Urteil des BSG vom 13.03.2017

BSG (rehabilitation, leistung, zuständigkeit, träger, erwerbsfähigkeit, verhältnis zu, medizinische rehabilitation, berufliche tätigkeit, tätigkeit, antrag)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 20.10.2009, B 5 R 44/08 R
Antrag auf medizinische Rehabilitationsmaßnahme - Kompetenzkonflikt zwischen
Rehabilitationsträgern - Leistungserbringung durch erstangegangenen
Rehabilitationsträger - Erstattungsanspruch nach § 102 SGB 10 - Zuständigkeit des
Rentenversicherungsträgers für stufenweise Wiedereingliederung und Übergangsgeld
nach Gewährung von Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation
Leitsätze
1. Ist der erstangegangene Rehabilitationsträger infolge eines Kompetenzkonflikts einem
Leistungszwang ausgesetzt, der dem des zweitangegangenen Trägers vergleichbar ist, und
erbringt er deswegen die beantragte Rehabilitationsleistung, ist ein Erstattungsanspruch nach §
102 SGB 10 nicht ausgeschlossen (Fortentwicklung von BSG vom 26.6.2007 - B 1 KR 34/06 R
= BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4).
2. Nach einer vom Rentenversicherungsträger gewährten Maßnahme zur medizinischen
Rehabilitation bleibt die Rentenversicherung für die stufenweise Wiedereingliederung und damit
die Zahlung von Übergangsgeld zuständig, solange sich die stufenweise Wiedereingliederung
als Bestandteil einer in der Zusammenschau einheitlichen (Gesamt-)Maßnahme darstellt
(Bestätigung von BSG vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 26/07 R = SozR 4-3250 § 51 Nr 1 und BSG
vom 5.2.2009 - B 13 R 27/08 R = SozR 4-3250 § 28 Nr 3).
Tatbestand
1 Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Krankengeld, das sie der bei den
Beteiligten versicherten H. R. (nachfolgend Versicherte) im Rahmen einer stufenweisen
Wiedereingliederung gewährt hat.
2 Die Versicherte war laut Feststellung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG)
zuletzt als "Fachkrankenschwester für Früh-Rehabilitation für schwerst Schädelhirnverletzte"
tätig. In der Zeit vom 14.1.2004 bis 4.2.2004 nahm sie zu Lasten der Beklagten an einer
stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil, aus der sie als arbeitsunfähig
entlassen wurde mit der Maßgabe, einen Arbeitsversuch durchzuführen, beginnend mit vier
Stunden täglich für zwei Monate, weitere vier Wochen mit sechs Stunden und danach
vollschichtig. Gleichzeitig führte der ärztliche Entlassungsbericht vom 4.2.2004 nach den
Feststellungen des LSG aus, dass der Versicherten die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als
Fachkrankenschwester auf Grund des bestehenden qualitativen und quantitativen
Leistungsvermögens vollschichtig zumutbar sei. Der behandelnde Arzt der Versicherten
empfahl - im Einverständnis mit dieser und ihrem Arbeitgeber - gegenüber der Klägerin eine
stufenweise Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit vier Stunden täglich für die Zeit vom
9.2. bis 28.3.2004 und bis 25.4.2004 sechs Stunden täglich. Mit Zustimmung der Klägerin
wurde die stufenweise Wiedereingliederung in der Zeit vom 9.2.2004 bis 25.4.2004
durchgeführt. Während dieses Zeitraums erhielt die Versicherte bis zum 23.3.2004 von ihrem
Arbeitgeber Entgeltfortzahlung und vom 24.3.2004 bis 25.4.2004 von der Klägerin
Krankengeld in Höhe von 51,99 Euro kalendertäglich.
3 Mit Schreiben vom 25.3.2004 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie zunächst für die
stufenweise Wiedereingliederung ab 24.3.2004 Krankengeld in der genannten Höhe zahle.
Gleichzeitig meldete sie einen Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) an und berief sich auf den zwischen den Spitzenverbänden der
Krankenkassen und den Rentenversicherungsträgern bestehenden Streit über die
Zuständigkeit für eine stufenweise Wiedereingliederung im Anschluss an eine Leistung der
medizinischen Rehabilitation.
4 Die mit Schriftsatz vom 25.8.2005 erhobene Klage auf Erstattung von 1.663,68 Euro hat das
Sozialgericht Düsseldorf (SG) mit Urteil vom 21.6.2006 abgewiesen und die hiergegen
gerichtete Berufung das LSG mit Urteil vom 27.11.2007 zurückgewiesen. Zur Begründung hat
das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin stehe der geltend gemachte
Erstattungsanspruch nicht zu. Die Voraussetzungen des § 102 SGB X, der nach seinem
Zweck auf die hier vorliegende Situation anwendbar sei, lägen nicht vor. Denn die Beklagte
sei nach den Vorschriften des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI), auf die nach § 7
Satz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) abzustellen sei, nicht der für die stufenweise
Wiedereingliederung zuständige Leistungsträger gewesen. Zwar setze die Zuständigkeit der
Rentenversicherungsträger für die stufenweise Wiedereingliederung und das begleitende
Übergangsgeld entgegen der Ansicht der Beklagten nicht voraus, dass zeitgleich eine
medizinische Rehabilitationsleistung erfolge. Vielmehr seien die Rentenversicherungsträger
gemäß § 15 SGB VI iVm § 28 SGB IX und § 20 SGB VI auch für die Erbringung der
stufenweisen Wiedereingliederung als selbstständige Maßnahme einschließlich des
dazugehörigen Übergangsgeldes zuständig. Im vorliegenden Fall lägen aber die
Voraussetzungen der §§ 9, 10 SGB VI nicht vor. Die auf Kosten der Beklagten gewährte
Rehabilitationsmaßnahme habe dazu geführt, dass die Erwerbsfähigkeit der Versicherten bei
Abschluss der Maßnahme wieder so weit hergestellt gewesen sei, dass sie ihre zuletzt
ausgeübte Tätigkeit als Fachkrankenschwester wieder habe verrichten können. Die Ärzte
seien zu der Auffassung gelangt, dass sie bei stufenweiser Wiedereingliederung am
Arbeitsplatz diese in absehbarer Zeit auch regelmäßig in vollem Umfang würde ausüben
können. Aus rentenversicherungsrechtlicher Sicht sei das Ziel einer dauerhaften Integration
schon erreicht gewesen, weil eine rehabilitations-rentenrechtlich relevante Minderung der
Erwerbsfähigkeit nicht mehr vorgelegen habe. Die Versicherte sei lediglich den spezifischen
Anforderungen und Belastungen am konkreten Arbeitsplatz nicht voll gewachsen gewesen.
