Urteil des BPatG vom 10.07.2006

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BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
9 W (pat) 392/03
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
10. Juli 2006
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 197 30 042
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hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2006 unter Mitwirkung …
beschlossen:
Das Patent wird widerrufen.
G r ü n d e
I.
Gegen das am 14. Juli 1997 angemeldete und am 12. Juni 2003 veröffentlichte
Patent mit der Bezeichnung
„Vorrichtung zur Steuerung einer Bogenführung in einer
Bogendruckmaschine“
ist von der A… AG Einspruch erhoben worden.
Die Einsprechende ist der Meinung, der Gegenstand des geltenden Patentan-
spruchs 1 sei nicht neu bzw. beruhe zumindest nicht auf einer erfinderischen Tä-
tigkeit. Sie stützt ihren Einspruch u. a. auf folgende Druckschriften:
-
DE 34 13 179 A1
-
US 5 634 636 A
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Die Einsprechende stellt den Antrag,
das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag,
das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhal-
ten:
-
Patentansprüche 1 bis 7 und 10 bis 12, überreicht in der mündli-
chen Verhandlung, wobei die Ansprüche 10 bis 12 einschließlich
der Rückbeziehungen entsprechend rückzunummerieren sind,
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Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.
Die Patentinhaberin ist der Meinung, dieses Patentbegehren sei zulässig und auch
gegenüber dem in Betracht gezogenen Stand der Technik patentfähig.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
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Diesem Patentanspruch 1 schließen sich die erteilten Unteransprüche 2 bis 7
und 10 bis 12 unter entsprechender Anpassung von Nummerierung und Rückbe-
ziehung an.
II.
Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch PatG §147 Abs. 3 Satz 1
begründet.
Der Einspruch ist zulässig. Er hat Erfolg durch den Widerruf des Patents.
1.
Das Patent betrifft eine Vorrichtung zur Steuerung einer Bogenführung in
einer Bogendruckmaschine. In der Beschreibungseinleitung der Streitpa-
tentschrift ist ausgeführt, dass bei einer derartigen Vorrichtung, wie sie aus
der DE 34 13 179 A1 bekannt ist, eine Schaltung zum selbsttätigen Ein-
stellen von Stellgliedern für die Blas- und/oder Saugluftrate vorgesehen sei.
Dem die Blas- und/oder Saugluftrate beeinflussenden Stellglied sei we-
nigstens ein Sensor zugeordnet, durch dessen Signale die Blas- und/oder
Saugluftrate auf einen vorgesehenen Wert steuerbar sei.
Das dem Patent zugrundeliegende und mit der Aufgabe formulierte techni-
sche Problem sieht die Patentinhaberin sinngemäß darin,
eine Vorrichtung der genannten Art zur Steuerung einer
Bogenführung in einer Bogendruckmaschine derartig zu
erweitern, dass die Bogen mit einfachen Mitteln exakt und
störungsfrei durch die Druckmaschine transportiert werden
können.
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Dieses Problem soll durch die Vorrichtung mit den im geltenden Patentan-
spruch 1 angegebenen Merkmalen gelöst werden.
2.
Einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Patentansprüche sowie über
die gewerbliche Anwendbarkeit und Neuheit des Gegenstands des Patent-
anspruchs 1 bedarf es nicht, da dieser wie nachstehend ausgeführt für den
zuständigen Fachmann aus dem Stand der Technik naheliegend auffindbar
war.
3.
Als Durchschnittsfachmann nimmt der Senat einen Ingenieur der Fachrich-
tung Maschinenbau an, der bei einem Druckmaschinen-Hersteller mit der
Konstruktion von Blas-/Sauglufteinrichtungen zur Bogenführung in Druck-
maschinen befasst ist und auf diesem Gebiet über mehrjährige Berufserfah-
rung verfügt.
4.
Die Vorrichtung nach dem Patentanspruch 1 beruht nicht auf einer erfinderi-
schen Tätigkeit.
Zur Erleichterung von Bezugnahmen sind die Merkmale der mit dem Patentan-
spruch 1 beanspruchten Vorrichtung wie folgt aufgegliedert:
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Auf dem Gebiet der Bogenführung in einer Bogendruckmaschine ist es üblich, Bo-
gen durch Beaufschlagung mit Blas- bzw. Saugluftströmungen in ihrer Bewegung
zu beeinflussen. So zeigt die DE 34 13 179 A1 eine Steuer- und Regelvorrichtung
eines Bogenauslegers in einer Bogendruckmaschine (Patentanspruch 1, Zei-
len 1-3), bei der durch Verstellung der Blas-/Saugluftraten von auf die Bogen ein-
wirkenden Blas-/Saugorganen der Ablagevorgang manipuliert wird (Figuren 5-7).
Diese Vorrichtung dient somit der Steuerung der Bogenführung im Sinne des o. a.
Merkmals 1, wobei „Bogenführung“ an dieser Stelle den Vorgang des Führens und
nicht eine gegenständliche Einrichtung zum Führen meint.
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Diese vorbekannte Steuer- und Regelvorrich-
tung ist in der nebenstehend verkleinert wie-
dergegebenen Figur 10 der DE 34 13 179 A1
dargestellt. Die Stellorgane der Blas- und
Saugeinrichtungen werden bei der vorbe-
kannten Vorrichtung über eine Speicher- und
Recheneinheit 42 angesteuert. Anhand vor-
eingestellter bzw. gespeicherter Maschinen-
und Bogenparameter ermittelt die Speicher- und Recheneinheit in Abhängigkeit
von der aktuellen Maschinendrehzahl (Tachogenerator 49) Stellwerte für die
Stellorgane. Diese Stellwerte werden über die Leitungen 43 an die Stellmotoren
gegeben, wobei zur Rückkopplung die tatsächlichen Stellungen der jeweiligen
Stellorgans als Istwerte über die Leitungen 44 der Speicher- und Recheneinheit 42
zugeführt werden (DE 34 13 179 A1, Seite 18, 2. Absatz bis Seite 19, 1. Zeile).
Durch die Betätigung der Stellorgane wird die Blas-/Saugluftrate verändert
(Seite 2, 3. und 4. Absatz). Somit weist die dargestellte Steuer- und Regel-
vorrichtung eine Schaltung zum selbsttätigen Einstellen von Stellgliedern auf einen
Stellgrößenwert einer Blas- und Saugluftrate im Sinne des Merkmals 2 auf. Die
weiter über die Leitungen
44 zugeführten Istwerte können nur durch
entsprechende Überwachungseinrichtungen generiert werden. Diese expressis
verbis nicht erwähnten Einrichtungen sind als Sensor gemäß o. g. Merkmal 2.1
der streitpatentgemäßen Vorrichtung anzusehen.
Für eine Vorrichtung zur Steuerung der Bogenführung in einer Bogendruckma-
schine (Merkmal 1) ist es dem Fachmann somit bekannt, eine Schaltung mit den
Merkmalen 2 und 2.1 einzusetzen.
Bei einer derartigen Schaltung basiert die Regelung allerdings auf Istwerten von
Bogenparametern (z. B. Flächengewicht, Dicke, Format, Farbdichte) und Maschi-
nen-Einstellwerten (z. B. Drehzahl, Stellungen der Stellglieder). Die zu beeinflus-
sende Größe selbst, nämlich die Lage des Bogens, wird auf diese Weise nicht
unmittelbar, sondern nur mittelbar über theoretische (empirisch ermittelte) Zu-
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sammenhänge erfasst und verändert. Der Rückschluss von den Einstellwerten auf
die erreichte Position bzw. Lage des Bogens enthält dabei zwangsläufig Unge-
nauigkeiten, weil mit den unterstellten (theoretischen) Zusammenhängen zwi-
schen Stellwertveränderung für die Maschinenglieder und Lageveränderung des
Bogens die tatsächliche Bewegungssituation weder genau ermittelbar noch genau
beeinflussbar ist.
Dass eine derartige Vorgehensweise per se mit Ungenauigkeiten behaftet sein
muss und deshalb nicht störungsfrei sein kann, liegt für den Fachmann auf der
Hand. Er hat deshalb Veranlassung, die Regelung nach Art der DE 34 13 179 A1
hinsichtlich Genauigkeit und Zuverlässigkeit zu verbessern, wobei er stets eine
konstruktiv einfache und kostengünstige Realisierung (einfache Mittel, s. Aufga-
benstellung) anstrebt. Dabei wird der Fachmann nach Lösungen auch im überge-
ordneten allgemeinen Fachgebiet des Bogentransports in Druckeinrichtungen su-
chen.
Er stößt dort auf die US 5 634 636 A, die die Handhabung flexibler Objekte im all-
gemeinen und den Transport von Bogen
in Druckeinrichtungen im besonderen
betrifft (Spalte 1, Zeilen 6-9 und 37-51).
Aus dieser Druckschrift ist es bekannt
(vgl. nachstehend verkleinert wiederge-
gebene Figur 1), einzelne bedruckte Bo-
gen
12 durch Luftströmungen berüh-
rungslos zu fördern und in eine
gewünschte Solllage zu bringen. Die mit
Blasluft beaufschlagten Bogen werden in
ihrer Istlage durch eine Sensoreinheit 40
berührungslos abgetastet (Merkmal
3),
die gemessenen Istwerte an eine Auswerteeinheit 50 weitergegeben, und mittels
einer Steuereinheit 52 werden anhand von ermittelten Stellwerten Luftdüsen 26
zur Lage- und Transportkorrektur angesteuert. Wenngleich die Bildung einer
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Soll-Ist-Differenz nicht ausdrücklich erwähnt ist, liest der Fachmann eine solche
aus dem beschriebenen Zusammenhang ohne weiteres mit. Denn zur Ermittlung
der Stellwerte ist es zwingend notwendig, Soll- und Istlage des Bogens
miteinander zu vergleichen und also eine Soll-Ist-Differenz zugrundezulegen
(Merkmale 3.1, 4). Die Position und Orientierung des Bogens wird in Längs-,
Quer- und Vertikalrichtung ermittelt und gegebenenfalls verändert (Spalte 2,
Zeilen 8-27; Spalte 4, Zeilen 49-53; Spalte 5, Zeilen 41-44). Dies geschieht durch
Verändern der Luftströmung (Spalte 2, Zeilen 21-23) über die Ansteuerung der
Düsen.
Der Fachmann erkennt, dass die gemessenen Istwerte der Lage der Bogen die
direkte und unmittelbare Rückkopplung zu den durchgeführten Korrekturmaßnah-
men gestatten und die Grundlage zu schnellen Nachkorrekturen und damit zur
exakten Regelung bilden. Die oben geschilderten Nachteile der Vorrichtung nach
der DE 34 13 179 A1 können mit dieser Art der Regelung überwunden werden.
Der von der DE 34 13 179 A1 ausgehende und mit der Lösung der Aufgabe „Er-
höhung der Transportgenauigkeit mit einfachen Mitteln“ (vgl. streitpatentgemäße
Aufgabe) betraute Fachmann hat demnach Veranlassung, dieses aus der
US 5 634 636 A bekannte Prinzip der „in-situ-Messung“ am Bogen zu überneh-
men. Die in dieser Druckschrift angegebene Realisierung der Regelvorrichtung
und der Sensoren kann er dabei ohne Weiteres erkennbar unverändert beibehal-
ten.
Der Fachmann kommt durch die ihm auf diese Weise nahegelegte Verknüpfung
zu einer Vorrichtung, die ausgestattet ist mit den Merkmalen 1, 2, 2.1, 3, 3.1
und 4.
Die weiteren Merkmale 5 und 5' betreffen den Einsatzort des Sensors sowie den
Messbereich am Bogen (Merkmal 5' --> Oberseite des Bogenstapels).
Der Einsatz des Sensors zwischen Druckzylinder und Bogenübergabetrommel
(Merkmal 5) ergibt sich einfach folgerichtig aus der Tatsache, dass durch den
Richtungswechsel des Bogens bei seiner Übergabe Abweichungen von der Soll-
lage verursacht werden können, die einen einwandfreien Aufdruck verhindern und
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folglich korrigiert werden müssen. Es liegt hier eine - dem Fachmann bekannte -
kritische Stelle innerhalb der Transportbahn vor. Um das notwendige Ausmaß der
Nachkorrektur ermitteln zu können, muss die Abweichung vom Sollzustand be-
kannt sein. Die Anordnung des Sensors an dieser Stelle bietet sich nach Auffas-
sung des Senats dem Fachmann demnach durch einfach folgerichtige Überlegung
an.
Sinngemäß Gleiches gilt für die alternative Anordnung in einem Anleger mit Aus-
richtung des Sensors auf die Stapel-Oberseite (Merkmal 5'). Bei der Vereinzelung
wird Luft zwischen die Bogen geblasen, so dass die obersten Bogen - zumindest
bereichsweise - voneinander abgehoben sind. Dadurch ändert sich die Höhenlage
des jeweils obersten, abzuziehenden Bogens und dessen Abstand zu einer Be-
zugsfläche (z. B. die Stapeloberseite bei fehlender Blasluft und aufeinanderliegen-
den Bogen), wobei von dieser Höhenlage - gegebenenfalls unter Berücksichtigung
weiterer bekannter Parameter (z. B. Bogenzahl im Stapel, Bogendicke) - auf die
ordnungsgemäße Vereinzelung des Bogens geschlossen und die Blasluftrate ge-
gebenenfalls verändert werden kann. Die Zusammenhänge dazu sind dem Fach-
mann schon aus seiner Alltagsarbeit bekannt. Um die besagte Höhenlage des Bo-
gens festzustellen, bietet sich dann die Abstandsmessung zur Stapeloberseite an.
Die Merkmale 1.1 bis 1.3 beinhalten den Anwendungsbereich der Steuerung ent-
sprechend den Merkmalen 5 bzw. 5'. Es wird auf die diesbezüglichen obenste-
henden Ausführungen verwiesen, die hier sinngemäß gelten.
Aus alledem folgt, dass der Fachmann mit dem aus der DE 34 13 179 A1 und aus
der US 5 634 636 A Entnehmbaren in Verbindung mit dem für ihn typischen Kön-
nen zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 kommen konnte, ohne dass es einer
erfinderischen Tätigkeit bedurfte.
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Patentanspruch 1 kann somit keinen Bestand haben.
Mit dem Patentanspruch 1 fallen die auf ihn rückbezogenen Unteransprüche.
gez.
Unterschriften