Urteil des BSG vom 05.05.2010

BSG: arbeitslosigkeit, wörtliche auslegung, leistungsbezug, link, arbeitsmarkt, unmittelbarkeit, zuschuss, beendigung, leistungsanspruch, ausnahme

Bundessozialgericht
Urteil vom 05.05.2010
Sozialgericht Mannheim S 7 AL 80/07
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 8 AL 589/08
Bundessozialgericht B 11 AL 11/09 R
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. November 2008
aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht
zurückverwiesen.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf einen Gründungszuschuss zur Aufnahme einer
selbständigen Tätigkeit ab 12.10.2006.
2
Der 1964 geborene Kläger war seit 1983 als Dachdecker versicherungspflichtig beschäftigt. Nach betriebsbedingter
Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zum 30.9.2006 meldete er sich am 27.6.2006 bei der Agentur für Arbeit
persönlich arbeitsuchend. Dabei teilte er mit, dass er sich mit einem Kollegen schnellstmöglich selbständig machen
wolle. Am 28.9.2006 meldete sich der Kläger sodann mit Wirkung für den 1.10.2006 arbeitslos und beantragte für
diesen Tag Arbeitslosengeld (Alg) sowie für die Zeit ab 2.10.2006 einen Gründungszuschuss. In der Folgezeit legte
der Kläger einen Lebenslauf sowie einen Businessplan nebst Rentabilitätsvorschau vom 2.10.2006, eine positive
Stellungnahme seines Steuerberaters zur Tragfähigkeit der Existenzgründung vom 9.10.2006 und eine Gewerbe-
Ummeldung zum 12.10.2006 vor. Weil sich der Beginn der selbständigen Tätigkeit nach seinen Angaben auf den
12.10.2006 verschoben hatte, stellte der Kläger am 14.11.2006 einen Kurzantrag auf Weiterzahlung von Alg ab
2.10.2006.
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Während die Beklagte dem Kläger für den 1.10.2006 Alg bewilligte (Bescheid vom 10.10.2006), lehnte sie die
Gewährung von Alg ab 2.10.2006 mangels Verfügbarkeit ab (Bescheid vom 15.11.2006).
4
Den Antrag auf einen Gründungszuschuss lehnte die Beklagte ebenfalls ab, weil der Kläger bis zur Aufnahme der
Selbständigkeit keinen Anspruch auf Alg gehabt habe und deshalb die Anspruchsvoraussetzungen nicht gegeben
seien. Den Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, durch Behördengänge habe sich der geplante Beginn der
selbständigen Tätigkeit verschoben, wies die Beklagte zurück (Bescheid vom 27.11.2006, Widerspruchsbescheid
vom 11.12.2006).
5
Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 28.11.2007; Urteil des Landessozialgerichts
(LSG) vom 28.11.2008).
6
Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf
einen Gründungszuschuss, weil er nicht bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf das hier als
Entgeltersatzleistung allein in Betracht kommende Alg bei Arbeitslosigkeit gehabt habe. Nach § 57 Abs 2 Satz 1 Nr 1
Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der seit 1.8.2006 geltenden Fassung müsse ein Entgeltersatzanspruch
unmittelbar vor der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit bestehen, wofür das sog Stammrecht genüge, während ein
konkreter Auszahlungsanspruch nicht erforderlich sei. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen
Entgeltersatzanspruch und Existenzgründung - wie nach der früheren Rechtslage - reiche nach dem eindeutigen
Gesetzeswortlaut jedoch nicht mehr aus. Da der Kläger nach seinen Angaben die selbständige Tätigkeit erst am
12.10.2006 aufgenommen habe, komme unabhängig von den Gründen der Verzögerung ein Anspruch auf einen
Gründungszuschuss nur in Betracht, falls am 11.10.2006 ein Anspruch auf Alg bestanden hätte. Das sei aber nicht
der Fall, weil der Kläger ab 2.10.2006 den Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht mehr zur Verfügung
gestanden und sich bis zum 11.10.2006 auch nicht erneut persönlich arbeitslos gemeldet habe. Durch den Bescheid
vom 15.11.2006 sei der Antrag auf Alg ab 2.10.2006 zudem bestandskräftig abgelehnt worden. An der fehlenden
Verfügbarkeit und dem Beginn der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit lasse sich auch durch einen
sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nichts ändern. Unabhängig davon fehle es schon an einem Beratungsfehler.
