Urteil des BSG vom 20.12.2007

BSG: wartezeit, anwendungsbereich, versicherungspflicht, zwangsarbeit, arbeiter, soziale sicherheit, unmittelbare gefahr, freiwilligkeit, entschädigung, abgrenzung

BUNDESSOZIALGERICHT Entscheidung vom 20.12.2007, B 4 R 85/06 R
Zahlbarmachung von Ghettorenten - Vorliegen eines rentenversicherungspflichtigen
Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses - Freiwilligkeit - eigener Willensentschluss
Tenor
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts legt dem Großen Senat des Bundessozialgerichts
gemäß § 41 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz folgende Fragen vor:
1. Ist in den Anwendungsbereich des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus
Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) einbezogen und damit Versicherter im Sinne des
Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI), wer - ohne dem deutschen Sprach- und
Kulturkreis (dSK) angehört zu haben - seine behauptete Ghetto-Beschäftigung in einem vom
Deutschen Reich besetzten Gebiet verrichtete, nicht den Reichsversicherungsgesetzen
unterlag und auch sonst nicht in der deutschen Rentenversicherung anrechenbare
Beitragszeiten hat?
2. Erfasst der räumliche Anwendungsbereich des ZRBG auch die Ghetto-Arbeiter, die sich in
einem Drittstaat außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland oder eines
Vertragsstaats (gewöhnlich) aufhalten (oder dort wohnen)?
3. Wie ist das Tatbestandsmerkmal einer "aus eigenem Willensentschluss zustande
gekommenen entgeltlichen Beschäftigung" von der vom ZRBG nicht erfassten "Zwangsarbeit"
abzugrenzen, und zwar im Hinblick auf
a) die Freiwilligkeit der Beschäftigung; genügt die Möglichkeit der Ablehnung der Arbeit ohne
unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben?
b) das Entgelt; wie ist das Entgelt, das ein Ghetto-Arbeiter im Austausch "für" seine
Beschäftigung erhielt, von "existenzsichernden Zuwendungen" bei Zwangsarbeit abzugrenzen?
c) eine rechtliche Relevanz der Höhe des Entgelts; ist sie von Bedeutung für die Abgrenzung
zur Zwangsarbeit?
4. Hängt die Entstehung von Beitragszeiten nach dem ZRBG von dem ungeschriebenen
Tatbestandsmerkmal ab, dass die Beschäftigung Versicherungspflicht begründet hat? Ggf
nach welchem Recht ist die Rentenversicherungspflicht zu beurteilen, soweit die
Reichsversicherungsgesetze in dem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet für Ghetto-
Arbeiter nicht gegolten haben:
a) nach dem heutigen SGB VI,
b) nach dem jeweiligen damaligen örtlichen Sozialversicherungsrecht, wenn es für Ghetto-
Arbeiter galt,
c) ggf in dessen analoger Anwendung oder
d) durch fiktive Anwendung der Reichsversicherungsgesetze?
5. Ist § 1 Abs 3 ZRBG eine spezialgesetzliche Regelung in dem Sinn, dass er unmittelbar
Rentenansprüche begründet, auch wenn die nach dem SGB VI erforderliche Wartezeit nicht
erfüllt ist?
Gründe
1
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten, ihr ab 1.7.1997 eine Altersrente unter
Zugrundelegung von "Ghetto-Beitragszeiten" nach den Bestimmungen des "Gesetzes zur
Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG)" vom
20.6.2002 (BGBl I 2074) zu zahlen.
2
Die am 9.5.1932 in Schaulen/Litauen (litauisch: Šiauliai) geborene Klägerin wanderte 1947
nach Palästina aus. Sie ist israelische Staatsangehörige und lebt in Israel. Als Verfolgte
des Nationalsozialismus (NS-Verfolgte) erhielt sie eine Entschädigung wegen
Freiheitsentziehung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) für 41
Kalendermonate.
3
Im November 2002 beantragte sie bei der Beklagten, ihr unter Anerkennung von
Beschäftigungszeiten, die sie von Juli 1941 bis Juli 1944 im Ghetto Schaulen zurückgelegt
habe (sog "Ghetto-Beitragszeiten"), eine Regelaltersrente ab 1.7.1997 zu zahlen; sie habe
zunächst im Ghetto als Arbeiterin und von Mai 1942 bis Juli 1944 außerhalb des Ghettos in
der Lederfabrik Frenkel gearbeitet. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Klägerin im
Entschädigungs- und Rentenverfahren unterschiedliche Angaben gemacht habe, sodass
die Beschäftigungszeiten nicht glaubhaft gemacht worden seien (Bescheid vom
26.10.2004). Ihr Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 26.4.2005).
4
Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 10.11.2005). Im
Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Begehren insoweit eingeschränkt, als sie
Rentenleistungen nur noch unter Zugrundelegung von Ghetto-Beitragszeiten von Mai 1942
bis Juni 1943 beantragt hat. Das Landessozialgericht (LSG) hat ihre Berufung
zurückgewiesen (Urteil vom 1.9.2006). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die
Klägerin erfülle nicht die erforderliche Wartezeit für den Erwerb des Rechts auf ein
"Altersruhegeld (ARG)". Sie habe von Mai 1942 bis Juni 1943 keine Versicherungszeiten
nach den Reichsversicherungsgesetzen oder nach dem Fremdrentengesetz (FRG)
zurückgelegt; das FRG sei auch nicht über § 17a FRG oder § 20 des Gesetzes zur
Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der
Sozialversicherung (WGSVG) anwendbar, weil sie nicht dem deutschen Sprach- und
Kulturkreis (dSK) angehört habe. Auch nach den Bestimmungen des ZRBG seien die
geltend gemachten Beschäftigungszeiten im Ghetto Schaulen nicht als Beitragszeiten zu
berücksichtigen. Solche Beschäftigungszeiten würden weder den nach Bundesrecht
zurückgelegten Beitragszeiten noch fiktiven Beitragszeiten gleichgestellt. Das ZRBG weite
den Kreis der anspruchsberechtigten Verfolgten nicht aus, der durch die Bestimmungen
des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), des WGSVG und des FRG festgelegt
werde. Sein Anwendungsbereich beschränke sich auf die Bewertung von
Beschäftigungszeiten in einem Ghetto und deren Zahlbarmachung ins Ausland. Selbst
wenn man dieser Auffassung nicht folge, seien die Voraussetzungen des ZRBG nicht
erfüllt. Es sei weder erwiesen noch glaubhaft gemacht, dass die Klägerin von Mai 1942 bis
Juni 1943 eine Beschäftigung in der Lederfabrik Frenkel ausgeübt habe. Da keine
"Beitragszeiten" glaubhaft gemacht worden seien, könnten auch keine Ersatzzeiten zur
Erfüllung der Wartezeit berücksichtigt werden.
5
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung
des § 1 Abs 1 ZRBG. Sie trägt vor, die angefochtene Entscheidung verletze Bundesrecht,
weil das LSG für die Anwendung des ZRBG verlange, dass die Voraussetzungen des FRG
erfüllt sein müssten, also die Zugehörigkeit zum dSK anerkannt sei. Dies sei rechtswidrig,
weil eine Beziehung des Verfolgten im Sinne des BEG zur deutschen Rentenversicherung
nicht erforderlich sei; vielmehr begründe das ZRBG eine eigene Anspruchsgrundlage
wegen einer Ghetto-Beschäftigung. Sie erfülle die Voraussetzungen des ZRBG, weil sie
von Mai 1942 bis Juni 1943 in der Lederfabrik Frenkel gegen Entgelt tätig gewesen sei. Ihr
Vortrag werde insbesondere durch die Ausführungen im vorgelegten Gutachten von Dr.
Tauber vom 22.11.2005 glaubhaft gemacht. Schließlich sei die Wartezeit unter
Heranziehung der israelischen Versicherungszeiten erfüllt.
6
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. September 2006 und des
Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. November 2005 sowie die ablehnende Entscheidung
der Beklagten im Bescheid vom 26. Oktober 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26. April 2005 aufzuheben und diese zu verpflichten, unter
Zugrundelegung der Ghetto-Beitragszeiten vom 1. Mai 1942 bis 30. Juni 1943 ihr Recht auf
eine Altersrente und deren Wert festzustellen, sowie sie zu verurteilen, ab 1. Juli 1997
entsprechende monatliche Geldbeträge zu zahlen.
7
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8
Sie ist der Auffassung, die angefochtene Entscheidung sei nicht zu beanstanden; das LSG
habe die geltend gemachte Beschäftigungszeit zu Recht als nicht glaubhaft gemacht
angesehen.
9
II. Der 4. Senat legt die im Tenor formulierten Fragen wegen grundsätzlicher Bedeutung
dem Großen Senat (GS) zur Entscheidung vor, weil dies nach seiner Auffassung zur
Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich
ist (§ 41 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz ).
10 Teil 1: Zur Zulässigkeit der Vorlage
11 § 41 Abs 4 SGG enthält die zwei Zulässigkeitsvoraussetzungen. Die Rechtsfrage muss
grundsätzliche Bedeutung haben und die Vorlage muss zur Fortbildung des Rechts oder
zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich sein. Die letztgenannte
Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des GS allein von dem vorlegenden Senat zu
entscheiden und vom GS nicht zu überprüfen. Dagegen prüft dieser selbst, ob die
vorgelegten Fragen grundsätzliche Bedeutung haben (zur vergleichbaren früheren
Regelung in § 43 SGG: BSG, Beschluss des GS vom 25.11.1987, BSGE 62, 255, 258 =
SozR 5050 § 15 Nr 35, mwN).
12 A. Zur Erforderlichkeit
13 Auch wenn der 4. Senat die von ihm angenommene Erforderlichkeit nicht zu begründen
braucht, werden zum besseren Verständnis der Vorlage die Gründe kurz skizziert. Mehrere
Fragen zur Auslegung und Anwendung des ZRBG sind in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung und von den Vorinstanzen sowie in der Literatur unterschiedlich
beantwortet worden mit entsprechenden nachteiligen Auswirkungen auf den vom ZRBG
betroffenen Personenkreis. Dieser weist neben dem gemeinsamen Verfolgungsschicksal
als weitere Gemeinsamkeit ein hohes Alter auf. Um zu ermöglichen, dass ein Großteil der
jetzt noch lebenden Verfolgten den Abschluss der Verfahren überhaupt erlebt, ist eine
rasche Klärung der strittigen Auslegungsfragen erforderlich. Dies wird am schnellsten und
effektivsten durch eine Entscheidung des GS bewirkt. Darüber hinaus ist die politische
Brisanz der sensiblen Thematik, sind also insbesondere die negativen Auswirkungen im In-
und Ausland zu beachten, die eine unklare und sich auf die Betroffenen belastend
auswirkende Rechtslage zur Folge hat. Auch dies gebietet eine rasche Klärung durch eine
Entscheidung des GS.
14 B. Zur grundsätzlichen Bedeutung
15 Auch wenn diese Prüfung in die Kompetenz des GS fällt, muss schon der vorlegende Senat
diese Voraussetzung bejahen; sonst dürfte er die Fragen dem GS nicht zur Entscheidung
vorlegen.
16 Ob grundsätzliche Bedeutung gegeben ist, prüft der GS im Wesentlichen an den Kriterien,
die zu § 160 Abs 2 Nr 1 SGG entwickelt worden sind. Demzufolge müssen die Fragen von
allgemeiner Bedeutung, klärungsbedürftig und klärungsfähig sein. Die im Tenor
aufgeworfenen Fragen betreffen die Auslegung von Normen des ZRBG. Der 4. Senat misst
ihnen aus folgenden Gründen grundsätzliche Bedeutung bei:
17 1. Die vorgelegten Fragen sind von allgemeiner Bedeutung.
18 Die Fragen haben auch eine über den Einzelfall hinausgehende allgemeine Bedeutung.
Von den ca 70.000 Anträgen, mit denen eine Rentenzahlung unter Zugrundelegung des
ZRBG begehrt worden ist, hatten bis Juni 2006 nur ca 5.000 Erfolg; 61.000 waren
abgelehnt und über ca 4.000 war nicht entschieden worden (s Antwort der
Bundesregierung vom 26.6.2006 auf eine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion DIE
LINKE; BT-Drucks 16/1955). Eine Vielzahl der dadurch ausgelösten gerichtlichen
Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Im Übrigen ergibt sich die allgemeine Bedeutung
auch aus den oben unter Buchst A. im Rahmen der Erforderlichkeit aufgezeigten Aspekten.
19 2. Die vorgelegten Fragen sind klärungsbedürftig.
20 Ihre Klärungsbedürftigkeit ergibt sich daraus, dass entweder in der höchstrichterlichen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), zumeist in "obiter dicta",
unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten worden sind oder der höchstrichterlichen
Rechtsprechung in Entscheidungen der Vorinstanzen und in der Literatur widersprochen
worden ist, sodass ein weiterer Klärungsbedarf besteht (dazu unter Teil 2 Buchst B.).
21 3. Die vorgelegten Fragen sind klärungsfähig, dh entscheidungserheblich.
22 a) Die Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor.
23 Revision, Berufung und die in Kombination erhobene Anfechtungs- und (unechte)
Leistungsklage sind offenkundig statthaft und zulässig. Von weiteren Ausführungen hierzu
wird abgesehen.
24 b) Bei einer Sachentscheidung über die Revision wird es auf die Beantwortung der
aufgeworfenen Fragen ankommen.
25 Das BSG wird die aufgeworfenen Fragen in jedem Fall bei einer künftigen
Sachentscheidung zu beantworten haben, und zwar unabhängig davon, ob die Revision
Erfolg haben (entweder durch ein volles oder teilweises Obsiegen der Klägerin oder durch
Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG)
oder ob sie als unbegründet zurückzuweisen sein wird. Deshalb berühren Bedenken, die
Revision könne in der Sache wegen der vom LSG getroffenen und das BSG
möglicherweise bindenden tatsächlichen Feststellungen erfolglos bleiben, nicht die
Zulässigkeit der Vorlage.
26 Das LSG hat im Rahmen seiner Hilfserwägungen zur behaupteten Beschäftigung
ausgeführt, es sei zwar glaubhaft, dass die Klägerin in der Fabrik Frenkel beschäftigt
gewesen sei, jedoch sei eine Arbeitsaufnahme vor September 1943 nicht glaubhaft
gemacht worden; denn sie habe geltend gemacht, sie habe nach der "Kinderaktion" die
Arbeit in der Lederfabrik aufgenommen; diese Aktion habe aber erst im September 1943
stattgefunden.
27 Auf Grund des von ihr im Berufungsverfahren geltend gemachten prozessualen Anspruchs,
über den das LSG allein befunden hat, beschränkt sich die revisionsgerichtliche Prüfung
darauf, ob eine Ghetto-Beschäftigung in der Zeit von Mai 1942 bis Juni 1943 ausgeübt
wurde. Nicht Gegenstand dieser Prüfung ist, ob eine solche Beschäftigung ab September
1943 vorgelegen haben könnte und ob diese wegen der Umwandlung des Ghettos
Schaulen in ein Konzentrationslager (KZ) im September 1943 als Zwangsarbeit zu werten
wäre.
28 Der Senat lässt offen, ob das LSG von einem zutreffenden Begriff der Glaubhaftmachung iS
des § 3 WGSVG ausgegangen ist, der auf Grund der Inbezugnahme des WGSVG in § 1
Abs 2 ZRBG auch im Rahmen dieses Gesetzes zu beachten ist. Wäre dies zu verneinen,
müsste schon aus diesem Grunde eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an
das LSG erfolgen, auch wenn die Klägerin die Feststellungen des LSG nicht mit zulässigen
und begründeten Verfahrensrügen angegriffen hat. Das LSG müsste dann unter
Zugrundelegung des zutreffenden Rechtsbegriffs möglicherweise eine weitere
Sachaufklärung und Beweiswürdigung vornehmen und ua unter Auswertung des von ihm
berücksichtigten Gutachtens von Dr. Tauber vom 22.11.2005 evtl auch würdigen, dass
Aktionen ua gegen Kinder schon früher durchgeführt wurden. Nach gezielten Mordaktionen
in der ersten Phase nach der Besetzung Litauens gegen die männliche jüdische
Bevölkerung im Alter zwischen 14 und 50 Jahren nahm das Morden ab August 1941
genozidalen Charakter an; nunmehr wurden auch Frauen und Kinder getötet. Das LSG
müsste ggf erwägen, ob eine derartige Aktion gegen Kinder auch im Gebiet von Schaulen
bis zum vorläufigen Ende der Vernichtungsmaßnahmen im Spätherbst 1941 durchgeführt
wurde, sodass das Vorbringen der Klägerin nicht unbedingt eine Beschäftigung in der
Fabrik während der behaupteten Zeit ausschloss.
29 Ginge man davon aus, die Revision der Klägerin könne schon wegen bindender
Feststellungen des LSG in der Sache keinen Erfolg haben, müsste das BSG die
aufgeworfenen Fragen dennoch beantworten. Die Entscheidungserheblichkeit folgt aus §
170 Abs 1 Satz 2 SGG. Selbst wenn eine Revision im Ergebnis keinen Erfolg hat, muss das
BSG darlegen, ob die angefochtene Entscheidung Bundesrecht verletzt hat oder im
Einklang mit dem materiellen Bundesrecht steht. Demzufolge wird das BSG darzulegen
haben, ob das LSG die hier einschlägigen Normen des ZRBG zutreffend ausgelegt und
angewandt hat. Hierbei wird es sich notwendigerweise mit den vorgelegten Fragen
auseinandersetzen müssen. Dies genügt, um im Rahmen des § 41 Abs 4 SGG eine
Klärungsfähigkeit zu bejahen.
30 Teil 2: Zur Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen im Einzelnen
31 A. Die vorgelegten Fragen stellen sich ausschließlich im Anwendungsbereich des ZRBG.
32 Nach § 35 SGB VI erwirbt der Versicherte ein (subjektives) Recht (Stammrecht) auf eine
Regelaltersrente, wenn er das 65. Lebensjahr vollendet (Nr 1) und die allgemeine Wartezeit
erfüllt hat (Nr 2). Die Klägerin hat das 65. Lebensjahr im Mai 1997 vollendet. Den Status
einer Versicherten iS des § 35 SGB VI kann sie nur durch die Zuerkennung von
Beitragszeiten nach dem ZRBG erworben haben. Sonstige anrechnungsfähige
bundesdeutsche Beitragszeiten liegen nicht vor. Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren
(§ 50 Abs 1 Nr 1 SGB VI) hat sie auch mit evtl in Betracht kommenden Beitragszeiten nach
dem ZRBG nicht erfüllt. Da das LSG nicht festgestellt hat, sie habe im israelischen
Versicherungssystem Zeiten zurückgelegt, die auf Grund des Abkommens zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (DISVA) vom
17.12.1973 (BGBl II 1975, 246) idF des Änderungsabkommens vom 7.1.1986 (BGBl II 863)
für den Rechtserwerb berücksichtigt werden könnten, hat sie das Recht auf Altersrente nur
erworben, wenn das ZRBG in Modifikation des § 35 SGB VI das Wartezeiterfordernis für die
betroffenen NS-Verfolgten aufgehoben hat.
33 1. Die Klägerin hat keine Beitragszeiten nach dem SGB VI zurückgelegt.
34 Sie hat nicht die Versicherungstatbestände der §§ 1 bis 8 SGB VI erfüllt und im Kernsystem
der gesetzlichen Rentenversicherung (dazu: BSG, Urteil vom 29.6.2000, BSGE 86, 262,
271 ff = SozR 3-2600 § 210 Nr 2) keine Beitragszeiten zurückgelegt (§ 55 Abs 1 Satz 1
SGB VI). Dies folgt aus den tatsächlichen Feststellungen im Urteil des LSG, das auch
keinen Anhalt dafür enthält, die Klägerin könnte freiwillige Beiträge zur bundesdeutschen
Rentenversicherung entrichtet haben. Auch sie selbst behauptet dies nicht. Die geltend
gemachten Zeiten sind auch nicht als Ersatzzeiten anrechenbar, weil die Klägerin in den
Jahren 1942/43 noch nicht das 14. Lebensjahr vollendet hatte (§ 250 Abs 1 SGB VI, vgl
auch: BSG, Urteil vom 14.4.1981, BSGE 51, 272 = SozR 2200 § 1251 Nr 83; BSG, Urteil
vom 26.5.1987, SozR 2200 § 1251 Nr 127).
