Urteil des BSG vom 16.12.2009

BSG: zahnarzt, behandlung, gestaltungsspielraum, versorgung, presse, verminderung, zone, berechtigung, vergütung, abrechnung

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 16.12.2009, B 6 KA 40/08 R
Parallelentscheidung zu dem BSG-Urteil vom 16.12.2009 - B 6 KA 39/08 R.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten darüber, ob - bzw in welchem Umfang - ein Honorarabzug aufgrund
der sog Punktwertdegression zusätzlich zu einer Honorarbegrenzung durch den
Honorarverteilungsmaßstab (HVM) berechtigt ist.
2 Die Klägerin, als Kieferorthopädin in S. im Bezirk der beklagten Kassenzahnärztlichen
Vereinigung (KZÄV) niedergelassen und zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen,
begehrt höheres Honorar für die von ihr in den Jahren 2000 bis 2002 erbrachten Leistungen.
Die Beklagte nahm - in den Jahren 2000 und 2001 jeweils im dritten und vierten Quartal, im
Jahr 2002 im vierten Quartal - sog Degressionsabführungen an die Krankenkassen (KKn) und
Degressionsabzüge in gleicher Höhe bei der Klägerin vor. Dabei ging sie jeweils von einer
degressionsfreien Punktmenge von 350.000 Punkten aus, die im Jahr 2000 bei einer
Gesamtpunktmenge von 572.115 Punkten um 222.115 Punkte, im Jahr 2001 bei einer
Gesamtpunktmenge von 481.827 Punkten um 131.827 Punkte und im Jahr 2002 bei einer
Gesamtpunktmenge von 432.446 Punkten um 82.446 Punkte überschritten sei.
Dementsprechend errechnete sie, jeweils bezogen auf das ganze Jahr, Degressionsbeträge
von 168.190,24 DM (für 2000), von 101.811,32 DM (für 2001) und von 17.861,68 Euro (für
2002) (jeweils Korrekturberechnungen vom 27.8.2004, nach Vorliegen der Urteile des
Bundessozialgerichts vom 21.5.2003 mit der Vorgabe der Berücksichtigung der HVM-
Honorar-Bemessungsgrenzen; - jeweils erfolglose Widersprüche, siehe Bescheide vom
21.9.2005) .
3 Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) hat ihrer Klage auf Neuberechnung
stattgegeben, weil ihr das Honorarvolumen innerhalb der HVM-Honorar-Bemessungsgrenzen
ungeschmälert verbleiben müsse (Urteil vom 8.11.2006) . Auf die Berufung der Beklagten hin
hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen
(Urteil vom 25.6.2008) . Es sei nicht zu beanstanden, dass die Beklagte ungeachtet der
Honorarbegrenzung durch den HVM noch einen Honorarabzug wegen der sog
Punktwertdegression vorgenommen habe. Dies entspreche den Maßstäben der Urteile des
BSG vom 21.5.2003 (zB B 6 KA 25/02 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 2) . Hiernach könnten neben
den gesetzlichen Regelungen über die Punktwertdegression im HVM
Honorarbemessungsgrenzen normiert werden. Die Beklagte müsse allerdings bei deren
Anwendung berücksichtigen, ob bzw inwieweit dies dazu führe, dass sich gegenüber dem
Zahnarzt ein Degressionsabzug als nicht oder jedenfalls teilweise nicht gerechtfertigt
herausstelle, weil die von ihm in Ansatz gebrachte und der Degression zugrunde liegende
Punktmenge aufgrund von HVM-Bemessungsgrenzen teilweise rechnerisch nicht honoriert
werde. In entsprechendem Umfang dürfe ihm gegenüber kein Degressionsabzug erfolgen
bzw sei, falls dieser schon durchgeführt worden sei, eine Gutschrift vorzunehmen. Dies
beachtend habe die Beklagte den Degressionsabzug im Verhältnis zur Klägerin nach
Maßgabe der HVM-Honorarbegrenzungen neu berechnet und ihr insoweit eine Gutschrift
erteilt. Dies entspreche den Vorgaben des BSG. Für die Forderung der Klägerin, ihr die
Degressionsabzüge in ihrer gesamten Höhe gutzuschreiben, bestehe kein Ansatzpunkt.
