Urteil des BSG vom 23.09.2003

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Bundessozialgericht
Urteil vom 23.09.2003
Sozialgericht Düsseldorf
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
Bundessozialgericht B 4 RA 48/02 R
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Juni 2002
aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt von der Beklagten für Beschäftigungszeiten, die sie in Polen von 1976 bis 1988 zurückgelegt hat
und die von der Beklagten als Tatbestände gleichgestellter Beitragszeiten iS des § 15 Fremdrentengesetz (FRG)
festgestellt worden sind, die als versichert geltenden Arbeitsverdienste ua unter Zugrundelegung der
Qualifikationsgruppe 3 in der Anlage 13 zum Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) vorzumerken.
Die 1943 geborene Klägerin übte in Polen von September 1959 bis Januar 1988 verschiedene Beschäftigungen aus.
Vom 1. September 1959 bis 20. Juni 1962 absolvierte sie mit Erfolg eine Lehre als Schneiderin und war anschließend
vom 26. Oktober 1962 bis 14. Juni 1963 als Schneiderin beschäftigt. Vom 17. August bis 30. Oktober 1964 arbeitete
sie als Postassistentin. Vom 1. Juni 1967 bis 26. Oktober 1976 war sie als Buchhalterin tätig. Während dieser Zeit
erwarb sie im März 1976 das Reifezeugnis an einem allgemein bildenden Lyzeum für Berufstätige; dies entsprach in
der Bundesrepublik einem Sekundarabschluss I (Fachhochschulreife). Vom 1. November 1976 bis 31. Mai 1980
arbeitete sie als Sachbearbeiterin in einem Speditions- und Transportunternehmen. Vom 2. Juni 1980 bis 31. Januar
1988 war sie als Schulsekretärin bzw "Obersachbearbeiterin"/"Leitende Referentin" beschäftigt.
Die Klägerin siedelte im Januar 1988 in die Bundesrepublik über. In einem Kontenklärungsverfahren merkte die
Beklagte die in Polen zurückgelegten Beschäftigungs- und Beitragszeiten als Tatbestände gleichgestellter
Pflichtbeitragszeiten nach dem FRG vor. Hierbei ordnete sie ua die Beschäftigungen vom 26. Oktober 1962 bis 31.
Januar 1988 jeweils der Qualifikationsgruppe 4 (Facharbeiter) in der Anlage 13 zum SGB VI zu (Bescheid vom 9. April
1999).
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie in Polen drei Jahre eine Berufsschule und vier Jahre das
Gymnasium besucht und das Abitur erworben habe. Zudem habe sie nach ihrer Übersiedlung in der Bundesrepublik
drei Jahre eine Altenpflegeschule besucht. Sie sei daher in die Qualifikationsgruppe 3 einzustufen. Den Widerspruch
wies die Beklagte mit der Begründung zurück, dass in die Gruppe 3 Meister einzustufen seien, die ihren Titel auf
Grund einer festgelegten Qualifikation erworben und eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt hätten; nach ihrer
Ausbildung als Schneiderin habe die Klägerin nur Tätigkeiten auf dem Facharbeiterniveau verrichtet
(Widerspruchsbescheid vom 11. August 1999).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen abgewiesen, mit der die Klägerin die Einstufung ihrer ab 1. April 1967
zurückgelegten Beschäftigungszeiten in die Qualifikationsgruppe 3 in der Anlage 13 zum SGB VI begehrt hat (Urteil
vom 12. Dezember 2000). Das Landessozialgericht (LSG) hat ihre Berufung, mit der sie beantragt hat, die
Beschäftigungszeiten vom 1. November 1976 bis 31. Januar 1988 in eine höhere Gruppe als die Qualifikationsgruppe
4 einzustufen, zurückgewiesen (Urteil vom 19. Juni 2002). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass die Klägerin
nach den vorgelegten Unterlagen vom 1. November 1976 bis 31. Mai 1980 als "Obersachbearbeiterin für
Abrechnungen" sowie "Selbstständige Sachbearbeiterin für Abrechnungen" in einem Transport- und
Speditionsunternehmen tätig gewesen sei. Nach ihren im Einzelnen umschriebenen Aufgabenbereichen hätten ihre
Tätigkeiten eher dem Berufsbild eines Speditions- oder Bürokaufmanns entsprochen, sodass die Einstufung in die
