Urteil des BSG vom 13.03.2017

BSG (ausbildung, eltern, berufliche ausbildung, verhältnis zu, haushalt, förderung, gesetz, behandlung, sgg, unterbringung)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 28.11.2007, B 11a AL 39/06 R
Berufsausbildungsbeihilfeanspruch - förderungsfähiger Personenkreis - Wohnen
außerhalb des elterlichen Haushalts - Verfassungsmäßigkeit - notwendige Beiladung -
analoge Anwendung
Leitsätze
Aus dem grundsätzlichen Leistungsausschluss von Personen, die während ihrer beruflichen
Ausbildung im Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils untergebracht sind, von der
Berufsausbildungsbeihilfe ergibt sich keine Verletzung des verfassungsrechtlichen
Gleichbehandlungsgebots.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB).
2 Die 1984 geborene Klägerin begann im August 2001 eine zweijährige Ausbildung zur
Wirtschaftsassistentin, die sie im August 2002 abbrach. Ab dem 2. September 2002
absolvierte sie auf Grund eines mit dem Institut für berufliche Bildung Förderungsgesellschaft
mbH geschlossenen Berufsausbildungsvertrages eine dreijährige Ausbildung zur
Bürokauffrau. Die Ausbildung fand in der V. GmbH in B. statt. Als Ausbildungsvergütung
waren im 1. Ausbildungsjahr 158,50 EUR, im 2. Ausbildungsjahr 166,70 EUR und im 3.
Ausbildungsjahr 175,00 EUR vereinbart.
3 Die Klägerin lebte in der Wohnung ihrer Mutter in S. Die Mutter war zwei weiteren Kindern
unterhaltspflichtig. Der Vater der Klägerin lebte in A. Den Antrag der Klägerin auf BAB vom
1. November 2002 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Dezember 2002 ab, weil die
Klägerin nicht außerhalb des Haushalts ihrer Eltern untergebracht sei.
4 In einem neuen Antrag auf BAB vom 28. April 2003 gab die Klägerin an, dass ihr für
wöchentlich zwei Pendelfahrten zur Berufsschule nach H. monatliche Kosten in Höhe von
124,80 EUR entstünden; für die Pendelfahrten zur Ausbildungsstätte in B. weitere Kosten
von 33,60 EUR. Die Beklagte lehnte den Antrag wiederum mit der Begründung ab, BAB
werde nur dann gewährt, wenn die Auszubildende außerhalb des Haushalts ihrer Eltern
untergebracht sei (Bescheid vom 29. April 2003; Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2003).
5 Die Klägerin hat ihre Ausbildung inzwischen erfolgreich abgeschlossen und ist in einem
unbefristeten Arbeitsverhältnis berufstätig.
6 Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. November 2003 abgewiesen. Das
Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 18.
Mai 2006): Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von BAB, weil
sie im Haushalt der Mutter und damit nicht in einem eigenen Haushalt außerhalb des
Haushalts der Eltern oder eines Elternteils wohne. Die gesetzliche Regelung verstoße auch
nicht gegen die Verfassung. Es liege insbesondere kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz
durch eine unterschiedliche Förderung von betrieblicher Ausbildung nach dem
Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - (SGB III) und der Förderung der Schul- und
Hochschulausbildung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) vor. Es
könne dahinstehen, ob die Förderung der betrieblichen und der schulischen Ausbildung
schon keine geeignete Vergleichsgruppe iS des Art 3 Grundgesetz (GG) darstelle, da es sich
um unterschiedliche Förderungssysteme handele. In jedem Fall gebe es durch die
unterschiedliche Struktur der Ausbildungen eine sachliche Rechtfertigung für die
Ungleichbehandlung durch den Gesetzgeber. Der entscheidende sachliche Unterschied
zwischen einer betrieblichen und einer schulischen Ausbildung sei, dass der Auszubildende
im dualen System eine angemessene Vergütung bekomme und sein Status in vielen
Bereichen dem eines Arbeitnehmers angenähert sei. Die Vergütung müsse im Regelfall
einen wesentlichen Beitrag für den Lebensunterhalt des Auszubildenden darstellen.
Hingegen handele es sich beim Besuch einer weiterführenden Berufsfachschule oder einer
Hochschule um eine schulische Ausbildung ohne Zuschuss zu den Lebenshaltungskosten.