4 Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, das Berufungsurteil und der ihm zugrunde
liegende angefochtene Bescheid seien mit den Maßstäben des § 85 Abs 4b ff SGB V, wie sie
das BSG herausgestellt habe, nicht vereinbar. Die Beklagte und das LSG hätten den
Honorarabzug aufgrund der sog Punktwertdegression und die Honorarbegrenzung durch den
HVM nicht korrekt miteinander verrechnet. Aus dem Urteil des BSG ergebe sich, dass die
Degression nach den effektiven Auszahlungspunktwerten zu berechnen sei, während sich die
Beklagte an den gesamtvertraglich vereinbarten Punktwerten - und damit an höheren
Punktwerten - orientiert habe. Des Weiteren hätte die Beklagte berücksichtigen müssen, dass
aufgrund der vorrangig durchgeführten Degression schon nur ein verminderter Teil der
Gesamtvergütung zur Verteilung gekommen und nicht mehr das gesamte Honorar zur
Auszahlung gelangt sei. Da die Degression vorrangig sei, könne das Urteil des BSG nicht im
Sinne einer Verminderung des Degressionsabzugs verstanden werden, sondern nur im Sinne
einer (weiteren) Verminderung der HVM-Honorarkürzung. Der gesamte Degressionsabzug
müsse bei der Anwendung der Honorarbegrenzungen gemäß dem HVM berücksichtigt
werden, dh diese müssten im vollen Umfang des Degressionsabzugs vermindert werden.
Ungeachtet dieser Vorgaben dürften HVM-Honorarbegrenzungen jedenfalls nicht auf solche
Honoraranteile angewendet werden, die der Zahnarzt infolge der vorrangigen
Punktwertdegression überhaupt nicht erhalte.
5 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25.6.2008 aufzuheben und die
Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 8.11.2006
zurückzuweisen.
6 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7 Sie hält das Urteil des Berufungsgerichts für zutreffend. Ihr Vorgehen habe der vorliegenden
Rechtsprechung entsprochen. Die Punktmengengrenze habe nach der damals gültigen
Gesetzesfassung je Zahnarzt 350.000 im Kalenderjahr betragen. Die sich daraus ergebenden
Degressionsbeträge habe sie den KKn zukommen lassen. Die Ansicht der Klägerin, die
Degressionsermittlung müsse nach Maßgabe der effektiven Auszahlungspunktwerte erfolgen,
treffe nicht zu. Ihr Begehren nach weitergehender Kompensation der Degressionsabzüge sei
unbegründet. Unzulässig sei lediglich, den Degressionsabzug gemäß § 85 Abs 4b ff SGB V
und HVM-Honorarbegrenzungen ohne jeden Ausgleich zu kumulieren. Entsprechend diesen
Vorgaben des BSG habe sie - die Beklagte -, wie vom LSG in seinem Urteil festgestellt, den
HVM-Einbehalt in Punkte umgerechnet und so den der Klägerin anzulastenden
Degressionsabzug, dh die Punktmengenüberschreitung und die daraus resultierende
Vergütungsminderung, neu berechnet.
Entscheidungsgründe
8 Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Einwendungen, die sie gegen die
Honorarberechnungen der Beklagten für die Jahre 2000 bis 2002 erhebt, greifen nicht durch.
Die Berechnungen des Honorarabzugs aufgrund der sog Punktwertdegression und der
Honorarbegrenzung nach dem HVM sowie die dabei erforderliche Berücksichtigung des
Degressionsabzugs bei der Anwendung der HVM-Honorar-Bemessungsgrenzen sind nicht
zu beanstanden.
9 1. Rechtsgrundlage für die Honorarberechnungen sind die Regelungen des SGB V über die
Ausgestaltung der Honorarverteilung (§ 85 Abs 4 Satz 2 SGB V, hier anzuwenden in der
2003 gültigen Fassung des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999, BGBl I
2626) und über die degressive Abstaffelung zahnärztlicher Honorare (§ 85 Abs 4b ff SGB V ,
hier anzuwenden in der auch noch im Jahr 2002 gültigen Fassung des GKV-
Solidaritätsstärkungsgesetzes vom 19.12.1998, BGBl I 3853) .