Qualifikationsgruppe 4 angemessen erscheine. Dies gelte auch für die Beschäftigung als Schulsekretärin vom 2. Juni
1980 bis 31. Januar 1988, die teilweise als die einer "Obersachbearbeiterin" oder "Leitenden Referentin" bezeichnet
worden sei. Nach den Tätigkeitsbeschreibungen habe sie Aufgaben wahrgenommen, die von einer Schul- oder
Chefsekretärin, einem Personalsachbearbeiter oder einem Materialverwalter verrichtet würden; auch insoweit
erscheine die Einstufung in die Gruppe der Facharbeiter wiederum angemessen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 22 Abs 1 FRG, 256b Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 8
SGB VI. Sie trägt vor, ihre Beschäftigungen in Polen seien unter Berücksichtigung ihres beruflichen Werdeganges und
der erworbenen Fachhochschulreife ab 1. November 1976 zumindest der Qualifikationsgruppe 3 in der Anlage 13 zum
SGB VI zuzuordnen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Juni 2002 und das Urteil des
Sozialgerichts Düsseldorf vom 12. Dezember 2000 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der
Feststellungen in dem Bescheid vom 9. April 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1999 zu
verpflichten, die Beschäftigungszeiten vom 1. November 1976 bis 31. Januar 1988 in eine höhere Gruppe als die
Qualifikationsgruppe 4 in der Anlage 13 zum SGB VI einzustufen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden sei.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der ihm zu Grunde liegenden
Feststellungen und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170
Abs 2 Satz 2 SGG).
Die Klägerin begehrt im Revisionsverfahren, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der im Bescheid vom 9. April
1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1999 für die Zeit vom 1. November 1976 bis 31. Januar
1988 getroffenen Feststellungen zu verpflichten, die in dieser Zeit in Polen zurückgelegten Beschäftigungszeiten in
die Qualifikationsgruppe 3 in der Anlage 13 zum SGB VI einzustufen. Sie verfolgt ihr Begehren zulässig in
Kombination von Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 SGG). Ob das LSG in der Sache zutreffend die
Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen hat, kann der Senat wegen
fehlender Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden.
1. Nach § 149 Abs 5 SGB VI ist der Versicherungsträger verpflichtet und befugt, durch schriftlichen feststellenden
Verwaltungsakt (sogenannten Vormerkungsbescheid) die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits
festgestellten Daten, die länger als sechs Jahre zurückliegen, verbindlich festzustellen (vgl hierzu: BSG SozR 3-2200
§ 1325 Nr 3 (S 5); SozR 3-2600 § 58 Nr 10 (S 10)). Im Versicherungskonto sind die Daten, die für - die Durchführung
der Versicherung sowie - die Feststellung und Erbringung von Leistungen einschließlich der Rentenauskunft
erforderlich sind, zu speichern (§ 149 Abs 1 Satz 2 SGB VI).
a) Soweit diese Daten mögliche Relevanz für den Tatbestand rentenrechtlicher Zeiten iS § 54 SGB VI haben, wird -
"beweissichernd" für den später vielleicht eintretenden Leistungsfall - für die im Bescheid aufgeführten Zeiten
verbindlich geklärt, dass sie den Tatbestand der jeweiligen rentenrechtlichen Zeit nach dem im jeweiligen
Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen materiell-rechtlichen Regelungen erfüllen bzw nicht erfüllen. Zugleich ist bei
Tatbeständen von Beitragszeiten wegen Beschäftigung oder Tätigkeit auch der daraus jeweils erzielte oder - wie hier -
kraft Gesetzes als fiktiv versichert geltende Verdienst festzustellen. Denn dieser begründet aus seinem Verhältnis
zum jeweiligen Durchschnittsverdienst den kalenderjährlichen Rangstellenwert (Entgeltpunkt (EP)), die Summe dieser
Werte bei Rentenbeginn den Rangwert (§ 64 SGB VI), also den relativen Wert der Vorleistung des Versicherten für die
Alterssicherung im Vergleich zu den zeitgleich versichert Gewesenen.
