Urteil des BSG vom 06.05.2010

BSG: ablauf der frist, befristete rente, vergleich, zukunft, verwaltungsakt, widerklage, hauptsache, ausführung, erlass, abgabe

Bundessozialgericht
Urteil vom 06.05.2010
Sozialgericht Koblenz S 12 RI 284/04
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 2 R 90/06
Bundessozialgericht B 13 R 16/09 R
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. November 2007
und des Sozialgerichts Koblenz vom 24. Januar 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben
einander außergerichtliche Kosten für alle Rechtszüge nicht zu erstatten.
Gründe:
I
1
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung einer Rente wegen voller
Erwerbsminderung auf Zeit streitig.
2
Im Rahmen eines Rechtsstreits auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vor dem SG (S 1 RI 432/02)
erklärte die Beklagte mit Schriftsatz vom 13.6.2003 gegenüber dem Gericht: " erkennen wir einen Anspruch auf Rente
wegen voller Erwerbsminderung auf der Grundlage eines Leistungsfalls am 02.07.2002 ( ) mit Rentenbeginn zum
01.02.2003 ( ) auf Zeit bis zum 31.01.2005 an, soweit keine Rentenausschlussgründe vorliegen, wie Verletztengeld
oder Versorgungskrankengeld". Grundlage hierfür war ein orthopädisches Gutachten vom Mai 2003, das zu dem
Ergebnis gekommen war, dass die Klägerin wegen ihrer Dysplasie-Coxarthrose rechts nur noch in der Lage sei,
maximal drei bis vier Stunden am Tag zu arbeiten. Nach einer für Sommer 2003 geplanten hüftendoprothetischen
Versorgung des Gelenks werde sich die Erwerbsfähigkeit wieder bessern. Auf eine entsprechende Anfrage des SG
nahm die Klägerin mit Schriftsatz vom 8.7.2003 "das Angebot der Beklagten vom 13.06.03 an" und erklärte den
Rechtsstreit im Übrigen für erledigt. Daraufhin teilte das Gericht den Beteiligten mit, der Rechtsstreit sei "laut
richterlicher Verfügung erledigt durch Anerkenntnis".
3
Mit Datum vom 24.7.2003 erließ die Beklagte "aufgrund des Anerkenntnisses vom 13.06.2003" einen Rentenbescheid
und bewilligte eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1.2.2003 bis 31.1.2005 mit einem monatlichen
Zahlbetrag von 47,69 Euro.
4
Die im Juni 2003 durchgeführte Totalendoprothesenoperation des rechten Hüftgelenks und die bis 5.8.2003
durchgeführte Anschlussheilbehandlung verliefen komplikationslos. Ausweislich des Entlassungsberichts vom
12.8.2003 war die Klägerin wieder imstande, leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten im Wechsel der
Körperhaltungen, jedoch überwiegend im Sitzen, in einem Umfang von täglich mindestens sechs Stunden und mehr
zu verrichten.
5
Nach Anhörung der Klägerin hob die Beklagte mit (am 1.12.2003 abgesandtem) Bescheid vom 24.11.2003 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 29.4.2004 die Bewilligung der Rente wegen einer wesentlichen Änderung der
Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X mit Ablauf des 31.12.2003 auf. Es bestehe wieder ein mindestens
sechsstündiges Leistungsvermögen pro Tag für leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt; damit
sei keine Erwerbsminderung mehr gegeben.
6
Im Klageverfahren hat die Beklagte neben der Abweisung der Klage hilfsweise im Wege der Widerklage beantragt, das
angenommene Anerkenntnis aus dem Vorprozess zum 31.12.2003 aufzuheben. Das SG hat mit Urteil vom 24.1.2006
den Bescheid der Beklagten vom 24.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.4.2004 aufgehoben
und die Widerklage abgewiesen.
