Urteil des BPatG vom 08.08.2007
BPatG (stand der technik, fig, fachmann, werkzeug, beschwerde, papier, dokument, gebrauchsmuster, zpo, stahl)
BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
35 W (pat) 475/08
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
8. Dezember 2009
…
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
…
- 2 -
…
betreffend das Gebrauchsmuster 20 2006 012 600
hier: Löschungsantrag
hat der 35. Senat (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat) des Bundespatentge-
richts auf die mündliche Verhandlung vom 8. Dezember 2009 durch den Vorsit-
zenden Richter Müllner sowie die Richter Dipl.-Ing. Reinhardt und Dr.-Ing. Höchst
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Deut-
schen Patent- und Markenamts - Gebrauchsmusterabteilung I - vom
28. Juli 2008 in Ziffer 2 dahingehend geändert, dass die Kosten des Lö-
schungsverfahrens der Antragstellerin in vollem Umfang auferlegt werden.
Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin aufer-
legt.
- 3 -
G r ü n d e
I
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des am 15. August 2006 angemeldeten und am
9. November 2006
in
das
Register
eingetragenen
Gebrauchsmusters
20 2006 012 600 mit der Bezeichnung „Schneid- und/oder Ritzwerkzeug“ (Streit-
gebrauchsmuster). Die Geltungsdauer des Streitgebrauchsmusters ist auf 6 Jahre
verlängert.
Der eingetragene Schutzanspruch 1 lautet:
Schneid- und/oder Ritzwerkzeug (1), insbesondere zur Verwen-
dung zum Stanzschnitt in der Papier- und Kartonagenindustrie,
bestehend aus einer Klinge (2) aus Stahl mit einer Schneid-
kante (4) und mindestens einer an einer Klingen-Längsseite aus-
gehend von der Schneidkante (4) gebildeten und bis zu einer
Seitenfläche (8) der Klinge (2) verlaufenden Fase (6), die im Quer-
schnitt gesehen derart mit einem Krümmungsradius (R1) ge-
krümmt ausgebildet ist, dass jede an die Fase (6) angelegte
Tangente mit einer parallel zu der Seitenfläche (8) und durch die
Schneidkante (4) verlaufenden Klingenachse (10) einen Winkel
dadurch gekennzeichnet
dass die Fase (6) in Richtung der Seitenfläche (8) einen Über-
gangsabschnitt (12) aufweist, der derart mit einem von dem
Krümmungsradius (R1) der Fase (6) abweichenden zweiten
Krümmungsradius (R2) konvex gekrümmt ausgebildet ist, dass die
Fase (6) über den Übergangsabschnitt (12) stetig, stufen- und
kantenfrei in die Seitenfläche (8) übergeht.
- 4 -
Für den Wortlaut der auf den Schutzanspruch 1 rückbezogenen eingetragenen
Schutzansprüche 2 bis 6 wird auf die Akte verwiesen.
Die Antragstellerin hat am 13. Juni 2007 die Löschung des Gebrauchsmusters we-
gen fehlender Schutzfähigkeit seines Gegenstandes beantragt. Ihr Vorbringen hat
sie auf folgende Druckschriften aus dem Stand der Technik gestützt (die Entge-
genhaltung (5) in einem späteren Schriftsatz):
(D1) DE 296 16 585 U1,
(D2) US 2,049,157,
(D3) US 2,276,376,
(D4) Europäische Stanzformunion, Zeitschrift, Ausg. 2, Juni 2001, S. 11,
(D5) DE 299 22 281 U1.
Auf den Löschungsantrag hat die Antragsgegnerin mit dem beim Deutschen Pa-
tent- und Markenamt am 10. August 2007 eingegangenen Schriftsatz vom
8. August 2007 neue Ansprüche 1 bis 5 überreicht und dem Löschungsantrag nur
im Umfang dieser Ansprüche widersprochen. Sie hat auf den ursprünglichen (den
eingetragenen) Anspruch 1 verzichtet und erklärt, dass aus dem ursprünglichen
Anspruch 1 keine Rechte für die Vergangenheit und die Zukunft geltend gemacht
werden.