Die Beklagte hat unangefochten und damit bindend im Vormerkungsbescheid vom 9. April 1999 festgestellt, dass die
Klägerin ua in den umstrittenen Zeiträumen die Tatbestände von nach § 15 FRG gleichgestellten Beitragszeiten erfüllt
hat. Diese Feststellung hat die Klägerin nicht angefochten. Sie begehrt allein für die strittigen Zeiträume im Ergebnis
die Zuweisung höherer fiktiver und als versichert geltender Arbeitsverdienste durch Zuordnung mindestens zur
Qualifikationsgruppe 3 in der Anlage 13 zum SGB VI anstatt zur dort aufgeführten Gruppe 4.
b) § 15 Abs 1 FRG enthält keine Aussage darüber, welche Rangstellenwerte die gleichgestellten Beitragszeiten
vermitteln. Auf die tatsächlich im Vertreibungsgebiet erzielten Verdienste kommt es jedenfalls nicht an. Welche als
versichert geltenden fiktiven Arbeitsverdienste stattdessen hierfür einzusetzen sind, regelt seit dem Inkrafttreten des
FRG zum 1. Januar 1959 dessen § 22. Seit dem 1. Januar 1992 bestimmen sich die Verdienste jedoch nicht mehr
nach den in der Anlage zum FRG aufgeführten Leistungsgruppen und den ihnen für vergleichbare Beschäftigungen im
(alten) Bundesgebiet zugewiesenen Durchschnittsverdiensten, sondern auf der Basis der Einkommensverhältnisse im
Beitrittsgebiet (vgl zum historischen Hintergrund: Urteil des Senats vom 14. Mai 2003, B 4 RA 26/02 R, zur
Veröffentlichung vorgesehen). Dies bewirkt § 22 Abs 1 Satz 1 FRG (in der seit dem 1. Januar 1992 unveränderten
Fassung durch das RÜG vom 25. Juli 1991, BGBl I 1606).
Danach werden EP für Zeiten in den §§ 15, 16 FRG in Anwendung von § 256b Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI
ermittelt. Nach dieser Norm sind für glaubhaft gemachte Pflichtbeitragszeiten nach dem 31. Dezember 1949 zur
Ermittlung von EP als Beitragsbemessungsgrundlage (= als versichert geltender fiktiver Arbeitsverdienst) für ein
Kalenderjahr einer Vollbeschäftigung die Durchschnittswerte zu berücksichtigen, die sich nach Einstufung in eine der
in der Anlage 13 genannten Qualifikationsgruppen (Nr 1) und nach Zuordnung der Beschäftigung zu einem der in der
Anlage 14 genannten Bereiche (Nr 2) ergeben, höchstens jedoch fünf Sechstel der jeweiligen
Beitragsbemessungsgrenze (= Versicherungsschutzgrenze). Diese allein maßgebliche Rechtsnorm ordnet den in den
Nrn 1 und 2 umschriebenen Sachverhalten die verbindliche Rechtsfolge zu, nämlich die Zuweisung der als versichert
geltenden Verdienste. Dies erfolgt in zwei Schritten. Zunächst wird die Beschäftigung in eine der in der Anlage 13
genannten Qualifikationsgruppen eingestuft; sodann wird sie einem der in der Anlage 14 genannten Bereiche
zugeordnet. Darin sind entsprechend der jeweiligen Qualifikationsgruppe Durchschnittsverdienste ausgewiesen. Diese
werden gemäß § 22 Abs 1 Satz 2 FRG um ein Fünftel erhöht, weil die Tabellenwerte zu § 256b SGB VI aufgestellt
worden sind, der nur glaubhaft gemachte Pflichtbeitragszeiten erfasst, bei denen die fiktiv versicherten
Arbeitsverdienste auf fünf Sechstel gekürzt sind.
c) Um die den gleichgestellten Beitragszeiten zugeordneten Verdienste im Vormerkungsbescheid datenmäßig
festzuhalten, konnte sich die Beklagte auf die Angabe der Qualifikationsgruppe und des - hier nicht strittigen -
Wirtschaftsbereiches beschränken. Bezogen auf die allein strittige Qualifikationsgruppe ergibt sich aus dem Text des
§ 256b Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI die notwendige normative Konkretisierung des Tatbestandes nicht direkt,
sondern nur aus der sogenannten inkorporierenden Verweisung auf die Anlage 13, die damit ein - weiter untergliederter
- "Untertatbestand" des § 256b Abs 1 Satz 1 SGB VI ist. Die Anlage 13 besteht aus zwei unvollständigen (und
unselbstständigen) Rechtsnormen, nämlich zwei Sätzen, die einen Grundtatbestand (Satz 1) und einen
Ergänzungstatbestand (Satz 2) ausgestalten; in diese sind als weitere "gemeinsame und deshalb ausgeklammerte"
Tatbestandsmerkmale die nachgestellten Qualifikationsgruppen einzufügen (vgl zum Ganzen: Urteil des Senats vom
14. Mai 2003, B 4 RA 26/02 R, und Urteil vom 24. Juli 2003, B 4 RA 61/02 R, beide jeweils zur Veröffentlichung
vorgesehen).