7
Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das LSG in seinem Urteil vom 12.11.2007 im
Wesentlichen ausgeführt: Die Entziehung der Rente sei rechtswidrig, denn Grundlage für die Gewährung der Rente
wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis 31.1.2005 sei die in dem Vorprozess vor dem SG zwischen den
Beteiligten geschlossene Vereinbarung. Bei dieser handele es sich nicht um ein angenommenes Anerkenntnis iS des
§ 101 Abs 2 SGG, weil das als "Anerkenntnis" bezeichnete Angebot auf Bewilligung einer befristeten Rente hinter
dem geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer unbefristeten Erwerbsminderungsrente zurückgeblieben sei.
Vielmehr liege ein außergerichtlicher Vergleich vor, der als öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag für die Beklagte
bindend sei, denn er sei weder gemäß § 58 SGB X nichtig, noch komme eine Anpassung oder Kündigung wegen
wesentlich geänderter Verhältnisse nach § 59 SGB X in Betracht. Eine Aufhebung des Ausführungsbescheids vom
24.7.2003 scheitere bereits daran, dass dieser kein Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X sei, da er keine
eigenständige Regelung hinsichtlich der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarung enthalte. Auch mit der
hilfsweise erhobenen Widerklage auf Abänderung des angenommenen Anerkenntnisses aus dem Vorprozess mit
Wirkung ab 1.1.2004 könne die Beklagte nicht durchdringen.
8
Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, § 101 Abs
2 SGG und § 323 ZPO. Entgegen der Ansicht des LSG habe sie im Vorprozess ein Teilanerkenntnis abgegeben, denn
sie habe mit ihrem Schriftsatz vom 13.6.2003 einen Anspruch der Klägerin auf eine nach Rentenart, Zahlungsbeginn
und -ende konkretisierte Rente dem Grunde nach anerkannt. Hierin könne kein Angebot auf Abschluss eines
Vergleichsvertrags gesehen werden, weil sie die Wirksamkeit ihrer dort getroffenen Feststellung eines
Rentenanspruchs nicht von einem wie auch immer gearteten Nachgeben oder einer Annahme durch die Klägerin
abhängig gemacht habe. Diese wäre durch die Annahme des Teilanerkenntnisses nicht darin gehindert gewesen, ihr
Begehren auf Gewährung einer unbefristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung im Vorprozess weiterzuverfolgen.
9
Ihr Anerkenntnis vom 13.6.2003 über einen Teil des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs erfülle alle
Tatbestandsmerkmale eines Verwaltungsakts. Entgegen der Rechtsmeinung des LSG sei daher die Frage, ob die
anerkannte Rente auf Grund einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse entzogen werden könne,
nicht auf der Grundlage des § 59 SGB X zu beantworten. Vielmehr habe die durch das Anerkenntnis dem Grunde
nach festgestellte und durch den Bescheid vom 24.7.2003 der Höhe nach konkretisierte Rente nach § 48 Abs 1 Satz
1 SGB X mit Wirkung zum 31.12.2003 entzogen werden müssen. Doch selbst wenn man der Meinung des LSG folge,
könnten wiederkehrende Sozialleistungen in entsprechender Anwendung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X unabhängig
vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Kündigung des Vertrags nach § 59 SGB X entzogen werden. Soweit das
LSG den im Wege der Widerklage hilfsweise verfolgten Anspruch auf Aufhebung des angenommenen
Anerkenntnisses aus dem Vorprozess für die Zeit ab 1.1.2004 verneint habe, habe es die über § 202 SGG auf solche
Vollstreckungstitel über wiederkehrende Sozialleistungen entsprechend anwendbare Bestimmung des § 323 Abs 4
ZPO verletzt, da eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS dieser Bestimmung eingetreten sei.
10
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. November 2007 und das Urteil
des Sozialgerichts Koblenz vom 24. Januar 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Anerkenntnis
vom 13. Juni 2003 für die Zeit ab 1. Januar 2004 aufzuheben.