Die von der Antragsgegnerin eingereichten Schutzansprüche 1 bis 5 lauten:
1.
Schneid- und/oder Ritzwerkzeug (1), insbesondere zur
Verwendung zum Stanzschnitt in der Papier- und Kartona-
genindustrie, bestehend aus einer Klinge (2) aus Stahl mit ei-
ner Schneidkante (4) und mindestens einer an einer Klingen-
Längsseite ausgehend von der Schneidkante (4) gebildeten
und bis zu einer Seitenfläche (8) der Klinge (2) verlaufenden
Fase (6), die im Querschnitt gesehen derart mit einem Krüm-
- 5 -
mungsradius (R1) gekrümmt ausgebildet ist, dass jede an die
Fase (6) angelegte Tangente mit einer parallel zu der Seiten-
fläche (8) und durch die Schneidkante (4) verlaufenden Klin-
genachse (10) einen Winkel einschließt, der kleiner als 90° ist,
dadurch gekennzeichnet
Seitenfläche (8) einen Übergangsabschnitt (12) aufweist, der
derart mit einem von dem Krümmungsradius (R1) der Fase (6)
abweichenden zweiten Krümmungsradius (R2) konvex ge-
krümmt ausgebildet ist, dass die Fase (6) über den Über-
gangsabschnitt (12) stetig, stufen- und kantenfrei in die Sei-
tenfläche (8) übergeht, wobei der zweite Krümmungsra-
dius (R2) des Übergangsabschnittes (12) kleiner als der erste
Krümmungsradius (R1) der Fase (6) ist und insbesondere das
0,05- bis 0,5-fache des ersten Krümmungsradius (R1) beträgt.
2.
Schneid- und/oder Ritzwerkzeug nach Anspruch 1, dadurch
gekennzeichnet, dass die Fase (6) - bezogen auf eine im
Querschnitt zwischen der Schneidkante (4) und einem Über-
gangspunkt (14) zwischen dem Übergangsabschnitt (12) und
der angrenzenden Seitenfläche (8) verlaufenden Sekante (S) -
eine Fasenlänge (L) aufweist, wobei der erste Krümmungsra-
dius (R1) der Fase (6) dem ein- bis fünffachen Wert der Fa-
senlänge (L) entspricht.
3.
Schneid- und/oder Ritzwerkzeug nach Anspruch 2, dadurch
gekennzeichnet, dass der erste Krümmungsradius (R1) der
Fase (6) dem ein- bis zweifachen, insbesondere dem 1,5- bis
1,6-fachen, Wert der Fasenlänge (L) entspricht.
4.
Schneid- und/oder Ritzwerkzeug nach einem der Ansprüche 1
bis 3, gekennzeichnet durch eine - bezogen auf die Klingen-
- 6 -
achse (10) - symmetrische Ausgestaltung mit zwei gleicharti-
gen Fasen (6).
5.
Schneid- und/oder Ritzwerkzeug nach einem der Ansprüche 1
bis 3, gekennzeichnet durch eine - bezogen auf die Klingen-
achse (10) - asymmetrische Ausgestaltung mit nur einer
Fase (6) oder mit zwei unterschiedlich ausgebildeten Fa-
sen (6).
Auf die in dieser Fassung beschränkte Verteidigung des Streitgebrauchsmusters
in der mündlichen Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung I des Deut-
schen Patent- und Markenamts hat diese das Streitgebrauchsmuster durch Be-
schluss vom 28. Juli 2008 teilgelöscht, soweit es über die vorstehend wiedergege-
bene Fassung der Schutzansprüche hinausgeht und den Löschungsantrag im Üb-
rigen zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens sind der Antragstellerin zu 2/3
und der Antragsgegnerin zu 1/3 auferlegt worden.
Gegen diesen Beschluss haben Antragstellerin und Antragsgegnerin Beschwerde
eingelegt.
Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand des verteidigten
Schutzanspruchs 1 nicht auf einem erfinderischen Schritt beruhe. Ergänzend hat
sie im Beschwerdeverfahren noch auf die Dokumente
(D6) Europäische Stanzformunion, Zeitschrift, Ausg. 1, März 2004, S. 25
bis 27,
(D7) Produktinformation der Antragstellerin ohne Datumsangabe, S. 9,
(D8) Schreiben der Antragsgegnerin vom 21. Dezember 2005 mit Bezug-
nahme auf Dokument D7
hingewiesen.
- 7 -
Die Antragstellerin beantragt,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben;
das Gebrauchsmuster 20 2006 012 600 vollumfänglich zu lö-
schen;
die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen;
die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den angefochtenen Beschluss insoweit aufzuheben, dass die
Kosten des Verfahrens der Antragstellerin in vollem Umfang auf-
erlegt werden;
die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen;
die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen.
Sie trägt sinngemäß vor, mit dem Löschungsantrag überfallen worden zu sein und
dass mit ihrer sofortigen (Teil-)Anerkenntnis des Löschungsanspruchs die Voraus-
setzungen des § 93 ZPO für eine Kostenentscheidung vorlägen. Sie ist auch der
Meinung, dass die geltend gemachten Löschungsgründe für die geltenden
Schutzansprüche nicht gegeben seien.
Für weitere Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II
1.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Die Kosten
des Löschungsverfahrens sind der Antragstellerin in vollem Umfang aufzuerlegen,
da die Voraussetzungen des § 93 ZPO gegeben sind.
- 8 -
Nach h. M. (vgl. § 17 GbmG, Bühring, 7. Auflage, Rn. 60 ff.; Benkard, 10. Auflage,
Rn. 20 ff. ist § 93 ZPO auch im Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren anzuwen-
den, wenn das Verhalten des Antragsgegners keine Veranlassung zur Stellung
des Löschungsantrags gegeben hat und dieser den Löschungsantrag sofort aner-
kennt. Dies gilt auch für Teilanerkenntnis (vgl. a. a. O., Rn. 89 bzw. Rn. 24a).
Auf den Löschungsantrag der Antragstellerin ist eine sofortige Teil-Anerkenntnis
des Löschungsanspruchs mit Verzicht auf den eingetragenen ursprünglichen An-
spruch 1 sowie daraus herzuleitende Rechte durch die Antragsgegnerin erfolgt
(vgl. Schriftsatz vom 8. August 2007). Die Antragsgegnerin hat - von der Antrag-
stellerin unbestritten - vorgetragen, der Löschungsantrag sei ohne vorhergehende
ordnungsgemäße Löschungs-Aufforderung eingereicht worden. Auch sonst habe
sie nichts veranlasst, dass den Löschungsantrag rechtfertige.
Soweit die Antragsgegnerin dem Löschungsantrag widersprochen hat, ist sie er-
folgreich (vgl. nachstehende Ausführungen unter 2.).
Die Kosten des Löschungsverfahrens sind daher vollumfänglich der Antragstellerin
aufzuerlegen.
2.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Soweit das
Gebrauchsmuster nicht mehr verteidigt wird, bleibt es bei der vom Deutschen Pa-
tent- und Markenamt - Gebrauchsmusterabteilung I - ausgesprochenen Löschung.
2.1
Die verteidigten Schutzansprüche sind zulässig. Der Schutzanspruch 1 stellt
eine Zusammenfassung der eingetragenen Schutzansprüche 1 und 2 dar. Die
geltenden Schutzansprüche 2 bis 5 entsprechen den eingetragenen Schutzan-
sprüchen 3 bis 6 hinsichtlich ihrer kennzeichnenden Merkmale. Die eingetragenen
Schutzansprüche 3 bis 6 sind sämtlich zumindest mittelbar auf den eingetragenen
Schutzanspruch 1 und auf den eingetragenen Schutzanspruch 2 rückbezogen. Die
Zulässigkeit des Schutzbegehrens ist im Übrigen unstreitig.
- 9 -
2.2
Das mit Schutzanspruch 1 verteidigte, zweifellos gewerblich anwendbare
Schneid- und/oder Ritzwerkzeug ist unbestritten neu. Es beruht auch auf einem
erfinderischen Schritt.
2.2a
vorwiegend in der Papier- und Kartonagenindustrie zur Anwendung kommt. Be-
kannte Werkzeuge dieser Art sollen mit der vorgeschlagenen Ausgestaltung hin-
sichtlich ihrer Gebrauchseigenschaften verbessert werden. Wie in Abs. 0005 an-
gegeben, zielt die Verbesserung auf das Reduzieren des mechanischen Wider-
stands beim Schneidvorgang, das Verringern oder Vermeiden von Staubbildung
sowie das Reduzieren der Einreißgefahr des Stanzguts und der Bruchgefahr der
Klinge ab.
Mit dem beanspruchten Gegenstand sollen diese Vorteile erreicht werden.
Nach dem geltenden Schutzanspruch 1 wird ein Schneid- und/oder Ritzwerkzeug
mit folgenden Merkmalen vorgeschlagen:
1
Schneid- und/oder Ritzwerkzeug, insbesondere zur Verwen-
dung zum Stanzschnitt in der Papier- und Kartonagenindust-
rie.
2
Das Schneid- und/oder Ritzwerkzeug besteht aus einer
Klinge aus Stahl.
3
Die Klinge besitzt eine Schneidkante.
4
Die Klinge besitzt mindestens eine Fase.
4a
Die Fase ist an einer Klingen-Längsseite ausgehend von der
Schneidkante gebildet und verläuft bis zu einer Seitenfläche
der Klinge.
4b
Die Fase ist im Querschnitt gesehen derart mit einem Krüm-
mungsradius (R1) gekrümmt ausgebildet, dass jede an die
Fase angelegte Tangente mit einer parallel zu der Seitenflä-
- 10 -
che und durch die Schneidkante verlaufenden Klingenachse
einen Winkel einschließt, der kleiner als 90° ist.
5
Die Fase weist in Richtung der Seitenfläche einen
Übergangsabschnitt auf.
5a
Der Übergangsabschnitt ist derart mit einem von dem Krüm-
mungsradius (R1) der Fase abweichenden zweiten Krüm-
mungsradius (R2) konvex gekrümmt ausgebildet, dass die
Fase über den Übergangsabschnitt stetig, stufen- und kan-
tenfrei in die Seitenfläche übergeht.
5b
Der zweite Krümmungsradius (R2) des Übergangsabschnit-
tes ist kleiner als der erste Krümmungsradius (R1) der Fase
und insbesondere beträgt er das 0,05- bis 0,5-fache des
ersten Krümmungsradius (R1).
Als den mit der Lösung des Problems betrauten Fachmann ist ein Maschinenbau-
Ingenieur mit Fachhochschulabschluss zugrunde zu legen, der über mehrere
Jahre Berufserfahrung in der Entwicklung, Konstruktion und Herstellung von
Schneid-/Stanzwerkzeugen vorwiegend für die Kartonagen- und Papierindustrie
verfügt.
Nach Verständnis dieses Fachmanns ist Schutzanspruch 1 dahingehend auszule-
gen, dass das Werkzeug auf einer oder auf beiden Seiten mit einer Fase in der
vorgegebenen Gestaltung versehen ist (Merkmal 4). Die Fase umfasst zwei kon-
vexe Krümmungsbereiche und besteht ausschließlich aus diesen, versehen mit
unterschiedlichen, jeweils konstanten Radien (aus Merkmalen 4b und 5a) und be-
steht folglich aus zwei ineinander übergehenden Kreisbogenabschnitten. Der
Krümmungsradius des zweiten Bereichs ist kleiner als der des ersten Bereichs
(aus Merkmalen 5a und 5b). Ein stetiger, stufen- und kantenfreier Übergang der
Fase in die Seitenfläche der Klinge (aus Merkmal 5a) bedeutet, dass der Über-
gangsabschnitt und die Fase an ihrer gemeinsamen Bereichsgrenze eine gemein-
- 11 -
same Tangente und der Übergangsabschnitt und die Seitenfläche an ihrer ge-
meinsamen Bereichsgrenze ebenfalls eine gemeinsame Tangente haben.
2.2b
keinem der eingangs genannten Dokumente zum Stand der Technik ein Schneid-
und/oder Ritzwerkzeug zu entnehmen ist, dessen Fase aus einem gekrümmten
Bereich mit größerem Radius und einem sich daran anschließenden konvex ge-
krümmten, in die Seitenfläche der Klinge übergehenden Bereich mit kleinerem
Radius gebildet ist (Teile der Merkmale 5a, 5b; Näheres s. folgenden Abschnitt).
2.2c
schau mit einem der anderen Dokumente dem Fachmann einen Hinweis zu ge-
ben, die Fase eines Schneid- und/oder Ritzwerkzeugs mit den weiter vorstehen-
den Eigenschaften auszugestalten. Es beruht daher auf einem erfinderischen
Schritt.
2.2ca
zeug mit den Merkmalen des Oberbegriffs (Merkmale 1 bis 4b) des Schutzan-
spruchs 1 bekannt (vgl. Ansprüche 1 und 7 i. V. m. Fig. 1 bis 4).
Die Beschreibung der in den Figuren dieser Druckschrift dargestellten Werkzeuge
liefert keine Aussage zum Übergang von den Fasen 4 zu den Klingenlängssei-
ten 3, oder dass es auf die Krümmung eines Übergangs ankommen könnte. Bei
den in den in den Figuren 1 und 3 dargestellten Werkzeugen ist der Übergang zur
Klingenlängsseite zweifelsohne mit einer Kante versehen. Ob vor diesem Hinter-
grund den Figuren 2 und 4 jeweils ein gekrümmter Übergang von der Fase 4 zur
Klingenlängsseite 3 zu entnehmen ist (Merkmal 5), bleibt daher zweifelhaft, zumal
es sich bei den Figuren um nicht maßstäbliche Skizzen handelt. Hinzu kommt,
dass eine zufällige Krümmung nicht einem Kreisbogen entsprechen muss. Daher
wird der Fachmann auch in Kenntnis der Anforderungen an Schneidwerkzeuge
(vgl. D1, S. 6 und 7) nicht ohne weiteres die konkret geforderte „Kreisbogen-Ge-
- 12 -
staltung“ als Alternative zu einer Kante am Übergang von der Fase zur Klingen-
längsseite in Erwägung ziehen, falls die Kante als Nachteil empfunden werden
sollte. Den Figuren 2 und 4 kann ein kreisbogenförmiger Übergangsabschnitt
(Teile Merkmal 5a) jedenfalls nicht entnommen werden. Da kein kreisbogenförmi-
ger Übergangsabschnitt vorhanden ist, kann auch seine Dimensionierung mit klei-
nerem Radius gegenüber dem gekrümmten Bereich mit größerem Radius (Merk-
mal 5b) nicht zwangsläufig gegeben sein.
2.2cb
kannt, insbesondere zur Verwendung zum Stanzschnitt in der Papier- und Karto-
nagenindustrie, bestehend aus einer Klinge 1 aus Stahl mit einer Schneidkante 4
und mindestens einer an einer Klingen-Längsseite ausgehend von der Schneid-
kante 4 gebildeten und bis zu einer Seitenfläche 5 der Klinge 1 verlaufenden
Fase 6 (vgl. Ansprüche 1, 20, Fig. 1, 2; Merkmale 1 bis 4a). Jede an die Fase 6
angelegte Tangente schließt mit einer parallel zu der Längsseite 5 und durch die
Schneidkante 4 verlaufenden Klingenachse X-X einen Winkel ein, der kleiner als
90° ist (vgl. Anspruch 12, S. 21, 1. Vollabsatz; Merkmal 4b). Die Fase 6 weist min-
destens zwei stetig ineinander übergehende Bereiche 6a, 6b auf. Der erste Be-
reich weist eine konvexe, der zweite Bereich eine konkave Krümmung auf (An-
spruch 1, Fig. 2). In der Nähe eines Basisabschnitts 2 in Richtung der Seitenflä-
che 5 kann ein zusätzlicher, konvex gekrümmter Bereich 6d vorgesehen sein (vgl.
Übergangsabsatz von S. 15 nach S. 16, Anspruch 19), so dass die Fase 6 stetig in
die Seitenfläche 5 übergeht (Merkmal 5, Teile des Merkmals 5a). Die ersten Be-
reiche 6a, 6b können durch Kreisbogenabschnitte begrenzt sein (vgl. An-
spruch 11, S. 20, letzter Absatz). Möglicherweise ist auch der Krümmungsverlauf
des Bereichs 6d kreisbogenförmig gestaltet (vgl. S. 27, 1. Absatz; Teile des
Merkmals 5a).
Demnach weist dieses Werkzeug im Gegensatz zum beanspruchten eine Fase mit
mindestens drei Bereichen auf (Teile des Merkmals 5a). Nichts ist bezüglich des
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Verhältnisses des Krümmungsradius des Bereichs 6d gegenüber den anderen
Krümmungsradien ausgesagt (Merkmal 5b).
Nach Meinung der Antragstellerin gehen die in D5 vorgeschlagenen Lösungen wie
das Streit-Gebrauchsmuster von der D1 aus und es gelte, das bekannte Werk-
zeug zu verbessern. Wenn sich für den Fachmann bei dem aus D1 bekannten
Werkzeug der mit einer Kante versehene Übergang von der Fase zur Klingen-
längsseite als nachteilig herausstelle, werde er den Bereich 6d mit konvexer kreis-
bogenförmiger Krümmung der Fase anstatt der Kante vorsehen. Den Bereich 6d
auf das Werkzeug nach D1 nach Art eines Baukastenelements zu übertragen, sei
naheliegend und führe unmittelbar zum Streitgegenstand.
Nach Überzeugung des Senats lehrt die D5 das anhand zahlreicher Ausführungs-
beispiele gezeigte Prinzip, die unterschiedlichen Bereiche der Fase einer Klinge
stetig ineinander übergehend anzuordnen. Die Fase 6 muss in der Nähe des Ba-
sisabschnitts 2 mit einem konkaven Bereich 6b und in der Nähe der Schneid-
kante 4 mit einem konvexen Bereich 6a versehen sein (vgl. Anspruch 1, alle Figu-
ren 1 bis 18). Die Fase 6 kann noch weitere Bereiche wie den erwähnten konvex
gekrümmten Bereich 6d am Übergang zur Klingenlängsseite 5 und ebene Berei-
che 6c, 6f, 6g sowie 6h zwischen, nach und vor den Bereichen 6a und 6b umfas-
sen. Sie lehrt demnach immer einen stetigen Übergang von einem ebenen in ei-
nen gekrümmten Bereich (mit konstantem Radius) oder umgekehrt sowie den
Übergang aus einem Abschnitt mit einer Krümmung gegebenen Vorzeichens in
einen Abschnitt mit einer Krümmung umgekehrten Vorzeichens (Übergang kon-
vex-konkav oder umgekehrt). Ein stetiger Übergang von einer konvex gekrümmten
Fläche der Fase auf eine ebene Fläche wird durch die gekrümmte Fläche selbst
erzielt (vgl. z. B. Fig. 1, Übergang vom Bereich 6a nach 6c oder 6c nach 6b). Dies
entspricht auch der durch die Druckschriften US 2,049,157 (D2, vgl. Fig. 3),
US 2,276,376 (D3, vgl. Fig. 14) oder Europäische Stanzformunion (D4, S. 11, Fi-
gur) vermittelten Lehre, eine konvex gekrümmte Fläche ohne einen zweiten, mit
einem anderen Radius versehenen, konvex gekrümmten Bereich in die Fläche der
- 14 -
Klingenlängsseite stetig übergehen zu lassen. Die isolierte Entnahme des konvex
gekrümmten Bereichs 6d der Fase 6 aus D5 und die Anordnung unmittelbar an ei-
nen anderen konvex gekrümmten Bereich mit anderem Krümmungsradius kann
daher nur rückschauend in Kenntnis der vorgeschlagenen Lösung erfolgen.
2.2cc
poliertes Schneidwerkzeug dargestellt und beschrieben. Die Fase des Schneid-
werkzeugs wird jeweils durch eine Facette gebildet (vgl. Figuren). Offensichtlich
liegen bei diesen Schneidwerkzeugen die Merkmale 1 bis 4a des Streitgegenstan-
des vor. Beim Polieren der durch Schaben hergestellten Schneide wird der scharf-
kantige Übergang zwischen Schneidefacette und Klingenseitenfläche zu einem
fließenden Übergang mit Radius R oder einer Abrundung (vgl. D6, S. 25, 26, D7,
untere Figur; Merkmal 5, Teile des Merkmals 5a).
Abweichend davon wird beim Streitgegenstand die Fase durch einen ersten und
einen zweiten konvex gekrümmten Bereich mit jeweils bestimmtem Radius gebil-
det (Merkmale 4b, 5b, Teile des Merkmals 5a).
Nach Auffassung der Antragstellerin entnimmt der Fachmann sowohl dem Doku-
ment D6 als auch dem Dokument D7 die Anregung, einen kantenfreien Übergang
von der Fase zur Klingenseitenfläche bei dem Werkzeug nach der D1 vorzusehen,
zumal damit die ihm bekannten Vorteile genutzt werden können. Ein Polieren des
aus D1 bekannten Werkzeugs führe unmittelbar zum Lösen der im Streit-
gebrauchsmuster genannten Probleme und zu dessen Gegenstand.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Im Dokument D6 ist ausgeführt,
dass sich durch den fließenden Übergang Vorteile beim Ablängen der Schneiden
und beim Bilden von Verbindungen ergeben, da diese dann besser aufliegen. Der
Polierprozess hinterlässt eine speziell gestaltete Oberfläche. Dabei wird kein Ma-
terial entfernt, sondern dieses plastisch verformt. Die beim Schaben erzielten en-
gen Toleranzen bleiben erhalten. Nur die Längsrillen an den Schneidefacetten
- 15 -
werden verflacht. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass durch Polieren eine geo-
metrisch definierte Form erzeugt wird. Die nach Streitgebrauchsmuster geforder-
ten kreisbogenförmigen Bereiche können demnach nicht erzeugt werden, insbe-
sondere ist das Polieren nicht geeignet, bei balligen Schneiden deren Verlauf an-
zupassen. Vielmehr werden beim Polieren vorhandene Konturen weitgehend bei-
behalten, da kein gezielter Materialabtrag stattfindet. In D1 ist ausgeführt, dass die
gekrümmte Oberfläche der Fase durch spanabhebende Bearbeitung, z. B.
Schleifen, hergestellt wird (vgl. S. 14, 15). In einem Polieren dieser Oberfläche
wird der Fachmann keine Möglichkeit zur Erzeugung eines exakten Konturenver-
laufs sehen. Für Dokument D7 gilt Entsprechendes.
Soweit geltend gemacht wird, dass die Schneidlinien nach den Dokumenten D6
oder D7 den Fachmann dazu anregen, beim aus der D1 bekannten Schneidwerk-
zeug einen kantenfreien Übergang bestimmter Ausgestaltung vorzusehen, wird
auf die Ausführungen im letzten Absatz unter 2.2cb verwiesen.
2.2cd
Fig. 14) und Europäische Stanzformunion (D4, S. 11, Figur) wurden in der mündli-
chen Verhandlung nicht mehr aufgegriffen. Bei den dort beschriebenen Werkzeu-
gen besteht die Fase jeweils aus einem einzigen gekrümmten Bereich mit kon-
stantem oder sich kontinuierlich veränderndem Krümmungsradius. Der Bereich
geht ohne Übergangsabschnitt jeweils stetig in die Seitenfläche des Werkzeugs
über. Die Anordnung eines konvex kreisbogenförmig gekrümmten Bereichs un-
mittelbar an einen anderen konvex kreisbogenförmig gekrümmten Bereich mit an-
derem Krümmungsradius wird durch diese Druckschriften nicht gelehrt und kann
dies daher auch nicht nahelegen.
- 16 -
3.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 18 Abs. 2
Satz 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 PatG und § 91 ff. ZPO. Die Billigkeit erfordert
keine abweichende Entscheidung, § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG.
Müllner
Reinhardt
Dr. Höchst
Pr