines Sturzes mit zunehmendem Alter noch deutlich ansteigt. Ein Drittel aller
Menschen über 65 Jahre stürzt mindestens einmal im Jahr. Die jährliche Sturzquote bei über
80 Jahre alten Menschen liegt schon bei 50 %. In Alten- und Pflegeheimen sind sogar
durchschnittlich 1,5 Stürze pro Bett und Jahr zu verzeichnen (vgl Bewertung von
Hüftprotektoren als Hilfsmittel nach § 139 SGB V des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung und des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der
Krankenkassen vom 15.7.2003, S 23 bis 25 mwN) .
4 Die früher beklagten Spitzenverbände der Krankenkassen, seit dem 1.7.2008 abgelöst durch
den Spitzenverband Bund der Krankenkassen als Funktionsnachfolger, lehnten den Antrag
der Klägerin vom 1.12.1997 auf Aufnahme der Safehip-Hüftprotektoren in das
Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ab (Bescheid vom
15.9.1998). Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil
vom 8.11.1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat die erstinstanzliche Entscheidung nach
Beweisaufnahme geändert und der Klage stattgegeben (Urteil vom 31.5.2007): Es spreche
schon viel dafür, dass Hüftprotektoren der Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung
dienten; dies brauche indes nicht vertieft zu werden, weil sie auf jeden Fall dazu geeignet
seien, einer drohenden Behinderung vorzubeugen. Hüftprotektoren seien gerade für den
Personenkreis vorgesehen, bei dem ein erhöhtes Sturzrisiko mit der potenziellen Folge eines
Oberschenkelhalsbruches bestehe. Bei dieser Form der medizinischen Prophylaxe handele
es sich auch nicht um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, sodass es auf
die verschärften Beweisanforderungen des § 135 SGB V nicht ankomme.
5 Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen
als nunmehr alleiniger Beklagter die Verletzung der §§ 33 und 139 SGB V. Hüftprotektoren
dienten nicht der Sturzprophylaxe, sondern allein der Sturzfolgenprophylaxe; dieser Zweck
werde von § 33 SGB V nicht erfasst. Zudem hätten neuere Studien keine signifikante
Senkung von Oberschenkelhalsfrakturen bei Verwendung von Hüftprotektoren gezeigt.
6 Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31.5.2007 zu ändern und die
Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 8.11.1999
zurückzuweisen.
7 Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 Die Revision des Beklagten ist begründet. Die früheren Beklagten und der seit dem 1.7.2008
hierfür zuständige jetzige Beklagte haben zu Recht die Eintragung der Hüftprotektoren in das
Hilfsmittelverzeichnis der GKV abgelehnt. Hüftprotektoren sind keine in die Zuständigkeit der
Krankenkassen fallende Hilfsmittel. Zudem fehlt der Klägerin als Vertriebsunternehmen die
rechtliche Befugnis, die Eintragung in das Hilfsmittelverzeichnis zu beantragen. Schon
deshalb konnte auch das Hilfsbegehren auf Eintragung der Hüftprotektoren in das
Hilfsmittelverzeichnis der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) keinen Erfolg haben. Daher
war das die Klage abweisende erstinstanzliche Urteil wieder herzustellen.
9 A) Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist nicht allein die Eintragung der
Hüftprotektoren Safehip Kompakt und Safehip Top in das Hilfsmittelverzeichnis der GKV
nach § 139 SGB V, womit sich die Beteiligten und die Gerichte in erster und zweiter Instanz
ausschließlich beschäftigt haben. Zum Streitgegenstand gehört vielmehr ebenfalls - in Form
eines Hilfsbegehrens - die Frage der Aufnahme dieser Hüftprotektoren in das
Pflegehilfsmittelverzeichnis nach § 78 Abs 2 SGB XI, weil es auch insoweit um - allerdings
mit anderen Funktionen versehene - Hilfsmittel geht und der beklagte Spitzenverband Bund
der Krankenkassen zugleich die Funktion des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen
wahrnimmt (§ 53 SGB XI) , der das Pflegehilfsmittelverzeichnis erstellt. Auch bei den
früheren Spitzenverbänden gab es insoweit Funktionenidentität; denn die Spitzenverbände
der Krankenkassen fungierten bis zum 30.6.2008 zugleich als Spitzenverbände der
Pflegekassen.
