Urteil des BSG vom 27.01.2010

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BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 27.1.2010, B 12 R 7/09 R
Rentenversicherung - Krankengeldbezug in Höhe der Arbeitslosenhilfe -
Beitragsbemessung bei nach der Arbeitslosenhilfe zu bemessenden
Entgeltersatzleistungen ab 1.1.2000
Leitsätze
Für Empfänger von Arbeitslosenhilfe, denen bei Arbeitsunfähigkeit Krankengeld in Höhe des
Betrags der zuvor bezogenen Arbeitslosenhilfe zu zahlen war, bestimmte sich die Bemessung
der Beiträge zur Rentenversicherung auch ab dem 1.1.2000 weiterhin nach 80 vH des der
Leistung zugrunde liegenden Arbeitsentgelts.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Höhe der Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung
(GRV).
2 Die klagende Krankenkasse hatte für die bei ihr krankenversicherten Beigeladenen zu 1. und
2. für die Zeiträume 22.7. bis 14.10.2002 bzw 22.3. bis 13.6.2001 aufgrund des Bezuges von
Krankengeld (Krg) im Anschluss an den von Arbeitslosenhilfe (Alhi) Beiträge zur
Rentenversicherung an die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 3. entrichtet. Der
Beitragsberechnung hatte sie als beitragspflichtige Einnahmen jeweils den Betrag des Krg
zugrunde gelegt. Dieses war in Höhe der zuvor bezogenen Alhi gezahlt worden. Nach einer
Einzugsstellenprüfung forderte die Beklagte mit Bescheid vom 3.2.2004 von der Klägerin die
Zahlung weiterer Beiträge in Höhe von 794,81 Euro zur GRV an die Rechtsvorgängerin der
Beigeladenen zu 3. aufgrund des Krg-Bezugs der Beigeladenen zu 1. und 2. Die Forderung
stützte sie darauf, dass entgegen der Auffassung der Klägerin die Beiträge nicht entsprechend
§ 166 Abs 1 Nr 2a SGB VI aus der zuvor gezahlten Arbeitslosenhilfe sondern nach § 166 Abs
1 Nr 2 SGB VI aus 80 vH des der Krg-Zahlung zugrunde liegenden Arbeitsentgelts oder
Arbeitseinkommens zu berechnen seien.
3 Die Klägerin hat Klage erhoben. Mit Urteil vom 5.3.2009 hat das Sozialgericht (SG) die Klage
abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die angefochtenen
Bescheide seien nicht zu beanstanden. Die Beitragsbemessung dürfe aufgrund des
eindeutigen Wortlauts des § 166 Abs 1 SGB VI nicht in entsprechender Anwendung des § 166
Abs 1 Nr 2a SGB VI, sondern nur nach § 166 Abs 1 Nr 2 SGB VI vorgenommen werden. Die
Beklagte sei nach § 212 SGB VI und § 28p SGB IV berechtigt gewesen, die Forderung
zugunsten der Beigeladenen zu 3. geltend zu machen. Die Beitragsforderung sei auch in der
Höhe nicht zu beanstanden.
4 Die Klägerin hat mit Zustimmung der Beklagten die vom SG zugelassene Sprungrevision
eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 166 Abs 1 Nr 2a SGB VI. Aufgrund einer
gesetzlichen Neuregelung seien seit dem 1.1.2000 die Bemessungsgrundlagen für die
Berechnung der Beiträge zur GRV aus Alhi und anderen Lohnersatzleistungen
auseinandergefallen. Dadurch habe sich für die Zeit vom 1.1.2000 bis zum 31.12.2004
bezüglich der Beitragsbemessungsgrundlagen für im Anschluss an den Bezug von Alhi
geleistetes Krg eine dem gesetzgeberischen Konzept widersprechende Regelungslücke
ergeben. Diese sei in entsprechender Anwendung des § 166 Abs 1 Nr 2a SGB VI idF des
Haushaltssanierungsgesetzes (HSanG) vom 22.12.1999 (BGBl I 2534) durch eine
Beitragsbemessung auf Grundlage der tatsächlichen Höhe des im Anschluss an den Bezug
von Alhi gezahlten Krg zu beseitigen. Hierdurch werde der Grundsatz der Kontinuität von
Versicherungsverhältnissen gewahrt und ein Auseinanderfallen der erworbenen
Rentenanwartschaften von Arbeitslosen aufgrund des Bezugs von Alhi bzw von im Anschluss
hieran gezahltem Krg mit der möglichen Folge missbräuchlicher "Erkrankungen" verhindert.
Der wörtlichen Auslegung des § 166 Abs 1 SGB VI stehe auch eine Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur beitragsrechtlichen Behandlung einmalig gezahlten
Arbeitsentgelts entgegen.
5 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 5.3.2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom
3.2.2004 aufzuheben.
6 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7 Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Mit der Neufassung des § 166 Abs 1 Nr 2a
SGB VI zum 1.1.2000 sei keine Regelungslücke entstanden. Vielmehr habe der Gesetzgeber
bei der Regelung der Bemessungsgrundlagen für Bezieher von Alhi einerseits und Bezieher
von Krg andererseits bewusst an die unterschiedliche Leistungsträgerschaft und die damit
verbundene Finanzierung angeknüpft.
Entscheidungsgründe
8 Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Zutreffend hat das SG die gegen den Bescheid
der Beklagten vom 3.2.2004 gerichtete Klage abgewiesen. Die von der Beklagten erhobene
Beitragsforderung ist nicht zu beanstanden. Für Arbeitslose, denen bei Arbeitsunfähigkeit
Krg in Höhe des Betrags der zuvor bezogenen Alhi zu leisten war, bestimmte sich die
Bemessung der Beiträge zur GRV während des Krg-Bezugs auch nach dem 1.1.2000
(weiterhin) nach 80 vH des der Leistung zugrunde liegenden Arbeitsentgelts oder
Arbeitseinkommens.
9 1. Die Beklagte war nach §§ 212, 212a SGB VI für die Prüfung der Beitragszahlungen der
Klägerin für die nach § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI als sonstige Versicherte bei der
Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 3. gesetzlich rentenversicherten Beigeladenen zu
1. und 2. zuständig und iVm den für die Einzugsstellen geltenden Vorschriften befugt, die
festgestellte Beitragsdifferenz durch Verwaltungsakt gegenüber der Klägerin geltend zu
machen.
10 Die Bemessung der Beiträge zur GRV für Personen, die wie die Beigeladenen zu 1. und 2.
als Bezieher von Krg versicherungspflichtig sind, richtet sich für die streitgegenständlichen
Zeiträume nach § 166 Abs 1 Nr 2 SGB VI idF durch Art 4 Nr 20 des Gesetzes zur
Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.3.1999 (BGBl I 388) .
Danach galten als beitragspflichtige Einnahmen 80 vH des dem Krg zugrunde liegenden
Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens, wobei - hier nicht einschlägig - 80 vH des
beitragspflichtigen Arbeitsentgelts aus einem nicht geringfügigen Beschäftigungsverhältnis
abzuziehen waren. Die Beklagte hat in Anwendung dieser Vorschrift die Beiträge
rechnerisch richtig festgesetzt, was die Klägerin nicht anzweifelt. Entgegen der Ansicht der
Klägerin war § 166 Abs 1 Nr 2 SGB VI auch entsprechend seinem Wortlaut (hierzu unter a)
auf solche Bezieher von Krg anzuwenden, die zuvor Alhi erhalten hatten und während der
Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit Krg nach § 47b Abs 1 Satz 1 SGB V in der vom 1.1.1998 bis
zum 31.12.2004 unverändert geltenden Fassung durch Art 5 Nr 2 des Arbeitsförderungs-
Reformgesetzes vom 24.3.1997 (BGBl I 594) in Höhe des Betrags der Alhi bezogen haben.
Eine andere Auslegung des § 166 Abs 1 SGB VI im streitigen Zeitraum ist weder durch
einen ab dem 1.1.2000 - möglicherweise - veränderten Normzusammenhang (dazu unter b)
noch von Verfassungs wegen (dazu unter c) geboten.
11 a) Der Senat hat bereits für die im hier maßgeblichen Teil wortgleiche Regelung des § 345
Nr 5 Halbsatz 1 SGB III entschieden, dass Arbeitsentgelt iS dieser Vorschrift das der
Berechnung der zuvor bezogenen Entgeltersatzleistung - hier der Alhi - zugrunde liegende
Arbeitsentgelt ist. Als Arbeitsentgelt kann dagegen insoweit nicht der Zahlbetrag der Alhi
verstanden werden, der nach § 47b Abs 1 Satz 1 SGB V in der genannten Fassung für die
Bemessung des Krg maßgeblich ist (Urteil vom 21.1.2009, B 12 AL 2/07 R, SozR 4-4300 §
345 Nr 1 RdNr 12) . Gründe für eine abweichende Auslegung des Begriffs Arbeitsentgelt im
Rahmen des § 166 Abs 1 Nr 2 SGB VI sind von der Klägerin nicht benannt und auch nicht
erkennbar.
12 b) Soweit die Klägerin im vorliegenden Verfahren geltend macht, dass mit Rücksicht auf die
durch das HSanG (nur) für Bezieher von Alhi geänderte Beitragsbemessungsgrundlage in
der GRV und Sozialen Pflegeversicherung (SPV) eine vom Wortlaut des § 166 Abs 1 Nr 2
SGB VI abweichende Beitragsbemessung nach dem Zahlbetrag der vor dem Krg bezogenen
Alhi geboten sei, folgt der Senat dem nicht. Er hat dies zu § 345 Nr 5 Halbsatz 1 SGB III unter
ausführlicher Darlegung der Entwicklung der Beitragsbemessung bei Bezug von
Lohnersatzleistungen ebenfalls bereits entschieden (aaO, RdNr 13 ff) . Die vom Senat zu §
345 Nr 5 Halbsatz 1 SGB III für die Beitragsbemessung in der Arbeitslosenversicherung
(ArblV) als wesentlich angesehenen Argumente tragen ebenso im Rahmen der
Beitragsbemessung in der GRV nach § 166 Abs 1 SGB VI. Zwar weist die Klägerin
zutreffend darauf hin, dass aufgrund der Änderung des § 166 Abs 1 Nr 2a SGB VI durch das
HSanG die Bemessungsgrundlagen für die Berechnung der Beiträge zur GRV aus Alhi und
anderen Lohnersatzleistungen auseinandergefallen sind. Entgegen der Auffassung der
Klägerin hat sich hierdurch jedoch keine dem gesetzgeberischen Konzept widersprechende
Regelungslücke bezüglich der Beitragsbemessungsgrundlagen für im Anschluss an den
Bezug von Alhi geleistetes Krg ergeben, die in entsprechender Anwendung des § 166 Abs 1
Nr 2a SGB VI idF des HSanG durch Beitragsbemessung auf Grundlage der tatsächlichen
Höhe des im Anschluss an den Bezug von Alhi gezahlten Krg beseitigt werden müsste.
13 So hat der Senat in seinem Urteil vom 21.1.2009 (SozR 4-4300 § 345 Nr 1) dargelegt, dass
gerade das von der Klägerin bemängelte Auseinanderfallen der Bemessungsgrundlage für
Beiträge aufgrund des Bezugs von Alhi einerseits und aufgrund des Bezugs anderer
Lohnersatzleistungen andererseits dem gesetzgeberischen Konzept entspricht, das wegen
fiskalischer Erwägungen zugunsten des Bundeshaushalts bei der Regelung der
Beitragsbemessungsgrundlagen für die Bezieher von Alhi und die Bezieher von Krg bewusst
an die unterschiedliche Leistungsträgerschaft anknüpft (aaO, RdNr 19 ff; zur Ableitung aus
der diesbezüglichen Rechtssetzungsgeschichte aaO, RdNr 14 bis 17) . Dabei hat der
Gesetzgeber auch den von der Klägerin problematisierten Erwerb unterschiedlich hoher
Rentenanwartschaften aus Zeiten des Bezugs von Alhi und des Bezugs anderer
Entgeltersatzleistungen in Kauf genommen (vgl hierzu insbesondere BT-Drucks 14/1523 S
205) . Gerade wegen der Anknüpfung des Gesetzgebers an die unterschiedliche
Trägerschaft kann es auch nicht darauf ankommen, dass - so die Klägerin - das nach § 47b
Abs 1 SGB V in Höhe der zuvor bezogenen Alhi erbrachte Krg aus Sicht des
Leistungsempfängers als "nur unter anderer Trägerschaft" weitergezahlte einheitliche
Fürsorgeleistung erscheinen kann. Gegen die Annahme einer Planwidrigkeit spricht zudem,
dass trotz der mit der Revision selbst vorgetragenen frühzeitigen Initiativen der
Spitzenverbände der Krankenkassen für eine gesetzliche Korrektur im Sinne der Absenkung
der Beitragsbemessungsgrundlage auf den Betrag des zuvor bezogenen Alhi entsprechend
§ 166 Abs 1 Nr 2a SGB VI eine Rechtsänderung - etwa mit dem Einmalzahlungs-
Neuregelungsgesetz oder dem Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
- unterlassen worden ist.
14 Auch ein von der Revision behaupteter "Grundsatz der Kontinuität von
Versicherungsverhältnissen" steht der hier vorgenommenen Auslegung des § 166 Abs 1 Nr
2 SGB VI mit dem Ergebnis einer beitragsrechtlich unterschiedlichen Behandlung (nur) in
der Höhe identischer Entgeltersatzleistungen nicht entgegen. So ist schon nicht erkennbar,
auf welches Versicherungsverhältnis die Klägerin einen solchen Grundsatz anwenden will
und worin sie trotz des Wechsels von der Arbeitsfähigkeit in die Arbeitsunfähigkeit und des
damit verbundenen Wechsels der Entgeltersatzleistungen einen identischen
Lebenssachverhalt erblickt, der unterschiedliche Rechtsfolgen bei der Beitragsbemessung
ausschließen soll.
15 c) Das so gefundene Ergebnis ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Gegenüber der
für die Beitragsbemessung vorgenommenen Anknüpfung des Gesetzgebers an die
Trägerschaft einer Entgeltersatzleistung kann sich die Klägerin als öffentlich-rechtliche
Körperschaft nur auf das allgemeine Willkürverbot, das aus dem Rechtsstaatsprinzip ebenso
wie aus Art 3 Abs 1 GG abzuleiten ist, berufen. Es ist indes nicht willkürlich, dass das Gesetz
die Bemessung der Beiträge zur GRV (wie auch zur Gesetzlichen Krankenversicherung,
SPV und ArblV; zu letzterer vgl Urteil vom 21.1.2009, B 12 AL 2/07 R, SozR 4-4300 § 345 Nr
1 RdNr 23) beim Bezug der vom Bund getragenen Alhi anders regelte, als die Bemessung
der zu Lasten der Klägerin gehenden Beiträge aus dem Krg. Denn dies diente dem Ziel, die
Beitragslast des Bundes zu reduzieren. Demgemäß braucht der Senat nicht zu entscheiden,
ob die in der Revision in Bezug genommenen Ausführungen des die Beitragslast von
Versicherten betreffenden Beschlusses des BVerfG vom 11.1.1995 (1 BvR 892/88, BVerfGE
92, 53, 63 f = SozR 3-2200 § 385 Nr 6) , wonach ein Versicherter durch die Berechnung der
laufenden Lohnersatzleistungen nicht bessergestellt werden dürfe, als er ohne den Eintritt
des Versicherungsfalls stünde, über die Berechnung von Lohnersatzleistungen hinaus auch
auf die Berechnung der von Sozialversicherungsträgern wie der Klägerin zu entrichtenden
Beiträge anzuwenden ist. Nicht zu entscheiden ist demgemäß auch, ob die aus der
beitragsrechtlichen Besserstellung von Arbeitsunfähigen, die im Anschluss an Alhi Krg
bezogen haben, gegenüber arbeitsfähigen Beziehern von Alhi in der GRV folgende
leistungsrechtliche Besserstellung einen rechtfertigenden Grund für die durch das HSanG
bewirkte unterschiedliche beitragsrechtliche Behandlung von Alhi einerseits und im
Anschluss hieran bezogenem Krg anderseits darstellen könnte.
16 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1
Verwaltungsgerichtsordnung.
17 3. Der Streitwert für das Revisionsverfahren war gemäß § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1
SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz unter
Berücksichtigung der von der Beklagen geforderten Beträge und Säumniszuschläge
festzusetzen.