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Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Nach Sinn und Zweck des §
57 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB III reiche ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Bezug einer
Entgeltersatzleistung und der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit aus. Nur diese Auslegung, der weder der Wortlaut
der Vorschrift noch die Gesetzesmotive entgegenstünden, werde dem Ziel der Förderung und der Realität gerecht,
weil es sich bei einer Existenzgründung mit den notwendigen Vorbereitungshandlungen um einen komplexen
Sachverhalt handele. Einen nahtlosen Übergang von der Arbeitslosigkeit in die Selbständigkeit zu verlangen,
entspreche nicht den praktischen Erfordernissen einer Existenzgründung.
8
Der Kläger beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts vom 28.11.2008 und des Sozialgerichts vom 28.11.2007
sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.12.2006
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 12.10.2006 einen Gründungszuschuss zu gewähren.
9
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
10
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
II
11
Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
12
Ob der Kläger einen Anspruch auf einen Gründungszuschuss hat, lässt sich nach den bisherigen Feststellungen des
LSG nicht abschließend beantworten (hierzu unter 2). Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Versagung
eines Gründungszuschusses aber jedenfalls nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Kläger für die Zeit vom 2. bis
11.10.2006 keinen Anspruch auf Zahlung von Alg hatte (hierzu unter 1).
13
1. Nach § 57 SGB III in der vom 1.8.2006 bis 31.12.2007 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der
Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer
selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur
sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen Gründungszuschuss (Abs 1). Der
Gründungszuschuss wird geleistet, wenn der Arbeitnehmer ua bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen
Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch hat (Abs 2 Satz 1 Nr 1 Buchst a) und bei Aufnahme der
selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Alg von mindestens 90 Tagen verfügt (Abs 2 Satz 1 Nr 2).
14
a) Bestehen muss zunächst ein "Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch". Zu diesen Leistungen
gehört nach § 116 SGB III (in der seit dem 1.4.2006 geltenden Fassung des Gesetzes vom 24.4.2006, BGBl I 926)
neben anderen Leistungen (zB Insolvenzgeld) das vom Kläger vor der Existenzgründung bezogene Alg bei
Arbeitslosigkeit. Der Begriff "Anspruch" kann bei dieser zuletzt genannten Leistung unterschiedliche Bedeutungen
haben und sowohl den Gesamtanspruch aus einer bestimmten Anwartschaft (sog Stammrecht) als auch die daraus
resultierenden Einzelansprüche auf Zahlung von Leistungen umfassen (vgl Spellbrink in Eicher/Schlegel, SGB III, §
118 RdNr 23 ff, Stand September 2005).
15
Nach § 118 Abs 1 SGB III (in der seit 1.1.2005 geltenden Fassung des Dritten Gesetzes für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2848) haben Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit
Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt
haben. Der Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit entsteht dem Grunde nach als Stammrecht im Sinne eines zu einem
subjektiven Recht des Arbeitslosen verfestigten Besitzstandes regelmäßig mit dem Vorliegen der drei in § 118 Abs 1
SGB III genannten Voraussetzungen (vgl § 40 Sozialgesetzbuch Erstes Buch; Valgolio in Spellbrink/Eicher, Kasseler
Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 10 RdNr 1). Der aus dem Stammrecht zu realisierende
Einzelanspruch auf Zahlung von Alg ist hingegen durch Leistungsantrag (vgl § 323 Abs 1 SGB III in der seit 1.1.2005
geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I
2954) geltend zu machen und davon abhängig, dass für die konkret beanspruchte Zeit die materiellen
Voraussetzungen des § 118 Abs 1 SGB III erfüllt sind.
16
Für den Alg-Anspruch als Anspruch auf Entgeltersatzleistung iS des § 57 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Buchst a SGB III ist
davon auszugehen, dass mit "Anspruch" nicht lediglich ein nach § 118 Abs 1 SGB III entstandenes und
fortbestehendes Stammrecht gemeint ist (so wohl Stark in NK-SGB III, 3. Aufl, § 57 RdNr 36 ff; vgl auch Link in
Eicher/Schlegel, SGB III, § 57 RdNr 54, 56, Stand März 2010). Der erkennende Senat hat bereits zum
Überbrückungsgeld nach Maßgabe des § 55a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) darauf hingewiesen, dass allein das
Bestehen des Stammrechts auf Alg zur Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen dieser dem Gründungszuschuss
vorausgehenden Förderleistung (hierzu unter b) nicht als ausreichend erachtet werden kann (vgl BSG SozR 3-4100 §
55a Nr 4 S 24). Hieran ist für die neue Leistung des Gründungszuschusses festzuhalten, auch wenn es entgegen der
früheren Regelung zum Überbrückungsgeld nicht mehr, auch nicht wahlweise (wie noch in § 57 Abs 2 Nr 1 Buchst a
SGB III idF des Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 10.12.2001, BGBl I 3443) auf den
Leistungsbezug ankommt (vgl Stark in NK-SGB III, 3. Aufl 2008, § 57 RdNr 36). Abgesehen davon, dass die
besondere vierjährige Erlöschensfrist des § 147 Abs 2 SGB III für das Stammrecht auf Alg zu einer unterschiedlichen
Behandlung der sonstigen Entgeltersatzleistungsberechtigten beim Zugang zum Gründungszuschuss führen würde,
hat diese Leistung den Zweck, den Lebensunterhalt zu sichern und insoweit das infolge der Existenzgründung
wegfallende Alg zu kompensieren (vgl BT-Drucks 16/1696 S 30, zu § 57 Abs 1). Ein "Anspruch" auf Alg iS des § 57
Abs 2 Satz 1 Nr 1 Buchst a SGB III in der hier anzuwendenden Fassung liegt also vor, wenn die materiellen
Voraussetzungen eines konkreten Zahlungsanspruchs auf die jeweilige Entgeltersatzleistung gegeben sind (Link in
Eicher/Schlegel, SGB III, § 57 RdNr 56, Stand März 2010).
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Von den materiellen Voraussetzungen ist nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) für das zum
1.10.2006 bewilligte Alg auszugehen. Das ist schon wegen des für beide Beteiligte bindend gewordenen
Bewilligungsbescheids vom 10.10.2006 anzunehmen, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beklagte
diese Entscheidung später revidiert hat (vgl BSGE 61, 286 = SozR 4100 § 134 Nr 31). Zweifeln daran, ob die
Bewilligung rechtmäßig war oder ob der Kläger am 1.10.2006 das für die Arbeitslosigkeit im Sinne des
Leistungsrechts ua erforderliche Merkmal der Verfügbarkeit nicht erfüllte, weil er nach seiner damaligen Planung
bereits am folgenden Tag eine selbständige Tätigkeit aufnehmen wollte, muss daher an dieser Stelle nicht
nachgegangen werden (vgl BSG aaO).
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b) Die des Weiteren in § 57 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Buchst a SGB III normierte Voraussetzung eines Anspruchs auf
Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III "bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit" scheitert entgegen der
Annahme der Beklagten nicht daran, dass der Kläger lediglich für den 1.10.2006, nicht aber für die anschließende Zeit
vom 2.10. bis 11.10.2006 einen konkreten Zahlungsanspruch auf Alg hatte. Selbst wenn sich die Aufnahme der
Tätigkeit (hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 5.5.2010 - B 11 AL 28/09 R, zur Veröffentlichung vorgesehen)
des Klägers als selbständiger Baudienstleister damit vom 2.10. auf den 12.10.2006 verschoben haben sollte, stand
die Existenzgründung in dem erforderlichen zeitlichen Zusammenhang zum Alg-Anspruch. Denn die gesetzliche
Regelung verlangt keine Nahtlosigkeit zwischen Existenzgründung und vorausgehendem Alg-Anspruch, sondern
lediglich einen engen zeitlichen Zusammenhang. Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck unter Berücksichtigung der
Rechtsentwicklung der Förderleistung, welche das bis zum 31.7.2006 geregelte Überbrückungsgeld und den zum
1.1.2003 vorübergehend eingeführten Existenzgründungszuschuss (sog Ich-AG, hierzu näher BSGE 101, 224 = SozR
4-4300 § 421l Nr 2) zum 1.8.2006 abgelöst hat.
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aa) Bis zum 31.7.2006 bestimmte § 57 Abs 2 Nr 1 Buchst a SGB III, dass Überbrückungsgeld geleistet wird, wenn
der Arbeitnehmer ua in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit
Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch bezogen hat oder einen Anspruch darauf hätte. Eine ähnliche Regelung
enthielt für den Existenzgründungszuschuss § 421l SGB III, der vom 1.7.2006 an allerdings nur noch auf Altfälle
anwendbar war (§ 421l Abs 5 SGB III idF des Fünften Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch
und anderer Gesetze vom 22.12.2005, BGBl I 3676). Nach § 421l Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB III wird dieser Zuschuss
geleistet, wenn der Existenzgründer ua in einem engen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit
Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III bezogen hat.
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Der Übergang von der Formulierung "in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme" zu der Wendung "bis zur
Aufnahme" wird in der Literatur allerdings überwiegend so verstanden, dass die seit 1.8.2006 geltende Rechtslage
jede zeitliche Lücke zwischen dem Bestehen eines Anspruchs auf Entgeltersatzleistungen und der Aufnahme der
selbständigen Tätigkeit ausschließt (Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, Stand Dezember 2009, § 57 RdNr 14;
Stratmann in Niesel, SGB III, 4. Aufl, § 57 RdNr 5; Link in Eicher/Schlegel, SGB III, § 57 RdNr 54, Stand März 2010;
Winkler in Gagel, SGB III, § 57 RdNr 15, Stand Dezember 2006; wohl ebenfalls für Nahtlosigkeit Götze in GK-SGB III,
§ 57 RdNr 38, Stand Dezember 2006). Ausgehend von der primär arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung der Förderung
von Existenzgründungen aus Arbeitslosigkeit (BT-Drucks 16/1696 S 30, zu § 57 Abs 1) gebietet der Wortlaut im
historischen Gesamtzusammenhang der Regelung indessen keine Auslegung des § 57 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Buchst a
SGB III dahingehend, dass ein Gründungszuschuss nur zu gewähren ist, falls der Existenzgründer bis zum letzten
Tag vor der Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit einen Leistungsanspruch auf Zahlung von Alg hatte (vgl Voelzke
in Küttner, Personalbuch 2009, Gründungszuschuss (210) RdNr 17).
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bb) Die vom Gesetzgeber bei der Einführung des Gründungszuschusses gewählte Formulierung ist nicht neu. Denn
bis zum 31.12.1997 bestimmte schon § 55a Abs 1 Satz 1 AFG, dass Arbeitslosen bei Aufnahme einer selbständigen
Tätigkeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 18 Stunden Überbrückungsgeld gewährt werden kann,
wenn der Arbeitslose ua "bis zur Aufnahme" dieser Tätigkeit mindestens vier Wochen Alg oder Alhi bezogen hat. Bei
der Einführung des SGB III wurde diese Regelung ohne wesentliche Änderung übernommen, denn nach § 57 Abs 2 Nr
1 Buchst a SGB III in der ab 1.1.1998 geltenden Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) vom
24.3.1997 (BGBl I 544) konnte Überbrückungsgeld geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer ua "bis zur Aufnahme"
der selbständigen Tätigkeit mindestens vier Wochen Alg, Alhi oder Kurzarbeitergeld in einer betriebsorganisatorisch
eigenständigen Einheit bezogen hat.
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Nach der Rechtsprechung des Senats zu § 55a AFG (BSG SozR 3-4100 § 55a Nr 2 und 4) war aus der Formulierung
"bis zur Aufnahme" entgegen dem Standpunkt der damaligen Bundesanstalt für Arbeit bereits im Geltungsbereich des
AFG nicht ohne Ausnahme zu schließen, dass sich der Übergang vom Leistungsbezug zur Aufnahme der
selbständigen Tätigkeit nahtlos vollziehen muss. Eine enge wörtliche Auslegung hat der Senat abgelehnt, weil sie
unter Umständen Ergebnisse zur Folge gehabt hätte, die nicht dem Gesetzeszweck entsprechen, durch die Förderung
der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Fortdauer von Arbeitslosigkeit zu verhüten und im Interesse der
Versichertengemeinschaft künftige Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Kurzfristige Unterbrechungen
des Leistungsbezugs unmittelbar vor der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit wurden daher jedenfalls unter der
Voraussetzung als unschädlich angesehen, dass aus dem erhalten gebliebenen Stammrecht in der Zukunft noch
weiterhin Leistungsansprüche realisiert werden könnten, falls die Förderung der Aufnahme einer selbständigen
Tätigkeit nicht stattfände (BSG SozR 3-4100 § 55a Nr 2 S 12). Einen noch ausreichenden zeitlichen Zusammenhang
zwischen dem Leistungsbezug und der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit hat der Senat bejaht, wenn die
Unterbrechung des Leistungsbezugs die Dauer einer Sperrzeit wegen Ablehnung eines Arbeitsangebots nicht
überstieg (BSG SozR 3-4100 § 55a Nr 4).
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Hieran anschließend wurden durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und
anderer Gesetze (2. SGB III-ÄndG) vom 21.7.1999 (BGBl I 1648) in § 57 Abs 2 Nr 1 SGB III mit Wirkung ab 1.8.1999
die Worte "bis zur Aufnahme" durch die Umschreibung "in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme"
ersetzt, was bis zum 31.7.2006 beibehalten wurde. Der Gesetzgeber des 2. SGB III-ÄndG verstand diese Änderung
des Normtextes nicht als Ausdruck einer sachlichen Neuregelung, sondern nur als "Klarstellung", dass (ua) zwischen
dem vorherigen Leistungsbezug und der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit "ein Übergangszeitraum (etwa ein
Monat)" liegen dürfe. Zur Begründung dafür hieß es, eine als absolut verstandene Unmittelbarkeit des Übergangs
werde den praktischen Erfordernissen bei der Existenzgründung, die keinen punktuellen Vorgang darstelle, nicht
gerecht (BT-Drucks 14/873 S 12; vgl aber weitergehend BT-Drucks 15/1515 S 78 zur Unmittelbarkeit iS eines
Zeitraums von nicht mehr als einem Monat etwa bei § 28a SGB III; auch BSG SozR 4-4300 § 26 Nr 4 zu § 26 Abs 1
Nr 2 Buchst b SGB III aF). Eine vergleichbare Regelung wurde deshalb auch in die neuartige Leistung des
Existenzgründungszuschusses nach § 421l Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB III übernommen, die durch das Zweite Gesetz für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I 4621) vorübergehend (vgl § 421l Abs 5 SGB III)
zum 1.1.2003 eingeführt wurde. Auch dieser Zuschuss wird bereits geleistet, wenn der Existenzgründer ua "in einem
engen zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme" der selbständigen Tätigkeit Entgeltersatzleistungen nach dem
SGB III bezogen hat. Eines unmittelbar vorausgehenden Bezugs von Entgeltersatzleistungen bedarf es
demgegenüber hier ebenfalls nicht, weil ausweislich der Gesetzesbegründung kurze Phasen der Vorbereitung auf die
Selbständigkeit, zB eine Teilnahme an Existenzgründerseminaren, für einen erfolgreichen Übergang sinnvoll sein
können (BT-Drucks 15/26 S 22 f). Trotz der partiell abweichenden Formulierung gilt dies in gleicher Weise für den
Gründungszuschuss. Denn es handelt es sich um eine aus Elementen des Überbrückungsgeldes und des
Eingliederungszuschusses zusammengefügte Leistung, welche inhaltlich an § 57 SGB III und § 421l SGB III in der
zum Zeitpunkt ihrer Normierung maßgeblichen Fassung anknüpft (vgl auch Roos, NJW 2009, 8, 9). Dementsprechend
weisen die Materialien ausdrücklich darauf hin, dass ua mit § 57 Abs 2 Nr 1 SGB III "notwendige und bewährte
Voraussetzungen der bisherigen Regelungen übernommen" werden (BT-Drucks 16/1696 S 31, zu § 57 Abs 2).
24
cc) Die zum "engen zeitlichen Zusammenhang" beim Überbrückungsgeld ergangene Entscheidung des 11a. Senats
vom 21.3.2007 - B 11a AL 11/06 R (= SozR 4-4300 § 57 Nr 2) ist damit für den Gründungzuschuss insoweit von
Bedeutung, als der zeitliche Zusammenhang zwischen der Entgeltersatzleistung und der Aufnahme der selbständigen
Tätigkeit weiterhin unverändert zu bestimmen ist. Der 11a. Senat hat in der genannten Entscheidung zwar offen
gelassen, ob für den erforderlichen Zusammenhang ein fester zeitlicher Rahmen vorgegeben werden muss, jedoch
angenommen, dass die Wendung "in engem zeitlichen Zusammenhang" das Bestehen einer zeitlichen Lücke
zwischen Leistungsbezug und Aufnahme der selbständigen Tätigkeit sogar nahe legt und sich an dem in der
Gesetzesbegründung zum 2. SGB III-ÄndG angeführten Zeitraum von etwa einem Monat orientiert (BSG SozR 4-4300
§ 57 Nr 2 RdNr 11, 15). Dieser Zeitraum ist ausgehend von den für den erkennenden Senat bindenden (§ 163 SGG)
Feststellungen des LSG bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit am 12.10.2006 in jedem Fall gewahrt.
25
c) Da dem Kläger für den 1.10.2006 Alg mit einer Anspruchsdauer von 360 Tagen zuerkannt, aber antragsgemäß
lediglich für einen Tag Alg ausgezahlt worden ist, bestand zugleich ein "Restanspruch" mit einer Dauer von
mindestens 90 Tagen bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit am 12.10.2006 (§ 57 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB III),
welcher sich ggf um die Anzahl von Tagen mit Anspruch auf Gründungszuschuss mindert (vgl § 128 Abs 1 Nr 9 SGB
III idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, aaO). Auf die Übergangsvorschrift
zu der genannten Voraussetzung eines Restanspruchs von mindestens 90 Tagen (§ 434o SGB III) kommt es nach
den Umständen des Falles somit nicht an.
26
2. Unabhängig davon lässt sich aber derzeit noch nicht abschließend beurteilen, ob dem Kläger der geltend gemachte
Anspruch auf den Gründungszuschuss zusteht. Denn das LSG hat - von seinem Standpunkt konsequent - noch keine
Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger durch die Aufnahme einer selbständigen und hauptberuflichen Tätigkeit
seine Arbeitslosigkeit beendet hat (§ 57 Abs 1 SGB III). Dabei wird - ausgehend vom aufgezeigten Sinn und Zweck
des Förderinstruments (hierzu unter 1) - zu beachten sein, dass für das Merkmal der Beendigung von
"Arbeitslosigkeit" iS des § 57 Abs 1 SGB III grundsätzlich Beschäftigungslosigkeit beendet worden sein muss (vgl
Link in Eicher/Schlegel, SGB III, § 57 RdNr 49, Stand März 2007; weitergehend Voelzke in Küttner, Personalbuch
2009, Gründungszuschuss (210) RdNr 15, und Stratmann in Niesel, SGB III, 4. Aufl, § 57 RdNr 7). Insbesondere fehlt
es bislang aber an ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen zur Tragfähigkeit (§ 57 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III)
sowie ferner dazu, ob und wann der Kläger seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen
Tätigkeit dargelegt hat (§ 57 Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB III). Im Gegensatz zur früheren Rechtslage statuiert das Gesetz
zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (aaO) dabei zum einen ein Nachweiserfordernis der
objektiven Tragfähigkeit und zum anderen eine Darlegungslast des Existenzgründers hinsichtlich seiner subjektiven
Eignung (vgl Link/Kranz, Der Gründungszuschuss für Existenzgründer, 2007, RdNr 106 ff, 111 ff).
27
3. Bei der erneuten Entscheidung wird das LSG auch darüber zu befinden haben, inwieweit außergerichtliche Kosten
des Revisionsverfahrens zu erstatten sind.