Urteil des BSG vom 30.09.2009

BSG (mutter, wiedereinsetzung in den vorigen stand, bvg, kläger, gegenstand des verfahrens, antrag, vater, sgg, unverschuldete verhinderung, verschulden)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 30.9.2009, B 9 VG 3/08 R
Gewaltopferentschädigung - minderjähriges Gewaltopfer - Leistungsbeginn - verspätete
Antragstellung - Verschulden - Zurechenbarkeit des Verschuldens des gesetzlichen
Vertreters - Interessenkonflikt - enge Verbundenheit des gesetzlichen Vertreters mit
dem Gewalttäter - Zeugnisverweigerungsrecht - zivilrechtlicher
Schadensersatzanspruch gegen den Täter durch die Antragstellung - sozialrechtlicher
Herstellungsanspruch
Leitsätze
Ein die Zurechnung von Verschulden des gesetzlichen Vertreters ausschließender
schutzwürdiger Interessenkonflikt liegt auch vor, wenn eine dem Gewalttäter eng verbundene
Person, der die Rechtsordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht zugesteht durch die
Antragstellung nach dem Opferentschädigungsgesetz zivilrechtliche
Schadensersatzansprüche gegen den Täter auslösen würde (Fortführung von BSG vom
23.10.1985 - 9a RVg 4/83 = BSGE 59, 40 = SozR 3800 § 1 Nr 5 und BSG vom 28.4.2005 - B
9/9a VG 1/04 R = BSGE 94, 282 = SozR 4-3800 § 1 Nr 8).
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über den Beginn der dem Kläger zuerkannten Leistungen der
Beschädigtenversorgung (Grundrente, Kleiderverschleißpauschale, Pflegezulage,
Schwerstbeschädigtenzulage, Ausgleichsrente) nach dem Opferentschädigungsgesetz
(OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
2 Der am 20.6.1998 geborene Kläger ist das Kind von B. (Mutter) und Br. (Vater). Die
unverheirateten Eltern bezogen kurz nach der Geburt des Klägers (1.7.1998) eine
gemeinsame Wohnung. Wegen erheblicher Spannungen in der Beziehung zum Vater zog
die Mutter mit dem Kläger Anfang September 1998 wieder zurück zu ihrer Mutter in die
elterliche Wohnung.
3 Als der Vater sie dort am 22.9.1998 besuchte und im Kinderzimmer allein mit dem Kläger
war, legte er das damals drei Monate alte Kind in einen mitgebrachten, großen Müllsack,
knotete diesen fest zu und versteckte ihn im Kinderwagen unter anderen Bettsachen.
Dadurch erlitt der Kläger schwerste Schädigungen (insbesondere eine Cerebralparese).
4 Nachdem die Mutter die Polizei gerufen hatte, wurde der Vater noch am Tatort vorläufig
festgenommen. Aufgrund eines Haftbefehls vom darauffolgenden Tag befand sich dieser
seitdem in Haft. In der Hauptverhandlung des Schwurgerichts legte der Vater ein Geständnis
ab. Er wurde am 24.3.1999 vom Landgericht K. wegen versuchten Totschlags zu einer
mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Mutter, die nach der Tat des Vaters alleinige
gesetzliche Vertreterin des Klägers war, wurde im Rahmen des Strafverfahrens auf die
Möglichkeit einer Antragstellung nach dem OEG hingewiesen. Sie machte davon jedoch
keinen Gebrauch, weil sie finanzielle Nachteile für den Vater befürchtete.
5 Die Mutter hatte schon während der Untersuchungshaft wieder brieflich Kontakt zum Vater
aufgenommen. Ab dem 22.4.1999 besuchte sie diesen regelmäßig in den
Justizvollzugsanstalten. Sie wurde in der Folgezeit auch zum Langzeitbesuch (Zeitraum von
drei Stunden unkontrolliert) zugelassen. Es kam im Gefängnis zu sexuellen Kontakten. Im
Frühjahr 2000 verlobten sich die Mutter und der Vater des Klägers. Sie planten, nach der
Haftentlassung wieder zusammen zu ziehen und später zu heiraten. Am 10.4.2004 wurde
der Vater erstmals in die Wohnung der Mutter ausgeführt. Am 2.9.2004 beendete diese die
Beziehung zum Vater endgültig.
6 Am 20.9.2004 beantragte die Mutter als gesetzliche Vertreterin des Klägers - auf
eindringliches Zureden der Versorgungsverwaltung - beim damaligen Versorgungsamt K. für
diesen die Gewährung von Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Zuvor
hatte sie bereits am 23.2.2000 bei der Pflegekasse für den Kläger Pflegegeld beantragt, das
ab 1.3.2000 bewilligt wurde. Außerdem hatte sie am 18.9.2001 beim damaligen
Versorgungsamt K. erfolgreich die Feststellung des Grades der Behinderung des Klägers
nach dem Schwerbehindertenrecht beantragt.
7 Mit Bescheid vom 5.7.2006 stellte das Versorgungsamt K. beim Kläger ua eine
Cerebralparese als Folge einer Schädigung im Sinne des OEG fest und gewährte ihm ab
1.9.2004 Leistungen der Beschädigtenversorgung in entsprechender Anwendung der
Bestimmungen des BVG nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 vH, im
einzelnen Grundrente, Kleiderverschleißpauschale nach der Bewertungszahl 65,
Pflegezulage der Stufe V und Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe VI.
8 Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch begehrte der Kläger, gesetzlich vertreten durch
seine Mutter, einen früheren Leistungsbeginn. Ihm könne die nicht rechtzeitige
Antragstellung seiner Mutter nicht zugerechnet werden. Diese habe sich in einer
Konfliktsituation zwischen ihm (dem geschädigten Kind) und dem Täter befunden. Diese
Konfliktlage werde von der Rechtsordnung zB durch ein Zeugnisverweigerungsrecht
geschützt, das hier spätestens seit der Verlobung mit dem Vater bestanden habe. Die Frist
zur Antragstellung habe sich deshalb nach § 60 Abs 1 Satz 3 BVG verlängert. Die
Bezirksregierung M. (Abteilung Soziales und Arbeit, Landesversorgungsamt) wies diesen
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2006 zurück. Dagegen hat der Kläger am
15.12.2006 Klage erhoben.
9 Mit Bescheid vom 3.1.2007 gewährte das Versorgungsamt K. dem Kläger außerdem
Ausgleichsrente ab 1.9.2004.
