Urteil des BSG vom 13.03.2017

BSG (entstehung des anspruchs, arbeitsentgelt, bemessungszeitraum, berufliche eingliederung, gesetz, grund, eintritt des versicherungsfalls, rahmenfrist, höhe, bemessung)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 29.5.2008, B 11a AL 23/07 R
Arbeitslosengeld - fiktive Bemessung nach Qualifikationsgruppen im Anschluss an
Erziehungszeiten - Verfassungsmäßigkeit - Europarechtskonformität
Leitsätze
Es verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, wenn das Arbeitslosengeld im Anschluss an
Erziehungszeiten nach Qualifikationsgruppen bemessen wird.
Tatbestand
1 Streitig ist die Höhe von Arbeitslosengeld (Alg).
2 Die Klägerin ist Kauffrau im Groß- und Außenhandel und war bis zum 23. Januar 2002 zuletzt
als Disponentin im Kundendienst beschäftigt. Vom 24. Januar 2002 bis zum 24. Januar 2005
war sie wegen der Geburt ihres Kindes am 25. Januar 2002 zunächst in Mutterschutz und
anschließend in Erziehungsurlaub. Am 25. Januar 2005 wurde ihr aus betriebsbedingten
Gründen unter Freistellung von der Arbeitsleistung sowie unter Fortzahlung eines
monatlichen Arbeitsentgelts von 2.324 EUR mit Wirkung zum 31. März 2005 gekündigt.
Daraufhin meldete sich die Klägerin am 27. Januar 2005 zum 1. April 2005 arbeitslos.
3 Die Beklagte bewilligte ab 1. April 2005 für 360 Kalendertage Alg in Höhe von 21,69 EUR
täglich (Bescheid vom 19. April 2005). Hierbei ging sie von einem nach der beruflichen
Qualifikation der Klägerin festgelegten fiktiven Arbeitsentgelt von 64,40 EUR aus, weil
innerhalb von zwei Jahren vor Anspruchsbeginn nicht mindestens 150 Tage mit Anspruch auf
Arbeitsentgelt feststellbar seien. Den Widerspruch, mit dem die Klägerin die Berücksichtigung
des in den letzten zwölf Monaten ihrer Berufstätigkeit erzielten Gehalts als
Bemessungsentgelt verlangte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai
2005 zurück.
4 Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 27. Juni
2006; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2007). Das
LSG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Klägerin stehe kein höheres Alg
zu. Die Entscheidung der Beklagten stimme mit dem seit 1. Januar 2005 geltenden
Bemessungsrecht des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch (SGB III) überein. Insbesondere sei
die Beklagte zu Recht von einem fiktiven Arbeitsentgelt ausgegangen, weil bei der Klägerin
auch in einem auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen kein Bemessungszeitraum von
mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt feststellbar sei. Eine Verlängerung,
Verschiebung oder Teilung des Bemessungsrahmens wegen der Mutterschutz- bzw
Erziehungszeiten komme weder nach dem Wortlaut des Gesetzes noch nach Sinn und Zweck
des Bemessungsrechts, dem Lohnersatzcharakter des Alg Rechnung zu tragen, in Betracht.
Dieses Ergebnis begegne auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken,
weil der Gesetzgeber nicht gehalten sei, jede mit der Mutterschaft zusammenhängende
wirtschaftliche Belastung auszugleichen. Ferner sei die Beklagte zutreffend davon
ausgegangen, dass die Klägerin für eine Beschäftigung in Frage komme, für die eine
abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erforderlich sei, und habe ein dieser
Qualifikation entsprechendes fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde gelegt. Der Senat könne sich
schließlich nicht davon überzeugen, dass die den Qualifikationsgruppen zugeordneten
fiktiven Entgelte verfassungswidrig seien. Vielmehr könne davon ausgegangen werden, dass
der Gesetzgeber in ausreichendem Maße Erfahrungswerte zu Grunde gelegt und den ihm
zuzubilligenden Einschätzungsspielraum daher nicht überschritten habe.
5 Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, höheres
Alg unter Berücksichtigung ihres Arbeitsentgelts vor der Mutterschafts- und Erziehungszeit zu
erhalten. Zur Begründung macht sie insbesondere geltend, dass der während ihres
Erziehungsurlaubs auf zwei Jahre verkürzte Bemessungsrahmen besonders Mütter nach der
Zurücklegung von Mutterschutzfristen und der Inanspruchnahme von Elternzeit benachteilige,
weil sie die Voraussetzung von 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht erfüllen
könnten und weil bei der fiktiven Bemessung nur die einmal erworbene Qualifikation
berücksichtigt werde, nicht aber ein beruflicher Aufstieg vor der Mutterschaft. Unter diesen
Voraussetzungen biete die Arbeitslosenversicherung keinen äquivalenten Schutz mehr, weil
das fiktive Arbeitsentgelt in den seltensten Fällen die Höhe des vor der Arbeitslosigkeit
erzielten Entgelts erreiche. Im Hinblick auf Art 3, 6 und 14 des Grundgesetzes (GG) zu
beanstanden sei auch die nicht plausible und im Regelfall zu einer deutlichen Reduzierung
der Leistungsansprüche führende Festsetzung der den einzelnen Qualifikationsgruppen
pauschal zugeordneten fiktiven Entgelte, die deutlich unter den tatsächlichen
Durchschnittsgehältern der jeweiligen Gruppe lägen. Das seit 1. Januar 2005 geltende
Bemessungsrecht führe schließlich zu einer nach dem Gemeinschaftsrecht unzulässigen
mittelbaren Diskriminierung von Frauen, weil nach wie vor wesentlich mehr Frauen als
Männer Elternzeit für die Kindererziehung in Anspruch nähmen und im Falle anschließender
Arbeitslosigkeit bei der Berechnung des Alg ohne sachlichen Grund benachteiligt würden.
6 Die Klägerin beantragt ,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids
vom 19. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2005 zu
verurteilen, der Klägerin höheres Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung des Arbeitsentgelts
vor ihren Mutterschafts- und Erziehungszeiten zu gewähren.
7 Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
8 Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Alg ab 1. April 2005.
10 Der angefochtene Bewilligungsbescheid vom 19. April 2005 in der Fassung durch den
Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2005 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die
ihm zu Grunde liegende Rechtsanwendung der Beklagten ist im Hinblick auf die bekämpfte
Höhe der Leistung weder einfachrechtlich noch verfassungs- oder gemeinschaftsrechtlich zu
beanstanden.
11 1.a) Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Alg dem Grunde nach (§§ 117 Abs 1 Nr
1, 118 SGB III), ohne deren Vorliegen auch eine Klage auf höhere Leistungen keinen Erfolg
haben kann, hat das LSG bindend festgestellt (§ 163 Sozialgerichtsgesetz ), dass
sich die Klägerin am 27. Januar 2005 mit Wirkung zum 1. April 2005 bei der Agentur für
Arbeit arbeitslos gemeldet hat, sodass insoweit diese Anspruchsvoraussetzung erfüllt ist (§§
118 Abs 1 Nr 2 und Abs 2, 122 Abs 1 SGB III). Ferner ergibt sich aus den Feststellungen,
dass sie ab 1. April 2005 auch arbeitslos im Sinne der §§ 118 Abs 1 Nr 1, 119 bis 121 SGB
III war.
12 Schließlich bestehen auch keine Bedenken gegen die Annahme, dass die Klägerin die
Anwartschaftszeit erfüllt hatte (§ 118 Abs 1 Nr 3 SGB III). Die Einzelheiten hierzu sind den §§
123, 124 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung (aF) zu entnehmen,
die nach der durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.
Dezember 2003 (BGBl I 2848) eingefügten Übergangsregelung in § 434j Abs 3 SGB III
weiter anzuwenden ist, wenn der Anspruch auf Alg bis zum 31. Januar 2006 entstanden ist.