10 Die Degressionsregelungen des § 85 Abs 4b ff SGB V wurden erstmals zum 1.1.1993
eingeführt (Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992, BGBl I 2266); sie sind später zum
1.7.1997 aufgehoben (2. GKV-Neuordnungsgesetz vom 23.6.1997, BGBl I 1520) , zum
1.1.1999 aber wieder - im Wesentlichen unverändert - in Kraft gesetzt worden (GKV-
Solidaritätsstärkungsgesetz vom 19.12.1998, BGBl I 3853) . Nach § 85 Abs 4b Satz 1 SGB V
(Fassung vom 19.12.1998, aaO) verringerte sich ab einer Gesamtpunktmenge je
Vertragszahnarzt aus vertragszahnärztlicher Behandlung einschließlich der Versorgung mit
Zahnersatz sowie kieferorthopädischer Behandlung von 350.000 Punkten je Kalenderjahr
der Vergütungsanspruch für die weiteren vertragszahnärztlichen Behandlungen im Sinne
des § 73 Abs 2 Nr 2 SGB V um 20 %, ab einer Punktmenge von 450.000 je Kalenderjahr um
30 % und ab einer Punktmenge von 550.000 je Kalenderjahr um 40 %. Die
Degressionsschwellen lagen bei Gemeinschaftspraxen und bei Beschäftigung von
angestellten Zahnärzten und/oder Assistenten höher (§ 85 Abs 4b Satz 3 ff, 7 SGB V) . Der
Abzugsbetrag war an die KKn weiterzugeben (§ 85 Abs 4e Satz 1 SGB V) . Die
Vergütungsminderung durch die KZÄV erfolgte durch Absenkung der vertraglich
vereinbarten Punktwerte (§ 85 Abs 4e Satz 2 ff SGB V) .
11 Die Degressionsregelungen sind - auch mit ihrer Wirkung eines sog Degressionsabzugs
zusätzlich zu den Honorarbegrenzungen nach dem HVM - verfassungsgemäß, wie der
Senat und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in ständiger Rechtsprechung ausgeführt
haben (s dazu zuletzt BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 27 RdNr 11 = MedR 2007, 310, hier auf S
310 f Angaben weiterer Entscheidungen des BVerfG und des BSG von 2006/2007) . Daran
hält der Senat fest.
12 Die gesetzlichen Vorgaben des § 85 Abs 4b ff SGB V sind vom Senat in seiner
Rechtsprechung konkretisiert worden. Grundlegend ist insoweit das Urteil vom 21.5.2003 (B
6 KA 25/02 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 2; - vgl auch die Parallelurteile vom selben Tag B 6 KA
33/02 R - USK 2003-135 = MedR 2004, 172, sowie B 6 KA 24/02 R und B 6 KA 35/02 R) . In
diesem Urteil hat sich der Senat vor allem mit dem Ineinandergreifen der
Degressionsbestimmungen und der Regelungen der Honorarverteilung der KZÄV befasst.
13 a) Wie der Senat ausgeführt hat, ist gegenüber der auf der Grundlage des § 85 Abs 4 Satz 2
SGB V untergesetzlich auszugestaltenden Honorarverteilung die unmittelbar im Gesetz - in §
85 Abs 4b ff, Abs 4e SGB V - geregelte Degressionsabführung an die KKn vorrangig (vgl
BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 2 RdNr 12 bis 14) . Die Degressionsabführung an die KKn ist
gemäß § 85 Abs 4b ff, Abs 4e SGB V an den von den Zahnärzten in ihren
Quartalsabrechnungen in Ansatz gebrachten Punktzahlvolumina auszurichten; sie ist
unabhängig davon, welche Punktzahlvolumina nach den HVM der KZÄV bei der
Honorierung der ihr gegenüber abrechnungsberechtigten Zahnärzte zugrunde gelegt werden
(vgl BSG aaO RdNr 14) . Unabhängig von den Honorarverteilungsregelungen ist auch zu
bestimmen, welche Punkt werte bei der Degressionsabführung an die KKn zugrunde gelegt
werden:
14 Im Regelfall werden die Punktwerte, die der Berechnung der Degressionsabführung von der
KZÄV an die KKn zugrunde zu legen sind, in einer Degressionsvereinbarung zwischen der
KZÄV und den KKn gemäß § 85 Abs 4e Satz 2 ff SGB V festgelegt (siehe hierzu BSG aaO
RdNr 16 am Ende und RdNr 17) . Dabei können Euro-Beträge je Punkt festgelegt werden; es
kann auch auf die zwischen KZÄV und KKn gesamtvertraglich vereinbarten Punktwerte
verwiesen werden. Die Degressionsvereinbarung darf - so wie ein HVM getrennte und
unterschiedliche Regelungen für verschiedene Leistungsbereiche vorsehen kann -
unterschiedliche Regelungen für verschiedene Leistungsbereiche enthalten (zB
Differenzierung nach konservierend-chirurgischem und kieferorthopädischem Bereich). Die
Degressionsabführung kann auch an dem Durchschnittspunktwert ausgerichtet werden, der
sich aus der Division des Gesamtvergütungsvolumens durch die Summe der von den
Zahnärzten des KZÄV-Bezirks bei ihren Abrechnungen in Ansatz gebrachten
Punktzahlvolumina ergibt (vgl hierzu BSG aaO RdNr 16: "Mischpunktwert") . Welche Art der
Festlegung auch immer gewählt wird, sie darf sich allerdings nicht grundlegend davon
entfernen, dass die Degressionsabführung an die KKn an den Punktzahlvolumina zu
orientieren ist, die die Zahnärzte in ihren Quartalsabrechnungen in Ansatz bringen (zum
Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Degressionsvereinbarung siehe schon
BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 2 RdNr 17) .