10 Mit Wirkung zum 1.1.2008 sind die Aufgaben des Sozialen Entschädigungsrechts
einschließlich der Kriegsopferversorgung durch Art 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der
Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen (= Art 1
Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007,
GVBl NRW 482, ) auf die Landschaftsverbände übertragen worden.
11 Auf entsprechenden Klageantrag hat das Sozialgericht Köln (SG) den nunmehr beklagten
Landschaftsverband R. verurteilt, "unter Abänderung des Bescheides des
Versorgungsamtes Köln vom 5.7.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
30.11.2006 und des Bescheides vom 3.1.2007 dem Kläger auch für die Zeit von September
1998 bis August 2004 Beschädigtenversorgung nach dem OEG iVm den Vorschriften des
BVG nach einem GdS um 100 vH zu gewähren" (Urteil vom 21.4.2008 in der Fassung des
Berichtigungsbeschlusses vom 21./28.4.2008).
12 Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die dagegen eingelegte Berufung
des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 9.9.2008). Es hat ausgeführt: Richtiger Beklagter
sei seit dem 1.1.2008 der Landschaftsverband R. Das SG habe diesen zu Recht verurteilt,
dem Kläger "nach Maßgabe des § 60 Abs 1 Satz 2 BVG" Versorgung nach dem OEG iVm
dem BVG bereits ab September 1998 zu zahlen. Dem im Zeitpunkt der Gewalttat erst drei
Monate alten Kläger könne das pflichtwidrige Verhalten seiner allein sorgeberechtigten
Mutter im Hinblick auf die verspätete Antragstellung nicht zugerechnet werden. Das SG habe
die vom Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 28.4.2005 aufgestellten Grundsätze zu
Recht auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt übertragen. Es habe richtigerweise darauf
abgestellt, dass sich die Mutter in einer Konfliktsituation befunden habe. Bis zur Trennung
vom Vater habe ein erheblicher täterbezogener Konflikt vorgelegen, in dem die Mutter das
Interesse an der Aufrechterhaltung der Liebesbeziehung zum Vater über das Wohl des
Klägers gestellt habe. Die Beziehungen seien jedenfalls ab Frühjahr 1999 wieder eng
verflochten gewesen. Es liege damit genau die vom BSG angesprochene Situation vor, dass
die Antragstellung nach dem OEG und der aus Sicht der Mutter zu erwartende Regress
gegen den Vater zu einem Bruch oder einer erheblichen Belastung der Beziehung zu dem
straffällig gewordenen Familienangehörigen habe führen können. Dem Kläger sei ein
solches Versagen der allein sorgeberechtigten Mutter im Rahmen des § 60 Abs 1 BVG nicht
als Verschulden zuzurechnen. Der Senat habe deshalb nicht mehr unter dem Gesichtspunkt
eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu prüfen gehabt, ob es sich der
Krankenkasse im Jahre 1999, der Pflegekasse im Jahre 2000 oder insbesondere der
Versorgungsverwaltung im September 2001 hätte aufdrängen müssen, die Mutter dazu
anzuhalten, zu Gunsten des Klägers einen Antrag nach dem OEG zu stellen.
13 Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung von
§ 60 Abs 1 BVG (iVm § 1 Abs 1 Satz 1 OEG). Nach § 60 Abs 1 Satz 3 BVG könnten
Leistungen vor der Antragstellung im September 2004 nur gewährt werden, wenn eine
unverschuldete Verhinderung, den Antrag zu stellen, angenommen werden könne. Der
Kläger habe zwar als (sozialrechtlich) Handlungsunfähiger keinen Antrag stellen können.
Ihm sei jedoch zuzurechnen, dass seine Mutter es als seine gesetzliche Vertreterin
schuldhaft unterlassen habe, rechtzeitig einen Antrag nach dem OEG zu stellen. Bei der hier
vorliegenden Konfliktsituation sei entgegen der Auffassung der Vorinstanzen keine
Ausnahme von dem Grundsatz der Zurechnung zu machen. Es habe kein tatbezogenes
Motiv für die Mutter gegeben, keinen Versorgungsantrag zu stellen, denn der Täter sei
unmittelbar nach der Tat verhaftet worden. In den ersten Monaten nach der Tat habe auch
kein täterbezogener Hinderungsgrund bestanden, denn die Mutter habe sich kurz vor der Tat
von dem Täter getrennt und sich diesem erst während der Haft wieder zugewandt. Auch
nachdem sie im Strafverfahren auf die Möglichkeit der Antragstellung nach dem OEG
hingewiesen worden sei, habe sie eine solche unterlassen, weil sie Nachteile für den Täter
befürchtet habe. Diese Umstände reichten nicht aus, um eine Ausnahme von dem Grundsatz
der Zurechnung zuzulassen.
14 Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 9.9.2008 und das Urteil des SG Köln vom
21.4.2008 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 21./28.4.2008 aufzuheben und
die Klage abzuweisen.
15 Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
16 Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
17 Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt (vgl § 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
18 Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil des LSG vom
9.9.2008 ist aufzuheben. Der Berufung des Beklagten ist insoweit stattzugeben, als in dem
Urteil des SG vom 21.4.2008 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom
21./28.4.2008 über den Bescheid vom 3.1.2007 entschieden worden ist, denn dieser
Bescheid ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht gemäß § 96 Abs 1 SGG
Gegenstand des Verfahrens geworden. Im Übrigen ist die Sache zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die
bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG lassen eine abschließende Entscheidung des
Senats über einen früheren Leistungsbeginn nicht zu.
19 1. Gegenstand der Revision ist das die Berufung des Beklagten zurückweisende Urteil des
LSG. Dieses hat die Entscheidung des SG bestätigt, das der kombinierten Anfechtungs- und
Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG) des Klägers auf früheren
Leistungsbeginn von Grundrente, Kleiderverschleißpauschale, Pflegezulage,
Schwerbeschädigtenzulage und Ausgleichsrente stattgegeben hat, indem es den Beklagten
"unter Abänderung des Bescheides des Versorgungsamtes Köln vom 5.7.2006 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2006 und des Bescheides vom 3.1.2007"
verurteilt hat, "dem Kläger auch für die Zeit von September 1998 bis August 2004
Beschädigtenversorgung nach dem OEG iVm den Vorschriften des BVG nach einem GdS
um 100 vH zu gewähren".