35 2. Sie hat in Litauen keine Beitragszeiten nach den Reichsversicherungsgesetzen
zurückgelegt (§ 247 Abs 3 SGB VI), die ebenfalls dem Kernsystem zuzuordnen sind.
36 Der seit 1918/19 selbständige Staat Litauen war im Gefolge des Hitler-Stalin-Paktes im
Juni 1940 von der Sowjetunion okkupiert und als Sowjetrepublik in die Union
"aufgenommen" worden. Im Juni 1941 wurde Litauen von deutschen Truppen besetzt und
ab 1.8.1941 bzw ab 5.12.1941 Teil des "Reichskommissariats Ostland" (dazu: BSG, Urteil
vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, RdNr 91, zur Veröffentlichung vorgesehen). Auf dem
Gebiet der Sozialversicherung wurde die Rechtslage durch die "Verordnung über die
Sozialversicherung in den besetzten Gebieten" vom 4.8.1941 (RGBl I 486) bestimmt, die
zum 1.1.1941 in Kraft trat (gemäß § 9 Abs 1 galt sie nicht im Generalgouvernement Polen,
in dem die "Verordnung über die Sozialversicherung in den besetzten polnischen
Gebieten" vom 17.10.1939
Erlasses des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der besetzten polnischen
Gebiete vom 12.10.1939 - RGBl I 2077> zunächst in Kraft blieb). Nach der auch für Litauen
maßgeblichen Verordnung vom 4.8.1941 unterlagen den Reichsversicherungsgesetzen nur
die in besetzten Gebieten beschäftigten deutschen Staatsangehörigen; wohnten sie bereits
vor der Besetzung in diesen Gebieten, galt dies nur, wenn sie bei einem deutschen
Unternehmer beschäftigt waren (§ 1 Abs 1 aaO). Demzufolge wurde die Klägerin während
der hier strittigen Zeiten als (ehemalige) sowjetische Staatsangehörige nicht vom
persönlichen Anwendungsbereich der Reichsversicherungsgesetze erfasst (vgl zur
Rechtslage in Litauen auch: BSG, Urteil vom 1.12.1966, 4 RJ 401/64; zur gleichen
Rechtslage in Lettland: Urteil vom 28.10.1966, 4 RJ 305/63).
37 3. Die Klägerin weist keine Beitragszeiten in dem gleichgestellten System des FRG auf (§
55 Abs 1 Satz 2 SGB VI).
38 Sie gehörte nicht zu den Deutschen iS des § 1 FRG und auch nicht dem dSK iS des § 19
Abs 2 Buchst a Halbsatz 2 WGSVG und des § 17a FRG an; sie hat daher keine
Entschädigung (als Lastenausgleich für Versicherungsschäden infolge einer Vertreibung
wegen Zugehörigkeit zum "Deutschtum“) für den beim Verlassen des Vertreibungsgebietes
erlittenen Verlust an Rentenberechtigungen in der sowjetischen Sozialversicherung durch
gleichgestellte Beitragszeiten nach den §§ 15, 16 FRG erhalten.
39 4. Die Klägerin hat ferner keine Entschädigung für ns-verfolgungsbedingte Schäden in der
deutschen Rentenversicherung nach den §§ 1, 7, 12 bis 18 WGSVG zu beanspruchen, weil
sie damals keinen Schaden in der deutschen Sozialversicherung erlitten hat. Denn die
Reichsversicherungsgesetze galten in einem besetzten Gebiet nicht und waren auf sie und
ihre behauptete Beschäftigung nicht anwendbar.
40 Gemäß § 12 WGSVG, der ab 1.1.1992 die bisher in § 14 Abs 2 aaO enthaltene
Grundregelung übernommen hat, gelten als Pflichtbeitragszeiten Zeiten, in denen ein
Verfolgter eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, für
die aus Verfolgungsgründen Beiträge nicht gezahlt worden sind. Schon der Wortlaut macht
deutlich, dass es sich um eine Beschäftigung oder Tätigkeit gehandelt haben muss, für die
nach der Gesetzeslage, die zur Zeit ihrer tatsächlichen Ausübung galt, Beiträge zu zahlen
waren. Die jeweils geltende Versicherungs- und Beitragspflicht bestimmt sich allein nach
dem damaligen deutschen, nicht aber nach ausländischem Recht. Wie unter Ziff 2
dargelegt, unterlag die Klägerin schon räumlich nicht den Reichsversicherungsgesetzen,
sodass die behauptete Beschäftigung nicht "rentenversicherungspflichtig" iS des § 12
WGSVG war.
41 5. Eine analoge Anwendung des § 12 WGSVG auf nicht von den
Reichsversicherungsgesetzen erfasste Beschäftigungen scheitert jedenfalls in den Fällen
der vorliegenden Art an der fehlenden planwidrigen Gesetzeslücke (vgl zu den
Voraussetzungen einer Analogie zuletzt: BVerfG, Urteil vom 31.5.2006, 2 BvR 1673/04, 2
BvR 2402/04, NJW 2006, 2093; BVerfG, Kammerbeschluss vom 9.3.1995, 2 BvR 1437/93,
2 BvR 1757/93, 2 BvR 861/94, NStZ 1995, 399).
42 Aus Verfolgungsgründen erlittene Nachteile in der deutschen Sozialversicherung werden
als Verfolgungsschäden gemäß den §§ 1, 7, 12 ff WGSVG ausgeglichen. Voraussetzung ist
- wie dargelegt - eine Versicherungspflicht nach deutschen Rentenversicherungsgesetzen
und eine unterlassene Beitragsentrichtung oder Mindestentlohnung aus
Verfolgungsgründen. Anhaltspunkte für eine planwidrige Gesetzeslücke sind nicht
ersichtlich.
43 Es spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber die Fälle, die seit 2002 vom ZRBG erfasst
werden, früher "versehentlich" nicht mit in die Regelungen des WGSVG, insbesondere in §
12 WGSVG, einbezogen hatte, er sie also, wenn er die "Lücke" erkannt hätte, schon im
WGSVG geregelt hätte (vgl dagegen zu einer "unbewussten Lücke" im Rahmen des § 14
Abs 1 WGSVG aF, also in vom WGSVG und vom FRG erfassten Fällen: BSG, Urteil vom
16.3.1989, BSGE 65, 8 = SozR 1300 § 48 Nr 55). Es handelt sich um ein
Ausgleichskonzept, das der Gesetzgeber, also der Deutsche Bundestag, als ein in sich
geschlossenes System angesehen hat und das er durch das ZRBG "ergänzen" wollte. Dies
bestätigt auch das in den Gesetzesmaterialien genannte Motiv, mit dem ZRBG "Neuland"
betreten zu wollen, um eine bis dahin bestehende Lücke im Entschädigungsrecht zu
schließen, die allerdings keine ("unbewusste") planwidrige im WGSVG war. Vielmehr war
es bis zur sog "Ghetto-Rechtsprechung", begründet durch das Urteil des BSG vom
18.6.1997 allgemeine Auffassung, dass derartige Beschäftigungen wegen ihres
Zwangsarbeitcharakters mangels Freiwilligkeit von der Sozialversicherung schlechthin
nicht als versicherungsrechtlich erhebliche "Beschäftigung" zu bewerten seien und deshalb
keine rentenversicherungsrechtliche Relevanz hatten, sodass kein Verlust in der deutschen
Rentenversicherung, auf den das WGSVG abstellt, und auch kein Verlust in der
Rentenversicherung eines vertriebenen Deutschen, den das FRG entschädigt, vorliege.
Daher würden Ghetto-Beschäftigungen weder vom WGSVG noch vom FRG erfasst (vgl BT-
Drucks 14/8583 und 14/8602, Begründung, A. Allgemeiner Teil, S 5). Es war allgemein
bekannt, dass die NS-Verfolgten, die nicht unter das FRG fielen und nicht in den
eingegliederten Gebieten beschäftigt waren, von vornherein planmäßig nach Bundesrecht
durch das WGSVG nicht für einen Verfolgungsschaden in einer ausländischen
Versicherung (und mangels einer Vertreibung wegen "Deutschtums" auch nicht durch das
FRG) zu entschädigen waren.
44 6. Die Klägerin könnte den Status einer Versicherten nur auf Grund der geltend gemachten
Ghetto-Beschäftigungszeiten erworben haben, für die § 2 ZRBG die Fiktion einer
Beitragszahlung anordnet und die als sog Ghetto-Beitragszeiten Beitragszeiten iS des SGB
VI gleichstehen.
45 Gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG gilt das Gesetz für Zeiten von Verfolgten in einem Ghetto,
die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung (Nr 1) aus eigenem
Willensentschluss zustande gekommen ist (Buchst a), gegen Entgelt ausgeübt wurde
(Buchst b) und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt
oder diesem eingegliedert war (Nr 2), soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus
einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird.
46 a) Die Klägerin unterfällt dem persönlichen Anwendungsbereich des ZRBG.
47 Sie ist als NS-Verfolgte iS des § 1 BEG anerkannt worden und damit Verfolgte auch iS des
§ 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG. Unerheblich ist, dass sie während des geltend gemachten
Zeitraums erst zehn bzw elf Jahre alt war. Das Gesetz stellt nicht auf ein Mindestalter ab
(dazu: BSG, Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, RdNr 107; eine gleiche
Rechtsauffassung wird von der Bundesregierung vertreten, vgl BT-Drucks 16/5720, S 5
letzter Abs; ebenso zur Rechtslage nach den Reichsversicherungsgesetzen: 13. Senat des
BSG, Urteil vom 14.7.1999, SozR 3-5070 § 14 Nr 2). Wegen weiterer klärungsbedürftiger
Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem persönlichen Anwendungsbereich stellen,
wird auf die Ausführungen unter Buchst B. Ziff 1 verwiesen.
48 b) Die Klägerin unterfällt dem räumlichen Anwendungsbereich des ZRBG.
49 Als israelische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Israel wird sie vom räumlichen
Anwendungsbereich des ZRBG erfasst. Dies folgt aus der Regelung zur
Gebietsgleichstellung mit Inländern in Art 4 Abs 1 iVm Art 2 Abs 1 Nr 1 Buchst c des DISVA
idF des Änderungsabkommens vom 7.1.1986 (BGBl II 863). Danach gelten die
Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats über die Rentenversicherung, nach denen die
Entstehung von Ansprüchen oder die Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von
Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig sind, nicht für die unter den persönlichen
Anwendungsbereich des DISVA fallenden Personen (Art 3 Abs 1 aaO). Die
Entschädigungsregelungen des ZRBG unterliegen dem Anwendungsbereich des DISVA.
Denn sie ergänzen die Vorschriften des Dritten Teils des WGSVG über die Gesetzliche
Rentenversicherung, welche die allgemein anzuwendenden Vorschriften des SGB VI "zu
Gunsten von Versicherten" ergänzen (hierzu: Urteil des Senats vom 14.12.2006, B 4 R
29/06 R, RdNr 61). Die Klägerin kann daher die Rechte, die auf der Grundlage dieses
Gesetzes begründet werden, in Anspruch nehmen. Wegen der sich im Übrigen aus dem
räumlichen Anwendungsbereich ergebenden klärungsbedürftigen Fragen wird auf die
Ausführungen unter Buchst B. Ziff 2 verwiesen.
50 c) Die Klägerin hat sich während der strittigen Zeiten in einem vom Deutschen Reich
besetzten Gebiet aufgehalten.
51 Das in Litauen gelegene Ghetto befand sich auch - wie oben unter Ziff 2 dargelegt - in
einem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet.
52 d) Für die Vorlage geht der 4. Senat davon aus, dass sich die Klägerin während der
strittigen Zeit zwangsweise im Ghetto Schaulen aufgehalten hat.
53 Nach den Feststellungen des LSG hielt sie sich während der strittigen Zeit von Mai 1942
bis Juni 1943 im Ghetto Schaulen auf. Allerdings hat das LSG keine Ausführungen dazu
gemacht, dass sie "zwangsweise" in diesem Ghetto lebte (zu dieser Voraussetzung: Urteil
des Senats vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, RdNr 84). Insoweit kann hier davon
ausgegangen werden, dass alle Juden in Litauen, die nicht schon in den ersten Monaten
der Besetzung ermordet wurden (bis Ende 1941 ca 137.000 Personen = 80 % der
litauischen Juden), sich zwangsweise in einem Ghetto aufhalten mussten.
54 e) Das LSG hat nicht ausdrücklich festgestellt, ob die sozialversicherungsrechtlichen
Nachteile wegen der behaupteten Beschäftigungszeiten im Ghetto Schaulen bereits durch
heutige Leistungen im Wohnsitzstaat ausgeglichen werden (Ausschlusstatbestand, vgl
hierzu: Urteil des Senats vom 14.12.2006, aaO, RdNr 63). Hiervon kann für die Vorlage
nach dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen des LSG sowie der Beteiligten nicht
ausgegangen werden.
55 f) Der 4. Senat hat wegen des kontroversen Meinungsstandes am 20.12.2007 davon
abgesehen, abschließend darüber zu befinden, ob die Ausführungen des LSG zu den
Tatbestandsmerkmalen einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen
entgeltlichen Beschäftigung und zum Wartezeiterfordernis Bundesrecht verletzen. Hierzu
bedarf es der klärenden Entscheidung durch den GS.
56 B. Ob das LSG die Vorschriften des ZRBG richtig ausgelegt und angewandt hat, hängt von
der Beantwortung der vorgelegten Fragen ab.
1. Frage 1
im Sinne des SGB VI, wer - ohne dem dSK angehört zu haben - seine behauptete Ghetto-
Beschäftigung in einem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet verrichtete, nicht den
Reichsversicherungsgesetzen unterlag und auch sonst nicht in der deutschen
Rentenversicherung anrechenbare Beitragszeiten hat?
58 Die Frage 1 knüpft zunächst an die übereinstimmende Rechtsprechung des 4. und 13.
Senats des BSG zur Unbeachtlichkeit der Zugehörigkeit zum dSK an. Sie zielt in ihrem
wichtigsten Aspekt auf die Klärung der Frage, ob der Verfolgte, der sich in einem besetzten
Gebiet zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hat, vom Anwendungsbereich der
Reichsversicherungsgesetze erfasst worden sein musste. Sie spricht damit auch das
Personalstatut an, überschneidet sich in der Frage nach dem Anwendungsbereich mit der
1. Unterfrage der Frage 4, soweit diese darauf zielt, ua zu klären, ob die Ghetto-
Beschäftigung in den besetzten Gebieten einer Versicherungspflicht nach den
Reichsversicherungsgesetzen unterfallen sein muss.
59 a) Das LSG meint, die Berücksichtigung der geltend gemachten Ghetto-
Beschäftigungszeiten scheitere schon daran, dass die Klägerin nicht dem dSK angehört
und wegen der Nichtanwendbarkeit des § 20 WGSVG und § 17a FRG keine
gleichgestellten Beitragszeiten nach dem FRG habe (vgl zu den Kriterien der Zugehörigkeit
zum dSK ua: BSG, Urteil vom 5.11.1980, BSGE 50, 279 = SozR 5070 § 20 Nr 3; Urteil vom
26.9.1991, SozR 3-5070 § 20 Nr 2; Urteil vom 19.12.1991, 4/1 RA 41/90). Demgegenüber
müssen nach der Rechtsprechung des 4. und 13. Senats die durch das ZRBG begünstigten
Personen nicht dem dSK angehört haben.
60 Die ua vom LSG Nordrhein-Westfalen in ständiger Rechtsprechung praktizierte
Rechtsauffassung unterstellt, dass der vor Inkrafttreten des ZRBG von den Vorschriften des
SGB VI, der §§ 1, 20 WGSVG und der §§ 1, 15, 16, 17a FRG erfasste Kreis der
anspruchsberechtigten Verfolgten durch das neue Gesetz nicht ausgeweitet werden sollte.
Demzufolge wären Ghetto-Beschäftigungszeiten wie jede andere Beschäftigungszeit nur
anzurechnen, wenn sie entweder nach den Reichsversicherungsgesetzen der
Versicherungspflicht unterlagen oder die Verfolgten dem Personenkreis der Deutschen iS
des § 1 FRG oder dem dSK angehörten und später auch das Vertreibungsschicksal erlitten
und ihre Rentenberechtigungen gegen den Vertreibungs-/ Herkunftsstaat beim Verlassen
des Vertreibungsgebiets verloren hatten. Nach dieser Rechtsprechung der Vorinstanzen
beschränkt sich die Bedeutung des ZRBG ausschließlich auf die Bewertung der Ghetto-
Beschäftigungszeiten und die Zahlbarmachung der monatlichen Einzelansprüche. Im Text
und in der Entstehungsgeschichte des ZRBG findet sich kein Anhaltspunkt, dass die
Zugehörigkeit der NS-Verfolgten zum "Deutschtum" jedenfalls für die besetzten Gebiete,
die vom WGSVG nicht erfasst werden, eine Anspruchsvoraussetzung nach dem ZRBG sein
sollte.
61 § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG umschreibt den begünstigten Personenkreis mit den "Verfolgten in
einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben". Die Voraussetzung, diese
müssten auch dem dSK angehört haben, lässt sich diesem Text nicht entnehmen. Das
ZRBG enthält also eine gegenüber dem FRG eigenständige Sonderregelung, die eine
rentenversicherungsrechtliche Entschädigung für alle Verfolgten vorsieht, die sich in den
eingegliederten oder in den besetzten Gebieten zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten
und eine freiwillige Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben, soweit diese Zeiten nicht
schon durch heutige Leistungen im Wohnsitzstaat ausgeglichen werden. Das steht im
Einklang mit § 1 Abs 2 ZRBG. Danach "ergänzt" das Gesetz die rentenrechtlichen
Vorschriften des "WGSVG". Dieses Gesetz wiederum entschädigt nur Verfolgungsschäden
in der deutschen Rentenversicherung im damals jeweils einschlägigen Geltungsbereich
der Reichsversicherungsgesetze (§ 1 WGSVG). Im Unterschied zum FRG gleicht es keine
Vertreibungsschäden aus. Damit erfolgt weder eine Anknüpfung an § 20 WGSVG, der
verfolgte Vertriebene wegen ihrer Vertreibungsschäden in den Anwendungsbereich des
FRG mit einbezieht, noch an § 17a FRG. Die Zugehörigkeit zum dSK ist im
Anwendungsbereich des ZRBG keine Tatbestandsvoraussetzung.
62 Die Rechtsauffassung des 4. Senats hat auch der 13. Senat des BSG im Urteil vom
26.7.2007 (B 13 R 28/06 R, RdNr 14 ff, zur Veröffentlichung vorgesehen) zu Grunde gelegt.
Er hat das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3.2.2006 (L 4 R 47/05), auf das sich
derselbe Senat des LSG im anhängigen Verfahren berufen hat, aufgehoben und nochmals
klargestellt, dass es im Anwendungsbereich des ZRBG auf eine Zugehörigkeit zum dSK
nicht ankommt. Dies hat er ua daraus gefolgert, dass § 20 WGSVG nur eine ergänzende
Regelung zum FRG darstellt und § 1 Abs 2 ZRBG nicht auf das FRG verweist.
63 b) Klärungsbedürftig ist, ob die Verfolgten, die sich in den besetzten Gebieten zwangsweise
in einem Ghetto aufgehalten und dort eine freiwillige Beschäftigung ausgeübt haben,
damals vom Anwendungsbereich der Reichsversicherungsgesetze erfasst worden sein
müssen, obwohl diese dort völkerrechtskonform nicht in Geltung gesetzt worden waren.
Demgegenüber unterlagen in den eingegliederten und damit (völkerrechtswidrig) in das
deutsche Reich eingefügten Gebieten die (freiwillig aufgenommenen) entgeltlichen
Beschäftigungen von NS-Verfolgten in einem Ghetto aus bundesrechtlicher Sicht schon
immer den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze über Rentenversicherungs- und
Beitragspflicht, obwohl diese Personen von deren persönlichem Anwendungsbereich
ausgeschlossen waren, weil dies typisch nationalsozialistisches Unrecht und deshalb
unbeachtlich war. Die Ghetto-Rechtsprechung hat dazu nicht die
Reichsversicherungsgesetze neu ausgelegt, sondern zutreffend aufgezeigt, dass die
Annahme falsch war, in einem Ghetto habe es nur Zwangsarbeit, also unfreiwillige
Beschäftigungsaufnahmen, gegeben.