Die Wiedereingliederung bei grundsätzlich nur noch teilweiser - nämlich vier Stunden -
bestehender Arbeitsunfähigkeit habe dem Zweck gedient, den vollen Einsatz auf dem
spezifischen alten Arbeitsplatz und in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als
Fachkrankenschwester zu ermöglichen. Bei einem solchen Leistungsprofil liege
Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn mit der Folge eines
Krankengeldanspruchs gegenüber der Klägerin vor.
5 Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 9, 10, 15
SGB VI iVm § 4 Abs 2 Satz 2, § 28, § 51 Abs 5 SGB IX. Die Beklagte sei nach den genannten
Vorschriften für die Erbringung der medizinischen Rehabilitationsleistung "stufenweise
Wiedereingliederung" zuständig und dementsprechend für die Dauer der Maßnahme gemäß
§ 45 Abs 1 Nr 3 SGB IX iVm § 20 SGB VI verpflichtet gewesen, Übergangsgeld zu zahlen.
Zutreffend sei das LSG davon ausgegangen, dass die stufenweise Wiedereingliederung auch
vor dem 1.5.2004 von den Rentenversicherungsträgern als selbstständige
Rehabilitationsmaßnahme zu erbringen gewesen sei. Nicht nachzuvollziehen sei dagegen
die Auffassung des Berufungsgerichts, die Leistungspflicht der Beklagten sei deshalb nicht
gegeben, weil die Versicherte vor Beginn der stufenweisen Wiedereingliederung in ihrem
alten Beruf als Fachkrankenschwester "halbschichtig" habe arbeiten können, sodass die
Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Beklagten iS der §§ 9 ff SGB VI nicht erfüllt
gewesen seien. Bereits die Annahme, nach Beendigung der stationären
Rehabilitationsmaßnahme habe eine relevante Minderung der Erwerbsfähigkeit iS des § 10
SGB VI nicht mehr vorgelegen, sei nicht zutreffend. Unter Erwerbsfähigkeit iS von § 10 Abs 1
Nr 1 SGB VI sei die Fähigkeit zur möglichst dauerhaften Ausübung der bisherigen beruflichen
Tätigkeit in normalem Umfang zu verstehen. Der Begriff der Erwerbsfähigkeit werde im
Rahmen der §§ 9 ff SGB VI im Gegensatz zur Erwerbsfähigkeit iS von §§ 43 bis 45 SGB VI
jeweils auf die berufliche Tätigkeit bezogen. Der Bezug zur bisherigen beruflichen Tätigkeit
sei somit gleichermaßen vorhanden wie bei der stufenweisen Wiedereingliederung im
Rahmen des § 28 SGB IX. Auch die sonstigen Voraussetzungen für eine
Leistungsverpflichtung der Beklagten hätten vorgelegen.
6 Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. November 2007 und des
Sozialgerichts Düsseldorf vom 21. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr
1.663,68 Euro zu zahlen.
7 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Sie ist der Ansicht, ihre Zuständigkeit für die Zahlung von Übergangsgeld anlässlich der
stufenweisen Wiedereingliederung sei grundsätzlich nicht gegeben, wenn diese - wie hier -
vollständig nach der Rechtslage vor dem 1.5.2004 (Einführung des § 51 Abs 5 SGB IX)
durchgeführt worden sei. Nach den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften mangele
es an einer Rechtsgrundlage für die Zahlung von Übergangsgeld anlässlich einer
stufenweisen Wiedereingliederung, die im unmittelbaren Anschluss an Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation durchgeführt worden sei. Erst mit Einführung des § 51 Abs 5
SGB IX sei eine entsprechende Vorschrift geschaffen worden. Als Rechtsgrundlage für die
Zahlung von Übergangsgeld im Zeitraum März bis April 2004 komme § 20 Nr 1 SGB VI nicht
in Betracht. Aus dieser Vorschrift könne ein Anspruch auf Übergangsgeld nur hergeleitet
werden, wenn bei Wiedereingliederungsmaßnahmen zeitgleich eine Grundleistung durch den
Rentenversicherungsträger erbracht worden sei. Das Übergangsgeld solle den Verlust des
Arbeitsentgelts während und infolge der Durchführung einer Rehabilitationsleistung ersetzen.
