Urteil des BSG vom 06.02.2008

BSG: versorgung, medizinische rehabilitation, stationäre behandlung, vergütung, hausarzt, krankenkasse, vertragsarzt, beitrag, arzneimittel, krankenversicherung

Bundessozialgericht
Urteil vom 06.02.2008
Sozialgericht Gotha S 7 KA 2784/05
Thüringer Landessozialgericht L 4 KA 362/06
Bundessozialgericht B 6 KA 27/07 R
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 24. Januar 2007 wird
zurückgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Voraussetzungen für den Einbehalt von Gesamtvergütungsanteilen zur
Finanzierung eines Vertrages der integrierten Versorgung erfüllt sind.
2
Die beklagte Ersatzkasse schloss mit der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft (HÄVG) e.G. und der
Marketinggesellschaft Deutscher Apotheker mbH (MGDA) im Dezember 2004 einen - bundesweit geltenden - "Vertrag
zur Integrierten Versorgung durch Hausärzte und Hausapotheken ( Integrationsvertrag ) gem. §§ 140a ff. SGB V". Der
Vertrag (im Folgenden: Barmer Hausarztvertrag (BHV)) regelt nach seiner Präambel die zur Etablierung und
Umsetzung einer solchen "Integrierten Versorgung durch Hausarzt- und Hausapotheken" notwendigen
Voraussetzungen und Instrumente. Die Versicherten der Beklagten erhalten nach § 4 BHV die Möglichkeit, sich
freiwillig an dem Vertrag zu beteiligen, aus einer von der Beklagten zu erstellenden Liste einen Hausarzt auszuwählen
und Fachärzte nur auf Überweisung durch diesen in Anspruch zu nehmen. Zur Gewährleistung der vertraglich
angestrebten Arzneimittelsicherheit verpflichtet sich der Patient, verordnete Arzneimittel und solche der
Selbstmedikation ausschließlich in der gewählten Hausapotheke abzunehmen. Für die Mitwirkung an dem Vertrag
erhält der teilnehmende Hausarzt eine Einschreibepauschale von 15,30 Euro, eine Integrationspauschale I von 5,10
Euro pro Quartal im ersten Jahr der Teilnahme des Versicherten, eine Integrationspauschale II von 20,40 Euro für
jedes weitere Jahr der Teilnahme des Versicherten sowie 35,70 Euro für einen jährlichen Präventions-Check und
16,32 Euro im Falle der Anforderung und Auswertung des Medikationskontos der Krankenkasse. Die teilnehmende
Apotheke erhält eine "Apothekenintegrationspauschale" von 8 Euro pro Quartal für jeden Fall der Kommunikation mit
einem teilnehmenden Hausarzt, wobei die Abrechnung dieser Leistung auf 10 % der in der Apotheke am letzten Tag
des Quartals eingeschriebenen Versicherten beschränkt ist (weitere Details der Regelungen des BHV bei
Rieser/Rabbata, DÄ 2007, A 2466). Im Übrigen sollen die teilnehmenden Hausärzte und Apotheken an den realisierten
Einsparungen für Arzneimittel und andere veranlasste Leistungen nach § 13 des Vertrages ab dem zweiten Jahr der
Teilnahme des Versicherten beteiligt werden.
3
Die Beklagte legte den Vertrag der klagenden Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) vor und teilte mit, sie werde auf
der Grundlage des § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V zur Finanzierung der Kosten dieses Vertrages ab dem Quartal I/2005
einen Anteil von 0,58 % der an die Klägerin zu entrichtenden Gesamtvergütung einbehalten. Die Klägerin sah den
BHV nicht als einen Vertrag zur integrierten Versorgung iS von § 140a Abs 1 SGB V an und bestritt der Beklagten das
Recht, Anteile der Gesamtvergütung zur Finanzierung dieses Vertrages einzubehalten. Die Beklagte nahm gleichwohl
in den streitbefangenen Quartalen I/2005 bis I/2006 Einbehalte in Höhe von 407.886,46 Euro vor.
4
Die Klägerin hat Klage auf Zahlung der ausstehenden Gesamtvergütungsanteile in Höhe von 407.886,46 Euro
erhoben. Das Sozialgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 8.3.2006 - MedR 2006, 497). Das
Landessozialgericht (LSG) hat deren Berufung zurückgewiesen. Es ist der Auffassung der Klägerin gefolgt, der BHV
sei kein Integrationsvertrag iS des § 140a SGB V. Offen könne bleiben, ob Apotheken bzw Gemeinschaften von
Apotheken oder deren Verbände gemäß § 140b Abs 1 SGB V überhaupt Partner eines Integrationsvertrags sein
könnten. Nach § 140d SGB V stehe die Anschubfinanzierung jedenfalls nur für die Finanzierung von zulässigen
Integrationsverträgen zur Verfügung. Dazu gehöre der BHV nicht, weil weder eine interdisziplinär-fachübergreifende
noch eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung gestaltet werde. Eine interdisziplinär-
fachübergreifende Versorgung liege nicht vor, weil der fachärztliche Versorgungsbereich nicht einbezogen worden sei;
der BHV erfasse von vornherein nur die hausärztliche Versorgung. Auch eine verschiedene Leistungssektoren
übergreifende Versorgung werde nicht organisiert. Daran ändere die Einbeziehung der Apotheken nichts. Apotheken
seien nicht dem ambulanten, stationären oder rehabilitativen Sektor der Versorgung zuzurechnen, sondern als eigener
Leistungssektor anzusehen. Zwischen ihnen und den anderen Sektoren sei eine Verzahnung nicht möglich, weshalb
die Beteiligung von Apotheken den Vertrag nicht zu einem der integrierten Versorgung mache. Aus § 129 Abs 5b SGB
V sei zu schließen, dass Apotheken an Integrationsverträgen lediglich beteiligt werden könnten. Mit der Einführung
und finanziellen Förderung der Integrationsversorgung habe der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, Schnittstellenprobleme
des Gesundheitsversorgungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung partiell zu überwinden und insbesondere
die ambulante und die stationäre Versorgung unter Einschluss der medizinischen Rehabilitation besser zu verzahnen.