64 Das angefochtene Urteil des LSG geht davon aus (S 9 des Urteils, dort unter Ziff III), das
ZRBG weite den Kreis der anspruchsberechtigten Personen gegenüber der bisherigen
Rechtslage nicht aus, sodass auch für die Anerkennung von Ghetto-Beschäftigungen als
Beitragszeiten damals eine Beziehung zur "deutschen" Rentenversicherung bestanden
haben müsse. In Konsequenz seiner Rechtsauffassung müssten demzufolge die Verfolgten
in den besetzten Gebieten während der hier relevanten Zeiträume den
Reichsversicherungsgesetzen unterfallen, obwohl diese dort nicht eingeführt worden
waren. Diese Auffassung steht nicht im Einklang mit der des 4. Senats. Allerdings lässt sich
ua mit Blick auf die Rechtsprechung des 5. und 13. Senats kein einheitliches Meinungsbild
in der höchstrichterlichen Rechtsprechung feststellen.
65 aa) Verfolgte, die in den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten eine Ghetto-
Beschäftigung ausgeübt haben, wurden von vornherein nicht vom räumlichen und auch
nicht vom persönlichen Anwendungsbereich der Reichsversicherungsgesetze erfasst.
66 Der Entscheidung des 4. Senats vom 14.12.2006 sowie dem anhängigen Rechtsstreit lag
bzw liegt jeweils ein Sachverhalt zu Grunde, in dem eine Beschäftigung in den besetzten
Gebieten behauptet worden ist. Wird für sie verlangt, sie müsse damals, wie bei § 12
WGSVG, nach den Reichsversicherungsgesetzen versicherungspflichtig gewesen sein,
wären die Ghetto-Beschäftigten in den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten
schlechthin aus dem Anwendungsbereich des ZRBG ausgeschlossen, während das ZRBG
für die Ghetto-Beschäftigten in den eingegliederten Gebieten im Ergebnis keine
Rechtsänderung herbeigeführt hätte.
67 Welche Rechtsauffassung der 13. Senat hierzu vertritt, ist unklar. Seinem Urteil vom
26.7.2007 (B 13 R 28/06 R, zur Veröffentlichung vorgesehen) lag eine behauptete Ghetto-
Beschäftigung in Transnistrien zu Grunde und damit - was nach der erfolgten
Zurückverweisung noch vom LSG aufzuklären ist - ggf ein Sachverhalt in einem vom
Deutschen Reich besetzten Gebiet. Aus der Entscheidung wird nicht deutlich, ob der 13.
Senat in Anwendung des ZRBG die Anrechnungsfähigkeit von Ghetto-
Beschäftigungszeiten ausschließlich nach den Kriterien in der sog Ghetto-Rechtsprechung
beurteilt und daher auch in den besetzten Gebieten das Vorliegen einer
Versicherungspflicht nach den Reichsversicherungsgesetzen gefordert hat.
68 Die frühere Entscheidung des 13. Senats vom 7.10.2004 (BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 §
15 Nr 1) betraf eine dem dSK angehörige jüdische Verfolgte aus dem Warschauer Ghetto,
die außerhalb des Ghettos in einer deutschen Offizierskantine gegen freie Verpflegung
gearbeitet hatte. Der 13. Senat hat zunächst dargelegt, dass für die Klägerin als polnische
Staatsangehörige jüdischer Abstammung im Generalgouvernement nicht die
Reichsversicherungsgesetze gegolten hätten, und hat insoweit auf seine Entscheidung
vom 23.8.2001 (SozR 3-2200 § 1248 Nr 17) verwiesen. Darüber hinaus hat er in
Anwendung des FRG entschieden, dass eine Anrechnung als gleichgestellte Beitrags- bzw
Beschäftigungszeit nach den §§ 15 Abs 3, 16 FRG iVm § 20 WGSVG daran scheitere, dass
nach deutschem Recht keine (konkret) versicherungspflichtige, sondern eine
versicherungsfreie Beschäftigung vorgelegen habe. Sodann hat er zum ZRBG in einem
"obiter dictum" (nämlich unter Zugrundelegung eines fiktiven Sachverhaltes) ausgeführt
(aaO, RdNr 36): "Dem ZRBG ist nicht zu entnehmen, dass es für andere Arten von
Beschäftigungen in einem Ghetto Geltung beansprucht als solchen, die nach der sog
Ghetto-Rechtsprechung des BSG als versicherungspflichtige Beschäftigungen anzusehen
sind. ... Danach knüpft das Gesetz erkennbar an die von der Rechtsprechung aufgestellten
Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit für eine versicherungspflichtige Beschäftigung
in einem Ghetto an. ... Eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises über
den von der Ghetto-Rechtsprechung begünstigten hinaus ist ersichtlich vom Gesetzgeber
nicht beabsichtigt gewesen."
69 Diese Äußerung des 13. Senats im Urteil vom 7.10.2004 bezieht sich auf sein Urteil vom
23.8.2001 (aaO), in dem er entschieden hat, dass wegen der fehlenden Anrechenbarkeit
nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) nur eine solche nach dem FRG gegeben
sein konnte; demzufolge ging er davon aus, dass im Generalgouvernement die
Reichsversicherungsgesetze nicht gegolten haben. Andererseits fordert er im Urteil vom
7.10.2004, dass weiterhin die Ghetto-Rechtsprechung zu Grunde zu legen sei und eine
versicherungspflichtige Beschäftigung vorgelegen haben müsse.
70 Da aber die Reichsversicherungsgesetze nicht gegolten haben, stellt sich die Frage, an
welchen rechtlichen Maßstäben sich die geforderte Versicherungspflicht zu orientieren
hätte.
71 Darüber hinaus hatte der 13. Senat vor seinem Urteil vom 7.10.2004 im Beschluss vom
15.10.2003 (B 13 RJ 85/03 B) eine Nichtzulassungsbeschwerde mit der Begründung als
unzulässig verworfen, es sei nicht ausreichend dargelegt worden, warum sich die Antwort
auf die Frage, ob das ZRBG das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung
gegen Entgelt erfordere, nicht bereits aus dem Gesetz entnehmen lasse; § 1 Abs 1 ZRBG
verlange ausdrücklich nur die Ausübung einer Beschäftigung gegen Entgelt, nicht jedoch
die Ausübung einer an sich versicherungspflichtigen Beschäftigung; auch im übrigen
Gesetzestext sei von der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung für die
Annahme der Fiktion einer Beitragszahlung (§ 2 Abs 2 aaO) nicht die Rede; bei diesem
"eindeutigen Wortlaut" hätte die Klägerin näher ausführen müssen, von welcher Seite und
aus welchen Gründen die Klärung der von ihr gestellten Rechtsfrage erforderlich sei. Der 4.
Senat hat diese Rechtsauffassung des 13. Senats geteilt.
72 Im Urteil vom 26.7.2007 (B 13 R 28/06 R, RdNr 22) hat der 13. Senat erklärt, er halte ua an
dem Senatsurteil vom 7.10.2004 (aaO; die weiteren benannten Urteile vom 3.5.2005 und
20.7.2005 betrafen Fälle aus den eingegliederten Gebieten, dazu sogleich) nicht fest,
soweit daraus "etwas Abweichendes entnommen werden könnte". Auf seine Aussage im
Beschluss vom 15.10.2003 (aaO) ist er nicht eingegangen. Insoweit führt er zu den
Tatbestandsmerkmalen des § 1 Abs 1 ZRBG aus, dass ua eine aus freiem
Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt worden
sein muss, ohne auf die Frage der Versicherungspflicht einzugehen (aaO, RdNr 13, 36).
73 Der 5. Senat des BSG hat nach Inkrafttreten des ZRBG in zwei Entscheidungen
Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, in denen die
Beschwerdeführerinnen jeweils die Frage als klärungsbedürftig formuliert hatten, ob die
von ihnen verrichteten Ghetto-Beschäftigungen der Versicherungspflicht unterlegen haben
mussten. Allerdings betraf nur der Beschluss vom 8.2.2007 (B 5 R 182/06 B) einen Fall aus
einem Ghetto in den besetzten Gebieten, nämlich aus dem Ghetto Krakau (polnisch:
Kraków), während dem Beschluss vom 14.8.2006 (B 5 RJ 246/05 B) ein Fall aus einem
Ghetto in den eingegliederten Gebieten, nämlich aus dem Ghetto Lask (polnisch: Łask) zu
Grunde lag. In beiden Entscheidungen hat der 5. Senat durch im Wesentlichen
übereinstimmende Formulierungen anklingen lassen, dass er insbesondere durch das
Urteil des 13. Senats vom 7.10.2004 (aaO) die Frage, ob in Anwendung des ZRBG eine
Beschäftigung nach den Reichsversicherungsgesetzen versicherungspflichtig gewesen
sein muss, für geklärt halte. Dies könnte daraus rückzuschließen sein, dass er den dortigen
Beschwerdeführerinnen vorgehalten hat, im Hinblick auf die Entscheidung des 13. Senats
nicht aufgezeigt zu haben, dass noch ein weiterer Klärungsbedarf bestehen könnte.
Demzufolge dürfte er auch für die besetzten Gebiete vom Erfordernis einer
Versicherungspflicht nach den Reichsversicherungsgesetzen ausgegangen sein.
74 Demgegenüber hat der 4. Senat im Urteil vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R, RdNr 106 ff) die
Auffassung vertreten, es sei keine Voraussetzung des ZRBG, dass der Verfolgte bei
Ausübung der Ghetto-Beschäftigung in den besetzten Gebieten den
Reichsversicherungsgesetzen unterlegen habe. Dies ergebe sich schon aus dem Text des
ZRBG. Das Erfordernis einer damaligen Versicherungspflicht nach den
Reichsversicherungsgesetzen lasse das ZRBG ins Leere laufen. Denn in den besetzten
Gebieten unterfielen nur deutsche Staatsangehörige den Reichsversicherungsgesetzen.
Nur auf sie war (insoweit völkerrechtskonform) deren persönlicher Anwendungsbereich
erstreckt worden. NS-Verfolgte, die sich zwangsweise in einem Ghetto aufhalten mussten,
wären nur dann von diesen Gesetzen erfasst worden, wenn sie deutsche Staatsangehörige
gewesen wären. Dies traf für die Ghetto-Beschäftigten wohl nur in seltenen
Ausnahmefällen zu. Da das Gesetz aber ausdrücklich auch die Ghettos in den besetzten
Gebieten einbezieht, spricht dies dafür, dass es die Geltung und Anwendbarkeit der
Reichsversicherungsgesetze nicht zur Voraussetzung gemacht hat.
75 Nach § 1 Abs 2 ZRBG "ergänzt" dieses Gesetz die rentenrechtlichen Vorschriften des
WGSVG (§§ 7 bis 22 aaO), die nur zugunsten von Versicherten vom allgemeinen
Rentenrecht (zwecks Entschädigung) abweichen. Das ZRBG soll ausdrücklich diese
begünstigenden Abweichungen des WGSVG ergänzen. Die insoweit ua in Bezug
genommenen §§ 1, 12 WGSVG gleichen einen Verfolgungsschaden im
Anwendungsbereich der Reichsversicherungsgesetze aus. Müsste der Verfolgte auch nach
dem ZRBG alle Voraussetzungen des § 12 WGSVG erfüllen, wäre das Gesetz insoweit
überflüssig (vgl hierzu auch die Ausführungen unter Ziff 3).
76 Die vor Inkrafttreten des ZRBG ergangene sog "Ghetto-Rechtsprechung" des BSG musste
sich mangels anderer gesetzlicher Grundlagen zwangsläufig mit der Frage einer
Versicherungspflicht der Ghetto-Beschäftigungen nach den Reichsversicherungsgesetzen
auseinandersetzen. Bei Anwendung des WGSVG kam es in den eingegliederten Gebieten
unmittelbar auf die damalige Versicherungspflicht nach damals geltendem
Reichsversicherungsrecht an. Handelte es sich um einen vertriebenen Verfolgten und
deshalb zusätzlich um die Anwendung des FRG, kam es darauf an, ob die Beschäftigung
außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze bei einem
nichtdeutschen Träger einer gesetzlichen Rentenversicherung nach dessen Recht als
Beitragszeit erfasst war. Sofern dort dafür Beiträge nicht gezahlt worden waren, wurde
erheblich, ob für sie nach Bundesrecht Beiträge zu zahlen gewesen wären (§ 15 FRG).
Ähnlich war für die Beschäftigungszeiten iS des § 16 FRG, wenn sie tatbestandlich vor der
Vertreibung im Herkunftsland außerhalb des Geltungsbereichs der
Reichsversicherungsgesetze zurückgelegt worden waren, zu prüfen, ob die Beschäftigung
nach dem am 1.3.1957 geltenden Bundesrecht Versicherungspflicht in den gesetzlichen
Rentenversicherungen begründet hätte, wenn sie im Inland ausgeübt worden wäre.
77 Diese Rechtsprechung war der Anlass, das ZRBG zu schaffen, aber nur deshalb, weil
entgegen der bis 1997 herrschenden geschichtstatsächlichen Ansicht in tatsächlicher
Hinsicht entschieden worden ist, dass eine Beschäftigung unter den Bedingungen des
Ghettos nicht unbedingt Zwangsarbeit gewesen sein musste, sondern ein durch freien
Willensentschluss zustande gekommenes Beschäftigungsverhältnis gewesen sein konnte.
Der Gesetzgeber wollte aber nicht etwa lediglich die durch das BSG zur alten Rechtslage
geklärten Tatsachen-Fragen jetzt auch noch in einem Gesetz ausdrücklich beantworten,
sondern er hat erklärt, er wolle mit dem ZRBG "Neuland" betreten, also nicht nur die Ghetto-
Rechtsprechung "1 zu 1" umsetzen (zum Anlass für die Gesetzesinitiative und ihrer
Zielsetzung die gleichlautenden Gesetzesentwürfe der Fraktionen SPD, CDU/CSU,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P., BT-Drucks 14/8583, sowie der PDS, BT-Drucks
14/8602, dort jeweils Begründung, A. Allgemeiner Teil, S 5). Der Regelungsgehalt des
ZRBG erschließt sich daher vorrangig aus seinen Texten und seiner Entstehung im
Deutschen Bundestag, nicht aber primär aus einer früheren zu einer anderen Rechtslage
ergangenen Rechtsprechung.
78 Für das Erfordernis, die Ghetto-Beschäftigungen in den besetzten Gebieten dürften (nach
welchem Recht?) nicht versicherungsfrei gewesen sein, lässt sich aus den Materialien des
ZRBG nichts Tragfähiges herleiten. Das Gesetz soll "die rentenrechtlichen Hürden für
Personen beseitigen, die von den Nazis in ein Ghetto gezwungen wurden und in dieser
Zwangssituation, um überleben zu können, einer entlohnten Beschäftigung nachgingen"
(so stellvertr die Bundestagsabgeordnete Deligöz in ihrer im Rahmen der 2. und 3.
Beratung des Deutschen Bundestags am 25.4.2002 zu Protokoll gegebenen Rede, BT-
Plenarprotokoll 14/233 S 23280).
79 In Anbetracht des uneinheitlichen, zumindest unklaren Meinungsstandes ua in der
Rechtsprechung des BSG ist die Frage, ob ein Verfolgter in den Anwendungsbereich des
ZRBG einbezogen ist, der seine behauptete Ghetto-Beschäftigung in einem vom
Deutschen Reich besetzten Gebiet verrichtete und nicht den Reichsversicherungsgesetzen
unterlag, klärungsbedürftig iS des § 41 Abs 4 SGG. Unerheblich ist, dass die
umschriebenen Meinungsäußerungen des 4., 5. und 13. Senats nicht als "tragende
Rechtssätze" formuliert worden sind.
80 bb) Der vorliegende Fall zwingt nicht dazu, auf die Situation in den völkerrechtswidrig vom
Deutschen Reich annektierten und eingegliederten Gebieten einzugehen. Bei seiner
Entscheidung muss der GS jedoch nicht allein auf den durch die Vorlagefrage
abgegrenzten Tatbestand abstellen. Die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung kommt
auch dann in Betracht, wenn die vorgelegte Frage nicht in den tragenden Gründen der
Entscheidungen der Senate des BSG unterschiedlich beantwortet ist, sondern eine
unterschiedliche Meinung zB in "obiter dicta" erkennbar wird (BSG, GS, Beschluss vom
25.11.1987, BSGE 62, 255, 259 = SozR 5050 § 15 Nr 35).
81 In den in Polen völkerrechtswidrig annektierten Gebieten wurden zunächst in
Oberschlesien durch die "Verordnung über die Einführung der Reichsversicherung in den
der Provinz Schlesien angegliederten, ehemals polnischen Gebieten" vom 16.1.1940
(RGBl I 196) und später in allen annektierten Gebieten durch die "Verordnung über die
Einführung der Reichsversicherung in den eingegliederten Ostgebieten" (OstgebieteVO)
vom 22.12.1941 (RGBl I 777) iVm verschiedenen Erlassen des Reichsarbeitsministers die
Reichsversicherungsgesetze eingeführt (hierzu und zu den wegen ihrer rassistischen
Diskriminierungen als typisches nationalsozialistisches Unrecht nichtigen Teile der
OstgebieteVO: Urteil des Senats vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, RdNr 24 ff).
82 Der 13. Senat hat in seinen Urteilen, die zu den eingegliederten Gebieten ergangen sind,
erkennen lassen, dass er es auch im Anwendungsbereich des ZRBG für erforderlich hält,
dass eine "versicherungspflichtige" Beschäftigung ausgeübt wurde (vgl Urteil vom
3.5.2005, BSGE 94, 294, RdNr 27 = SozR 4-2600 § 306 Nr 1; Urteil vom 20.7.2005, B 13
RJ 37/04 R, JURIS, RdNr 28). Der 5. Senat hat in seinem das eingegliederte Gebiet
betreffenden Beschluss vom 14.8.2006 (B 5 RJ 246/05 B) zu erkennen gegeben, dass er
die Rechtslage im Sinne der Rechtsprechung des 13. Senats für geklärt hält, wobei er sich
allerdings auf eine ein besetztes Gebiet betreffende Entscheidung des 13. Senats berufen
hat. Der 4. Senat hat sich in den Gründen seiner Entscheidung vom 14.12.2006 (aaO, RdNr
106 ff) nicht tragend zur Rechtslage in den eingegliederten Gebieten geäußert, weil der zu
Grunde liegende Sachverhalt ein Ghetto in Transnistrien betraf, dass - was vom LSG nach
erfolgter Zurückverweisung noch zu klären ist - ggf in den besetzten Gebieten gelegen
haben könnte. Er würde danach die Frage, ob der Verfolgte dem Anwendungsbereich der
Reichsversicherungsgesetze unterfallen sein musste, für alle Ghettos, gleichgültig in
welchem Gebiet sie gelegen haben, einheitlich negativ beantworten.
83 In den besetzten Gebieten kann nicht auf eine damalige Versicherungspflicht nach den
Reichsversicherungsgesetzen abgestellt werden, weil diese dort nicht eingeführt worden
waren. Würde eine weder im WGSVG noch im ZRBG vorgesehene fiktive
Versicherungspflicht nach den Reichsversicherungsgesetzen gefordert, liefe das ZRBG für
Ghetto-Beschäftigungen in diesen Gebieten von vornherein ins Leere.