Bei einer typisierenden Betrachtung habe der Gesetzgeber daher davon ausgehen dürfen,
dass für den Auszubildenden im dualen System grundsätzlich eine geringere
Förderungsbedürftigkeit bestehe. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sei jedenfalls
noch gewahrt, wenn ein Auszubildender durch den Bezug von anderen Sozialleistungen die
Möglichkeit erhalte, eine Ausbildung durchzuführen. Eine solche Härtefallunterstützung sei
durch die Möglichkeit gewährleistet, Sozialhilfe bzw Grundsicherung für Arbeitsuchende zu
erhalten. Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen dem zu Hause
wohnenden Auszubildenden und dem auswärts wohnenden Auszubildenden bestehe
wegen der deutlich höheren Kosten für eine auswärtige Unterbringung nicht.
7 Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin eine Verletzung des Art 3 Abs
1 GG geltend. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Auszubildende, die ihren eigenen Haushalt
führten, BAB erhielten, nicht hingegen solche, die im Haushalt der Eltern lebten. Obwohl die
gesetzlichen Regelungen nach dem SGB III und dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG)
aufeinander abgestimmt seien, sei gleichwohl zu berücksichtigen, dass die
Unterhaltsverpflichtung unabhängig davon bestehe, ob ein Kind im Haushalt der Eltern lebe
oder woanders.
8
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 18. Mai 2006 und das Urteil
des Sozialgerichts Magdeburg vom 25. November 2003 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 29. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai
2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin ab Antragstellung (dem
28. April 2003) Berufsausbildungsbeihilfe in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
9
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
10 Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
11 Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
12 Wie die Vorinstanzen zu Recht entschieden haben, hat die Klägerin keinen Anspruch auf
BAB. Die Beklagte hat deshalb mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. April 2003 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2003 zutreffend den Leistungsantrag der
Klägerin vom 28. April 2003 abgelehnt.
13 1. Der Senat ist nicht an einer Sachentscheidung gehindert. Zwar haben die Vorinstanzen
den zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende bzw den Sozialhilfeträger
nicht zum Verfahren beigeladen. Eine Beiladung kommt mit Rücksicht auf die Erstreckung
der Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit durch Änderung des § 51 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) auf die Angelegenheiten der Sozialhilfe und die Angelegenheiten der
Grundsicherung für Arbeit jedenfalls für die von der Klägerin ab 1. Januar 2005 geltend
gemachten Leistungsansprüche in Betracht, weil sie von dem grundsätzlich für Berechtigte
mit Anspruch auf BAB in diesen Sicherungssystemen geltenden Leistungsausschluss nicht
erfasst wird (dazu näher im Folgenden unter 3.3). Hierbei steht einer Beiladung nicht schon
entgegen, dass eine Anpassung des § 75 Abs 2 SGG an die neue Rechtslage erst ab 1.
August 2006 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende
vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706) erfolgte, denn insoweit bestand für die Zeit ab 1. Januar
2005 bis 31. Juli 2006 eine im Sinne der späteren Regelung ausfüllungsfähige
Gesetzeslücke (BSG SozR 4-4200 § 20 Nr 1 RdNr 12). Obwohl der Grundsicherungsträger
somit als leistungspflichtig in Betracht kommt, kann die Frage eines etwaigen
Verfahrensmangels auf sich beruhen, weil die Unterlassung einer unechten notwendigen
Beiladung nach der 2. Alt des § 75 Abs 2 SGG nicht von Amts wegen, sondern nur auf
ausdrückliche Rüge (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) hin zu beachten ist (BSGE 59, 284, 290 =
SozR 2200 § 539 Nr 114; BSGE 61, 197, 199 = SozR 7323 § 9 Nr 1; BSG SozR 4-4200 § 20
Nr 1). Eine derartige Rüge ist von der Revision nicht, auch nicht sinngemäß, erhoben
worden.
14 2. Ob der Klägerin ein Anspruch auf BAB zusteht, richtet sich nach den §§ 59 ff SGB III. Nach
§ 59 SGB III (idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997, BGBl
I 594) haben Auszubildende Anspruch auf BAB während einer beruflichen Ausbildung oder
einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme, wenn die berufliche Ausbildung oder die
berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme förderungsfähig ist (Nr 1), sie zum
förderungsfähigen Personenkreis gehören und die sonstigen persönlichen Voraussetzungen
für eine Förderung erfüllen (Nr 2) und ihnen die erforderlichen Mittel zur Deckung des
Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrkosten, die sonstigen Aufwendungen und die
Lehrgangskosten (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen (Nr 3). Es kann
dahinstehen, ob die Anforderungen an eine förderungsfähige Maßnahme der beruflichen
Erstausbildung - was hier im Hinblick auf die Höhe der Ausbildungsvergütung naheliegen
dürfte - und die Bedürftigkeit des Auszubildenden erfüllt sind, denn die Klägerin erfüllt
jedenfalls die persönlichen Voraussetzungen der Förderung nicht.