Es sei eine unselbstständige akzessorische Leistung, die nur in Zusammenhang mit einer
Hauptleistung gezahlt werden könne. Die vom Gesetzgeber für erforderlich gehaltene
Einführung des § 51 Abs 5 SGB IX spreche ebenfalls dafür, dass vor dem 1.5.2004 die
Möglichkeit zur Zahlung von Übergangsgeld durch die Rentenversicherungsträger nur
während einer zeitgleich durchgeführten Rehabilitationsleistung gegeben gewesen sei. Aus
der entsprechenden Gesetzesbegründung (BT-Drucks 15/1783, S 13) werde ersichtlich, dass
es sich bei § 51 Abs 5 SGB IX um eine gesetzliche Neuregelung und nicht um eine
Klarstellung im Sinne einer Interpretation eines bereits normierten Leistungsanspruch
handele. Dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.1.2008 (B 5a/5 R 26/07 R -
SozR 4-3250 § 51 Nr 1) sei die Auffassung zu entnehmen, es verstoße gegen den Grundsatz
der umfassenden und vollständigen Leistungserbringung durch einen Leistungsträger, wenn
für die zweite Phase einer als einheitlich anzusehenden Rehabilitationsleistung ein anderer
Träger zuständig werde. Hierbei werde verkannt, dass eine einheitliche
Rehabilitationsleistung durch einen Leistungsträger schon daran scheitere, dass sich im
Regelfall die stufenweise Wiedereingliederung nicht nahtlos an die medizinische
Rehabilitation anschließe und damit in der Zwischenzeit ohnehin ein anderer Träger für die
wirtschaftliche Versorgung des Versicherten zuständig sei. Denn im Zwischenzeitraum erhalte
der Versicherte keine Leistung zur Teilhabe durch die Rentenversicherung. Gemäß dem
Referentenentwurf zum Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen (Stand: 5.9.2003) habe § 51 Abs 5 SGB IX überdies zunächst
rückwirkend zum 1.7.2001 in Kraft treten sollen. Im Gesetzgebungsverfahren sei dieser
Entwurf dahingehend überarbeitet worden, dass eine rückwirkende Geltung speziell für § 51
Abs 5 SGB IX entfallen sei. Dieser gesetzgeberische Wille dürfe nicht übergangen werden.
Vielmehr werde deutlich, dass für Zeiten vor dem 1.5.2004 eine stufenweise
Wiedereingliederung außerhalb von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nur durch §
74 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ermöglicht werden sollte. § 28 SGB IX stelle zudem keine
Leistung zur medizinischen Rehabilitation iS von § 15 SGB VI dar. Nach dieser Norm
erbrächten die Träger der Rentenversicherung im Rahmen von Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation Leistungen nach den §§ 26 bis 31 SGB IX. Zwar ergebe sich aus der
Formulierung "insbesondere" in § 26 Abs 2 SGB IX, dass die dort genannten Leistungen nicht
abschließend aufgezählt worden seien. Jedoch widerspreche es der gesetzlichen Systematik,
die ausdrücklich in § 28 SGB IX geregelte stufenweise Wiedereingliederung auch zu den in §
26 SGB IX geregelten eigentlichen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu zählen. Im
Übrigen seien im vorliegenden Fall die persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI für
die sich anschließende stufenweise Wiedereingliederung nicht gegeben gewesen. Im Sinne
der Rentenversicherung sei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit jede länger andauernde,
nicht unwesentliche Einschränkung der vollen Leistungsfähigkeit, jedoch bezogen auf die
gesamte berufliche Qualifikation und nicht auf die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit. Die
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für die Versicherte H. R. seien am 4.2.2004 mit
dem Erreichen des Rehabilitationsziels beendet gewesen.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2
Sozialgerichtsgesetz - SGG) .
10 Ob der Klägerin der geltend gemachte Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zusteht,
lässt sich nach dem bisherigen Sachstand nicht entscheiden. Es fehlen Feststellungen des
LSG zu den persönlichen (§ 10 SGB VI) sowie versicherungsrechtlichen (§ 11 SGB VI)
Voraussetzungen, dem Vorliegen von Ausschlusstatbeständen (§ 12 SGB VI) und den
speziellen Voraussetzungen für die Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung zu
Lasten der Gesetzlichen Rentenversicherung (§ 15 SGB VI iVm § 28 SGB IX) .
11 Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Klägerin ist § 102
SGB X. Diese allgemeine Erstattungsregelung wird im vorliegenden Fall durch § 14 Abs 4
SGB IX nicht verdrängt.
12 § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX ist nicht anwendbar. Diese Vorschrift bestimmt: Wird nach
Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Abs 1 Satz 2 bis 4
festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet
dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach
den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. Eine Bewilligung der Leistung nach Abs 1 Satz
2 bis 4 erfolgt durch den zweitangegangenen Rehabilitationsträger, an den der Antrag von
dem sich selbst für unzuständig haltenden erstangegangenen Rehabilitationsträger
weitergeleitet worden ist; er ist im Verhältnis zum Versicherten endgültig und umfassend
leistungspflichtig, auch wenn er nach den geltenden Normen außerhalb des SGB IX nicht für
die beanspruchte Rehabilitationsleistung des Versicherten zuständig ist. § 14 Abs 4 Satz 1
SGB IX trägt dieser Situation des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers Rechnung,
indem er für ihn einen speziellen Erstattungsanspruch begründet, der die allgemeinen
Erstattungsansprüche verdrängt und sicherstellt, dass der zweitangegangene im Nachhinein
seine Aufwendungen vom "eigentlich" zuständigen Rehabilitationsträger zurückerhält (vgl
hierzu im Einzelnen BSGE 98, 267, 269 ff, 272) . Die Klägerin ist nicht der
zweitangegangene Rehabilitationsträger im Sinne der genannten Normen. Die Versicherte
hat vielmehr auf Empfehlung des behandelnden Arztes die Maßnahme zur stufenweisen
Wiedereingliederung unmittelbar bei der Klägerin beantragt, sodass diese der
erstangegangene Rehabilitationsträger ist. Da die Klägerin den Antrag nicht weitergeleitet
hat, ist sie gegenüber der Versicherten gemäß § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX allein zuständig
und somit leistungspflichtig geworden.