84 Würde man dagegen für die eingegliederten Gebiete, in denen jedenfalls aus heutiger Sicht
diese Gesetze auch für jüdische Arbeitnehmer gegolten haben, darauf abstellen, dass nach
den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze nicht nur und insoweit völlig
unproblematisch Versicherungspflicht vorlag, sondern auch in jedem Einzelfall
ausgeschlossen werden müsste, dass Versicherungsfreiheit kraft Reichsrecht eingetreten
war, wären die Ghetto-Beschäftigungen in den besetzten und eingegliederten Gebieten
jeweils nach unterschiedlichen Rechtsmaßstäben zu beurteilen. Denn es war (und ist) allen
in Betracht kommenden Rechtsordnungen gemeinsam, dass eine freiwillig aufgenommene
entgeltliche Beschäftigung eines Arbeiters Versicherungs- und Beitragspflicht in einem
System der "Rentenversicherung" auslöst, während die Ausnahmen hiervon
("Versicherungsfreiheit") unterschiedlich geregelt waren und sind. Das ZRBG sieht für
beide Gebiete keine uneinheitliche Rechtsanwendung vor; dafür findet sich weder im
Gesetzestext noch in den Materialien ein Anhaltspunkt.
85 Würde bezüglich der eingegliederten Gebiete entsprechend dem dort nicht einschlägigen §
12 WGSVG das Erfordernis einer damals versicherungspflichtigen Beschäftigung
aufgestellt und damit in den Text des ZRBG die Versicherungspflicht als notwendige
Voraussetzung "hineingelesen", hätte es für diese Gebiete nicht der Schaffung des ZRBG
bedurft (dazu sogleich unter Ziff 3). Es ist aber auch nicht erkennbar, dass sich dessen
Relevanz auf die besetzten Gebiete beschränken sollte. Aus der gleichrangigen
Erwähnung beider Gebiete in § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 2 ZRBG ist zu folgern, dass die
Verfolgten in beiden Gebieten unter denselben Voraussetzungen entschädigt werden
sollten. Deshalb dürfte es näher liegen, sich am Wortlaut des § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG zu
orientieren, der - anders als § 12 WGSVG - Versicherungspflicht und das Fehlen einer
Versicherungsfreiheit nach den Reichsversicherungsgesetzen nicht als
Tatbestandsvoraussetzung vorsieht.
86 Wegen der - wenn auch nicht in tragenden Rechtssätzen geäußerten - unterschiedlichen
Rechtsauffassungen des 4., 5. und 13. Senats, zumindest aber nicht eindeutig geklärten
Rechtsfrage erscheint diese auch im Hinblick auf die eingegliederten Gebiete
klärungsbedürftig.
87 c) Klärungsbedürftig iS des § 41 Abs 4 SGG ist die weitere (Unter-)Frage, ob der Verfolgte
seinen Versichertenstatus allein mit ZRBG-Beitragszeiten begründen kann oder ob er
außerdem noch eine andere, nach dem SGB VI anrechenbare Beitragszeit haben muss,
gleichgültig ob aus dem Kernsystem oder einem gleichgestellten System oder aus einem
System der sozialen Sicherheit eines ausländischen Staats, mit dem ein
Sozialversicherungsabkommen geschlossen worden ist, das eine Berücksichtigung der in
diesem Staat zurückgelegten Versicherungszeiten (zB für den Rechtserwerb) zulässt.
88 Die Vorinstanz hat die Auffassung geäußert, das ZRBG habe den Kreis der im
Rentenversicherungsrecht anspruchsberechtigten Personen nicht erweitert, also keine
neue Art/Kategorie von Beitragszeiten geschaffen, sondern sein Anwendungsbereich
beschränke sich lediglich auf die Bewertung von Ghetto-Beschäftigungszeiten nach den
Reichsversicherungsgesetzen oder nach Bundesrecht, jeweils iVm dem WGSVG und/oder
dem FRG (die demzufolge die Merkmale einer der bisher schon bestehenden
Beitragszeiten aufweisen müssten) sowie deren Zahlbarmachung ins Ausland.
89 Folgt man dieser Auffassung, hätte es hinsichtlich der Beschäftigungen in den
eingegliederten Gebieten der Anordnung in § 2 Abs 1 Nr 1 ZRBG nicht bedurft. Nach dieser
Norm gelten für die Ghetto-Beschäftigungszeiten Beiträge als gezahlt, und zwar für die
Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine
Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets. Waren sie schon nach den
Reichsversicherungsgesetzen versicherungspflichtig, waren sie nach diesen ohnehin, ggf
iVm § 12 WGSVG, Beitragszeiten, sodass es der erneuten Anordnung, sie seien
Beitragszeiten, nicht bedurft hätte, auch nicht für ihre Bewertung. Auch die Anordnung einer
Zahlbarmachung in der Nr 2 aaO wäre als solche insoweit nicht erforderlich gewesen (vgl §
113 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Satz 2, 271, 272, 317 bis 319 SGB VI sowie §§ 18, 19 WGSVG).
Die neue Regelung könnte daher nur für die besetzten Gebiete Bedeutung erlangen, in
denen Verfolgte, die keine deutschen Staatsbürger waren und die auch nicht später wegen
ihres "Deutschtums" vertrieben wurden, ohne das ZRBG durch eine Ghetto-Beschäftigung
keine Beitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung haben können.
Wenn für die besetzten Gebiete auf eine fiktive Versicherungspflicht nach den
Reichsversicherungsgesetzen abgestellt würde, wären die in den Nr 1 und 2 des § 2 aaO
getroffenen Anordnungen für diese Gebiete im Ergebnis ebenfalls gegenstandslos.
90 Text und Entstehungsgeschichte des ZRBG sprechen eher dafür, dass dieses Gesetz nicht
die zuvor bestehende Rechtslage in einer verkürzten Fassung wiederholen, sondern
"Neuland“ betreten und ua eine neue Art von Beitragszeiten schaffen sollte, die zum
Abschluss der Entschädigung von NS-Verfolgten für ns-bedingte Schäden in ihrer
Rentenversicherung Einbußen im heutigen Versicherungsschutz wegen einer Ghetto-
Beschäftigung entschädigen soll, die durch das bisherige Recht nicht oder (bei den
eingegliederten Gebieten) nicht ausreichend kompensiert worden waren.
2. Frage 2
die sich in einem Drittstaat außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland oder
eines Vertragsstaats (gewöhnlich) aufhalten (oder dort wohnen)?
92 Diese Frage hat der 4. Senat im Urteil vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R) beiläufig verneint.
Sie wird im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich, weil die Klägerin - wie
dargelegt - auf Grund des Art 4 DISVA dem räumlichen Anwendungsbereich des ZRBG
unterfällt. Allerdings hätte der 4. Senat sie am 20.12.2007 bei einer Entscheidung über die
Revision mit beantworten müssen. Auf sie ist nämlich im Zusammenhang mit der Frage 5
einzugehen. Deren Klärungsbedürftigkeit iS des § 41 Abs 4 SGG beruht darauf, dass der 4.
Senat hätte erörtern müssen, ob die Rechtsauffassung des LSG Bundesrecht verletzt,
soweit es davon ausgeht, das ZRBG habe nicht vom Erfordernis der Wartezeit für die
Inanspruchnahme einer Altersrente dispensiert. Hierbei gewinnt ua der räumliche
Anwendungsbereich des ZRBG Bedeutung, weil auch er dafür sprechen könnte, dass die
Erfüllung der allgemeinen Wartezeit zur Vermeidung von Ungleichbehandlung unter den
Verfolgten vom ZRBG nicht vorausgesetzt wird.
93 Die aufgeworfene Frage ist klärungsbedürftig. Während der 13. Senat im Urteil vom
26.7.2007 (B 13 R 28/06 R, RdNr 38) ausdrücklich von einer Stellungnahme zur
Rechtsauffassung des 4. Senats abgesehen hat, ist ihr von der Bundesregierung
widersprochen worden.
94 Der räumliche Anwendungsbereich ist grundsätzlich, dh ohne eine abweichende
Verlautbarung im Gesetz oder in völkervertraglichen Regelungen, mit dem räumlichen
Geltungsbereich des Gesetzes identisch. Hierzu hat der erkennende Senat im Urteil vom
14.12.2006 (aaO, RdNr 57 ff) ausgeführt, dass der räumliche Geltungsbereich - wie bei
allen Bundesgesetzen - grundsätzlich nur die Personen erfasst, die der Gebietshoheit der
Bundesrepublik Deutschland unterliegen, die sich also im Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland aufhalten (ungenau auch "Territorialitätsprinzip" genannt). Der hier ebenfalls
anwendbare § 30 Abs 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verlangt darüber hinaus
einen gewöhnlichen Aufenthalt oder einen Wohnsitz im Inland; nur dann ist deutsches
Rentenversicherungsrecht, zu dem auch das ZRBG gehört, auf eine Person anwendbar,
außer wenn überstaatliches oder zwischenstaatliches Recht etwas anderes bestimmen (§
30 Abs 2 SGB I). Demzufolge findet das ZRBG auf Personen, die sich nicht in Deutschland
aufhalten, nur Anwendung, wenn das Gesetz selbst diese Ausdehnung seines
Anwendungsbereichs anordnet oder in einem zwischenstaatlichen Abkommen eine
Gebietsgleichstellung mit Inländern in der Weise erfolgt ist, dass jeder Vertragsstaat die
Staatsangehörigen des anderen Staats, die sich in dessen Gebiet aufhalten, so behandelt,
als hielten sie sich in seinem Gebiet auf. Auch aus supranationalem Recht kann sich eine
Ausweitung des Anwendungsbereichs ergeben. Insoweit ist in diesem Zusammenhang
jedoch nicht auf das EG-Recht einzugehen; die Entschädigungsregelungen des ZRBG sind
keine Leistungen der sozialen Sicherheit (§ 1 Abs 4 ZRBG), sodass sie nicht Art 4 Abs 1
VO 1408/71/EWG unterfallen.
95 Das ZRBG hat es unterlassen, die Ausweitung seines räumlichen Anwendungsbereichs
über den räumlichen Geltungsbereich hinaus anzuordnen. Demzufolge findet es nur
Anwendung auf Personen, die sich im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland oder
in einem Vertragsstaat aufhalten, mit dem ein Abkommen der umschriebenen Art besteht.
Jedoch hat die Bundesregierung auf eine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geantwortet, für sie sei mit Blick auf die Regelung des § 2 Abs
1 ZRBG die Auffassung des 4. Senats (gemeint: im Urteil vom 14.12.2006, aaO) nur schwer
nachvollziehbar (s BT-Drucks 16/5720 S 5 Abs 3). In dieser Antwort ist nicht bedacht, dass
§ 2 Abs 1 ZRBG allein die Zahlung von Beiträgen fingiert, und zwar für die "Berechnung
der Rente" (Nr 1) sowie für die "Erbringung von Leistungen ins Ausland" (Nr 2). Dies setzt -
auch für das Gegenseitigkeitsprinzip bei Sozialversicherungsabkommen - voraus, dass die
Betroffenen, um Berechtigte werden zu können, auch vom räumlichen Anwendungsbereich
des Gesetzes erfasst werden. Dies wird im Übrigen bei den anderen Vorschriften über
Zahlungen ins Ausland selbstverständlich berücksichtigt (§§ 110 ff, 271, 272, 317 bis 319
SGB VI, 18, 19 WGSVG).
96 Im Urteil vom 14.12.2006 (aaO, RdNr 59 f) hat der 4. Senat darauf hingewiesen, dass sich
in den Gesetzesentwürfen zum ZRBG zwar durchaus die Aussage findet, es komme nicht
darauf an, in welchem Staat sich der Berechtigte aufhalte; in seinen Beratungen ist der
Deutsche Bundestag auf die Problematik des "Territorialitätsprinzips" jedoch nicht
eingegangen und ist auch nicht auf sie hingewiesen worden. Die Bundesregierung selbst
hat auf die vom 4. Senat als verfassungsrechtlich problematisch bezeichnete Begrenzung
des Anwendungsbereichs des ZRBG auf "Inländer" und "Vertragsstaatler" gegenüber
Ausschüssen des Bundesrats hingewiesen (Diskussionsprotokoll vom 23.5.2002 zur
Sitzung vom 16.5.2002, zu TOP 8, S 23). Dies war der Anlass für den Hinweis des 4.
Senats. Im Text des ZRBG findet sich die notwendige und dem Parlament vorbehaltene
Regelung einer Abweichung vom Grundsatz der Gebietshoheit nicht.
3. Frage 3
zustande gekommenen entgeltlichen Beschäftigung" von der vom ZRBG nicht erfassten
"Zwangsarbeit" abzugrenzen, und zwar im Hinblick auf
98 a) die Freiwilligkeit der Beschäftigung; genügt die Möglichkeit der Ablehnung der Arbeit
ohne unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben?
99 b) das Entgelt; wie ist das Entgelt, das ein Ghetto-Arbeiter im Austausch "für" seine
Beschäftigung erhielt, von "existenzsichernden Zuwendungen" bei Zwangsarbeit
abzugrenzen?
100 c) eine rechtliche Relevanz der Höhe des Entgelts; ist sie von Bedeutung für die
Abgrenzung zur Zwangsarbeit?
101 Da das LSG davon ausgegangen ist, die Ghetto-Rechtsprechung sei unverändert im
Anwendungsbereich des ZRBG fortzuführen, hat es auch den Beschäftigungsbegriff des
ZRBG an denselben Rechtsmaßstäben gemessen, welche diese bei Anwendung des § 12
WGSVG iVm den Reichsversicherungsgesetzen, vornehmlich der RVO alter Fassung (aF),
zu Grunde gelegt hat. Dies ist zwar vom Ansatz her und weitgehend auch inhaltlich
zutreffend, berücksichtigt aber nicht hinreichend die vom ZRBG ins Auge gefassten
Besonderheiten der Beschäftigungen während eines Zwangsaufenthalts in einem Ghetto.
Da der 5. und 13. Senat ebenfalls unverändert an die Ghetto-Rechtsprechung zum
Reichsversicherungsrecht anknüpfen wollen, sind diese Fragen zum Beschäftigungsbegriff
des ZRBG klärungsbedürftig.
102 a) Zum Tatbestandsmerkmal einer "aus eigenem Willensentschluss zustande
gekommenen entgeltlichen Beschäftigung", und zwar im Hinblick auf das Merkmal der
Freiwilligkeit.
103 Der Text des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst a ZRBG stellt darauf ab, dass eine aus freiem
Willensentschluss begründete Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt wurde. Weitere
Voraussetzungen werden insoweit nicht benannt. Mit der "Freiwilligkeit“ wiederholt er eine
Anforderung des sozialversicherungsrechtlichen Begriffs der Beschäftigung, die seit
Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland stets gegolten hat.
104 Hierzu hat der 5. Senat im Urteil vom 18.6.1997 (BSGE 80, 250, 252 = SozR 3-2200 § 1248
Nr 15) ausgeführt, ein - nach der RVO aF versicherungspflichtiges -
Beschäftigungsverhältnis komme durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten zustande.
Typisch sei, dass auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung
vorliegen, die nach dem Modell der Erklärungen bei einem Vertragsschluss geäußert
werden. Dies gelte auch für die Abgrenzung zwischen freien und unfreien Beschäftigungen
(= Zwangsarbeitsverhältnissen). Frei sei ein Beschäftigungsverhältnis, wenn es aus
eigenem Antrieb zu einem Vertragsabschluss gekommen sei.
105 Allerdings setzte und setzt ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis
nicht notwendig den Abschluss eines Arbeitsvertrages nach zivilrechtlichen Grundsätzen
voraus (vgl § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch ).
106 An dieser Rechtsprechung hat das BSG in den weiteren Urteilen zu den Ghetto-
Beschäftigungen bis zum Inkrafttreten des ZRBG festgehalten und betont, dass auch solche
Beschäftigungen die Kriterien eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses
nach damaligem Reichsversicherungsrecht erfüllt haben, also von den Merkmalen der
Freiwilligkeit (und Entgeltlichkeit, dazu unter Ziff 2) bestimmt worden sein mussten. Die
damaligen Regelungen entsprächen dem heute geltenden Recht, nämlich dem in § 7 Abs 1
SGB IV definierten Begriff der "unselbständigen Arbeit". Gemessen an diesen Kriterien sei
eine unter Zwang zustande gekommene und verrichtete Arbeit (zB als Strafgefangener oder
KZ-Häftling) grundsätzlich nicht als eine Beschäftigung einzustufen, die - nach den
Bestimmungen der RVO - der Versicherungspflicht unterlegen habe (BSG, Urteil des 5.
Senats vom 21.4.1999, SozR 3-2200 § 1248 Nr 16; Urteile des 13. Senats vom 14.7.1999,
SozR 3-5070 § 14 Nr 2 und 3 sowie vom 23.8.2001, SozR 3-2200 § 1248 Nr 17).
107 Auch der 4. Senat ist in seiner Entscheidung vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R, RdNr 98)
davon ausgegangen, dass der Rechtsbegriff der Beschäftigung in dem früheren § 1226 Abs
1 Nr 1 RVO aF in der Nachfolgevorschrift des § 1227 Abs 1 Nr 1 RVO neuer Fassung (nF)
und in dem heute geltenden § 7 Abs 1 SGB IV im Wesentlichen dieselbe Bedeutung hatte
bzw hat. An dieses Begriffsverständnis knüpft auch das ZRBG an. Ebenso besteht
Übereinstimmung, dass der zwangsweise Aufenthalt in einem Ghetto der Aufnahme einer
nichtselbständigen Tätigkeit nicht entgegensteht (aaO, RdNr 99 mit Hinweisen auf die
Ghetto-Rechtsprechung).
108 aa) Die Beschäftigung muss aus "eigenem Willensentschluss" aufgenommen worden sein.
Dies erfordert insbesondere eine Abgrenzung zur Zwangsarbeit, obwohl das ZRBG das
Wort "Zwangsarbeit" nicht verwendet und nicht als negative Tatbestandsvoraussetzung
normiert.
109 Geboten ist eine Abgrenzung zum Anwendungsbereich der Regelungen der
"Zwangsarbeiter-Stiftung" (Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft" vom 2.8.2000, BGBl I 1263), welche ua auch die Zwangsarbeit
im Ghetto entschädigt hat. Das ZRBG schützt jenen Personenkreis der Ghetto-
Beschäftigten, der nicht unter die Stiftungsregelungen fällt (Urteil des Senats vom
14.12.2006, aaO, RdNr 100 f; vgl zur Ausschlussklausel des § 16 EVZStiftG: BSG, Urteil
vom 22.3.2006, BSGE 96, 110, 113, RdNr 15 = SozR 4-5060 Art 6 § 23 Nr 1).
110 Auch vor 1997 (dh vor Beginn der Ghetto-Rechtsprechung) hat das BSG die Abgrenzung
zwischen Zwangsarbeit und (rentenversicherungspflichtiger) Beschäftigung stets am
Merkmal der "Freiwilligkeit" vorgenommen. So hat es die Arbeitserbringung in einem KZ
nicht als Beschäftigung im versicherungsrechtlichen Sinn angesehen, weil sie nicht auf
"freiwilliger Basis" erfolgt sei (Urteil vom 10.12.1974, BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr
2). Ferner hat es Beschäftigungen in einem Ghetto pauschal als Zwangsarbeit bewertet und
sie einer Arbeit in einem KZ gleichgestellt, ohne dass aus der Entscheidung erkennbar
wird, warum der Verfolgte im Ghetto unter "Zwang" gearbeitet hat (Urteil vom 4.10.1979,
SozR 5070 § 14 Nr 9). Diese frühere Rechtsprechung hat das BSG in seiner Ghetto-
Rechtsprechung korrigiert und entschieden, dass auch in einem Ghetto ein auf freiwilliger
Basis begründetes Beschäftigungsverhältnis bestanden haben konnte. Wie zuvor
dargelegt, hat es - beginnend mit dem Urteil vom 18.6.1997 (BSGE 80, 250 = SozR 3-2200
§ 1248 Nr 15) - auf das allgemeine Abgrenzungskriterium der Freiwilligkeit abgestellt.
Dabei ist der Begriff der "Zwangsarbeit" nicht ausdrücklich definiert, sondern aus einem
negativen Merkmal abgeleitet worden. Sie ist angenommen worden, wenn es sich um
"nicht freiwillige" Arbeit, also um eine "unfreie" Beschäftigung gehandelt hat.