20 Zu Unrecht haben die Vorinstanzen den nach Klageerhebung erlassenen Bescheid vom
3.1.2007, in dem das damals zuständige Versorgungsamt Köln über die Ausgleichsrente
entschieden hat, in das Verfahren einbezogen. Sie sind irrtümlich davon ausgegangen, dass
dieser Verwaltungsakt nach § 96 Abs 1 SGG Gegenstand der am 15.12.2006 erhobenen
kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geworden ist. Nach dieser Vorschrift (in der
vor dem 1.4.2008 geltenden Fassung) wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des
Verfahrens, wenn er nach Klageerhebung den (angefochtenen) Verwaltungsakt abändert
oder ersetzt. Dies ist hier nicht der Fall.
21 Gegenstand der am 15.12.2006 erhobene Anfechtungsklage ist die durch Bescheid vom
5.7.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2006 erfolgte Ablehnung
der Gewährung von Grundrente, Kleiderverschleißpauschale, Pflegezulage und
Schwerstbeschädigtenzulage für die Zeit vor dem 1.9.2004. Soweit der Kläger mit der
Leistungsklage "Beschädigtenversorgung ab dem 22.9.1998" geltend macht, ist dieses
Begehren nach § 123 SGG dahingehend auszulegen, dass er alles zugesprochen haben
möchte, was ihm auf Grund des Sachverhalts zusteht. In zulässiger Weise kann er jedoch
nur genau bestimmte Leistungen einklagen, über die bereits eine mit der Klage
angefochtene Verwaltungsentscheidung vorliegt, also Grundrente,
Kleiderverschleißpauschale, Pflegezulage und Schwerstbeschädigtenzulage. Durch
Bescheid vom 3.1.2007 hat das damals zuständige Versorgungsamt über eine weitere
Leistung und deren Beginn entschieden und dem Kläger ebenfalls erst ab 1.9.2004
Ausgleichsrente gewährt. Damit hat es den angefochtenen Verwaltungsakt weder
abgeändert noch ersetzt, denn der Regelungsgegenstand des neuen Verwaltungsakts ist
nicht mit dem des früheren Verwaltungsakts identisch (vgl BSGE 47, 168, 170 = SozR 1500
§ 96 Nr 13 S 19 f; BSGE 77, 279, 281 = SozR 3-2500 § 85 Nr 10 S 55; BSGE 78, 98, 100 f =
SozR 3-2500 § 87 Nr 12 S 36 f; BSGE 90, 143, 144 f = SozR 3-2500 § 37 Nr 5 S 29 f ). Dies
kommt auch im Wortlaut des Bescheids zum Ausdruck ("im Anschluss an den Bescheid vom
5.7.2006 ergeht weiterer Bescheid").
22 Vorliegend sprechen auch keine Gründe der Prozessökonomie für eine weite Auslegung
oder eine entsprechende Anwendung des § 96 Abs 1 SGG (dazu etwa BSGE 47, 168, 170 =
SozR 1500 § 96 Nr 13 S 20; BSGE 78, 98, 101 ff = SozR 3-2500 § 87 Nr 12 S 36 ff; BSGE
90, 143, 145 = SozR 3-2500 § 37 Nr 5 S 29 f; BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1,
jeweils RdNr 8; BSGE 93, 109 = SozR 4-5375 § 2 Nr 1, jeweils RdNr 10 ff; BSG SozR 4-
2500 § 18 Nr 5 RdNr 14) . Denn in Bezug auf den Bescheid über die Ausgleichsrente für
einen jugendlichen Schwerbeschädigten müsste auf zusätzliche für den konkreten Anspruch
rechtserhebliche tatsächliche Gesichtspunkte eingegangen werden. Gemäß § 34 Abs 2 Satz
1 BVG ist diese Leistung nämlich nur insoweit zu gewähren, als dies nach den
wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschädigten und seiner unterhaltspflichtigen
Angehörigen gerechtfertigt ist. Die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse für den Zeitraum
September 1998 bis August 2004, die hier die Vorinstanzen unterlassen haben, würde zu
einer Komplizierung des Verfahrens führen, die dem Zweck des § 96 Abs 1 SGG, eine
schnelle, erschöpfende Entscheidung über das gesamte Streitverhältnis zu ermöglichen,
widersprechen würde. Der Kläger erleidet dadurch auch keinen Rechtsnachteil, denn das
damals zuständige Versorgungsamt K. hatte ihn in der Rechtsbehelfsbelehrung zutreffend
darüber belehrt, dass gegen den Bescheid vom 3.1.2007 Widerspruch erhoben werden
kann, den er auch fristgerecht eingelegt hat.
23 Die Nichtanwendbarkeit des § 96 Abs 1 SGG schließt es zwar nicht aus, dass die Beteiligten
den Bescheid vom 3.1.2007 im Wege der (gewillkürten) Klageänderung nach § 99 Abs 1
SGG zum Gegenstand des anhängigen Verfahrens gemacht haben. Aus den Akten ergeben
sich jedoch weder Anhaltspunkte dafür, dass das SG insoweit eine Klageänderung für
sachdienlich gehalten hat (§ 99 Abs 1 Nr 1 SGG), noch dass darin der Beklagte eingewilligt
hat (§ 99 Abs 1 Nr 2 und Abs 2 SGG). Zudem setzt eine Klageänderung grundsätzlich
voraus, dass die neue Klage zulässig ist, also ein Vorverfahren durchgeführt worden ist (§ 78
SGG; vgl etwa BSG SozR 4-2700 § 63 Nr 3 RdNr 14). Dies ist hier nicht der Fall.
24 Die fehlerhafte Einbeziehung eines neuen Verwaltungsakts hat das Revisionsgericht ohne
Rüge von Amts wegen als Verfahrensfehler zu berücksichtigen (vgl etwa BSG SozR 3-1500
§ 29 Nr 1 S 6; BSGE 91, 287 = SozR 4-2700 § 160 Nr 1, jeweils RdNr 6) . Das hat hier zur
Folge, dass die Urteile der Vorinstanzen schon aus diesem Grund insoweit aufzuheben sind,
als darin über den Bescheid des Versorgungsamts Köln vom 3.1.2007 entschieden worden
ist. Auf die Berufung des Beklagten ist deshalb insoweit das Urteil des SG in der Fassung
des Berichtigungsbeschlusses aufzuheben und die Klage als unzulässig abzuweisen.