10 1) Ein Eintragungsantrag nach § 139 SGB V enthält für den Fall seiner Ablehnung stets
zugleich einen Eintragungsantrag nach § 78 Abs 2 SGB XI, sofern der Pflegeaspekt bei
einem bestimmten Produkt überhaupt eine Rolle spielen kann und der Antrag nicht
ausdrücklich auf das Hilfsmittelverzeichnis der GKV beschränkt wird. Die doppelte Funktion
eines Eintragungsantrages als Hauptantrag (nach § 139 SGB V) und Hilfsantrag (nach § 78
Abs 2 SGB XI) ergibt sich aus der grundsätzlich gleichgerichteten Interessenlage der
Antragsteller, aus der doppelten Funktion des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen
zur Führung beider Verzeichnisse sowie aus der Stellung des
Pflegehilfsmittelverzeichnisses als "Anlage" zum Hilfsmittelverzeichnis der GKV (§ 78 Abs 2
Satz 2 SGB XI) . Die Aufnahme eines Produktes in das Pflegehilfsmittelverzeichnis setzt
dabei voraus, dass die Pflege erleichtert, zur Linderung der Beschwerden des
Pflegebedürftigen beigetragen oder eine selbstständigere Lebensführung ermöglicht wird (§
40 Abs 1 SGB XI) . Dementsprechend hätten die früher beklagten Spitzenverbände der
Krankenkassen den Antrag der Klägerin vom 1.12.1997 nach Ablehnung der Eintragung der
Hüftprotektoren in das Hilfsmittelverzeichnis der GKV auch darauf hin prüfen müssen, ob
hilfsweise eine Eintragung in das Pflegehilfsmittelverzeichnis in Betracht kommt; denn die
Klägerin hatte zwar ihren Eintragungsantrag ausschließlich anhand des § 33 SGB V und des
damaligen § 128 SGB V (jetzt § 139 SGB V) begründet, diesen aber nicht ausdrücklich auf
das Hilfsmittelverzeichnis der GKV beschränkt. Außerdem liegt es auf der Hand, dass beim
Tragen von Hüftprotektoren pflegerische Aspekte eine Rolle spielen können, nämlich die
Ermöglichung einer selbstständigeren Lebensführung (3. Variante des § 40 Abs 1 Satz 1
SGB XI) und möglicherweise auch die Erleichterung der Pflege (1. Variante des § 40 Abs 1
Satz 1 SGB XI) . Eine solche Prüfung ist seinerzeit unterblieben. Offenbar hatten die damals
zuständigen Spitzenverbände der Krankenkassen die Frage der Aufnahme der
Hüftprotektoren in das Pflegehilfsmittelverzeichnis übersehen. Die Klägerin hatte die
Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen für die Aufnahme der Hüftprotektoren in das
Hilfsmittelverzeichnis der GKV seinerzeit wohl als selbstverständlich vorausgesetzt und
deshalb auf hilfsweise Ausführungen zur Aufnahme in das Pflegehilfsmittelverzeichnis
verzichtet.
11 2) Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass im vorliegenden Rechtsstreit ausschließlich über die
Frage der Eintragung der Hüftprotektoren in das Hilfsmittelverzeichnis der GKV zu
entscheiden ist. Das Verwaltungsverfahren zu dem sich auf beide Gesichtspunkte
erstreckenden Eintragungsantrag ist abgeschlossen, weil die Spitzenverbände der
Krankenkassen das Begehren umfassend hätten prüfen müssen und die
Ablehnungsentscheidung vom 15.9.1998 deshalb die hilfsweise beantragte Aufnahme in
das Pflegehilfsmittelverzeichnis nach § 78 Abs 2 SGB XI mitumfasst. Dem steht nicht
entgegen, dass dieser Aspekt in dem Bescheid vom 15.9.1998 nicht ausdrücklich erwähnt
wird. Aus dem maßgeblichen Empfängerhorizont ist das Begehren auf Eintragung der
Hüftprotektoren in das Hilfsmittelverzeichnis in seinem die GKV betreffenden Hauptteil (§
139 SGB V) und in seiner die SPV betreffenden Anlage (§ 78 Abs 2 SGB XI) insgesamt
abgelehnt worden. Der Rechtsstreit betrifft somit nicht nur die Aufnahme der Hüftprotektoren
in das Hilfsmittelverzeichnis der GKV, sondern - hilfsweise - auch die Eintragung in das
Pflegehilfsmittelverzeichnis.
12 B) Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden
Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.
13 1) Statthafte Klageart ist die - hier auch so erhobene - Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs 4 SGG). Die - positive oder negative - Entscheidung über den Antrag auf Eintragung
eines Produkts in das Hilfsmittelverzeichnis stellt einen Verwaltungsakt dar. Dies ergibt sich
für die Zeit ab 1.1.2004 aus § 139 Abs 2 Satz 5 SGB V in der Fassung des GKV-
Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) und für die Zeit ab 1.4.2007 aus §
139 Abs 6 Satz 3 SGB V in der Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-
WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I 378) . Für die Zeit vor dem 1.1.2004 hatte bereits die
Rechtsprechung des erkennenden Senats die Entscheidung der damals zuständigen
Spitzenverbände der Krankenkassen als Verwaltungsakt qualifiziert (BSGE 87, 105, 106 =
SozR 3-2500 § 139 Nr 1). Da bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 139 SGB
V auf die Eintragung in das Hilfsmittelverzeichnis ein Rechtsanspruch besteht, dem
Beklagten bei der Entscheidung also kein Ermessen zusteht, konnte die Klage unmittelbar
auf die Verpflichtung zur Eintragung gerichtet werden (BSGE 87, 105, 107 = SozR 3-2500 §
139 Nr 1) . Entsprechendes gilt für die Eintragung eines Pflegehilfsmittels in das
Pflegehilfsmittelverzeichnis (§ 78 Abs 2 Satz 5 SGB XI iVm § 139 SGB V).
14 2) Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass das vor Erhebung einer
Anfechtungs- und Leistungsklage grundsätzlich erforderliche Vorverfahren (§ 78 SGG) nicht
stattgefunden hat. In Fällen, in denen die früheren Spitzenverbände der Krankenkassen
einen Verwaltungsakt gemeinsam zu erlassen hatten, eine Widerspruchsstelle nicht
bestimmt war und als nächsthöhere Behörde gemäß § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGG nur die
oberste Bundesbehörde als Aufsichtsbehörde der betroffenen Kassenverbände in Betracht
kam, war auch der Widerspruchsbescheid von den Spitzenverbänden zu erteilen. Der
erstinstanzlich gestellte Antrag auf Abweisung der Klage genügt dann dem
Vorverfahrenserfordernis, wenn - wie hier - Klagegegner und Widerspruchsstelle identisch
sind (BSGE 78, 243, 248 = SozR 3-2500 § 109 Nr 2; BSGE 87, 105, 108 = SozR 3-2500 §
139 Nr 1 mwN). Wegen der unterbliebenen Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom
15.9.1998 hat die Klägerin auch die Widerspruchsfrist eingehalten (§ 84 Abs 2 Satz 3 iVm §
66 Abs 2 Satz 1 SGG) , weil der Widerspruch (in Form der Klageerhebung) innerhalb eines
Jahres erfolgt ist.