Dazu leiste allein die Einbeziehung von Apotheken in einen Vertrag über die hausärztliche Versorgung der
Versicherten keinen Beitrag. Anders als Vertragsärzte und Krankenhäuser seien die Apotheken an der Aufbringung
der Mittel für die Anschubfinanzierung nach § 140d SGB V nicht beteiligt (Urteil vom 24.1.2007- MedR 2007, 746).
5
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 140a, 140b und 140d SGB V. Das Berufungsgericht
verkenne, dass die Schnittstelle von ambulanter und stationärer Versorgung zwar möglicherweise der wichtigste
Überschneidungsbereich sei, den der Gesetzgeber bei Schaffung und auch bei späteren Änderungen der Vorschriften
über die Integrationsversorgung im Blick gehabt habe, dass aber nach den gesetzlichen Bestimmungen auch
Integrationsverträge zulässig seien, die sich nur auf den ambulanten Bereich beschränkten. Die Versorgung der
Versicherten mit Arzneimitteln sei ein gegenüber der vertragsärztlichen Behandlung eigenständiger Leistungssektor;
die Verkoppelung beider Bereiche könne Gegenstand einer integrierten Versorgung sein. Die Verbesserung der
Qualität der Arzneimittelversorgung sei zudem ein wichtiges gesundheitspolitisches Anliegen. Der Gesetzgeber habe
den Vertragspartnern iS des § 140b SGB V ausdrücklich freigestellt, diesem Anliegen durch den Abschluss eines
Integrationsvertrages Rechnung zu tragen. Der BHV leiste einen wichtigen Beitrag dazu, Doppelverordnungen
auszuschließen, und diene der Qualitätssicherung der Arzneimittelversorgung. Die Schnittstellenproblematik im
Regelversorgungssystem sei entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht auf die Versorgungsbereiche
"ambulant" und "stationär" beschränkt; vielmehr gebe es Schnittstellenprobleme ebenso zwischen Ärzten und
Apotheken. Auch insoweit könne das Versorgungsmanagement zugunsten der Versicherten verbessert werden. Dazu
diene der hier betroffene Vertrag. Deshalb müsse die Klägerin hinnehmen, dass sie - die Beklagte - zur Finanzierung
dieses Vertrages auf der Grundlage des § 140d SGB V Gesamtvergütungsanteile einbehalte.
6
Die Beklagte beantragt, die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 24.1.2007 und des Sozialgerichts Gotha
vom 8.3.2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält das Berufungsurteil für zutreffend, insbesondere, weil die Zusammenarbeit von Hausärzten und Apotheken
keine leistungssektorenübergreifende Versorgung darstelle. Leistungssektoren seien lediglich die ambulante und die
stationäre Versorgung. Die Arzneimittelversorgung sei untrennbarer Bestandteil der ambulanten vertragsärztlichen
Versorgung.
II
9
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin
gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung einbehaltener Gesamtvergütung in Höhe von 407.886,46 Euro hat.
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Die Beklagte war nicht berechtigt, diesen Betrag auf der Grundlage des § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V in der hier
maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG vom
14.11.2003, BGBl I 2190) "zur Förderung der integrierten Versorgung" von der an die Klägerin gemäß § 85 Abs 1 SGB
V zu entrichtenden Gesamtvergütung einzubehalten. Nach § 140d Abs 1 Satz 3 SGB V dürfen die nach Satz 1
einbehaltenen Mittel ausschließlich zur Finanzierung der nach § 140c Abs 1 Satz 1 SGB V vereinbarten Vergütungen
verwendet werden. Nach dieser Vorschrift legen die Verträge zur integrierten Versorgung die Vergütung der in diesem
Rahmen erbrachten Leistungen fest. Bei dem hier zu beurteilenden BHV handelt es sich jedoch nicht um einen
Vertrag zur integrierten Versorgung im Sinne dieser Vorschrift.
