Urteil des BSG vom 26.09.2006

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Bundessozialgericht
Urteil vom 26.09.2006
Sozialgericht Halle (Saale) S 2 KR 139/03
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 4 KR 114/04
Bundessozialgericht B 1 KR 14/06 R
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. April 2006
aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. November 2004
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungs- und Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten über den Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Cabaseril® außerhalb seines
zugelassenen Indikationsbereichs für die Zukunft sowie auf Kostenerstattung in Höhe von 1.869,16 EUR wegen
Selbstbeschaffung dieses Mittels in der Vergangenheit.
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Die im Jahre 1923 geborene Klägerin, bei der beklagten AOK gesetzlich krankenversichert, leidet seit ihrem
dreißigsten Lebensjahr am Restless Legs Syndrom (RLS). Diese nicht seltene, chronische Erkrankung ungeklärter
Ursache bewirkt ziehende Schmerzen und Unruhe vor allem in den Beinen, häufig auftretende unwillkürliche
Beinbewegungen mit Weckreaktionen, bei der Klägerin ausgeprägte Unruhe und massive Ein- und
Durchschlafstörungen. Ihre Behandlung mit Tramal führte zu einer Abhängigkeit. Da die Standardtherapie mit Restex®
(Wirkstoff: Levodopa und Benserazid) keine Wirkung mehr zeigte und die Klägerin bei einem stationären Aufenthalt
positive Erfahrungen mit dem nur für die Behandlung der Parkinson-Krankheit arzneimittelrechtlich zugelassenen
Fertigarzneimittel Cabaseril® (Wirkstoff: Cabergolin) machte, beantragte sie über ihre behandelnde Ärztin bei der
Beklagten, sie mit diesem Mittel zu versorgen (16. Mai 2003). Dies lehnte die Beklagte, gestützt auf ein Gutachten
des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ab (Bescheid vom 25. Juni 2003; Widerspruchsbescheid vom
22. September 2003). Anders als mit ihrer Klage zum Sozialgericht (SG) (Urteil vom 18. November 2004) ist die
Klägerin mit ihrer Berufung zum Landessozialgericht (LSG) erfolgreich gewesen: Das LSG hat das SG-Urteil
aufgehoben und die Beklagte zur Erstattung von 1.869,16 EUR für das von Dezember 2003 bis Dezember 2005
mittels Privatrezept selbst beschaffte Cabaseril® sowie zur Versorgung der Klägerin mit diesem Mittel für die Zukunft
verurteilt. Es hat die Voraussetzungen einer die Zulassung überschreitenden Pharmakotherapie (Off-Label-Use) zu
Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als erfüllt angesehen, obwohl Cabaseril® für die RLS-Therapie
mangels einer klinischen Prüfung der Phase III die arzneimittelrechtliche Zulassungsreife fehle. Denn außerhalb eines
Zulassungsverfahrens seien geringere, hier erfüllte Anforderungen an die Aussicht auf einen Behandlungserfolg zu
stellen (Urteil vom 25. April 2006).
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Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 27 Abs 1, § 31 Abs 1, § 2 Abs 1 Satz 3 und § 12 Abs 1
Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Aufgrund der Datenlage könne nicht
von einer begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg mit Cabaseril® ausgegangen werden. Wegen der
Zulassung der Arzneimittel Sifrol® (Wirkstoff Pramipexol) und Adartel® (Wirkstoff Ropinirol) zur Behandlung des RLS
im April und Mai 2006 sei eine andere Therapie verfügbar.
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Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. April 2006 aufzuheben und die
Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. November 2004 zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
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Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das LSG hat die Beklagte zu Unrecht antragsgemäß verurteilt,
denn die Klägerin kann von der Beklagten nicht die Zahlung von 1.869,16 EUR aus § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V (idF des
Art 5 Nr 7 Buchst b Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni
2001, BGBl I 1046) und die Versorgung mit Cabaseril® (Wirkstoff Cabergolin) für die Zukunft aus § 27 Abs 1 Satz 2
Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V verlangen. Das LSG-Urteil ist deshalb aufzuheben und die Berufung der
Klägerin zurückzuweisen.