15 3) Zu Recht sind von den Vorinstanzen die zuvor ergangenen Ablehnungsbescheide vom
4.7.1996 und 20.1.1997 nicht mit in den Klageantrag aufgenommen worden. Es geht nicht
um ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X. Diese Ablehnungsbescheide sind
gegenüber der Firma E., erlassen worden, die bis zum 30.9.1997 den Vertrieb der
Hüftprotektoren in Deutschland durchführte und seinerzeit einen ersten Aufnahmeantrag
nach § 128 SGB V gestellt hatte. Die Bindungswirkung dieser ablehnenden Verwaltungsakte
besteht allein im Verhältnis der damals zuständigen Spitzenverbände der Krankenkassen zu
der Firma E., nicht aber gegenüber der jetzigen Klägerin, die seit dem 1.10.1997 als
Vertriebsunternehmen fungiert, ohne selbst Rechtsnachfolgerin der Firma E. zu sein. Die
Klägerin hat im Übrigen ihr Begehren auch allein auf die zukünftige, nicht aber auf die
rückwirkende Aufnahme der Hüftprotektoren in das Hilfsmittelverzeichnis gerichtet.
16 4) Der Klägerin steht die Klagebefugnis zu. Ihr gegenüber ist der ablehnende
Verwaltungsakt ergangen. Sie ist dadurch formell beschwert. Auch materiell ist sie
beschwert, weil die Vertriebsmöglichkeiten im Verhältnis zu den Krankenkassen bzw
Pflegekassen als Kostenträger durch die Ablehnung der Eintragung der Hüftprotektoren in
das Hilfsmittelverzeichnis der GKV und das Pflegehilfsmittelverzeichnis praktisch
ausgeschlossen sind, auch wenn diese Verzeichnisse keine abschließende Regelung im
Sinne einer "Positivliste" für Hilfsmittel darstellen, sondern nur als Entscheidungs- und
Auslegungshilfe für die Krankenkassen, die Pflegekassen, die Vertragsärzte und die
Gerichte dienen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 17 und 27, stRspr; so auch die Begründung zum
Gesetzentwurf des GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100, S 150 zu Nr 116, § 139 SGB V) .
17 5) Nicht zum Verfahren beizuladen (§ 75 SGG) war der Gemeinsame Bundesausschuss.
Deshalb hat der erkennende Senat die vom LSG ausgesprochene notwendige Beiladung
des Gemeinsamen Bundesausschusses wieder aufgehoben (Beschluss vom 22.4.2009).
Der Gemeinsame Bundesausschuss ist zu Verfahren über die Eintragung eines Hilfsmittels
in das Hilfsmittelverzeichnis der GKV nach § 75 Abs 2 SGG nur dann notwendig beizuladen,
wenn das Hilfsmittel im Rahmen einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode
eingesetzt werden soll, zu der sich der Ausschuss bisher nicht positiv geäußert hat (§ 135
SGB V) und deshalb auch ihm gegenüber die Bindungswirkung einer einheitlichen
Entscheidung herbeizuführen ist (vgl BSGE 87, 105, 111 f = SozR 3-2500 § 139 Nr 1) . Geht
es hingegen wie im Regelfall - und so auch hier - um ein Hilfsmittel, das im Rahmen
herkömmlicher ärztlicher Behandlungsmethoden eingesetzt werden soll, ist der
Gemeinsame Bundesausschuss in seinem speziellen Zuständigkeitsbereich der Bewertung
neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (§ 135 SGB V) und des Erlasses
einschlägiger Richtlinien (§ 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V) nicht berührt. Daher scheidet in
solchen Fällen regelmäßig auch eine einfache Beiladung des Gemeinsamen
Bundesausschusses aus (§ 75 Abs 1 SGG) .
18 Im Bereich der Versorgung pflegebedürftiger Versicherter mit Pflegehilfsmitteln (§ 40 Abs 1
SGB XI) hat der Gemeinsame Bundesausschuss ohnehin keine Funktion, sodass auch
insoweit eine Beiladung nicht in Betracht kam.
19 C) Die Revision der Klägerin ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage auf Eintragung
der Hüftprotektoren in das Hilfsmittelverzeichnis der GKV zu Recht abgewiesen. Die
Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil war - entgegen der Auffassung des LSG -
unbegründet.
20 Rechtsgrundlage des - in die Zukunft gerichteten - Klagebegehrens ist § 139 Abs 1 Satz 2
SGB V. Die Regelung entspricht im Wesentlichen dem bis zum 31.3.2007 geltenden § 128
Satz 2 SGB V aF. Nach § 139 Abs 1 Satz 2 SGB V sind in dem vom Spitzenverband Bund
der Krankenkassen erstellten und regelmäßig fortzuschreibenden (§ 139 Abs 8 Satz 1 SGB
V), systematisch strukturierten Hilfsmittelverzeichnis "von der Leistungspflicht umfasste
Hilfsmittel aufzuführen". Die Regelung nimmt damit Bezug auf die Vorschriften des § 33 SGB
V, des § 23 SGB V und des § 31 SGB IX, die den Leistungsanspruch eines Versicherten
gegen die Krankenkassen auf die Versorgung mit Hilfsmitteln in der GKV sowie bei der
Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen regeln. Die Voraussetzungen dieser
Vorschriften sind nicht erfüllt.