11
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
12
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
13
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden
erklärt (§ 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 SGG).
II
14
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Entscheidungen der Vorinstanzen können keinen Bestand
haben; die Klage ist abzuweisen. Die in dem angefochtenen Bescheid vom 24.11.2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 29.4.2004 verfügte Aufhebung der Rentenbewilligung mit Wirkung zum 31.12.2003 ist
rechtmäßig. Denn die Voraussetzungen des hier anzuwendenden § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X sind erfüllt.
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1. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der befristeten Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung mit
Wirkung für die Zukunft ist § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 102 Abs 1 Satz 2 SGB VI. Gemäß § 102 Abs 1 Satz 2
SGB VI ist bei befristet bewilligten Renten vor Ablauf der Frist eine Änderung oder Beendigung aus anderen Gründen
nicht ausgeschlossen. Solche "anderen Gründe" können darin liegen, dass in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die bei Rentenbewilligung - dh dem Erlass eines entsprechenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung -
vorgelegen haben, nachträglich eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X
eintritt; in diesem Fall ist der Verwaltungsakt jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Voraussetzungen
der genannten Bestimmung sind erfüllt, wenn der Verwaltungsakt entsprechend den bei seinem Erlass vorliegenden
tatsächlichen Verhältnissen und übereinstimmend mit der damals gegebenen Rechtslage ergangen war und erst nach
diesem Zeitpunkt infolge einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse rechtswidrig geworden ist, so
dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Umständen den Verwaltungsakt nicht oder nicht mit
seinem ursprünglichen Inhalt hätte erlassen dürfen (BSG vom 6.11.1985 - BSGE 59, 111, 112 = SozR 1300 § 48 Nr
19 S 36; BSG vom 15.10.1987 - SozR 1300 § 45 Nr 32 S 101; BSG vom 19.2.2009 - B 10 KG 2/07 R - SozR 4-5870 §
1 Nr 2 RdNr 15).
16
2. Der Anwendung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X steht hier nicht entgegen, dass der mit dem angefochtenen
Bescheid vom 24.11.2003 aufgehobene Rentenbescheid vom 24.7.2003 seinerseits auf dem Ergebnis des
vorangegangenen Klageverfahrens vor dem SG (S 1 RI 432/02) beruhte. Dabei kann offen bleiben, ob - wie das LSG
dies angenommen hat - im Fall einer Rentengewährung auf der Grundlage eines gerichtlichen oder außergerichtlichen
Vergleichs eine nachträgliche Anpassung wegen geänderter Verhältnisse nur nach Maßgabe der Voraussetzungen
des § 59 SGB X in Frage kommt, oder ob anzunehmen ist, dass in einem Vergleich über Rentenleistungen diese
Norm regelmäßig zugunsten einer Anwendung des § 48 Abs 1 SGB X abbedungen wird (vgl zum Meinungsstand
Steinwedel in Kasseler Komm, Stand April 2010, § 48 SGB X RdNr 12; Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010,
Vor §§ 44 bis 49 ff RdNr 7; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 101 RdNr 15a).
Denn jedenfalls ist § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X auf einen zur Umsetzung eines gerichtlichen Anerkenntnisses
erlassenen Rentenbescheid anwendbar (s nachfolgend unter b); auf einem solchen Anerkenntnis der Beklagten iS von
§ 101 Abs 2 SGG beruhte der Bescheid vom 24.7.2003 (sogleich unter a).
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a) Die Beklagte hat mit ihrer Erklärung vom 13.6.2003, dass sie "einen Anspruch auf Rente wegen voller
Erwerbsminderung auf der Grundlage eines Leistungsfalls am 02.07.2002 ( ) mit Rentenbeginn zum 01.02.2003 ( ) auf
Zeit bis zum 31.01.2005" anerkenne, kein "Angebot" auf Abschluss eines (außergerichtlichen) Vergleichsvertrags
abgegeben, sondern den von der Klägerin geltend gemachten (prozessualen) Anspruch teilweise anerkannt.