15 Falls bzw soweit die Degressionsvereinbarung zwischen KZÄV und KKn keine oder keine
vollständige Regelung für die der Degressionsabführung zugrunde zu legenden Punktwerte
enthält, darf die Lücke durch Rückgriff auf den vorerwähnten Durchschnittspunktwert
geschlossen werden (vgl BSG aaO RdNr 16: "Mischpunktwert") . Soweit in diesem Kontext
die Wendung "Auszahlungspunktwert" verwendet wird, ist das allerdings missverständlich
(vgl hierzu auch unten RdNr 20) . Im Falle unterschiedlicher Honorierungsmethodik in
verschiedenen Leistungsbereichen (zB Festbeträge im konservierend-chirurgischen und
Einzelleistungsvergütung im kieferorthopädischen Bereich) lässt sich ein
Durchschnittspunktwert nicht ohne Weiteres errechnen, sodass eine ungefähre Bestimmung
für die Bemessung der Degressionsabführung an die KKn ausreicht. Insgesamt ist der
Gestaltungsspielraum der KZÄV bei der näheren Bestimmung der Degressionsabführung an
die KKn weit. Die KZÄV darf die Berechnung der Degressionsabführung an die KKn
praktikabel gestalten. Die Konkretisierung durch die KZÄV muss allerdings der Konzeption
und Zielrichtung der Regelungen des § 85 Abs 4b ff, Abs 4e SGB V Rechnung tragen. Die
KZÄV darf bei der Berechnung der an die KKn abzuführenden Degressionsbeträge zB auch
bei der Punktzahl statt beim Punktwert ansetzen, solange dies nicht zu Ergebnissen führt,
die sich außerhalb des zulässigen Gestaltungsrahmens bewegen (so auch - hier im
Zusammenhang mit dem Degressionsabzug gegenüber einem Zahnarzt - LSG
Niedersachsen-Bremen, NZS 2009, 343, 346 RdNr 17 am Ende) .
16 b) Von der Degressionsabführung an die KKn ist der Degressionsabzug gegenüber dem
einzelnen Zahnarzt (vgl hierzu BSG aaO RdNr 18 iVm 20 ff) zu unterscheiden. Hier ist
zwischen verschiedenen Konstellationen zu differenzieren.
17 Nur in besonderen Fällen darf die KZÄV den Degressionsabzug gegenüber dem Zahnarzt
nach denselben Maßstäben festsetzen, wie sie den an die KKn abgeführten
Degressionsbetrag berechnet hat. Eine solche Möglichkeit besteht ausnahmsweise dann,
wenn der HVM die Honorierung der Zahnärzte nach dem selben Punktwert vorsieht, wie dies
zwischen KZÄV und KKn für die Degressionsabführung an die KKn vereinbart ist, und wenn
außerdem die Honorierung der KZÄV gegenüber den Zahnärzten ohne
Mengenbegrenzungen und ohne Punktwertbegrenzungen - auch ohne Ausrichtung an
einem sog floatenden Punktwert - erfolgt (vgl hierzu die in BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 2 RdNr
15 wiedergegebene Vorstellung des Gesetzgebers) . Abgesehen von dieser Konstellation ist
der an die KKn abzuführende bzw abgeführte Degressionsbetrag auch dann in gleicher
Höhe gegenüber dem Zahnarzt festzusetzen, wenn der HVM eine entsprechende Regelung
enthält (hierzu s unten 3., RdNr 30) .