111 Zur Vermeidung von Doppelbegünstigungen und Entschädigungslücken ist an den Begriff
der Zwangsarbeitdes EVZStiftG anzuknüpfen. Nach dessen § 11 Abs 1 Nr 1 ist nach
diesem Gesetz leistungsberechtigt, wer in einem KZ iS von § 42 Abs 2 BEG oder in einer
anderen Haftstätte außerhalb des Gebietes der heutigen Republik Österreich oder "in
einem Ghetto unter vergleichbaren Bedingungen inhaftiert war und zur Arbeit gezwungen
wurde". In einem Ghetto "unter vergleichbaren Bedingungen" inhaftiert war, wer sich dort
"zwangsweise" aufhalten musste. Zur Arbeit war er "gezwungen", wenn er auf Anordnung
"von hoher Hand" unter Ausschluss jeder freien Willensbetätigung die Arbeit verrichten
musste. Keine Zwangsarbeit lag danach vor, wenn die "hohe Hand" für die
Beschäftigungsaufnahme noch irgendeinen Raum für eine freie Willensbetätigung
gelassen hatte.
112 Daran schließt § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst a ZRBG "nahtlos" an. Die Vorschrift verlangt,
dass die Beschäftigung "aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist". Damit
sollten erstens die Anregungen der (oben zitierten) Ghetto-Rechtsprechung zur
Freiwilligkeit der Beschäftigungsaufnahme aufgegriffen und zweitens die nach dem ZRBG
zu entschädigende Beschäftigung von der vom EVZStiftG erfassten Zwangsarbeit in einem
Ghetto nahtlos abgegrenzt werden (BT-Drucks 14/8583 und BT-Drucks 14/8602, jeweils
Begründung, A. Allgemeiner Teil, Ziff I Abs 2 und B. Besonderer Teil, S 6 zu § 1, Abs 1);
denn für die Entschädigung der Zwangsarbeit im Ghetto war die Stiftung geschaffen
worden (Urteil des Senats vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, RdNr 101 f, vgl hierzu auch den
zu Protokoll gegebenen Redebeitrag der Bundestagsabgeordneten Deligöz,
Plenarprotokoll 14/233 S 23280). Alle Ghetto-Arbeiter sollten für die dort geleistete Arbeit
entschädigt werden, die einen als Zwangsarbeiter von der Stiftung, die anderen als
freiwillig Beschäftigte von der deutschen Rentenversicherung, weil sie eine grundsätzlich
rentenversicherungspflichtige Beschäftigung verrichtet haben, vorausgesetzt, sie erhalten
heute für ihre Ghetto-Arbeit keine Leistung aus ihrer jeweiligen Rentenversicherung. Es
kommt dem ZRBG ausdrücklich gerade darauf an, dass der Ghetto-Beschäftigte eine
Leistung für seine Ghetto-Arbeit erhält.
113 bb) Das ZRBG hat die Anforderungen an den freien Willensentschluss zu Gunsten der
Betroffenen ausdrücklich auf den Zwangsaufenthalt im Ghetto bezogen, weil es eine
nahtlose Abgrenzung zur Zwangsarbeit iS des § 11 EVZStiftG wollte. Denn für die
"Freiwilligkeit“ reicht danach aus, dass bei der Aufnahme der Beschäftigung von hoher
Hand nur nicht jede freie Willensbetätigung ausgeschlossen war.
114 Der 5. Senat hatte in seinem (Ausgangs-)Urteil vom 18.6.1997 (BSGE 80, 250, 252 = SozR
3-2200 § 1248 Nr 15) - zu Recht - in Anwendung des zur Zeit der Ghetto-Beschäftigung
geltenden Reichsversicherungsrechts geprüft, ob es sich um ein "freies"
(rentenversicherungspflichtiges) Beschäftigungsverhältnis gehandelt hat. Hierbei hat er
darauf hingewiesen, dass die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer
Beschäftigung veranlassten (etwa Bedarfsdeckung, Gewinn- bzw
Einkommensmaximierung, Selbstverwirklichung) keine Rolle spielten. Auch allgemeine
Lebensumstände des Versicherten müssten außer Betracht bleiben, die nicht die Arbeit
und das Arbeitsentgelt als solches beträfen. Demzufolge seien die Sphären
"Lebensbereich" (mit Freiheitsentziehung oder -beschränkung) und
"Beschäftigungsverhältnis" grundsätzlich zu trennen und die Umstände und Bedingungen
des Beschäftigungsverhältnisses für sich zu bewerten. Dieser Rechtsprechung des 5. und
des 13. Senats (vgl ua: Urteil des 5. Senats vom 21.4.1999, SozR 3-2200 § 1248 Nr 16;
Urteile des 13. Senats vom 14.7.1999, SozR 3-5070 § 14 Nr 2 und 3) hat sich der 4. Senat
angeschlossen (Urteil vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, RdNr 24 ff).
115 Ob eine Arbeit "aus eigenem Willensentschluss" und damit "freiwillig" aufgenommen oder
aber "Zwangsarbeit" verrichtet wurde, beurteilt sich nicht danach, wie die in sich
unterschiedlich ausgeprägten Begriffe von "Zwangsarbeit" in Art 12 Abs 2 und 3 GG, Art 4
Abs 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder in Art 2 der ILO-
Konvention Nr 29 über Zwangs- und Pflichtarbeit verstanden werden (so aber
möglicherweise Strassfeld, Anspruch auf Rente aufgrund "Ghettoarbeit", SGb 2007, 598,
603). Die jüdischen NS-Verfolgten standen in einem Ghetto regelmäßig unter dem "Zwang"
(im Sinne einer "vis compulsiva"), eine Arbeit aufnehmen zu müssen, um überleben zu
können. Das ZRBG geht davon aus, dass trotzdem eine Beschäftigung freiwillig
aufgenommen werden konnte. Die Abgrenzung von freier und unfreier Beschäftigung unter
den Bedingungen eines Zwangsaufenthalts in einem Ghetto dürfte sich vor allem an der
Zielsetzung des ZRBG zu orientieren haben, die Entschädigung der verfolgten Ghetto-
Arbeiter durch Leistungen hierfür zusätzlich zum EVZStiftG und in Ergänzung zum WGSVG
zu sichern.
116 Die Unterscheidung zwischen Zwangsarbeit und "freiwilliger" Arbeit in einem Ghetto dürfte
keine - im Vergleich zum Rentenrecht - besondere Definition des Begriffs der
Beschäftigung erfordern, wohl aber verlangen, dass bei der "Freiwilligkeit" der gesetzlich
vorausgesetzte Zwangsaufenthalt in einem Ghetto und die bereits dadurch sehr verengte
Freiheit des Willensentschlusses der Verfolgten als Ausgangslage beachtet wird. Die
extremen ns-bedingten Lebensumstände in einem Ghetto mit einer allgegenwärtigen
existentiellen Bedrohung waren Grundlage der Erwägungen, die zu dem
Gesetzesbeschluss geführt haben. Diese Lebenssphäre der Ghetto-Insassen war im
Vergleich zu derjenigen der "normalen" Beschäftigten im Reich außerordentlich
eingeschränkt, auch wenn man deren Arbeitspflicht und die Kriegsverhältnisse
berücksichtigt. Jedoch knüpft der Begriff der rentenversicherungsrechtlich erheblichen
Beschäftigung grundsätzlich an Friedensverhältnisse an. Er ist aber weit genug, die durch
Krieg oder - wie hier - durch NS-Verfolgung bewirkten tatsächlichen Veränderungen im
Arbeitsleben angemessen zu berücksichtigen. Die durch die NS-Verfolgung weitestgehend
eingeschränkte Arbeits- und Lebenssphäre der Ghetto-Insassen wie auch der Begriff der
Zwangsarbeit iS des § 11 EVZStiftG legen es nahe, dass ein eigener Willensentschluss zur
Beschäftigungsaufnahme durch den Verfolgten im Sinne des ZRBG dann vorliegt, wenn
die Arbeit vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage in einem Ghetto jedenfalls auch
noch auf einer, wenn auch auf das "Elementarste" reduzierten Wahl zwischen zwei
Verhaltensweisen beruhte und die neben der Möglichkeit der Arbeitsaufnahme gegebene
Alternative nicht in der Unterwerfung unter die absolute Gewaltausübung des
"Weisungsgebers" bestand (Urteil des Senats vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R, RdNr 102 f).
Eine Arbeit ist unter den Bedingungen des Ghettos (auch gemäß § 11 EVZStiftG) dann
mangels Freiwilligkeit als Zwangsarbeit zu werten, wenn die Aufnahme oder die
Fortführung der Beschäftigung von hoher Hand mit absoluter Gewalt ("vis absoluta") oder
der Drohung mit ihr, also unter unmittelbarer, nicht "nur" mittelbarer Gefahr für Leib oder
Leben oder für die "Restfreiheit" der Ghetto-Inhaftierten bewirkt oder gefordert wurde. Denn
dann war von hoher Hand "jede" freie Willensbetätigung ausgeschlossen worden.
117 b) Zur Abgrenzung des Entgelts, das ein Verfolgter "für" die Ghetto-Beschäftigung erhielt,
von "existenzsichernden Zuwendungen" bei Zwangsarbeit.
118 Gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst b ZRBG muss die Beschäftigung gegen "Entgelt"
ausgeübt worden sein. Dieser Rechtsbegriff des 2002 beschlossenen ZRBG knüpft in
Ermangelung anderer Hinweise an das heutige Verständnis an. Nach § 14 Abs 1 SGB IV
fallen unter "Arbeitsentgelt" alle einmaligen oder laufenden Einnahmen aus einer
Beschäftigung; gleichgültig ist, ob sie geschuldet und in welcher Form oder unter welcher
Bezeichnung sie geleistet oder unmittelbar aus der Beschäftigung oder nur im
Zusammenhang mit ihr erzielt werden; es können Geld- oder Sachbezüge sein; ein
Mindestwert ist nicht vorgeschrieben.
119 Hiervon ging zB auch § 160 RVO aF (der "Hausmädchenparagraph") aus, regelte dann
jedoch, dass derjenige, der nur bestimmte Sachbezüge (Unterkunft und Verpflegung)
bezog, versicherungsfrei und somit nicht versicherungspflichtig war. Die Frage der
Entgeltlichkeit darf jedoch nicht mit der Frage nach der Versicherungspflicht vermengt
werden. Grundsätzlich begründet jede entgeltliche Beschäftigung in der gesetzlichen
Rentenversicherung die Pflichtversicherung und die Beitragspflicht. Vom Wert des
Arbeitsentgelts (Höhe der Geldbezüge und Wert der Sachbezüge) kann im Einzelfall
abhängen, ob ausnahmsweise Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes eintritt. Daher dürfte es
auch im ZRBG für ein Arbeitsentgelt genügen, dass zB ausschließlich Lebensmittel als
Sachleistungen bezogen wurden (so Urteil des Senats vom 14.12.2006, B 4 R 29/06 R,
RdNr 104).
120 Sachen oder auch mal Geld erhielten aber auch Zwangsarbeiter. Dies war schon
erforderlich, um ihre Arbeitskraft zu erhalten. Um das Arbeitsentgelt eines Ghetto-
Beschäftigten von den "existenzsichernden Zuwendungen" an Zwangsarbeiter
abzugrenzen, ist nicht nur auf das "dass", sondern zusätzlich auf das "für" abzustellen. Es
kommt nicht allein darauf an, "dass" der Ghetto-Arbeiter eine Zuwendung erhalten hat; dies
ist natürlich eine unverzichtbare Voraussetzung, erlaubt aber noch keine Abgrenzung zur
existenzsichernden Zuwendung bei Zwangsarbeit. Für das Vorliegen eines Arbeitsentgelts
dürfte wie auch sonst im Rentenversicherungsrecht entscheidend sein, "wofür" der Arbeiter
Sachen oder Geld bekommen hat. Notwendig ist eine Bewertung mit Blick auf den
Austauschcharakter des Beschäftigungsverhältnisses, der durch die Freiwilligkeit der
Beschäftigungsaufnahme des Arbeiters begründet wurde. Man kann freiwillig auch eine
äußerst schlecht vergütete Beschäftigung aufnehmen. War die äußerst schlechte
Vergütung im Vergleich mit Nichtverfolgten mit gleichartiger Beschäftigung im
Wesentlichen durch die NS-Verfolgung bedingt, sieht schon § 14 Abs 2 WGSVG eine
Entschädigung durch Anhebung des fiktiv versicherten Arbeitsentgelts vor.
121 c) Zur Relevanz der Höhe des Entgelts, das in einem Ghetto-Beschäftigungsverhältnis
erzielt wurde, für dessen Qualifizierung als Arbeitsentgelt.
122 Nach § 14 SGB IV (und allen seinen hier möglicherweise einschlägigen Vorläufern) kommt
es für die Qualifizierung einer Einnahme aus einer Beschäftigung als Arbeitsentgelt nicht
auf die Höhe oder den Wert der Vergütung an. Demgegenüber berühren zB die
Geringfügigkeitsgrenzen ua in § 8 SGB IV nicht den Entgeltbegriff, sondern die Frage, ob
die Versicherungspflicht ausnahmsweise durch eine Versicherungsfreiheit verdrängt wird.
Wären auch Bestimmungen über eine Versicherungsfreiheit bei den Ghetto-Beschäftigten
zu beachten, hätte es jedenfalls für die besetzten Gebiete, in denen die
Reichsversicherungsgesetze nicht galten, wohl einer ausdrücklichen Regelung der nur
ausnahmsweise eintretenden Versicherungsfreiheit im ZRBG bedurft. Denn der
Anwendungsbereich des Gesetzes würde gegen Null tendieren, weil die Grenzbeträge in
Anbetracht der im Regelfall wegen der NS-Verfolgung extrem niedrigen Entlohnung nur
selten überschritten worden sein dürften.
123 Ein Rückgriff auf die Ghetto-Rechtsprechung ist kaum möglich, weil diese - wie dargetan -
zwangsläufig die Frage der Versicherungspflicht in Anwendung der RVO und damit auch
prüfen musste, ob das Entgelt wegen seiner geringen Höhe oder seiner Art
ausnahmsweise Versicherungsfreiheit begründet hatte. So hat der 5. Senat im Urteil vom
18.6.1997 (BSGE 80, 250, 252 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15) ausgeführt, dass es zwar nicht
auf die wirtschaftliche Gleichwertigkeit ("Äquivalenz") der Austauschleistungen ankomme,
das Arbeitsentgelt müsse jedoch einen Mindestumfang erreichen, damit
Versicherungspflicht entstehe; den Mindestumfang hat er mit einem Drittel des damals
maßgeblichen Ortslohns beziffert (aaO, S 253). Der 13. Senat (ua Urteil vom 7.10.2004,
BSGE 93, 214, 225, RdNr 36 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1) will im Anwendungsbereich des
ZRBG an dieser Ghetto-Rechtsprechung festhalten, ohne darauf einzugehen, dass die
Höhe des Entgelts auch nach den Vorschriften der RVO und des SGB VI Bedeutung nur für
die Versicherungsfreiheit, nicht aber für den Entgeltcharakter der Einnahmen aus einer
Beschäftigung hatte und hat.
124 Bei der Frage nach dem Entgeltcharakter der Zuwendungen an Ghetto-Beschäftigte dürfte
es aber im Wesentlichen um die Abgrenzung zum Zwangsarbeiterunterhalt gehen. In
diesem Zusammenhang wird ein Entgeltcharakter im Regelfall zu bejahen sein, wenn die
Sachleistungen den Eigenbedarf übersteigen. Denn dies wäre untypisch für eine bloß
existenzsichernde Zuwendung an einen Zwangsarbeiter. Allerdings dürften Leistungen in
Höhe des Eigenbedarfs (oder bei zeitlich begrenzten Beschäftigungen auch darunter) die
Annahme des Austauschcharakters nicht schlechthin ausschließen, jedoch bedürfte es
dann einer genaueren Prüfung anhand der Entlohnungsverhältnisse für gleichartige Arbeit
im Ghetto und von Nichtverfolgten in der Region.
4. Frage 4
ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal ab, dass die Beschäftigung Versicherungspflicht
begründet hat? Ggf nach welchem Recht ist die Rentenversicherungspflicht zu beurteilen,
soweit die Reichsversicherungsgesetze in dem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet für
Ghetto-Arbeiter nicht gegolten haben:
126 a) nach dem heutigen SGB VI,
127 b) nach dem jeweiligen damaligen örtlichen Sozialversicherungsrecht, wenn es für Ghetto-
Arbeiter galt,
128 c) ggf in dessen analoger Anwendung oder
129 d) durch fiktive Anwendung der Reichsversicherungsgesetze?
130 Bei diesen Fragen geht es im Kern darum, ob bei einer vom ZRBG erfassten entgeltlichen
Beschäftigung im Einzelfall festgestellt werden muss, ob sie kraft Gesetzes
versicherungsfrei war, ggf nach welchen Gesetzen dies zu beurteilen ist.
131 Im deutschen Rentenversicherungsrecht war und ist seit der Einführung der
Angestelltenversicherung grundsätzlich von der Pflichtversicherung in der gesetzlichen
Rentenversicherung erfasst, also pflichtversichert, wer (freiwillig) gegen Arbeitsentgelt
beschäftigt ist (heute § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI). Etwas anderes galt und gilt nur, wenn der
entgeltlich Beschäftigte durch sein Entgelt eine seit langem nicht mehr existierende
Versicherungspflichtgrenze überschritten hatte oder wenn er einen (Ausnahme-)Tatbestand
erfüllte, an den das Gesetz trotz der entgeltlichen Beschäftigung ausnahmsweise die
Rechtsfolge der Versicherungsfreiheit geknüpft hatte (heute § 5 SGB VI) oder wenn er vom
Rentenversicherungsträger wegen eines andersartigen Ausnahmetatbestandes auf seinen
Antrag von der Versicherungspflicht befreit worden war (heute § 6 SGB VI).
132 Wird eine (freiwillige) Ghetto-Beschäftigung gegen Entgelt iS des § 1 ZRBG bejaht, lag und
liegt damit im deutschen Rechtskreis Pflichtversicherung und Beitragspflicht vor, wenn nicht
nach deutschem Recht ausnahmsweise Versicherungsfreiheit bestand oder besteht. In den
besetzten Gebieten hat aber für die Ghetto-Beschäftigungen deutsches
Rentenversicherungsrecht nie gegolten. In den eingegliederten Gebieten war (auch bei
Anwendung des WGSVG) die Pflichtversicherung mit Beitragspflicht nach den
Reichsversicherungsgesetzen gegeben, wenn nicht deren Vorschriften über
Versicherungsfreiheit (zB § 160 RVO - "Hausmädchenparagraph" - Unterkunft "und"
"oder"> Verpflegung) eingriffen. In den besetzten Gebieten beurteilten sich die Fragen nach
einer Pflichtversicherung und Versicherungsfreiheit nach dem jeweiligen Recht des
Staates, dessen Gebiet Deutschland besetzt hatte. Dabei hat NS-Unrecht außer Betracht
zu bleiben. Bei den in diesen Gebieten ghetto-beschäftigten NS-Verfolgten mit dSK-
Zugehörigkeit gibt es nur für die von ihnen, die später auch noch vertrieben wurden, zum
Ausgleich des Vertreibungsschadens an Rentenberechtigungen im Vertreibungsstaat unter
den genannten Voraussetzungen der §§ 15, 16 FRG eine Anordnung, fiktiv zu prüfen, ob
die entgeltliche Beschäftigung, wäre sie in Deutschland verrichtet worden, nach deutschem
Recht versicherungsfrei gewesen wäre. Hiervon werden dSK-angehörige Verfolgte, die
nicht vertrieben wurden, nicht erfasst, ebenso wenig die nicht dem dSK Angehörigen.
133 Hätte das ZRBG seine die Entschädigungen des WGSVG ergänzenden Begünstigungen
gegenüber den allgemeinen Vorschriften des Rentenversicherungsrechts (§ 7 WGSVG)
davon abhängig machen wollen, dass die in allen möglicherweise einschlägigen
Rechtsordnungen mit der entgeltlichen Beschäftigung verbundene
Rentenpflichtversicherung nicht ausreicht, sondern stets individuell geprüft werden sollte,
ob ausnahmsweise Versicherungsfreiheit vorlag, wäre zu erwarten gewesen, dass es
dieses Thema selbst geregelt oder zumindest angegeben hätte, welches Recht dafür in den
besetzten Gebieten maßgeblich sein sollte.