21 1) Dem Anspruch steht allerdings nicht bereits entgegen, dass nach diesen Vorschriften
allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens nicht als Hilfsmittel einzustufen
sind (vgl § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V) . Hüftprotektoren werden von Menschen, die kein
krankheitsbedingt erhöhtes Sturz- und Verletzungsrisiko haben, nicht getragen und werden
auch nicht für den Alltagsgebrauch gesunder Menschen produziert. Sie unterscheiden sich
dadurch von anderen Formen von "Schutzkleidung", die von einer Vielzahl von Menschen
unabhängig von ihrem aktuellen Gesundheitszustand in Situationen getragen werden, die
erfahrungsgemäß mit erhöhten Unfall- und Verletzungsgefahren verbunden sein können.
Dazu gehören zB Schutzhelme für Rad-, Motorrad- und Skifahrer, Knie-, Ellenbogen-, Hüft-
und Schienbeinschutz für Sportler sowie Arbeitsschutzkleidung. Diese Produkte gelten
krankenversicherungsrechtlich in aller Regel als allgemeine Gebrauchsgegenstände des
täglichen Lebens, weil sie nicht nur für gesundheitlich beeinträchtigte Menschen hergestellt
und von gesunden wie gesundheitlich beeinträchtigten Menschen gleichermaßen im Alltag
zur allgemeinen Unfall- und Verletzungsprophylaxe getragen werden.
22 2) Es fehlt bei den Hüftprotektoren aber an der für die Leistungspflicht der Krankenkassen
maßgeblichen Zweckbestimmung von Hilfsmitteln iS des § 33 SGB V, des § 23 SGB V und
des § 31 SGB IX. Die Krankenkassen haben ihren Versicherten Hüftprotektoren weder zur
Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 33 SGB V) oder zur medizinischen
Vorsorge (§ 23 Abs 1 SGB V) noch zur medizinischen Rehabilitation behinderter Menschen
(§ 31 SGB IX) zur Verfügung zu stellen.
23 a) Das Tragen von Hüftprotektoren dient nicht der Sicherung des Erfolges einer
Krankenbehandlung (1. Alternative des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V) bzw der Sicherung des
Erfolges einer Heilbehandlung (Nr 2 des § 31 Abs 1 SGB IX) . Das LSG hat die Erfüllung
dieser Tatbestandsvoraussetzungen zwar erwogen, sich insoweit aber letztlich nicht
festgelegt. Nach den vom LSG getroffenen Feststellungen, die von den Beteiligten nicht mit
Verfahrensrügen angegriffen und daher für den erkennenden Senat verbindlich sind (§ 163
SGG) , scheiden diese Varianten jedoch aus. Hüftprotektoren dienen im Falle eines Sturzes
der Vorbeugung gegen Knochenbrüche an den Hüften, also vor allem der Vermeidung eines
Oberschenkelhalsbruches, wobei die Sturzgefahr ein allgemeines, jeden Menschen
betreffendes Lebensrisiko darstellt, das im Einzelfall aber krankheitsbedingt erhöht (zB bei
Mobilitätseinschränkungen, Gangunsicherheiten, Sehschwächen) oder mit einem erhöhten
Verletzungsrisiko am Knochengerüst verbunden sein kann (zB bei Osteoporose). Die
Sturzgefahr selbst wird aber nicht verringert, wie es zB bei der Versorgung mit Gehhilfen der
Fall ist. Es handelt sich vielmehr um eine reine Sturzfolgenprophylaxe bzw
Frakturprophylaxe. Aus dem Blickwinkel einer vorhandenen, mit Gangunsicherheiten
verbundenen oder zu einem verletzungsanfälligen Knochengerüst führenden Krankheit,
derentwegen sich der Versicherte in ärztlicher Behandlung befunden hat oder noch befindet,
geht es nicht um die Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung oder der
Heilbehandlung, weil der Krankheits- bzw Heilungsverlauf (zB nach einer Fraktur) durch die
Hüftprotektoren nicht positiv beeinflusst werden kann und die im Einzelfall denkbare
Verringerung der Angst vor einem Sturz und seinen Folgen lediglich eine psychisch
wirkende Nebenfolge der Sturzfolgenprophylaxe darstellt. Ihrer Zweckbestimmung nach
dienen Hüftprotektoren nicht dem Abfedern der Hüfte gegen unmittelbare Stöße beim Gehen
(zB Anstoßen gegen ein Möbelstück oder ein anderes Hindernis), sondern im Falle eines
Sturzes der Verringerung des Risikos einer von der Grunderkrankung unabhängigen neuen
"Krankheit", zu der auch alle Arten von Frakturen und sonstigen Verletzungen gehören, weil
unter "Krankheit" iS der §§ 23 Abs 1 und 27 Abs 1 SGB V ganz allgemein ein regelwidriger
Körper- oder Geisteszustand verstanden wird, der die Notwendigkeit ärztlicher
Heilbehandlung oder (zugleich oder allein) Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (BSG SozR 4-
2500 § 137c Nr 1 mwN, stRspr) . Der Sache nach bezwecken Hüftprotektoren also die
Vorbeugung gegen eine neue Krankheit und sind unter diesem Aspekt Mittel der
gesundheitlichen Prävention und Selbsthilfe (§ 20 SGB V) . Das Gesetz sieht in diesem
Bereich die Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln zu Lasten der Krankenkassen aber
nicht vor. Insoweit ist die Eigenverantwortung der Versicherten gefragt.
24 b) Es geht auch nicht um die Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung (2. Alternative
des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V, Nr 1 des § 31 Abs 1 SGB IX) . Das LSG hat die
Tatbestandsvoraussetzungen dieser Alternative zu Unrecht angenommen.