18 In der Regel sind indessen im HVM Bemessungsgrenzen normiert. Dann ist bei deren
Anwendung zu berücksichtigen, ob bzw inwieweit sie dazu führen, dass gegenüber dem
Zahnarzt ein Degressionsabzug nicht oder jedenfalls teilweise nicht gerechtfertigt ist, weil
die von ihm in Ansatz gebrachte und der Degression zugrunde liegende Punktmenge
aufgrund von HVM-Bemessungsgrenzen rechnerisch teilweise nicht honoriert wird. In
entsprechendem Umfang darf ihm gegenüber kein Degressionsabzug erfolgen bzw ist, falls
dieser schon durchgeführt wurde, - spätestens im Zusammenhang mit der
Honorargewährung für das letzte Jahresquartal - ein Ausgleich bzw eine Gutschrift
vorzunehmen (so schon BSG aaO RdNr 20 am Ende) .
19 Diese Korrekturberechnung kann dazu führen, dass der gesamte zunächst gegenüber dem
Zahnarzt erfolgte Degressionsabzug ihm wieder gutgeschrieben wird (vgl BSG SozR 4-2500
§ 85 Nr 2 RdNr 22: das endberechnete Honorierungsvolumen von 367.000 Punkten lag
unter der in aaO RdNr 4 angegebenen Degressionsschwelle von 437.500 Punkten) . In der
Regel allerdings wird dies nicht der Fall sein, sondern die dem Degressionsabzug zugrunde
liegende Punktmenge wird durch die Anwendung der HVM-Bemessungsgrenze zwar
vermindert, aber nicht in einem solchen Umfang, dass ein Degressionsabzug überhaupt
nicht mehr gerechtfertigt ist. In der Regel bleibt der Zahnarzt also zusätzlich zur
Honorarbegrenzung nach dem HVM auch mit einem Degressionsabzug belastet. Diese
Folge entspricht dem Berechnungsmodell in dem früheren Urteil des BSG (siehe dort RdNr
20 ff) . Der dort entschiedene Fall war allerdings so gelagert, dass die Neuberechnung des
Degressionsabzugs dazu führte, dass ein solcher überhaupt nicht mehr gerechtfertigt war
(aaO RdNr 22 f) ; verfehlt wäre es, aus dieser Besonderheit zu folgern, dem Zahnarzt müsse
stets Honorar bis zur HVM-Bemessungsgrenze gewährt werden.
20 Die Prüfung, inwieweit das vom Zahnarzt bei seinen Abrechnungen in Ansatz gebrachte
Punktzahlvolumen nach Anwendung der HVM-Honorar-Bemessungsgrenzen noch honoriert
ist bzw inwieweit eine rechnerische Nicht-Honorierung vorliegt, darf im Falle eines HVM, der
bei Zahnärzten mit besonders großen Punktmengen für die eine bestimmte Grenze
überschreitenden Punktmengen Honorarabsenkungen vorsieht, nicht anhand der bei der
Honorarberechnung zugrunde gelegten konkreten Auszahlungsbeträge für die einzelnen
Punkte erfolgen. Eine solche Bemessung nach den konkreten Auszahlungspunktwerten (zur
Rechtmäßigkeit auch extremer Abstaffelungen im HVM vgl zB BSGE 96, 53 = SozR 4-2500
§ 85 Nr 23 RdNr 21, 26, 30 mit einer Restleistungs-Vergütungsquote von nur 17 %; zu einer
Restvergütungsquote Null vgl aaO RdNr 31 und BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 45 RdNr 17
mwN) liefe darauf hinaus, die zu degressierenden Punkte, die ja dem oberen Bereich über
der Degressionsschwelle zugehören, unter Umständen geringer zu bewerten als die Punkte
im Bereich der degressionsfreien Punktmenge. Das widerspräche dem Konzept einer
Gesamtbetrachtung, wonach im Falle von HVM-Bemessungsgrenzen davon auszugehen ist,
dass lediglich das Ausmaß der Vergütungen insgesamt der Höhe nach begrenzt ist und die
Punktehonorierung durchgängig gleichmäßig entsprechend der größeren abgerechneten
Punktmenge sinkt (so zuletzt BSGE 103, 1 = SozR 4-2500 § 106a Nr 7 RdNr 13 mwN) .