13 Zugunsten des erstangegangenen Rehabilitationsträgers, der die Leistung erbringt,
begründet § 14 Abs 4 SGB IX keinen Erstattungsanspruch. Er schließt allerdings einen
Erstattungsanspruch des leistenden erstangegangenen Trägers nach allgemeinen
Vorschriften auch nicht vollständig aus.
14 § 14 Abs 4 Satz 3 SGB IX in der hier maßgeblichen Fassung vom 23.12.2003 (BGBl I 2848)
bestimmte lediglich, dass für unzuständige Rehabilitationsträger, die eine Leistung nach Abs
2 Satz 1 erbracht haben, § 105 SGB X nicht anzuwenden sei. Zwar enthalten die
Gesetzesmaterialien zu einer späteren Gesetzesfassung Formulierungen, die dafür
sprechen, dass der Gesetzgeber möglicherweise auch die allgemeinen
Erstattungsansprüche iS von §§ 102 bis 104 SGB X hatte ausschließen wollen oder
nunmehr deren Ausschluss unterstellt. So heißt es im Entwurf der Fraktionen SPD und
Bündnis 90/Die Grünen eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen (BT-Drucks 15/1783, S 13 zu Nr 2 Buchst b) : "§ 14 Abs 4
enthält als Spezialregelung zu §§ 102 bis 105 SGB X keine Erstattungsregelung für die
Fälle, in denen erstangegangene Rehabilitationsträger trotz fehlender Zuständigkeit eine
Leistung erbringen." Der sogenannte Wille des Gesetzgebers bzw der am
Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kann indes bei der Interpretation nur insoweit
berücksichtigt werden, als er auch im Text seinen Niederschlag gefunden hat; dieser
Vorbehalt gilt erst recht, wenn es sich wie hier um eine Äußerung zu einem bereits
verabschiedeten Gesetz handelt. Derartige Äußerungen haben noch weniger Gewicht als
die ursprünglichen Gesetzesmaterialien, die ihrerseits als rein subjektive Vorstellungen der
gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt nicht gleichzusetzen sind (vgl
BVerfGE 62, 1, 45 mwN; s auch BVerfGE 111, 54, 91). Ein auf den Ausschluss sämtlicher
allgemeiner Erstattungsansprüche gerichteter gesetzgeberischer Wille lässt sich dem
Wortlaut des Gesetzes aber nicht entnehmen; § 14 Abs 4 Satz 3 SGB IX schließt vielmehr
ausdrücklich nur die Anwendbarkeit des § 105 SGB X aus.
15 Ebenso gebieten Sinn und Zweck des § 14 Abs 1 und 2 SGB IX, den erstangegangenen
Rehabilitationsträger im Falle der Erbringung von Rehabilitationsleistungen nicht
schlechthin von Erstattungsansprüchen nach §§ 102 bis 104 SGB X auszuschließen. Die
Anwendbarkeit der §§ 103, 104 SGB X zugunsten des erstangegangenen
Rehabilitationsträgers hat der 1. Senat des BSG bereits mit Urteil vom 26.6.2007 (B 1 KR
34/06 R - BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 27 f) bejaht . In Fallkonstellationen
der hier vorliegenden Art ist darüber hinaus ein Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X
zuzulassen. Insoweit entwickelt der Senat bereits vom 1. Senat beiläufig angestellte
Erwägungen fort (BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 29) .
16 Streitigkeiten über die Zuständigkeitsfrage einschließlich der vorläufigen
Leistungserbringung bei ungeklärter Zuständigkeit sollen nach § 14 Abs 1 und 2 SGB IX
nicht mehr zu Lasten der behinderten Menschen gehen (BT-Drucks 14/5074, S 95 zu Nr 5) .
Deshalb soll nach § 14 Abs 1 SGB IX der zuerst angegangene Leistungsträger kurzfristig
seine Zuständigkeit prüfen und den Antrag bei negativem Ergebnis an den seiner
Auffassung nach zuständigen Rehabilitationsträger weiterleiten, der dann im Verhältnis zum
Versicherten zuständig und ihm gegenüber leistungspflichtig ist (BT-Drucks 14/5074, S 102
zu § 14). Das System der Erstattungsansprüche muss dem Primärzweck des § 14 SGB IX,
der schnellen Zuständigkeitsklärung im Außenverhältnis, dienen. Notwendiges Korrelat der
schnellen und strikten Zuständigkeitsklärung im Außenverhältnis zum Versicherten unter
Beibehaltung des gegliederten Sozialsystems (§ 7 SGB IX) ist ein umfassender
Ausgleichsmechanismus, der sichert, dass der Rehabilitationsträger seine Zuständigkeit im
Rahmen von § 14 SGB IX bejahen kann, ohne allein deshalb verpflichtet zu sein, im
Verhältnis zu anderen Rehabilitationsträgern diese Lasten auch endgültig zu tragen . Hätte
die Leistungserbringung durch den erstangegangenen Rehabilitationsträger zwingend den
Ausschluss von Erstattungsansprüchen zur Folge, während eine nachträgliche
Zuständigkeitsprüfung im Rahmen von Erstattungsstreitigkeiten des zweitangegangenen
Rehabilitationsträgers stets gewährleistet wäre, könnte dies ein Anreiz sein,
Rehabilitationsanträge - und sei es unter den fadenscheinigsten Vorwänden - weiterzuleiten
(BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 15, 26) . Umfassend ist der danach gebotene
Ausgleichsmechanismus nur, wenn Erstattungsansprüche des erstangegangenen Trägers
auch nach § 102 SGB X möglich sind. Zwar ist der erstangegangene Träger - anders als der
zweitangegangene Träger - nicht in gleicher Weise schutzwürdig. Er ist nicht einer
"aufgedrängten" Zuständigkeit aus § 14 Abs 1 und 2 SGB IX ausgesetzt, der er sich nicht zu
entziehen vermag, sondern kann vielmehr seine Zuständigkeit prüfen und verneinen (BSGE
98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 21) . Gleichwohl sind ausnahmsweise
Fallkonstellationen denkbar, in denen sich der erstangegangene Rehabilitationsträger trotz
des ihm eingeräumten Prüfungs- und Ablehnungsrechts einem Leistungszwang ausgesetzt
sieht, der demjenigen des zweitangegangenen Trägers vergleichbar ist. In diesen Fällen ist
es gerechtfertigt, dem erstangegangenen Träger mit § 102 SGB X - ebenso wie dem
zweitangegangenen Träger mit § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX - einen privilegierten
Erstattungsanspruch zuzubilligen, dessen Umfang sich nach den für ihn geltenden
Vorschriften richtet. Eine solche Fallkonstellation hat hier vorgelegen.