25 Es reicht zur Erfüllung der Voraussetzungen dieser Alternative nicht aus, dass aus einer
vorhandenen Krankheit irgendwann einmal in der Zukunft möglicherweise eine Behinderung
erwachsen, sich also ein abstrakt-theoretisches Behinderungsrisiko verwirklichen könnte.
Vielmehr muss hierbei ein konkretes Behinderungsrisiko bestehen. Dies setzt voraus, dass
nicht irgendeine Form einer Behinderung denkbar erscheint, sondern eine ganz bestimmte
Art der Behinderung zu erwarten ist, die bei einer bestimmten Erkrankung typischerweise als
Folge eintreten kann (sachliche Komponente). Diese Folge muss auch "drohen" (zeitliche
Komponente). Eine Behinderung "droht" erst, wenn aus einem bestimmten Krankheitsbild
bei natürlichem Verlauf in absehbarer Zeit unter den Gegebenheiten des Einzelfalls mit
einiger Wahrscheinlichkeit ein Dauerzustand in Form einer sonst nicht mehr behebbaren
konkreten Funktionseinschränkung erwachsen kann. Ärztliche Maßnahmen jeder Art, die
diesen natürlichen Verlauf verhindern können, dienen der Vorbeugung gegen eine drohende
Behinderung. Davon ist die reine Sturzfolgenprophylaxe bzw Frakturprophylaxe sachlich
und zeitlich zu weit entfernt. Zunächst müsste sich die krankheitsbedingt erhöhte Sturzgefahr
in der Zukunft tatsächlich realisieren - ein ungewisses, wenn auch mit zunehmendem Alter
wahrscheinlicher werdendes Ereignis. Bei diesem Sturz müsste die Hüfte betroffen sein. Es
reicht nicht aus, dass irgendein anderer Körperteil verletzt wird, weil Hüftprotektoren die
Frakturgefahr nur im Bereich der Hüfte verringern. Der Sturz auf die Hüfte müsste zudem zu
einer Oberschenkelhalsfraktur führen. Aus dieser Fraktur müsste dann auch noch eine
Behinderung in Form einer dauerhaften, spürbaren Mobilitätseinschränkung folgen. Dies
kann zwar unter ungünstigen Umständen der Fall sein, ist aber keineswegs zwangsläufig.
Eine solche Behinderung kann daher zwar am Ende einer derartigen Verursachungskette im
Einzelfall eintreten, aber nicht als in absehbarer Zeit konkret "drohend" eingestuft werden.
Das Tragen von Hüftprotektoren dient somit der Vorbeugung gegen eine zwar denkbare,
aber nicht bereits drohende Verletzung (in Form einer Fraktur) und nicht der Vorbeugung
gegen eine schon drohende Behinderung.
26 c) Die Versorgung mit Hüftprotektoren betrifft dementsprechend auch nicht den Ausgleich
einer Behinderung (3. Alternative des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V und Nr 3 des § 31 Abs 1
SGB IX) . Das Anlegen von Hüftprotektoren dient nicht der - vollständigen oder teilweisen -
Beseitigung einer körperlichen Funktionseinschränkung, die aus einer Behinderung
resultiert.
27 d) Ferner geht es auch nicht um die Verhütung der Verschlimmerung einer Krankheit (§ 27
Abs 1 Satz 1 3. Alternative SGB V) . Eine Verschlimmerung wird verhütet, wenn der
bestehende Krankheitszustand zwar nicht gebessert, aber auf dem derzeitigen Stand
gehalten wird. Dabei reicht es aus, dass die Krankheit sich, unbehandelt, wahrscheinlich
verschlimmern würde und dem Eintritt einer solchen Verschlimmerung am besten durch eine
frühzeitige Behandlung entgegengewirkt wird (vgl Follmann in: jurisPK-SGB V, § 27 RdNr 64
mwN). Diese Alternative scheidet aus, weil durch das Tragen der Hüftprotektoren das
Fortschreiten der vorhandenen Krankheit, zB der Osteoporose, nicht verhindert wird. Die
eine erhöhte Sturzgefahr bedingenden Krankheiten werden in ihrem Verlauf nicht positiv
beeinflusst. Die mögliche Fraktur stellt selbst keine Verschlimmerung der vorhandenen
Krankheit dar, weil es sich bei natürlicher Betrachtungsweise um eine von der
Grunderkrankung, zB der Osteoporose, zu unterscheidende neue Krankheit handelt, nicht
aber um eine direkte Folgeerkrankung. Da hier kein Fall der Verhütung einer
Verschlimmerung vorliegt, kann offenbleiben, ob diese Alternative bewusst oder nur
versehentlich in § 33 SGB V und § 31 SGB IX nicht aufgeführt worden ist.