25 2. Im Übrigen ist die Revision des Beklagten im Sinne der Zurückverweisung begründet (§
170 Abs 2 Satz 2 SGG) . Ob das SG - bestätigt vom LSG - der kombinierten Anfechtungs-
und Leistungsklage, soweit sich diese gegen die Ablehnung eines früheren
Leistungsbeginns von Grundrente, Kleiderverschleißpauschale, Pflegezulage und
Schwerstbeschädigtenzulage im Bescheid vom 5.7.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30.11.2006 richtet, zu Unrecht stattgegeben hat, kann der
Senat aufgrund der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend
entscheiden. Er lässt insoweit offen, ob der Urteilsausspruch des SG hinsichtlich aller
streitigen Leistungen hinreichend bestimmt ist. Zwar ergibt sich entgegen der Auffassung
von SG und LSG ein früherer Leistungsbeginn als ab 1.9.2004 (Beginn des Antragsmonats)
nicht aus § 1 Abs 1 Satz 1 OEG iVm § 60 Abs 1 Satz 3 BVG. Ob der Kläger jedoch unter dem
Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen ist, als habe
seine Mutter als seine gesetzliche Vertreterin den Antrag früher gestellt, kann nach den
bisherigen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts vom Senat nicht beurteilt werden.
26 a) Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des
Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes (vgl hierzu BSG SozR 4-1500 § 57
Nr 2 RdNr 4; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, jeweils RdNr 13 f; BSGE 101, 177 =
SozR 4-2500 § 109 Nr 6 RdNr 13) stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte
Landschaftsverband passiert legitimiert ist, denn § 4 Abs 1 Eingliederungsgesetz hat die den
Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des Sozialen Entschädigungsrechts
einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die
Landschaftsverbände übertragen. Wie der Senat bereits entschieden hat, verstößt diese
Aufgabenübertragung nicht gegen höherrangiges Recht (vgl Urteile vom 11.12.2008 - B 9 V
3/07 R zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen und - B 9 VS 1/08 R - zur Veröffentlichung
in BSGE und SozR vorgesehen; Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R -). Sie hat zur Folge,
dass allein der im Lauf des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die vom Kläger
beanspruchten Leistungen gewähren kann, sodass sich hier die kombinierte Anfechtungs-
und Leistungsklage ab 1.1.2008 gegen den Landschaftsverband Rheinland zu richten hatte.
27 b) Ein Anspruch des Klägers auf die von ihm begehrten Leistungen für die Zeit vor dem
1.9.2004 richtet sich nach § 1 OEG iVm den Vorschriften des BVG. Dass er am 22.9.1998
Opfer einer Gewalttat iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG geworden ist und dadurch eine bleibende
gesundheitliche Schädigung erlitten hat, steht nach den tatsächlichen Feststellungen des
LSG außer Zweifel; die damalige Versorgungsverwaltung hat dem Kläger auch ab dem
Beginn des Antragsmonats (1.9.2004) Leistungen nach dem OEG iVm dem BVG zuerkannt.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen lässt sich ein früherer Beginn der betreffenden
Leistungen (Grundrente, Kleiderverschleißpauschale, Pflegezulage und
Schwerstbeschädigtenzulage) nicht aus § 1 Abs 1 Satz 1 OEG iVm § 60 Abs 1 Satz 3 BVG
herleiten; denn die Mutter des Klägers war als dessen gesetzliche Vertreterin nicht ohne
Verschulden gehindert, vor Ablauf der Jahresfrist des § 60 Abs 1 Satz 2 BVG Antrag auf
Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu stellen.
28 Nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG iVm § 60 Abs 1 Satz 1 BVG beginnen auch bei Opfern von
Gewalttaten die Leistungen der Beschädigtenversorgung im Grundsatz mit dem
Antragsmonat, wenn die sonstigen materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Ausnahmsweise eröffnet § 60 Abs 1 Satz 2 BVG eine Rückwirkung, wenn der Antrag
innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird. Die Jahresfrist wird nach §
60 Abs 1 Satz 3 BVG wiederum um den Zeitraum verlängert, in dem eine unverschuldete
Verhinderung der Antragstellung vorlag. Ihrer Wirkung nach ermöglicht die (verlängerte)
Jahresfrist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Eintritt der Schädigung.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen sind hier die Voraussetzungen des
Verlängerungstatbestands des § 60 Abs 1 Satz 3 BVG nicht gegeben, denn der Kläger war
nicht ohne Verschulden gehindert, bis zum Ablauf der Jahresfrist (beginnend mit dem Eintritt
der Schädigung) Leistungen der Beschädigtenversorgung nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG iVm §
9, §§ 10 ff, §§ 29 ff BVG zu beantragen.
29 Ein eigenes Verschulden des Klägers scheidet allerdings schon deshalb aus, weil dieser als
Kleinkind in der Zeit vom 23.9.1998 bis zum 22.9.1999 (also während der Jahresfrist des §
60 Abs 1 Satz 3 BVG) weder geschäftsfähig (§ 104 Nr 1 BGB) noch sozialrechtlich
handlungsfähig (§ 36 Abs 1 SGB I) war und deshalb keine rechtswirksamen
Willenserklärungen abgeben, mithin auch keinen Antrag nach dem OEG stellen konnte (zum
Antrag als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung stellvertretend BSG SozR 3-
1200 § 16 Nr 2 S 5; BSG SozR 4-1200 § 44 Nr 2 RdNr 23; BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B
9/9a VG 1/07 R - RdNr 20, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
30 Der Kläger muss sich jedoch entsprechend der in § 27 Abs 1 Satz 2 SGB X getroffenen
Regelung sowie den zu § 67 Abs 1 SGG von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen
ein Verschulden seiner Mutter als seiner gesetzlichen Vertreterin zurechnen lassen (vgl
BSGE 59, 40, 41 f = SozR 3800 § 1 Nr 5 S 13; BSG SozR 3-3100 § 60 Nr 3 S 5; BSGE 94,
282 = SozR 4-3800 § 1 Nr 8, jeweils RdNr 6; BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R
-, RdNr 21, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; zur Zurechnung des Verschuldens des
gesetzlichen Vertreters auch § 51 Abs 2 ZPO). Danach liegt ein Verschulden nur dann nicht
vor, wenn der Vertreter die nach den Umständen des Falles zu erwartende Sorgfalt beachtet
hat. Grundsätzlich gilt insoweit ein subjektiver Maßstab. Es sind insbesondere der
Geisteszustand, das Alter, der Bildungsgrad und die Geschäftsgewandtheit zu
berücksichtigen. Rechtsunkenntnis schließt ein Verschulden allerdings nicht aus (vgl BSG
SozR 3-3100 § 60 Nr 3 S 5).