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aa) Nach § 101 Abs 2 SGG erledigt das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs "insoweit"
den Rechtsstreit in der Hauptsache. Bereits aus dieser Formulierung geht hervor, dass es auch ein Teilanerkenntnis
geben kann, das den geltend gemachten Klageanspruch nicht vollständig umfasst. Voraussetzung ist allerdings, dass
es sich insoweit um einen teilbaren (prozessualen) Anspruch (Streitgegenstand) handelt (stRspr, BSG vom
21.11.1961 - 9 RV 374/60 - SozR Nr 3 zu § 101 SGG; BSG vom 6.10.1964 - 10 RV 583/62 - KOV 1966, 17; BSG vom
13.5.2009 - BSGE 103, 153 = SozR 4-4200 § 12 Nr 13, RdNr 12; BSG vom 22.9.2009 - BSGE 104, 192 = SozR 4-
4200 § 22 Nr 30, RdNr 10). Alternativ dazu können die Beteiligten gemäß § 101 Abs 1 SGG einen gerichtlich geltend
gemachten Anspruch aber auch dadurch vollständig oder zum Teil (unstreitig) erledigen, dass sie einen Vergleich
schließen.
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Ein Anerkenntnis und kein Vergleichsangebot liegt vor, wenn der/die Beklagte einseitig und ohne Einschränkung
erklärt, die vom Kläger begehrte Rechtsfolge werde "ohne Drehen und Wenden" zugegeben (vgl BSG vom 21.11.1961
- 9 RV 374/60 - SozR Nr 3 zu § 101 SGG; BSG vom 29.4.1969 - 10 RV 12/68 - Juris RdNr 20 f; BSG vom 27.1.1982 -
9a/9 RV 30/81 - Juris RdNr 13; BSG vom 21.9.1983 - 4 RJ 63/82 - Juris RdNr 30; BSG vom 22.6.1989 - BSGE 65,
160, 164 = SozR 1200 § 44 Nr 24 S 64; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 101 RdNr 20;
Masuch/Blüggel, SGb 2005, 613 f); im begrifflichen Gegensatz dazu steht der (Prozess-)Vergleich, der unter
beiderseitigem Nachgeben den Rechtsstreit beenden soll (BSG vom 21.9.1983 - 4 RJ 63/82 - Juris RdNr 30).
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Welche der beiden Handlungsformen vorliegt, ist bei Zweifeln durch Auslegung der abgegebenen Erklärungen zu
ermitteln (s bereits BSG vom 21.11.1961, aaO). Im Einzelfall kann ein Beteiligter ein Anerkenntnis iS des § 101 Abs 2
SGG auch ohne die Verwendung der entsprechenden Bezeichnung ("Anerkenntnis" bzw "anerkennen") abgeben. Die
Erklärung muss aber stets gekennzeichnet sein durch den unbedingten Bindungswillen des Anerkennenden, und zwar
auch für den Fall, dass das Anerkenntnis nicht angenommen wird. Erforderlich ist, dass sich ein darauf gerichteter
Wille hinreichend deutlich aus dem gesamten Inhalt der Äußerung und aus dem Zusammenhang, in dem sie steht,
ergibt (vgl BSG vom 27.1.1982 - 9a/9 RV 30/81 - Juris RdNr 14; BSG vom 21.9.1983 - 4 RJ 63/82 - Juris RdNr 30).