Die von der Klägerin in der Zeit vom 1. November 1976 bis 31. Januar 1988 ausgeübten Beschäftigungen sind nach
dem bisherigen Stand der Feststellungen des LSG nach Satz 1 der Anlage 13 zum SGB VI nicht in die
Qualifikationsgruppe 3 eingestuft.
Nach diesem Grundtatbestand sind Versicherte in eine der nachstehenden Qualifikationsgruppen "einzustufen", dh sie
werden kraft Gesetzes eingestuft, wenn sie deren Qualifikationsmerkmale erfüllen und eine entsprechende Tätigkeit
ausgeübt haben. Dieser Tatbestand enthält somit zwei Voraussetzungen:
(1) Erfüllung von (formellen) Qualifikationsmerkmalen im Sinne einer der fünf Qualifikationsgruppen;
(2) Tatsächliche Ausübung einer diesen Merkmalen entsprechenden Tätigkeit.
Bezüglich der Qualifikationsmerkmale erfolgt eine Stufung nach Berufsbildern in fünf Gruppen, wobei in den ersten
vier Gruppen die Zuordnung unter Zugrundelegung formaler Kriterien (formaler Ausbildungsabschluss) erfolgt. Nach
den bisherigen Feststellungen des LSG hat die Klägerin im strittigen Zeitraum die formalen Qualifikationsmerkmale
der Gruppe 3 nicht erfüllt.
Von Abs 1 der Gruppe 3 werden (in direkter Anwendung) Personen erfasst, die einen urkundlichen Nachweis über eine
abgeschlossene Qualifikation als Meister bzw Meister des Handwerks besitzen (Regelung 1) bzw denen auf Grund
langjähriger Berufserfahrung "entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet" die Qualifikation als
Meister zuerkannt wurde (Regelung 2). Hierzu zählen nach Abs 2 nicht der bloße Einsatz in einer Meisterfunktion oder
eine den Ausdruck "Meister" enthaltene Tätigkeitsbezeichnung. Entscheidend ist, ob die Person den
Meisterabschluss hat. Insoweit kommt es anders als in den früheren Leistungsgruppen des FRG - nach Satz 1 der
Anlage 13 zum SGB VI unter isolierter Berücksichtigung der in den Qualifikationsgruppen umschriebenen formalen
Sachverhalte - nicht mehr auf die Berufserfahrung, allerdings weiterhin auf die Qualität der tatsächlich verrichteten
Arbeit an, um die einzelnen Gruppen gegeneinander abzugrenzen.
Die Qualifikationsgruppen spiegeln (in direkter Anwendung) die Berufswelt in der DDR wider (im Einzelnen: Urteile des
Senats vom 14. Mai 2003, B 4 RA 26/02 R, und 24. Juli 2003, B 4 RA 61/02 R, beide zur Veröffentlichung
vorgesehen). Vertriebene (hier: die Klägerin) konnten mit ihren im jeweiligen Vertreibungsgebiet (hier: Polen)
ausgeübten Beschäftigungen und den dort erlangten Qualifikationen naturgemäß nicht die Qualifikation als Meister
"entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet" erwerben. Deshalb ist für die Vertreibungsgebiete
iS des FRG nicht unmittelbar auf die in der jeweiligen Qualifikationsgruppe erfassten formellen Gegebenheiten in der
DDR abzustellen. Durch die in § 22 Abs 1 Satz 1 FRG angeordnete "Anwendung" des § 256b Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1
SGB VI auch auf alle Beschäftigungen in verschiedenen Vertreibungsgebieten, die nur eine "sinngemäße" sein kann,
sind die Tatbestandsmerkmale der Qualifikationsgruppen in dem Sinne zu lesen, dass an Stelle der "DDR" das jeweils
betroffene Vertreibungsgebiet eingesetzt wird (Urteile des Senats vom 14. Mai 2003 und 24. Juli 2003, aaO).
2. Die Klägerin erfüllte nicht (sinngemäß) die Voraussetzungen des Satzes 1 in der Anlage 13 iVm der Regelung 1 in
Abs 1 der Qualifikationsgruppe 3.
