Urteil des BSG vom 17.06.2010

BSG: sinn und zweck der norm, onkel, darlehensvertrag, rückzahlung, erlass, schenkung, verfügung, sozialhilfe, abgrenzung, steuerrecht

Bundessozialgericht
Urteil vom 17.06.2010
Sozialgericht Dortmund S 10 (27) AS 255/07
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 AS 62/08
Bundessozialgericht B 14 AS 46/09 R
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2008
wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Revisionsverfahren.
Gründe:
I
1
Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, mit dem die Beklagte die Bewilligung
von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den
Zeitraum vom 1.12.2006 bis zum 28.2.2007 teilweise aufgehoben und von ihr die Erstattung überzahlter Leistungen in
Höhe von 1410 Euro gefordert hat.
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Die 1983 geborene, alleinstehende Klägerin erhielt nach vorangehendem Bezug von Arbeitslosengeld (Alg) nach dem
Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) seit März 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von der
Beklagten. Zuletzt bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 10.8.2006 für den Zeitraum vom 1.9.2006 bis zum
28.2.2007 Alg II in Höhe von monatlich 588 Euro (345 Euro Regelleistung, 240 Euro Kosten für Unterkunft und
Heizung und 3 Euro befristeter Zuschlag nach § 24 SGB II). Seit dem 15.3.2007 war sie als Erzieherin beschäftigt und
damit nicht mehr hilfebedürftig nach dem SGB II.
3
Im Februar 2007 reichte die Klägerin bei der Beklagten Kontoauszüge ein, aus denen ein Zahlungseingang am
19.12.2006 von ihrem Onkel in Höhe von 1500 Euro hervorging. Auf Rückfrage legte sie dazu ein an sie gerichtetes,
undatiertes Schreiben mit folgendem Inhalt vor: "Liebe J , am 19. Dezember.2006 habe ich Dir Euro 1500 als Darlehen
auf Dein Konto überwiesen. Wir haben vereinbart, dass Du mir den Betrag am 01.07.2007 zurückzahlst. Beste Grüße.
Dein Onkel J ".
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Nach Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 5.3.2007 hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 10.8.2006
für den Zeitraum vom 1.12.2006 bis 28.2.2007 teilweise in Höhe von 1410 Euro nach § 48 Abs 1 Satz 2
Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf. Die Klägerin habe nach Erlass des Bescheides Einkommen erzielt, das
zur Minderung des Anspruchs geführt habe (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X). Mit dem Zufluss der Darlehenssumme
im Dezember 2006 habe sich eine Änderung der Verhältnisse ergeben (§ 48 Abs 1 Satz 3 SGB X). Der auf dem
Girokonto eingegangene Betrag von 1500 Euro sei ab dem Zuflussmonat als sonstiges Einkommen nach § 11 SGB II
zu berücksichtigen und anteilig in Höhe von monatlich 470 Euro (500 Euro abzüglich des Pauschbetrages in Höhe von
30 Euro) auf den restlichen Bewilligungsabschnitt zu verteilen. Die Aufhebungsentscheidung sei nach § 40 Abs 1 Nr 1
SGB II iVm § 330 SGB III als gebundene Entscheidung zu erlassen. Die erbrachten Leistungen seien nach § 40 Abs
2 SGB II in Verbindung mit § 50 SGB X zu erstatten, wobei der Klägerin unter Berücksichtigung der persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse die Möglichkeit einer Ratenzahlung eingeräumt werde (Bescheid vom 13.3.2007;
Widerspruchsbescheid vom 21.6.2007).
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Die hiergegen gerichtete Klage zum Sozialgericht (SG) Dortmund begründete die Klägerin wie bereits den Widerspruch
damit, es sei ihr von ihrem Onkel ein Darlehen gewährt worden, um (von ihr im Einzelnen belegte) Ausgaben zu
tätigen, die sie nicht aus dem Regelsatz habe bestreiten können. Ihrer Verpflichtung zur Rückzahlung der
Darlehenssumme sei sie am 17.7.2007 durch Überweisung des Betrages in voller Höhe nachgekommen. Die Klage
blieb ohne Erfolg (Urteil vom 26.5.2008).
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Auf die Berufung der Klägerin hin hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG und die
angefochtenen Bescheide aufgehoben. Die Klägerin sei im Zeitraum von Dezember 2006 bis Februar 2007 weiterhin in
dem zuvor bestehenden Umfang hilfebedürftig gewesen. Ihrem Bedarf von monatlich 588 Euro habe kein zu
berücksichtigendes Einkommen gegenübergestanden. Durch die Gutschrift auf dem Girokonto am 19.12.2006 sei eine
wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 10.8.2006 vorgelegen hätten, nicht
eingetreten. Die von ihrem Onkel überwiesene Summe sei nicht als einmalige Einnahme bedarfsmindernd zu
berücksichtigen gewesen, da es sich zur Überzeugung des Senats nicht um eine Schenkung, sondern ein Darlehen
gehandelt habe. Bei Mitteln aus einem Darlehen handele es sich nicht um Einkommen iS des § 11 SGB II, da sie mit
Rücksicht auf die Rückzahlungsverpflichtung die Vermögenssituation des Hilfebedürftigen nicht veränderten, es sei
denn, die Verpflichtung zur Rückzahlung entfalle (Hinweis auf BSGE 58, 160 ff = SozR 4100 § 138 Nr 11; BSG SozR
4100 § 138 Nr 25 zur Arbeitslosenhilfe; BVerwGE 54, 358, 361 ff; 69, 247 ff; 69, 252 ff für das Wohngeldrecht). Für
den Senat sei nach Anhörung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung und auf Grundlage der Angaben
des Onkels, der Rechtsanwalt sei, nachgewiesen, dass von vornherein die Rückzahlung des Betrages von 1500 Euro
vereinbart worden sei. Unschädlich für diese Annahme sei, dass bei Vereinbarung der darlehensweisen Überlassung
der Zeitpunkt für die Rückzahlung (noch) offen gelassen worden sei.
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Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 11 SGB II. Zwar spreche einiges
für die vom LSG vertretene Auffassung, dass Darlehen, die mit einer Rückzahlungsverpflichtung belastet seien, nicht
als Einkommen angesehen werden könnten. Dies könne jedoch nur für solche Darlehenssummen gelten, die noch im
laufenden Bewilligungsabschnitt zurückzuzahlen seien (Hinweis auf SG Reutlingen Urteil vom 24.4.2007 - S 2 AS
4151/06, info also 2007, 227 = ZFSH/SGB 2007, 672). Dies berücksichtige die unmittelbare wirtschaftliche Situation
des Hilfebedürftigen angemessen. Zugleich könne so ein Maßstab zur Bewertung von Fällen wie dem Vorliegenden
gefunden werden, der den Anforderungen einer Massenverwaltung gerecht werde. Darlehensvereinbarungen müssten
schließlich in allen wesentlichen Punkten dem entsprechen, was auch zwischen Dritten vereinbart werde und damit
dem sog Fremdvergleich standhalten.
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Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2008 aufzuheben
und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26. Mai 2008 zurückzuweisen.
9
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
10
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
11
Die zulässige Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die Voraussetzungen für
eine (teilweise) Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung liegen nicht vor. Bei der nach Antragstellung im
Bedarfszeitraum zugeflossenen Darlehenssumme handelt es sich nicht um berücksichtigungsfähiges Einkommen,
wie das LSG zutreffend entschieden hat.
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1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 13.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 21.6.2007, den die Klägerin mit ihrer Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) angegriffen hat.
13
2. Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung kommt nur § 40 Abs 1 SGB II iVm § 48 Abs
1 Satz 2 Nr 3 SGB X in Betracht. Hiernach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim
Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der
Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 3
SGB III ist dabei mit Wirkung vom Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse der Verwaltungsakt aufzuheben,
soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur
Minderung des Anspruchs geführt hat (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X). Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse
gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen
Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes (§ 48 Abs 1 Satz 3 SGB X);
dies ist im SGB II nach § 13 SGB II iVm § 2 Abs 3 Satz 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) idF
vom 20.10.2004 (BGBl I 2622) iVm § 6 Alg II-V idF vom 22.8.2005 (BGBl I 2499) der Beginn des Monats, in dem das
Einkommen zufließt.
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3. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne ist entgegen der Auffassung der
Beklagten durch den Zufluss der Darlehenssumme nicht eingetreten. Die erwerbsfähige Klägerin war während des
gesamten Bewilligungsabschnitts vom 1.9.2006 bis zum 28.2.2007, in den auch der streitige Zeitraum fällt,
hilfebedürftig iS der §§ 7, 9 SGB II. Sie erfüllte nach den bindenden Feststellungen des LSG durchgehend die
Voraussetzungen für den Bezug von Alg II. Dabei war zum Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides vom
10.8.2006 von einem monatlichen Bedarf in Höhe von jeweils 588 Euro auszugehen. Auf diesen monatlichen Bedarf
war auch in den Monaten Dezember 2006 sowie Januar und Februar 2007 kein Einkommen bedarfsmindernd
anzurechnen.
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Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit
Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und den
Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und Renten oder Beihilfen, die nach dem
Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. Dabei ist
Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende
zuständigen Senate grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen
das, was er vor Antragstellung bereits hatte (vgl nur BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; BSGE 101, 291 = SozR
4-4200 § 11 Nr 15 RdNr 18). Vorliegend kommt damit - wovon auch die Beteiligten und die Vorinstanzen ausgehen -
nur die Berücksichtigung der Zahlung als Einkommen im Bedarfszeitraum, nicht dagegen als Vermögen in Betracht.
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a) Aus dem Wortlaut des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II folgt keine weitergehende Definition dessen, was Einkommen ist.
Lediglich die im zweiten Satzteil genannten Leistungen sind von vornherein von der Berücksichtigung ausgenommen.
Mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Arbeitslosenhilfe (BSGE 58, 160 = SozR
4100 § 138 Nr 11; SozR 4100 § 138 Nr 25) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Einkommensbegriff im
Wohngeldrecht (stRspr seit BVerwGE 54, 358, juris RdNr 21; BVerwGE 69, 247, juris RdNr 15) kann auch im
Anwendungsbereich des § 11 Abs 1 SGB II nach Sinn und Zweck der Norm eine von einem Dritten lediglich
vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung nicht als Einkommen qualifiziert werden. Nur der "wertmäßige
Zuwachs" stellt Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II dar; als Einkommen sind nur solche Einnahmen in Geld oder
Geldeswert anzusehen, die eine Veränderung des Vermögensstandes dessen bewirken, der solche Einkünfte hat.
Dieser Zuwachs muss dem Hilfebedürftigen zur endgültigen Verwendung verbleiben, denn nur dann lässt er seine
Hilfebedürftigkeit dauerhaft entfallen. Ein Darlehen, das an den Darlehensgeber zurückzuzahlen ist, stellt damit als nur
vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung kein Einkommen dar, auch wenn es als "bereites Mittel" zunächst zur
Deckung des Lebensunterhalts verwandt werden könnte (ebenso Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, §
11 RdNr 29; Söhngen in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 11 RdNr 42; Armborst, info also 2007, 227; Berlit, NZS 2009,
537, 542; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand Mai 2010, § 11 RdNr 42d und 206; anders Adolph in
Linhart/Adolph, SGB II, SGB XII und Asylbewerberleistungsgesetz, Stand Februar 2010, § 11 SGB II RdNr 8; LSG
Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 14.7.2008 - L 13 AS 97/08 ER, FEVS 60, 87; 10.12.2009 - L 13 AS 366/09 B
ER, juris RdNr 22). Ob für die darlehensweise Gewährung staatlicher Leistungen zur Existenzsicherung (zB - sog
Meister-BAföG nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz) anderes gilt, braucht vorliegend nicht entschieden
zu werden.
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b) Soweit das BVerwG hinsichtlich der Anrechenbarkeit von Darlehensmitteln im Anwendungsbereich des
Bundessozialhilfegesetzes danach differenziert hat, ob der Dritte vorläufig - anstelle des Sozialhilfeträgers und unter
Vorbehalt des Erstattungsverlangens - nur deshalb einspringt, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen
oder Hilfe abgelehnt hat (vgl BVerwGE 26, 217, 219; 90, 154, 156; 94, 127, 135; 96, 152; in diesem Sinne für das
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 82 RdNr 27), ist die
Grundlage dieser Rechtsprechung entfallen. Die zugrunde liegende Annahme, ein Anspruch auf Sozialhilfe komme nur
bei tatsächlich (fort-)bestehendem Bedarf nach Antragstellung in Betracht, lässt sich auf das SGB II nicht übertragen.
Ein solches normatives Strukturprinzip ("keine Leistungen für die Vergangenheit"; Bedarfsdeckungsgrundsatz) kennt
das SGB II - wie das SGB XII - nicht (vgl für das SGB XII BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 15 RdNr 19). Auf eine
"faktische" Bedarfsdeckung, die Hilfebedürftigkeit entfallen lässt, kommt es nicht an; entscheidend ist allein, ob im
Bedarfszeitraum Einkommen in bedarfsdeckender Höhe tatsächlich und zur endgültigen Verwendung zur Verfügung
steht (so bereits Urteil des Senats vom 18.2.2010 - B 14 AS 32/08 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, juris
RdNr 19). Aus diesem Grund ist bei der Qualifizierung einer Darlehenszahlung als Einkommen nicht danach zu
unterscheiden, ob es sich um eine "Nothilfeleistung" des Dritten handelt.
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c) Eine Differenzierung danach, ob die durch den Darlehensvertrag vereinbarte Verpflichtung zur vollständigen
Rückerstattung in denjenigen Bewilligungsabschnitt fällt, in dem die Darlehenssumme dem Hilfebedürftigen
zugeflossen ist (so SG Reutlingen Urteil vom 24.4.2007, info also 2007, 227 = ZFSH/SGB 2007, 672; Hohm/Klaus in
GK-SGB II, Stand Oktober 2008, § 11 SGB II RdNr 89 ff), scheidet entgegen der Auffassung der Beklagten ebenfalls
aus. Weil Hilfebedürftigkeit als Leistungsvoraussetzung über den Bewilligungszeitraum hinaus und unabhängig von
einer (erneuten) Antragstellung vorliegen kann, ist der Bewilligungsabschnitt als solcher weder geeigneter
"Verteilzeitraum" für einmalige Einnahmen (dazu BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, jeweils RdNr 30), noch
kommt es für die Prüfung von Hilfebedürftigkeit darauf an, ob diese bis zum Ende des bei Antragstellung in Blick
genommenen Bewilligungsabschnitts oder darüber hinaus fortbesteht. Die von der Beklagten angestrebte
Differenzierung mag aus Sicht des Trägers der Grundsicherung die Prüfung einer ernstlichen
Rückzahlungsvereinbarung als Voraussetzung für die Qualifizierung eines Zuflusses als Darlehen vereinfachen, lässt
sich aus der Systematik des SGB II heraus aber nicht begründen.
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d) Stellt eine darlehensweise gewährte Zahlung schon kein Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II dar, ist schließlich
eine zwischen dem Hilfebedürftigen und dem Dritten getroffene Zweckbestimmung (vgl § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB
II) unerheblich (in diesem Sinne differenzierend Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 11 RdNr 24 und RdNr 68; LSG
Berlin-Brandenburg 1.7.2009 - L 32 AS 316/09, juris RdNr 19).
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e) Entscheidend für die Abgrenzung ist damit allein, ob ein Darlehensvertrag entsprechend § 488 Bürgerliches
Gesetzbuch (BGB) zivilrechtlich wirksam abgeschlossen worden ist. Die Aufklärung der Umstände und ihre
abschließende Würdigung obliegen dabei dem Tatsachengericht. Soweit die Beklagte im Revisionsverfahren vorträgt,
dass eine wirksam vereinbarte Rückzahlungsverpflichtung zwischen der Klägerin und ihrem Onkel als Hauptpflicht
des Darlehensnehmers aus einem Darlehensvertrag nicht nachvollziehbar sei, hat sie die entgegenstehenden
Feststellungen des LSG nicht mit einer zulässigen Verfahrensrüge angegriffen.
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Um der Gefahr eines Missbrauchs von Steuermitteln entgegenzuwirken, ist es allerdings geboten, an den Nachweis
des Abschlusses und der Ernstlichkeit eines Darlehensvertrages unter Verwandten strenge Anforderungen zu stellen.
Dies setzt voraus, dass sich die Darlehensgewährung auch anhand der tatsächlichen Durchführung klar und eindeutig
von einer verschleierten Schenkung oder einer verdeckten, auch freiwilligen Unterhaltsgewährung abgrenzen lässt.
Weil und soweit der für den Hilfebedürftigen günstige Umstand, dass ein nachgewiesener Zufluss gleichwohl als
Einkommen nicht zu berücksichtigen ist, seine Sphäre betrifft, obliegen ihm bei der Aufklärung der erforderlichen
Tatsachen Mitwirkungspflichten; die Nichterweislichkeit der Tatsachen geht zu seinen Lasten. Bei der
vorzunehmenden Prüfung, ob überhaupt ein wirksamer Darlehensvertrag geschlossen worden ist, können einzelne
Kriterien des sog Fremdvergleichs (vgl dazu im Einzelnen nur BFHE 165, 53) herangezogen und bei der
abschließenden, umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalles mit eingestellt werden (vgl
schon BSGE 96, 238 = SozR 4-4220 § 6 Nr 4 für eine behauptete Abtretung und BSG Urteil vom 24.5.2006 - B 11a
AL 49/05 R für eine verdeckte Treuhandabrede). Dies scheidet bei der Beurteilung von Hilfebedürftigkeit nach §§ 9, 11
SGB II - anders als bei der Prüfung berücksichtigungsfähiger Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs 1 SGB II aus
Mietverhältnissen unter Verwandten (dazu BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 15 RdNr 27 und Urteil des Senats vom 7.5.2009
- B 14 AS 31/07 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, juris RdNr 20) - nicht schon aufgrund struktureller
Unterschiede zum Steuerrecht aus, denn auch im Steuerrecht geht es bei der Beurteilung von Darlehensverträgen
unter Familienangehörigen im Kern um die Abgrenzung zu Schenkung bzw verdeckter Unterhaltsgewährung.
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Die Wahrung von im Geschäftsverkehr üblichen Modalitäten (wie der Vereinbarung der in § 488 Abs 1 BGB genannten
weiteren Vertragspflichten) kann damit als ein Indiz dafür gewertet werden, dass ein Darlehensvertrag tatsächlich
geschlossen worden ist. Demgegenüber spricht es etwa gegen die Glaubhaftigkeit einer solchen Behauptung, wenn
der Inhalt der Abrede (insbesondere die Darlehenshöhe sowie die Rückzahlungsmodalitäten) und der Zeitpunkt des
Vertragsschlusses nicht substanziiert dargelegt werden oder ein plausibler Grund für den Abschluss des
Darlehensvertrages nicht genannt werden kann. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist aber nicht erforderlich,
dass sowohl die Gestaltung (zB Schriftform, Zinsabrede oder Gestellung von Sicherheiten) als auch die Durchführung
des Vereinbarten in jedem Punkte dem zwischen Fremden - insbesondere mit einem Kreditinstitut - Üblichen zu
entsprechen hat. Ein solches gesondertes, neben die zivilrechtlichen Anforderungen tretendes Erfordernis (als weitere
Tatbestandsvoraussetzung) ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus oder in Verbindung mit allgemeinen
Grundsätzen. Vielmehr würden die mit dem strengen Fremdvergleich verbundenen Beschränkungen für die
Vertragsgestaltung bei Darlehensgewährung, der im Übrigen auch in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur
auf bestimmte Fallgruppen angewendet wird, weder den tatsächlichen Verhältnissen noch der grundsätzlich gebotenen
Respektierung familiärer Vertrauensbeziehungen gerecht (vgl auch BVerwGE 132, 10 RdNr 26 zur Wertbestimmung
von Vermögen nach § 28 Abs 1 und 3 Bundesausbildungsförderungsgesetz).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.