28 e) Die Krankenkassen haben ihre Versicherten mit Hüftprotektoren auch nicht im Rahmen
ambulanter medizinischer Vorsorgeleistungen zu versorgen. Nach § 23 Abs 1 SGB V haben
Versicherte Anspruch auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil-
und Hilfsmitteln, wenn diese notwendig sind, um eine Schwächung der Gesundheit, die in
absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen (Nr 1) einer
Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken (Nr 2),
Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden (Nr 3) oder
Pflegebedürftigkeit zu vermeiden (Nr 4). Gemeinsam ist diesen Tatbeständen, dass die
Leistungspflicht der Krankenkassen auch schon zu einem Zeitpunkt einsetzt, in dem eine iS
des § 27 SGB V behandlungsbedürftige Krankheit noch nicht eingetreten ist, sie aber
einzutreten droht, und es bei wertender Betrachtung nicht um die Aufnahme oder
Fortsetzung der Behandlung einer schon bestehenden Krankheit geht (Schütze in: jurisPK-
SGB V, § 23 RdNr 14, 15 und 17) . Beurteilungsmaßstab ist daher unter dem Aspekt der
Versorgung mit Hüftprotektoren als Vorsorgeleistung nicht die Krankheit, die zu der erhöhten
Sturzgefahr oder zu dem verletzungsanfälligen Knochengerüst geführt hat (insoweit
Krankenbehandlung und medizinische Rehabilitation gemäß § 33 SGB V und § 31 SGB IX),
sondern die zu verhindernde Oberschenkelhalsfraktur als davon zu unterscheidende neue
Krankheit. Eine Leistungspflicht der Krankenkassen für Hüftprotektoren ist also auch unter
diesem Blickwinkel zu verneinen.
29 aa) Es geht hier nicht um die Beseitigung einer Schwächung der Gesundheit, die in
absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde (§ 23 Abs 1 Nr 1 SGB V).
30 Geschwächt ist die Gesundheit, wenn sie im Hinblick auf die drohende Erkrankung so
angegriffen ist, dass sie alltäglichen gesundheitlichen Belastungen nicht mehr standzuhalten
vermag. Kennzeichnend ist eine Abweichung vom Normalzustand des altersgerecht
gesunden Menschen mit einer Minderung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die aber noch
keinen Krankheitswert hat und deshalb noch keine Behandlungsbedürftigkeit iS des § 27
SGB V auslöst (Schütze, aaO, RdNr 32 mwN). Davon ist auszugehen, wenn der
Allgemeinzustand des Versicherten so labil ist, dass bei gleich bleibender Belastung -
außerberuflich und beruflich - mit dem Ausbruch einer Krankheit zu rechnen ist (so auch die
Gesetzesmaterialien, vgl BT-Drucks 11/2237, S 168) . In absehbarer Zeit ist mit dem Eintritt
einer schwächebedingten Erkrankung zu rechnen, wenn der Gesundheitszustand ohne
Intervention innerhalb eines überschaubaren Zeitraums in einen behandlungsbedürftigen
Krankheitszustand überzugehen droht (Schütze, aaO, RdNr 33).
31 Prägend für diesen Tatbestand ist die Verhinderung der ohne Vorsorgeleistungen
drohenden Gefahr eines gleitenden Übergangs von einem zwar schon regelwidrigen, aber
noch nicht behandlungsbedürftigen Gesundheitszustand in einen behandlungsbedürftigen
Krankheitszustand. Dies betrifft alle über einen gewissen Zeitraum sich erstreckenden
Veränderungen des körperlichen oder geistigen Zustands eines Menschen und passt von
vornherein nicht auf plötzlich eintretende, auf äußeren Umständen (hier: Stürze) beruhenden
Krankheiten wie Frakturen und sonstige Verletzungen.
32 Aber selbst wenn man den Tatbestand erweiternd auslegt und auch auf das Risiko von
Sturzverletzungen ausdehnt, fehlt es an einer - noch nicht behandlungsbedürftigen -
Schwächung der Gesundheit, weil die erhöhte Sturzgefahr und das verletzungsauffällige
Knochengerüst auf Krankheiten beruhen, die ihrerseits behandlungsbedürftig sind (§ 27
SGB V) . Zudem ist völlig ungewiss, ob sich die Sturzgefahr jemals realisiert und zu einer
Oberschenkelhalsfraktur führt (sachliche Komponente) und ob dies in absehbarer Zeit, also
innerhalb eines überschaubaren Zeitraums geschehen wird (zeitliche Komponente).
Insoweit kann auf die Ausführungen zum Tatbestand der Vorbeugung gegen eine drohende
Behinderung (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGB V) verwiesen werden (s. oben C 2b).
33 bb) Die Versorgung mit Hüftprotektoren dient auch nicht dem Zweck, einer Gefährdung der
gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken (§ 23 Abs 1 Nr 2 SGB V).
34 cc) Ferner geht es nicht um die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit nach § 23 Abs 1 Nr 4
SGB V. Pflegebedürftigkeit droht, wenn die möglicherweise zur Pflegebedürftigkeit (§ 14
SGB XI) führenden Erkrankungen ein solches Gewicht angenommen haben, dass bei
weiterem Fortschreiten mit dem Übergang zur Pflegebedürftigkeit gerechnet werden muss.
Die Schwelle des Pflegerisikos ist erreicht, wenn der Gesundheitszustand des Versicherten
so angegriffen ist, dass der Eintritt von Pflegebedürftigkeit ohne zeitnahe Intervention nach
ärztlicher Erfahrung auf Dauer nicht auszuschließen ist (Schütze, aaO, RdNr 39) .
35 Auch dieser Tatbestand ist nicht erfüllt. Es geht, ähnlich wie bei § 23 Abs 1 Nr 1 SGB V, um
die Verhinderung der ohne Vorsorgeleistungen drohenden Gefahr eines gleitenden
Übergangs von einem regelwidrigen Gesundheitszustands in einen anderen, hier in Form
des Übergangs von einem Schwäche- oder Krankheitszustand in den Zustand der
Pflegebedürftigkeit (§ 14 SGB XI) . Diese Konstellation passt wiederum nicht auf plötzlich
eintretende, auf äußeren Umständen beruhende Krankheiten wie Frakturen und sonstige
Verletzungen. Zudem ist das Risiko der Pflegebedürftigkeit sachlich und zeitlich zu weit von
der reinen Sturzfolgenprophylaxe entfernt, dem die Versorgung mit Hüftprotektoren dient.