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Ein Anerkenntnis ist gegenüber dem Gericht abzugeben; dies kann in einem Schriftsatz - wie vorliegend -, zur
Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll des Gerichts
(§ 122 SGG iVm § 160 Abs 3 Nr 1 ZPO) erfolgen. Nach § 101 Abs 2 SGG erledigt zwar nur das angenommene
Anerkenntnis des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs den Rechtsstreit in der Hauptsache. Ein nicht
angenommenes Anerkenntnis bleibt aber gleichfalls eine Prozesserklärung, wenngleich ohne unmittelbare prozessuale
Wirkung, dh es erledigt als solches den Rechtsstreit in der Hauptsache nicht. Dennoch bleibt auch ohne eine
Annahme der Beteiligte, der die Erklärung abgegeben hat, an ihren materiell-rechtlichen Inhalt gebunden, weil es sich
bei dem Anerkenntnis um eine einseitige, nicht zustimmungsbedürftige Erklärung handelt (vgl BSG vom 21.11.1961 -
9 RV 374/60 - SozR Nr 3 zu § 101 SGG; BSG vom 29.4.1969 - 10 RV 12/68 - Juris RdNr 21). Diese Bindung führt
dazu, dass auch im sozialgerichtlichen Verfahren auf ein nicht angenommenes Anerkenntnis ein Anerkenntnisurteil (§
202 SGG iVm § 307 ZPO) zu ergehen hat (stRspr, zB BSG vom 22.9.1977 - SozR 1750 § 307 Nr 1 S 2; BSG vom
12.12.1979 - SozR 1750 § 307 Nr 2 S 5; BSG vom 27.11.1980 - SozR 1500 § 101 Nr 6 S 6; BSG vom 24.7.2003 - B 4
RA 62/02 R - Juris RdNr 18).
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bb) Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass die Beklagte im Vorprozess mit
Schriftsatz vom 13.6.2003 ein Teilanerkenntnis abgegeben hat.
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Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 13.6.2003 das Wort "Vergleichsangebot" nicht verwendet. Die Erklärung
sollte auch nicht die Ungewissheit über das Ausmaß des verbliebenen Leistungsvermögens der Klägerin beseitigen.
Vielmehr gab die Beklagte nach Auswertung des vom SG eingeholten orthopädischen Sachverständigengutachtens
vom Mai 2003 "ohne Drehen und Wenden" zu, dass der Klageanspruch zumindest teilweise begründet ist. Bereits aus
der Formulierung "erkennen wir einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf der Grundlage eines
Leistungsfalls am 02.07.2002 ( ) mit Rentenbeginn zum 01.02.2003 ( ) auf Zeit bis zum 31.01.2005 an" lässt sich
unschwer der Wille der Beklagten entnehmen, den von der Klägerin geltend gemachten Rentenanspruch (nur)
teilweise, nämlich als Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit - aber insoweit ohne Einschränkungen -
anzuerkennen. Die Einschränkung "soweit keine Rentenausschlussgründe vorliegen, wie Verletztengeld oder
Versorgungskrankengeld" vermag an der beabsichtigten Bindungswirkung der Erklärung nichts zu ändern, sondern
verdeutlicht, dass keine weiteren Vorbehalte bestehen. Dass die Beklagte ihre insoweit getroffenen materiell-
rechtlichen Feststellungen hinsichtlich Art, Beginn und Dauer der Rente von einer "Annahme" dieser Erklärung durch
die Klägerin abhängig gemacht hat, lässt sich dem Schriftsatz vom 13.6.2003 nicht entnehmen. Vielmehr hat sie im
vorletzten Absatz nochmals ausdrücklich das Wort "Anerkenntnis" verwendet. Soweit die Beklagte ausführt, "wenn
das Anerkenntnis angenommen wird, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt", weist sie nur auf die sich aus §
101 Abs 2 SGG ergebenden Folgen hin.
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Hiergegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, der Anspruch auf "Zeitrente" wegen voller Erwerbsminderung sei kein
selbstständiger Teil des Anspruchs einer "Dauerrente" wegen voller Erwerbsminderung, sondern ein "eigenständiger
Anspruch", so dass sich beide Ansprüche gegenseitig ausschlössen. Diese Argumentation geht bereits deshalb fehl,
weil es nach § 33 Abs 3 Nr 2, § 89 Abs 1 Satz 2 Nr 7 SGB VI nur eine "Rente wegen voller Erwerbsminderung" gibt.