In welchen Fachrichtungen in Polen eine Meisterqualifikation oder eine nach polnischem Recht dieser gleichgestellten
Qualifikation erworben werden konnte, hat das LSG nicht festgestellt. Hierzu bestand bei der Prüfung des Satzes 1
(zu Satz 2 siehe unten) in der Anlage 13 bislang kein Anlass. Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin
keinen in Polen ausgestellten urkundlichen Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister oder über
eine dem Meister gleichgestellte Qualifikation. Dies hat sie auch in keiner Instanz behauptet.
Auch die Voraussetzungen der (ebenfalls sinngemäß anzuwendenden) Regelung 2 des Abs 1 der Gruppe 3 sind nach
dem bisherigen Sachstand nicht gegeben. Danach sind dieser Gruppe auch diejenigen Personen zuzuordnen, denen
auf Grund "langjähriger Berufserfahrung" entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen in der DDR (hier: in Polen) die
Qualifikation als Meister "zuerkannt" wurde. Unter welchen Voraussetzungen in Polen eine solche Zuerkennung
erfolgen konnte, bräuchte das LSG nur dann festzustellen, wenn die Klägerin behauptet hätte, der insoweit notwendige
formale Staatsakt der Zuerkennung liege vor. Dies hat sie auch vor dem Revisionsgericht nicht behauptet.
3. Auf Grund fehlender Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob die Klägerin die
Voraussetzungen des Satzes 2 in der Anlage 13 zum SGB VI erfüllt.
Nach diesem Ergänzungstatbestand sind Versicherte in eine höhere Qualifikationsgruppe einzustufen, wenn sie "auf
Grund langjähriger Berufserfahrung" Fähigkeiten erworben haben, die üblicherweise denen von Versicherten in der
höheren Gruppe "entsprechen". Der Text macht deutlich, dass das Gesetz mit der Einführung von
Qualifikationsgruppen, die im Fremdrentenrecht die bisherigen Leistungsgruppen für Beitrags- und
Beschäftigungszeiten ab 1950 ersetzt haben, keinen - radikalen - Wechsel der Bewertungsschemata vollzogen hat
(vgl hierzu Urteil des Senats vom 24. Juli 2003, B 4 RA 61/02 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Satz 2 der Anlage
13 enthält folgende zwei Tatbestandsvoraussetzungen:
(1) Den für eine Einstufung oberhalb der Qualifikationsgruppe 5 erforderlichen Erwerb von gleichwertigen Fähigkeiten
"auf Grund langjähriger Berufserfahrung";
(2) die tatsächliche Ausübung einer dem höheren (durch langjährige Berufserfahrung erworbenen) Qualifikationsniveau
entsprechenden Tätigkeit.
Das Tatbestandsmerkmal der "langjährigen Berufserfahrung" ersetzt die formalen Qualifikationsmerkmale des Satzes
1 iVm den ersten vier Qualifikationsgruppen (Absolvierung eines formalen Ausbildungsganges mit formalem
Abschluss). Damit macht der Gesetzestext deutlich, dass - anders als im Rahmen des Satzes 1 - sehr wohl die
Berufserfahrung und (damit notwendigerweise verbunden) der berufliche Werdegang für die Einstufung bedeutsam
sind. Das Gesetz hat mit dem gleichgestellten Tatbestand des Satzes 2 der Anlage 13 Grundsätze fortgeschrieben,
die die bisherigen Leistungsgruppen im Fremdrentenrecht bis 1992 geprägt haben (hierzu: Urteil des Senats vom 24.
Juli 2003, B 4 RA 61/02 R, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Die Anlage 13 zum SGB VI definiert das Tatbestandsmerkmal der "langjährigen Berufserfahrung" iS des Satzes 2
nicht. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu den früheren Leistungsgruppen des FRG ist die Qualifikation auf
Grund langjähriger Berufserfahrung dann erworben worden, wenn der höherwertige Beruf während eines Zeitraumes
ausgeübt wurde, der ausreicht, um die theoretischen und praktischen Fähigkeiten für eine vollwertige Berufsausübung
auch ohne formelle Ausbildung zu vermitteln. Hierfür kommt es jeweils auf den ausgeübten Beruf an (vgl hierzu: Urteil
des Senats vom 14. Mai 2003, B 4 RA 26/02 R). Diese Grundsätze gelten nicht nur bei direkter Anwendung des
Satzes 2 der Anlage 13 auf Sachverhalte in der DDR, sondern ebenso wie bei dessen sinngemäßer Anwendung im
Rahmen des § 22 FRG.
a) Um entscheiden zu können, ob die Klägerin bei sinngemäßer Anwendung des Satzes 2 der Anlage 13 auf Grund
langjähriger Berufserfahrung die Voraussetzungen für eine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 3 - oder in eine
höhere - erfüllt hat, hat das LSG noch tatsächliche Feststellungen zu treffen.
Es wird zunächst als Bezugsgrundlage für die Feststellung der "langjährigen Berufserfahrung" in einer der
Qualifikationsgruppe 3 nach ihren fachlichen Anforderungen entsprechenden Beschäftigung, soweit bei der Prüfung
des Satzes 1 aaO nicht erfolgt, festzustellen haben, in welchen Fachrichtungen der Titel eines Meisters (oder ein
diesem rechtlich gleichgestellter Titel) in Polen auf Grund einer Berufsausbildung erworben werden konnte, welche
Ausbildungsgänge (qualitativ und zeitlich) hierfür absolviert werden mussten und ob der erfolgreiche Abschluss in
Form einer Urkunde dokumentiert wurde. Sollte der Erwerb der Meisterqualifikation (oder einer ihr rechtlich
gleichgestellten) auch in Bereichen, in denen die Klägerin während der strittigen Zeit tätig gewesen war, möglich
gewesen sein, wird das LSG aufzuklären haben, ob die Klägerin einen entsprechenden Zeitraum auf einem qualitativ
ausreichend hohen Niveau tätig war, um die notwendigen theoretischen und praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten
eines Meisters zu erwerben; in diesem Fall wäre sie - nach Abschluss dieses Zeitraumes - in die Gruppe 3
einzustufen, solange sie nachfolgend eine Tätigkeit auf diesem Niveau ausgeübt hat. Zwar mag es nach
bundesdeutschem Verständnis von vornherein "abwegig" erscheinen, dass die Klägerin im Hinblick auf die vom LSG
umschriebenen Tätigkeitsbereiche auf der Ebene der Meisterqualifikation tätig war; insoweit kommt es jedoch nicht
auf das bundesdeutsche Verständnis, sondern auf die Gegebenheiten in Polen an.
b) Sollte der Erwerb einer Meisterqualifikation in der Fachrichtung, in der die Klägerin in Polen tätig war, nicht möglich
gewesen sein, schließt dies noch nicht die Einstufung in die Qualifikationsgruppe 3 in der Anlage 13 zum SGB VI
aus. Maßgeblich ist nicht, ob in dem Vertreibungsgebiet für ein bestimmtes Qualifikationsniveau die Bezeichnung
"Meister" verwandt wird, sondern ob das Niveau materiell, dh nach seinem fachlichen Anforderungsprofil, dem einer
Meisterausbildung im Sinne des DDR-Rechts entspricht.
Mit Blick auf Polen ist zB insoweit darauf hinzuweisen, dass die Ausbildung zum Meister als "mittlere
Berufsausbildung" bewertet wurde. Zur mittleren Berufsausbildung zählte aber nicht nur die Ausbildung zum Meister,
sondern auch zum "Techniker", wobei es sich nicht um Techniker iS des Satzes 1 Nr 4 der Qualifikationsgruppe 2
handelte (Fachschulausbildung). Der Ausdruck "Techniker" kennzeichnet in diesem Zusammenhang ein
Ausbildungsniveau auf der Stufe der Meisterqualifikation, die nicht nur in technischen, sondern auch in nicht-
technischen Fachrichtungen erfolgte (hierzu: Urteil des Senats vom 24. Juli 2003, B 4 RA 61/02 R).
Demzufolge wird das LSG zu ermitteln haben, ob es in Polen möglich war, in den Fachrichtungen, in denen die
Klägerin im strittigen Zeitraum tätig war, eine Qualifikation auf dem Niveau der mittleren Berufsausbildung zu erwerben
und welcher Ausbildungsgang hierfür vorgesehen war. Sodann wird das LSG ggf festzustellen haben, ob die Klägerin
einen entsprechenden Zeitraum auf einem qualitativ ausreichend hohen Niveau tätig war, um vergleichbare
theoretische und praktische Kenntnisse zu erwerben und ob sie diese auch tatsächlich erworben hat. Ggf wird erst der
Zeitraum danach in die Gruppe 3 eingestuft, wenn sie weiterhin auf diesem Niveau gearbeitet hat.
4. In seiner abschließenden Entscheidung wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu
entscheiden haben.