11
Die Regelung des § 140d Abs 1 SGB V über die Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung ist seit ihrem
Inkrafttreten zum 1.1.2004 mehrfach geändert worden. Durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG vom
20.12.2006, BGBl I 3439) ist die ursprünglich bis Ende 2006 befristete Anschubfinanzierung bis Ende 2008 verlängert
und die Pflicht zur Rückzahlung nicht zweckentsprechend verbrauchter Mittel bis zum 31.3.2009 aufgeschoben
worden. Durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG vom
26.3.2007, BGBl I 378) sind zum 1.4.2007 die Sätze 2 bis 4 eingefügt worden. Danach dürfen die Mittel der
Anschubfinanzierung nur noch für voll- und teilstationäre Leistungen der Krankenhäuser und für ambulante
vertragsärztliche Leistungen verwendet werden, soweit nicht "Aufwendungen für besondere Integrationsaufgaben"
betroffen sind. Danach wäre die Verwendung der Anschubfinanzierung für den BHV zumindest teilweise unzulässig,
weil damit (auch) Leistungen bezahlt werden, die nicht vertragsärztliche Leistungen sind, etwa solche der Apotheken.
Diese gesteigerten Anforderungen gelten jedoch nach § 140d Abs 1 Satz 3 SGB V nicht für Verträge, die vor dem
1.4.2007 abgeschlossen worden sind. Für den im Dezember 2004 vereinbarten BHV ist daher § 140d Abs 1 SGB V
idF des GMG maßgeblich.
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Auf der Grundlage des § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V sind Krankenkassen nur berechtigt, wie das Berufungsgericht zu
Recht dargelegt hat, Gesamtvergütungsanteile zur Finanzierung konkreter Integrationsverträge einzubehalten. Das
ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der Wendung der Vorschrift, "soweit die einbehaltenen Mittel zur
Umsetzung von nach § 140b geschlossenen Verträgen erforderlich sind". Mit dieser Regelung wäre es nicht vereinbar,
dass Krankenkassen pauschal und ohne näheren Hinweis auf Inhalt und finanzielles Volumen von
Integrationsverträgen zunächst Gesamtvergütungsbestandteile einbehielten und allenfalls auf der Grundlage des §
140d Abs 1 Satz 5 SGB V nach drei Jahren (ganz oder anteilig) zurückerstatteten (zutreffend Felix/Brockmann, NZS
2007, 623, 630). Ihre noch im Berufungsrechtszug unter Hinweis auf einen Beschluss des LSG Brandenburg vom
1.11.2004 (L 5 B 105/04 KA ER - MedR 2005, 62) vertretene gegenteilige Auffassung hat die Beklagte im
Revisionsverfahren nicht mehr aufrechterhalten.
13
Der von der Beklagten mit der HÄVG und der MGDA geschlossene BHV ist kein Vertrag zur integrierten Versorgung
iS des § 140a Abs 1 Satz 1 SGB V. Integrationsverträge können nach dieser Vorschrift nur über eine "interdisziplinär-
fachübergreifende" oder über eine "verschiedene Leistungssektoren übergreifende" Versorgung geschlossen werden.
Interdisziplinär-fachübergreifend ist die durch den BHV organisierte hausärztliche Versorgung schon deshalb nicht,
weil an ihr ausschließlich dem hausärztlichen Versorgungsbereich zugehörige Ärzte, nämlich Hausärzte, beteiligt sind
und insofern keine im Sinne des Gesetzes interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung vorliegt. Die Erfüllung dieses
Merkmals (näher Baumann/Motz in: Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 140a SGB V RdNr 8) durch den BHV nimmt die
Beklagte zu Recht auch selbst nicht in Anspruch.
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Ob der BHV eine leistungssektorenübergreifende Versorgung organisiert, ist fraglich, bedarf aber keiner
abschließenden Entscheidung. Denn der BHV stellt sich jedenfalls deshalb nicht als Vertrag zur integrierten
Versorgung dar, weil er mit seinen integrativen Elementen im Wesentlichen innerhalb der Regelversorgung verbleibt
und damit die aus Zielsetzung und gesetzlicher Ausgestaltung der integrierten Versorgung abzuleitende
Voraussetzung nicht erfüllt, dass Leistungen der Regelversorgung ersetzt werden.
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Der Begriff der Leistungssektoren iS des § 140a Abs 1 Satz 1 SGB V ist gesetzlich nicht definiert (so ausdrücklich
die Begründung des Gesetzentwurfs zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 129, Zu Nr 113 (§ 140a), Zu Buchst a). Sein
Inhalt ist deshalb nur durch eine am Zweck der integrierten Versorgung orientierte Auslegung zu bestimmen (Beule,
Rechtsfragen der integrierten Versorgung, 2003, S 25). Die Zielrichtung dieser Versorgungsform besteht zunächst
darin, die starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu durchbrechen und den Krankenkassen
die Möglichkeit zu eröffnen, außerhalb der bisherigen Regelversorgung eine alternative Versorgungsstruktur zu
entwickeln. Es soll eine Verzahnung der verschiedenen Leistungssektoren stattfinden, zum einen, um eine
wirtschaftlichere Versorgung zu ermöglichen, zum anderen aber auch, um für die Versicherten die medizinischen
Behandlungsabläufe zu verbessern, Wartezeiten, Doppeluntersuchungen und Behandlungsdiskontinuitäten zu
vermeiden (vgl Baumann, jurisPK SGB V, § 140a RdNr 2).