21 Die Beurteilung, inwieweit das vom Zahnarzt bei seinen Abrechnungen in Ansatz gebrachte
Punktzahlvolumen nach Anwendung der HVM-Honorar-Bemessungsgrenzen noch honoriert
ist bzw inwieweit eine rechnerische Nicht-Honorierung vorliegt, hängt von sog
zahnarztindividuellen Umständen ab: Die Berechnung kann nur individuell für jeden
Zahnarzt erfolgen. Es muss bestimmt werden, um wieviel die von ihm in seinen
Quartalsabrechnungen in Ansatz gebrachte Punktmenge die Degressionsschwelle(n)
überschreitet, und in Verbindung mit dem Abstaffelungsfaktor (20 %, 30 % oder 40 %) ist die
Degressionsquote zu bestimmen (Beispiel: Degressionsschwellen 350.000/450.000/550.000
Punkte <§ 85 Abs 4b SGB V>, Abrechnungsvolumen 460.000 Punkte; also Überschreitung
100.000 in der 20 %-Zone und 10.000 in der 30 %-Zone; also Abstaffelung 20.000 + 3.000 =
23.000; also Degressionsquote 23.000 bezogen auf 460.000 = 5 %) . Die so errechnete
Degressionsquote (in diesem Beispiel 5 %) führt zu einer Verringerung des
Vergütungsanspruchs (so die Terminologie des § 85 Abs 4b Satz 1 SGB V) , was in der
Weise umgesetzt werden kann, dass die zu honorierende Punktmenge rechnerisch reduziert
wird (hier 460.000 - 23.000 = 437.000 Punkte) . Wenn (bzw soweit) allerdings kumulativ auch
noch HVM-Honorar-Bemessungsgrenzen eingreifen - sodass das Leistungsvolumen, das
die Degression ausgelöst hat, rechnerisch nicht oder jedenfalls nicht voll honoriert ist -, darf
sich (insoweit) die Degression für ihn nicht auswirken. Dies bedeutet, dass den Zahnarzt im
Falle einer Honorarkappung, die unterhalb des um die Degressionsquote reduzierten
Leistungsvolumens liegt (zB angenommen bei 400.000 Punkten, sodass er für die von ihm
im degressierten Bereich geleistete Punktmenge < 437.001 bis 460.000 Punkte >
rechnerisch kein Honorar erhält) , kein Degressionsabzug treffen darf, sodass er also die
nach dem HVM mögliche volle Vergütung erhalten muss. War ein Degressionsabzug schon
durchgeführt worden, so ist ihm dieser wieder auszugleichen, dh eine entsprechende
Gutschrift ist vorzunehmen. Ein Ausgleich hat anteilig zu erfolgen, wenn die HVM-Honorar-
Bemessungsgrenze inmitten des degressierten Bereichs liegt (zB angenommen bei 450.000
Punkten) ; dann ist dem Zahnarzt ein dementsprechender teilweiser Degressionsabzug
aufzuerlegen (für die Leistungsmenge von 437.001 bis 450.000 Punkten, aber nicht für den
Bereich von 450.001 bis 460.000 Punkten, dh nicht im Umfang von 5 %, sondern nur < unter
Mitberücksichtigung der verschiedenen Abstaffelungsquoten von 20 % bis 450.000 und von
30 % ab 450.001> im Umfang von ca 2,3 %) .
22 In Fällen, in denen unterschiedliche Honorarstrukturen in verschiedenen Leistungsbereichen
bestehen (zB Honorierung im konservierend-chirurgischen Bereich nach Festbeträgen, aber
im kieferorthopädischen Bereich nach Einzelleistungen), kann es sich aus
Praktikabilitätsgründen anbieten, die Degressionsquote in jedem Bereich gesondert
anzuwenden; bei Vorliegen von Honorartöpfen kommt die Honorarminderung dann nicht
gleichmäßig allen übrigen Zahnärzten zugute, sondern speziell denen, die die gleichen
Leistungen erbringen. Eine solche Berechnungsweise hält sich ohne Weiteres innerhalb des
gemäß § 85 Abs 4b ff SGB V zulässigen Rahmens (zur gesonderten Berechnung
verschiedener Bereiche vgl den Fall BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 2 RdNr 22) . Der
Gestaltungsspielraum ist weit. Die KZÄV darf nach einer insgesamt gesehen praktikablen
Berechnungsweise suchen. Diese muss sich allerdings an der Konzeption orientieren, die
den gesetzlichen Vorgaben und deren Auslegung durch den Senat im Urteil vom 21.5.2003
und im heutigen Urteil entspricht.
23 2. Diesen Grundsätzen hat die Beklagte Rechnung getragen. Sie ging gemäß den Vorgaben
des § 85 Abs 4b Satz 1 iVm Satz 6 SGB V im Falle der Klägerin von einer degressionsfreien
Gesamtpunktmenge von 350.000 Punkten aus und errechnete anhand der von ihr in den
Jahren 2000 bis 2002 jeweils in Ansatz gebrachten Gesamtpunktzahlen die Überschreitung
der degressionsfreien Punktmengen.