31 Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit
für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG war
gesetzlicher Vertreter des Klägers allein seine Mutter (§§ 1626, 1629 BGB). Diese war
entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht gehindert, bis zum Ablauf der Jahresfrist -
also bis zum 22.9.1999 (§ 187 Abs 1, § 188 Abs 2 BGB) - einen Antrag auf Leistungen nach
dem OEG zu stellen.
32 Als gesetzliche Vertreterin des Klägers wäre die Mutter des Klägers verpflichtet gewesen,
dessen Interessen wahrzunehmen. Zu ihren objektiven Betreuungspflichten hätte es gehört,
rechtzeitig (innerhalb der Jahresfrist des § 60 Abs 1 Satz 2 BVG) einen Versorgungsantrag
nach dem OEG zu stellen. Dass diese Möglichkeit besteht, hat sie spätestens nach dem
Hinweis des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht im März 1999,
also etwa ein halbes Jahr nach der Tat, gewusst. Nach den bisherigen Feststellungen des
LSG liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Mutter im Hinblick auf ihren
Geisteszustand, ihr Alter, ihren Bildungsstand und/oder ihre Geschäftsgewandtheit subjektiv
nicht in der Lage gewesen wäre, die nach den Umständen des Falles zu erwartende
zumutbare Sorgfalt bei der Antragstellung zu beachten. Auch ein Entschuldigungsgrund ist
nicht ersichtlich.
33 Dem Gebot, im Interesse des Kindes rechtzeitig Antrag auf Leistungen nach dem OEG zu
stellen, standen entgegen der Auffassung der Vorinstanzen im vorliegenden Fall keine
eigenen schutzwürdigen tat- oder täterbestimmten Interessen entgegen, die dazu führen
könnten, das Verschulden des gesetzlichen Vertreters ausnahmsweise nicht dem
minderjährigen Gewaltopfer zuzurechnen. Allerdings hat das BSG von dem Grundsatz, dass
eine pflichtwidrig unterlassene rechtzeitige Antragstellung des gesetzlichen Vertreters dem
Opfer einer Gewalttat iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zuzurechnen ist, in seiner bisherigen
Rechtsprechung Ausnahmen zugelassen:
34 Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 4/83 - (BSGE 59, 40 =
SozR 3800 § 1 Nr 5) das pflichtwidrige Unterlassen des gesetzlichen Vertreters dann nicht
dem Opfer zugerechnet, wenn der gesetzliche Vertreter zugleich der Täter war und deshalb
den Widerspruch zwischen seinem Eigeninteresse (als Täter unentdeckt zu bleiben) und
den Interessen des von ihm Vertretenen zu dessen Lasten gelöst hat. Dieser
Interessenwiderstreit darf sich nicht nachteilig auf den Versorgungsanspruch des
Minderjährigen auswirken, denn nach dem Schutzzweck des OEG kann es nicht im Belieben
des Schädigers liegen, den von der Gewalttat Betroffenen (oder dessen Hinterbliebene) von
einer Entschädigung nach dem OEG auszuschließen (vgl BSGE 59, 40, 42 = SozR 3800 § 1
Nr 5 S 13; dazu auch BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - RdNr 23, zur
Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
35 Diese Rechtsprechung hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28.4.2005 - B 9a/9
VG 1/04 R - (BSGE 94, 282 = SozR 4-3800 § 1 Nr 8) fortgeführt: In dem damaligen Fall
wurde das Opfer über Jahre hinweg vom Stiefvater (also dem Ehemann der allein
personensorgeberechtigten Mutter) sexuell schwer missbraucht. Der Senat hat den
vorgenannten Rechtsgrundsatz erweitert und dem minderjährigen Gewaltopfer das
Verschulden seines gesetzlichen Vertreters, der aus tat- und täterbestimmten eigenen
Interessen keinen Antrag auf Beschädigtenrente stellt, nicht zugerechnet. Nach dem
Schutzzweck des OEG darf es auch nicht in der Hand von sorgeberechtigten Eltern, die dem
Gewalttäter familiär und durch gleichgelagerte Interessen eng verbunden sind, liegen, ihr
Kind als Opfer einer Gewalttat von zügiger Entschädigung nach dem OEG auszuschließen
(aaO, jeweils RdNr 9) . Maßgebend für diese Wertung war der Interessenkonflikt, in dem die
Mutter (in jenem Fall) stand. Einerseits durfte die Tat nicht offenbar werden, weil damit
zumindest - auch eigener - empfindlicher Ansehensverlust verbunden gewesen wäre und
dem gewalttätigen Familienangehörigen (Ehemann der gesetzlichen Vertreterin)
Kriminalstrafe bis zum Freiheitsentzug drohte. Andererseits hätte sie in Erfüllung ihrer
Pflichten dem Kind gegenüber für dieses einen Versorgungsantrag stellen und dabei
grundsätzlich Tat und Täter angeben müssen. Diese Konfliktlage bestand in jenem Fall auch
nach Einleitung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen fort, weil es den persönlichen
Interessen des personensorgeberechtigten Elternteils zuwiderlief, an der vollständigen
Aufdeckung des Tatgeschehens irgendwie mitzuwirken, insbesondere weil eine
Antragstellung nach dem OEG zum Bruch der Beziehungen zu dem straffällig gewordenen
Familienangehörigen (Ehemann der gesetzlichen Vertreterin) hätte führen können. Räumen
Eltern in einer solchen Situation ihren eigenen und den damit eng verbundenen Interessen
des Gewalttäters den Vorrang ein, so ist ein solches tatbestimmtes und täterbezogenes
Versagen des gesetzlichen Vertreters dem kindlichen Gewaltopfer im Rahmen des § 60 Abs
1 OEG nicht als Verschulden zuzurechnen (aaO, jeweils RdNr 9).
36 An diese Ausführungen des erkennenden Senats haben die Vorinstanzen angeknüpft und
auch im vorliegenden Fall eine schutzwürdige Konfliktsituation für gegeben erachtet, in der
ausnahmsweise dem Gewaltopfer die schuldhaft unterlassene Antragstellung des
gesetzlichen Vertreters nicht zugerechnet werden könne. Eine solche Lage haben die
Vorinstanzen darin gesehen, dass die Antragstellung nach dem OEG und der aus der Sicht
der Mutter zu erwartende Regress gegen den Vater zu einem Bruch oder einer erheblichen
Belastung der Beziehung zwischen den Eltern des Klägers hätte führen können. Sie haben
es deshalb für die Annahme eines Ausnahmetatbestandes als ausreichend angesehen,
dass die Mutter des Klägers ihren Interessen an der Aufrechterhaltung der (Liebes-
)Beziehung zum Vater, mit dem sie weder verheiratet war noch zusammenlebte, Vorrang
eingeräumt hat. Dem vermag der erkennende Senat nicht uneingeschränkt zu folgen.