13 Die Anwartschaftszeit hat - soweit hier von Bedeutung - erfüllt, wer in der Rahmenfrist
mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 123 Satz
1 Nr 1 SGB III aF). Nach § 124 Abs 1 SGB III aF beträgt die Rahmenfrist drei Jahre und
beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf
Alg. Da sich die Klägerin zum 1. April 2005 arbeitslos gemeldet hat und sie seit diesem Tag
arbeitslos im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen war, begann die (reguläre) Rahmenfrist
von drei Jahren am 31. März 2005 und reichte bis zum 1. April 2002 zurück. Nach den
Umständen des Falles ist allerdings von einer verlängerten Rahmenfrist auszugehen, weil
die Klägerin eine Kindererziehungszeit vor dem 1. Januar 2003 vorzuweisen hat. § 124 Abs
3 Satz 1 Nr 2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Fassung (aF) bestimmt
insoweit, dass Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes des Arbeitslosen, in denen
das Kind das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nicht in die Rahmenfrist
eingerechnet werden. Das bewirkte eine Verlängerung der Rahmenfrist um die
berücksichtigungsfähigen Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes (vgl
Senatsurteil vom 19. Januar 2005, B 11a/11 AL 35/04 R = SozR 4-4300 § 147 Nr 3 RdNr 19).
Nach der mit dem Job-AQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001 (BGBl I 3443) eingefügten
Übergangsregelung in § 434d Abs 2 SGB III ist § 124 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB III aF für Zeiten
der Betreuung und Erziehung eines Kindes vor dem 1. Januar 2003 weiterhin anzuwenden.
14 Da die reguläre Rahmenfrist im vorliegenden Fall bis zum 1. April 2002 zurückreicht, umfasst
sie 275 Kalendertage (1. April bis 31. Dezember 2002) in der Zeit vor dem 1. Januar 2003.
Derselbe Zeitraum ist durchgehend mit einer Erziehungszeit iS des § 124 Abs 3 Satz 1 Nr 2
SGB III aF belegt. Denn nach den Feststellungen wurde das Kind der Klägerin am 25.
Januar 2002 geboren, sodass im Sinne der genannten Vorschrift (insgesamt) eine
Erziehungszeit vom 25. Januar 2002 bis zum 24. Januar 2005 (dem Tag vor der Vollendung
des dritten Lebensjahrs) vorliegt, die ua die 275 Kalendertage des vor dem 1. Januar 2003
liegenden Teils der regelmäßigen Rahmenfrist umfasst. Die Rahmenfrist verlängert sich
daher in der Weise, dass sie 275 Tage vor dem Beginn des nicht einzurechnenden Teils der
Erziehungszeit (25. Januar 2002 bis 31. Dezember 2002) endet, mithin am 25. April 2001.
15 Auf Grund der vor der Erziehungszeit ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung
hat die Klägerin in der verlängerten Rahmenfrist 269 Kalendertage (25. April 2001 bis 23.
Januar 2002) eines Versicherungspflichtverhältnisses als Beschäftigte (§ 25 SGB III)
aufzuweisen. Außerdem war die Klägerin auch in der Zeit vom 25. Januar 2005 bis 31. März
2005, in der sie nach "betriebsbedingter" Kündigung des Arbeitsverhältnisses von der Arbeit
freigestellt war, noch einmal für 66 Kalendertage versicherungspflichtig beschäftigt. Denn es
ist trotz der Freistellung der Klägerin von der Arbeitsleistung nicht zweifelhaft, dass auf
Grund der Zahlung von Arbeitsentgelt für diesen Zeitraum und des rechtlichen Bestands des
Arbeitsverhältnisses bis zum 31. März 2005 - unabhängig davon, ob es sich um eine
widerrufliche oder unwiderrufliche Freistellung handelte - auch das versicherungsrechtliche
Beschäftigungsverhältnis für den genannten Zeitraum fortbestand (zur unterschiedlichen
Behandlung von Freistellungsphasen beim leistungs- und versicherungsrechtlichen
Beschäftigungsverhältnis vgl Schlegel, NZA 2005, 972 ff; Voelzke in Personalrecht im
Wandel, FS für Küttner, 2006, 345 ff, jeweils mwN). Die von § 123 Satz 1 Nr 1 SGB III aF
geforderte Versicherungspflicht von mindestens zwölf Monaten innerhalb der Rahmenfrist ist
damit aber noch nicht erreicht, denn dafür ist ein wenigstens 360 Kalendertage umfassender
Zeitraum erforderlich (§ 339 Satz 2 SGB III).
16 Ob die Klägerin im Anschluss an die bis zum 23. Januar 2002 ausgeübte Beschäftigung eine
Versicherungszeit wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld in entsprechender Anwendung
des § 107 Satz 1 Nr 5 Buchst b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der bis zum 31. Dezember
1997 geltenden Fassung vorzuweisen hat (vgl dazu BVerfGE 115, 259 = SozR 4-4300 § 123
Nr 3 und den in Reaktion auf diese Entscheidung durch das Gesetz zur Verbesserung der
Beschäftigungschancen älterer Menschen vom 19. April 2007 mit
Wirkung ab 1. Mai 2007 eingefügten § 427a SGB III), hat das LSG nicht festgestellt. Das
kann aber dahinstehen, weil die Klägerin während der Erziehung ihres Kindes ab 1. Januar
2003 bis zum 24. Januar 2005 in einem Versicherungspflichtverhältnis aus sonstigen
Gründen gestanden hat (§ 24 Abs 1 iVm § 26 SGB III). Nach § 26 Abs 2a SGB III, der mit
Wirkung ab 1. Januar 2003 durch das Job-AQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001 (BGBl I
3443) eingefügt worden ist, sind versicherungspflichtig Personen in der Zeit der Erziehung
eines eigenen Kindes, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wenn sie
unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig waren. Diese Merkmale treffen
nach den vom LSG getroffenen Feststellungen auf die Klägerin zu. Daraus folgt, dass die
Klägerin während des ab 1. Januar 2003 noch zurückgelegten Teils der Erziehungszeit (vgl
BSG SozR 4-4300 § 147 Nr 3) versicherungspflichtig war. Da die (restliche) Erziehungszeit
vom 1. Januar 2003 bis zum 24. Januar 2005 der Versicherungspflicht unterlag, kann die
Anwartschaftszeit gemäß § 123 Satz 1 Nr 1 SGB III aF als erfüllt angesehen werden.
17 b) Besteht danach ein Anspruch auf Alg dem Grunde nach für die Zeit ab 1. April 2005, so
gilt für die Höhe der Leistung Folgendes:
18 Nach § 129 Nr 1 SGB III (hier anwendbar in der seit 1. August 2001 geltenden Fassung
durch das Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft vom 16. Februar 2001, BGBl I
266) beträgt das Alg für Arbeitslose, die - wie die Klägerin - mindestens ein Kind im Sinne
des § 32 Abs 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, 67 % (erhöhter Leistungssatz)
des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt,
das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Nach § 130
Abs 1 Satz 1 SGB III in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung durch das Dritte
Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I
2848) umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem
jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der
versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Nach näherer Maßgabe
von § 130 Abs 2 SGB III bleiben bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums bestimmte
Zeiten außer Betracht.
19 Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten
Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs 1 Satz 2
SGB III). Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn (ua) der
Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 130
Abs 3 Nr 1 SGB III). Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit
Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens
(ebenfalls) nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zu
Grunde zu legen (§ 132 Abs 1 SGB III in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung).
20 Eine Übergangsregelung im Hinblick auf die Leistungsbemessung hat der Gesetzgeber mit
dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt nur getroffen, soweit es
um die Neufestsetzung des Bemessungsentgelts bei vor dem 1. Januar 2005 entstandenen
Ansprüchen auf Alg geht (§ 434j Abs 5 SGB III). Für den nicht vor dem 1. April 2005
entstandenen Anspruch der Klägerin auf Alg spielt diese Übergangsregelung keine Rolle.