17 Zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und den Rentenversicherungsträgern
war und ist streitig, ob diese auch vor dem 1.5.2004 verpflichtet waren, Maßnahmen der
stufenweisen Eingliederung als selbstständige Rehabilitationsmaßnahmen zu erbringen.
Die Meinungsverschiedenheiten waren sogar Gegenstand einer Besprechung im
Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung am 14.2.2003, die allerdings nicht
die gewünschte Klärung erbracht hat (s die Schreiben des AOK-Bundesverbandes vom
16.4.2003 und des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger - VDR - vom
13.5.2003). Mit Schreiben vom 13.5.2003 hat der VDR den Rechtsstandpunkt der
Rentenversicherung, für die stufenweise Wiedereingliederung nur dann zuständig zu sein,
wenn zeitgleich von ihr eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation erbracht werde, noch
einmal bekräftigt und an die Krankenkassen unter Hinweis auf eine voraussichtliche und
vom Gesetzgeber gerade nicht gewollte Leistungsverzögerung zu Lasten der Versicherten
eindringlich appelliert, entsprechende Rehabilitationsanträge nicht an den Träger der
Rentenversicherung weiterzuleiten. In dieser Situation einer kurzfristig nicht aufzuklärenden
Zuständigkeit und der Ankündigung von Leistungsverzögerungen im Fall der Weiterleitung
von Anträgen an die Rentenversicherung waren die Krankenkassen im Interesse des
Versicherten an einer schnellen Rehabilitationsleistung und somit zur Realisierung der Ziele
des § 14 SGB IX faktisch gezwungen, bei ihnen beantragte Maßnahmen zu erbringen.
18 Ob auch die Voraussetzungen des § 102 Abs 1 SGB X im vorliegenden Fall erfüllt sind, ist
allerdings bislang nicht geklärt.
19 Hat ein Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen
erbracht, ist der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger gemäß § 102 Abs 1 SGB X
erstattungspflichtig. Eine vorläufige Leistungsgewährung im Sinne der Norm setzt voraus,
dass der in Anspruch genommene Leistungsträger zwar zunächst zur Leistung verpflichtet
ist, wobei jedoch Unklarheit über die Zuständigkeit für die endgültige Leistungserbringung
oder ein Kompetenzkonflikt besteht. Dabei muss der Wille des erstattungsbegehrenden
Leistungsträgers, im Hinblick auf die ungeklärte Zuständigkeit leisten zu wollen, nach außen
erkennbar sein (BSGE 58, 119, 120 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 18 mwN) .
20 Die Klägerin war gemäß § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX zur Leistung verpflichtet, da sie den von
der Versicherten gestellten Antrag auf Gewährung einer Maßnahme zur stufenweisen
Wiedereingliederung nicht an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet hat.
21 Im Verhältnis zu den Versicherten ist die Leistungsverpflichtung nach dieser Norm endgültig.
Im Verhältnis der Rehabilitationsträger zueinander kann die Zuständigkeit nach § 14 Abs 2
Satz 1 SGB IX hingegen dazu führen, dass der erstangegangene Träger entweder endgültig
oder nur zunächst zur Leistung verpflichtet ist. Ob er der "eigentlich" zuständige
Leistungsträger ist, richtet sich allein nach den Leistungsgesetzen, die § 14 Abs 1 Satz 1 und
Abs 2 Satz 1 SGB IX unberührt lässt (vgl BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 27) .