37 Der vorliegende Fall gibt allerdings Anlass, die bisherige Rechtsprechung
weiterzuentwickeln: Ein die Zurechnung von Verschulden des gesetzlichen Vertreters
ausschließender Interessenkonflikt liegt auch dann vor, wenn eine dem Gewalttäter eng
verbundene Person durch die Antragstellung (als materiell-rechtliche Voraussetzung von
Versorgungsansprüchen nach dem OEG) zivilrechtliche Regressansprüche des
Kostenträgers des OEG (§ 5 Abs 1 OEG iVm § 81a Abs 1 Satz 1 BVG) gegen den Schädiger
auslösen würde. Auch in diesem Falle besteht ein vom Schutzzweck des OEG erfasstes tat-
und täterbestimmtes eigenes Interesse des gesetzlichen Vertreters, keinen Antrag nach dem
OEG zu stellen.
38 Schutzwürdig ist dieser Interessenkonflikt jedoch nur bei Personen, die dem Gewalttäter
hinreichend eng verbunden sind. Nur diesem Personenkreis gesteht die Rechtsordnung
durch ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 383 Abs 1 Nr 1 bis 3 ZPO) als Ausnahme von der
allgemeinen öffentlich-rechtlichen Zeugnispflicht einen Schutz zu, nichts offenbaren zu
müssen, was zu Konfliktslagen führen könnte. Durch das Zeugnisverweigerungsrecht sollen
Konfliktsituationen innerhalb der Familie vermieden und damit zugleich der Zusammenhalt
der Familie gestärkt werden (vgl zum Normzweck des Zeugnisverweigerungsrechts nach §
383 Abs 1 Nr 1 bis 3 ZPO: Berger in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl 2006, § 383 RdNr 1; Damrau
in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl 2008, § 383 RdNr 1; Greger in Zöller, ZPO, 27.
Aufl 2009, § 383 RdNr 1a; zum Zeugnisverweigerungsrecht als Anknüpfungspunkt für die
Konfliktslage schon LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13.11.2003 - L 7 (5) VG 22/02 - Breith
2004, 674). Zu den in diesem Sinne familiär eng verbundenen Personen gehören nach §
383 Abs 1 Nr 1 ZPO der/die Verlobte einer Partei, also Personen, die sich nach bürgerlichem
Recht (§ 1297 BGB) wechselseitig die Ehe versprochen haben. Eine Liebesbeziehung allein
genügt nicht, da der Gesetzgeber bewusst nicht jede mögliche Konfliktsituation entschärfen
wollte, sondern auf formale Kriterien abgestellt hat (vgl Damrau, aaO, RdNr 15) .
39 Nach den für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Tatsachenfeststellungen haben sich die
Mutter und der Vater des Klägers erst nach Ablauf der Jahresfrist (22.9.1999), nämlich im
Frühjahr 2000, verlobt. Der Mutter hätte deshalb erst ab diesem Zeitpunkt ein
Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs 1 Nr 1 ZPO zugestanden. Es ist mithin
unerheblich, dass sich die Mutter bereits in dem Jahr nach der Schädigung des Klägers dem
Vater wieder zugewandt hat, denn eine Liebesbeziehung begründet noch keine von der
Rechtsordnung durch ein Zeugnisverweigerungsrecht anerkannte Konfliktlage. Damit bleibt
es dabei, dass es dem Kläger als Verschulden des gesetzlichen Vertreters zuzurechnen ist,
dass seine Mutter innerhalb der Jahresfrist nach Eintritt der Schädigung keinen Antrag nach
dem OEG gestellt hat.
40 c) Ob der Kläger unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so
zu stellen ist, als habe seine Mutter als seine gesetzliche Vertreterin den Antrag früher
gestellt, kann nach den bisherigen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts vom
Senat nicht beurteilt werden. Das LSG hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - die
Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sowohl in rechtlicher als
auch in tatsächlicher Hinsicht nicht näher geprüft.
41 aa) Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf
die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen
würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten
Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder
Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§ 14, § 15 SGB I),
ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Er setzt demnach eine dem Sozialleistungsträger
zurechenbare behördliche Pflichtverletzung voraus, die (als wesentliche Bedingung) kausal
für einen sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten ist. Außerdem ist erforderlich, dass
durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der
bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht
verletzt hätte (stRspr vgl etwa BSGE 41, 126, 127 f = SozR 7610 § 242 Nr 5 S 3 f; BSGE 49,
30, 33 = SozR 4220 § 6 Nr 3 S 5 f; BSGE 57, 288, 290 = SozR 1200 § 14 Nr 18 S 42 f; BSGE
58, 283, 284 f = SozR 1200 § 14 Nr 20 S 50 f; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 16 S 49 ff; BSG
SozR 3-1200 § 14 Nr 22 S 74; BSGE 79, 168, 171 ff = SozR 3-2600 § 115 Nr 1 S 5 ff; BSGE
92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr 1, jeweils RdNr 24; BSGE 92, 182 = SozR 4-6940 Art 3 Nr 1,
jeweils RdNr 25; BSGE 92, 267 = SozR 4-4300 § 137 Nr 1, jeweils RdNr 30 f).