Auch insoweit ist auf die Ausführungen zum Tatbestand der Vorbeugung gegen eine
drohende Behinderung (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGB V) zu verweisen.
36 dd) Es geht schließlich auch nicht um die Verhütung einer Krankheit (1. Alternative des § 23
Abs 1 Nr 3 SGB V).
37 Notwendig zur Krankheitsverhütung sind Leistungen, wenn die gesundheitliche Situation
des Versicherten ohne die in Frage stehende Leistung bei natürlichem Verlauf in einen nach
§ 27 Abs 1 SGB V behandlungsbedürftigen Zustand überzugehen droht, ohne dass schon
die Schwelle der "Schwächung der Gesundheit" (§ 23 Abs 1 Nr 1 SGB V) erreicht sein muss.
Dabei muss die medizinische Intervention zur Abwendung dieses Übergangs in den
Krankheitszustand schon gegenwärtig erforderlich sein (Schütze, aaO, RdNr 35 f). In
Abgrenzung zu § 23 Abs 1 Nr 1 SGB V sind hier auch solche ernsthaften gesundheitlichen
Risiken betroffen, die noch nicht zugleich eine Gesundheitsschwäche darstellen. Es geht
insbesondere um Fälle, bei denen aufgrund konkreter Anhaltspunkte der ernstliche Verdacht
einer künftig ausbrechenden und durch Maßnahmen der Krankheitsvorbeugung, zB der
Früherkennung, einzudämmenden oder aufzuhaltenden Krankheit besteht (Schütze, aaO,
RdNr 36).
38 Dieser Tatbestand erfasst das Risiko des zukünftigen Übergangs von einer - zB genetisch
bedingten - Krankheitsanlage in eine behandlungsbedürftige Krankheit. Er passt also schon
im Ansatz nicht auf plötzlich eintretende, auf äußeren Umständen beruhende Krankheiten
wie Frakturen und sonstige Verletzungen. Zudem ist das Risiko des tatsächlichen Eintritts
eines Oberschenkelhalsbruchs in sachlicher und zeitlicher Hinsicht völlig ungewiss. Insoweit
kann auf die Ausführungen zum Tatbestand des § 23 Abs 1 Nr 1 SGB V verwiesen werden
(vgl oben C 2 e aa), der durch den - erst zum 1.1.2000 durch das GKV-
Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22.12.1999 (BGBl I, 2626) in das Gesetz eingefügten -
Tatbestand der 1. Alternative des § 23 Abs 1 Nr 3 SGB V wegen dessen weiter Fassung
praktisch völlig überlagert wird und deshalb eigentlich funktionslos geworden ist (Schütze,
aaO, RdNr 36).
39 ee) Schließlich handelt es sich auch nicht um die Vermeidung der Verschlimmerung einer
Krankheit (2. Alternative des § 23 Abs 1 Nr 3 SGB V) . Dieser Tatbestand deckt sich
weitestgehend mit demjenigen des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V, soweit dieser den Anspruch
auf Krankenbehandlung zur Verhütung der Verschlimmerung einer Krankheit betrifft.
Unterschiedlich sind lediglich die medizinischen Ansatzpunkte, nämlich einerseits die
Leistungserbringung zwecks Krankenbehandlung (§ 27 SGB V) und andererseits die
Leistungserbringung zwecks gesundheitlicher Vorsorge (§ 23 SGB V) . Dass auch dieser
Tatbestand nicht erfüllt ist, ist bereits zu § 27 SGB V ausgeführt worden (vgl oben C 2 d).
40 f) Eine Leistungspflicht der GKV für Hüftprotektoren als Hilfsmittel zur Gesundheitsvorsorge,
zur Krankenbehandlung und zur medizinischen Rehabilitation besteht nach alledem nicht.
Das Beschaffen und Anlegen von Hüftprotektoren fällt als reine Prophylaxe gegen
Sturzfolgen in die Eigenverantwortung der Versicherten, soweit es um den Bereich der
Krankenversicherung geht.
41 3) Da Hüftprotektoren keine Hilfsmittel iS des § 33 SGB V, des § 23 SGB V bzw des § 31
SGB IX darstellen, kam es für die begehrte Eintragung in das Hilfsmittelverzeichnis der GKV
nicht mehr darauf an, dass der Klägerin insoweit auch die Antragsbefugnis fehlt (vgl dazu
Näheres unten D 2).
42 D) Das im Antrag auf Eintragung der Hüftprotektoren in das Hilfsmittelverzeichnis der GKV
konkludent enthaltene Hilfsbegehren auf Eintragung in das Pflegehilfsmittelverzeichnis (als
Anlage zum Hilfsmittelverzeichnis, § 78 Abs 2 SGB XI) ist ebenfalls unbegründet.
43 1) Wie bereits ausgeführt, ist es durchaus vorstellbar, dass Hüftprotektoren bei
pflegebedürftigen Versicherten eine selbstständigere Lebensführung ermöglichen (3.
Variante des § 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI) , und zwar durch eine Steigerung der Mobilität der
Pflegebedürftigen infolge verminderter Sturzangst. Unter Umständen tragen sie auch zur
Erleichterung der Pflege bei (1. Variante des § 40 Abs 1 Satz 1 SGB XI) , weil in der Zeit
nach der stationären Behandlung wegen einer Oberschenkelhalsfraktur möglicherweise ein
höherer Pflegeaufwand anfällt. Es fehlt insoweit aber an Feststellungen des LSG, die eine
abschließende Entscheidung der Frage tragen könnten, ob diese Voraussetzungen erfüllt
sind.