21 Angesichts der genannten Bestimmungen ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass
diese keine Grundlage für das Begehren bieten, das bis zum 23. Januar 2002 erzielte
Arbeitsentgelt der Klägerin als Bemessungsentgelt zu Grunde zu legen. Denn die
entsprechenden Entgeltabrechnungszeiträume liegen außerhalb des Bemessungsrahmens.
Der Bemessungszeitraum kann aber nur gebildet werden aus "im Bemessungsrahmen"
liegenden Entgeltabrechnungszeiträumen.
22 Das Ende des Bemessungsrahmens bildet der letzte Tag des letzten
Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs 1 Satz 2,
Halbsatz 2 SGB III). Maßgebend ist deshalb der 31. März 2005, da die Klägerin vom 25.
Januar bis 31. März 2005 in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung (§ 25 Abs 1 Satz 1
SGB III) gestanden hat. Hieraus ergibt sich ein regulärer Bemessungsrahmen vom 1. April
2004 bis 31. März 2005 bzw ein gemäß § 130 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III erweiterter
Bemessungsrahmen vom 1. April 2003 bis 31. März 2005. Auch unter Zugrundelegung des
erweiterten Bemessungsrahmens liegen die Entgeltabrechnungszeiträume der von der
Klägerin bis zum 23. Januar 2002 ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung
außerhalb des Bemessungsrahmens. Wie sich aus §§ 130 Abs 3, 132 Abs 1 SGB III ergibt,
sieht das Gesetz eine Erweiterung des Bemessungsrahmens über zwei Jahre hinaus nicht
vor.
23 Daran ändert es nichts, dass nach § 130 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III bei der Ermittlung "des
Bemessungszeitraums" Zeiten der Betreuung und Erziehung eines Kindes außer Betracht
bleiben, wenn wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes das Arbeitsentgelt oder die
durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit gemindert war. Diese Regelung, die im Kern
schon in dem bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Recht enthalten war (§ 112 Abs 2 Satz
2 AFG) und ab 1. Januar 1998 in § 131 Abs 2 Nr 1 SGB III aF übernommen wurde, soll nur
davor schützen, dass in die Ermittlung des Bemessungsentgelts
Entgeltabrechnungszeiträume versicherungspflichtiger Beschäftigungen einfließen, die nach
§ 131 Abs 1 iVm § 130 Abs 1 SGB III eigentlich zu berücksichtigen wären, in denen aber das
erzielte Arbeitsentgelt wegen der Kindererziehung atypisch niedrig und daher nicht
repräsentativ war (vgl Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, § 130 RdNr 60 f und 67 ff).
Dagegen trifft § 130 Abs 2 Nr 3 SGB III keine Sonderregelung zu den Voraussetzungen, von
denen es nach § 130 Abs 1 und Abs 3 iVm § 132 Abs 1 SGB III abhängt, inwieweit das vor
dem Beginn der Kindererziehung erzielte Arbeitsentgelt als Bemessungsentgelt
herangezogen werden kann.
24 Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der von der Revision angeführten
Entstehungsgeschichte der Fassung, die der bis zum 31. Dezember 2004 geltende § 131
Abs 2 Nr 1 SGB III aF (Vorgängervorschrift des § 130 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III) mit Wirkung
ab 1. Januar 2003 durch das Job-AQTIV-Gesetz erhalten hatte. Mit der durch dieses Gesetz
eingeführten Versicherungspflicht während Erziehungszeiten (§ 26 Abs 2a SGB III) wollte
der Gesetzgeber die Unterstützung der Berufsrückkehr von Frauen aus Zeiten der
Kindererziehung verbessern und zu diesem Zweck sicherstellen, dass die Förderung der
beruflichen Eingliederung durch einen Anspruch auf Lohnersatzleistungen nicht mehr von
Zufälligkeiten abhängt (BT-Drucks 14/6944 S 26 ). Zu der an die Einführung der
Versicherungspflicht für Erziehende anknüpfenden Folgeänderung des damaligen § 131
Abs 2 Nr 1 SGB III wurde zwar die Vorstellung geäußert, dadurch sei sicher gestellt, dass
Personen, die zuletzt wegen der Erziehung eines Kindes versicherungspflichtig waren, Alg
auf der Grundlage des Entgelts erhalten, das sie vor der Erziehungszeit erzielt haben (BT-
Drucks 14/7347 S 73 ). Gleichzeitig wurde aber ausdrücklich klargestellt,
dass dies nicht ausnahmslos gelten solle, sondern die Regelung zur "fiktiven" Bemessung in
§ 133 Abs 4 SGB III unberührt bleibe. § 133 Abs 4 SGB III bestimmte in seiner bis 31.
Dezember 2004 geltenden Fassung (aF), dass Bemessungsentgelt das tarifliche
Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung ist, auf die das Arbeitsamt die
Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat, wenn ein
Bemessungszeitraum von mindestens 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt innerhalb der
letzten drei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs nicht festgestellt werden kann.
25 Danach war schon damals ein genereller und von der Dauer der Unterbrechung des
Berufslebens unabhängiger Rückgriff auf das vor der Erziehung erzielte Entgelt als
Bemessungsentgelt nicht beabsichtigt und eine Änderung der Konzeption ist auch § 130 Abs
2 Satz 1 Nr 3 SGB III bereits dem Wortlaut nach nicht zu entnehmen. Die Vorschrift hat
vielmehr allein Bedeutung für die Bestimmung des Bemessungszeitraums und besagt nichts
über den Bemessungsrahmen, der davon zu unterscheiden ist.
26 Bereits das frühere Recht kannte der Sache nach einen Bemessungsrahmen, ohne aber
diesen in der Rechtsprechung entwickelten Begriff ausdrücklich zu verwenden (vgl zB zur
Rechtsentwicklung BSGE 77, 244 = SozR 3-4100 § 112 Nr 24; BSG SozR 3-4100 § 112 Nr
26; Pawlak in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, §
11 RdNr 41 ff). Nach § 130 Abs 1 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden
Fassung (aF) handelte es sich dabei um die letzten 52 Wochen vor der Entstehung des
Anspruchs, in denen Versicherungspflicht bestand (vgl BSG SozR 4-4300 § 133 Nr 3; BSG
SozR 4-4300 § 416a Nr 1). Nach derselben Vorschrift konnte schon damals der
Bemessungszeitraum grundsätzlich nur von Entgeltabrechnungszeiträumen gebildet
werden, die in dem vorgegebenen zeitlichen Rahmen lagen (BSG SozR 4-4300 § 133 Nr 3).
27 Allerdings ließ § 130 Abs 2 Satz 1 SGB III aF eine Erweiterung des Bemessungszeitraums
zu. Denn wenn der (Regel-) Bemessungszeitraum weniger als 39 Wochen mit Anspruch auf
Entgelt enthielt, verlängerte sich der Bemessungszeitraum um weitere
Entgeltabrechnungszeiträume, bis 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt erreicht waren. Das
konnte dazu führen, dass zur Auffüllung des Bemessungszeitraums auf außerhalb des
Bemessungsrahmens liegende Lohnzeiträume zurückzugreifen war (BSG SozR 4-4300 §
416a Nr 1). Auch konnten Zeiten, die in Anwendung einer Sonderregelung bei der Ermittlung
des Bemessungszeitraums außer Betracht zu bleiben hatten, im Sinne eines
Aufschubtatbestands bei der Bestimmung sowohl des Bemessungsrahmens als auch des
"eigentlichen" Bemessungszeitraums unberücksichtigt bleiben (BSG SozR 4-4300 § 131 Nr
1). Jedoch ist dabei auch in Rechnung zu stellen, dass schon § 133 Abs 4 SGB III aF der
Sache nach eine absolute Höchstdauer des Bemessungsrahmens festlegte, weil danach
eine fiktive Bemessung zu erfolgen hatte, falls sich auch innerhalb der letzten drei Jahre vor
Entstehung des Anspruchs kein ausreichend langer Bemessungszeitraum mit mindestens
39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt feststellen ließ.