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Ausgehend von dieser allgemeinen Zielsetzung des Gesetzes ist der Begriff der "Leistungssektoren übergreifenden
Versorgung" funktionell zu bestimmen. Ausgangspunkt ist jeweils das Leistungsgeschehen und dessen inhaltlicher
Schwerpunkt. "Übergreifend" ist dementsprechend eine Versorgung, die Leistungsprozesse, die in der traditionellen
Versorgung inhaltlich und institutionell getrennt sind, nunmehr verknüpft. Behandlungsansatz und Ausrichtung des
einzelnen Leistungsprozesses (zB hausärztliche Versorgung, ambulante Versorgung insgesamt, operative
Behandlung, medizinische Rehabilitation) geben den entscheidenden Hinweis darauf, ob einzelne
Behandlungsmaßnahmen Teil desselben Leistungssektors sind oder unterschiedlichen Sektoren angehören. Eine
Operation (zB Implantation eines neuen Gelenks) und die anschließende Rehabilitation (zB Mobilisierung) dienen
unterschiedlichen medizinischen Zwecken und sind in der Regelversorgung auch institutionell getrennt. Insoweit
betreffen sie (auch) verschiedene Leistungssektoren iS des § 140a Abs 1 SGB V.
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Wichtigster Anwendungsfall einer die verschiedenen Leistungssektoren übergreifenden Versorgung ist eine
Versorgung, die ambulante und stationäre Behandlungen umfasst. Die Verzahnung von ambulanter und stationärer
Versorgung wird bei der Erläuterung der Ziele der Integrationsversorgung bereits in der Überschrift besonders
hervorgehoben (Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zur GKV-Gesundheitsreform 2000 (GKV-Gesundheitsreform
2000), BT-Drucks 14/1245, S 55). Die integrierte Versorgung soll "Brücken über die Gräben der Versorgung schlagen";
neben das mehr als 100 Jahre bestehende Versorgungssystem alter Art soll eine Innovation gestellt werden, in der
eine bessere, effektivere, die Angebote der Sektoren integrierende und die Ressourcen schonende Versorgung der
Versicherten bewirkt wird (von Schwanenflügel, NZS 2006, 285, 287).
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Daraus kann allerdings nicht abgeleitet werden, nur solche Verträge seien von § 140a Abs 1 SGB V erfasst, die
Leistungen aus den beiden "Hauptsektoren" anbieten. Vielmehr sind unter Zugrundelegung eines funktionellen
Ansatzes sowohl innerhalb des ambulanten als auch innerhalb des stationären Hauptsektors weitere
Leistungssektoren zu unterscheiden, die Gegenstand von Integrationsverträgen sein können. Beispiel für ein
integriertes Versorgungsangebot ohne Einbeziehung des stationären Sektors ist etwa die Verzahnung von ambulanten
Operationen und anschließender Versorgung der Patienten in ambulanten Rehabilitationseinrichtungen. Die Ziele der
integrierten Versorgung, nämlich ua die Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen, von Koordinationsproblemen im
Behandlungsablauf und von Wartezeiten, können durch ein derartiges Angebot erreicht werden. Auch innerhalb des
stationären Behandlungsbereichs ist eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung möglich und
bisweilen vom Regelungszweck der Vorschriften über die integrierte Versorgung geboten. So kann etwa die
Verknüpfung der Akutbehandlung in einem Krankenhaus - zB Durchführung einer Operation oder Behandlung eines
Schlaganfalls - mit der anschließenden medizinischen Rehabilitation in stationären Einrichtungen Gegenstand eines
Integrationsvertrages sein. Auch zwischen dem Akutkrankenhaus und dem Träger einer stationären
Rehabilitationseinrichtung bestehen im traditionellen Versorgungssystem Schnittstellenprobleme, die im Interesse der
betroffenen Patienten durch ein Versorgungsangebot aus einer Hand überwunden werden können.