42 Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass die Regelung des § 60 BVG die
Begründung eines früheren Leistungsbeginns im Wege des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs nicht ausschließt, insbesondere wenn feststeht, dass eine Behörde
pflichtwidrig eine gebotene Beratung über bestehende Antragsmöglichkeiten unterlassen hat
(vgl BSG SozR 3-3100 § 60 Nr 3 S 6; BSGE 92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr 1, jeweils RdNr
24; BSG, Urteil vom 16.12.2004 - B 9 VJ 2/03 R -, juris RdNr 25; BSG SozR 4-3800 § 1 Nr 9
RdNr 32 ff; zur Antragsfiktion im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auch
BSGE 58, 283, 284 = SozR 1200 § 14 Nr 20 S 50; BSG SozR 3-5868 § 85 Nr 8 S 45 f; BSGE
92, 182 = SozR 4-6940 Art 3 Nr 1, jeweils RdNr 33; BSG SozR 4-2600 § 4 Nr 2 RdNr 14 ff;
BSGE 96, 44 = SozR 4-1300 § 27 Nr 2, jeweils RdNr 19 ff; BSG SozR 4-4100 § 106 Nr 1
RdNr 14). Die Anwendungsbereiche beider Rechtsinstitute sind nicht deckungsgleich. § 60
Abs 1 Satz 3 BVG verschafft praktisch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei
Eintritt der Schädigung. Der Herstellungsanspruch erfasst ua Fristversäumnisse, die auf
Behördenfehlern beruhen ( zum Nebeneinander der gesetzlichen
Wiedereinsetzungsregelung in § 27 SGB X und des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs: BSGE 96, 44 = SozR 4-1300 § 27 Nr 2, jeweils RdNr 21 ff).
43 Grundlage für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ist insbesondere § 14 SGB I.
Danach hat jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem
Sozialgesetzbuch. Zuständig für die Beratung sind (grundsätzlich) die Leistungsträger,
denen gegenüber Rechte geltend zu machen oder Pflichten zu erfüllen sind. In der Regel
wird die Beratungspflicht durch ein entsprechendes Begehren des Berechtigten ausgelöst.
Aber auch unabhängig davon ist der Leistungsträger gehalten, bei Vorliegen eines
konkreten Anlasses auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die
sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und von jedem verständigen Berechtigten
mutmaßlich genutzt werden (sog Spontanberatung, vgl hierzu etwa BSG SozR 3-1200 § 14
Nr 16 S 49 f; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 22 S 74; BSGE 91,1 = SozR 4-2600 § 115 Nr 1,
jeweils RdNr 37; BSGE 92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr 1, jeweils RdNr 29; BSG SozR 4-
1200 § 14 Nr 5 RdNr 9) . Die Verletzung ua der Beratungspflicht kann zu einem
sozialrechtlichen Herstellungsanspruch des Berechtigten gegen den betreffenden
Leistungsträger führen.
44 Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kann sich ein sozialrechtlicher
Herstellungsanspruch auch aus einem fehlerhaften Verhalten anderer Behörden ergeben,
das sich der zuständige Leistungsträger zurechnen lassen muss. Einer anderen Behörde als
der für die Entscheidung über die Leistung befugten Stelle kann eine Beratungspflicht, deren
Verletzung zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegen den zuständigen
Leistungsträger führen kann, dann obliegen, wenn die andere Behörde vom Gesetzgeber im
Sinne einer Funktionseinheit in das Verwaltungsverfahren "arbeitsteilig" eingeschaltet ist
(vgl etwa BSGE 57, 288, 290 = SozR 1200 § 14 Nr 18 S 42 f; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 22
S 74 mwN; BSG SozR 4-1200 § 14 Nr 5 RdNr 13). Ebenso muss sich ein Leistungsträger
das Fehlverhalten derjenigen Behörde zurechnen lassen, deren Funktionsnachfolge er
angetreten hat (vgl BSGE 58, 283, 284 f = SozR 1200 § 14 Nr 20 S 50 f; BSG, Urteil vom
16.12.2004 - B 9 VJ 2/03 R -, juris RdNr 28). Eine zurechenbare Beratungspflichtverletzung
wird von der Rechtsprechung des BSG auch dann angenommen, wenn die
Zuständigkeitsbereiche beider Stellen materiell-rechtlich eng miteinander verknüpft sind, die
andere Behörde im maßgeblichen Zeitpunkt aufgrund eines bestehenden Kontaktes der
aktuelle "Ansprechpartner" des Berechtigten ist und sie - die Behörde - aufgrund der ihr
bekannten Umstände erkennen kann, dass bei dem Berechtigten im Hinblick auf das andere
sozialrechtliche Gebiet ein dringender Beratungsbedarf in einer gewichtigen Frage besteht
(vgl BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 22 S 75).
45 bb) Ob im vorliegenden Fall eine behördliche Betreuungspflicht, insbesondere eine
Beratungspflicht, verletzt worden ist, die zu einem sozialrechtlichen Nachteil (Unterlassen
einer früheren Antragstellung) geführt hat, hat das LSG nicht näher geprüft. Nach seinen
Feststellungen hatte die Mutter des Klägers zwischen dem Eintritt der Schädigung im
September 1998 und der Antragstellung im September 2004 Kontakte zur Krankenkasse (im
Jahre 1999), zur Pflegekasse (Antrag und Bewilligung von Pflegegeld im Jahre 2000) und
zur Versorgungsverwaltung (Antrag und Feststellung einer Behinderung nach dem SGB IX
im Jahre 2001). Feststellungen dazu, ob in diesem Rahmen eine behördliche
Betreuungspflicht im vorgenannten Sinne dem Beklagten zurechenbar verletzt worden ist,
fehlen. Da der erkennende Senat die danach noch fehlenden Tatsachenfeststellungen im
Revisionsverfahren nicht nachholen kann, ist das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben
und die Sache - soweit er den Bescheid vom 5.7.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30.11.2006 betrifft - an das LSG zurückzuverweisen (§ 170
Abs 2 Satz 2 SGG).