28 Das seit dem 1. Januar 2005 geltende Recht sieht in § 130 Abs 3 Nr 1 SGB III an Stelle einer
Verlängerung des Bemessungszeitraums (nur) eine Erweiterung des Bemessungsrahmens
auf zwei Jahre vor, wenn der (im Regelbemessungsrahmen gemäß Abs 1 Satz 2 liegende)
Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält. Mit
dieser Erweiterung des Bemessungsrahmens wollte der Gesetzgeber bewusst die bisherige
sukzessive Erweiterung des Bemessungszeitraums um einzelne Abrechnungszeiträume
ablösen (BT-Drucks 15/1515 S 85 ). Daraus folgt in Verbindung mit dem in
§ 130 Abs 1 Satz 1 SGB III geregelten Grundsatz, wonach der Bemessungszeitraum nur von
Entgeltabrechnungszeiträumen "im Bemessungsrahmen" gebildet werden kann, dass der
Bemessung jedenfalls keine Zeiten mit Anspruch auf Arbeitsentgelt zu Grunde gelegt
werden können, die nicht wenigstens in dem erweiterten Bemessungsrahmen gemäß Abs 3
liegen (vgl Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 130 RdNr 62). Das unterstreicht § 132 Abs 1
SGB III, der unmissverständlich anordnet, dass als Bemessungsentgelt ein fiktives
Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen ist, wenn innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten
Bemessungsrahmens ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch
auf Arbeitsentgelt ebenfalls nicht festgestellt werden kann.
29 Da somit Bemessungsrahmen und Bemessungszeitraum nun strikt voneinander zu trennen
sind, können auch Zeiten, die auf Grund von Sonderregelungen bei der Bestimmung des
Bemessungszeitraums außer Betracht bleiben, zu keiner Ausweitung des rein
kalendermäßig ablaufenden Bemessungsrahmens führen (BSG SozR 4-4300 § 416a Nr 1).
Daraus folgt, dass die Klägerin keinen Bemessungszeitraum von wenigstens 150 Tagen mit
Anspruch auf Arbeitsentgelt vorzuweisen hat. Die innerhalb des Bemessungsrahmens
liegende Zeit mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vom 25. Januar bis 31. März 2005 umfasst nur
66 Kalendertage. Weitere Zeiten mit Anspruch auf Arbeitsentgelt hat die Klägerin auch in
dem auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen nicht zurückgelegt.
30 Unter diesen Voraussetzungen kann die von der Revision aufgeworfene Frage offen bleiben,
ob der Gesetzgeber Zeiten eines Beschäftigungsverbots nach dem Gesetz zum Schutz der
erwerbstätigen Mutter (MuSchG) wie Zeiten mit Anspruch auf Arbeitsentgelt hätte behandeln
müssen. Denn davon hätte jedenfalls die Klägerin keinen Vorteil gehabt, weil es nach den
Umständen des Falles ausgeschlossen ist, dass der (erweiterte) Bemessungsrahmen Zeiten
eines Beschäftigungsverbots umfasst. Da diese mit Rücksicht auf die Geburt des Kindes am
25. Januar 2002 jedenfalls außerhalb des erweiterten Bemessungsrahmens gelegen haben,
könnte hier auch eine Gleichstellung von Schutzfristen nach dem MuSchG mit
Entgeltabrechnungszeiträumen nicht zur Feststellung eines wenigstens 150 Tage
umfassenden Bemessungszeitraums führen.
31 Soweit die Revision sich gegen die Verkürzung des Bemessungsrahmens auf maximal zwei
Jahre mit Wirkung ab 1. Januar 2005 wendet, ist ebenfalls keine Benachteiligung der
Klägerin ersichtlich. Denn nach dem bis zum 31. Dezember 2004 geltenden § 133 Abs 4
SGB III aF hätte sich nach den Umständen des Falles eine fiktive Bemessung ebenfalls nicht
vermeiden lassen. Innerhalb der letzten drei Jahre vor Entstehung des Anspruchs, die nach
§ 133 Abs 4 SGB III aF den zeitlichen Höchstrahmen für die Berücksichtigung früher
erzielten Entgelts markierten, dh hier in der Zeit vom 1. April 2002 bis 31. März 2005, hätte
die Klägerin nämlich ebenfalls keine ausreichenden Zeiten mit Anspruch auf Arbeitsentgelt
vorzuweisen gehabt. Das gilt unabhängig davon, ob man dabei auf das bis zum 31.
Dezember 2004 geltende Recht (mindestens 39 Wochen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt)
abstellt oder auf das seit dem 1. Januar 2005 geltende Recht (mindestens 150 Tage mit
Anspruch auf Arbeitsentgelt). Insbesondere hätte das vor der Geburt des Kindes bis zum 23.
Januar 2002 (dh mehr als drei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs) erzielte Entgelt
bereits nach § 133 Abs 4 SGB III aF (insgesamt) nicht mehr als Bemessungsentgelt
herangezogen werden können.
32 Insoweit ist daher die Auffassung der Klägerin, während ihrer Elternzeit sei das Recht zu
ihrem Nachteil geändert worden, nicht zutreffend. Es kommt deshalb hier nicht mehr darauf
an, dass die Folgen der Begrenzung des Bemessungsrahmens auf zwei Jahre ab 1. Januar
2005 dadurch gemildert worden sind, dass gleichzeitig die Berücksichtigung von in der
Vergangenheit erzieltem Lohn als Bemessungsentgelt erheblich erleichtert wurde. Denn der
dafür erforderliche Mindestumfang des Bemessungszeitraums wurde von 39 Wochen (§§
130 Abs 2 Satz 1, 133 Abs 4 SGB III aF) beinahe halbiert auf nur noch 150 Tage, dh rund 21
Wochen (§§ 130 Abs 3 Nr 1, 132 Abs 1 SGB III nF). Das war grundsätzlich geeignet, die Zahl
der Fälle, in denen früher erzielter Lohn nicht als Bemessungsentgelt herangezogen werden
kann, zu senken, und wiegt daher insoweit die Begrenzung des Bemessungsrahmens von
ursprünglich maximal drei Jahren (§ 133 Abs 4 SGB III aF) auf zwei Jahre auf.
33 Nach § 132 Abs 2 Satz 1 SGB III ist der Arbeitslose für die Festsetzung des fiktiven
Arbeitsentgelts der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation
entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die
Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat. § 132 Abs 2
Satz 2 SGB III legt zu diesem Zweck vier näher bezeichnete Qualifikationsgruppen fest,
denen jeweils in Abhängigkeit von der für eine Beschäftigung erforderlichen Ausbildung ein
Arbeitsentgelt in Höhe eines bestimmten Bruchteils der Bezugsgröße zugeordnet ist. Die
Bezugsgröße ist das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im
vorvergangenen Kalenderjahr, aufgerundet auf den nächsthöheren, durch 420 teilbaren
Betrag (§ 18 Abs 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch ). Sie wurde nach § 17 Abs 2
Satz 1 SGB IV in der bis zum 7. November 2006 geltenden Fassung vom Bundesministerium
für Gesundheit und Soziale Sicherung (seither: Bundesministerium für Arbeit und Soziales)
im Voraus für jedes Kalenderjahr durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
bestimmt. Die Bezugsgröße im hier maßgeblichen Jahr 2005 betrug 28.980 EUR jährlich (§
2 Abs 1 der Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2005
vom 29. November 2004, BGBl I 3098).