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An diesem funktionellen Verständnis des Begriffs "Leistungssektor" ist die Prüfung auszurichten, ob ein Vertrag, der
Regelungen über die hausärztliche Versorgung und die Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln trifft,
verschiedene Leistungssektoren erfasst. Dass in einem solchen Vertrag eine sektorenübergreifende Versorgung
organisiert werden kann, wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass ein Apothekenverband von vornherein nicht
Partner eines Integrationsvertrages sein könnte. Nach den Vorgaben für die vertragsärztliche Versorgung können
Apotheken als "sonstige" Leistungserbringer und deren Gemeinschaften nach § 140b Abs 1 Nr 5 SGB V Partner von
Verträgen zur integrierten Versorgung sein. Für die Apotheken ergibt sich das zusätzlich aus der Spezialregelung in §
129 Abs 5b SGB V. Danach können Apotheken an vertraglich vereinbarten Versorgungsformen beteiligt werden. Nach
Satz 3 der Vorschrift kann in der integrierten Versorgung in Verträgen nach Satz 1 das Nähere über Qualität und
Struktur der Arzneimittelversorgung für die an der integrierten Versorgung teilnehmenden Versicherten auch
abweichend von Vorschriften des SGB V vereinbart werden. § 129 Abs 5b SGB V ist durch das GMG zum 1.1.2004
eingeführt worden. Die Fraktionen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen haben diese Regelung im
Gesetzentwurf damit begründet, dass Krankenkassen oder deren Einrichtungen Apotheken an vertraglich vereinbarten
Versorgungsformen beteiligen können. In der integrierten Versorgung sollten auch abweichend von den Vorschriften
für die Regelversorgung mit Apotheken besondere Regelungen zu Qualität und Struktur der Arzneimittelversorgung der
an der integrierten Versorgung teilnehmenden Versicherten vereinbart werden können. Zur Verbesserung der Qualität
der Versorgung sollten Vereinbarungen zur pharmazeutischen Betreuung durch Vertrags-, insbesondere
Hausapotheken getroffen werden dürfen (BT-Drucks 15/1525, S 122, Zu Nr 92 Buchst c). Aus dem Umstand, dass
Apotheken oder ihre Gemeinschaften Partner von Integrationsverträgen sein können, kann aber nicht im
Umkehrschluss hergeleitet werden, dass jeder Vertrag, den eine Krankenkasse mit Ärzten bzw Ärzteverbänden und
Apotheken oder Apothekenverbänden schließt, ein leistungssektorenübergreifender Vertrag ist. Entscheidend ist
weniger, ob die Arzneimittelversorgung generell ein eigener Leistungssektor iS des § 140a Abs 1 Satz 1 SGB V sein
kann (in diesem Sinne Beule, aaO, 40; aA: Bohle, Integrierte Versorgung, 2. Aufl 2007, S 13), sondern ob der
konkrete Vertrag, an dem Apotheken oder ihre Gemeinschaften beteiligt sind, einen Beitrag zur
sektorenübergreifenden Versorgung der Versicherten leistet. Das hängt maßgeblich von dem vertraglich definierten
Versorgungsauftrag und dessen Ausgestaltung ab.
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Neben dem Erfordernis der leistungssektorenübergreifenden Versorgung sind Verträge der in § 140b Abs 1 SGB V idF
des GMG genannten Vertragspartner jedoch nur dann solche der integrierten Versorgung, wenn durch sie auch
Leistungen, die bislang Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind, künftig ersetzt werden. Das ergibt sich
aus der Konzeption der Integrationsversorgung als einer Alternative zur Regelversorgung, wie sie den Vorschriften der
§§ 140a bis 140d SGB V seit ihrer Neufassung durch das GMG zugrunde liegt.
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Die Ausgangsfassung der Regelungen über die integrierte Versorgung in den §§ 140a bis 140h SGB V idF der GKV-
Gesundheitsreform 2000 war noch durch eine enge Verzahnung von Regel- und Integrationsversorgung
gekennzeichnet. Der Sicherstellungsauftrag der KÄV sollte durch die integrierte Versorgung unberührt bleiben
(Begründung des Gesetzentwurfs der Regierungsfraktionen, BT-Drucks 14/1245, S 92, Zu § 140b, Zu Abs 6). Deshalb
mussten nach § 140b Abs 6 SGB V idF der GKV-Gesundheitsreform 2000 die KÄVen Integrationsverträgen
zustimmen, soweit Vertragsärzte daran beteiligt waren. Diese "Verschränkung zwischen dem Sicherstellungsauftrag
und der einzelvertraglichen Absprache zur integrierten Versorgung" (Begründung des Gesetzentwurfs zum GMG, BT-
Drucks 15/1525, S 129, Zu Nr 113, Zu Buchst a) hat der Gesetzgeber durch das GMG beseitigt. Nach § 140a Abs 1
Satz 2 SGB V (seit der Neufassung durch das GKV-WSG zum 1.4.2007 Satz 3) ist der Sicherstellungsauftrag der
KÄV eingeschränkt, "soweit die Versorgung der Versicherten nach diesen Verträgen durchgeführt wird". Integrierende
Versorgungsformen umfassen nach der Konzeption des Gesetzes regelmäßig die ambulante Versorgung durch
Vertragsärzte und die voll- oder teilstationäre Behandlung im Krankenhaus. Das rechtfertigt die Beteiligung der KÄVen
und der Krankenhäuser an der Bereitstellung der Mittel der Anschubfinanzierung nach § 140d Abs 1 SGB V. Für
Verträge, die nach dem 1.4.2007 geschlossen werden, gilt sogar, dass die Finanzierungsmittel nur für voll- und
teilstationäre Leistungen der Krankenhäuser sowie für ambulante vertragsärztliche Leistungen verwandt werden dürfen
(§ 140d Abs 1 Satz 2 und 3 SGB V). Eine derart strikte Zweckbindung der Mittel der Anschubfinanzierung für
Leistungen, die von denen erbracht werden, die die Finanzmittel bereitstellen, hat in der hier maßgeblichen Zeit vom
1.1.2004 bis zum 31.3.2007 nicht bestanden. Die Partner der Integrationsverträge sollten in der Anfangsphase mehr
Spielraum für den unbürokratischen Einsatz der Mittel der Anschubfinanzierung haben (Begründung des
Gesetzentwurfs zum GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100, S 152, Zu Nr 121, Zu Buchst a, Zu Doppelbuchst aa). Daraus
ist jedoch nicht zu schließen, dass es für die Beurteilung der Frage, ob ein Vertrag den Anforderungen des § 140a
Abs 1 SGB V entspricht, auch in den Jahren 2005 und 2006 ohne Bedeutung war, wie sich die vertraglich vereinbarte
Versorgung zur Regelversorgung verhält. Dem steht schon die erwähnte Vorschrift über die Einschränkung des
Sicherstellungsauftrages der KÄV entgegen.