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1. Die Voraussetzungen eines Sachleistungsanspruchs auf Cabaseril® und eines - hier allein in Betracht kommenden
- Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V sind nicht erfüllt. Die Rechtsnorm bestimmt:
"Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von
der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Der Anspruch aus § 13
Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen
seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen
gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl
zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, jeweils
RdNr 10 mwN - Visudyne®; zuletzt Senatsurteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R - D-Ribose, RdNr 12 mwN, zur
Veröffentlichung vorgesehen und Senatsurteil vom selben Tage - B 1 KR 7/05 R - Tomudex®, RdNr 15 mwN, zur
Veröffentlichung vorgesehen). Daran fehlt es für den Einsatz des Arzneimittels Cabaseril® bei der Klägerin mangels
arzneimittelrechtlicher Zulassung (dazu a). Auch ein Ausnahmefall, in dem sich der Sachleistungsanspruch nach
allgemeinen Grundsätzen (dazu b) oder aufgrund verfassungskonformer Auslegung (dazu c) auf Fertigarzneimittel im
Bereich des sog Off-Label-Use erstreckt, liegt nicht vor.
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a) Das Fertigarzneimittel Cabaseril® bedarf zur Anwendung bei der Klägerin grundsätzlich der arzneimittelrechtlichen
Zulassung für das Indikationsgebiet, in dem es von ihr angewendet wird, um dem Leistungskatalog der GKV zu
unterfallen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 Satz 1, § 12 Abs 1
SGB V) nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V
umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz (AMG)) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt
(stRspr, vgl zuletzt Senatsurteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R - D-Ribose, RdNr 22 mwN, zur Veröffentlichung
vorgesehen; Senatsurteil vom heutigen Tage - B 1 KR 1/06 R - Ilomedin®, zur Veröffentlichung vorgesehen). So liegt
es hier. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung in diesem Sinne besteht nur, wenn das Arzneimittel die Zulassung
gerade für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll. Das
zulassungspflichtige Cabaseril® hat weder in Deutschland noch EU-weit die erforderliche Arzneimittelzulassung für
das Indikationsgebiet RLS, für das es von der Klägerin eingesetzt wird, sondern ist lediglich in Deutschland zur
Behandlung des Morbus Parkinson zugelassen. Das genügt nicht, um von einer Anwendung im Bereich der
arzneimittelrechtlichen Zulassung auszugehen.
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b) Die Klägerin konnte und kann Cabaseril® auch nicht nach den Grundsätzen des sog Off-Label-Use beanspruchen.
Um einen Seltenheitsfall, der sich einer systematischen Erforschung entzieht (vgl dazu Senat, BSGE 93, 236 = SozR
4-2500 § 27 Nr 1, jeweils RdNr 21 - Visudyne®), handelt es sich nicht. Nach der Rechtsprechung des Senats
(grundlegend BSGE 89, 184, 191 f = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 36 - Sandoglobulin®) kommt im Übrigen die
Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet grundsätzlich nur in
Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf
Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3.
aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg
(kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.
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Die Klägerin leidet an einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne der ersten Voraussetzung. Allerdings kann nicht
jede Art von Erkrankung den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen,
sondern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. An
dieser Rechtsprechung hält der Senat fest (vgl näher Senat, Urteil vom heutigen Tage, - B 1 KR 1/06 R - Ilomedin®).
Denn der sog Off-Label-Use bedeutet, Arzneimittel ohne die arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit
und Qualität einzusetzen, die in erster Linie Patienten vor inakzeptablen unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit
schützen soll (vgl hierzu Senat BSGE 95, 132 RdNr 18 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 25 mwN - Wobe-Mugos E).
Ausnahmen können nur in engen Grenzen aufgrund einer Güterabwägung anerkannt werden, die der Gefahr einer
krankenversicherungsrechtlichen Umgehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse entgegenwirkt, die
Anforderungen des Rechts der GKV an Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel (§ 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V)
beachtet und den Funktionsdefiziten des Arzneimittelrechts in Fällen eines unabweisbaren, anders nicht zu
befriedigenden Bedarfs Rechnung trägt (vgl BSGE 89, 184, 190 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 34 ff; BSGE 95, 132
RdNr 17 f = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 24 f mwN; von Wulffen, Festschrift für Wiegand, 2003, 161, 174; Hauck,
Arzneimittel & Recht (A&R) 2006, 147, 148 f). Das nach den bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163
Sozialgerichtsgesetz (SGG)) in schwerwiegender Form bestehende RLS mit ganz massiven Schlafstörungen und
daraus resultierenden erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen entspricht diesen Anforderungen.