46 3. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das LSG eingehend zu prüfen haben, ob im
Rahmen der festgestellten Kontakte zur Krankenkasse und zur Pflegekasse ein etwaiges
Fehlverhalten einer anderen Behörde vorgelegen hat, das sich der Beklagte zurechnen
lassen muss. Insoweit bestehen allerdings erhebliche Zweifel, denn die Krankenkasse, zu
der die Mutter des Klägers nach den Feststellungen des LSG im Jahre 1999 Kontakt hatte,
dürfte nicht arbeitsteilig in das Verfahren nach dem OEG iVm dem BVG eingebunden
gewesen sein. Auch sind die Zuständigkeitsbereiche der für die Opferentschädigung und die
gesetzliche Krankenversicherung zuständigen Leistungsträger erst nach Antragstellung des
Geschädigten materiell-rechtlich, insbesondere was die Heil- und Krankenbehandlung (§ 9
Nr 1, §§ 10 ff BVG) anbelangt, eng miteinander verknüpft (vgl BSGE 61, 180, 181 f = SozR
3100 § 19 Nr 17 S 50 ff) . Die Krankenkasse dürfte demnach im Jahre 1999 nicht der aktuelle
"Ansprechpartner" des Klägers in Sachen Opferentschädigung gewesen sein. Allenfalls aus
eigenem Interesse hätte die Krankenkasse tätig werden können, denn vor einer
Antragstellung als materiell-rechtlicher Voraussetzung für einen Anspruch auf Versorgung (§
1 Abs 1 Satz 1 OEG iVm § 60 Abs 1 BVG) bestand keine - die Krankenkasse von ihrer
Leistungspflicht befreiende - Leistungspflicht des für die Opferentschädigung zuständigen
Leistungsträgers (vgl dazu BSG SozR 2200 § 205 Nr 55 S 151) . Es gibt im Übrigen keine
gesetzliche Vorschrift, nach der die Krankenkasse einen Antrag nach dem OEG unabhängig
von der Willenserklärung des Geschädigten (oder seines gesetzlichen Vertreters) stellen
kann (vgl dazu BSGE 61, 180 = SozR 3100 § 19 Nr 17) , etwa vergleichbar der sich für das
Jugendamt aus § 97 Satz 1 SGB VIII ergebenden Antragsbefugnis (hierzu BSG, Urteil vom
11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R -, juris RdNr 25, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) .
Für die Pflegekasse, zu der nach den Feststellungen des LSG die Mutter des Klägers im
Jahre 2000 Kontakt hatte, gilt nichts anderes. Auch insoweit dürfte es sowohl an einer
arbeitsteiligen Einbeziehung in das Verwaltungsverfahren nach dem OEG iVm dem BVG als
auch - vor einer Antragstellung des Geschädigten - an einer engen materiell-rechtlichen
Verknüpfung fehlen.
47 Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, der sich ab 1.1.2008 gegen den Beklagten
richten würde, könnte sich weiterhin aus dem Verhalten der Versorgungsverwaltung im
Rahmen des im Jahre 2001 eingeleiteten Verfahrens zur Feststellung einer Behinderung
nach dem SGB IX ergeben. Das LSG wird deshalb auch dazu Feststellungen zu treffen
haben, ob in diesem Verfahren konkreter Anlass zu einer Spontanberatung bestanden hat.
Dies könnte insbesondere dann der Fall gewesen sein, wenn sich aus den von der Mutter
des Klägers eingereichten Unterlagen oder den beigezogenen medizinischen Befunden und
Stellungnahmen Anhaltspunkte für eine Gewalttat mit gesundheitlichen Folgen ergaben; in
diesem Fall hätte es sich der Versorgungsverwaltung offensichtlich aufdrängen müssen, die
Mutter des Klägers auf die Antragsmöglichkeit nach dem OEG hinzuweisen. In diesem
Zusammenhang wird das LSG allerdings auch die Frage der Kausalität zu klären haben,
nämlich ob eine (möglicherweise) unterlassene (Spontan-)Beratung der
Versorgungsverwaltung oder aber das Verhalten der Mutter des Klägers wesentliche
Bedingung dafür war, dass vor September 2004 kein Antrag nach dem OEG gestellt worden
ist (hierzu etwa BSGE 91,1 = SozR 4-2600 § 115 Nr 1, jeweils RdNr 61). Zweifel hinsichtlich
der Kausalität bestehen vor allem deshalb, weil die Mutter des Klägers, wie das LSG
festgestellt hat, einen Antrag nach dem OEG trotz des Hinweises durch das Schwurgericht
im März 1999 - jedenfalls bis zur Beendigung der Beziehung zum Vater des Klägers Anfang
September 2004 - deshalb nicht gestellt hat, weil sie finanzielle Nachteile für den Vater
befürchtete. Dem Senat als Revisionsinstanz sind jedoch Rückschlüsse aus dem Verhalten
der Mutter des Klägers verwehrt, denn die Beurteilung, welche die wesentliche, dh
zumindest gleichwertige Bedingung für die unterlassene Antragstellung war, ist Aufgabe der
Tatsacheninstanz (so auch BSG SozR 4-4100 § 106 Nr 1 RdNr 20).
48 Schließlich wird das LSG auch der von ihm im angefochtenen Urteil aufgeworfenen Frage
nachzugehen haben, ob angesichts des Verhaltens der Mutter von der
Versorgungsverwaltung das Jugendamt hätte eingeschaltet werden müssen. Das
Jugendamt darf allerdings nur tätig werden, wenn es eine Aufgabe der Jugendhilfe nach § 2
SGB VIII wahrnimmt, wozu auch die Amtspflegschaft nach § 2 Abs 2 Nr 11, § 55 Abs 1 SGB
VIII, §§ 1793, 1915 BGB gehört. Dies hätte wiederum vorausgesetzt, dass der Mutter des
Klägers vom Familiengericht die Personensorge hinsichtlich der Antragsbefugnis nach dem
OEG entzogen (§§ 1666 BGB) und dem Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen
worden wäre (§ 1909 BGB; vgl hierzu auch BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R -,
juris RdNr 22, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Ob die Betreuungspflicht der
Versorgungsverwaltung soweit reicht und ob die Glieder dieser mehrgliedrigen Kausalkette
im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden können, bedarf
einer eingehenden Prüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (zur Fiktion von
Handlungen außerhalb des Zuständigkeitsbereiches eines Sozialleistungsträgers vgl etwa
BSGE 92, 267 = SozR 4-4300 § 137 Nr 1; BSG SozR 4-4300 § 330 Nr 3
). Dabei wird das LSG vor allem auch zu berücksichtigen
haben, dass das Antragserfordernis des OEG vor allem auch dem Schutz des
Selbstbestimmungsrechts jedes Geschädigten dient (vgl BSGE 61, 180, 182 f = SozR 3100
§ 19 Nr 17 S 51 f) . Die auf einem Interessenkonflikt beruhende Weigerung des gesetzlichen
Vertreters, zu Gunsten des Geschädigten einen Antrag zu stellen, wird deshalb erst dann
von Belang sein, wenn sie im Hinblick auf die Differenz zwischen den zu beanspruchenden
Leistungen nach dem OEG iVm dem BVG und den Leistungen, mit denen der
Lebensunterhalt des Geschädigten tatsächlich bestritten wird, gänzlich unverständlich
erscheint.
49 Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.