34 Die Klägerin war - wie auch sie nicht bezweifelt - auf Grund ihrer beruflichen Ausbildung der
Qualifikationsgruppe 3 zuzuordnen. Hieraus folgte nach § 132 Abs 2 Satz 2 Nr 3 SGB III ein
fiktives Arbeitsentgelt von 64,40 EUR täglich (Bezugsgröße 2005: 28.980 EUR jährlich,
geteilt durch 450). Die weitere Berechnung der Beklagten entspricht den Bestimmungen in §
133 SGB III (in der seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung), wonach zur Ermittlung des
Leistungsentgelts iS des § 129 SGB III eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21
vH des Bemessungsentgelts, die Lohnsteuer nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des
Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen
eingetragen war und der Solidaritätszuschlag vom Bemessungsentgelt abzuziehen sind.
Dagegen erhebt auch die Revision keine Einwände. Das zutreffend ermittelte
Leistungsentgelt von 32,37 EUR täglich führt nach § 129 Nr 1 SGB III (erhöhter
Leistungssatz von 67 vH) letztlich zu dem von der Beklagten zutreffend bewilligten Alg von
21,69 EUR täglich.
35 2. Es verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht, dass das Arbeitsentgelt, das die Klägerin
bis zum 23. Januar 2002 und damit länger als drei Jahre vor dem Eintritt des
Versicherungsfalls erzielt hat, nicht als Bemessungsentgelt zu Grunde gelegt wird.
36 a) Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, bei Eltern bzw Müttern, die sich nach längeren
freiwilligen Unterbrechungen ihres Berufslebens dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung
stellen, den Lohnersatz durch das Alg nicht - wie sonst beim Fehlen eines ausreichend
zeitnahen Bemessungszeitraums - nach dem aktuell voraussichtlich erzielbaren Lohn zu
bemessen, sondern anhand des vor der Kindererziehung erzielten Arbeitsentgelts, lässt sich
zunächst nicht aus Art 6 Abs 1 GG herleiten. Diese Norm unterstellt zwar Ehe und Familie
dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, verpflichtet den Staat jedoch nicht,
jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder die Familie ohne Rücksicht auf
sonstige öffentliche Belange zu fördern. Der Gesetzgeber hat vielmehr im Interesse des
Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange zu
berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des
Ganzen zu achten. Daher lassen sich aus der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG auch in
Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip keine konkreten Folgerungen dafür ableiten, wie in
den einzelnen Rechtsgebieten und Teilsystemen ein Familienlastenausgleich zu
verwirklichen ist. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des
Gesetzgebers (vgl BVerfGE 87, 1, 36 mwN), ohne dass aus dem Förderungsgebot des Art 6
Abs 1 GG konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen hergeleitet werden
könnten (BVerfGE 107, 205, 213 mwN).
37 b) Selbst wenn sich die streitige Regelung überwiegend zu Lasten von Müttern auswirken
sollte, die wegen der Übernahme der Kindererziehung ihre Berufstätigkeit längere Zeit
unterbrochen haben, scheidet auch Art 6 Abs 4 GG als Grundlage für das Begehren der
Klägerin aus. Unabhängig davon, ob diese Norm Müttern über die Zeit der Schwangerschaft
und über die ersten Monate nach der Geburt hinaus überhaupt Schutz gewährt, können aus
ihr jedenfalls keine besonderen Rechte für Sachverhalte hergeleitet werden, die nicht allein
Mütter betreffen. Davon abgesehen folgt auch aus dem Schutzauftrag des Art 6 Abs 4 GG
nicht, dass der Gesetzgeber gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft zusammenhängende
wirtschaftliche Belastung auszugleichen und dem Förderungsgebot ohne Rücksicht auf
sonstige Belange nachzukommen. Der Gesetzgeber ist zwar zum Ausgleich unmittelbarer
Nachteile in der Arbeitslosenversicherung verpflichtet, soweit er Mütter im Unterschied zu
anderen Arbeitnehmern hindert, sich durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung den
Zugang zu Versicherungsleistungen selbst zu schaffen oder zu erhalten (BVerfGE 115, 259,
271). Eine damit vergleichbare Situation ist aber nicht gegeben, wenn eine Mutter von der
Ausübung einer ihr rechtlich erlaubten versicherungspflichtigen Beschäftigung auf Grund der
eigenen Lebensplanung für die Zeit der Kindererziehung absieht, sodass der Gesetzgeber
nicht einmal gehalten ist, Vorkehrungen gegen das Erlöschen eines bereits erworbenen
Anspruchs auf Alg während einer Elternzeit zu treffen (BSG SozR 4-4300 § 147 Nr 3; zur
Abgrenzung vgl auch BSGE 91, 226, 228 = SozR 4-4300 § 147 Nr 2). Der Gesetzgeber ist
daher auch nicht verpflichtet, Mütter von der sachgerechten und für alle Versicherten
geltenden Regelung auszunehmen, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Höhe der
Leistung anhand eines aktualisierten (fiktiven) Arbeitsentgelts zu bemessen ist.
38 c) Die Auffassung der Klägerin lässt sich ferner nicht auf Art 3 Abs 1 GG stützen. Der
allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich
Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche
Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (stRspr, vgl zB BVerfGE 110, 412, 431
mwN).
39 Damit ist dem Gesetzgeber aber weder jede Differenzierung verwehrt, noch ist es ihm
untersagt, von Differenzierungen abzusehen, die er vornehmen dürfte. Art 3 Abs 1 GG ist
allerdings verletzt, wenn sich ein vernünftiger Grund für eine gesetzliche Differenzierung
oder Gleichbehandlung nicht finden lässt bzw wenn eine Gruppe von Normadressaten im
Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine
Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche
Behandlung rechtfertigen können. Da die zu regelnden Lebenssachverhalte einander nie in
allen, sondern stets nur in einzelnen Merkmalen gleichen, ist es aber grundsätzlich Sache
des Gesetzgebers zu entscheiden, welche von diesen Merkmalen er als maßgebend für eine
Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht, solange er diese Auswahl sachgerecht und nicht
willkürlich trifft. Innerhalb dieser Grenzen ist er in seiner Entscheidung grundsätzlich frei,
soweit seine Gestaltungsfreiheit nicht durch andere Verfassungsnormen wie zB den sich aus
Art 6 Abs 1 GG ergebenden Schutzauftrag zusätzlich eingeschränkt ist (s unter 2d). Was in
Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd und deshalb
willkürlich ist, lässt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern stets nur in Bezug
auf die Eigenart des konkret geregelten Sachbereichs (stRspr, vgl ua BVerfGE 87, 1;
BVerfGE 90, 226 = SozR 3-4100 § 111 Nr 6; BVerfGE 107, 205; BVerfGE 110, 412; BSG
SozR 4-4300 § 124 Nr 1, jeweils mwN).
40 Auf dieser Grundlage bestehen keine durchgreifenden Bedenken dagegen, dass der
Gesetzgeber bei allen Versicherten, die keinen ausreichend zeitnahen Bemessungszeitraum
von wenigstens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vorzuweisen haben, die
Indizwirkung des zuletzt erzielten Lohns für den auf Grund des Versicherungsfalls derzeit
eintretenden Lohnausfall als nicht mehr gewährleistet ansieht und deshalb stattdessen den
voraussichtlich aktuell erzielbaren Lohn zur Bemessungsgrundlage erhebt. Aus den schon
genannten Gründen liegt darin weder eine willkürliche Gleichbehandlung von erziehenden
Eltern mit anderen Versicherten noch ist die Aktualisierung der Bemessungsgrundlage als
solche sachwidrig, weil sie dem Lohnersatzcharakter des Alg und damit einem zentralen
Grundgedanken der zu regelnden Materie Rechnung trägt. Diese Rechtsfolge und das zu
Grunde liegende Anliegen, das Arbeitsentgelt aus weit zurückliegenden
Beschäftigungszeiten in der Regel als Bemessungsgrundlage auszuschließen (vgl Valgolio
in Hauck/Noftz, SGB III, § 130 RdNr 26), entsprechen vielmehr der Funktion des Alg als
Lohnersatzleistung.
41 Das Alg soll dem Arbeitslosen angemessenen Ersatz für den Ausfall leisten, den er dadurch
erleidet, dass er gegenwärtig keinen bezahlten Arbeitsplatz findet. Dabei erfordert die
existenzsichernde Natur des Alg, dass die Feststellung der Leistungshöhe und die
Auszahlung beschleunigt erfolgt, was schon aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität zu
einfachen Maßstäben bei der Leistungsberechnung zwingt (vgl zB BVerfGE 63, 255, 262 =
SozR 4100 § 111 Nr 6). Da sich der durch die Arbeitslosigkeit individuell eintretende
Lohnausfall nicht konkret ermitteln lässt (BSG, Beschluss vom 2. Februar 1995, 11 RAr
21/94 ), ist es unter den genannten Voraussetzungen
praktisch unvermeidlich, die Höhe des Alg nach typisierenden und pauschalierenden
Merkmalen zu bestimmen. Dabei kann dem im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelt
grundsätzlich Indizwirkung in dem Sinne beigemessen werden, dass es typisierend das
Arbeitsentgelt anzeigt, das der Arbeitslose, hätte er Arbeit, auch aktuell erzielen könnte (vgl
ua BSG, aaO; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 3). Das wird in der Regel der Konzeption gerecht,
das Alg als Lohnersatzleistung an einem möglichst zeitnahen Lohnniveau auszurichten, das
den auf Arbeitseinkommen gegründeten durchschnittlichen Lebensstandard des
Arbeitslosen repräsentiert (vgl ua BSGE 74, 96, 100 = SozR 3-4100 § 112 Nr 17; BSGE 77,
244, 250 = BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 24; BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 26).
42 Obwohl es deswegen prinzipiell sachgerecht ist, wenn die Bemessung des Alg an den
Nettolohn anknüpft, den der Arbeitslose zuletzt vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bezogen hat
(BVerfGE 63, 255, 262 = SozR 4100 § 111 Nr 6), eignet sich diese Methode aber nicht immer
dazu, den Gegenwert der dem Arbeitslosen aktuell möglichen Verwertung seiner
Arbeitsleistung zu bestimmen. Das Gesetz sah daher schon in der Vergangenheit eine
Reihe von Ausnahmeregelungen vor, denen die gemeinsame Vorstellung zu Grunde lag,
dass die Indizwirkung, die dem im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelt
grundsätzlich zukommt, unter bestimmten Umständen versagt, sodass der Lohnausfall
infolge der Arbeitslosigkeit und der deswegen zu erbringende Lohnersatz mit einer anderen
Methode bemessen werden müssen (zum AFG: BSG, Beschluss vom 2. Februar 1995, 11
RAr 21/94 ). So bestimmte § 112 Abs 7 Alt 2 AFG in der
bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung, dessen Grundgedanke ab 1. Januar 1998
durch § 133 Abs 4 SGB III aF (s. oben unter 1.b) aufgegriffen wurde, dass für die Bemessung
von dem am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Arbeitslosen maßgeblichen
tariflichen oder (…) ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung auszugehen ist, für
die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger
Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des
Arbeitsmarkts in Betracht kommt, falls der letzte Tag des Bemessungszeitraums bei
Entstehung des Anspruchs länger als drei Jahre zurückliegt.
43 Dafür war die Überlegung maßgebend, dass ein lang zurückliegender Bemessungszeitraum
nicht mehr die Vermutung rechtfertigt, dass der Arbeitslose dasselbe Arbeitsentgelt auch in
Zukunft verdienen könne (BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 7). Diese Überlegung und die daraus
gezogene Konsequenz, unter solchen besonderen Umständen das Bemessungsentgelt den
aktuellen Verhältnissen anzupassen, sind nicht zu beanstanden. Sie entsprechen vielmehr
dem Grundsatz, dass sich das Alg zur Sicherstellung der Vermittelbarkeit des Arbeitslosen
an dem Arbeitsentgelt orientieren soll, das (ohne die Arbeitslosigkeit) durch Erwerbstätigkeit
im Leistungszeitraum erzielbar wäre. Die Aktualisierung der Bemessungsgrundlage zielt
also gerade darauf ab, dass das Alg seiner Lohnersatzfunktion auch in Sonderfällen gerecht
wird. Die Aktualisierung muss im Übrigen keineswegs zwangsläufig zu einem niedrigeren
Alg führen als es sich nach dem in der Vergangenheit zuletzt erzielten Lohn ergäbe. In den
durchaus in Betracht kommenden Fällen, dass vor der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit
(zB wegen damals bestehender Einschränkungen der Leistungsfähigkeit bzw -bereitschaft
oder aus Arbeitsmarktgründen) nur eine unterqualifizierte und daher schlechter bezahlte
Beschäftigung ausgeübt wurde, oder dass zwischenzeitlich zusätzliche Qualifikationen
erworben wurden, kann das Abstellen auf das aktuell erzielbare Arbeitsentgelt auch
vorteilhaft sein.
44 Aber selbst in Fällen, in denen die Anpassung der Bemessungsgrundlage an die aktuellen
Verhältnisse im Einzelfall zu einem niedrigen Alg führt, ist sie unabhängig davon
sachgerecht, worauf die längere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit jeweils beruht.
Ausreichende Gründe dafür, Berufspausen wegen Kindererziehung im Unterschied zu
anderen Sachverhalten von einer Aktualisierung der Bemessungsgrundlage auszunehmen,
sind nicht ersichtlich. Gewisse auch am Arbeitsmarkt verwertbare Grundfertigkeiten wie zB
Organisationstalent werden zwar im Rahmen der Kindererziehung trainiert (Valgolio in
Hauck/Noftz, SGB III, § 132 RdNr 10). Gleichwohl muss in Rechnung gestellt werden, dass
die Arbeitswelt und damit die Anforderungen, denen Beschäftigte an einem Arbeitsplatz
konkret genügen müssen, einem immer schnelleren Wandel unterliegen. Es ist deshalb
einleuchtend, dass der Gesetzgeber bei der Einführung der Versicherungspflicht nach § 26
Abs 2a SGB III davon ausgegangen ist, dass (gerade auch) die Berufsrückkehr aus Zeiten
der Kindererziehung eine "berufliche Eingliederung" erfordert, die mit dem Zugang zum Alg
dem Grunde nach gefördert werden soll (vgl BT-Drucks 14/6944 S 26 ). Eine
mehrjährige Unterbrechung des Erwerbslebens legt bei lebensnaher Betrachtung stets die
Möglichkeit nahe, dass der "Anschluss" an aktuelle berufliche Gegebenheiten zumindest in
gewissem Maße verloren gegangen ist, sodass ein nahtloser Wiedereinstieg in die bisherige
Berufsbiografie, insbesondere mit einem völlig unveränderten Marktwert der angebotenen
Arbeitsleistung, nicht als gesichert gelten kann.
45 d) Eine Verletzung des Gleichheitssatzes lässt sich hier auch unter Berücksichtigung des die
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einengenden Schutzauftrags aus Art 6 Abs 1 GG nicht
feststellen. Die Förderung der Betreuung und Erziehung von Kindern liegt im familien- und
sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers. Nicht einmal, wo es um den Zugang zum Alg
durch Erfüllung der Anwartschaftszeit geht, ist der Gesetzgeber, der sich im Rahmen seines
Ermessens bei der Ausgestaltung von staatlichen Leistungen für eine familienpolitische
Förderung durch Gewährung von Erziehungsgeld (bzw Elterngeld) und Erziehungsurlaub
(bzw Elternzeit) entschieden hat, dazu verpflichtet, diese Förderung auch im Zusammenhang
mit anderen sozialrechtlichen Regelungen in gleicher Weise zur Geltung zu bringen (BVerfG
NZA-RR 2005, 154 , Nichtannahmebeschluss zu BSG SozR 4-4300 §
124 Nr 1; BSG SozR 4-4300 § 147 Nr 3).
46 Im Übrigen ist selbst eine punktuelle gesetzliche Benachteiligung eines Personenkreises, für
den der Schutzauftrag des Art 6 Abs 1 GG gilt, nicht zu beanstanden, wenn die gesetzliche
Regelung im Ganzen betrachtet keine Schlechterstellung dieses Personenkreises bewirkt,
sondern ihn teilweise begünstigt und teilweise benachteiligt (BVerfGE 107, 205, 216).
Insoweit ist zu bedenken, dass erziehende Eltern aus förderungspolitischen Motiven, die mit
der klassischen Aufgabe der Arbeitslosenversicherung nichts zu tun haben, dadurch
begünstigt werden, dass auch bei längerer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit der Zugang
zum Alg infolge der von einer Beschäftigung losgelösten versicherungsrechtlichen
Berücksichtigung von Erziehungs- bzw Elternzeiten erhalten bleibt (bis zum 31. Dezember
2002 durch eine Verlängerung der Rahmenfrist gemäß § 124 Abs 2 Nr 3 SGB III aF, seit 1.
Januar 2003 durch die Versicherungspflicht nach § 26 Abs 2a SGB III). Selbst wenn eine
Benachteiligung darin zu sehen wäre, dass das Gesetz für erziehende Eltern unter
denselben Voraussetzungen wie für die übrigen Versicherten eine fiktive Bemessung
vorsieht, führt dieser Nachteil bei einer Gesamtbetrachtung nicht zu einer Schlechterstellung
der Erziehenden. Die gewährten versicherungsrechtlichen Vergünstigungen für diesen
Personenkreis zwingen den Gesetzgeber nicht dazu, Eltern bei der Berufsrückkehr nach
Erziehungszeiten eine gegenüber anderen Versicherten weitere zusätzliche Vergünstigung
einzuräumen.
47 3. Auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen kann auch nicht angenommen werden,
dass die strittige Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, insbesondere gegen die
Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen
Sicherheit (ABl L 6 S 24), deren Art 4 Abs 1 den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder
mittelbaren Diskriminierung auf Grund des Geschlechts (ua) bei der Berechnung von
Sozialleistungen postuliert. Dabei kann unterstellt werden, dass die Regelungen zur fiktiven
Bemessung des Alg, die wegen ihrer Geltung für alle Versicherten jedenfalls keine
unmittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts beinhalten, in der Praxis
vorwiegend bei Frauen zur Anwendung kommen, die sich nach der Kindererziehung wieder
dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen. Gleichwohl ist der Anschein der Diskriminierung
widerlegt, wenn die in Rede stehende Regelung durch Faktoren sachlich gerechtfertigt ist,
die nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun haben (EuGH NJW
2008, 499, 501 mwN ). Letzteres ist der Fall, wenn die gewählten Mittel einem
legitimen Ziel der Sozialpolitik des betreffenden Mitgliedstaats dienen und zur Erreichung
dieses Ziels geeignet und erforderlich sind (EuGHE I 1995, 4741 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 12
mwN; vgl auch EuGHE I 1991, 2205 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 3; EuGHE I 1995, 4625 = SozR
3-6083 Art 4 Nr 11; EuGHE I 1996, 179 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 13).
48 Danach ist hier im Ergebnis keine mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts
ersichtlich, weil es aus den bereits genannten Gründen sachlich gerechtfertigt ist, bei allen
Versicherten, die bei Eintritt der Arbeitslosigkeit keinen ausreichend zeitnahen
Bemessungszeitraum mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vorzuweisen haben, eine
Aktualisierung des Bemessungsentgelts vorzunehmen. Die gewählte Methode, in diesen
Sonderfällen das aktuell erzielbare Arbeitsentgelt fiktiv zu bemessen, entspricht dem
Grundprinzip der deutschen Arbeitslosenversicherung, einen angemessenen Ausgleich (nur)
für den auf Grund der Arbeitslosigkeit ausfallenden Lohn zu leisten, und sie ist geeignet und
erforderlich, die Lohnersatzfunktion des Alg auch dann zu wahren, wenn das in der
Vergangenheit zuletzt erzielte Arbeitsentgelt nicht mehr genügend Aufschluss über die Höhe
des durch den derzeitigen Versicherungsfall verursachten "Schadens" (Lohnausfall) zu
geben vermag.
49 4. Schließlich konnte sich der Senat auch nicht davon überzeugen, dass die nähere
Ausgestaltung der fiktiven Bemessung durch § 132 Abs 2 SGB III gegen höherrangiges
Recht verstößt.
50 a) Die in der neuen Bemessungsmethode des § 132 Abs 2 SGB III liegende Abkehr von der
individuellen Ermittlung des erzielbaren tariflichen Arbeitsentgelts (§ 133 Abs 4 SGB III aF),
die zu einer deutlichen Verwaltungsvereinfachung führt (vgl Rolfs in Gagel, SGB III, § 132
RdNr 4), begegnet als solche zunächst keinen durchgreifenden Bedenken. Insbesondere
liegt darin nicht - wie von der Revision angenommen - ein Verstoß gegen das Willkürverbot
des Art 3 GG. Denn der Gesetzgeber ist bei der Ordnung von Massenerscheinungen
grundsätzlich berechtigt, in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte
durch typisierende Regelungen normativ zusammenzufassen, im Tatsächlichen bestehende
Besonderheiten generalisierend zu vernachlässigen sowie Begünstigungen oder
Belastungen in einer gewissen Bandbreite nach oben und unten pauschalierend zu
bestimmen, jedenfalls wenn die damit verbundenen Härten nicht besonders schwer wiegen
und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären. Dabei darf der Gesetzgeber auch die
Praktikabilität und Einfachheit des Rechts als hochrangige Ziele berücksichtigen, um den
Erfordernissen einer Massenverwaltung Rechnung zu tragen (vgl zB BVerfGE 84, 348, 359;
BVerfGE 111, 115, 137, jeweils mwN).
51 Mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt sollten die bereits
eingeleiteten Reformen fortgesetzt werden, um mit dem kurz- und mittelfristigen Ziel eines
Abbaus der Arbeitslosigkeit die Lösung der Probleme auf dem Arbeitsmarkt voranzutreiben
(Begründung des Gesetzentwurfs der damaligen Regierungsfraktionen, BT-Drucks 15/1515
S 71). Dafür wurde ua eine durchgreifende Vereinfachung des Leistungsrechts der
Arbeitslosenversicherung für erforderlich gehalten, weil ihr zentrale Bedeutung vor allem für
eine bessere, schnellere Vermittlung zukomme. Denn man ging davon aus, dass das im
Laufe der Jahre überaus komplex gewordene und nur noch schwer durchschaubare
Leistungsrecht in erheblichem Umfang die Bindung von Kapazitäten im
Bewilligungsverfahren verursache, die bei den Bemühungen um moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt für die Beratung und Betreuung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und die
berufliche Eingliederung Arbeitsloser dringend benötigt würden (aaO S 73 und 85
71>). Darum sollten Vielfalt und Komplexität der Regelungen zurückgeführt und das
Verwaltungsverfahren deutlich und nachhaltig vereinfacht werden. Um dies und im Endeffekt
ein günstigeres Verhältnis von Vermittlern zu Arbeitsuchenden zu erreichen, hielt man es für
notwendig, um den Preis von weniger Einzelfallgerechtigkeit und von sowohl günstigen wie
auch ungünstigen Auswirkungen für Betroffene detaillierte Einzelfallregelungen durch ein
größeres Maß an Pauschalierung zu ersetzen und Ausnahmeregelungen zu beschränken,
ohne das Sicherungsniveau der Arbeitslosenversicherung insgesamt zu beeinträchtigen
(aaO S 73 und 85 ). Zu der angestrebten Verwaltungsvereinfachung sollte auch
der Übergang zu einer Pauschalierung bei der fiktiven Leistungsbemessung beitragen (aaO
S 85 f ). Von den Reformen im Recht der Arbeitslosenversicherung versprach
man sich nach einer Übergangszeit die Freisetzung von Personalkapazitäten von etwa
3.000 Jahresarbeitskräften, die dann zur Verstärkung der Vermittlung und Eingliederung von
Arbeitslosen zur Verfügung stünden (aaO S 2 ).
52 Danach greift die Kritik zu kurz, dass die gewählte Bemessungsmethode nur der
Verwaltungsvereinfachung diene. Diese ist vielmehr (iS eines Mittels zum Zweck) einem
weiter gehenden Ziel untergeordnet, weil mit der erstrebten Freisetzung bisher durch die
Leistungsbemessung gebundener personeller Ressourcen letztlich dem in §§ 4 und 5 SGB
III verankerten Vorrang der Vermittlung und der aktiven Arbeitsförderung (§ 3 Abs 4 SGB III)
vor Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts bei Arbeitslosigkeit mehr praktische Geltung
verschafft werden soll. Die Verwaltungsvereinfachung ist mit anderen Worten ein vom
Gesetzgeber für notwendig gehaltenes Element des Gesamtkonzepts, durch sozialpolitische
Reformen für einen Abbau der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit zu sorgen. Dass diesem
Endziel wegen seiner großen Bedeutung für das Gemeinwohl ein hohes Gewicht
beigemessen werden durfte, liegt auf der Hand.
53 Der Gesetzgeber musste auch nicht davon ausgehen, dass diese Pauschalierung in
zahlreichen Fällen zu besonders schwer wiegenden Härten führt. Denn die aus der
Rentenversicherung bereits länger bekannte Ermittlung fiktiver Entgelte anhand der
Einstufung in Qualifikationsgruppen (§§ 256b Abs 1, 256c Abs 3 Sozialgesetzbuch Sechstes
Buch iVm Anlage 13 zu diesem Gesetz, hier idF der Bekanntmachung vom 19.
Februar 2002, BGBl I 754) kann wegen der erfahrungsgemäß in der Regel bestehenden
Abhängigkeit zwischen beruflicher Qualifikation und Verdienstmöglichkeiten als geeignete
Methode angesehen werden, um jedenfalls in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle zu
einem angemessenen Ergebnis zu kommen.
54 b) Schließlich lässt sich nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Höhe der in § 132 Abs 2
Satz 2 SGB III den einzelnen Qualifikationsgruppen jeweils zugeordneten Arbeitsentgelte als
unangemessen zu beanstanden ist (kritisch, aber offen lassend: Behrend in Eicher/Schlegel,
SGB III, § 132 RdNr 49 f). Für einen von der Revision insoweit behaupteten Verstoß des
Leistungsniveaus gegen die Art 3, 6 oder 14 GG ist nichts ersichtlich.
55 Die Hintergründe der Festsetzung der fiktiven Arbeitsentgelte können einem erläuternden
Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 14. Dezember 2005
(abgedruckt bei Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, Anhang zu § 132) entnommen werden.
Danach wurde zunächst als Basis für die pauschalierende Neuregelung die Gruppe der
Arbeitnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung ausgewählt, weil sie nach dem
ausgewerteten Datenmaterial des Statistischen Bundesamtes zum einen mit einem Anteil
von etwa 70 vH die mit Abstand größte Gruppe unter den Arbeitnehmern bildet und weil zum
anderen das Arbeitsentgelt dieser Gruppe in etwa dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller
Arbeitnehmer entspricht. Das von dieser Gruppe erzielte durchschnittliche Arbeitsentgelt
wurde allerdings nicht unverändert als Eckwert zu Grunde gelegt, sondern dieser Gruppe
wurde ein Arbeitsentgelt zugeordnet, das dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller
Bezieher von Alg (ca 80 vH der Bezugsgröße) entspricht. Hierbei ging man zum einen davon
aus, dass die Höhe des Entgelts so festzusetzen sei, dass eine Arbeitsaufnahme für den
Arbeitslosen grundsätzlich eine wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung bleibe. Zum anderen
wurde erwogen, dass bei Arbeitslosen, die zuletzt kein oder kein typisches Arbeitsentgelt
erzielt oder ein solches Entgelt nur für weniger als 150 Tage innerhalb der letzten zwei Jahre
bezogen haben, als Anknüpfungspunkt für das aktuell erzielbare Entgelt das durchschnittlich
von allen Arbeitnehmern erzielte Arbeitsentgelt weniger gut geeignet sei als das
durchschnittliche Arbeitsentgelt aller Bezieher von Alg. Das deswegen der
Qualifikationsgruppe der Arbeitnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung
(Qualifikationsgruppe 3) zugeordnete tägliche Arbeitsentgelt von 1/450 der jährlichen
Bezugsgröße wurde unter Orientierung an den durch die Gehalts- und Lohnstrukturerhebung
ausgewiesenen Spannweiten der Entgeltabstände für die übrigen Qualifikationsgruppen
pauschalierend in Abstufungen von je 20 Prozentpunkten höher bzw niedriger festgesetzt
(Qualifikationsgruppe 2: 100 vH der Bezugsgröße <1/360>; Qualifikationsgruppe 1: 120 vH
der Bezugsgröße <1/300>; Qualifikationsgruppe 4: 60 vH der Bezugsgröße <1/600>).
56 Die genannten Überlegungen erscheinen grundsätzlich vertretbar und angemessen. Das
Bestreben, ein Leistungsniveau zu verhindern, das über einen Ausgleich für das aktuell
erzielbare Entgelt hinausgeht, rechtfertigt sich ohne weiteres aus der Lohnersatzfunktion des
Alg. Es ist auch nicht verfehlt, in diesem Zusammenhang die Gefahr zu sehen, dass
anderenfalls der Bezug von Alg attraktiver sein könnte als die Aufnahme einer
Beschäftigung. Aus den bereits genannten Gründen ist ferner grundsätzlich nicht zu
beanstanden, bei Personen, deren Berufsbiografie Lücken aufweist und die in den letzten
zwei Jahren nur für weniger als 150 Tage Arbeitsentgelt erzielt haben, typisierend davon
auszugehen, dass der aktuelle Marktwert der Arbeitsleistung in der Regel durch die
durchschnittlichen Entgelte aller in einer Beschäftigung stehenden Arbeitnehmer nicht mehr
zutreffend repräsentiert wird. Die auf diesen Grundlagen erfolgte pauschalierende
Festsetzung der den einzelnen Qualifikationsstufen zugeordneten Bruchteile der
Bezugsgröße scheint auch noch genügend statistisch abgesichert, da sich der durch den
individuellen Versicherungsfall aktuell eintretende Lohnausfall ohnehin nicht exakt
bestimmen, sondern nur schätzen lässt. Als willkürlich wäre lediglich eine
Schätzungsmethode anzusehen, die mangels geeigneter Anknüpfungspunkte sozusagen "in
der Luft hängt"; davon kann aber hier angesichts der Orientierung am durchschnittlichen
Arbeitsentgelt aller Bezieher von Alg keine Rede sein.
57 Die konkreten Auswirkungen der Regelung im vorliegenden Fall verdeutlichen dies. Die
Klägerin hat nach ihrer Elternzeit von ihrem Arbeitgeber zuletzt ein Arbeitsentgelt von 2.324
EUR erhalten, dh 77,47 EUR täglich (2.324 EUR : 30). Das von der Beklagten bei der
Bewilligung zu Grunde gelegte tägliche Bemessungsentgelt von 64,40 EUR ist
demgegenüber um knapp 17 vH niedriger. Es drängt sich auch nach den konkreten
Verhältnissen des zu entscheidenden Falls nicht auf, dass die Differenz von knapp 17 vH
zwischen dem (fiktiven) Bemessungsentgelt und dem zuletzt - kurzfristig und ohne
Arbeitsleistung - erzielten Entgelt angesichts der regelmäßig zu vermutenden Minderung des
Marktwerts der Arbeitsleistung überzogen und sachlich unangemessen ist.
58 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.