Urteil des BSG vom 08.02.2001

BSG: beendigung, konkursverfahren, abweisung, zahlungsunfähigkeit, auskunft, verfahrenskosten, gehalt, vergleich, sonntag, konkurseröffnung

Bundessozialgericht
Urteil vom 08.02.2001
Sozialgericht Schleswig
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht
Bundessozialgericht B 11 AL 27/00 R
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 15. Oktober
1999 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht
zurückverwiesen.
Gründe:
I
Der Rechtsstreit betrifft einen Anspruch auf Konkursausfallgeld (Kaug) für die Zeit vom 1. bis 16. Juli 1996.
Die Klägerin war als kaufmännische Angestellte bei der E. Baumaschinenverleih GmbH beschäftigt. Diese beendete
ihre Betriebstätigkeit - nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) - am 30. Juni 1996. Den Antrag auf
Eröffnung des Konkursverfahrens vom 1. Juli 1996 wies das Amtsgericht Schleswig mit Beschluss vom 19. Juli 1996
mangels Masse ab. Am 17. Juli 1996 begann die Mutterschutzfrist der Klägerin.
Mit ihrem Antrag vom 11. Juli 1996 machte die Klägerin für die Zeit vom 1. Mai bis 16. Juli 1996 einen Anspruch auf
Kaug in Höhe von 6.531,40 DM geltend. Die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) bewilligte jedoch Kaug nur für die
Zeit vom 1. Mai bis 30. Juni 1996 in Höhe von 4.725,16 DM. Den weitergehenden Antrag der Klägerin auf Kaug vom
1. bis 16. Juli 1996 lehnte sie ab (Bescheid vom 15. August 1996; Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 1996). Zur
Begründung führte sie aus, Insolvenztag sei der 1. Juli 1996 gewesen, an diesem Tage seien keine Arbeiten mehr
ausgeführt worden. Diese seien "teilweise als Restarbeiten" am 30. Juni 1996 ausgelaufen. Da der Konkursantrag erst
am 1. Juli 1996 - mithin nach der Betriebsstillegung - gestellt worden sei, könne der Tag des Beschlusses über die
Abweisung des Konkursantrags mangels Masse am 19. Juli 1996 nicht Insolvenztag sein.
Mit der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, der Zeitpunkt der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit
komme als maßgeblicher Zeitpunkt nur in Betracht, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht
gestellt worden sei. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit Urteil vom 26. Februar 1998 stattgegeben und
ausgeführt, wenn das Konkursgericht tätig geworden sei, bestehe kein Bedürfnis dafür, daß die Beklagte die
Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers feststelle. Mit der Berufung hat die BA geltend gemacht, die drei gesetzlichen
Insolvenztatbestände seien gleichwertig und das zeitlich früheste Ereignis löse eine Sperrwirkung aus. Das früheste
Insolvenzereignis sei hier die Betriebsstillegung am 30. Juni 1996, weil der Konkursantrag erst am 1. Juli 1996 gestellt
worden sei.
Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 15. Oktober 1999 zurückgewiesen und ausgeführt, die gesetzlichen
Leistungsvoraussetzungen lägen auch für die Zeit vom 1. bis 16. Juli 1996 vor, weil die vollständige Beendigung der
Betriebstätigkeit als Insolvenztatbestand nur in Betracht komme, wenn zu diesem Zeitpunkt noch kein Konkursantrag
gestellt sei. Maßgebend für die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit sei nicht der Tag, an dem die
Betriebstätigkeit vollständig beendet werde, sondern der Tag, an dem sie vollständig beendet sei. Allein dieses
Verständnis werde der Systematik und dem Sinn des § 141b Abs 3 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gerecht. Da
die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit dazu diene, den Zeitpunkt der Insolvenz in Fällen, in denen ein
Konkursverfahren nicht durchgeführt werde, leicht feststellbar zu machen, sei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem
diese Aussage mit Sicherheit getroffen werden könne. Das sei der erste Tag, an dem keine betriebliche Tätigkeit
mehr stattgefunden habe - hier mithin der 1. Juli 1996. Da der Konkursantrag am gleichen Tage gestellt worden sei,
sei der Tag der Abweisung des Konkursantrages mangels Masse - also der 19. Juli 1996 - der für das
Insolvenzereignis maßgebende Zeitpunkt. Danach könne offenbleiben, ob im Zeitpunkt der Betriebsstillegung ein
Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht gekommen sei. Wegen des Beginns der
Mutterschutzfrist am 17. Juli 1996 sei der Kaug-Anspruch der Klägerin bis zum 16. Juli 1996 begrenzt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 103, 128 Abs 1 Satz 2 und § 136 Abs
1 Nr 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG): Wegen ungenügender Begründung lasse sich nicht ausschließen, daß das Urteil
des LSG aufgrund unvollständiger Prüfung der Sach- und Rechtslage ergangen sei. Zu einem möglichen
Annahmeverzug des Arbeitgebers enthalte das Urteil keine Feststellungen. Dem Sinne nach rügt die BA auch eine
Verletzung des § 141b Abs 3 Nr 2 AFG, weil dessen Tatbestandsmerkmale bereits am 30. Juni 1996 eingetreten
seien. Dem Versuch des LSG, das Insolvenzereignis auf den 1. Juli 1996 hinauszuschieben, könne nicht gefolgt
werden. Bei einer Betriebseinstellung sei maßgeblicher Tag für die Feststellung des Leistungszeitraums von Kaug der
Tag, an dem die Betriebstätigkeit ende. Das sei im vorliegenden Falle der 30. Juni 1996.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 15. Oktober 1999 und das Urteil des
Sozialgerichts Schleswig vom 26. Februar 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie führt aus, Verfahrensfehler des LSG, welche die Revision stützen könnten, lägen nicht vor. Das LSG habe auch
den Auffangtatbestand des § 141b Abs 3 Nr 2 AFG zutreffend angewandt. Von einer Einstellung der Betriebstätigkeit
könne erst ab 1. Juli 1996 gesprochen werden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§
124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision der Beklagten hat im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung Erfolg. Die Entscheidung des LSG
verletzt § 141b Abs 3 Nr 2 AFG. Für eine abschließende Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) reichen die
tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht aus.
Verfahrenshindernisse, die einer Sachentscheidung entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Der Wert der Beschwer der
Beklagten durch das Urteil des SG übersteigt 1.000 DM, so daß die Berufung ohne Zulassung statthaft ist.
Zutreffend ist das LSG von der Anwendbarkeit des § 141b Abs 1 und 3 AFG für den im Jahre 1996 eingetretenen
Insolvenzfall ausgegangen. Nach § 141b Abs 1 Satz 1 AFG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Kaug, der bei
Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seines Arbeitgebers für die letzten der Eröffnung des
Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat.
Diesem Insolvenzfall stellt § 141b Abs 3 die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels
Masse (Nr 1) und - hier einschlägig - die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Geltungsbereich dieses
Gesetzes gleich, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gestellt worden ist und ein
Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr 2).
Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des LSG, die genannten drei Insolvenzfälle dienten gleichrangig
zur Abgrenzung der drei Monate, für die § 141b Abs 1 Satz 1 AFG den Ersatz des Nettoarbeitsentgelts durch Kaug
vorsieht, wobei dasjenige Insolvenzereignis, das erstmals die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers hervortreten läßt,
maßgebend ist und somit eine sog Sperrwirkung auslöst (BSGE 41, 121, 123 = SozR 4100 § 141b Nr 1; BSGE 52,
40, 41 = SozR 4100 § 141b Nr 19; BSGE 70, 9, 10 = SozR 3-4100 § 141b Nr 3). Allerdings ergibt § 141b Abs 3 Nr 2
AFG, daß eine Beendigung der Betriebstätigkeit die Sperrwirkung gegenüber anderen Insolvenzfällen nur auslösen
kann, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Konkursverfahren
offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt. Diesen Rechtssatz hat das LSG verletzt. Nach seinen
tatsächlichen Feststellungen, die nicht mit begründeten Verfahrensrügen angegriffen und deshalb für das BSG
bindend sind (§ 163 SGG), hat die Arbeitgeberin die Betriebstätigkeit am 30. Juni 1996 eingestellt. Zu diesem
Zeitpunkt war ein Antrag auf Konkurseröffnung nicht gestellt. Vielmehr ist auch das LSG unangegriffen davon
ausgegangen, daß der Konkursantrag erst am 1. Juli 1996 gestellt worden ist. Die begrifflichen Distinktionen, mit
denen das LSG den Zeitraum der Beendigung der Betriebstätigkeit auf den 1. Juli 1996 verlegt, um die
Betriebseinstellung als Insolvenzereignis auszuschließen, können nicht überzeugen. Auch die "systematischen"
Gesichtspunkte rechtfertigen die Ansicht des LSG nicht. Sie ist auch mit der Rechtsprechung des BSG nicht zu
vereinbaren, nach der nur Konkursanträge, die "am Tage der Betriebseinstellung" gestellt sind, diese als
Insolvenzereignis nach § 141b Abs 3 Nr 2 AFG ausschließen (BSGE 48, 277, 281 = SozR 4100 § 141b Nr 12; BSGE
70, 9, 11 = SozR 3-4100 § 141b Nr 3; Gagel, AFG, § 141b RdNr 25). Nach den eigenen Feststellungen des LSG war
aber Zeitpunkt der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit der 30. Juni 1996, so daß dieser Zeitpunkt als
Eintritt der Zahlungsunfähigkeit in Betracht kommt. Das weitere Tatbestandsmerkmal des § 141b Abs 3 Nr 2 AFG,
den Umstand, ob ein Konkursverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, hat das LSG - nach
seiner Rechtsansicht folgerichtig - offengelassen. Das Urteil ist - da der Rechtsstreit auch nicht unter einem anderen
rechtlichen Gesichtspunkt abschließend zu entscheiden ist - mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen
aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2
aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2
Satz 2 SGG).
Bei der weiteren Sachbehandlung wird das LSG zu beachten haben, daß die Notgeschäftsführerin L. in einem
Fragebogen der BA am 19. Juli 1996 angegeben hat, die vorhandene Masse reiche nicht aus, um die mutmaßlichen
Verfahrenskosten abzudecken. Diese Einschätzung legen auch die Feststellungen des Konkursgerichts im Beschluss
vom 19. Juli 1996 nahe. Da die Arbeitgeberin seit Mai 1996 keine Löhne mehr gezahlt hat, spricht auch dies dafür,
daß ein Konkursverfahren schon zum Zeitpunkt der Betriebsstillegung offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht
gekommen ist. Der erwähnte Fragebogen gibt noch zu einer weiteren Bemerkung Anlaß. Die BA hat die Frage nach
der Betriebseinstellung nicht mit einem (interpretierbaren) Rechtsbegriff gestellt, sondern sie zu einer der
Rechtsprechung des BSG entsprechenden Sachfrage aufgeschlüsselt (vgl BSGE 52, 40, 41 = SozR 4100 § 141b Nr
19; zur Notwendigkeit im Interesse der Sachaufklärung nicht Rechtsbegriffe zu verwenden, die möglicherweise von
den Befragten nicht mit ihrem besonderen rechtlichen Gehalt erfaßt werden, allgemein: BSGE 64, 233, 236 f = SozR
4100 § 145 Nr 4). In diesem Fragebogen ist als Tag der Betriebseinstellung der 29. Mai 1996 angegeben. Der 30. Juni
1996 war ein Sonntag. Bei der Frage der Einstellung der Betriebstätigkeit ist zu beachten, daß diese je nach dem
Gegenstand des Betriebs unterschiedlich ausfallen kann, weil sie am Betriebszweck auszurichten ist. Durch die
erwähnte Rechtsprechung des BSG ist geklärt, daß "reine" Abwicklungs-, Liquidations- oder erhaltende Arbeiten, die
nicht dem Betriebszweck dienen, einer Betriebseinstellung iS des § 141b Abs 3 Nr 2 AFG nicht entgegenstehen
(BSGE 52, 40, 41 = SozR 4100 § 141b Nr 19). Bei einem Vergleich der Auskunft der Notgeschäftsführerin vom 19.
Juli 1996 mit der präzisen Fragestellung und den Vorgängen im November 1996, bei denen klare begriffliche
Einstellungen über das, was eine Betriebseinstellung ausmacht, nicht deutlich werden, ist nicht auszuschließen, daß
der Betrieb der Arbeitgeberin mit auf den Betriebszweck "Baumaschinenverleih" gerichteten Arbeiten schon
wesentlich früher eingestellt worden ist und in der Folgezeit nur noch Abwicklungsarbeiten verrichtet wurden. Unter
Umständen stellte sich die vom LSG aufgeworfene Rechtsfrage nicht.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.