Urteil des BSG vom 17.03.2005

BSG: krankenversicherung, krankenkasse, versorgung, form, krankengymnastik, ermächtigung, krankheit, heilmittel, gefahr, verordnung

Bundessozialgericht
Urteil vom 17.03.2005
Sozialgericht Regensburg S 2 KR 33/00
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 179/02
Bundessozialgericht B 3 KR 35/04 R
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 1. Juli 2004 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Streitig ist die Gewährung von häuslicher Krankenpflege. Die 1922 geborene Klägerin ist bei der Beklagten
krankenversichert und bei der Pflegekasse der Allgemeinen Ortskrankenkasse Bayern pflegeversichert. Seit Juni
1998 erhält sie Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe III, die ebenso wie die häusliche Krankenpflege
vom Pflegedienst der Caritas Sozialstation in Neunburg vorm Wald erbracht werden. Sie leidet im Wesentlichen an
Polyarthrose, Demenz vom Typ Alzheimer, Osteoporose, den Folgen eines Schlaganfalls, rezidivierenden
Druckgeschwüren mit Wundheilungsstörungen und ist deswegen dauernd bettlägerig. Der behandelnde Hausarzt S.
verordnete für das erste Quartal 1999 neben Krankengymnastik auch verschiedene Maßnahmen der
Behandlungspflege, darunter einmal täglich Bewegungsübungen. Mit Bescheid vom 19. Februar 1999 lehnte es die
Beklagte ab, die Bewegungsübungen gesondert zu bewilligen, weil eine Mobilisierung bereits im Rahmen der
Grundpflege erfolge und von der Pflegekasse vergütet werde. Dem Widerspruch der Klägerin, mit dem sie geltend
machte, dass die durchgeführten Bewegungsübungen als therapeutische Maßnahmen neben der Mobilisierung im
Rahmen der Grundpflege anzusehen seien, half die Beklagte nur insoweit ab, als sie die Kostenübernahme für die
Bewegungsübungen erst ab Zugang des Bescheids am 20. Februar 1999 verweigerte (Widerspruchsbescheid vom 27.
Januar 2000).
Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte am 5. Dezember 2000 einen
weiteren Bescheid erteilt, in dem sie ihre Weigerung, die Bewegungsübungen zu vergüten, nunmehr auch auf die seit
dem 1. Juli 2000 geltenden Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung
von häuslicher Krankenpflege (im Folgenden: HKP-Richtlinien) stützte, die Bewegungsübungen im Rahmen der
Behandlungspflege nicht vorsähen. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 5. Juni 2002 die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 19. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2000
sowie des Bescheides vom 5. Dezember 2000 verurteilt, die Klägerin von den Kosten der Bewegungsübungen
freizustellen. Die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten wurde durch Urteil des Bayerischen
Landessozialgerichts (LSG) vom 1. Juli 2004 nach Einholung schriftlicher Auskünfte der behandelnden Hausärzte
zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass die Klägerin nach den eingeholten Auskünften
zusätzlich zur Krankengymnastik und der begleitenden Mobilisation im Rahmen der Grundpflege weitere
Bewegungsübungen benötige, um eine angemessene Krankenbehandlung zu erhalten. Derartige zur Bekämpfung der
bei ihr vorliegenden Erkrankungen notwendige Maßnahmen seien als Behandlungspflege einzuordnen, für die die
Krankenversicherung einzutreten habe. Dem stünden die HKP-Richtlinien nicht entgegen, weil das darin enthaltene
Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege nicht abschließend sei. Die ausgebildeten
Pflegekräfte des Pflegedienstes seien auch in der Lage, die ärztlich angeordneten Maßnahmen durchzuführen. Da der
Pflegedienst "offensichtlich" mit der Klägerin Stundung vereinbart habe, komme nur eine Verurteilung zur Freistellung
von den Kosten in Betracht, wobei es für sachdienlich gehalten werde, alle Quartale einzubeziehen, in denen die
Bewegungsübungen von den Hausärzten verordnet worden seien.
Dagegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten. Sie weist darauf hin, dass
Bewegungsübungen auch für die weiteren Quartale des Jahres 1999 und des Jahres 2000 verordnet, gegenüber dem
Pflegedienst aber jeweils abgelehnt worden seien. Der Pflegedienst leiste Grundpflege ua in Form von "Lagern,
Mobilisieren, Betten" drei mal täglich. Das Urteil des LSG verstoße gegen Bundesrecht, weil zum Leistungsumfang
der Behandlungspflege nach § 37 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch (SGB V) keine nicht näher spezifizierten Geh- und
Bewegungsübungen gehörten, die zur Kontrakturenvermeidung, zur Vermeidung von Dekubitus sowie zur Vorbeugung
gegen sonstige Folgen der Bettlägerigkeit durchgeführt würden. Geh- und Bewegungsübungen seien weder vertraglich
noch gesetzlich noch durch Richtlinien definiert. Häufig werde bei bettlägerigen Patienten das "Durchbewegen"
darunter verstanden. Ein solches "Durchbewegen" möge nützlich sein. Deshalb sei es jedoch keine Leistung der
gesetzlichen Krankenversicherung, weil es nicht um die Behandlung einer Krankheit iS von § 27 SGB V gehe. Bei der
Klägerin sei das "Durchbewegen" allein deshalb erforderlich, weil sie sich auf Grund ihres Alters und der im
Wesentlichen altersbedingten Erkrankungen nicht selbstständig aktiv bewegen könne. Es liege deshalb ein auf
natürlicher Entwicklung beruhender Schwächezustand, nicht aber eine behandlungsbedürftige Krankheit iS der
gesetzlichen Krankenversicherung vor. Selbst wenn man aber bei der Klägerin das Vorliegen von Krankheiten bejahen
würde, fehle es an der konkreten Behandlungsbedürftigkeit im Hinblick auf die Bewegung. Mit den pflegerischen
Maßnahmen sei kein Behandlungsziel verbunden. Bewegungsübungen, die gezielt einen therapeutischen Zweck bei
einer akuten Krankheit verfolgten, seien nur als Heilmittel in Form von krankengymnastischen Leistungen
verordnungsfähig. Eine Versorgungslücke, die es erforderlich mache, Bewegungsübungen im Rahmen der häuslichen
Krankenpflege durchzuführen, liege deshalb nicht vor. Bewegungsübungen ohne konkrete therapeutische Zielrichtung
seien entweder im Rahmen der Pflegeversicherung als aktivierende Pflege zu erbringen oder in die
Eigenverantwortung des Versicherten nach §§ 1 und 2 SGB V zu verweisen.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 1. Juli 2004 und des Sozialgerichts
Regensburg vom 5. Juni 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht geltend, dass die Bewegungsübungen nicht einem auf natürlicher
Entwicklung beruhenden Schwächezustand, sondern einer Verschlimmerung der Versteifung der Gelenke, einer
Muskelatrophie, Dekubitusgeschwüren und der Gefahr einer Bettlungenentzündung entgegenwirken sollten. Der
Pflegedienst habe sie, die Klägerin, auch nicht bloß "durchbewegt", sondern die Bewegungsübungen nach den
Pflegestandards der Diakonie, die allgemein anerkannt seien, durchgeführt. Vor Inkrafttreten der HKP-Richtlinien seien
in der Gebührenvereinbarung zum Rahmenvertrag gemäß § 132 SGB V auch Geh- und Bewegungsübungen als
Leistungen der häuslichen Krankenpflege enthalten gewesen. Da Behandlungspflegemaßnahmen, die nicht im
Zusammenhang mit einer Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens erbracht werden müssen, nicht in die
Leistungspflicht der Pflegeversicherung fielen, seien sie als häusliche Krankenpflege zu gewähren. Die Beklagte
könne sie, die Klägerin, stattdessen nicht auf krankengymnastische Leistungen als Heilmittel verweisen, weil solche
Leistungen nicht mindestens einmal täglich erbracht würden, im Übrigen aber auch wesentlich teurer wären.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung an die
Vorinstanz begründet. Die Entscheidung verletzt Bundesrecht, der Senat ist aber zu einer abschließenden
Entscheidung des Rechtsstreits nicht in der Lage (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Es fehlt schon an von Amts wegen auch im Revisionsverfahren zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen. Tenor
und Urteilsgründe der angefochtenen Entscheidung lassen nicht erkennen, über welchen Streitgegenstand
entschieden worden ist (§ 123 SGG). Insbesondere vermag das Revisionsgericht nicht zu erkennen, über welchen
Zeitraum anhand welcher Rechtsnormen das Urteil zu überprüfen ist. Bei Rechtskräftigwerden der angefochtenen
Entscheidung bliebe der Umfang der Rechtskraft unklar (§ 141 SGG).
Dem Tenor nach hat das LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 5. Juni 2002
zurückgewiesen. Aber das Urteil des SG leidet bereits an dem Mangel, dass der Umfang der Verurteilung der
Beklagten nicht erkennbar ist. Das SG hat die Beklagte verurteilt, die Klägerin von den Kosten der
Bewegungsübungen freizustellen. Es hat weder klargestellt, für welche Zeiträume das gilt, noch in welcher Höhe die
Freistellung zu erfolgen hat. Die aufgehobenen Verwaltungsakte betrafen einmal den Zeitraum vom 20. Februar bis 30.
April 1999 (erstes Quartal), der weiterhin aufgehobene Bescheid vom 5. Dezember 2000 betraf die Ablehnung einer
weiteren Leistungsbewilligung für die Zukunft. Im Tatbestand des SG-Urteils werden vier weitere Verordnungen für die
vier Quartale des Jahres 2000 und die darüber ergangenen ablehnenden Bescheide erwähnt, diese Bescheide aber
nicht ausdrücklich in das Verfahren einbezogen. Das LSG hat den Streitgegenstand nicht näher präzisiert, sondern
nur in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass es für sachdienlich gehalten werde, über die Quartale zu
entscheiden, in denen Bewegungsübungen verordnet worden seien, zumal auch die Beteiligten keine
Einschränkungen gemacht hätten. Es hat nicht darauf hingewirkt, dass die Beteiligten durch sachdienliche Anträge
den Streitgegenstand präzisieren (§ 106 SGG); deshalb hat die Klägerin in der Berufungsinstanz nur den Antrag
gestellt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Das LSG hätte aber auf einen bezifferten Klageantrag hinwirken müssen. Bei einem Antrag auf Kostenfreistellung
handelt es sich ebenso wie bei einem Antrag auf Kostenerstattung um eine Leistungsklage, die der Höhe nach
beziffert werden muss. Im Falle geleisteter Aufwendungen ist die Höhe der Aufwendungen zu substantiieren und bei
Bestreiten zu belegen; bei einem Befreiungsanspruch gilt nichts anderes. Ohne Bezifferung der Forderung sind die
Urteile nicht vollstreckbar. Selbst wenn erwartet werden kann, dass eine öffentlich-rechtliche Körperschaft wie die
Beklagte im allgemeinen einem Urteilsspruch auch ohne Vollstreckung nachkommen wird, ist es nicht zulässig, die
Gerichte letztlich nur zur Entscheidung einer Rechtsfrage anzurufen und darauf zu vertrauen, dass anschließend der
Streitstoff von den Beteiligten ausgeräumt wird.
Dies gilt umso mehr, als es sich bei häuslicher Krankenpflege um Leistungen handelt, die in tatsächlicher Hinsicht im
Verlaufe der Zeit erheblichen Änderungen unterliegen können. Die Leistungen werden deshalb auch nicht wie eine
Rente im Regelfall auf Dauer bewilligt, sondern nur von Quartal zu Quartal, damit die Notwendigkeit einer
Weitergewährung in kurzen Abständen vom verordnenden Arzt und von der bewilligenden Krankenkasse überprüft
werden kann. Die Bescheide der Kasse über die jeweilige Weiterbewilligung für ein Quartal werden auch nicht ohne
weiteres kraft Gesetzes (§§ 86, 96 SGG) in ein laufendes Widerspruchsverfahren oder Klageverfahren einbezogen
(BSG SozR 3-2500 § 37 Nr 5). Im Klageverfahren sind sie vielmehr nur im Wege der Klageerweiterung mit
Zustimmung des Gegners oder bei Zulassung durch das Gericht wegen Sachdienlichkeit in das Verfahren
einzubeziehen (§ 99 SGG). Dies ist vom Gericht in ausreichender Weise deutlich zu machen, sodass klar wird, über
welche Zeiträume entschieden wird, welche Rechtsnormen in welcher Fassung angewandt werden und in welchem
Umfang der Klage stattgegeben wird, damit die Beschwer der Beteiligten und der Umfang der Rechtskraft einer
Entscheidung festgestellt werden kann.
Das LSG hat die Berufung der Beklagten ohne nähere Begründung als zulässig angesehen. Da es an einer
ausdrücklichen Zulassung der Berufung durch das SG fehlt, war die Berufung nur statthaft, wenn der Wert des
Beschwerdegegenstandes 500 Euro überschritten hat (§ 144 Abs 1 Nr 1 SGG). Bei Kosten von 5,85 DM pro Tag für
die verordneten Bewegungsübungen wird diese Summe allerdings in etwa zwei Quartalen erreicht, sodass zum
Zeitpunkt des Eingangs der Berufung im September 2002 der notwendige Wert des Beschwerdegegenstandes bei
sachgerechter Auslegung des Klagebegehrens erreicht gewesen sein dürfte. In der mündlichen Verhandlung vor dem
LSG hätte die sachgerechte Antragstellung der Klägerin dahin gehen müssen, sie unter Aufhebung der konkret zu
benennenden Bescheide von der bis dahin aufgelaufenen Gesamtforderung des Pflegedienstes in bezifferter Höhe
freizustellen.
Der Senat sieht davon ab, im Revisionsverfahren auf eine derartige sachdienliche Antragstellung hinzuwirken, weil
nicht auszuschließen ist, dass damit eine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung (§ 168 SGG) verbunden
wäre. Im Übrigen muss die Sache auch aus anderen Gründen an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.
Die vom LSG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, die tatbestandlichen Voraussetzungen eines
Freistellungsanspruchs zu bejahen. Das LSG hat in diesem Rahmen zwar ausgeführt, dass die Beteiligten über
Kosten streiten, die der Klägerin für einmal täglich erbrachte Bewegungsübungen seit dem 20. Februar 1999 in
Rechnung gestellt worden sind. In den Entscheidungsgründen heißt es, "offensichtlich" habe die Caritas mit der
Klägerin Stundung vereinbart. Beide Aussagen lassen sich nicht nachvollziehen. Das LSG hat zwar im Verlaufe des
Berufungsverfahrens die Rechnungen des Caritas-Pflegedienstes angefordert; diese Rechnungen sind aber jeweils an
die Beklagte adressiert. Dass gleich lautende Rechnungen auch an die Klägerin ergangen sind, lässt sich dem
Akteninhalt nicht entnehmen. Für eine Stundungsabrede fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt. Von einer
"Offensichtlichkeit" kann erst recht keine Rede sein.
Das LSG hat es aber nicht nur versäumt festzustellen, dass der Klägerin tatsächlich die erbrachten, von der
Beklagten nicht bezahlten Pflegeleistungen in Rechnung gestellt worden sind, sondern auch keine Ausführungen dazu
gemacht, ob der Pflegedienst einen Anspruch gegen die Klägerin hat, von dem diese freizustellen wäre. Die bloße
Inanspruchnahme der Klägerin durch den Pflegedienst würde allein nicht ausreichen; sie müsste rechtlich verpflichtet
sein, die unbeglichenen Rechnungen zu bezahlen. Eine solche Verpflichtung folgt nicht schon aus der Tatsache, dass
die beklagte Kasse sich weigert, diese Leistungen zu bezahlen. Die Klägerin ist als Versicherte insoweit nicht
gleichsam Ausfallbürge für die Verpflichtung der Beklagten. Ein Befreiungsanspruch gemäß § 13 Abs 3 SGB V kann
als Vorstufe eines Erstattungsanspruchs nur dann gegeben sein, wenn sich die Klägerin wegen der
Leistungsverweigerung der Beklagten verpflichtet hat, die Leistungen im Rahmen eines privatrechtlichen
Pflegevertrages in Anspruch zu nehmen und zu begleichen (vgl dazu Urteil des Senats vom 23. Januar 2003 - BSGE
90, 220 = SozR 4-2500 § 33 Nr 1 RdNr 27 ff), wobei damit durchaus eine Stundungsabrede des Inhalts verbunden
sein kann, dass die Zahlung erst fällig wird, wenn endgültig feststeht, dass die Krankenkasse nicht eintritt.
Vertragliche Abmachungen irgendwelcher Art lassen sich indessen den Feststellungen des LSG nicht entnehmen.
Aus der tatsächlichen Inanspruchnahme der Leistungen durch die Klägerin allein ergibt sich ebenfalls kein Anspruch
des Pflegedienstes auf Bezahlung. Ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Bürgerliches
Gesetzbuch könnte sich allein gegen die Beklagte richten, weil die Leistung in vermeintlicher Erfüllung der
Sachleistungsverpflichtung der Beklagten an die Beklagte gerichtet gewesen wäre; bei Bestehen der hier streitigen
Sachleistungsverpflichtung wäre nur die Beklagte zu Unrecht bereichert, weil sie insoweit durch die Leistung des
Pflegedienstes von dieser Verpflichtung befreit worden wäre (vgl dazu Urteil des Senats vom 13. Mai 2004 - B 3 KR
2/03 R - SozR 4-2500 § 132a Nr 1).
Auf die fehlenden Feststellungen kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits an, weil die Klage jedenfalls an
weiteren Voraussetzungen eines Befreiungsanspruchs nicht scheitert. Das LSG hat insoweit zutreffend erkannt, dass
die Beklagte sich zu Unrecht geweigert hat, die verordneten Bewegungsübungen im Rahmen der häuslichen
Krankenpflege zu bewilligen. Nach § 37 Abs 2 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als
häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich
ist. Der Eintritt von Pflegebedürftigkeit iS des Sozialgesetzbuchs - Elftes Buch (SGB XI) schließt diesen Anspruch
nicht aus; ausgeschlossen sind dann vielmehr nur Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung, die sonst bei
Vorliegen einer entsprechenden Satzungsbestimmung als Leistung der Krankenkasse zulässig wären (§ 37 Abs 2
Sätze 2 bis 4 SGB V). Nach den Feststellungen des LSG können die streitigen Bewegungsübungen nicht durch eine
im Haushalt der Klägerin lebende Person erbracht werden, sodass der Anspruch auch nicht durch § 37 Abs 3 SGB V
ausgeschlossen wird.
Die streitigen Bewegungsübungen sind entgegen der Auffassung der Beklagten als Maßnahme der Behandlungspflege
und nicht als solche der Grundpflege einzuordnen. Was unter Behandlungspflege zu verstehen ist, wird im Gesetz
nicht näher definiert. Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Behandlungspflege dahingehend umschrieben, dass es
sich um Hilfeleistungen handelt, die durch bestimmte Erkrankungen erforderlich werden (krankheitsspezifische
Pflegemaßnahmen) und typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder
auch von Laien erbracht werden (BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 10; BSGE 82, 27, 33 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2). Der
Zielrichtung nach müssen die Maßnahmen der Behandlung einer Erkrankung dienen; dazu reicht es aber bereits aus,
wenn eine Verschlimmerung verhütet wird oder Beschwerden gelindert werden (§ 27 Abs 1 SGB V). Hingegen gehören
Maßnahmen, die dem Eintritt einer Erkrankung vorbeugen sollen, grundsätzlich nicht zum Leistungsauftrag der
Krankenversicherung. Solche prophylaktischen Leistungen sieht das Gesetz nur ausnahmsweise als Leistungen der
Krankenversicherung vor (vgl §§ 25, 26 SGB V). Primäre Aufgabe der Pflegekassen ist es wiederum,
Pflegebedürftigen die Hilfen zu leisten, auf die sie wegen der Schwere der Pflegebedürftigkeit angewiesen sind; die
Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen wieder zu
gewinnen oder zu erhalten (§ 1 Abs 4, § 2 Abs 1 Satz 2 SGB XI). Bei dauerhaft bettlägerigen Versicherten gehört
dazu, die Folgen der Bettlägerigkeit und der damit verbundenen Immobilität soweit wie möglich zu verhindern,
insbesondere der Gefahr von Druckgeschwüren, Muskelschwund, Knochenschwund und einer so genannten
Bettlungenentzündung vorzubeugen. Dies geschieht ua durch regelmäßige aktive Bewegung der Pflegebedürftigen,
und wenn dies nicht möglich ist, durch passives Bewegen beim Umlagern oder bei den körperlichen
Pflegemaßnahmen, etwa beim Verlassen des Bettes oder bei der Körperreinigung. Derartige passive Mobilisation ist
integrierender Bestandteil der Hilfen bei den gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des
täglichen Lebens iS des § 14 SGB XI, die von den Pflegekassen gemäß § 36 Abs 2 SGB XI als Sachleistung
erbracht werden müssen und demzufolge nicht in die Leistungspflicht der Krankenkassen fallen.
Die der Versicherten verordneten und erbrachten Leistungen der Mobilisierung gingen nach den Feststellungen des
LSG aber über diesen Rahmen hinaus. Das LSG hat aus den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte und
Krankengymnasten entnommen, dass die Klägerin wegen ihrer schweren Leiden zusätzlich zur Krankengymnastik
und der begleitenden Mobilisation im Rahmen der Grundpflege weitere Bewegungsübungen benötigte, um die
angemessene Therapie im Rahmen ihrer Rechte aus § 27 Abs 1 SGB V zu erhalten. Es hat allerdings nicht im
Einzelnen ausgeführt, welche konkreten Ziele mit den Bewegungsübungen erreicht werden sollten. Nach Darstellung
der Klägerin bestanden die Bewegungsübungen darin, entsprechend dem Pflegestandard des Pflegedienstes die
großen Körpergelenke, Handgelenke, Finger, Beine, Füße und Zehen "durchzubewegen" und alle Übungen drei- bis
fünfmal zu wiederholen. Nach den durchweg gleich lautenden ärztlichen Verordnungen der häuslichen Krankenpflege
wurden unter "Diagnose" Dekubitusprophylaxe, Bettlägerigkeit, Demenz, Mobilisationsübungen, Omarthrose,
Osteoporose, Polyarthrose, multiple Wundheilungsstörungen und Kontrakturen aufgeführt. Es handelt sich dabei um
eine ungeordnete Mischung aus Diagnosen, Zustandsbeschreibungen und erforderlichen pflegerischen Maßnahmen.
Das LSG hat sich damit nicht im Einzelnen auseinander gesetzt, sich aber auch nicht gehindert gesehen, zu der
Bewertung zu kommen, dass die Bewegungsübungen nicht nur Folgen der Bettlägerigkeit entgegenwirken sollten,
sondern die Auswirkungen der vorliegenden Erkrankungen, insbesondere der Polyarthrose, bekämpfen sollten, die
zusätzlich zu der mit der Bettlägerigkeit verbundenen Gefahr in einer zunehmenden Versteifung der Gelenke
bestehen. Da die Revision gegen diese Einschätzung des LSG keine Revisionsrügen in Form der Verletzung der
Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) oder des Überschreitens der Grenzen richterlicher Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1
Satz 1 SGG) vorgebracht hat, ist sie der rechtlichen Würdigung durch das Revisionsgericht zu Grunde zu legen.
Damit dienten die Bewegungsübungen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht der bloßen Verhinderung einer
Verschlechterung des altersbedingten Schwächezustands, sondern der Behandlung von Krankheitsfolgen.
Die Beklagte beruft sich zu Unrecht darauf, dass die HKP-Richtlinien die Bewegungsübungen nicht vorsähen und
solche Therapien nur als krankengymnastische Leistungen in Betracht kämen, die als Heilmittel zum Zwecke der
Besserung einer akuten Erkrankung verordnet werden könnten. Die HKP-Richtlinien vom 16. Februar 2000 (BAnz Nr
91 S 8878) regeln zwar unter I Nr 3, dass die in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Maßnahmen
der häuslichen Krankenpflege dem der Richtlinie angefügten Listenverzeichnis zu entnehmen seien. Dort nicht
aufgeführte Maßnahmen seien nicht als häusliche Krankenpflege verordnungsfähig und dürften von der Krankenkasse
nicht genehmigt werden. In der Anlage findet sich nur unter den Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen
Versorgung bei der Leistungsbeschreibung der Körperpflege die Hilfe zur Verbesserung der Mobilität "(im Rahmen der
aktivierenden Pflege zB: Aufstehen aus liegender oder sitzender Position in Form von Aufrichten bis zum Stand,
Gehen und Stehen, Treppen steigen, Transfer/Umsetzen, Hinsetzen und Hinlegen, Betten eines immobilen Patienten,
Lagern, allgemeine Bewegungsübungen)". Demgegenüber sind bei den Leistungen der Behandlungspflege
Bewegungsübungen überhaupt nicht aufgeführt. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass Bewegungsübungen
außerhalb von krankengymnastischen Leistungen als Leistungen der Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Die
HKP-Richtlinien stellen keinen abschließenden Leistungskatalog über die zu erbringenden Leistungen im Rahmen der
häuslichen Krankenpflege dar. Soweit dies aus den einleitenden Formulierungen geschlossen werden könnte, würde
eine solche Auslegung von der gesetzlichen Ermächtigung nicht gedeckt. Nach § 92 Abs 1 Satz 1 SGB V
beschließen die Bundesausschüsse die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die
Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten. Sie sollen
insbesondere Richtlinien beschließen über ua die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln,
Krankenhausbehandlung, häuslicher Krankenpflege und Soziotherapie (Satz 2 Nr 6 der Vorschrift). Damit ist im
Unterschied zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (§ 135 SGB V) und Heilmitteln (§ 138 SGB V) keine
Ermächtigung des Bundesausschusses eingeräumt, den Umfang der von den Krankenkassen zu erbringenden
Leistungen der häuslichen Krankenpflege abschließend festzulegen. Nach Abs 7 Satz 1 der Vorschrift ist in den
Richtlinien "insbesondere" zu regeln (1.) die Verordnung der häuslichen Krankenpflege und deren ärztliche Zielsetzung
sowie (2.) die Zusammenarbeit des verordnenden Vertragsarztes mit den Leistungserbringern. Der Auftrag an den
Bundesausschuss beschränkt sich - wie es dem Wesen von Richtlinien entspricht - auf die Konkretisierung und
Interpretation des Wirtschaftlichkeitsgebots für die Regelfälle der häuslichen Krankenpflege, schließt aber ein
Abweichen davon im Einzelfall nicht aus. Für eine Ausgrenzung notwendiger Leistungen aus dem Versorgungsauftrag
der Krankenkassen, ihre Zuweisung zum Aufgabenbereich der Pflegekassen oder in die Eigenverantwortung der
Versicherten (dh Selbstbeteiligung; dazu Peters in Kasseler Komm § 2 SGB V RdNr 3) - wie es die Beklagte sieht -
hat der Bundesausschuss keine Ermächtigung (zum Umfang der Ermächtigung des Bundesausschusses bei
Maßnahmen der künstlichen Befruchtung vgl BSGE 88, 62, 67 ff = SozR 3-2500 § 27a Nr 3; bei Maßnahmen der
medizinischen Fußpflege vgl BSGE 85, 132, 140 ff = SozR 3-2500 § 27 Nr 12). Demzufolge bleiben Maßnahmen der
Behandlungspflege, die im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind, auch außerhalb der HKP-Richtlinien in der
Leistungsverpflichtung der Krankenkasse, und zwar unabhängig davon, ob es sich um die Behandlung einer akuten
oder chronischen Erkrankung handelt. Zur wirksamen Bekämpfung der Folgen bestimmter Erkrankungen für den
Bewegungsapparat des Menschen mögen zwar in erster Linie Physiotherapeuten qualifiziert sein; dennoch kann es im
Einzelfall zweckmäßig sein, daneben oder an deren Stelle Bewegungstherapien auch durch Pflegedienste durchführen
zu lassen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Notwendigkeit von Bewegungsübungen, die über die übliche
Mobilisierung im Rahmen der Grundpflege hinausgehen, ist von der Beklagten nicht bestritten worden; sie ergibt sich
auch daraus, dass zusätzlich Leistungen der Krankengymnastik verordnet und von der Beklagten übernommen
worden sind. Die Auffassung der Beklagten, die vom Pflegedienst erbrachten Bewegungsübungen dürften nur von
entsprechend ausgebildeten Krankengymnasten geleistet und abgerechnet werden, widerspricht dem
Wirtschaftlichkeitsgebot. Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass die tägliche Durchführung von
Bewegungsübungen in der Wohnung der Klägerin durch Krankengymnasten wesentlich kostenaufwendiger wäre als
die Leistung des Pflegedienstes. Anhaltspunkte dafür, dass die nach Pflegestandard erfolgenden Bewegungsübungen
nicht fachgerecht durch ausgebildete Alten- oder Krankenpfleger ausgeführt werden können, sind nicht ersichtlich und
werden auch von der Beklagten nicht aufgezeigt.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.