Anders als § 43 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch und der am
1.7.2001 außer Kraft getretene § 6 Abs 2 Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur
Rehabilitation verpflichtet § 14 SGB IX den erstangegangenen Rehabilitationsträger nicht
schlechthin zur Erbringung der beantragten Leistung. § 14 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX räumt
ihm vielmehr das Recht ein, seine Zuständigkeit nach den Leistungsgesetzen zu prüfen und
den Antrag weiterzuleiten, falls er feststellt, dass er für die Leistung nicht zuständig ist. Dies
bedeutet im Umkehrschluss, dass der erstangegangene Träger den Antrag nicht weiterleiten
darf, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass eine Zuständigkeit nach den Leistungsgesetzen
begründet ist, oder er die Zuständigkeit innerhalb der Zwei-Wochen-Frist nach Abs 1 Satz 1
nicht klären kann. In beiden Fällen hat er gemäß § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX den
Rehabilitationsbedarf unverzüglich festzustellen. Bejaht der erstangegangene Träger seine
Zuständigkeit nach den Leistungsgesetzen und leitet er deshalb den Antrag nicht weiter,
führt die gegenüber dem Versicherten bestehende Leistungspflicht auch im Verhältnis der
Rehabilitationsträger zueinander zu einer endgültigen Leistungsverpflichtung. Leitet der
erstangegangene Rehabilitationsträger den Antrag hingegen nicht weiter, weil ihn objektive
Umstände daran hindern, seine Zuständigkeit nach den Leistungsgesetzen innerhalb der
Zwei-Wochen-Frist zu klären, führt § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX im Verhältnis der
Rehabilitationsträger zueinander nur zu einer "zunächst" bestehenden
Leistungsverpflichtung. Diese besondere Struktur des § 14 SGB IX zwingt bei der
Anwendung von § 102 Abs 1 SGB X darauf zu verzichten, dass die gesetzliche
Ermächtigung, auf Grund derer die Sozialleistung erbracht wird, die Leistung ausdrücklich
als vorläufig bezeichnet (vgl zu diesem grundsätzlichen Erfordernis BSGE 58, 119, 121 =
SozR 1300 § 104 Nr 7 S 19; BSG SozR 3100 § 11 Nr 18 S 22) .
22 Die Klägerin war auf Grund des Kompetenzkonflikts mit den Trägern der
Rentenversicherung durch objektive Gründe gehindert, den Antrag weiterzuleiten, sodass
ihre Verpflichtung zur Leistung nach § 14 Abs 2 Satz 1 SGB IX im Verhältnis der
Rehabilitationsträger zueinander eine lediglich "zunächst" bestehende
Leistungsverpflichtung ist.
23 Die Voraussetzungen des § 102 Abs 1 SGB X sind auch insoweit erfüllt, als der Wille der
Klägerin, lediglich im Hinblick auf die unklare Zuständigkeit leisten zu wollen, nach außen
erkennbar war. Die Klägerin hat der Versicherten ab 24.3.2004 Krankengeld gewährt und
bereits mit Schreiben vom 25.3.2004 bei der Beklagten unter Hinweis auf den bestehenden
Zuständigkeitsstreit einen Erstattungsanspruch angemeldet.
24 Ob die Beklagte im vorliegenden Fall zur Leistung einer stufenweisen Eingliederung und der
Gewährung von Übergangsgeld zuständig und somit im Verhältnis der Rehabilitationsträger
zueinander "endgültig" verpflichtet war, lässt sich nach den bisherigen Feststellungen des
LSG nicht entscheiden.
25 Gemäß § 7 Satz 2 SGB IX richten sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die
Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden
Leistungsgesetzen. Nach § 9 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 SGB VI kann die Rentenversicherung
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und
ergänzende Leistungen erbringen, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen erfüllt sind.
26
Nach § 10 Abs 1 SGB
VI haben Versicherte
die
persönlichen
Voraussetzungen
erfüllt,
1.
deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder
seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und
2.
bei denen voraussichtlich
a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der
Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur
Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann,
b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder
wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung
abgewendet werden kann,
c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche
Besserung der Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe
am Arbeitsleben erhalten werden kann.
27 Das LSG hat eine Minderung der Erwerbsfähigkeit der Versicherten iS von § 10 Abs 1 Nr 1
SGB VI bei Abschluss der stationären medizinischen Rehabilitation verneint. Hierzu hat es
ausgeführt: Die auf Kosten der Beklagten gewährte medizinische Rehabilitationsmaßnahme
habe dazu geführt, dass die Erwerbsfähigkeit der Versicherten bei Abschluss der Maßnahme
soweit hergestellt gewesen sei, dass sie ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als
Fachkrankenschwester wieder habe verrichten können. Die Ärzte seien zu der Auffassung
gelangt, dass sie diese bei stufenweiser Wiedereingliederung am Arbeitsplatz in absehbarer
Zeit auch wieder regelmäßig in vollem Umfang würde ausüben können. Aus
rentenversicherungsrechtlicher Sicht sei das Ziel einer dauerhaften Integration erreicht, weil
eine rehabilitations-rentenrechtlich relevante Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht mehr
vorgelegen habe. Die Versicherte sei lediglich den spezifischen Anforderungen und
Belastungen am konkreten Arbeitsplatz nicht voll gewachsen gewesen. Die
Wiedereingliederung bei grundsätzlich nur noch teilweise - nämlich vier Stunden -
bestehender Arbeitsunfähigkeit habe dem Zweck gedient, den vollen Einsatz auf dem
spezifischen alten Arbeitsplatz und in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als
Fachkrankenschwester zu ermöglichen.
28 Diese Erwägungen tragen die vom LSG gezogene rechtliche Schlussfolgerung nicht.
29 Der Begriff der in § 10 Abs 1 Nr 1 SGB VI nicht definierten Erwerbsfähigkeit ist als Fähigkeit
des Versicherten zu verstehen, seinen bisherigen Beruf oder seine bisherige Tätigkeit weiter
ausüben zu können. Nicht hingegen sind die Kriterien anwendbar, die für die Erfüllung der
Leistungsvoraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung maßgebend sind. Zu
prüfen ist, ob der Versicherte unabhängig von den Besonderheiten des gerade
innegehaltenen Arbeitsplatzes den typischen Anforderungen des ausgeübten Berufs noch
nachkommen kann (BSG SozR 4-2600 § 10 Nr 2 RdNr 17, 19).
30 Das LSG hat weder das typische Anforderungsprofil einer Fachkrankenschwester bzw einer
"Fachkrankenschwester für Früh-Rehabilitation für schwerst Schädelhirnverletzte"
beschrieben noch die spezifischen Belastungen und Anforderungen des konkreten
Arbeitsplatzes der Versicherten bezeichnet; es hat auch nicht erörtert, ob und - wenn ja - aus
welchen Gründen es in einer "Fachkrankenschwester für Früh-Rehabilitation …" einen
"bisherigen Beruf" mit eigenem Berufsbild iS der genannten Rechtsprechung sieht. Ebenso
fehlen Feststellungen zu dem qualitativen Leistungsvermögen der Klägerin. Mangels der
erforderlichen Feststellungen ist aber für den Senat nicht erkennbar, ob die Versicherte nur
den spezifischen Anforderungen des Arbeitsplatzes oder aber den typischen Anforderungen
ihres bisherigen Berufs nicht mehr gewachsen war.
31 Sollten die vom LSG nachzuholenden Feststellungen ergeben, dass die Versicherte bei
Abschluss der stationären Maßnahme den typischen Anforderungen ihres Berufes weiterhin
nicht gewachsen war, wird es ferner zu den Erfolgsaussichten einer weiteren Rehabilitation
iS von § 10 Abs 1 Nr 2 SGB VI Stellung nehmen müssen. Die nach dieser Norm gebotene
Feststellung der Erfolgsaussicht einer Leistung muss sich auf die Prüfung beschränken, ob
der Versicherte grundsätzlich rehabilitationsfähig ist, was unter Berücksichtigung seiner
körperlichen sowie geistigen Leistungsfähigkeit, seiner Motivation und seines Alters positiv
festzustellen ist (BSG SozR 4-2600 § 10 Nr 2 RdNr 29) . Näher auf diesen Gesichtspunkt
einzugehen braucht das LSG allerdings nur, falls sich insoweit im weiteren Verfahren
Zweifel ergeben sollten.
32 Zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen iS von § 11 SGB VI und den
Ausschlusstatbeständen iS von § 12 SGB VI fehlen jedwede Feststellungen des LSG.
33 Sollte die Klägerin die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt
haben, wird das LSG weiter festzustellen haben, ob die speziellen Voraussetzungen für die
stufenweise Wiedereingliederung zu Lasten der Rentenversicherung im vorliegenden Fall
erfüllt waren.
34 Nach einer vom Rentenversicherungsträger gewährten stationären Maßnahme zur
medizinischen Rehabilitation bleibt die Rentenversicherung für die stufenweise
Wiedereingliederung gemäß § 15 Abs 1 SGB VI iVm § 28 SGB IX und damit für die Zahlung
von Übergangsgeld gemäß § 45 Abs 1 Nr 3 SGB IX iVm § 20 Nr 1 SGB VI zuständig,
solange sich die stufenweise Wiedereingliederung als Bestandteil einer in der
Zusammenschau einheitlichen (Gesamt-)Maßnahme darstellt (BSG SozR 4-3250 § 28 Nr 3
RdNr 21) . Dies ist der Fall, wenn das "rentenversicherungsrechtliche" Rehabilitationsziel
noch nicht erreicht ist, dh der Versicherte die bisherige Tätigkeit noch nicht in vollem Umfang
aufnehmen kann, weil er den berufstypischen (nicht: arbeitsplatzspezifischen)
Anforderungen dieser Tätigkeit gesundheitlich noch nicht gewachsen ist (BSG SozR 4-2600
§ 10 Nr 2 RdNr 19) , der weitere Rehabilitationsbedarf spätestens bei Abschluss der
stationären Maßnahme zutage getreten ist (BSG SozR 4-3250 § 51 Nr 1 RdNr 28; SozR 4-
3250 § 28 Nr 3 RdNr 21) , und die Voraussetzungen des § 28 SGB IX bis zum Beginn der
stufenweisen Wiedereingliederung durchgehend vorliegen (BSG SozR 4-3250 § 28 Nr 3
RdNr 21) . Sollte der Zeitraum zwischen der stationären medizinischen
Rehabilitationsmaßnahme und der stufenweisen Wiedereingliederung weniger als eine
Woche betragen, kann von Letzterem ohne Weiteres ausgegangen werden.
35 An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat fest.
36 Die Beklagte wendet hiergegen zu Unrecht ein, es widerspreche der gesetzlichen
Systematik, die in § 28 SGB IX geregelte stufenweise Wiedereingliederung zu den in § 26
Abs 2 SGB IX genannten eigentlichen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu
zählen. Die Beklagte räumt selbst ein, dass nach § 26 Abs 2 SGB IX Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation "insbesondere" die dort genannten sind. § 26 Abs 2 SGB IX
enthält also keine abschließende Regelung, sondern benennt lediglich den Kernbereich der
medizinischen Rehabilitation. Dem entspricht, dass das gesamte Kapitel 4 des SGB IX, das
§§ 26 bis 32 umfasst, den Titel führt "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation" und damit
auch diejenigen Leistungen als medizinische Rehabilitationsmaßnahmen ausweist, die
außerhalb des § 26 Abs 2 SGB IX aufgeführt sind. Zudem werden in § 30 und § 31 SGB IX
medizinische Rehabilitationsleistungen iS des § 26 Abs 2 SGB IX näher geregelt. Der
systematische Zusammenhang des § 28 mit diesen Vorschriften indiziert ebenfalls, dass
auch die von ihm geregelte Maßnahme eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme
darstellt.
37 Entgegen der Auffassung der Beklagten schränkt § 20 SGB VI die Zuständigkeit der
Rentenversicherungsträger für eine stufenweise Wiedereingliederung nicht ein. Nach
dessen Nr 1 haben diejenigen Versicherten Anspruch auf Übergangsgeld, die von einem
Träger der Rentenversicherung ua Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten.
Die Beklagte möchte dieser Vorschrift entnehmen, dass jedenfalls bis zur Einführung des §
51 Abs 5 SGB IX durch das Schwerbehinderten-Ausbildungsförderungsgesetz vom
23.4.2004 (BGBl I 606) Übergangsgeld nur dann habe gezahlt werden können, wenn neben
der stufenweisen Wiedereingliederung eine medizinische Rehabilitationsleistung als
"Hauptleistung" gewährt worden sei, etwa in Form einer ambulanten medizinischen
Rehabilitation.
38 Mit dieser Argumentation setzt sich die Beklagte jedoch in Widerspruch zum Anliegen des
SGB IX, die stufenweise Wiedereingliederung nunmehr ausdrücklich als eine auch von der
Rentenversicherung zu erbringende Leistung der medizinischen Rehabilitation einzuführen.
Nach § 45 Abs 1 SGB IX hat ein Versicherter "im Zusammenhang mit Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation" Anspruch gegen den Träger der Rentenversicherung auf
Übergangsgeld "nach Maßgabe dieses Buches und der §§ 20 und 21 des Sechsten Buches"
(Nr 3). Mithin ist - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht isoliert auf die Vorschriften
des SGB VI (§§ 20, 21) abzustellen; der Anspruch auf "Leistungen zum Lebensunterhalt" ist -
auch soweit er den Rentenversicherungsträger betrifft - nunmehr (zusätzlich) im SGB IX (§
45) verankert. Überdies lassen sich dem SGB IX an keiner Stelle Anhaltspunkte dafür
entnehmen, dass der Anspruch auf Übergangsgeld während der stufenweisen
Wiedereingliederung die gleichzeitige Gewährung einer "Hauptleistung" voraussetzt (BSG
SozR 4-3250 § 51 Nr 1 RdNr 24; SozR 4-3250 § 28 Nr 3 RdNr 20) . Vielmehr ist die
stufenweise Wiedereingliederung die "Haupt"- und das Übergangsgeld die ergänzende
Leistung. Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich insbesondere aus der
Entstehungsgeschichte des § 51 Abs 5 SGB IX nichts zugunsten ihrer Rechtsauffassung
herleiten. Die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 15/1783 S 13) enthalten keinerlei
Anhaltspunkte dafür, dass § 51 Abs 5 SGB IX eine konstitutive Neuregelung mit Wirkung ab
1.5.2004 darstellt. Vielmehr weist die Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf hin, die
Ergänzung "stelle klar", dass entsprechend den Vorgaben des § 28 SGB IX neben den
gesetzlichen Krankenkassen alle weiteren Träger der Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation durch ihre Leistungen die Möglichkeiten der stufenweisen
Wiedereingliederung einschließlich der ergänzenden Leistungen unterstützen sollen.
Angesichts dessen, dass es sich um eine klarstellende Regelung handelt, lässt sich aus
dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens zum 1.5.2004 auch nicht der gesetzgeberische Wille
ableiten, dass vor diesem Zeitpunkt die Träger der Rentenversicherung nicht zur Erbringung
einer stufenweisen Wiedereingliederung als selbstständiger Maßnahme verpflichtet
gewesen seien (s hierzu auch BSG SozR 4-3250 § 51 Nr 1 RdNr 29) .
39 Schließlich kann die Beklagte nicht mit Erfolg einwenden, dass eine einheitliche
Rehabilitationsleistung durch einen Leistungsträger schon daran scheitere, dass sich im
Regelfall die stufenweise Wiedereingliederung nicht nahtlos an die medizinische
Rehabilitation anschließe und damit in der Zwischenzeit ohnehin ein anderer Träger für die
wirtschaftliche Versorgung des Versicherten zuständig sei. Ein Zeitraum zwischen der
medizinischen Rehabilitationsmaßnahme und der stufenweisen Wiedereingliederung löst
entgegen der Ansicht der Beklagten nicht notwendig einen Wechsel der Leistungsträger aus.
Vielmehr ist für diesen Zeitraum die Leistung eines Zwischenübergangsgeldes durch die
Träger der Rentenversicherung zu erwägen (vgl hierzu BSG SozR 3-2600 § 25 Nr 1). In
Anwendung des SGB IX ist von dem Grundsatz der umfassenden und vollständigen
Leistungserbringung auszugehen, wie er im Übrigen bereits § 4 Abs 2, § 5 Abs 1, Abs 2 Satz
1, § 6 Abs 2 (iVm §§ 16, 17 Abs 1) des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur
Rehabilitation vom 7.8.1974 (BGBl I S 1881) zugrunde lag. Insofern kann mit einem
angeblichen Trägerwechsel nicht gegen die Leistungspflicht eines Rehabilitationsträgers
argumentiert werden; vielmehr schließt - umgekehrt - die Leistungspflicht für mehrere als
Einheit aufzufassende Einzelmaßnahmen einen Trägerwechsel aus.
40 Somit wird das LSG nach den aufgezeigten Kriterien auf der Grundlage seiner
Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 10 Abs 1 Nr 1 und 2 SGB VI außerdem zu
beurteilen haben, ob bei Abschluss der stationären Maßnahme weiterer
Rehabilitationsbedarf bestanden hatte und zutage getreten war.
41 Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
42 Die Festsetzung des Streitwerts richtet sich nach § 197a Abs 1 Satz 1 SGG, § 63 Abs 2 Satz
1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz.