Urteil des BSG vom 14.02.2013

BSG: verwaltungsakt, anfechtungsklage, wiederholungsgefahr, rechtswidrigkeit, presse, entstehungsgeschichte, steigerung, ausarbeitung, mitarbeit, aktiven

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 14.2.2013, B 14 AS 195/11 R
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg
vom 14. Juli 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 30. Juli 2009 aufgehoben. Es
wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 19. Februar 2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids 26. März 2008 rechtswidrig war.
Der Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Verfahrens für alle Instanzen zu erstatten.
Tatbestand
1 Der Kläger wendet sich gegen einen Verwaltungsakt, mit dem der Beklagte im Rahmen
der Gewährung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem Sozialgesetzbuch
Zweites Buch (SGB II) eine Eingliederungsvereinbarung ersetzt hat (im Folgenden:
Eingliederungsverwaltungsakt).
2 Der 1964 geborene Kläger erhält seit Juli 2006 laufende Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II. Unter dem 11.2.2008 legte der Beklagte dem Kläger
eine vorformulierte Eingliederungsvereinbarung vor, die bis zum 11.8.2008 gültig sein
sollte. Nachdem der Kläger sich geweigert hatte, diese Eingliederungsvereinbarung zu
unterschreiben, ersetzte der Beklagte sie durch einen Verwaltungsakt vom 19.2.2008.
Hierin wurde als Geltungsdauer die Zeit vom 19.2.2008 bis zum 31.12.2008 festgelegt,
soweit zwischendurch nichts anderes vereinbart werde. Als Leistungen zur Eingliederung
in Arbeit wurden vom Beklagten ua zugesagt: die Unterstützung bei der Arbeitsuche/-
aufnahme durch Unterbreitung von Vermittlungsvorschlägen, durch finanzielle Leistungen
wie zB Bewerbungskosten, Leistungen zur Aufnahme einer Arbeit, zB Mobilitätshilfen,
sowie öffentlich geförderte Beschäftigung und evtl ein Angebot einer außerbetrieblichen
Trainingsmaßnahme.
3 Als Verpflichtung, die der Kläger im Rahmen der Eingliederungsbemühungen zu erfüllen
und entsprechend zu dokumentieren habe, wurde die intensive und initiative Bewerbung
auch während einer Arbeitsgelegenheit oder einer Trainingsmaßnahme auferlegt; der
Kläger sollte seine Bewerbungsbemühungen auf den gesamten Helferbereich ausdehnen.
Der Kläger wurde verpflichtet, eine angebotene Arbeitsgelegenheit anzutreten bzw eine
außerbetriebliche Trainingsmaßnahme anzunehmen. Er dürfe außerdem während der
Arbeitsgelegenheit oder der Trainingsmaßnahme keinerlei Anlässe dafür bieten, dass
aufgrund seines Verhaltens oder seiner Arbeitsweise die Maßnahme abgebrochen
werden müsse. Der Kläger sollte außerdem angebotene Unterstützungen der Fachdienste
(psychologischer Dienst/ärztlicher Dienst) annehmen, ebenso wie weitere individuelle
Unterstützung wie Förderung beruflicher
Weiterbildung/Schuldnerberatung/Suchtberatung/psychosoziale Betreuung. Er wurde
verpflichtet, alle Termine wahrzunehmen und bei Arbeitsunfähigkeit eine entsprechende
Bescheinigung vorzulegen. Dem Bescheid war eine Rechtsfolgenbelehrung bezüglich
Grundpflichten, Meldepflicht und "Gemeinsamen Vorschriften" beigefügt.
4 Gegen diesen Eingliederungsverwaltungsakt legte der Kläger Widerspruch ein mit der
Begründung, der Beklagte habe es versäumt, Ermessenserwägungen darzulegen. Mit
Datum vom 18.3.2008 verfasste der Beklagte erneut eine vorformulierte
Eingliederungsvereinbarung. Bei einer persönlichen Vorsprache am 20.3.2008 lehnte es
der Kläger ab, die Eingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen; die Unterschrift wurde
auch in der Folgezeit nicht nachgeholt. Im Rahmen der Vorsprache bot der Beklagte dem
Kläger eine betriebliche Trainingsmaßnahme als Mitarbeiter in einem landwirtschaftlichen
Betrieb an, diese Maßnahme lehnte der Kläger ebenfalls ab. Mit Widerspruchsbescheid
vom 26.3.2008 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den
Eingliederungsverwaltungsakt zurück und machte geltend, Ermessenserwägungen seien
nicht darzulegen. Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) erhoben.