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Die integrierte Versorgung soll sich nach der Intention des Gesetzgebers zu einer "zweiten Säule der Regelversorgung
entwickeln" (von Schwanenflügel, NZS 2006, 285, 288). In der Begründung der Bundesregierung zur Änderung der
Vorschriften über die integrierte Versorgung durch das GKV-WSG wird zusammenfassend von einem "Wettbewerb
zwischen verschiedenen Versorgungsformen für eine patienten-, bedarfsgerechtere und effizientere Versorgung" (BT-
Drucks 16/3100, S 152, Zu Nr 120 (§ 140b), Zu Buchst b) gesprochen. Ein derartiger Wettbewerb setzt voraus, dass
in der Regelversorgung und in der neuen integrierten Versorgung prinzipiell derselbe Versorgungsumfang gewährleistet
ist. Der Versicherte, der von einer Erkrankung bedroht oder betroffen ist, soll alternativ zur - regelmäßig in einzelne
Sektoren unterteilten - Regelversorgung von seiner Krankenkasse ein Versorgungsangebot erhalten, in dem seine
Behandlung unabhängig "vom sektorenabhängigen Denken" organisiert wird (von Schwanenflügel, aaO, 288). An die
Stelle einer vom Vertragsarzt auf der Grundlage des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche
Leistungen (EBM-Ä) gegenüber der KÄV abzurechnenden ambulanten Behandlung, die im Bedarfsfall (§ 39 Abs 1
Satz 2 SGB V) durch eine auf der Grundlage des Krankenhausentgeltgesetzes von der Krankenkasse zu vergütende
stationäre Behandlung ergänzt wird, soll fakultativ ein einheitliches Versorgungsangebot treten können, das insgesamt
auf der Grundlage des § 140c Abs 1 SGB V nach vertraglichen Vereinbarungen vergütet wird. Dieses alternative
Versorgungs- und Vergütungskonzept beruht begrifflich wie systematisch auf dem Prinzip der Substitution:
Vertragsärztliche Leistungen, die in der Regelversorgung aus der Gesamtvergütung iS des § 85 Abs 1 SGB V zu
honorieren sind, werden durch Leistungen (auch, aber nicht notwendig) von Vertragsärzten im Rahmen eines
vertraglich gesteuerten Versorgungsmanagements ersetzt und nicht mehr aus der Gesamtvergütung, sondern
ausschließlich einzelvertraglich honoriert. Das schließt nicht aus, dass Gegenstand eines Integrationsvertrages und
der Vergütung iS des § 140c Abs 1 SGB V auch Leistungen sein können, die im Rahmen der ambulanten
vertragsärztlichen Versorgung (noch) nicht beansprucht werden können. Diese Möglichkeit folgt mittelbar aus § 140b
Abs 3 Satz 4 SGB V, wonach nur ambulante Leistungen in der Integrationsversorgung ausgeschlossen sind, über
deren Eignung der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) bereits eine ablehnende Entscheidung getroffen hat. § 135
Abs 1 SGB V erfordert im Rahmen der Regelversorgung für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dagegen
eine positive Empfehlung des GBA. Ein Wettbewerb um Versorgungsmodelle bedingt jedoch, dass Leistungen der
traditionellen Versorgung durch solche der integrierten Versorgung ersetzt werden. Wenn Gegenstand der integrierten
Versorgung ausschließlich Leistungen sind, die zusätzlich zur Regelversorgung erbracht werden, ist ein bewertender
Vergleich beider Versorgungssysteme von vornherein unmöglich.
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Die Beziehung zwischen Regel- und Integrationsversorgung findet ihren Niederschlag auch in den Vorschriften über
den Leistungsumfang der integrierten Versorgung nach § 140b Abs 4 SGB V. Gemäß Satz 1 dieser Vorschrift können
die Verträge nach § 140a Abs 1 SGB V ua von den Vorschriften im 4. Kapitel des SGB V abweichen, soweit das Sinn
und Eigenart der integrierten Versorgung entspricht. Auch die Bindung der an den Verträgen beteiligten
Leistungserbringer an den Zulassungsstatus ist bei der Durchführung der Versorgung gelockert (§ 140b Abs 4 Satz 3
sowie BT-Drucks 15/1525, S 130 zu § 140b). Der in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V) angestellte
Arzt kann damit im Rahmen eines von seinem Krankenhaus abgeschlossenen Integrationsvertrages ambulante
Leistungen erbringen, für die er im Rahmen der Regelversorgung einer Ermächtigung (§ 116 SGB V) bedürfte. Diese
Abweichungen von der Regelversorgung müssen vereinbart werden, weil und soweit im Rahmen der integrierten
Versorgung prinzipiell dieselben Erkrankungen behandelt werden (sollen und müssen) wie in der Regelversorgung, nur
eben auf der Basis abweichender rechtlicher Vorgaben.