Diese ist vom Rentenversicherungsträger nach § 102 Abs 2 Satz 1 und 5 SGB VI lediglich (grundsätzlich) zunächst
für einen begrenzten Zeitraum als befristete Rente ("auf Zeit") zu leisten (s zum Beginn und Ende befristeter Renten
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit § 101 Abs 1, § 102 Abs 1, Abs 2 Satz 2 bis 4 SGB VI); hieraus ergibt sich ohne
weiteres die für ein Teilanerkenntnis erforderliche Teilbarkeit des Streitgegenstands.
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Auf dieser Grundlage hat die damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 8.7.2003 das
Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen. Hierzu passt, dass sie gleichzeitig "im Übrigen (den) Rechtsstreit für
erledigt erklärt" hat; denn wenn der Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs gewollt gewesen wäre, hätte die
Klägerin den Rechtsstreit insgesamt für erledigt erklären müssen. Dies hat auch das damalige Prozessgericht so
gesehen, das nach der richterlichen Verfügung vom 9.7.2003 von einer Verfahrenserledigung durch angenommenes
Anerkenntnis ausgegangen ist und dies den Beteiligten mitgeteilt hat.
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cc) Der Senat ist aufgrund der Regelung in § 163 SGG nicht daran gehindert, die im Vorprozess von der Beklagten im
Schriftsatz vom 13.6.2003 abgegebene Erklärung abweichend vom Berufungsgericht selbst als Teilanerkenntnis
auszulegen.
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Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob dies bereits daraus folgt, dass es sich bei ihr um eine Prozesserklärung
handelt, zu deren Auslegung das Revisionsgericht stets befugt ist (vgl BSG vom 29.4.1969 - 10 RV 12/68 - Juris
RdNr 19; BSG vom 21.9.1971 - 8 RV 269/70 - Juris RdNr 19; BSG vom 27.1.1982 - 9a/9 RV 30/81 - Juris RdNr 11;
BSG vom 21.9.1983 - 4 RJ 63/82 - Juris RdNr 28; BSG vom 25.6.2002 - B 11 AL 23/02 R - Juris RdNr 21). Die
Anwendung dieser Regel würde hier voraussetzen, dass sie auch für sämtliche Prozesserklärungen in anderen
Gerichtsverfahren, jedenfalls aber für solche in einem "Vorprozess" wie im vorliegenden Fall gälte (vgl BAG vom
22.5.1985 - BAGE 48, 351, 359 f - und vom 20.4.1983 - BAGE 42, 244, 249, wonach ein vorprozessualer
Prozessvergleich durch das Revisionsgericht unbeschränkt und selbstständig auslegbar ist; einschränkend BSG vom
24.11.1976 - BSGE 43, 37, 39 = SozR 2200 § 1265 Nr 24 S 75; BSG vom 27.9.1994 - BSGE 75, 92, 95 = SozR 3-
4100 § 141b Nr 10 S 46; BSG vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - Juris RdNr 66 (in BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art
85 Nr 1 insoweit nicht veröffentlicht) - in Bezug auf den materiellen Teil eines gerichtlichen Vergleichs). Darauf kommt
es vorliegend jedoch nicht an, weil auch bei Zugrundelegung der zuletzt genannten Rechtsmeinung hier keine Bindung
des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des LSG besteht (vgl § 163 Halbs 2 SGG). Denn die
Auslegung des LSG beruht - wie die Beklagte zu Recht rügt - auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG),
nämlich des § 101 Abs 2 SGG. Das Berufungsgericht hat seine Auslegung der Erklärung der Beklagten vom
13.6.2003 als Vergleichsangebot nämlich maßgeblich darauf gestützt, dass es sich dabei "nicht um die Abgabe eines
(vollen) Anerkenntnisses" gehandelt und deshalb das Angebot zur Gewährung lediglich einer befristeten Rente "ein
gegenseitiges Nachgeben zur Beseitigung einer Ungewissheit" enthalten habe. Diese Begründung belegt, dass das
LSG bei seiner Auslegung das - oben unter aa) näher dargestellte - entscheidende Kriterium zur Abgrenzung von (Teil-
)Anerkenntnis und Vergleich nicht berücksichtigt hat.