24 Ausgehend von diesen Punktmengenüberschreitungen berechnete die Beklagte gemäß §
85 Abs 4b ff SGB V die Degression. Auf der Grundlage des Degressionsfaktors, der sich aus
der Gesamtpunktmenge anhand der Degressionsschwellen und der unterschiedlichen
Abstaffelungsfaktoren errechnen lässt (gemäß § 85 Abs 4b Satz 1 SGB V: 20 %ige
Minderung ab den vorgenannten 350.000 Punkten, 30% ige ab 450.000 Punkten und 40
%ige Minderung ab 550.000 Punkten, dh Minderung bei 100.000 Punkten um 20 %, bei
100.000 Punkten um 30 % und bei der darüber hinaus gehenden Punktzahl um 40 %) ,
sowie unter Zugrundelegung der je Sachbereich unterschiedlichen Punktwerte (verschieden
ua im konservierend-chirurgischen und kieferorthopädischen Bereich und in den KK-
Bereichen: je zwischen ca 1,30 und 1,80 DM bzw ca 65 und 90 Cent) hatte die Beklagte,
bezogen auf die Jahre 2000 bis 2002 jeweils ohne Berücksichtigung von HVM-Honorar-
Bemessungsgrenzen, Jahres-Degressionsbeträge ermittelt. Da sie damit mögliche
Auswirkungen von HVM-Honorar-Bemessungsgrenzen unberücksichtigt gelassen hatte, war
sie - wie durch die Urteile des BSG vom 21.5.2003 deutlich wurde - bei Anwendung der
HVM-Bemessungsgrenzen verpflichtet, zu überprüfen, ob dadurch die von der Klägerin in
Ansatz gebrachten und der Degression zugrunde liegenden Punktmengen rechnerisch
teilweise nicht honoriert worden waren, sodass ihr gegenüber vorgenommene
Degressionsabzüge rechnerisch nicht oder jedenfalls teilweise nicht gerechtfertigt waren. In
entsprechendem Umfang musste die Beklagte einen anteiligen Ausgleich bzw
entsprechende Gutschriften vornehmen.
25 Dementsprechend ging die Beklagte auch vor. Sie ermittelte die der Klägerin auferlegten
bzw aufzuerlegenden Degressionsabzüge neu. Sie errechnete unter Berücksichtigung der
sie treffenden HVM-Honorar-Bemessungsgrenzen jeweils geringere Degressionsabzüge. In
dieser Höhe nahm sie ihr gegenüber "Gutschriften" vor.
26 Die Berechnungen der Beklagten näher zu überprüfen, ist nicht veranlasst. Sie lassen Fehler
nicht erkennen, und die Klägerin hat ausdrücklich erklärt, die rechnerischen Einzelheiten
nicht zu beanstanden.
27 3. Mit dieser Vorgehensweise entsprach die Beklagte den grundsätzlichen Vorgaben, wie
sie sich aus dem Urteil vom 21.5.2003 (SozR 4-2500 § 85 Nr 2) ergeben und wie sie der
Senat oben unter 1. bestätigt hat. Zu Abweichungen von den dargestellten Grundsätzen
sieht er sich nicht veranlasst.
28 Insbesondere ist nicht der Ansicht der Klägerin zu folgen, dem Zahnarzt, der mehr
Leistungen erbringe, als ihm gemäß der HVM-Honorarbemessungsgrenze honoriert werden,
müsse das volle Honorar bis zu dieser HVM-Grenze, ohne Abzüge wegen der
Degressionsregelungen, verbleiben. Eine solche Forderung lässt sich weder auf Art 3 Abs 1
GG noch auf den aus Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG abzuleitenden Grundsatz der
Honorarverteilungsgerechtigkeit stützen. Zwar trifft es zu, dass nach den dargestellten
Grundsätzen ein Zahnarzt, der mit seiner Leistungsmenge außer der HVM-Honorar-
Bemessungsgrenze auch die Degressionsschwelle überschreitet, durch den ihn treffenden
Degressionsabzug letztlich weniger Honorar erzielt als derjenige, der sich mit seiner
Leistungsmenge innerhalb die HVM-Honorar-Bemessungsgrenze hält oder jedenfalls nur
diese, nicht aber auch die Degressionsschwelle überschreitet. Diese unterschiedliche
Behandlung ist aber gerechtfertigt. Denn die Überschreitung der Degressionsschwelle durch
einen Zahnarzt hat zur Folge, dass die KZÄV Degressionsbeträge an die KKn abführen
muss und dadurch ein geringes Honorarvolumen an die Zahnärzte ihres Bezirks verteilen
kann. Den dies verursachenden Zahnarzt an dieser die Allgemeinheit der Zahnärzte
treffenden Finanzlast zu beteiligen, stellt einen ausreichend gewichtigen Grund für die
dargestellte Behandlung dar, sodass ein sachlicher Differenzierungsgrund im Sinne des Art