5 Mit Bescheid vom 25.4.2008 senkte der Beklagte für die Zeit vom 1.5. bis 31.7.2008 die
Leistungen nach dem SGB II um 30 vH der maßgeblichen Regelleistung ab und hob den
(Bewilligungs-)Änderungsbescheid vom 4.2.2008 in Höhe von 104 Euro monatlich für den
genannten Zeitraum auf, weil der Kläger seine Pflichten aus "der
Eingliederungsvereinbarung vom 20.3.2008" verletzt habe, da er an einer angebotenen
Trainingsmaßnahme nicht teilgenommen habe. Der gegen den Bescheid vom 25.4.2008
eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.5.2008
zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Klage hat das SG abgewiesen; die
Nichtzulassungsbeschwerde ist noch beim Landessozialgericht (LSG) anhängig. Mit
erneutem Bescheid vom 30.6.2008 hat der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem
SGB II für die Zeit vom 1.7. bis 31.12.2008 in Höhe von 588,45 Euro bewilligt.
6 Das SG hat die gegen den Eingliederungsverwaltungsakt gerichtete Klage als unzulässig
abgewiesen (Urteil vom 30.7.2009). Das LSG hat die hiergegen eingelegte Berufung
zurückgewiesen (Urteil vom 14.7.2010). Entgegen der Auffassung des SG sei die Klage
zwar nicht unzulässig, insbesondere habe sich der Bescheid vom 19.2.2008 nicht durch
Abschluss einer nachfolgenden Eingliederungsvereinbarung erledigt. Der Bescheid vom
25.4.2008, mit dem die bewilligten Leistungen abgesenkt worden seien, zeige auch, dass
der Verwaltungsakt seine regelnde Wirkung noch nicht verloren habe. Die Klage sei
allerdings nicht begründet, denn der angefochtene Bescheid enthalte alle von Gesetzes
wegen vorgeschriebenen Elemente. Soweit der Kläger eine unzureichende
Ermessensausübung rüge, sei darauf hinzuweisen, dass es sich bei § 15 Abs 1 SGB II um
eine reine Verfahrensvorschrift handele. Der Grundsicherungsträger treffe insoweit eine
nicht justitiable Opportunitätsentscheidung darüber, welchen Verfahrensweg er zur
Erfüllung des Ziels der Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wähle. Dass
der angefochtene Bescheid nicht im Einzelnen darauf eingehe, was den Beklagten zu den
vom Kläger beanstandeten Regelungen bewogen habe, sei unschädlich. Die
Begründungsanforderungen richteten sich nach den Besonderheiten des jeweiligen
Einzelfalls. Es reiche aus, dass dem Kläger hier der dem angefochtenen Verwaltungsakt
faktisch zugrunde liegende Entwurf einer Eingliederungsvereinbarung vom 11.2.2008
persönlich ausgehändigt worden und dieser mit ihm besprochen worden sei. Dies führe
dazu, dass der Kläger seine Rechte sachgemäß wahrnehmen könne. Im Übrigen würden
in dem Bescheid Intensität und Quantität der geforderten Eigenbemühungen festgelegt
und auch der sachliche Umfang der Bewerbungsbemühungen eingegrenzt ("gesamter
Helferbereich"). Da zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses die weitere Entwicklung für den
zu regelnden Zeitraum nicht in allen Einzelheiten überblickt werden könne, sei es
regelmäßig ausreichend, die Fördermaßnahmen zunächst allgemeiner zu formulieren.
7 Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, der die
Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt sei aus verschiedenen Gründen
rechtswidrig. Zunächst sei eine umfassende und gründliche Potentialanalyse zu erstellen,
was nicht geschehen sei. Der Verwaltungsakt sei auch allein schon deshalb rechtswidrig,
weil er für eine Dauer von erheblich mehr als sechs Monate habe gelten sollen, ohne dass
hierfür eine Begründung gegeben worden sei. Außerdem sei die
Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt rechtswidrig, weil aus diesem nicht
ersichtlich sei, welche Eingliederungsleistungen des Trägers konkret angeboten würden,
die ihm auferlegten Verpflichtungen seien so unbestimmt, dass er nicht erkennen könne,
welche Verpflichtungen ihn tatsächlich träfen. Im Übrigen müssten, soweit
Ermessensleistungen bewilligt würden, in dem Bescheid auch Ermessenserwägungen
enthalten sein.