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Ob es auch im Sinne der zweiten Voraussetzung an Behandlungsalternativen für die Klägerin fehlt, bedarf keiner
Entscheidung. Denn die dritte Voraussetzung für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV ist nicht erfüllt: Aufgrund der
Datenlage besteht keine hinreichend begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Das LSG hat den
Rechtsmaßstab für die Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten im Ansatz nicht verkannt. Nach der von ihm zu
Recht weiterhin zugrunde gelegten Rechtsprechung des Senats (BSGE 89, 184, 192 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 36 -
Sandoglobulin®) kann von hinreichenden Erfolgsaussichten dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse
vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies
kann angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und
Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht
worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren
Risiken belegen oder (b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind,
die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich
nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen
voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
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Diese Voraussetzungen knüpfen an die arzneimittelrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen der §§ 21 ff AMG an und
berücksichtigen ua, dass für den Regelfall des § 22 Abs 2 AMG das Arzneimittel nach dem jeweils gesicherten Stand
der wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichend geprüft und die angegebene therapeutische Wirksamkeit nach dem
jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller zureichend begründet sein muss
(vgl im Einzelnen § 25 Abs 2 Nr 2 und 4 AMG), um mit den Zulassungsunterlagen Qualität, Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit des Mittels hinreichend darzutun. Mit dem unbestimmten Rechtsbegriff des "jeweils gesicherten
Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse" verweist der Gesetzgeber auf außerrechtliche Erkenntnisquellen, um
sicherzustellen, dass die Zulassung im Interesse der Arzneimittelsicherheit auf der Grundlage des jeweils aktuellen
Wissensstandes erfolgt.
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Den außerrechtlichen Erkenntnisquellen und den ihre Ergebnisse rezipierenden Verwaltungsvorschriften hat die
Rechtsprechung zum Arzneimittelzulassungsrecht (vgl Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin, Urteil vom 25.
November 1999, Az: 5 B 11.98, juris Dokument Nr MWRE106300000) entnommen, dass sich die klinische Prüfung
bis zur Zulassungserteilung regelmäßig in drei Phasen gliedert: Zunächst wird an einer kleinen Zahl gesunder
Probanden die Verträglichkeit der Substanz beim Menschen untersucht mit ersten Informationen über
Pharmakokinetik und Stoffwechsel. Rechtfertigen die Befunde dieser Phase I die weitere Untersuchung der
Prüfsubstanz, wird in einer Phase II an einer begrenzten Zahl von etwa 100 bis 200 Patienten versucht, die
pharmakodynamische Wirkung des Arzneimittels therapeutisch bzw diagnostisch zu objektivieren. Diese Studie dient
dazu, Hinweise auf erwünschte und unerwünschte Wirkungen, die Indikationen und Kontraindikationen zu finden sowie
die richtige Dosierung des Arzneimittels zu ermitteln.
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Die gewonnenen Daten stellen die Grundlage für die Planung der Phase III-Studie dar; es sollen Erfahrungen in Bezug
auf organisatorische Mängel des Studiendesigns für die Phase III gewonnen werden, um so das Design der
kontrollierten Studie festlegen zu können. Die Phase III-Studie dient dem eigentlichen Nachweis der therapeutischen
Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit der neuen Substanz, der Bestätigung der in der Phase II-Studie gefundenen
Hinweise. Diese konfirmatorische Studie erfordert Versuche an einer großen Zahl von Patienten (in der Regel mehr als
200). Es sind Verum- und Kontrollkollektiv (Vergleichsgruppen mit und ohne Therapie mit der Testsubstanz)
hinreichender Größe sowie eine randomisierte (nach dem Zufallsprinzip erfolgte) Zuteilung der Patienten zu den
Behandlungsgruppen unverzichtbar. Der Vergleich dient der Unterscheidung der echten pharmakodynamischen
Wirkungen von arzneistoffunabhängigen Effekten (vgl insgesamt OVG Berlin, aaO, juris RdNr 30 ff mwN; vgl auch
zuletzt zB 3. Bekanntmachung zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln am Menschen vom 10. August 2006.
Gemeinsame Bekanntmachung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Paul-
Ehrlich-Instituts, veröffentlicht im Internet unter www.bfarm.de ab 04. September 2006). Obwohl sich die Phasen der
klinischen Prüfung überschneiden können, müssen nach diesen Grundsätzen stets alle drei Phasen durchlaufen
werden. Ergibt die Überprüfung einer durchgeführten Studie - auch der Phase III - keinen hinreichenden Beleg für
einen zu erwartenden Behandlungserfolg in diesem Sinne, ist regelmäßig die dritte Voraussetzung für einen Off-Label-
Use zu Lasten der GKV nicht erfüllt.
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An der erforderlichen Zulassungsreife der RLS-Therapie mit Cabaseril® fehlt es nach den Feststellungen des LSG. Zu
einer abgeschlossenen, veröffentlichten Studie der Phase III ist es nicht gekommen. Dem LSG ist nicht zu folgen,
soweit es aus dem Senatsurteil vom 19. März 2002 (BSGE 89, 184, 192 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 36 -
Sandoglobulin®) abgeleitet hat, gegenüber der Alternative (a), den notwendigen Erkenntnissen während eines
Zulassungsverfahrens, fordere die Alternative (b) für die "Veröffentlichung von Erkenntnissen außerhalb eines
Zulassungsverfahrens" ein geringeres, von der Cabergolin-Therapie erreichtes Niveau an wissenschaftlichen
Erkenntnissen zum Behandlungserfolg, um einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV zu ermöglichen. Die Alternative
(b) ist hier allerdings deshalb in den Blick zu nehmen, weil die Zulassung für den Wirkstoff Cabergolin - als Mittel zur
Behandlung des RLS - bisher nicht beantragt wurde. Im Rechtlichen ist indes klarzustellen, dass die Qualität der
wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende
Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, während und außerhalb eines
arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich ist. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem
gesamten Arzneimittelrecht zu Grunde liegt und - wie dargelegt - in das Leistungsrecht der GKV einstrahlt,
unterscheidet sich in beiden Situationen nicht. Für den Schutz der Patienten ist es gleichgültig, ob die erforderlichen
Erkenntnisse innerhalb oder außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens gewonnen worden sind (vgl
auch Senat, Urteil vom heutigen Tage - B 1 KR 1/06 R - Ilomedin®).
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c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts. Allerdings geht die
Rechtsprechung des Senats (vgl Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R - RdNr 17 ff, - Tomudex®, zur
Veröffentlichung vorgesehen) davon aus, dass die Regelungen des Leistungsrechts der GKV zur
Arzneimittelversorgung aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (1 BvR
347/98 - SozR 4-2500 § 27 Nr 5 = NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891 = MedR 2006, 164 - immunbiologische Therapie)
einer verfassungskonformen Auslegung bedürfen, wenn Versicherte an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leiden,
bei der die Anwendung der üblichen Standardbehandlung aus medizinischen Gründen ausscheidet und andere
Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. So liegt es hier indes nicht.
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Das RLS der Klägerin kann nämlich trotz seiner schweren Ausprägung nicht mit einer lebensbedrohlichen oder
regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden, wie es etwa für den Fall akut drohender
Erblindung (vgl dazu Senat, BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 - Visudyne®) zu erwägen wäre (vgl Senat, Urteil
vom 4. April 2006 - B 1 KR 12/04 R - RdNr 31, - D-Ribose, zur Veröffentlichung vorgesehen). Die in der Vergangenheit
einmal erwähnte, - nicht als hochgradig und akut qualifizierte - Suizidgefahr besteht nach dem vom LSG in Bezug
genommenen Akteninhalt derzeit nicht. So konnte die Klägerin inzwischen an einer doppelblinden
Medikamentenstudie - Verum gegen Placebo - zu RLS teilnehmen.
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Zudem bewirkt selbst hochgradige akute Suizidgefahr bei Versicherten grundsätzlich nicht, dass sie Leistungen
außerhalb des Leistungskatalogs der GKV beanspruchen können. Vielmehr begründet Selbsttötungsgefahr regelmäßig
nur einen Anspruch auf ihre spezifische Behandlung etwa mit den Mitteln der Psychiatrie. Diese Therapiealternative
schließt eine verfassungsrechtlich begründete Leistungsausdehnung aus. Insoweit liegt es anders als selbst bei jenen
engen, bloß denkmöglichen Ausnahmen, die der Senat zu dem Grundsatz erwogen hat, dass Eingriffe in den
gesunden Körper zur mittelbaren Besserung psychischer Störungen ausgeschlossen sind (vgl zusammenfassend
zuletzt BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, jeweils RdNr 9, mwN).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.