134 Im ZRBG ist - anders als in § 12 WGSVG - nicht als Tatbestandsvoraussetzung genannt,
die Ghetto-Beschäftigung müsse (nach welcher Rechtsordnung?) damals
rentenversicherungs- und beitragspflichtig und dürfe nicht (nach welchem Recht?)
versicherungsfrei gewesen sein. Das musste das ZRBG nicht regeln, wenn es ausreichen
lassen wollte, dass mit der freiwilligen entgeltlichen Beschäftigung ohnehin nach jeder
Rechtsordnung in den eingegliederten wie in den besetzten Gebieten inländisch oder
ausländisch Rentenpflichtversicherung bestanden hatte, ohne dass es auf unterschiedliche
und nicht an den Lagen in Ghettos orientierte Regelungen über eine Versicherungsfreiheit
ankommen sollte.
135 Andernfalls bliebe offen, welches Recht zu Grunde zu legen wäre. Auch wäre zu beachten,
dass das ZRBG das WGSVG ergänzen, nicht dessen Entschädigungsniveau
unterschreiten soll. War das Entgelt (Wert von Sachbezügen oder Geld oder Geldersatz)
ns-verfolgungsbedingt niedriger als für gleichartige Arbeit Nichtverfolgter, dürfte dieser
verfolgungsbedingte Nachteil heute bei der Versicherungsfreiheit nicht gegen die
Versicherungspflicht des Verfolgten eingesetzt werden.
136 Wird allerdings in § 1 ZRBG als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal hineingelesen, es
müsse konkrete Rentenversicherungspflicht und dürfe keine Versicherungsfreiheit
vorgelegen haben, müsste jedenfalls für die besetzten Gebiete das maßgeblich
anzuwendende Recht erst noch bestimmt werden. Dies könnte der GS aufzeigen.
137 Da eine unmittelbare Anwendung der Reichsversicherungsgesetze in den besetzten
Gebieten nicht in Betracht kommen dürfte, wäre zu erwägen, ob das SGB VI, das jeweilige
damalige örtliche Sozialversicherungsrecht, wenn es für Ghetto-Arbeiter galt (im
vorliegenden Fall zB das zur Zeit der von der Klägerin geltend gemachten Beschäftigung
weiter geltende sowjetische Sozialversicherungsrecht), dieses ggf in analoger Anwendung
oder eine fiktive Anwendung der Reichsversicherungsgesetze maßgeblich sein soll.
5. Frage 5
unmittelbar Rentenansprüche begründet, auch wenn die nach dem SGB VI erforderliche
Wartezeit nicht erfüllt ist?
139 Klärungsbedürftig ist, ob allein mit Ghetto-Beitragszeiten aus dem ZRBG ohne
Wartezeiterfüllung das Recht auf (Regel-)Altersrente erworben werden kann.
140 a) In seinem Urteil vom 26.7.2006 (B 13 R 28/06 R, RdNr 24 bis 29) hat der 13. Senat
erklärt, er trete der Rechtsauffassung des 4. Senats nicht bei, wonach ein Rentenanspruch
auf Grund von Ghetto-Beitragszeiten nicht die Erfüllung der Wartezeit voraussetze. Er meint
(aaO, RdNr 27), der 4. Senat habe in "nicht nachvollziehbarer Weise" den Regelungsgehalt
des § 1 Abs 3 ZRBG auf die innerstaatliche allgemeine Wartezeit bezogen. Dagegen solle
durch die Regelung "in Wahrheit" (lediglich) ausgeschlossen werden, dass die in
zwischen- und überstaatlichen Vereinbarungen zum Teil getroffene "Kleinstzeitenregelung"
angewendet wird. Ohne diesen Ausschluss wären Zeiten von kurzer Dauer (zB unter zwölf
Monaten im Verhältnis zu Israel bzw unter 18 Monaten im Verhältnis zu den USA) nicht
durch die deutsche Rentenversicherung, sondern durch den anderen Staat abzugelten;
hierauf werde auch in den Gesetzesmaterialien hingewiesen (BT-Drucks 14/8583 S 6).
141 Ua der Umstand, dass die vom 4. Senat vorgenommene Interpretation jedenfalls von einem
Teil der Literatur durchaus "nachvollzogen" werden konnte (vgl Bieback in jurisPR-SozR
19/2007 Anm 3, der meint, für die Auffassung des 4. Senats sprächen "gute Gründe", der
aber auch die Auffassung des 13. Senats für "vertretbar" hält), dürfte die Bewertung
relativieren, der 4. Senat habe § 1 Abs 3 ZRBG "nicht nachvollziehbar" interpretiert. Nach
dessen Auffassung modifiziert § 1 Abs 3 ZRBG die Regelung in Nr 2 des § 35 SGB VI
dadurch, dass "auch" nur mit ZRBG-"Minizeiten", welche die allgemeine Wartezeit nicht
erfüllen, das Recht auf Altersrente erworben werden kann.
142 b) Für das Erfordernis der Wartezeiterfüllung auch bei den vom ZRBG erfassten Ghetto-
Beschäftigten spricht, dass die gesetzliche Rentenversicherung (anders als die Kranken-
und die Unfallversicherung) für die Entstehung eines Rechts auf Rente nahezu
ausschließlich (s aber § 53 SGB VI) das Zurücklegen einer Mindestversicherungszeit
voraussetzt.
143 Es handelt sich um ein Strukturmerkmal dieser Versicherung. Daher hätte grundsätzlich
eine ausdrückliche Regelung im Gesetz nahegelegen, wenn dieses Erfordernis für Ghetto-
Beschäftigte nach dem ZRBG nicht gelten sollte. Das ZRBG ist ein knappes, in den
Voraussetzungen (§ 1) und den Rechtsfolgen (§ 2) auf Einzelpunkte begrenztes Gesetz.
Eine ausdrückliche Anordnung oder ein Verzicht auf die allgemeine Wartezeit als
Rentenvoraussetzungen ergibt sich aber aus dem Wortlaut des ZRBG nicht.
144 Die Wartezeit als Voraussetzung einer Ghetto-Rente zu fordern, liegt insbesondere
deswegen nahe, weil das Entschädigungsrecht des WGSVG keinen Verzicht auf das
Wartezeiterfordernis und auch keine Fiktion der Erfüllung der Wartezeit kennt. Vielmehr hat
es für die Verfolgten besondere Möglichkeiten zur Nachentrichtung von Beiträgen eröffnet
(§§ 21, 22 WGSVG), durch die sie ua erforderliche Wartezeiten, zT praktiziert als
"Verrechnung" des nicht gezahlten Beitrags mit dem erst daraus entstehenden
Rentenanspruch, erfüllen konnten. Auch wollte der Gesetzgeber mit den Regelungen des
ZRBG das bis dahin in Kraft befindliche Rentenrecht einschließlich des WGSVG
"ergänzen" (§ 1 Abs 2 ZRBG) und nur teilweise verdrängen (vgl LSG für das Land
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.6.2007 - L 8 R 244/05).
145 Bei historischer Betrachtung knüpft das ZRBG - wie viele sozialpolitische Gesetze - an eine
lange Vorgeschichte und auch an eine konkrete Rechtsprechung des BSG zu Gesetzen mit
ähnlicher Thematik an. Bei den Vorschriften der §§ 1 bis 3 ZRBG handelt es sich um
Bestimmungen, die der Deutsche Bundestag aus Anlass der genannten Ghetto-
Rechtsprechung des BSG erlassen hat (vgl BT-Drucks 14/8583 S 1, 5; 14/8602 S 1, 5). Bei
Betrachtung der vom Gesetzgeber in Bezug genommenen Rechtsprechung beansprucht
das ZRBG nur für solche freiwilligen entgeltlichen Beschäftigungen in einem Ghetto
Geltung, die nach der zitierten Ghetto-Rechtsprechung nach Maßgabe der
Reichsversicherungsgesetze nicht versicherungsfrei waren und damit als
versicherungspflichtige Beschäftigungen zur Erfüllung der Wartezeit beitragen konnten. Mit
den "genannten Kriterien" wollte der Gesetzgeber "der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts" folgen und "die Trennung zur nichtversicherten Zwangsarbeit"
verdeutlichen (BT-Drucks 14/8583 S 6). Er hat dies im Wortlaut des Gesetzes auch
hinreichend zum Ausdruck gebracht. Ein Abweichen vom Wartezeiterfordernis ergibt sich
hieraus nicht. Es ist im Gesetzgebungsverfahren nach den Materialien nie ausdrücklich
darüber beraten worden, dass für ZRBG-Berechtigte das Wartezeiterfordernis nicht gelten
soll.
146 Selbstverständlich scheidet eine Deutung des ZRBG als weit angelegte generelle
Regelung zur Entschädigung aller im Zweiten Weltkrieg vom Deutschen Reich zur Arbeit
veranlassten Personen aus (vgl Strassfeld, SGb 2007, 598, 606). Sie würde offensichtlich
sowohl über den zum ZRBG erklärten gesetzgeberischen Willen hinausgehen als auch der
bisherigen außen- und staatspolitischen Praxis der Bundesrepublik Deutschland
widersprechen. Diese hat bisher solche allgemeinen und abstrakt-generellen
Entschädigungsregelungen vermieden. Stattdessen sind Entschädigungsleistungen zum
Teil auf Grund völkerrechtlicher Verträge zugesagt sowie auf Grund vieler Einzelgesetze
(BEG, WGSVG, EVZStiftG ua) erbracht worden. Dem entspricht die in § 1 Abs 2 ZRBG
ausdrücklich benannte "Ergänzungsfunktion" des ZRBG. Eine Auslegung, die im ZRBG
eine abstrakt-generelle Regelung zur Entschädigung aller im Zweiten Weltkrieg von
Deutschland zur Arbeit veranlassten Verfolgten sehen wollte, würde somit über den im
ZRBG verlautbarten gesetzgeberischen Willen hinausgehen. Der Gesetzgeber hat vielmehr
ausdrücklich nur auf Ghettos in den genannten Gebieten abgestellt, wie die Deutsche
Staatsgewalt sich auf diese besonders ausgewirkt hat.
147 Ferner spricht - wie gesagt - auch die Gesetzesbezeichnung und der Art 1 des ZRBG/
SGB6ÄndG von einem "Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten …". Auch besagt § 3
ZRBG, dass es um einen Antrag "auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung"
geht und fingiert für die Ermittlung des Zugangsfaktors, die Wartezeit gelte als mit
Vollendung des 65. Lebensjahres erfüllt und die Altersrente bis zum Rentenbeginn als nicht
in Anspruch genommen. § 2 begründet die Fiktion einer Beitragszahlung, die nur im
Zusammenhang der gesetzlichen Rentenversicherung sinnvoll ist, und stellt die "Ghetto-
Beitragszeiten" aus dem ZRBG für die "Rentenberechnung" und den "Rentenexport" den
Beitragszeiten nach den Reichsversicherungsgesetzen gleich. Nach § 1 Abs 2 ergänzt es
"die rentenrechtlichen Vorschriften" des WGSVG und sieht in § 1 Abs 3 einen "Anspruch
auf Rente" vor. Hier wird die unmittelbare Begründung von Rentenansprüchen nicht in
Aussicht gestellt.
148 Die Erfüllung der Wartezeit wird unter den vorstehend angesprochenen Aspekten in der
Rechtsprechung des BSG (genanntes Urteil vom 7.10.2004 - B 13 RJ 59/03 R) und von
mehreren LSG vertreten (ua LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.6.2007 - L 4 R 457/06;
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.1.2007 - L 2 R 464/06; LSG Nordrhein-
Westfalen, Urteil vom 13.2.2006 - L 3 R 43/05) als auch von einem Teil der Literatur
(Strassfeld, SGb 2007, 598) gefordert.
149 c) Der Qualifizierung des ZRBG als Bestandteil der Rentenversicherung steht § 1 Abs 4
ZRBG nicht entgegen.
150 Nach dieser Vorschrift gelten die auf Grund dieses Gesetzes gezahlten Renten nicht als
Leistungen der sozialen Sicherheit. Die in ihr genannten "auf Grund" des ZRBG "gezahlten
Renten" gehören innerstaatlich zum Rentenversicherungsrecht, das im nationalen und
internationalen Verständnis grundsätzlich Teil des Systems der sozialen Sicherheit ist (vgl
ILO-Konvention Nr 102 vom 28.6.1952 über die Mindestnormen der Sozialen Sicherheit
, Art 4 Abs 1 VO 1408/71/EWG). Diesem Recht der sozialen
Sicherheit und damit dem "Rentenexport", soll das ZRBG nicht von vornherein unterstellt
sein (vgl § 318 Abs 4 SGB VI; § 18 Abs 4 und § 19 Abs 4 WGSVG).
151 In der Begründung zum Gesetzentwurf wird zu § 1 Abs 4 ZRBG angeführt, dass es sich bei
den Rentenleistungen auf Grund dieses Gesetzes um Leistungen handele, deren
Gewährung im "pflichtgemäßen Ermessen" des Rentenversicherungsträgers liege; diese
Rente sei somit nicht ins Ausland zu zahlen, wenn staatliche Leistungen des
Wohnsitzlandes deswegen gekürzt würden (BT-Drucks 14/8583 und 14/8602, jeweils
Begründung, B. Besonderer Teil, S 6). Woraus hergeleitet werden könnte, das Gesetz sehe
"Ermessensleistungen" vor, lassen die genannten Materialien nicht erkennen. Aus der
Verbindung des ZRBG mit dem WGSVG und dem SGB VI folgt im Gegenteil, dass
Rechtsansprüche der Betroffenen begründet werden. Die Bedeutung dieser Aussage in
den Materialien dürfte sich darauf reduzieren, dass der letzte Halbsatz des § 1 Abs 1 Satz 1
ZRBG (... soweit für diese Zeiten …) fälschlich als eine "Günstigkeitsklausel"
fehlverstanden wurde, die den Rentenversicherungsträger (vgl § 318 Abs 4 SGB VI)
berechtigen würde, von einer Zahlung ins Ausland abzusehen, wenn dies im Wohnsitzland
zu einer Kürzung der dort gezahlten Leistungen in der Weise führen würde, dass der
Verfolgte bei Bezug der Rentenleistung aus Deutschland im wirtschaftlichen Ergebnis
schlechter dastehen würde als ohne die Leistung. Eine solche Ermessenseinräumung hat
im Wortlaut des ZRBG keinen Ausdruck gefunden.
152 d) Auch wenn das ZRBG als Teil des deutschen Rentenversicherungsrechts zu verstehen
ist, folgt allein aus einer fehlenden ausdrücklichen Anordnung nicht zwingend, dass die
nach den allgemeinen Vorschriften für die Entstehung eines Rechts auf Rente erforderliche
Wartezeit erfüllt sein muss.
153 Der Gesetzgeber war jedenfalls bei der durch das ZRBG begründeten begünstigenden
Entschädigungsregelung verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, einen solchen Ausschluss
ausdrücklich zu bestimmen. Er konnte dies mit jeder Regelungstechnik seiner Wahl
anordnen. Für einen Verzicht des Gesetzgebers auf das Wartezeiterfordernis spricht die
Zielsetzung des Gesetzes, die in § 1 Abs 3 ZRBG getroffene Regelung sowie der
systematische Zusammenhang mit sonstigen Regelungen dieses Gesetzes, dem WGSVG
und dem SGB VI. Einen Verzicht auf das Wartezeiterfordernis legt ferner die
Entstehungsgeschichte des ZRBG nahe. Der Gesetzgeber hat gewusst, dass mit ZRBG-
Zeiten allein die Wartezeit nicht erfüllt werden und deshalb nach den allgemeinen Regeln
des SGB VI auch kein Rentenanspruch entstehen kann, der ins Ausland zahlbar gemacht
werden könnte. Er hat das Fehlen von sonstigen, insbesondere von Bundesgebietszeiten
angesprochen und damit die Problematik der möglicherweise nicht erfüllten Wartezeit
gesehen. Er hat auch die Frage nach einer Eröffnung von neuen Nachentrichtungsrechten
geprüft und sich trotz des von ihm erkannten Ablaufs bisheriger Nachentrichtungsrechte
gegen neue Nachentrichtungsmöglichkeiten entschieden. Auch dies legt den Schluss
nahe, dass er davon ausging, das ZRBG eröffne unmittelbar Ansprüche auf "Renten aus
Beschäftigungen in einem Ghetto" (so auch die Gesetzesüberschrift und Art 1), es würden
den Ghetto-Beschäftigten die "auf Grund dieses Gesetzes gezahlten Renten" (§ 1 Abs 4
aaO) zustehen. Hierzu im Einzelnen wie folgt:
154 e) Die Fiktion der Wartezeiterfüllung mit Vollendung des 65. Lebensjahres in § 3 Abs 2
ZRBG gibt noch keinen Aufschluss darüber, ob die Wartezeit notwendige
Entstehungsvoraussetzung des ZRBG-Rentenanspruchs ist.
155 Sie ist nur auf die Höhe der Rente bezogen und auf den Zugangsfaktor begrenzt. Sie soll
Rentenabschläge verhindern und den Berechtigten, die am 1.7.1997 bereits die
Regelaltersgrenze überschritten hatten, Rentenzuschläge sichern. Das ZRBG vom
20.6.2002 räumte den von ihm Begünstigten für bis zum 30.6.2003 gestellte Anträge eine
Rückwirkung bis zum 18.6.1997 (Tag des ersten "Ghetto-Urteils“ des 5. Senats) ein. Schon
deshalb war die Frage möglicher Rentenabschläge oder -zuschläge beim Zugangsfaktor
ausdrücklich zu regeln. Jedenfalls spielt die andersartige Frage, ob die allgemeine
Mindestversicherungszeit eingehalten wurde, allein schon wegen dieser Fiktion der
Wartezeiterfüllung für die Höhe der ZRBG-Rente praktisch keine Rolle, weil von ihr alle
erfasst werden, die vor dem 1.7.1932 geboren sind. Mögliche ZRBG-Beitragszeiten enden
aber mit der im Wesentlichen bis Ende 1943 durchgeführten Umwandlung der Ghettos in
KZ, soweit sie nicht vernichtet oder aufgelöst worden waren.
156 f) Bei einem Festhalten an einem Wartezeiterfordernis im Sinne des SGB VI könnte das
ZRBG sein Ziel, alle Ghetto-Arbeiter ohne Unterschied zu entschädigen, nur unvollkommen
erreichen.
157 Vorausgesetzt, das ZRBG ginge vom Erfordernis der Wartezeiterfüllung aus, würde es
seinen Zweck nur bruchstückhaft erreichen, seine Zielgruppe, die Ghetto-Arbeiter, für ihre
Ghetto-Arbeit zu entschädigen. Der Gesetzeszweck ist in den Gesetzentwürfen der
Bundestagsfraktionen zu § 2 ZRBG wie folgt begründet worden: "Mit diesem Gesetz soll die
Zahlung von Rentenleistungen ins Ausland ausschließlich für Zeiten der Beschäftigung in
einem Ghetto ermöglicht werden". Ein Wartezeiterfordernis würde häufig die Verwirklichung
dieser Zielsetzung vereiteln. Seine Bedeutung würde sich in diesen Fällen auf eine
"folgenlose" Zuordnung von neuen, bislang nicht bestehenden Beitragszeiten
beschränken. Denn allein mit ihren ZRBG-Zeiten können die Betroffenen die fünfjährige
Wartezeit nicht erfüllen. Da das ZRBG selbst keine Nachentrichtung von Beiträgen zulässt,
könnten ihnen Rentenansprüche nicht zuwachsen (zu sonstigen
Nachentrichtungsmöglichkeiten später). Die Ghetto-Beschäftigten mit ZRBG-Zeiten ohne
Wartezeiterfüllung erhielten weiterhin keine Entschädigung und stünden ua schlechter da
als die Ghetto-Zwangsarbeiter (zu weiteren Ungleichbehandlungen unten). Schon dies
macht es fraglich, ob das ZRBG das Erfordernis der Mindestversicherungszeit dadurch
aufgestellt haben könnte, dass es dieses nicht erwähnt.
158 g) Als Rechtsfolgen sieht das ZRBG in begünstigender Abweichung vom WGSVG, das
selbst ausschließlich begünstigend vom SGB VI abweicht, eine Fiktion der Beitragszahlung
vor; deren Bedeutung erschließt sich vor allem vor dem Hintergrund, dass ein Anspruch auf
Rentenzahlungen allein durch diese Beitragszeiten erworben werden sollte.
159 Auch § 12 WGSVG kennt eine Fiktion der Beitragszahlung. Dort wird aber ausdrücklich
vorausgesetzt, dass der Verfolgte in den (ua Ghetto-)Zeiten "eine
rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, für die aus
Verfolgungsgründen Beiträge nicht gezahlt sind". Demgegenüber bestimmt § 2 ZRBG: "Für
Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gelten Beiträge als gezahlt, und
zwar ...". Im Vergleich mit § 12 WGSVG "fehlt" nicht nur die Bezugnahme auf eine
Rentenversicherungs- und Beitragspflicht. Die ZRBG-Ghetto-Beitragszeiten werden auch
anders als diejenigen nach § 12 WGSVG nicht ausdrücklich als Pflichtbeitragszeiten
qualifiziert; ihr beitragsrechtlicher Status bleibt insoweit offen; eine nicht erfüllte
Beitragspflicht wird anders als bei § 12 WGSVG nicht vorausgesetzt.
160 Diese Abweichungen erklären sich leicht, wenn es dem ZRBG vor allem darum ging, den
Ghetto-Beschäftigten, die sich typischerweise heute im Ausland aufhalten, wie in den
Begründungen gesagt, einen Anspruch auf Rentenleistungen ausschließlich für Zeiten der
Beschäftigung in einem Ghetto zu gewähren. Demgemäß heißt es in den Begründungen zu
den Gesetzentwürfen der fünf Bundestagsfraktionen zu § 2 ZRBG:
161 BT-Drucks 14/8583 S 6
"Zu § 2 (Fiktion der Beitragszahlung)
Mit Absatz 1 dieser Vorschrift wird eine Beitragszahlung für Zeiten unterstellt, in denen
Verfolgte in einem Ghetto beschäftigt waren. Für die Anerkennung reicht es nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus, wenn die Betroffenen - ggf. auch durch
eine Versicherung an Eides statt gegenüber dem Rentenversicherungsträger - glaubhaft
machen, dass sie aus eigenem Willensentschluss in einem Ghetto entgeltlich beschäftigt
waren, in dem sie sich zwangsweise aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung
aufgehalten haben.
Eine Gleichstellung erfolgt nicht nur für Zeiten, in denen nach früherem Reichsrecht für
freiwillig gegen Entgelt aufgenommene Beschäftigungen Beiträge zu zahlen waren.
Vielmehr wird für entsprechende Zeiten auch außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs
der Reichsversicherungsgesetze, also in den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten,
für die Berechnung von Renten eine Beitragszahlung für eine nach den
Reichsversicherungsgesetzen versicherungspflichtige Beschäftigung außerhalb des
Bundesgebiets unterstellt. Dies gilt auch für Zeiten in einem Staat, in dem ein System der
sozialen Sicherung für den Fall des Alters (noch) nicht errichtet war.
Gleichzeitig gelten Ghetto-Beitragszeiten (nur) für die Erbringung von Leistungen ins
Ausland als Bundesgebiets-Beitragszeiten. Diese Gleichstellung ermöglicht nach den
allgemein gültigen Grundsätzen des im SGB VI geregelten Auslandsrentenrechts den
Export von Renten (Ausnahme: Abkommensregelungen, die anstelle des Rentenexports
die Eingliederung der Beitragszeiten in das System des Wohnsitzstaates vorsehen).
Mit diesem Gesetz soll die Zahlung von Rentenleistungen ins Ausland ausschließlich für
Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto ermöglicht werden. Ein wertmäßiges Mitziehen
von Beitragszeiten, die außerhalb des Ghettos erworben worden sind, ist deshalb nach
Absatz 2 ausgeschlossen.
Weiterer Regelungen, insbesondere zur Ermittlung der Rente aus Entgeltpunkten für
bestimmte Zeiten sowie zur Höhe, in der diese zu berücksichtigen sind, bedarf es nicht.
Auch insoweit findet das geltende Auslandsrentenrecht Anwendung."
162 Wie der Gesetzestext, so geht auch die Begründung ausdrücklich davon aus, es reiche für
die Anerkennung dieser fiktiven Beitragszeiten aus, dass der Verfolgte während seines
Zwangsaufenthalts in einem Ghetto in den eingegliederten oder besetzten Gebieten
freiwillig in einem Ghetto entgeltlich beschäftigt war.
163 Ferner wird der Text des § 1 ZRBG, der keine Rentenversicherungspflicht (und keine
Wartezeiterfüllung - dazu unten) erwähnt, durch den zweiten Absatz der Begründung
ausdrücklich als vollständig bestätigt. Die Bundestagsfraktionen wollten erklärtermaßen,
dass die Gleichstellung der ZRBG-Beitragszeiten nicht nur (aber natürlich auch) für Zeiten
erfolgt, in denen nach früherem Reichsrecht für freiwillig gegen Entgelt aufgenommene
Beschäftigungen Beiträge zu zahlen waren (diese waren und sind weiterhin auch schon
von § 12 WGSVG erfasst), sondern auch für die Ghetto-Beschäftigungen in den besetzten
Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze.
Die Bundestagsfraktionen wollten eine nach den Reichsversicherungsgesetzen
versicherungspflichtige Beschäftigung unterstellen, und zwar auch dann, wenn in dem
Staat noch keine soziale Alterssicherung eingeführt war, wo also damals durch die NS-
Verfolgung auch kein Schaden in einer ausländischen Versicherung eingetreten sein
konnte.
164 h) Wenn nach den Entwurfsbegründungen zum ZRBG die Zahlung von Rentenleistungen
ins Ausland "ausschließlich" für Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto ermöglicht
werden soll, liegt es nahe, die "Ausschließlichkeit" auf die Entstehung des
"Rentenanspruchs" aus dem ZRBG durch Zuerkennung neuer gleichgestellter
Pflichtbeitragszeiten zu beziehen.
165 Um die Zahlung dieser Renten aus ZRBG-Zeiten ins Ausland zu ermöglichen, wird
abweichend vom WGSVG eine Beschäftigung im Bundesgebiet unterstellt. Diese ZRBG-
Zeiten sind damit (anders als Ghetto-Beitragszeiten nach § 12 WGSVG) durch
spezialgesetzliche Anordnung Bundesgebiets-Beitragszeiten iS von § 113 Abs 1 Satz 1 Nr
1 SGB VI, und zwar unter Verdrängung der Grundregel des § 113 Abs 1 Satz 2 SGB VI.
Zugleich wird durch § 2 Abs 2 ZRBG gesichert, dass die Höhe der ins Ausland zu
zahlenden ZRBG-Rente auf der Grundlage ausschließlich von ZRBG- und, falls vorhanden,
von (originären) Bundesgebiets-Beitragszeiten beruht und hinsichtlich beitragsfreier Zeiten
das allgemeine Auslandsrentenrecht gilt. "Ein wertmäßiges Mitziehen von Beitragszeiten,
die außerhalb des Ghettos erworben worden sind, ist deshalb nach Abs 2 ausgeschlossen"
(BT-Drucks 14/8583, B. Besonderer Teil, S 6, Begründung zu § 2, dort Abs 4 Satz 2).
166 Dies entspricht insoweit dem Ziel der Bundestagsfraktionen: "Mit diesem Gesetz soll die
Zahlung von Rentenleistungen ins Ausland ausschließlich für Zeiten der Beschäftigung in
einem Ghetto ermöglicht werden". Jedoch sind nach § 2 Abs 2 ZRBG auch andere
Bundesgebiets-Beitragszeiten und nach den §§ 110 ff SGB VI auch anteilige beitragsfreie
Zeiten zu berücksichtigen. Daher dürfte sich der Ausdruck: "Rentenleistungen …
'ausschließlich' für Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto", soweit er
"Ausschließlichkeit" beansprucht, nicht auf die Höhe der "Auslandsrente" nach dem ZRBG
beziehen, für die gerade noch andere Zeiten zu berücksichtigen sind. Näher dürfte liegen,
die "Ausschließlichkeit" auf die Entstehung des "Rentenanspruchs" aus dem ZRBG selbst
zu beziehen, der in vieler Hinsicht - wie gesagt - auch tatbestandlich anders ausgestaltet ist
als ein Entschädigungsanspruch nach dem WGSVG. Die besonderen Rechtsfolgen des
ZRBG treten danach nur ein, wenn der besondere, vom WGSVG und vom SGB VI
abweichende Tatbestand des § 1 Abs 1 ZRBG erfüllt ist, sodass die
entschädigungsrechtlich begünstigenden Abweichungen des WGSVG vom SGB VI durch
noch günstigere Abweichungen des ZRBG wegen der Zeiten der darin in anderer Weise
erfassten Ghetto-Beschäftigungen ergänzt werden.
167 Der Gesetzestext selbst schließt ferner sogar vollständig aus, bei der Höhe einer ZRBG-
Rente andere Beitragszeiten als Bundesgebiets-Beitragszeiten zu berücksichtigen. Es
scheint zumindest nicht unproblematisch zu sein, bei ZRBG-Berechtigten, die mit ihren
ZRBG-Zeiten die Wartezeit nicht erfüllen können, diese Erfüllung bei Vorliegen weiterer
Beitragszeiten nach Reichsversicherungsrecht oder aus dem Beitrittsgebiet zuzugestehen,
dann aber diese für die Wartezeit (angeblich) notwendigen Beitragszeiten bei der Höhe der
ZRBG-Rente nicht zu berücksichtigen.
168 i) Auch § 1 Abs 3 ZRBG spricht dafür, dass - wenn auch entstehungsgeschichtlich primär
unter der Perspektive, den im (Vertrags-)Ausland lebenden Ghetto-Beschäftigten eine
Rentenzahlung allein für die Zeiten der Ghetto-Beschäftigung (und ggf für andere
Bundesgebiets-Beitragszeiten) zukommen zu lassen - ein Rentenanspruch ohne ein
Wartezeiterfordernis geschaffen wurde.
169 Es heißt dort: "Ein Anspruch auf eine Rente besteht auch, wenn die zur Leistungspflicht
nach zwischen- oder überstaatlichem Recht erforderliche Mindestanzahl an
rentenrechtlichen Zeiten für die Berechnung der Rente nicht vorliegt." Durch den "Wenn-
Satz" wird das Bestehen des Anspruchs auf Rente nach Maßgabe des ZRBG gegen den
deutschen Rentenversicherungsträger "auch" auf den Fall erstreckt, dass der Berechtigte
Zeiten nach dem ZRBG (und ggf andere Bundesgebiets-Beitragszeiten) insgesamt nur in
einem Umfang hat, der nach jeweiligem Vertrags- oder nach EG-Recht unter eine
"Kleinstzeitenregelung" fiele. Dann hätte, je nach Vertrag und wenn die vertraglichen
Regeln über eine Mindestversicherungszeit ggf erfüllt sind, der ausländische Wohnsitzstaat
des Berechtigten diese "Minizeiten" bei der von ihm gezahlten Rente zu berücksichtigen
(zB Israel), während kein (durchsetzbarer) Anspruch gegen den deutschen
Rentenversicherungsträger besteht (dazu unten).
170 Somit begründet § 1 Abs 3 ZRBG jedenfalls erstmals und nur für die nach diesem Gesetz
Berechtigten einen Zahlungsanspruch gegen den deutschen Träger, und dies auch in den
Fällen, in denen die Wartezeit nach innerstaatlichem deutschen Recht, also ohne die
ausländischen Zeiten, nicht erfüllt ist. Hätte § 1 Abs 3 ZRBG, entgegen seinem Wortlaut
("auch") "nur" in diesen Fällen Bedeutung, wären zB deutsche Ghetto-Beschäftigte in
Deutschland, die von keinem Sozialversicherungsabkommen Nutzen ziehen und mit ihren
ZRBG-Zeiten die Wartezeit nicht erfüllen können, sowohl von "Renten aus
Beschäftigungen in einem Ghetto" nach dem ZRBG als auch von der
Zwangsarbeiterentschädigung ausgeschlossen (zur Thematik der Ungleichbehandlung
näher unten). Das Gesetz sagt aber ausdrücklich, dass ein Anspruch auf eine Rente "auch"
in den Fällen der "Minizeitenregelungen" "besteht". Ebenso sieht es ausdrücklich vor, dass
die "auf Grund dieses Gesetzes gezahlten Renten" nicht als Leistungen der sozialen
Sicherheit gelten, was ebenfalls dafür sprechen könnte, dass das ZRBG selbst die
Voraussetzungen abschließend bestimmt, unter denen abweichend vom SGB VI eine
Entschädigung durch Renten ausschließlich für eine Beschäftigung im Ghetto zu zahlen ist.
171 j) Die im "Wenn-Satz" des § 1 Abs 3 ZRBG genannten "Kleinstzeitenregelungen" in
verschiedenen, nicht allen, Sozialversicherungsabkommen sind unterschiedlich
ausgestaltet und können zu Ungleichbehandlungen der ZRBG-Berechtigten führen, die
vom Zweck dieses Gesetzes möglicherweise nicht zu rechtfertigen sind.
172 aa) Die Abkommen bestimmen zB, dass ein Anspruch in dem Vertragsstaat, in dem die
"Minizeit" erworben wurde, nicht entsteht, wenn die dort zurückgelegten Zeiten eine
bestimmte Dauer nicht übersteigen; in diesem Fall hat der andere Vertragsstaat, der
Wohnsitzstaat, sie bei der "Berechnung" der von ihm gezahlten Rente so zu behandeln, als
seien sie in seinem System zurückgelegt worden (so für eine "Minizeit" von 18 Monaten im
Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von
Amerika über die soziale Sicherheit vom 7.1.1976 idF des
Zusatzabkommens vom 2.10.1986 und des Zweiten Zusatzabkommens
vom 6.3.1995 ). Sie können aber auch regeln, dass der Anspruch in
beiden Vertragsstaaten - unter Zugrundelegung der vertraglich zu berücksichtigenden
Zeiten im anderen Staat - entsteht, jedoch der Staat, in dem nur "Minizeiten" zurückgelegt
worden sind, letztlich nicht leisten muss, sondern der Wohnsitzstaat sie bei der von ihm
gezahlten Rente nach seinem Recht zu berücksichtigen hat (so für 12 Monate "Minizeiten"
im DISVA).
173 Durch Verträge dieser Art erfolgt nur für die jeweiligen "Minizeiten" im Ergebnis eine
Schuldverlagerung auf den ausländischen Wohnsitzstaat, die voraussetzt, dass die
jeweiligen Wartezeiten beider Vertragsstaaten durch vom Vertrag erfasste
Versicherungszeiten erfüllt sind. Jedoch verliert der Berechtigte dadurch im Ergebnis das
Recht, vom Vertragsstaat, in dem er die Kleinstzeiten erworben hat, Zahlung hieraus ins
Ausland zu verlangen. § 1 Abs 3 ZRBG stellt sicher, dass trotz der vorrangig
anzuwendenden Vertragsregelung (§ 30 Abs 2 SGB I) zugunsten der ZRBG-Berechtigten
auch noch ein innerstaatlicher Zahlungsanspruch gegen den deutschen Träger, allerdings
nur in der durch § 2 aaO geregelten Höhe, besteht.
174 Wollte man dagegen § 1 Abs 3 ZRBG entgegen dessen Wortlaut so uminterpretieren, dass
nicht "auch", sondern "nur" in diesen Fällen einer Schuldverlagerung auf den
ausländischen Vertragsstaat auf Grund beidseitig erfüllter Wartezeit nach dem ZRBG ein
Anspruch auf Rente besteht, den es ohne dieses Gesetz nicht gäbe, wären von der
Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto entgegen dem
Gesetzesnamen alle ZRBG-Berechtigten ausgeschlossen, die mit diesen und anderen
Bundesgebietszeiten die Wartezeit nicht erfüllt haben, mit ihren ZRBG-"Minizeiten"
mangels ausländischer Vertragszeiten von keiner "Minizeitenregelung" erfasst werden oder
in einem Ausland leben, mit dem kein Sozialversicherungsabkommen oder ein solches
ohne "Minizeitenregelung" besteht. Eine solche Besserstellung eines Teils der vom
DASVA und DISVA erfassten ZRBG-Berechtigten gegenüber allen anderen im In- oder
Ausland wohnenden müsste aus dem ZRBG gerechtfertigt werden. Eine solche Deutung
des § 1 Abs 3 ZRBG dürfte ua auch deshalb fraglich sein, weil die Bundestagsfraktionen
ausdrücklich Renten ausschließlich für Zeiten von Ghetto-Beschäftigungen ins Ausland
zahlbar machen wollten, die allein nicht die Wartezeit erfüllen können, nicht einmal damals
auch nur abstrakt von einer deutschen oder ausländischen Versicherungspflicht erfasst
waren und für die eine Beitragsnachentrichtung bewusst, weil den Berechtigten nicht
zumutbar, nicht eröffnet wurde.
175 bb) Der Wortlaut "Ein Anspruch auf eine Rente besteht auch, wenn …" erfasst sicherlich
auch die Fallkonstellation, die der 13. Senat (Urteil vom 26.7.2007, B 13 R 28/06 R, RdNr
27) als die vom Regelungsgehalt allein erfasste ansieht. Zweifellos stellt das Gesetz sicher,
dass in der von zwischenstaatlichen Abkommen erfassten "Kleinstzeitenregelung" nicht der
andere Vertragsstaat die finanziellen Lasten für die speziell durch das ZRBG begründeten
Beitragszeiten zu tragen hat, sofern diese - was häufig der Fall sein wird - den Charakter
von Minizeiten haben. Dies wäre befremdlich. Trotz einer nach den Abkommen ggf
begründeten Leistungspflicht soll der deutsche Träger für die "auf Grund dieses Gesetzes
gezahlten Renten" Schuldner sein (BT-Drucks 14/8583 und BT-Drucks 14/8602, jeweils
Begründung, B. Besonderer Teil, S 6). Ob bei unveränderten Abkommensbestimmungen
der Betroffene weiterhin gegen den Träger des anderen Staates die Berücksichtigung
derselben Zeiten bei der Rentenberechnung verlangen kann, kann hier offen bleiben.
Allerdings würde dann möglicherweise die Ausschlussklausel des § 1 Abs 1 Satz 1 ZRBG
greifen.
176 Sprachlich geht der Regelungsgehalt des § 1 Abs 3 ZRBG über den vorstehend
umschriebenen Anwendungsfall hinaus. Wenn nach dem Gesetzestext "auch" in den
Fällen der Minizeiten ein "Anspruch" (gegen den deutschen Träger) besteht, besagt dies,
dass er auch in anderen Fällen besteht. Dies ist unproblematisch, wenn die allgemeine
Wartezeit von fünf Jahren erfüllt ist. Aber auch ohne diese Voraussetzung besteht nach
dem Text der Norm der Anspruch allein auf Grund der Ghetto-Beitragszeiten, und zwar
unabhängig von der Dauer der Ghetto-Beschäftigung. Da das ZRBG Ergänzungen nicht
nur des WGSVG, sondern auch des SGB VI im Sinne von eigenständigen Regelungen
nach dem speziellen Regelungszweck des ZRBG vornimmt, hat die Interpretation von
diesem Gesetzestext auszugehen, nicht aber umgekehrt vom SGB VI.
177 Der Text des § 1 Abs 3 ZRBG enthält keinen Hinweis darauf, dass der Verfolgte die jeweils
nach dem SGB VI erforderliche Wartezeit erfüllt haben muss, damit der in der Norm
benannte "Anspruch auf eine Rente besteht". Dies ließe sich auch nicht mit dem Text des §
1 Abs 4 ZRBG in Einklang bringen. Wenn jene Norm von den "auf Grund dieses Gesetzes
gezahlten Renten", nicht Rentenanteilen, spricht, deutet auch dies darauf hin, dass allein
auf der Grundlage dieses Gesetzes der Erwerb eines Rentenanspruchs ermöglicht werden
sollte. Da das zentrale Anliegen des ZRBG ist, auf Grund der Ghetto-Beschäftigungen
Beitragszeiten zuzuerkennen, können "auf Grund dieses Gesetzes gezahlte Renten" nur
solche sein, die im genannten Sinn "ausschließlich" auf diesen Ghetto-Beitragszeiten, nicht
aber - auch - auf sonstigen beruhen.
178 k) Es ist fraglich, ob eine Reduzierung des Regelungsgehaltes des § 1 Abs 3 ZRBG auf
eine "Kleinstzeitenregelung" mit dem Sinn und Zweck des ZRBG in Einklang zu bringen ist.
Sie würde außerdem zu höchst problematischen Ungleichbehandlungen innerhalb der
Gruppe der ns-verfolgten Ghetto-Beschäftigten führen.
179 Zweck des Gesetzes ist es, den NS-Verfolgten, die sich im Herrschaftsbereich des NS-
Staates zwangsweise in einem Ghetto aufhalten mussten, in Ergänzung des WGSVG den
Verfolgungsschaden zu ersetzen, den sie heute in ihrer Versicherungsbiographie durch die
Nichtberücksichtigung ihrer Beschäftigung im Ghetto noch erleiden. Das Ziel des Gesetzes,
allen Ghetto-Arbeitern die gleiche Entschädigung zu gewähren, dürfte aber verfehlt werden,
wenn auf die Erfüllung der - hier: allgemeinen - Wartezeit als weitere Voraussetzung für den
Rechtserwerb abzustellen wäre.
180 Dem Gesetzgeber war nicht unbekannt, dass eine Wartezeit von fünf Jahren wegen des in
Betracht kommenden historischen Zeitraums mit Ghetto-Beitragszeiten allein nicht erfüllt
werden kann, sondern nur in Verbindung mit weiteren bundesdeutschen und/oder
Abkommenszeiten (die Ghettos sind in allen Gebieten im Wesentlichen bis Ende 1943
aufgelöst und die "Bewohner" in ein KZ transportiert oder die Ghettos sind - wie das Ghetto
Schaulen - in ein KZ umgewandelt worden). Die Entschädigungsregelung des ZRBG ginge
daher völlig ins Leere, sofern die NS-Verfolgten nicht weitere bundesdeutsche
Beitragszeiten (oder Ersatzzeiten) oder in einem Vertragsstaat Versicherungszeiten
zurückgelegt hätten, die auf Grund zwischenstaatlicher Abkommen auf die Wartezeit
anzurechnen wären. Dies würde zu erheblichen Ungleichbehandlungen innerhalb der
Gruppe der Ghetto-Arbeiter führen, für die kein sachlicher Grund gegeben ist. Diese würden
auch durch die auf einige Gruppen von ihnen begrenzte Möglichkeit einer Nachentrichtung
von freiwilligen Beiträgen zur Erfüllung der Wartezeit nicht beseitigt, unabhängig davon,
dass bei den Beratungen zum Gesetz im Deutschen Bundestag Einigkeit darüber bestand,
dass eine Nachentrichtung von Beiträgen für den Rechtserwerb gerade nicht erforderlich
sein sollte.
181 aa) Da die Mehrzahl der vom ZRBG betroffenen Verfolgten in Israel oder den USA leben
dürfte, werden die möglichen Ungleichbehandlungen beispielhaft am DISVA und DASVA
aufgezeigt.
182 (1) Nach dem DISVA
183 Nur für den Rechtserwerb werden die in beiden Vertragsstaaten zurückgelegten Zeiten
berücksichtigt (Art 20 Abs 1 Satz 1 DISVA), dagegen für die Berechnung der Rente, also für
die "Rentenhöhe", nur die im jeweiligen Vertragsstaat anrechnungsfähigen Zeiten (Art 21
Abs 1 aaO). Eine Sonderregelung trifft Art 20 Abs 2 DISVA für sog "Minizeiten". Besteht in
beiden Staaten ein Rentenanspruch und liegt der Rentenberechnung in einem Staat eine
Versicherungszeit von weniger als zwölf Monaten zu Grunde, kann nach dem Abkommen
kein Rentenanspruch geltend gemacht werden. In diesem Fall hat der andere Staat
(Wohnsitzstaat) die "Minizeiten" bei seiner Rentenberechnung wie inländische Zeiten zu
berücksichtigen. Der Träger des Staates, nach dessen Recht die Minizeiten zurückgelegt
worden sind, ist nicht zahlungspflichtig; der "Minizeiteninhaber" hat keinen Rentenanspruch
gegen ihn.
184 Wurde das Recht auf eine Regelaltersrente bereits auf Grund einer Wartezeiterfüllung mit
inländischen Zeiten oder zusammen mit Zeiten aus Vertragsstaaten erworben, sind die
Ghetto-Beschäftigungen unstreitig immer rentenerhöhend zu berücksichtigen.
185 Wird der Regelungsgehalt des § 1 Abs 3 ZRBG auf die Kleinst-/bzw Minizeitenregelung -
hier im DISVA - reduziert, könnten gegenüber dem deutschen Rentenversicherungsträger
Leistungen für die Ghetto-Beschäftigungen nur dann realisiert werden, wenn diese
Minizeiten im Sinne des Abkommens wären und die Wartezeit für den Rechtserwerb mit
Versicherungszeiten im Sinne des Abkommens erfüllt wäre. Denn nur dann wäre ein
Anwendungsfall für die "Rückverlagerung" der Leistungspflicht gegeben. Liegt dagegen die
letztgenannte Voraussetzung nicht vor, greift Art 20 Abs 2 DISVA von vornherein nicht.
Nach der Rechtsauffassung des 13. Senats käme damit auch § 1 Abs 3 ZRBG nicht zur
Anwendung. Demzufolge könnten Ghetto-Beschäftigungen, mit denen allein niemals die
fünfjährige Wartezeit erfüllt werden kann, nicht zu Rentenansprüchen führen, wenn bei
Anwendung des Abkommensrechts der Anspruch wegen fehlender Wartezeit nicht
erworben wird. Im Ergebnis bestünde bei gleichen Ghetto-Beschäftigungszeiten eine
Ungleichbehandlung zwischen den israelischen Verfolgten, je nach dem, ob sie unter
Zugrundelegung des Abkommensrechts die Wartezeit erfüllen oder nicht.
186 Das Gesetz dürfte aber wohl dagegen allen NS-Verfolgten für die gleichen Ghetto-
Beschäftigungszeiten die gleichen Leistungen gewähren (vorausgesetzt, sie fallen auch
unter seinen räumlichen Anwendungsbereich). Es differenziert nicht danach, ob
"Kleinstzeitenregelungen" aus einem Abkommen zur Anwendung kommen, sondern
bezieht diese lediglich ausdrücklich mit ein und macht deutlich, dass auch solche
Minizeiten zu einem sonst vertraglich gerade ausgeschlossenen (Entstehen und) Bestehen
des Anspruchs gegen den deutschen Träger führen.
187 (2) Nach dem DASVA
188 Nach Art 7 Abs 1 DASVA werden - wie im DISVA - für den Rechtserwerb ggf die in beiden
Staaten zurückgelegten Versicherungszeiten berücksichtigt. Auch das DASVA sieht eine
"Kleinstzeitenregelung" vor. Sie unterscheidet sich dogmatisch von der Regelung im
DISVA. Auch sie geht davon aus, dass ggf mit den im anderen Vertragsstaat
zurückgelegten Zeiten das Recht entstanden wäre (Art 7 Abs 3 Buchst a und b), ordnet
jedoch an, dass sich aus diesem Abkommen kein "Anspruch auf Rente" nach den
Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats ergibt, wenn nach dessen Rechtsvorschriften nicht
eine Mindestversicherungszeit zurückgelegt worden ist (Abs 2 Satz 1 aaO); diese beträgt
bei Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften 18 Monate (Abs 2 Satz 2 aaO). Die
Regelung des DASVA beseitigt nicht nur den im Vertragsstaat, in dem die Minizeiten
zurückgelegt worden sind, entstandenen Anspruch, sondern gibt auch nur unter
besonderen weiteren Voraussetzungen einen Anspruch auf Berücksichtigung der
"Minizeiten" im Wohnsitzstaat.
189 Wie im DISVA wird mit Blick auf das ZRBG das Abkommensrecht des DASVA nur
bedeutsam, wenn die deutsche Wartezeit nur zusammen mit den in den USA
zurückgelegten Versicherungszeiten erfüllt worden ist und die Ghetto-Beitragszeiten,
einschließlich evtl anderer bundesdeutscher Zeiten, die Grenze des Minizeitentatbestandes
von - hier - 18 Monaten nicht übersteigen. Wird § 1 Abs 3 ZRBG auf eine
Minizeitenregelung reduziert, würde durch ihn der durch das DASVA ausgeschlossene
Anspruch im bundesdeutschen Recht ergänzt. Nach Auffassung des 13. Senats könnten
auch in diesem Fall die Ghetto-Beitragszeiten nie zu einem Rentenanspruch führen, wenn
auch durch Anwendung des Abkommensrechts der Anspruch wegen fehlender Wartezeit
nicht erworben wird. Im Ergebnis bestünde bei gleichen Ghetto-Beschäftigungszeiten eine
Ungleichbehandlung zwischen den Verfolgten mit US-amerikanischer Staatsangehörigkeit,
je nach dem, ob sie die Wartezeit erfüllt hätten oder nicht. Einen sachlichen Grund für eine
derartige Differenzierung lässt das ZRBG nicht erkennen.
190 bb) Benachteiligungen für Ghetto-Arbeiter in den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten
191 Während für Ghetto-Arbeiter in den eingegliederten Gebieten zumindest aus heutiger Sicht,
faktisch fiktiv, nach § 12 WGSVG die rechtliche Möglichkeit bestand, vorher oder nachher
Beitragszeiten nach den Reichsversicherungsgesetzen zu erwerben, die auf die Wartezeit
angerechnet werden könnten, entfiel diese von vornherein für Ghetto-Arbeiter in den
besetzten Gebieten. Dies könnte eine Schlechterstellung dieser Gruppe beinhalten, die
sich nach dem ZRBG nicht rechtfertigen lässt; denn das ZRBG behandelt die besetzten und
eingegliederten Gebiete gleich.
192 l) Hält man eine Wartezeit für erforderlich, kann zweifelhaft werden, ob es nicht zu
rechtfertigende Ungleichbehandlungen geben könnte, weil das Recht auf Nachentrichtung
nur für eine begrenzte Personengruppe besteht.
193 Der 13. Senat des BSG (Urteil vom 26.7.2007, B 13 R 28/06 R, RdNr 30) meint, die
Benachteiligungen aus dem Wartezeiterfordernis würden dadurch ausgeglichen, dass den
Betroffenen zumindest nach Nr 2 Buchst c des Schlussprotokolls zum DISVA (SP-DISVA)
idF des Änderungsabkommens vom 7.1.1986 die Möglichkeit eröffnet sei, freiwillige
Beiträge zu entrichten. Der sich im Gesetz widerspiegelnde parlamentarische Wille mutet
den NS-Verfolgten gerade eine derartige Nachentrichtung nicht zu.
194 aa) Das ZRBG sieht keine Nachentrichtungsmöglichkeiten vor. Jedoch ist während der
parlamentarischen Beratungen das Problem der Nichterfüllung der Wartezeit und damit das
Nachentrichtungsproblem durchaus gesehen worden. Es bestand Überstimmung zwischen
den Fraktionen des Deutschen Bundestages, dass die NS-Verfolgten, die während ihres
zwangsweisen Aufenthaltes in einem Ghetto eine freiwillige Beschäftigung gegen Entgelt
verrichtet hatten, hierfür entschädigt werden sollten, ohne Beiträge nachentrichten zu
müssen. So wird in den gleichlautenden Begründungen zu den gleichlautenden
Gesetzentwürfen (BT-Drucks 14/8583 und BT-Drucks 14/8602, jeweils Begründung, B.
Besonderer Teil, S 6) angemerkt, dass es wegen der in § 2 Abs 1 ZRBG für die Erbringung
von Leistungen ins Ausland fiktiv angenommenen Gleichstellung von Ghetto-Beitragszeiten
mit Bundesgebietszeiten nicht erforderlich sei, die (übrigen) Regelungen des
rentenrechtlichen Teils des WGSVG über die Nachzahlung von Beiträgen und deren
Berücksichtigung im Rahmen des Leistungsrechts anzuwenden. Ferner heißt es:
195 BT-Drucks 14/8583 S 5
"Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungszeiten in einem Ghetto
Die Zahlung der auf diesen Zeiten beruhenden Renten für Personen, die sich gewöhnlich
im Ausland aufhalten, ist in vielen Fällen aufgrund der Regelungen des allgemeinen
Auslandsrentenrechts nicht möglich und für Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG immer
ausgeschlossen.
Angesichts der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts würde die Eröffnung neuer
Nachzahlungsmöglichkeiten mit dem Ziel, für Beschäftigungszeiten in einem Ghetto auch
Leistungen ins Ausland zahlbar zu machen, teils ins Leere laufen (für Beschäftigungszeiten
nach § 16 FRG), teils im Hinblick auf das Alter der Betroffenen und dem seit 1992
geltenden Auslandsrentenrecht vergleichsweise hohe Vorleistungen erfordern, die den
Betroffenen nicht zuzumuten sind.
Mit diesem Gesetz wird daher zugunsten von Verfolgten, die alle bereits das für die
Regelaltersrente geltende Alter von 65 Jahren - teils erheblich - überschritten haben, im
Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung Neuland betreten, wobei von bestimmten
Grundsätzen sowohl im Bereich der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten als auch
der Erbringung von Leistungen daraus ins Ausland abgewichen wird. Es kommt nicht
darauf an, in welchem vom Deutschen Reich beherrschten Gebiet die Beitragszeiten
zurückgelegt worden sind und in welchem Staat sich der Berechtigte aufhält (Ausnahme:
Abkommensregelungen, die anstelle des Rentenexports die Eingliederung der
Beitragszeiten in das System des Wohnsitzstaates vorsehen). Die Zahlung der auf Ghetto-
Beitragszeiten beruhenden Rentenansprüche ins Ausland wird auch ohne Bundesgebiets-
Beitragszeiten ermöglicht.
…"
196 Auch die Bundestagsabgeordnete Deligöz weist in ihrem zu Protokoll gegebenen
Redebeitrag (Plenarprotokoll 14/233 S 23280) ausdrücklich darauf hin, dass durch das
neue Gesetz dieser (betroffene) Personenkreis nun für die Arbeitszeit im Ghetto
Rentenzahlungen erhalte; es sei dabei sichergestellt, dass die Zahlungen die Betroffenen
rasch erreichten; rentenrechtliche Hürden seien beseitigt worden; die Betroffenen müssten
nicht nachträglich Beiträge zur Rentenversicherung entrichten.
197 Der Gesetzgeber wollte also gewährleisten, dass die Arbeitszeit im Ghetto entschädigt
wird, ohne nach Personengruppen zu differenzieren. Die angesprochenen
"rentenrechtlichen Hürden" konnten mit Blick auf die Voraussetzungen des § 35 SGB VI
sicherlich nicht im Alterserfordernis, sondern allein im Fehlen von bundesrechtlichen Zeiten
gesehen werden. Demzufolge ist es konsequent, wenn die Betroffenen von der Pflicht
befreit werden sollten, ggf noch Beiträge nachentrichten zu müssen. Dadurch war zugleich
eine wesentliche Voraussetzung für die beabsichtigte Sicherstellung einer raschen
Zahlung geschaffen worden. Denn alle anderen Nachentrichtungsmöglichkeiten nach dem
WGSVG waren ausgelaufen; auch insoweit ergänzt das ZRBG das WGSVG.
198 bb) Das vom 13. Senat angesprochene Nachentrichtungsrecht nach Nr 2 Buchst c SP-
DISVA steht nur einem begrenzten Personenkreis zu.
199 Israelische Staatsangehörige, die sich gewöhnlich in Israel aufhalten, haben ein Recht zur
freiwilligen Versicherung nur dann, wenn sie vor Ausübung dieses Rechts mindestens
einen Beitrag in der deutschen Rentenversicherung entrichtet haben. Eine bestimmte
Beitragsqualität wird nicht verlangt. So ist unstreitig, dass neben Pflichtbeiträgen oder
freiwilligen Beiträgen, seien sie nach Bundesrecht oder nach Reichsversicherungsrecht
entrichtet worden, auch Beitrags- oder Beschäftigungszeiten nach den §§ 15, 16 FRG die
verlangte Vorversicherung erfüllen können. Das Gleiche gilt demzufolge für eine Ghetto-
Beitragszeit eines israelischen Staatsbürgers, für die Beiträge als gezahlt gelten (§ 2 Abs 1
ZRBG).
200 Nr 2 Buchst c SP-DISVA eröffnet israelischen Staatsangehörigen, die sich im Gebiet des
Staates Israel aufhalten, ein Recht zur freiwilligen Versicherung in der deutschen
Rentenversicherung. Verfolgte in anderen Vertragsstaaten könnten Beiträge nur
nachentrichten, wenn die entsprechenden Abkommen ein vergleichbares Recht vorsehen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat seit Mitte der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts
darauf gedrungen, dass bei Abschluss neuer Sozialversicherungsabkommen oder bei der
Revision bestehender Abkommen eine Vorversicherungsklausel eingeführt wird. So
bestimmt zB Nr 7 Buchst b des Schlussprotokoll zum DASVA, dass US-amerikanische
Staatsangehörige, die sich im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland oder den
USA aufhalten, zur freiwilligen Rentenversicherung nur berechtigt sind, wenn sie zur
deutschen Rentenversicherung zuvor mindestens für 60 Monate wirksam Beiträge
entrichtet haben. Diese Voraussetzung können die Ghetto-Beschäftigten allein mit ihren
ZRBG-Zeiten nicht erfüllen. Demzufolge könnte allenfalls die durch Nr 2 Buchst c DISVA
begünstigten israelischen NS-Verfolgten dem Wartezeiterfordernis durch Nachzahlung von
freiwilligen Beiträgen in den Grenzen der §§ 209, 197 Abs 3 SGB VI genügen. Auch § 10
WGSVG ermöglicht eine Nachentrichtung nur, wenn die allgemeine Wartezeit erfüllt ist. Die
Nachentrichtungsmöglichkeiten der §§ 21, 22 WGSVG betreffen ohnehin nur die hier nicht
relevanten Fälle des Erwerbs von FRG-Zeiten über § 20 WGSVG, abgesehen davon, dass
die Antragsfristen am 31.12.1990 abgelaufen waren. Auch soweit in manchen
Durchführungsvereinbarungen zu zwischenstaatlichen Abkommen Berechtigungen zur
Entrichtung von freiwilligen Beiträgen vorgesehen waren, können diese wegen Ablaufs der
Antragsfristen nicht mehr genutzt werden (vgl Art 12 der Durchführungsvereinbarung zum
DISVA vom 20.11.1978 ; Art 16 der Durchführungsvereinbarung zum DASVA
vom 21.6.1978 idF der Zusatzvereinbarung vom 2.10.1986
1988, 86> und der Zweiten Zusatzvereinbarung vom 6.3.1995 ).
201 Im Übrigen könnten sich weitere Ungleichbehandlungen ergeben, wenn der räumliche
Anwendungsbereich des ZRBG alle Verfolgten, die Ghetto-Beschäftigungen verrichtet
haben, erfasste, gleichgültig, in welchem Staat sie sich gewöhnlich aufhalten oder wohnen.
Betroffen sind insoweit Verfolgte, die nicht in Deutschland leben, oder Staatsangehörige
eines Vertragsstaats, die nicht von der Regelung zur Gebietsgleichstellung erfasst werden,
zB israelische oder US-amerikanische Verfolgte, die sich nicht im Gebiet des Staates Israel
oder der USA aufhalten. Diese unterfallen gemäß § 30 Abs 1 SGB I nicht dem räumlichen
Anwendungsbereich des § 7 SGB VI, sodass für sie keine Möglichkeit bestünde, durch
Nachzahlung freiwilliger Beiträge die fehlenden Lücken für die Wartezeiterfüllung
aufzufüllen.
202 C. Die Beantwortung der Vorlagefragen dürfte im Wesentlichen davon abhängen, ob man
das ZRBG als punktuell abweichende, das WGSVG und SGB VI ergänzende Regelung
versteht oder als eine eigenständige rentenversicherungsrechtliche
Entschädigungsregelung ansieht, die das allgemeine Rentenversicherungsrecht
modifiziert.