8 Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Juli 2010 und das Urteil
des Sozialgerichts Konstanz vom 30. Juli 2009 aufzuheben und festzustellen, dass der
Bescheid vom 19. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 26. März
2008 rechtswidrig war.
9 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10 Er hält die Klage bereits für unzulässig, da der angefochtene, eine
Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt seine Wirkung durch Zeitablauf
verloren habe. Im Übrigen sei die festgesetzte Sanktion ausweislich eines Schreibens
vom 19.1.2010 an das SG wieder aufgehoben worden. Er erkläre zudem verbindlich, dass
auch keine weiteren Rechtsfolgen, wie etwa eine Rückforderung bereits ausgezahlter
Sanktionsbeträge mehr in Betracht komme. Nachdem somit eine Beschwer des Klägers
nicht mehr vorliege, sei die Revision unzulässig.
Entscheidungsgründe
11 Die Revision des Klägers ist begründet. Der eine Eingliederungsvereinbarung ersetzende
Verwaltungsakt vom 19.2.2008 war rechtswidrig, weil der Beklagte entgegen der
gesetzlichen Vorgabe in § 15 Abs 1 Satz 6 iVm Satz 3 SGB II ohne
Ermessenserwägungen eine Geltungsdauer von zehn Monaten angeordnet hat.
12 1. Die Zulässigkeit der Revision begegnet keinen Bedenken. Insbesondere die
Umstellung des Klageantrags auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch im
Revisionsverfahren zulässig; § 168 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) steht dem nicht
entgegen (vgl BSGE 99, 145, 146 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4; s auch Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 131 RdNr 8a und Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 168 RdNr 2b; Lüdtke in Lüdtke, SGG, 4. Aufl 2012, § 168
RdNr 4, jeweils mwN).
13 Der Kläger hat sich ursprünglich zutreffend mit der Anfechtungsklage gegen den die
Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt vom 19.2.2008 gewandt. Die mit
der Anfechtungsklage angestrebte Aufhebung dieses Verwaltungsaktes war ua
erforderlich, um mögliche Sanktionen abzuwehren. Das LSG ist zutreffend davon
ausgegangen, dass sich der Bescheid vom 19.2.2008 nicht, wie das SG angenommen hat,
nach § 39 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) durch den Abschluss einer
nachfolgenden Eingliederungsvereinbarung erledigt hatte. Die vom SG angenommene
nachfolgende Eingliederungsvereinbarung vom "20.3." (tatsächlich datierte sie vom
18.3.2008) ist nicht zustande gekommen. Aufgrund der Erklärungen des Beklagten im
Revisionsverfahren steht jedoch fest, dass der angefochtene Bescheid keine
Regelungswirkung mehr entfaltet und eine Anfechtungsklage daher nicht mehr in Betracht
kam.
14 Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig. Es ist mit Wirkung vom
1.1.2011 als Rechtsnachfolger kraft Gesetzes an die Stelle der bisher beklagten
Arbeitsgemeinschaft getreten (vgl dazu im Einzelnen ua Bundessozialgericht
Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 99/10 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 5). Dieser
Beteiligtenwechsel stellt keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung dar,
das Passivrubrum war daher von Amts wegen zu berichtigen.
15 2. Die zulässige Revision des Klägers ist auch begründet. Der die
Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt vom 19.2.2008 war rechtswidrig.
16 a) Die vom Kläger im Revisionsverfahren aufrecht erhaltene
Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach § 131 Abs 1 Satz 3 SGG hier die richtige Klageart.
Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines
zurückgenommenen oder auf andere Weise erledigten Verwaltungsaktes begehrt werden,
wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solches
Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität und
der Wiederholungsgefahr bestehen. Wiederholungsgefahr ist anzunehmen, wenn die
hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen
unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung
ergeht (vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 4 RdNr 7 mwN; Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 131 RdNr 10 bis 10 f; Krasney/Udsching,
Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IV, RdNr 102). Die
Wiederholungsgefahr ist vorliegend zu bejahen, denn der Verlauf des Verfahrens zeigt,
dass der Beklagte wiederholt versucht hat, den Kläger in Eingliederungsmaßnahmen
einzubeziehen. Es besteht daher eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit, dass
auch in der nachfolgenden Zeit weitere Maßnahmen zu erwarten sind.
17 b) Der Beklagte hat über Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gegenüber dem Kläger zu
Recht durch Verwaltungsakt entschieden. Zwar legt § 15 Abs 1 Satz 1 SGB II zunächst
fest, die Agentur für Arbeit solle im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jedem
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung erforderlichen Leistungen
vereinbaren. § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II bestimmt dann jedoch: Kommt eine
Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die in Satz 2 aufgeführten Regelungen
einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt erfolgen. Diese Voraussetzung
ist hier erfüllt, denn der Kläger hat nach den tatrichterlichen Feststellungen den Abschluss
einer Eingliederungsvereinbarung ohne Begründung abgelehnt. In einem solchen Fall
steht dem Grundsicherungsträger nur die Handlungsform Verwaltungsakt zur Verfügung
(Müller in Hauck/Noftz, SGB II, Stand VII/12, K § 15 RdNr 24 f).
18 Der Gesetzeswortlaut legt damit für die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit einen
Vorrang der konsensualen Lösung gegenüber dem hoheitlichen Handeln durch
Verwaltungsakt nahe (so insbes Huckenbeck in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, §
15 RdNr 10; Müller, aaO, § 15 RdNr 13; Sonnhoff in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 15
RdNr 24). Hierfür spricht auch die Entstehungsgeschichte des SGB II. Der Gesetzentwurf
zum SGB II betont mehrfach den besonderen Stellenwert, den man der aktiven Mitarbeit
des Leistungsberechtigten bei der gemeinsamen Ausarbeitung einer
Eingliederungsvereinbarung beimisst (BT-Drucks 15/1516, S 44, 46). Der Gesetzgeber
versprach sich hiervon offensichtlich eine Steigerung der Motivation des Betroffenen, an
der Eingliederung in den Arbeitsmarkt aktiv mitzuwirken. Dieses gesetzgeberische
Anliegen ist auch nicht deshalb vernachlässigenswert, weil die Durchsetzung der
Ansprüche auf Eingliederungsleistungen nicht davon abhängt, ob diese in einer
Eingliederungsvereinbarung oder einem ersetzenden Verwaltungsakt festgelegt worden
sind und zudem der jeweilige Sachbearbeiter des Jobcenters womöglich am besten
beurteilen kann, welcher Weg am ehesten einen raschen Eingliederungserfolg verspricht
(so aber BSG Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 13/09 R - BSGE 104, 185, 188 = SozR 4-4200
§ 15 Nr 1, RdNr 17). Zum einen stellt das Anliegen, auf der Basis konsensualer
Lösungsversuche langfristig größere Eingliederungserfolge erreichen zu wollen, ein
legitimes gesetzgeberisches Ziel dar; zum anderen ist im Schrifttum zutreffend deutlich
gemacht worden, dass die Leistungsangebote des Grundsicherungsträgers wie auch die
Selbstverpflichtungen des Grundsicherungsempfängers - in den Grenzen des § 58 SGB X
- vertraglich deutlich weitergehend ausgestaltet werden können, als dies bei einer
Entscheidung durch Verwaltungsakt möglich ist (Siefert, SGb 2010, 612, 616).
19 Eine Gleichrangigkeit der Handlungsformen Vereinbarung und Verwaltungsakt kann
schließlich auch nicht daraus abgeleitet werden, dass im Gesetzgebungsverfahren zwar
die Notwendigkeit einer Einbeziehung des Arbeitsuchenden sprachlich stärker betont
worden sei; dass letztlich jedoch die fehlende Parität zwischen Grundsicherungsträger
und Arbeitsuchendem im Ergebnis nicht korrigiert worden sei; die
Eingliederungsvereinbarung bilde vor allem eine Grundlage für Sanktionen bei
Nichterfüllung von Pflichten durch den Arbeitsuchenden und liege damit eher im Interesse
des Grundsicherungsträgers (BSGE 104, 185, 188 = SozR 4-4200 § 15 Nr 1). Zum einen
gibt es zahlreiche Lebensbereiche, in denen trotz vergleichbar asymmetrischer
Verhandlungspositionen die Akzeptanz vertraglicher Regelungen nicht in Zweifel gezogen
wird (Siefert, SGb 2010, 612, 615); zum anderen muss davon ausgegangen werden, dass
der Gesetzgeber das konsensuale Vorgehen gerade als Konfliktvermeidungsstrategie
gesehen hat (Müller in Hauck/Noftz, SGB II, Stand VII/12, K § 15 RdNr 15). Wortlaut,
Entstehungsgeschichte (hierzu speziell: Müller, aaO, RdNr 17) und Sinn und Zweck des §
15 Abs 1 SGB II sprechen nach allem eher dafür, dass ein die
Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt nur in Betracht kommt, wenn der
Grundsicherungsträger zuvor den Versuch unternommen hat, mit dem Arbeitsuchenden
eine Vereinbarung zu schließen oder im Einzelfall besondere Gründe vorliegen, die den
Abschluss einer Vereinbarung als nicht sachgerecht erscheinen lassen; was im
ersetzenden Verwaltungsakt im Einzelnen darzulegen wäre (Huckenbeck, aaO, § 15 RdNr
11).
20 Die Rechtswidrigkeit des ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakts, mit dem der
Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung ersetzt hat, ergibt sich hier aus der Tatsache,
dass der Beklagte entgegen der gesetzlichen Vorgabe ohne Ermessenserwägungen eine
Geltungsdauer von zehn Monaten angeordnet hat. Zwar verweist Satz 6 des § 15 Abs 1
SGB II wegen des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts allein
auf "die Regelungen nach Satz 2". Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass der
Grundsicherungsträger die Geltungsdauer eines ersetzenden Verwaltungsakts ohne
Bindung an die Vorgabe des Satzes 3 nach freiem Ermessen festlegen können sollte.
Nach § 15 Abs 1 Satz 3 SGB II soll die Eingliederungsvereinbarung für sechs Monate
geschlossen werden. Aufgrund des Verhältnisses der Regelungen in Satz 1 und 2 des §
15 Abs 1 SGB II zu Satz 6 dieser Vorschrift gilt dies auch für den die
Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt.
21 Bei der Entscheidung über die Geltungsdauer ist das Ermessen des
Grundsicherungsträgers danach gebunden. Für den Regelfall sieht der Gesetzgeber
sechs Monate als angemessen an. Die sechsmonatige Regellaufzeit entspricht dem
Bewilligungszeitraum für Leistungen nach dem SGB II gemäß § 41 Abs 1 Satz 2 SGB II.
Bis zum 31.12.2006 galt als Übergangsregelung zur Entlastung der Verwaltung noch eine
Laufzeit von bis zu zwölf Monaten (vgl dazu Fuchsloch in Gagel, SGB II, Stand Juni 2006,
§ 15 RdNr 73). Die nunmehr geltende kürzere Frist von sechs Monaten gibt dem
Hilfebedürftigen einerseits einen stabilen, verlässlichen Rahmen, garantiert aber
andererseits durch kontinuierliche Beobachtung, dass nicht an Zielen starr festgehalten
wird, die sich als erfolglos erwiesen haben (vgl Fuchsloch, aaO; Berlit in LPK-SGB II, 4.
Aufl 2011, § 15 RdNr 36 f). Deshalb "soll" nach Satz 4 des § 15 Abs 1 SGB II nach Ablauf
von sechs Monaten eine neue Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden.
22 c) Eine Anfrage beim 4. Senat des BSG nach § 41 Abs 3 Satz 1 SGG war nicht geboten.
Eine Anfrage kommt danach nur in Betracht, wenn der erkennende Senat mit einem in der
zu treffenden Entscheidung beabsichtigten Rechtssatz von einem in einem früheren Urteil
enthaltenen tragenden Rechtssatz eines anderen Senats abweichen will (BSGE 58, 183,
186 f = SozR 1500 § 42 Nr 10; vgl May, Die Revision, 2. Aufl 1997, Kap V E, RdNr 133,
136). Es ist nicht erkennbar, dass es für das Urteil vom 22.9.2009 (BSGE 104, 185 = SozR
4-4200 § 15 Nr 1), in dem allein über den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung zu
entscheiden war, auf die dort geäußerte Rechtsauffassung ankam, die Handlungsformen
Vereinbarung und Verwaltungsakt seien bei der Gewährung von Leistungen zur
Eingliederung in Arbeit gleichrangig (so auch Siefert, SGb 2010, 612, 615).
23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.