44 2) Der Senat brauchte den Rechtsstreit jedoch gleichwohl nicht an das LSG
zurückzuverweisen, weil der Klägerin die Antragsbefugnis fehlt. Sie ist nicht Hersteller,
sondern nur Vertreiber der Hüftprotektoren. Die Antragsbefugnis richtet sich nach der
Verweisung in § 78 Abs 2 Satz 5 SGB XI auf § 139 SGB V ebenfalls, wie beim
Hilfsmittelverzeichnis der GKV, nach § 139 Abs 3 Satz 1 SGB V und ist damit auf den
jeweiligen Hersteller beschränkt.
45 a) Nach § 139 Abs 3 Satz 1 SGB V erfolgt die Aufnahme eines Hilfsmittels in das
Hilfsmittelverzeichnis der GKV "auf Antrag des Herstellers". Das Aufnahmeverfahren wird
danach durch einen Antrag des Herstellers eingeleitet und kann grundsätzlich auch nur vom
Hersteller betrieben werden. Reine Vertriebsunternehmen - wie die Klägerin - können
hiernach weder selbst die Eintragung eines Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis
beantragen noch das Aufnahmeverfahren betreiben. Diese Bestimmung ist zwar erst zum
1.4.2007 in das Gesetz eingefügt worden, hat aber auch schon für die davorliegenden
Zeiträume Bedeutung, weil es sich nicht um eine konstitutiv wirkende, sondern um eine
klarstellende Regelung handelt, was auch die Gesetzesmaterialien zum Ausdruck bringen
(vgl BT-Drucks 16/3100 S 150 zu Nr 116, 3. Absatz). Der Charakter als klarstellende
Regelung ergibt sich insbesondere aus der Regelung des § 139 Abs 4 SGB V (bis
31.3.2007: § 139 Abs 2 Satz 1 SGB V) , wonach ein Hilfsmittel in das Verzeichnis
aufzunehmen ist, wenn "der Hersteller" die Funktionstauglichkeit und Sicherheit, die
Erfüllung der gesetzlichen Qualitätsanforderungen (§ 139 Abs 2 SGB V) und, soweit
erforderlich, den medizinischen Nutzen nachgewiesen hat und es mit den für eine
ordnungsgemäße und sichere Handhabung erforderlichen Informationen in deutscher
Sprache versehen ist. Im Aufnahmeverfahren hat "der Hersteller" die zur Prüfung dieser
Voraussetzungen erforderlichen vollständigen Antragsunterlagen vorzulegen (§ 139 Abs 6
Satz 1 SGB V) . Aus dieser - seit jeher bestehenden - gesetzlichen Vorlage- und
Nachweispflicht "des Herstellers" lässt sich ohne Weiteres ableiten, dass auch schon vor
dem 1.4.2007 nur der Hersteller einen Aufnahmeantrag stellen und das Aufnahmeverfahren
betreiben konnte. Die Klägerin war - als reines Vertriebsunternehmen - hiernach nicht
antragsbefugt.
46 Ob ein Vertriebsunternehmen berechtigt sein kann, namens und im Auftrag eines Herstellers
einen Aufnahmeantrag nach § 139 SGB V zu stellen, für diesen das Aufnahmeverfahren zu
betreiben und in einem Rechtsstreit als gewillkürter Prozessstandschafter aufzutreten,
braucht hier nicht entschieden zu werden, weil ein solches Handeln im fremden Namen vom
LSG nicht festgestellt und von der Klägerin auch nicht behauptet worden ist.
47 b) Die Klägerin kann sich zur Begründung ihrer Antragsbefugnis auch nicht darauf berufen,
sie gelte nach dem Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz
- ProdHaftG) vom 15.12.1989 (BGBl I 2198) im Verhältnis zu den Verbrauchern nicht
lediglich als Vertreiber, sondern nach § 4 Abs 1 Satz 2 ProdHaftG selbst als Hersteller, weil
sie sich durch Anbringen ihres Firmennamens an den Hüftprotektoren des dänischen
Produzenten in Deutschland als Hersteller ausgebe. Dieser für die Belange des
Verbraucherschutzes entwickelte weite Begriff des Herstellers gilt nur für den
Anwendungsbereich des ProdHaftG, nicht aber darüber hinaus. Dies ergibt sich sowohl aus
dem Zweck des Gesetzes, dem Verbraucher die Durchsetzung von Ersatzansprüchen
wegen fehlerhafter Produkte zu erleichtern, als auch aus dem Wortlaut des § 4 Abs 1 Satz 1
ProdHaftG, wonach "Hersteller im Sinne dieses Gesetzes" die in dieser Vorschrift genannten
Produzenten, Importeure, Vertreiber und Lieferanten sind. Im Anwendungsbereich des § 139
SGB V ist der Begriff des Herstellers eng zu verstehen und auf das eigentliche
Herstellungsunternehmen beschränkt. Dies soll insbesondere der Gefahr divergierender
Entscheidungen vorbeugen. Dass der Gesetzgeber auch an Anträge ausländischer
Hersteller gedacht hat, ergibt sich vor allem aus der Verpflichtung zur Beifügung der für eine
ordnungsgemäße und sichere Handhabung erforderlichen Informationen in deutscher
Sprache (§ 139 Abs 4 SGB V) .
48 E) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der hier noch anwendbaren und bis
zum 1.1.2002 gültigen Fassung (vgl § 197a SGG iVm Art 17 Abs 1 Satz 2 des 6. SGG-
Änderungs-gesetzes vom 17.8.2001, BGBl I 2144) , weil die Klage bereits im Jahre 1998
anhängig geworden ist.