3 Abs 1 GG gegeben ist.
29 Andererseits greift gegenüber dem oben 1. dargestellten Ergebnis, dass der
Degressionsabzug gegenüber dem Zahnarzt nicht in der Höhe des an die KKn abgeführten
Betrags erfolgt, sondern im Umfang der Honorarkappung durch den HVM vermindert wird -
wodurch ein Teil der Degressionslast von der Gesamtzahnärzteschaft getragen wird -, auch
nicht die Forderung durch, der Zahnarzt, der mit seiner Leistungsmenge die Verpflichtung
der KZÄV zur Abführung von Degressionsbeträgen auslöst, müsse in jedem Fall deren
Finanzierung voll selbst aufbringen. Eine solche Forderung ist jedenfalls dann nicht
zwingend, wenn im HVM - oder im Honorarverteilungsvertrags (HVV) - Honorar-
Bemessungsgrenzen normiert sind und dadurch dem Zahnarzt Honorar "gekappt" wird, ihm
also seine die Degression auslösende Punktmenge geringer honoriert wird: In einem
solchen Fall sind die im HVM normierten Begrenzungsregelungen mitverantwortlich dafür,
dass die Berechtigung fraglich wird, dem Zahnarzt einen Degressionsabzug in der Höhe des
an die KKn abgeführten Betrags aufzuerlegen. Sie sind dem Verantwortungsbereich der
KZÄV (dh ihrer Vertreterversammlung bei der Ausgestaltung des HVM bzw heute: ihrem
Vorstand im Rahmen der Vereinbarung des HVV) als der Repräsentantin der
Gesamtzahnärzteschaft zuzurechnen. Bei Bestehen solcher HVM-Bemessungsgrenzen
kommt also zu dem Gesichtspunkt, dass der Zahnarzt die Abführung von
Degressionsbeträgen an die KKn verursacht hat, der weitere Aspekt hinzu, dass
Regelungen im HVM ihm Honorar kappen und dadurch ihm gegenüber ein
Degressionsabzug in der vollen Höhe des an die KKn abgeführten Betrags nicht
gerechtfertigt erscheint. Es ist angemessen, dieses Zusammentreffen der beiden
Gesichtspunkte dadurch zu berücksichtigen, dass der Degressionsabzug gegenüber dem
Zahnarzt im Umfang der Honorarkappung durch den HVM vermindert wird, wodurch ein Teil
der Degressionslast von der Gesamtzahnärzteschaft getragen werden muss.
30 Eine solche Aufteilung der Finanzierungslast betrifft allerdings nur den Regelfall, wie er auch
hier vorliegt. Sie ist nicht die einzig denkbare Lösung. Vielmehr sind Abweichungen von der
vorliegend gegebenen Fallkonstellation denkbar. So kann durch Regelungen der
Honorarverteilung bestimmt werden, dass jeder Zahnarzt stets die volle Last der durch seine
Abrechnung verursachten Abführung an die KKn selbst in Form von Honorarabsenkungen
zu tragen hat, ohne Rücksicht darauf, ob ihm Honorar nur bis zu bestimmten HVM- bzw
HVV-Bemessungsgrenzen gewährt wird. Der Senat stellt ausdrücklich klar - insoweit ergänzt
er seine bisherige Rechtsprechung -, dass der Normgeber des HVM bzw des HVV nicht
gehindert ist, der Verantwortlichkeit des die Degressionsabführung verursachenden
Zahnarztes so großes Gewicht beizumessen, dass dieser die daraus resultierende
Finanzlast allein tragen muss. Mit einer solchen Regelung greift der Normgeber die im
Gesetz vorgegebene Wertung auf, dass eine übermäßige Ausdehnung der
vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit verhindert werden soll (§ 85 Abs 4 Satz 6 SGB V) .
31 Einer weiteren Erörterung solcher normativen Gestaltung bedarf es im vorliegenden Fall
indessen nicht. Denn der hier anzuwendende HVM enthielt eine derartige Regelung nicht.
32 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer
entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach
trägt die Klägerin die Kosten des von ihr geführten erfolglosen Rechtsmittels (§ 154 Abs 2
VwGO) .