Urteil des BSG vom 17.10.2012

BSG: innere medizin, genehmigung, berufliche tätigkeit, aufschiebende wirkung, versorgung, anstellung, gemeinschaftspraxis, rechtssicherheit, beendigung, rechtsschutz

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 17.10.2012, B 6 KA 40/11 R
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 1.
Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 6. bis 10.
Tatbestand
1 Die Klägerin wendet sich gegen die Sonderbedarfszulassung des Beigeladenen zu 1.
2 Die klagende Gemeinschaftspraxis (seit dem 1.1.2007: Berufsausübungsgemeinschaft)
bestand zum Zeitpunkt der Klageerhebung aus zwei Fachärzten für Innere Medizin mit
dem Schwerpunkt Nephrologie sowie einer praktischen Ärztin. Sie betreibt in S. ein
Dialysezentrum und eine Diabetologische Schwerpunktpraxis. Zum 1.6.2009 trat eine
weitere Vertragsärztin, Frau Dr. R., in die Berufsausübungsgemeinschaft ein.
3 Der Zulassungsausschuss erteilte mit Beschluss vom 28.8.2002 dem Beigeladenen zu 1.,
Facharzt für Innere Medizin, mit Wirkung zum 1.9.2002 eine Sonderbedarfszulassung zur
ausschließlichen Erbringung von Leistungen im Bereich Nephrologie in der
Gemeinschaftspraxis Dres. H. Den Beigeladenen zu 1. bis 3. wurde durch weiteren
Beschluss vom selben Tag die Genehmigung zur gemeinsamen Ausübung der
vertragsärztlichen Tätigkeit erteilt.
4 Gegen die Zulassung legte die Klägerin am 18.5.2006 Widerspruch ein. Es bestehe kein
nephrologischer Versorgungsbedarf, der nicht schon durch die bestehenden Zulassungen
gedeckt sei. Der beklagte Berufungsausschuss wies mit Beschluss vom 29.8.2006 den
Widerspruch der Klägerin zurück, weil er unzulässig sei. Ein Vertragsarzt könne nicht im
Wege einer Konkurrentenklage die Zulassung eines anderes Vertragsarztes anfechten.
5 Das dagegen angerufene SG hat auch die Klage als unzulässig angesehen (Urteil vom
18.4. 2007). Die Klägerin sei nicht berechtigt, gegen die erteilte Sonderbedarfszulassung
im Wege der Konkurrentenklage vorzugehen.
6 Während des Verfahrens wurde die mittlerweile aus den Beigeladenen zu 1. bis 4.
bestehende Berufsausübungsgemeinschaft aufgelöst. Sie gründeten zusammen mit Frau
Doc. G. das "Medizinische Versorgungszentrum J. Straße in S. GmbH", das mit Beschluss
vom 21.3.2007 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen wurde. Zum ärztlichen Leiter
wurde der Beigeladene zu 3. bestimmt. Die Beigeladenen zu 2. und 3. sowie Frau Doc. G.
verzichteten auf ihre Zulassung gemäß § 103 Abs 4a Satz 1 SGB V, um ab dem 1.4.2007
als Angestellte des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) tätig zu werden. Der
Zulassungsausschuss widerrief die den Beigeladenen zu 1. bis 4. erteilte Genehmigung
zur gemeinsamen Ausübung der vertragsärztlichen Praxis zum 31.3.2007. Mit Beschluss
vom selben Tage stellte der Zulassungsausschuss fest, dass die dem Beigeladenen zu 1.
erteilte Sonderbedarfszulassung zum 31.3.2007 ende. Dem MVZ wurde mit weiterem
Beschluss vom 21.3.2007 gemäß Nr 38b iVm Nr 24 Buchst e Bedarfsplanungs-Richtlinie
(BedarfsplRL) aF die Genehmigung erteilt, den Beigeladenen zu 1. ganztags als
angestellten Arzt zu beschäftigen. Die KÄV hatte zuvor mitgeteilt, dass sie bereit sei, die
bestehenden Versorgungsaufträge auf das MVZ zu übertragen.
7 Das LSG hat mit Urteil vom 1.10.2010 die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen.
Ihr Rechtsschutzbedürfnis sei entfallen, weil sie nach der Beendigung der Zulassung des
Beigeladenen zu 1. kein rechtlich schützenswertes Interesse zur Anfechtung des
Beschlusses vom 29.8.2006 mehr habe. Eine Aufhebung des Beschlusses über die
Sonderbedarfszulassung des Beigeladenen zu 1. würde nichts an der Rechtsstellung des
MVZ und der bei ihm beschäftigten angestellten Ärzte ändern. Es bedürfte daher in jedem
Fall einer Anfechtung der mit Beschluss vom 21.3.2007 erfolgten Zulassung des MVZ und
der damit verbundenen Anstellungsgenehmigung. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse
bestehe nicht, weil die Klägerin das von ihr verfolgte Klageziel auch dadurch verfolgen
könne, dass sie die dem MVZ erteilte Genehmigung und die Übertragung der
Versorgungsaufträge auf das MVZ mit Rechtsmitteln angreife.
8 Mit Beschluss vom 8.12.2010 stellte der Zulassungsausschuss im Hinblick auf das
Ausscheiden von Frau Dr. R. das Ende der Genehmigung der gemeinsamen Ausübung
der vertragsärztlichen Tätigkeit der klägerischen Berufsausübungsgemeinschaft zum
31.12.2010 und die Fortführung der vertragsärztlichen Tätigkeit der verbliebenen Ärzte in
Einzelpraxis fest. Die Widersprüche von Dr. D. und Frau S. gegen diese Entscheidung hat
der Berufungsausschuss mit Beschluss vom 22.3.2011 zurückgewiesen. Hiergegen ist
noch das Verfahren L 3 KA 1/12 beim LSG anhängig. Der Zulassungsausschuss hat mit
Wirkung vom 1.4.2011 eine Berufsausübungsgemeinschaft zwischen Dr. D. und Frau S.
genehmigt, die in der Folgezeit um weitere Ärzte erweitert wurde.
9 Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung
vorgetragen, die Umwandlung der Sonderbedarfszulassung des Beigeladenen zu 1. in
eine Genehmigung zur Anstellung bewirke eine gesetzliche Klageänderung iS von § 96
Abs 1 SGG. Die Regelungsgehalte der Sonderbedarfszulassung und der
Anstellungsgenehmigung seien inhaltlich weitgehend identisch. Materiell beträfen beide
Verwaltungsakte den Beigeladenen zu 1. Würde man hier keine Klageänderung
annehmen, wäre kein effektiver Rechtsschutz gewährleistet. In der Sache rügt die
Klägerin, der Berufungsausschuss habe sich zu Unrecht an die Zusicherung des
Versorgungsauftrags durch die Beigeladene zu 5. gebunden gefühlt. Er hätte selbst prüfen
müssen, ob ein Sonderbedarf vorliege. Ein solcher Bedarf habe tatsächlich nicht
bestanden. Entgegen der Auffassung des LSG habe sie ein
Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Zum einen bestehe Wiederholungsgefahr, zum
anderen werde sie einen Amtshaftungsanspruch geltend machen.
10 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 1.10.2010 und das Urteil des
Sozialgerichts für das Saarland vom 18.4.2007 sowie den Bescheid des Beklagten vom
29.8.2006 aufzuheben.
11 Der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1. bis 5. beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
12 Der Beklagte ist der Auffassung, er sei an den von der KÄV erteilten Versorgungsauftrag
gebunden. Dieser müsse im Wege der Konkurrentenklage in erster Linie angegriffen
werden.
13 Die Beigeladenen zu 1. bis 4. weisen darauf hin, dass das SG die Klage gegen die von
der KÄV dem MVZ für Dres. S. erteilten Versorgungsaufträge abgewiesen hat. Das
Berufungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen L 3 KA 8/11 geführt und ist noch nicht
abgeschlossen.
Entscheidungsgründe
14 Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Ihr steht zwar grundsätzlich die Berechtigung
zur (Dritt-)Anfechtung der Sonderbedarfszulassung an den Beigeladenen zu 1. zu. Der
Zulassungsbescheid ist jedoch von der Klägerin nicht fristgerecht angefochten worden.
15 1. Die Revision der Klägerin ist zulässig.
16 Ihre Beteiligtenfähigkeit iS des § 70 Nr 1 SGG ist nicht weggefallen. Dabei kann hier offen
bleiben, ob im Rahmen eines Konkurrentenstreitverfahrens eine aufgelöste
Gemeinschaftspraxis (seit dem Inkrafttreten des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes -
BGBl I 2006, 3439 - zum 1.1.2007: Berufsausübungsgemeinschaft) weiterhin Beteiligte
sein kann. Der Senat hat in der Vergangenheit für nachgehende Rechte und Pflichten
einer Gemeinschaftspraxis regelmäßig in Anwendung von § 730 Abs 2 Satz 1 BGB deren
Beteiligtenfähigkeit auch noch nach ihrer Auflösung angenommen (vgl BSG SozR 4-2500
§ 85 Nr 66 RdNr 13; BSGE 108, 35 = SozR 4-2500 § 115b Nr 3, RdNr 33; BSGE 98, 89 =
SozR 4-2500 § 85 Nr 31, RdNr 11). Allerdings betraf diese Rechtsprechung ausschließlich
Fälle, in denen Geldforderungen umstritten waren. Da ein Zulassungsverfahren und damit
auch ein Konkurrentenstreitverfahren stets zukunftsorientiert ist, mag eine Übertragung
dieser Rechtsprechung des Senats auf eine solche Konstellation zweifelhaft oder
jedenfalls besonders begründungsbedürftig sein. Hier hat die klägerische
Berufsausübungsgemeinschaft aber ununterbrochen fortbestanden, sodass ihre
Beteiligtenfähigkeit nicht in Frage steht.
17 Zwar hat der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 8.12.2010 die Genehmigung zur
gemeinsamen Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit "beendet", weil ein Mitglied die
zuvor von vier Personen betriebene Praxis verlassen hatte. Unabhängig von den
gesellschaftsrechtlichen Konsequenzen eines solchen Personenwechsels, enthält der
Beschluss des Zulassungsausschusses eine vertragsarztrechtliche Statusentscheidung.
Die Entscheidung über das Bestehen einer Berufsausübungsgemeinschaft betrifft den
Status, in dem die vertragsärztliche Tätigkeit im Rechtsverhältnis zu den Versicherten und
den vertragsarztrechtlichen Institutionen ausgeübt wird (vgl BSGE 110, 43 = SozR 4-2500
§ 103 Nr 9, RdNr 17; BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 26 für den
Ausnahmefall der sachlich-rechnerischen Richtigstellung im Rechtsverhältnis von KÄV
und Mitglied). Gegen diese Entscheidung haben aber Dr. D. und Frau S. Widerspruch
eingelegt, der gemäß § 96 Abs 4 Satz 2 SGB V und § 86a Abs 1 SGG aufschiebende
Wirkung hatte. Diese Widersprüche hat der Berufungsausschuss mit Beschluss vom
22.3.2011 zurückgewiesen, der noch gerichtlich angefochten ist. Bereits wegen der
aufschiebenden Wirkung der Rechtsmittel ist von einem Fortbestehen einer
Berufsausübungsgemeinschaft zwischen den verbliebenen Mitgliedern der Gemeinschaft
auszugehen.
18 Ungeachtet dessen ist auch noch vor dem Ablauf der Rechtsmittelfrist für diesen
Beschluss vom Zulassungsausschuss erneut eine Berufsausübungsgemeinschaft
zwischen Dr. D. und Frau S. genehmigt worden. Damit wurde zwar formal die zuvor
bestehende Berufsausübungsgemeinschaft nicht fortgeführt. Die neue
Berufsausübungsgemeinschaft bestand aber aus zwei der verbliebenen Mitglieder der
früheren Berufsausübungsgemeinschaft und übte fortlaufend ihre Tätigkeit in den
ursprünglichen Praxisräumen aus. Sie hat damit nahtlos die Tätigkeit der zuvor
bestehenden Gemeinschaftspraxis fortgesetzt. Ein Beteiligtenwechsel, der als
Klageänderung iS des § 99 Abs 1 SGG zu werten wäre, ist damit nicht eingetreten. Eine
derartige Konstellation, in der tatsächlich eine personelle Kontinuität gewährleistet ist,
steht vielmehr der Situation gleich, in der lediglich ein Mitgliederwechsel innerhalb der
bestehenden Berufsausübungsgemeinschaft stattfindet. Auch das Ausscheiden eines
Mitglieds aus einer mehr als zweigliedrigen Berufsausübungsgemeinschaft ändert nichts
an deren Fortbestand, sondern führt lediglich zur Anpassung des Rubrums (vgl BSG SozR
4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 17; vgl auch zum Fortbestand der GbR BGHZ 187, 344 RdNr 13;
BGH NJW 2011, 1449 RdNr 16 ff), wie sie hier auch schon vorgenommen worden ist. In
die Berufsausübungsgemeinschaft sind mittlerweile Prof. Dr. M. und Dr. G. eingetreten, die
hier in das Rubrum aufgenommen worden sind. Soweit das LSG mit dem Verhältnis der
personellen Besetzung zum Umfang des etwaigen Konkurrentenschutzes argumentiert,
betrifft dies nicht den Bestand einer Berufsausübungsgemeinschaft, sondern eine
materielle Frage des Drittschutzes.
19 2. Die Revision der Klägerin ist jedoch unbegründet. Zwar hat das LSG die Berufung zu
Unrecht als unzulässig verworfen. Entgegen der Auffassung des LSG lagen die
allgemeinen und besonderen Prozessvoraussetzungen der Berufung vor. Es fehlte
insbesondere nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Die Entscheidung des
Rechtsstreits durch Prozessurteil anstelle eines Sachurteils hindert den Senat aber nicht
an einer abschließenden Sachentscheidung (vgl BSGE 73, 195, 196 = SozR 3-4100 §
249e Nr 3 S 25).
20 a) Die Klägerin hat ihr Begehren im Wege einer Fortsetzungsfeststellungsklage verfolgen
können. Das Anfechtungsbegehren der Klägerin hat sich iS des § 131 Abs 1 Satz 3 SGG
erledigt durch den Beschluss des Zulassungsausschusses, mit dem die Beendigung der
von ihr angefochtenen Sonderbedarfszulassung zum 31.3.2007 festgestellt wurde.
21 aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beendigung der angefochtenen
Zulassung nicht zu einer Klageänderung kraft Gesetzes im Rahmen der Anfechtungsklage
nach § 96 Abs 1 SGG geführt. Die dem MVZ erteilte Genehmigung der Beschäftigung des
Beigeladenen zu 1. hat die Sonderbedarfszulassung nicht im Sinne dieser Vorschrift
ersetzt. Hierfür reicht der von der Klägerin dargelegte Sachzusammenhang nicht aus.
Erforderlich ist vielmehr, dass der Regelungsgegenstand des neuen Verwaltungsaktes mit
dem des früheren identisch ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 86 Nr 2 RdNr 10; Leitherer in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 96 RdNr 4a). Daran fehlt es hier.
Berechtigter und als solcher Adressat der Anstellungsgenehmigung nach § 95 Abs 2 Satz
7 SGB V ist das MVZ und nicht der Beigeladene zu 1. Während die
Sonderbedarfszulassung die eigenständige Teilnahme an der vertragsärztlichen
Versorgung ermöglicht, berechtigt die Anstellungsgenehmigung das MVZ, das als solches
über eine Zulassung verfügt, zur Anstellung eines Arztes in einem abhängigen
Beschäftigungsverhältnis. Zwar wird der Arzt, sofern er mindestens halbtags beschäftigt
wird, gemäß § 95 Abs 3 Satz 2 iVm § 77 Abs 3 Satz 2 SGB V Mitglied der KÄV und
unterliegt damit ihrer Disziplinargewalt. Das vermittelt indes keinen einer Zulassung
vollständig gleichstehenden Status innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung. Der
Status des angestellten Arztes im MVZ ist vielmehr stets abgeleitet von dem MVZ, bei dem
dieser Arzt angestellt ist. Die Umwandlung einer genehmigten Anstellung in eine
Zulassung ist dementsprechend nach § 95 Abs 2 Satz 8 iVm Abs 9b SGB V von einem
Antrag des MVZ abhängig. Auch der Umstand, dass die Anstellung des Beigeladenen zu
1. gemäß Nr 38b (seit dem 1.4.2007 § 40) BedarfsplRL zur Deckung eines Sonderbedarfs
erfolgte, führt nicht dazu, dass die Genehmigung der Anstellung iS des § 96 Abs 1 SGG an
die Stelle der Sonderbedarfszulassung des Beigeladenen zu 1. tritt. Der insofern
bestehende enge Sachzusammenhang begründet nicht die erforderliche Identität des
Streitgegenstandes. Der Rechtsschutz der Klägerin wird dadurch nicht verkürzt, weil sie
die Möglichkeit hat, die Genehmigung der Anstellung gesondert anzufechten.
22 bb) Die Klägerin ist aber nicht gehindert gewesen, von der ursprünglich erhobenen
Anfechtungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage überzugehen. Das LSG hat zu
Unrecht das erforderliche Feststellungsinteresse iS des § 131 Abs 1 Satz 3 SGG verneint.
Es kann offen bleiben, ob nach den Entscheidungen des Senats zur Anfechtung von
Sonderbedarfszulassungen vom 17.6.2009 (- B 6 KA 38/08 R - SozR 4-2500 § 101 Nr 5
und - B 6 KA 25/08 R - BSGE 103, 269 = SozR 4-1500 § 54 Nr 16) generell noch eine
Wiederholungsgefahr angenommen werden kann. Das erforderliche
Feststellungsinteresse ist jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität gegeben,
weil ein Schadensersatzprozess mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl BSG
SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 14; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 131
RdNr 10e). Zwar hat die Klägerin nur gegenüber der KÄV bislang schriftlich
Amtshaftungsansprüche geltend gemacht. Auch gegenüber dem Beklagten hat sie aber
wiederholt im Verfahren mit hinreichender Deutlichkeit Amtshaftungsansprüche
angemeldet.
23 b) Die Revision ist aber in der Sache zurückzuweisen, weil die Frist für die Einlegung des
Widerspruchs nicht gewahrt war. Die Klägerin legte am 18.5.2006 gegen den Beschluss
des Zulassungsausschusses vom 28.8.2002, mit dem der Beigeladene zu 1. zum 1.9.2002
zugelassen worden war, Widerspruch ein. Damit war nicht nur die in § 84 Abs 1 Satz 1
SGG festgelegte Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsaktes
verstrichen, sondern auch die - hier maßgebliche - Jahresfrist des § 84 Abs 2 Satz 3 iVm §
66 Abs 2 SGG. Zwar ist die Entscheidung zugunsten des Beigeladenen zu 1. der Klägerin
nicht bekanntgegeben worden, weil die Zulassungsgremien sie nicht am Verfahren
beteiligt haben. Daraus folgt aber nicht, dass es keine zeitliche Grenze für die Anfechtung
der Entscheidung gibt. Im Interesse der Planungssicherheit für den von der Zulassung
begünstigten Arzt und nicht zuletzt im Interesse der Funktionsfähigkeit der
vertragsärztlichen Versorgung muss vielmehr ausgeschlossen werden, dass der Status
eines Vertragsarztes noch Jahre nach seiner Begründung durch Rechtsbehelfe von
Konkurrenten in Frage gestellt werden kann.
24 Das Gesetz enthält als möglichen zeitlichen Anknüpfungspunkt für eine Begrenzung in §
66 Abs 2 SGG die Jahresfrist für den Fall, dass keine oder eine unrichtige
Rechtsbehelfsbelehrung erteilt wurde. Innerhalb eines Jahres soll eine Anfechtung auch
dann noch möglich sein, wenn der Betroffene nicht ordnungsgemäß über seine
Verfahrensrechte informiert wurde. Im Interesse der Rechtssicherheit ist aber nach dem
Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes eine Anfechtung
grundsätzlich ausgeschlossen. In Anlehnung an diesen Grundsatz, dem eine
gesetzgeberische Bewertung des Rechtsschutzinteresses einerseits und der
Rechtssicherheit andererseits zu entnehmen ist, kann auch ein Drittwiderspruch gegen
eine Sonderbedarfszulassung zulässig nur binnen einer Jahresfrist eingelegt werden.
Diese Zeitdauer ist im Vertragsarztrecht für die Anfechtung von
Sonderbedarfszulassungen auch dann angemessen, wenn die Zulassungsentscheidung
dem Konkurrenten überhaupt nicht iS des § 84 Abs 1 Satz 1 SGG bekannt gemacht
worden ist.
25 Die Anfechtungsberechtigung eines bereits zur vertragsärztlichen Versorgung
zugelassenen Arztes setzt ua voraus, dass er und der Konkurrent im selben räumlichen
Bereich die gleichen Leistungen anbieten (vgl zuletzt BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 26 RdNr
18 mwN). Letztlich geht es darum, ob der bereits niedergelassene Arzt durch die Tätigkeit
des Konkurrenten im räumlichen Einzugsbereich seiner Praxis wegen der
Überschneidung der ärztlichen Tätigkeit wirtschaftlich beeinträchtigt wird. Dass für den
niedergelassenen Arzt eine solche Konkurrenz binnen eines Jahres erkennbar wird, kann
unwiderleglich vermutet werden. Den Fristbeginn markiert in diesen Fällen die
tatsächliche Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit, die in aller Regel mit dem dafür in
der Zulassung genannten Datum übereinstimmen wird. Allein die Statusverleihung muss
nicht notwendig zur Kenntnis der bereits niedergelassenen Vertragsärzte gelangen,
wenngleich Neuzulassungen - wie im Saarland - häufig in Publikationen der KÄV bekannt
gegeben werden. Es kann aber jedenfalls davon ausgegangen werden, dass die
tatsächliche Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit, soweit sie Auswirkungen in einer
Konkurrenzsituation hat, nicht unbemerkt bleibt. Insofern liegt eine ähnliche Situation vor
wie in baurechtlichen Nachbarschaftsstreitigkeiten. Das Bundesverwaltungsgericht
wendet nicht nur im unmittelbaren Grenznachbarschaftsverhältnis die Jahresfrist des § 58
Abs 2 VwGO an, wenn der Nachbar von einer Baugenehmigung Kenntnis erlangt hat oder
hätte erlangen müssen (vgl BVerwGE 78, 85, 89 f). Dabei betont das
Bundesverwaltungsgericht eine Verpflichtung des Nachbarn, nach Erkennen der
Beeinträchtigung ungesäumt seine Einwendungen geltend zu machen. Für die
Zulassungen in der vertragsärztlichen Versorgung gilt der hierin zum Ausdruck kommende
Gedanke des Interessenausgleichs in besonderem Maße.
26 Mit der Jahresfrist werden die Interessen der Beteiligten jeweils angemessen
berücksichtigt. Der Arzt, dem eine Sonderbedarfszulassung erteilt und im Anschluss daran
die Durchführung eines nephrologischen Versorgungsauftrages genehmigt wird, hat ein
berechtigtes Interesse an Rechtssicherheit in einem überschaubaren Zeitraum. Er stellt
seine gesamte berufliche Tätigkeit hierauf ab. Gerade in dem hier betroffenen Bereich der
Dialyseversorgung müssen uU erhebliche Investitionen getätigt und finanzielle
Verpflichtungen eingegangen werden. Gleichzeitig wird eine Versorgungsstruktur für die
von dem Versorgungsauftrag umfassten Patientengruppen aufgebaut und von den
Versicherten auch in Anspruch genommen. Die Einbindung in die Sicherstellung der
vertragsärztlichen Versorgung erfordert sowohl für Statusentscheidungen als auch für
andere Entscheidungen, die ausnahmsweise von Dritten unter
Konkurrenzgesichtspunkten angegriffen werden können, ein besonderes Maß an
Verlässlichkeit. Gegen dieses Interesse des von der (Neu)Zulassung Begünstigten ist
abzuwägen der Anspruch des Drittbetroffenen auf Rechtsschutz, der eine
verfahrensrechtliche Absicherung seines Grundrechtsschutzes darstellt (vgl BVerfG SozR
4-1500 § 54 Nr 4 RdNr 26). Dieses Recht des Drittbetroffenen wird durch die Anwendung
der Ausschlussfrist von einem Jahr ab der tatsächlichen Aufnahme der Tätigkeit nicht
unverhältnismäßig eingeschränkt. Sind die Folgen eines Konkurrenzverhältnisses binnen
eines Jahres nach Aufnahme der Tätigkeit nicht spürbar, ist von keiner ernsthaften
Beeinträchtigung der durch die vertragsärztliche Tätigkeit eröffneten Erwerbschancen
auszugehen. Das gilt erst recht, wenn - wie hier - knapp vier Jahre zwischen dem Erlass
des Verwaltungsaktes und der Widerspruchseinlegung liegen.
27 c) Die Fristversäumnis ist hier auch nicht dadurch geheilt, dass der Beklagte in dem
angefochtenen Beschluss hierauf nicht eingegangen ist. Zum einen hat der Beklagte den
Widerspruch im Ergebnis zu Recht als unzulässig angesehen. Zum anderen hätte der
Beklagte auch nicht zu Lasten des Beigeladenen zu 1. über den verspäteten Widerspruch
der Klägerin in der Sache entscheiden und damit den Rechtsweg eröffnen dürfen; bei
Verwaltungsakten mit Drittwirkung ist kein Raum für eine Wiedereröffnung des
Rechtswegs durch behördliche Sachentscheidung (vgl BVerwGE 65, 313, 318; Leitherer
in Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 84 RdNr 7a).
28 d) Die Geltung der Jahresfrist mindert nicht die Pflicht der KÄV und der
Zulassungsgremien, im Verfahren gemäß § 12 Abs 2 SGB X diejenigen zu beteiligen und
zu informieren, zu deren Gunsten Drittschutz besteht. Die zeitliche Eingrenzung der
Anfechtungsberechtigung dient der Rechtssicherheit und entlastet die zuständigen
Behörde nicht von ihren verfahrensrechtlichen Pflichten. Verstöße gegen diese Pflicht
führen indes nicht zur Verlängerung der Jahresfrist, sondern können allenfalls
Amtshaftungsansprüche des Arztes auslösen, der nicht am Verfahren beteiligt worden ist,
obwohl seine Betroffenheit aus der Sicht der Zulassungsgremien oder der KÄV auf der
Hand lag.
29 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer
entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO. Eine Erstattung
außergerichtlicher Kosten Beigeladener ist nur hinsichtlich der Beigeladenen zu 1. bis 5.
veranlasst; nur diese haben im Revisionsverfahren Anträge gestellt (vgl BSGE 96, 257 =
SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).