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b) Die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit in Ausführung eines von der Beklagten
abgegebenen und von der Klägerin angenommenen Teilanerkenntnisses (§ 101 Abs 2 SGG) und die dadurch erlangte
verfahrensrechtliche Stellung der Klägerin (Erwirkung eines Vollstreckungstitels nach § 199 Abs 1 Nr 3 SGG) stehen
einer späteren Aufhebung der Rentenbewilligung gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht entgegen. Denn selbst die
Bestätigung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung durch ein rechtskräftiges sozialgerichtliches Urteil würde dessen
Aufhebung bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse iS von § 48 SGB X nicht hindern. Entsprechendes gilt
für einen in Ausführung eines zusprechenden Urteils ergangenen (Ausführungs-)Bescheid mit Dauerwirkung (vgl zum
früheren Recht BSG vom 10.10.1978 - SozR 4100 § 151 Nr 10 S 18 f; s auch Schütze in von Wulffen, aaO, Vor §§ 44
bis 49 ff RdNr 7; Waschull in Diering/Timme/Waschull, Lehr- und PraxisKomm, SGB X, 2. Aufl 2007, Vor §§ 44 bis 51
RdNr 22).
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Aus den Ausführungen im Urteil des 4. Senats des BSG vom 26.10.2004 (SozR 4-8570 § 5 Nr 5 RdNr 7) lässt sich
nichts Abweichendes herleiten; denn sie bezogen sich insoweit nicht auf ein angenommenes Teilanerkenntnis iS von
§ 101 Abs 2 SGG, sondern auf eine Vereinbarung der Prozessbeteiligten zum Vorliegen eines für den geltend
gemachten prozessualen Anspruch (auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung
der technischen Intelligenz) maßgeblichen Sachverhaltselements (zu solchen - gelegentlich unscharf ebenfalls als
"Teilanerkenntnis" bezeichneten - Unstreitigstellungen des Vorliegens einzelner Tatbestandsmerkmale s zB BSG vom
7.11.2006 - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 22; BSG vom 13.5.2009 - BSGE 103, 153 = SozR 4-4200
§ 12 Nr 13, RdNr 12 f). Gegenstand eines Anerkenntnisses iS von § 101 Abs 2 SGG kann aber nur - wie oben unter
aa) bereits dargestellt - der prozessuale Anspruch oder ein abtrennbarer Teil des Anspruchs, also die Anerkennung
einer Rechtsfolge aus dem vom Kläger behaupteten Tatbestand, nicht der Tatbestand selbst oder ein
Tatbestandselement sein (BSG vom 22.6.1989 - BSGE 65, 160, 164 = SozR 1200 § 44 Nr 24 S 64).
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Allerdings trifft zu, dass der Bescheid vom 24.7.2003 hinsichtlich Rentenart, Rentenbeginn und Rentendauer keine
selbstständigen Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X mehr enthält. Diese (Grund-)Entscheidungen waren nämlich
schon in dem Teilanerkenntnis der Beklagten vom 13.6.2003 enthalten. Denn bereits darin hatte die Beklagte der
Klägerin "ohne Drehen und Wenden" zugestanden, dass nach den zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden
tatsächlichen Umständen ihr Rentenanspruch für die Zeit vom 1.2.2003 bis 31.1.2005 dem Grunde nach besteht.