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Schließlich lassen die Vorschriften über die Bereinigung der Gesamtvergütungen erkennen, dass Gegenstand von
Integrationsverträgen zumindest ganz überwiegend Leistungen sind, die bisher in der Regelversorgung erbrachten
wurden. Nach § 140d Abs 2 SGB V idF des GMG haben die Gesamtvertragspartner die Gesamtvergütungen zu
bereinigen, wenn die von Krankenkassen "zur Förderung der integrierten Versorgung aufgewendeten Mittel" das
Volumen der Anschubfinanzierung nach Abs 1 übersteigen. Das setzt zwingend voraus, dass die vertraglich geregelte
Versorgung nach § 140a Abs 1 SGB V Leistungen erfasst, die in der Regelversorgung durch die Gesamtvergütung
abgegolten werden. Sachgrund für die große Zahl von Bereinigungsvorschriften im SGB V (zB § 73b Abs 7, § 73c Abs
6, § 85 Abs 2 Satz 8) ist die Verhinderung von Doppelleistungen durch die jeweilige Krankenkasse. Was diese
einzelvertraglich vergütet bzw vergüten muss, soll sie nicht auch noch über die Gesamtvergütung honorieren.
Bereinigungsvorschriften setzen immer eine (partielle) Identität der Leistungen voraus, die zu vergüten sind;
andernfalls könnte sich das Problem der Doppelzahlung nicht stellen. Auch die in § 140d Abs 3 SGB V
vorgeschriebene Bereinigung der Arznei- und Heilmittelbudgets iS des § 84 Abs 1 SGB V für den Fall, dass die
integrierte Versorgung die Gewährung von Arznei- und Heilmitteln an die Versicherten mit einschließt, verweist
zwingend auf die Substitution der Regelversorgung durch die Integrationsversorgung.
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Aus dieser Gesamtbetrachtung ist abzuleiten, dass Behandlungsleistungen, die im Rahmen der integrierten
Versorgung erbracht werden, solche der Regelversorgung in der vertragsärztlichen oder in der stationären Versorgung
zumindest überwiegend ersetzen müssen. Finden die Behandlungsleistungen, die vertraglich näher geregelt werden,
hingegen weiterhin im Rahmen der bisherigen Regelversorgung statt, ergibt sich im Gegenschluss daraus, dass kein
Fall der integrierten Versorgung vorliegt. Ein wichtiges Indiz für das Vorliegen einer Versorgung außerhalb der
Regelversorgung ist es, wenn den Leistungserbringern eine verschiedene Vergütungsregime überschreitende
Budgetverantwortung obliegt, sie also zB für die Gesamtbehandlungsmaßnahmen eine Vergütungspauschale erhalten.
Die unterschiedlichen Regelungen über die Vergütung etwa in der vertragsärztlichen und in der stationären Versorgung
kommen dann nicht zur Anwendung.
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Nach diesem Maßstab erfüllt der BHV die Anforderungen des § 140a Abs 1 SGB V an einen Integrationsvertrag nicht.
Dieser setzt vollständig auf die vertragsärztliche Regelversorgung auf. Jeder Fall, in dem nach diesem Vertrag der
Hausarzt eine zusätzliche Vergütung erhält, wird als vertragsärztlicher Behandlungsfall erbracht. Alle Behandlungen
rechnet der Arzt gegenüber der KÄV ab; alle Arzneimittelverordnungen werden im System der Regelversorgung
abgewickelt (dazu näher BSGE 94, 273 = SozR 4-2500 § 106 Nr 9, jeweils RdNr 13 ff). Der BHV regelt lediglich
zusätzliche hausärztliche Leistungen in den Bereichen Dokumentation und Koordination, die im Kern aber schon
Bestandteil der hausärztlichen Regelversorgung sind (§ 73 Abs 1 Satz 2 Nr 2 bis 4 SGB V). Ausgeweitet werden im
Vergleich mit der Regelversorgung nicht nur die Leistungen für die Versicherten, sondern auch
Vergütungsmöglichkeiten der teilnehmenden Ärzte. Der Vertragsarzt, der sich am BHV beteiligt, erhält für jeden
Versicherten, der sich einschreibt, die Vergütung seiner Leistungen von der KÄV aus der Gesamtvergütung;
zusätzlich zahlt die Beklagte Einschreibe- und Integrationspauschalen. Weder der Vertragsarzt noch der Versicherte
steht vor einer nach Wettbewerbs- oder Qualitätsgesichtspunkten zu treffenden Entscheidung für oder gegen ein
bestimmtes Versorgungsmodell. Eine starke Beteiligung an dem BHV signalisiert nicht einen Vorzug der dort
geregelten Versorgung, weil diese nicht an die Stelle der vertragsärztlichen Versorgung im hausärztlichen
Versorgungsbereich tritt, sondern sie nur partiell ausweiten und optimieren soll. Aus der Perspektive des Hausarztes
erschöpft sich der Vertrag in der zusätzlichen Vergütung bestimmter hausärztlicher Koordinierungsaufgaben und der
Kooperation mit der vom Versicherten gewählten Apotheke. Eine Gesamtverantwortung des Hausarztes für die
Behandlung der Versicherten und ihre Versorgung mit Arzneimitteln wird nicht vereinbart, und die
Arzneimittelversorgung in der fachärztlichen Behandlung des Versicherten oder bei und nach
Krankenhausbehandlungen hat der BHV von vornherein nicht im Blick.
27
Die einzige Verbindung zwischen der Versorgung nach dem BHV und der Regelversorgung stellt der Präventions-
Check iS des § 12 Abs 2 Buchst a Regelung 4 BHV dar. Diese Leistung kann der teilnehmende Hausarzt einmal im
Jahr bei Versicherten ab Vollendung des 35. Lebensjahres "in medizinisch begründeten Einzelfällen" als Grundlage
der Präventionsberatung erbringen; der Ansatz der Nr 160 EBM-Ä in der bis zum 31.3.2005 geltenden Fassung
gegenüber der KÄV ist insoweit ausgeschlossen. Dieses singuläre, auf medizinisch begründete Einzelfälle begrenzte
Ersetzen einer in der vertragsärztlichen Versorgung ebenfalls - allerdings nur alle zwei Jahre - vorgesehenen Leistung
durch eine einzelvertragliche Regelung prägt den BHV nicht. Sie verbleibt im Übrigen vollständig im hausärztlichen
Sektor. Wenn sich der BHV darauf beschränkt hätte, wäre das Merkmal "Leistungssektoren übergreifend" iS des §
140a Abs 1 SGB V ersichtlich nicht erfüllt worden.
28
Der Bindung von Integrationsverträgen an das zumindest partielle Ersetzen von Leistungen der Regelversorgung aus
unterschiedlichen Versorgungsbereichen steht nicht entgegen, dass die Mittel der Anschubfinanzierung auch zum
Aufbau von Versorgungsstrukturen dienen dürfen, die in § 140d Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V als "besondere
Integrationsaufgaben" bezeichnet werden. Damit ist die Koordinierung von Leistungen bzw das sog case management
angesprochen (Begründung des Gesetzentwurfs zum GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100, S 153, Zu Buchst a, Zu
Doppelbuchst aa). Der BHV wird - wenngleich nicht explizit - als ein "Case Management Vertrag" eingestuft (von
Schwanenflügel, NZS 2006, 289), ohne dass damit in rechtlicher Hinsicht für die Zuordnung zu § 140a Abs 1 SGB V
etwas ausgesagt wäre. Der Case Management Vertrag, der sich als einer von vier Vertragstypen im Bereich der
integrierten Versorgung entwickelt hat, unterscheidet sich dadurch von den drei anderen Typen, dass ihm jede
inhaltliche Kontur fehlt. Allein der Umstand, dass ihn Krankenkassen "zumeist mit Gruppen von Vertragsärzten
geschlossen" haben (von Schwanenflügel, aaO, 289), besagt nur, dass die Parteien solcher Verträge der Ansicht
sind, die Anforderungen des § 140a Abs 1 SGB V seien erfüllt. Ob das tatsächlich bei Verträgen der Fall ist, die
lediglich auf eine Verbesserung der Organisation der hausärztlichen Behandlung zielen und nur wegen der begrenzten
Einbeziehung von Apotheken zumindest theoretisch als "Leistungssektoren übergreifend" bezeichnet werden können,
ist damit nicht geklärt. In Kenntnis der darüber bestehenden Kontroverse hat sich auch der Gesetzgeber des GKV-
WSG dazu nicht klar geäußert. Er hat vielmehr mit der Erhöhung der Anforderungen an Integrationsverträge in § 140a
Abs 1 Satz 2 SGB V ("bevölkerungsbezogene Flächendeckung der Versorgung") zu erkennen gegeben, dass sein Ziel
strikt auf die Etablierung einer eigenständigen, neben der Regelversorgung stehenden Versorgungsorganisation
ausgerichtet bleibt. Dem entspricht der BHV nicht, der an keiner Stelle die Regelversorgung verlässt, sondern nur
zusätzliche Vergütungsanreize für die beteiligten Hausärzte und Apotheken gibt.
29
Danach ist der BHV nicht als Vertrag über eine integrierte Versorgung iS des § 140a Abs 1 SGB V zu bewerten. Für
seine Finanzierung dürfen nach § 140d Abs 1 SGB V keine Bestandteile der Gesamtvergütung einbehalten werden
(zur flankierenden Finanzierung des BHV über Arzneimittel-Rabattverträge mit Generikaunternehmen vgl Schmidt in:
Ulrich/Ried (Hrsg), Effizienz, Qualität und Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen, Festschrift zum 65. Geburtstag von
E. Wille, 2007, 593, 614). Das bedeutet nicht, dass mit dem Vertrag keine sinnvollen und gesundheitspolitisch
wichtigen Ziele verfolgt würden. Gerade die Vorgaben für die Medikationsliste zielen auf eine Verbesserung der
Versorgung der Versicherten in einem kostenintensiven Bereich. Das Instrument der Integrationsversorgung und die
Anschubfinanzierung nach § 140d Abs 1 SGB V stehen jedoch nach der Konzeption des Gesetzes für die
Realisierung dieses wichtigen Ziels derzeit nicht zur Verfügung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von
§ 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Danach hat die Beklagte die Kosten des von ihr erfolglos geführten
Rechtsmittels zu tragen.