15 Sie gehört zwar als Deutsche zum grundsätzlich förderungsfähigen Personenkreis (§ 63 Abs
1 Nr 1 SGB III), jedoch liegen die sonstigen persönlichen Voraussetzungen des § 64 SGB III
nicht vor. Nach § 64 Abs 1 Satz 1 SGB III wird der Auszubildende bei einer beruflichen
Ausbildung nur gefördert, wenn er außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils
wohnt (Nr 1) und die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern oder eines Elternteils
aus nicht in angemessener Zeit erreichen kann (Nr 2). Beide Voraussetzungen sind - wie
bereits der Wortlaut der Vorschrift verdeutlicht - kumulativ zu erfüllen. Zwar stünde die in Nr 2
geregelte Anforderung einem Anspruch auf Förderung nicht entgegen, weil die Klägern das
18. Lebensjahr vollendet hatte und deshalb nach § 64 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB III von dieser
Voraussetzung abgesehen werden könnte. Die Klägerin kann BAB jedoch gleichwohl nicht
erhalten, weil sie während des streitigen Zeitraums nicht außerhalb des Haushalts der Eltern
oder eines Elternteils untergebracht war. Es kommen daher materiell-rechtlich Ansprüche auf
BAB weder unter Berücksichtigung des Bedarfs für den Lebensunterhalt (§ 65 SGB III) noch
des Bedarfs für die Fahrkosten (§ 67 SGB III) in Betracht.
16 3. Dass Personen, die während ihrer beruflichen Ausbildung im Haushalt ihrer Eltern bzw
eines Elternteils untergebracht sind, grundsätzlich von der Leistung ausgeschlossen sind,
verletzt das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot nicht. Art 3 Abs 1 GG gebietet,
alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln (BVerfGE 74, 9, 24), und verpflichtet die
Grundrechtsadressaten, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches
entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln (BVerfGE 1, 14,
52; stRspr). Dieses Grundrecht ist vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von
Normadressaten im Vergleich zu anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden
Gruppen keine Unterschiede von solcher Art oder solchem Gewicht bestehen, dass sie die
ungleiche Behandlung rechtfertigen (BVerfGE 100, 59, 90; BVerfG SozR 3-5755 Art 2 § 27
Nr 1; stRspr). Die dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Systemen der sozialen
Sicherheit zukommende Gestaltungsfreiheit wird im Interesse der Rechtsetzungsgleichheit
begrenzt. Für die unterschiedliche gesetzliche Behandlung von Personengruppen müssen
rechtfertigende Gründe vorliegen, die in einem angemessenen Verhältnis zu der
gesetzlichen Differenzierung stehen. Die Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes verlangt
den Vergleich von Lebenssachverhalten, die einander nie in allen, sondern stets nur in
einzelnen Merkmalen gleichen. Unter diesen Umständen ist es Sache des Gesetzgebers zu
entscheiden, welche von diesen Merkmalen er als maßgebend für eine Gleich- oder
Ungleichbehandlung ansieht (BVerfGE 83, 395, 401). Art 3 Abs 1 GG verbietet ihm nur,
dabei Art und Gewicht der tatsächlichen Unterschiede sachwidrig außer acht zu lassen.
Innerhalb dieser Grenzen ist er in seiner Entscheidung frei. Dabei ist die Eigenart des zu
regelnden Sachverhalts ausschlaggebend dafür, was sachlich vertretbar oder sachfremd ist
(BVerfGE 75, 108, 157; 90, 226, 239; 99, 165, 178 mwN).
17 Die Vorschrift des § 64 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III verletzt diese Maßstäbe nicht. Die
einschränkende Regelung, wonach die Unterbringung im Haushalt der Eltern bzw eines
Elternteils eine Förderung durch BAB ausschließt, geht auf das Gesetz zur Änderung des
Arbeitsförderungsgesetzes und zur Förderung eines gleitenden Übergangs älterer
Arbeitnehmer in den Ruhestand vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2343) zurück. Zuvor hatte
sich die Wohnsituation des Auszubildenden lediglich insoweit auf die Höhe der BAB
ausgewirkt, als ein unterschiedlich hoher Bedarf für den Lebensunterhalt und ein
Zusatzbedarf für Kosten der Unterkunft in Ansatz zu bringen war (vgl §§ 11, 12 der
Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung
der beruflichen Ausbildung idF der 27. Änderungsanordnung vom 6. Juli
1988, ANBA 1988, 1356). Die Neuregelung wurde in der Begründung des Gesetzentwurfs
(BT-Drucks 11/2990 S 18) auf die Notwendigkeit gestützt, den Haushalt der Bundesagentur
für Arbeit (BA) zu konsolidieren. Deshalb sollte die Ausbildungsförderung nach § 40
Arbeitsförderungsgesetz (AFG) auf "diejenigen Auszubildenden und Familien konzentriert
(werden), die wegen der hohen Kosten der auswärtigen Unterbringung in besonderem Maße
auf die Förderung angewiesen sind". Durch die Neuregelung bleibe die
arbeitsmarktpolitische Funktion der BAB, die notwendige regionale Mobilität auf dem
Ausbildungsstellenmarkt zu erleichtern, erhalten. Die bis zum Inkrafttreten des SGB III
unverändert geltende Regelung wurde durch das AFRG ab 1. Januar 1998 in § 64 Abs 1
SGB III inhaltlich fortgeführt und lediglich redaktionell geändert (BT-Drucks 13/4941 S 164).
18 3. 1. Für den von der Klägerin beanstandeten Ausschluss bzw für die Ungleichbehandlung
von Auszubildenden, die im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils wohnen, im Vergleich
zu Auszubildenden, die außerhalb der Elternwohnung leben, gibt es sachliche Gründe. Im
Hinblick auf die mit dem Gesetz vom 20. Dezember 1988 verfolgten Einsparziele im
Haushalt der BA durfte der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zugewiesenen Spielraums bei
der Ausgestaltung von Systemen der sozialen Sicherung - unabhängig von der Frage der
Unterhaltsverpflichtung der Eltern nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) - typisierend
darauf abstellen, in welchem Umfang bei den Vergleichsgruppen Bedürftigkeit vorliegt (aA
Wagner in Praxiskommentar zum SGB III § 64 Rz 12; Buser in
Eicher/Schlegel, SGB III § 64 Rz 33). Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner näheren
Darlegung, dass die Durchführung einer Ausbildung außerhalb des Haushalts der Eltern
einen deutlich höheren Bedarf beim Auszubildenden auslöst. Eine Differenzierung in
Abhängigkeit von dem Aufenthaltsort des Auszubildenden hatte der Gesetzgeber im Übrigen
in abgeschwächter Form bereits vor der Neuregelung durch das Gesetz vom 20. Dezember
1988 insofern vorgesehen, als - wie bereits erwähnt - bei auswärtiger Unterbringung ein
höherer Bedarfssatz zu berücksichtigen war (zur Rechtsentwicklung BSG SozR 3-4440 § 11
Nr 1). Die Bedarfssätze, die für Auszubildende in betrieblicher oder überbetrieblicher
Ausbildung in den §§ 11, 12 AusbFöAnO in weitgehender Übereinstimmung mit den Werten
des BAföG (vgl BSGE 69, 121 = SozR 3-4100 § 40 Nr 5) geregelt waren, unterschieden
zunächst zwischen Unverheirateten unter 21 Jahren sowie Verheirateten oder Personen
über 21 Jahren (zur Ermächtigungskonformität dieser Unterscheidung BSGE 47, 227 ff =
SozR 4440 § 11 Nr 3). Ferner sah die AusbFöAnO für Auszubildende, die nach den
Maßstäben des Anordnungsrechts in zulässiger Weise außerhalb des Haushalts der Eltern
oder eines Elternteils anderweitig untergebracht waren, einen höheren Betrag als Bedarf für
den Lebensunterhalt und einen Zusatzbedarf für Kosten der Unterkunft vor. Auf der
Grundlage des § 11 Abs 1 AusbFöAnO war als Bedarf für den Lebensunterhalt eines
unverheirateten Auszubildenden, der das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, ein
Betrag von 435 DM zu Grunde zu legen, wenn er im Haushalt der Eltern oder eines
Elternteils untergebracht war; hingegen wurden bei einer anderweitigen Unterbringung als
Bedarf für den Lebensunterhalt 685 DM berücksichtigt (§ 11 Abs 4 AusbFöAnO). Die bereits
im früheren Recht enthaltene unterschiedliche Behandlung der genannten Personengruppen
war auf eine pauschalierende Bewertung der tatsächlichen Bedarfe zurückzuführen. Zwar ist
die unterschiedliche Behandlung durch den mit Wirkung vom 1. Januar 1989 erfolgten
Ausschluss vertieft worden, jedoch hat der Gesetzgeber jedenfalls im hier streitigen Zeitraum
durch die Eröffnung eines Zugangs zu den Sozialhilfeleistungen zum Ausgleich von Härten
einen hinreichenden Ausgleich geschaffen (s dazu noch unter 3.3).
19 3. 2. Ebenso wenig besteht eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Förderung
von betrieblichen Ausbildungsgängen im Verhältnis zu Ausbildungen, die den Regelungen
des BAföG unterfallen (Niewald in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts § 3 Rz
98; Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 64 Rz 4; Giesen, SGb 2005, 120, 122; zweifelnd BSG
SozR 4-4300 § 64 Nr 1; Jaeger, info also 1993, 167 ff; Buser in Eicher/Schlegel, SGB III, § 64
Rz 27; Wagner in PK-SGB III, § 64 Rz 10; einen Verfassungsverstoß bejaht Fuchsloch in
Gagel, SGB III, § 64 Rz 11). Bereits das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass auch
im Anwendungsbereich des BAföG Förderungsleistungen nicht in jedem Fall ohne
Berücksichtigung des Aufenthaltsortes des Auszubildenden geleistet werden, sondern ein
vergleichbarer Ausschluss von Förderungsleistungen auch für den in § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1
BAföG genannten Personenkreis gilt. Hiervon betroffen ist der Besuch von weiterführenden
allgemeinbildenden Schulen und Berufsfachschulen, einschließlich der Klassen aller
Formen der beruflichen Grundbildung, ab Klasse 10 sowie von Fach- und
Fachoberschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht
voraussetzt. Für den genannten Personenkreis wird Ausbildungsförderung nur geleistet,
wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnt und er die weiteren Voraussetzungen
des § 2 Abs 1a BAföG erfüllt (zur Rechtsentwicklung s BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000
- 5 C 16/99 - juris RdNr 11). Hierbei weichen - ohne dass diese Frage im vorliegenden
Zusammenhang zu vertiefen wäre - auch die zusätzlichen Anforderungen des § 2 Abs 1a
BAföG und des § 64 Abs 1 Satz 2 SGB III voneinander ab. So wird der Zugang zur BAB im
Vergleich zu der einschlägigen Regelung des BAföG dadurch erleichtert, dass bei Erreichen
der Volljährigkeitsgrenze auf eine Prüfung der Erreichbarkeit der Ausbildungsstätte von der
elterlichen Wohnung aus verzichtet wird.
20 Ein Gleichheitsverstoß ist allerdings schon im Hinblick auf die Unterschiede zwischen den
beruflichen Ausbildungsgängen und denjenigen, die die Anwendbarkeit des BAföG eröffnen,
zu verneinen (Giesen, SGb 2005, 120, 122). Hierbei liegt der für den vorliegenden
Zusammenhang wesentliche Unterschied darin, dass der Ausbildende dem Auszubildenden
nach § 17 Abs 1 Satz 1 Berufsbildungsgesetz eine angemessene Vergütung zu gewähren
hat. Angemessen ist die Ausbildungsvergütung nach der Rspr des BAG, wenn sie hilft, die
Lebenshaltungskosten zu bestreiten, und zugleich eine Mindestentlohnung für die
Leistungen des Auszubildenden darstellt (BAG, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 6 AZR
224/05, AP Nr 15 zu § 10 BBiG mwN). Die Anknüpfung an den unterschiedlichen
wirtschaftlichen Hintergrund des Auszubildenden ist ein hinreichender sachlicher
Gesichtspunkt, der die unterschiedliche Behandlung der Leistungsbezieher im SGB III und
im BAföG rechtfertigt. Insofern bedarf es auch keiner weiteren Vertiefung, ob ggf bei
großzügigerer Gewährung von BAB die Tarifvertragsparteien geneigt sein könnten, die
Verantwortung für eine angemessene Vergütung der Auszubildenden von den Arbeitgebern
auf die BA zu verlagern. Jedenfalls ist die hierin liegende Typisierung dem Gesetzgeber bei
der Ordnung von Massenerscheinungen erlaubt (vgl BVerfGE 17, 1, 25; 63, 255, 262 = SozR
4100 § 111 Nr 6). Letzteres lässt sich auch nicht mit dem Argument in Frage stellen, dass im
Rahmen der Gewährung von BAB ohnehin das Bedürftigkeitsprinzip gilt (vgl Stratmann in
Niesel, SGB III, 4. Aufl, § 64 Rz 4).
21 3. 3. Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen scheidet eine Verletzung des Art 3 GG
durch die unterschiedliche Behandlung der genannten Vergleichsgruppen im streitigen
Zeitraum jedenfalls aus, weil der Gesetzgeber der hier zu behandelnden Situation insofern
Rechnung getragen hat, als er durch die Regelung in § 26 Abs 2 Nr 2 BSHG (jetzt: § 7 Abs 6
Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - ; § 22 Abs 2 Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch -
) einen Ausgleich für den von der Ausschlussregelung betroffenen Personenkreis
geschaffen hat. Denn nach Maßgabe des § 26 Abs 2 Nr 1 BSHG (in der vom 1. Januar 1998
bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung durch das AFRG) gilt eine Rückausnahme von
dem in § 26 Abs 1 Satz 1 BSHG geregelten Ausschluss von Auszubildenden von der Hilfe
zum Lebensunterhalt, wenn deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62
SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist. Die Rückausnahme erfasst ausdrücklich
Auszubildende, die auf Grund von § 2 Abs 1 BAföG keinen Anspruch auf
Ausbildungsförderung oder auf Grund von § 64 Abs 1 SGB III keinen Anspruch auf BAB
haben. Sie hängt nicht von weiteren Voraussetzungen - etwa dem Vorliegen eines
besonderen Härtefalls - ab.
22 Die Rückausnahme geht auf das Zwölfte Gesetz zur Änderung des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 22. Mai 1990 (BGBl I 936) zurück. Bereits
dieses Gesetz hatte durch Ergänzung des § 40 AFG um einen Absatz 1c und weitere
Ergänzungen des BAföG klargestellt, dass der in § 26 BSHG geregelte Ausschluss auf den
angesprochenen Personenkreis keine Anwendung finden sollte. Durch die Regelungen
sollte klargestellt werden, dass Auszubildende, die die Voraussetzung des § 40 Abs 1 Satz 2
und 3 AFG nicht erfüllten, nicht dem Grunde nach förderungsberechtigt iS des AFG seien,
sodass § 26 BSHG auf sie keine Anwendung finden könne (BT-Drucks 11/5961 S 26).
Dieser Standpunkt war im Übrigen bereits vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung in der
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zum BAföG vertreten worden (BVerwG Buchholz
436.36 § 68 BAföG Nr 6).
23 Soweit die Klägerin im Verfahren die Befürchtung geäußert hat, allein wegen der Versagung
von Förderungsleistungen könne eine berufliche Ausbildung nicht durchgeführt werden (in
diesem Sinne auch noch der zwischenzeitlich aufgehobene, einen Übergangsfall
betreffende Vorlagebeschluss des SG Regensburg vom 6. Oktober 1989 - S 8 Al 55/89,
Leitsatz veröffentlicht bei juris), trifft dies jedenfalls bezogen auf ihre individuellen
Verhältnisse nicht zu. Denn nach ihren Angaben in der Sitzungsniederschrift vom 18. Mai
2006 hat sie zwischenzeitlich ihre Ausbildung zur Bürokauffrau abgeschlossen. Insofern
kann hier die Frage auf sich beruhen, ob sich mit der für den von § 64 SGB III erfassten
Personenkreis eröffneten Möglichkeit, statt der BAB Sozialhilfeleistungen zu erlangen,
zugleich - ungeachtet der unterschiedlichen Ausgestaltung der Bedarfssätze und der
Bedürftigkeitsprüfung in beiden Leistungssystemen - die früher unter dem Gesichtspunkt des
Art 12 Abs 1 GG (Berufswahlfreiheit) geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken erledigt
haben (vgl Jaeger, info also 1993, 167, 170; weiterhin Fuchsloch in Gagel, SGB III, § 64 Rz
13). Dem von der Literatur mit der Begründung, Familien würden bis zur Sozialhilfegrenze
belastet und ungleich stärker zum Unterhalt ihrer Auszubildenden herangezogen als
Familien, deren Kinder auswärtig untergebracht seien, diskutierten Verstoß gegen Art 6 GG
(vgl insbesondere Jaeger, aaO) war nach den individuellen Verhältnissen der Klägerin
ebenfalls nicht weiter nachzugehen, weil ihre Mutter in der fraglichen Zeit unabhängig von
der Ausbildung Sozialhilfeleistungen bezogen hatte.
24 Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.