Dementsprechend hat die Beklagte mit Bescheid vom 24.7.2003 "aufgrund des Anerkenntnisses vom 13.06.2003"
eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1.2.2003 bis 31.1.2005 bewilligt und insoweit ihre bereits im
Anerkenntnis getroffenen Entscheidungen deklaratorisch wiederholt. Der Bescheid vom 24.7.2003 enthielt jedoch eine
selbstständige Regelung über die Rentenhöhe; hierzu war über das Anerkenntnis vom 13.6.2003 hinaus noch eine
Konkretisierung durch eine Regelung im Ausführungsbescheid erforderlich (allgemein zum Verwaltungsaktcharakter
von so genannten Ausführungsbescheiden Engelmann in von Wulffen, aaO, § 31 RdNr 30; vgl auch BSG vom
29.1.1992 - 9a RV 2/91 - Juris RdNr 13; BSG vom 2.7.1997 - SozR 3-3200 § 88 Nr 2 S 8; BSG vom 18.9.2003 - B 9 V
82/02 B - Juris RdNr 6).
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3. Die Beklagte war verpflichtet, die in dem angenommenen Teilanerkenntnis und in dem zu dessen Ausführung
erlassenen Rentenbescheid vom 24.7.2003 getroffenen Regelungen hinsichtlich Rentenart, Rentendauer und
Rentenhöhe nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben; ein Ermessen stand ihr insoweit
nicht zu (vgl BSG vom 17.4.1986 - 7 RAr 101/84 - Juris RdNr 14; BSG vom 21.10.1999 - BSGE 85, 92, 96 = SozR 3-
1300 § 48 Nr 68 S 163).
32
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X für die im angefochtenen Bescheid vom
24.11.2003 verfügte Aufhebung der Rentenbewilligung mit Wirkung vom 31.12.2003 sind erfüllt. Dabei umfasst die
Aufhebungsentscheidung der Beklagen auch die bereits im Anerkenntnis vom 13.6.2003 getroffenen Regelungen über
Rentenart und Rentendauer; denn diese waren im Ausführungsbescheid vom 24.7.2003 zur Regelung der Rentenhöhe
wiederholt worden. In den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Abgabe des Teilanerkenntnisses mit Schriftsatz vom
13.6.2003 - und auch noch bei Erlass des Ausführungsbescheids vom 24.7.2003 - vorlagen, war nach den bindenden
Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) eine wesentliche Änderung eingetreten. Nach der Totalendoprothesenoperation
des rechten Hüftgelenks und der im Anschluss bis Anfang August 2003 durchgeführten Heilbehandlungsmaßnahme
war die Klägerin wieder in der Lage, zumindest leichte körperliche Arbeiten in einem Umfang von mindestens sechs
Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, so dass sie wegen des Wegfalls der
Erwerbsminderung keinen Anspruch auf Rente wegen (voller oder teilweiser) Erwerbsminderung mehr hatte (vgl § 43
SGB VI).
33
Die Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft (dh für einen Zeitpunkt nach Bekanntgabe des
Aufhebungsbescheids: BSG vom 4.7.1989 - BSGE 65, 185, 188 = SozR 1300 § 48 Nr 57 S 173) nach § 48 Abs 1
Satz 1 SGB X war an keine Frist gebunden. Dass diese mit Ablauf des Monats wirksam werden sollte, in dem der am
1.12.2003 zur Post gegebene Aufhebungsbescheid vom 24.11.2003 der Klägerin bekanntgegeben worden war (vgl §
37 Abs 2 SGB X), hier somit zum 31.12.2003, und damit über vier Monate nach Abschluss der medizinischen
Rehabilitationsmaßnahme und Wegfall der Erwerbsminderung im August 2003, ist auch unter Berücksichtigung der
Vorgabe in § 100 Abs 3 Satz 2 SGB VI nicht zu beanstanden.
34
4. Da die Beklagte bereits mit ihrem Hauptantrag erfolgreich war, bedurfte es keiner Entscheidung über den
Hilfsantrag.
35
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG.