Urteil des BPatG vom 10.05.2010

BPatG: schalter, patentanspruch, stand der technik, erfindung, abhängigkeit, einspruch, ausführung, patentfähigkeit, ergänzung, rückgriff

BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
20 W (pat) 336/06
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
10. Mai 2010
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 199 07 547
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hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Mai 2010 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Mayer, des
Richters Dipl.-Phys. Dr. Hartung, der Richterin Werner und des Richters
Dipl.-Ing. Gottstein
beschlossen:
Das Patent 199 07 547 wird widerrufen.
G r ü n d e
I.
Das Streitpatent wurde am 22. Februar 1999 angemeldet unter Inanspruchnahme
der inneren Priorität aus der Patentanmeldung beim Deutschen Patent- und Mar-
kenamt vom 17. März 1998, die beim Patentamt mit dem Aktenzei-
chen 198 11 440.0 geführt wurde. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat das
Streitpatent mit der Bezeichnung „Optoelektronische Vorrichtung“ erteilt. Es um-
fasst 16 Patentansprüche. Die Patenterteilung wurde am 9. März 2006 im Patent-
blatt veröffentlicht.
Gegen das Patent hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 26. Mai 2006 Ein-
spruch nach § 59 PatG erhoben.
Der Einspruch stützt sich auf den Einwand der mangelnden Patentfähigkeit,
§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG. Nach Auffassung der Einsprechenden ist der Gegenstand
des erteilten Patents nicht neu (§ 3 PatG) und beruht gegenüber dem Stand der
Technik auf keiner erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).
In der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 2010 hat die Patentinhaberin das
Streitpatent mit neuen Patentansprüchen 1 bis 16 verteidigt. Hilfsweise verteidigt
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sie das Streitpatent mit einem weiteren neuen Patentanspruch 1. Im Hinblick auf
die Gegenstände des jeweils nach Haupt- und Hilfsantrag verteidigten Patentan-
spruchs 1 wurde in der mündlichen Verhandlung u. a. auch die Möglichkeit einer
unzulässigen Erweiterung gegenüber der ursprünglichen Offenbarung erörtert,
§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG.
Die Einsprechende beantragt,
das Patent 199 07 547 zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt,
das Patent 199 07 547 beschränkt aufrechtzuerhalten im Umfang
der Patentansprüche 1 bis 16 aus der mündlichen Verhandlung
vom 10. Mai 2010;
hilfsweise:
das Patent 199 07 547 beschränkt aufrechtzuerhalten im Umfang
von Patentanspruch 1 aus der mündlichen Verhandlung vom
10. Mai 2010 in Verbindung mit Ansprüchen 2 bis 16 gemäß
Hauptantrag;
für Haupt- und Hilfsantrag sollen Beschreibung und Zeichnungen
aus der Patentschrift gelten.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
„1. Optoelektronische Vorrichtung zum Erfassen von Objekten in
einem Überwachungsbereich mit einem Sendelichtstrahlen emit-
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tierenden Sender und einem Empfangslichtstrahlen empfangen-
den Empfangselement, welches ein Nahelement und ein Fernele-
ment aufweist, wobei die vom Objekt reflektierten Empfangslicht-
strahlen mit zunehmendem Objektabstand zunächst auf das Nah-
element und dann auf das Fernelement treffen, und wobei in einer
Auswerteeinheit in Abhängigkeit der Empfangssignale an den
Ausgängen des Nah- und Fernelements ein binäres Schaltsignal
generiert wird, dadurch gekennzeichnet, dass das aus dem Nah-
element (5a) und dem Fernelement (5b) bestehende Empfangs-
element zunächst aus einer Anzahl von einzelnen Segmenten (6-
10) aufgebaut ist, die erst mittels der Auswerteeinheit (12) ausge-
wählt und aufgrund dieser Auswahl einesteils zum Nahelement
(5a) und der verbleibende Teil zum Fernelement (5b) zusammen-
geschaltet werden, wobei von der Auswerteeinheit (12) ein Steu-
ereingang (22) zu einem Additions- und Subtraktionsnetzwerk
führt, wobei über den Steuereingang (22) ein Schaltwerk (23) zur
Betätigung von Schaltern (s1 – s5) angesteuert wird, wobei mit
Hilfe der Schalter (s1 – s5) Empfangssignale verschiedener Seg-
mente kombiniert werden können.“
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet (Ergänzung gegenüber dem Haut-
antrag ):
„1. Optoelektronische Vorrichtung zum Erfassen von Objekten in
einem Überwachungsbereich mit einem Sendelichtstrahlen emit-
tierenden Sender und einem Empfangslichtstrahlen empfangen-
den Empfangselement, welches ein Nahelement und ein Fernele-
ment aufweist, wobei die vom Objekt reflektierten Empfangslicht-
strahlen mit zunehmendem Objektabstand zunächst auf das Nah-
element und dann auf das Fernelement treffen, und wobei in einer
Auswerteeinheit in Abhängigkeit der Empfangssignale an den
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Ausgängen des Nah- und Fernelements ein binäres Schaltsignal
generiert wird, dadurch gekennzeichnet, dass das aus dem Nah-
element (5a) und dem Fernelement (5b) bestehende Empfangs-
element zunächst aus einer Anzahl von einzelnen Segmenten (6-
10) aufgebaut ist, die erst mittels der Auswerteeinheit (12) ausge-
wählt und aufgrund dieser Auswahl einesteils zum Nahelement
(5a) und der verbleibende Teil zum Fernelement (5b) zusammen-
geschaltet werden, wobei von der Auswerteeinheit (12) ein Steu-
ereingang (22) zu einem Additions- und Subtraktionsnetzwerk
führt, wobei über den Steuereingang ein Schaltwerk (23) zur Betä-
tigung von Schaltern (s1 - s5) angesteuert wird, wobei mit Hilfe der
Schalter (s1 - s5) Empfangssignale verschiedener Segmente
kombiniert werden können,
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1.
Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig und führt zum Er-
folg, weil sowohl der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag wie
auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag über den Inhalt der
Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der die Anmeldung beim Deutschen
Patent- und Markenamt ursprünglich eingereicht worden ist, § 21 Abs. 1 Nr. 4
PatG.
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Zur Feststellung einer unzulässigen Erweiterung i. S. v. § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG ist
der Gegenstand des Streitpatents in seinen verteidigten Fassungen gemäß Haupt-
und Hilfsantrag mit dem Inhalt der ursprünglichen Anmeldeunterlagen zu verglei-
chen. Gegenstand des Streitpatents ist die durch die verteidigten Patentansprüche
bestimmte Lehre, zu deren Auslegung auch Beschreibung und Zeichnungen der
Streitpatentschrift mit heranzuziehen sind. Dagegen ergibt sich der Inhalt der Pa-
tentanmeldung aus der Gesamtheit der Unterlagen, die mit der Anmeldung ur-
sprünglich eingereicht worden sind. Dazu gehören neben den anfangs einge-
reichten Patentansprüchen auch die Kurzbezeichnung, die Beschreibung und die
Zeichnungen. Entscheidend ist, ob die ursprüngliche Offenbarung für den Fach-
mann erkennen ließ, dass der geänderte Lösungsvorschlag, wie er jetzt Gegens-
tand der nach Haupt- und Hilfsantrag verteidigten Patentansprüche ist, von vorn-
herein von dem Schutzbegehren mit umfasst werden sollte (BGH Urt. v. 21.9.1993
- X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204, 206 - Unzulässige Erweiterung; BGH Urt. v.
23.10.2007 - X ZR 104/06 Tz. 14). Der Gegenstand der Anmeldung kann zwar im
Erteilungsverfahren bei der Formulierung des Anspruchs anders gefasst werden.
Eine solche Änderung darf aber nicht zu einer Erweiterung des Gegenstandes der
Anmeldung führen (BGHZ 110, 123, 125 f. - Spleißkammer). Die verteidigten Pa-
tentansprüche dürfen nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ur-
sprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht zur Erfindung gehörend
erkennen ließ (BGH Urt. v. 5.7.2005 - X ZR 30/02, GRUR 2005, 1023, 1024 - Ein-
kaufswagen II). Eine unzulässige Erweiterung gegenüber der ursprünglichen Of-
fenbarung liegt insbesondere dann vor, wenn sich der Gegenstand des Patents in
seinen verteidigten Fassungen für den Fachmann erst aufgrund eigener, von sei-
nem Fachwissen getragener weitergehender Überlegungen ergab, nachdem er
die ursprünglichen Unterlagen zur Kenntnis genommen hatte (BGH Urt. v.
22.12.2009 - X ZR 27/06 - Hubgliedertor I, m. w. N.). Das ist sowohl bei Patentan-
spruch 1 des Streitpatents nach Hauptantrag als auch bei Patentanspruch 1 nach
Hilfsantrag der Fall.
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Fachmann für die Beurteilung der Frage nach der ursprünglichen Offenbarung des
Gegenstandes des Streitpatents in seinen geltenden Fassungen nach Haupt- und
Hilfsantrag ist ein Messtechniker oder auch ein Diplomingenieur der Fachrichtung
Elektrotechnik mit besonderer Erfahrung auf dem Gebiet der optischen Messtech-
nik und der dort angewandten elektronischen Verarbeitung der Mess-Signale und
der zugehörigen Auswertemethoden.
Im geltenden Patentanspruch 1 nach Hauptantrag wie auch nach Hilfsantrag sind
jeweils als wesentliche Merkmale beansprucht, dass das aus dem Nahelement
und dem Fernelement bestehende Empfangselement zunächst aus einer Anzahl
von einzelnen Segmenten aufgebaut ist, die erst mittels der Auswerteeinheit aus-
gewählt und aufgrund dieser Auswahl einesteils zum Nahelement und der verblei-
bende Teil zum Fernelement zusammengeschaltet werden, wobei über ein
Schaltwerk, das von der Auswerteeinheit angesteuert wird, verschiedene Schalter
betätigt werden, mit deren Hilfe verschiedene Segmente kombiniert werden kön-
nen (vgl. im Kennzeichen). In der Auswerteeinheit wird in Abhängigkeit der Emp-
fangssignale an den Ausgängen des Nah- und Fernelements ein binäres Schalt-
signal generiert wird (vgl. Oberbegriff).
Der Fachmann versteht dies dahingehend, dass das Empfangselement aus einer
Anzahl von einzelnen Segmenten aufgebaut ist. Die Auswerteeinheit wählt aus
diesem Empfangselement die Segmente aus, welche mit Hilfe von Schaltern zu-
sammengeschaltet werden, um das Nahelement zu bilden. Die restlichen Seg-
mente des Empfangselements als verbleibender Teil werden mit Hilfe von Schal-
tern zum Fernelement zusammengeschaltet. Eine Beschränkung dahingehend,
dass nur einzelne Segmente auswählbar sind, entnimmt der Fachmann nicht. Die
Schalter werden über ein Schaltwerk betätigt, das wiederum von der Auswerteein-
heit entsprechend der Auswahl angesteuert wird, d.h. die Auswerteeinheit legt mit
seiner Wahl jedes einzelne Segment fest und steuert entsprechend das Schalt-
werk an, das dann den entsprechenden Schalter betätigt. Das so gebildete Nah-
element und so gebildete Fernelement haben jeweils einen Signalausgang (= an
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den Ausgängen des Nah- und Fernelements), die Empfangssignale an die Aus-
werteeinheit liefern, die daraus ein binäres Signal erzeugt. Demnach werden also
stets alle Segmente des Empfangselements für die Erfassung von Objekten in ei-
nem Überwachungsbereich gleichzeitig genutzt. Die Signale aller Segmente wer-
den nach entsprechender Auswahl durch eine Auswerteeinheit zu zwei Gruppen
zusammengeschaltet, die einerseits den Nahbereich als Nahelement und ande-
rerseits den Fernbereich als Fernelement der Objekterfassung kennzeichnen. Je-
des Segments kann jedoch nur entweder zum Nahelement oder zum Fernelement
gehören. Das Nahelement und das Fernelement liefern als Ergebnis der Zusam-
menschaltung der einzelnen Segmente jeweils ein Empfangssignal, das der Aus-
werteeinheit zugeführt wird, d.h. der Auswerteeinheit werden gleichzeitig zwei
Signale, eines repräsentativ für den Nahbereich und eines repräsentativ für den
Fernbereich, zugeführt, damit daraus ein binäres Schaltsignal generiert werden
kann.
Eine optoelektronische Vorrichtung, die ein solcherart beanspruchtes (a) Aus-
wählen mittels der Auswerteeinheit, (b) Zusammenschalten von Segmenten des
Empfangselementes und (c) Erzeugen von Empfangssignalen an den Ausgängen
des Nah- und Fernelements zeigt, ist nach Überzeugung des Senats aber weder
Gegenstand der ursprünglichen Anspruchsfassung, noch kann der Fachmann eine
solche optoelektronische Vorrichtung im Wege der Auslegung der Beschreibung
und den Zeichnungen entnehmen, wie sie als Anmeldeunterlagen eingereicht
worden sind (BGH, GRUR 2007, 859 - 862 - Informations-Übermittlungsverfah-
ren I).
Die Patentinhaberin hat zwar in der mündlichen Verhandlung die Auffassung ver-
treten, dass in den Textabschnitten [0041] bis [0045] i. V. m. den Textabschnitten
[0033] und [0037] und in den Figuren 1 bis 5 in der Streitpatentschrift (vgl.
Spalte 3, Zeilen 5 bis 13, und Zeilen 33 bis 36, und Spalte 3, Zeile 56, bis
Spalte 4, Zeile 35 gemäß der Offenlegungsschrift DE 199 07 547 A1 identisch mit
den ursprünglich beim DPMA eingereichten Unterlagen Seite 5, Zeile 9 bis
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Seite 6, Zeile 3 und Seite 6 Zeile 24 bis Seite 7, Zeile 31; wegen der Text- und Fi-
gurenidentität wird im Folgenden jeweils auf die Streitpatentschrift verwiesen) die
beanspruchte optoelektronische Vorrichtung ursprünglich als zur Erfindung gehö-
rend offenbart sei.
Dem ist der Senat nicht gefolgt.
Die zum Nachweis der Offenbarung herangezogenen Textstellen mit den dazuge-
hörigen Figuren geben für eine Ausführungsform (vgl. Figur 3) im Hinblick auf die
Segmente 6 bis 10 des Empfangselements 5, das Nahelement 5a und das Fern-
element 5b an, dass die durch Verstärker 16 verstärkten Ausgangssignale der
Empfangselemente durch die Auswerteeinheit 12 logisch verknüpft werden und
dass durch eine Änderung dieser logischen Verknüpfung ein unterschiedlicher
Nah- und Fernbereich definiert werden kann (vgl. die Figuren 1 bis 3 und die Text-
abschnitte [0033] und [0037] der Streitpatentschrift). Bei dieser Ausführungsform
werden also alle Ausgangssignale der Empfangselemente direkt der Auswerteein-
heit 12 zugeführt (vgl. die 5 Pfeile zwischen dem Empfangselement 5 und der
Auswerteeinheit 12 in Figur 3); es findet also kein Auswählen von Empfangsele-
menten durch die Auswerteeinheit 12 und kein Verschalten unter Verwendung von
Schaltern, die über ein Schaltwerk betätigt werden, das wiederum von der Aus-
werteeinheit angesteuert wird, im Sinne des Gegenstandes des Patentan-
spruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag statt.
Bei der weiteren Ausführung des Empfangselements gemäß den Figuren 4 und 5
und den Textabschnitten [0041] bis [0045] der Streitpatentsschrift können mit Hilfe
der Schalter s1 bis s5 die Empfangssignale verschiedener Segmente 6 bis 10
kombiniert werden [0042]. Von der Auswerteeinheit 12 führt ein Steuereingang 22
zu einem Additions- und Subtraktionsnetzwerk. Über diesen Steuereingang 22
wird das Schaltwerk 23 zur Betätigung der Schalter s1 bis s5 angesteuert. Auf
diese Weise wird wiederum über die Auswerteeinheit 12 die logische Verknüpfung
der Ausgangssignale der Segmente 6 bis 10 vorgegeben (2. Teil von [0045]). Die
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an dem Differenzsignal-Ausgang 20 und dem Summensignal-Ausgang 21 des
Empfangselements 5 anstehenden Signale werden zur weiteren Auswertung in die
Auswerteeinheit 12 eingelesen (1. Teil von [0045]). Im ursprünglichen Anspruch 1
(vgl. auch [0015]) ist deshalb auch angegeben, dass eine vorgebbare Anzahl der
Segmente (7 bis 10) zum Nahelement (5a) und eine vorgebbare Anzahl der übri-
gen Segmente (6 bis 8) zum Fernelement verknüpfbar sind.
Eine Aufnahme weiterer Merkmale aus der Beschreibung in den Patentanspruch
ist grundsätzlich zulässig. Auch ist es nicht erforderlich, sämtliche Merkmale eines
Ausführungsbeispiels in den Anspruch aufzunehmen, wenn der Gegenstand des
Patentanspruchs unter Rückgriff auf ein Ausführungsbeispiel der Erfindung be-
schränkt wird (BGH Urt. v. 16.09.2008 - X ZR 49/04 - Dok.-Nr. 45563 (Eisenbahn-
rad), m. w. N.). In jedem Fall dürfen diese Merkmale aber nicht aus dem Gesamt-
zusammenhang gerissen werden, so dass sie in ihrer Kombination eine Ausfüh-
rungsform definieren, die in den Anmeldeunterlagen nicht als mögliche Ausges-
taltung der Erfindung offenbart ist (BGH Urt. v. 14.05.2009 – Xa ZR 148/05 - Hei-
zer).
Der Fachmann entnimmt aber dem Ausführungsbeispiel, wie es sich insbesondere
aus den Absätzen [0041] bis [0045] in Verbindung mit der in Figur 4 gezeigten
Schaltung innerhalb des Empfangselements 5 und der in Figur 5 gezeigten Wahr-
heitstabelle zur Tastweitenumschaltung ergibt, dass das Empfangselement 5 zu-
nächst aus den einzelnen Segmenten 6 bis 10 aufgebaut ist. Die Signale der
Segmente 9 und 10 werden stets dem Summierer 17 zugeführt. Eine Auswahl
dieser Segmente durch Schalter bzw. durch die Auswerteeinheit 12 kann hier im
Gegensatz zur anspruchsgemäßen Vorrichtung nie erfolgen. Über Schalter s1 bis
s5 sind nur ein Teil der Segmente, nämlich die mit Bezugszeichen 6 bis 8, aus-
wählbar. Wenn die Schalter s1 bis s5 geöffnet sind, liegt am Ausgang 21 des
Empfangselements 5 nur das Summensignal der Segmente 9 und 10 als Nahele-
ment an. Im Gegensatz zur anspruchsgemäßen optoelektronischen Vorrichtung,
werden die Signale des verbleibenden Teils der Segmente nicht zu einem Fern-
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element zusammengeschaltet. Somit gibt es in dieser Schaltung auch keinen zu-
sätzlichen Signalausgang für das Fernelement und somit auch kein entsprechen-
des Signal, das an die Auswerteeinheit zusätzlich zum Signal des Nahelements
für die weitere Auswertung übergeben wird. Es wird lediglich das Summensignal
der Segmente 9 und 10, die hierdurch das Nahelement bilden, über den weiteren
Summierer 18 und den Subtrahierer 19 (wobei keine weiteren Signale verarbeitet
werden) an die Auswerteeinheit über die Ausgänge 21 und 22 übergeben. Auch
wenn eine beliebige Kombination der Schalter s1 bis s5 auf „ein“ gestellt wird,
werden insbesondere nie die Segmente 6 bis 10 des Empfangselements 5 auf-
grund einer Auswahl einesteils zum Nahelement und der verbleibende Teil zum
Fernelement zusammengeschaltet; es wird auch nicht in der Auswerteeinheit 12 in
Abhängigkeit der Empfangssignale an den Ausgängen des Nah- und Fernele-
ments ein binäres Schaltsignal generiert, wie es im einzelnen im Patentanspruch 1
nach Haupt- und Hilfsantrag gefordert wird.
Vielmehr können die Signale der Segmente 6 bis 8, wenn die Schalter s5 bis s3
auf „ein“ geschaltet sind, als Fernsignal (Fernelement) zusammengeschaltet wer-
den, die Signale der beiden Segmente 9 und 10 werden für den Nahbereich zu-
sammengefasst, die Signale der Segmente 7 und 8 können zusätzlich zu ihrer Zu-
ordnung zum Fernelement mit Hilfe der Schalter s1 und s2 über den Summierer
17 auch zum Nahelement zugeordnet werden und durch Differenzbildung von
Nah- und Fernsignal im Subtrahierer 19 entsteht das am Differenzsignal-Ausgang
20 entstehende Differenzsignal, von dem der Schaltzustand des Sensors abge-
leitet wird [0043].
Im übrigen ergibt sich für den Fachmann aus der Beschreibung und den Figuren
nicht zwingend, dass die Auswerteeinheit 12 die einzelnen Segmente 6 bis 8 aus-
wählt. Denn nach Absatz [0043] werden zwar die Segmente 6 bis 8 zur Erzeugung
des Fernsignals ausgewählt, nach der Figur 4 erfolgt dies jedoch über die Schalter
s3 bis s5. Nach Absatz [0045] werden die Schalter s1 bis s5 vom Schaltwerk 23
betätigt. Das Schaltwerk 23 wiederum wird von der Auswerteeinheit 12 angesteu-
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ert. Für den Fachmann ergibt sich hieraus nicht zwingend, dass die Auswahl der
Schalter und somit der Segmente durch die Auswerteeinheit erfolgt, wie im Pa-
tentanspruch 1 nach Haupt- und Hilfsantrag gefordert. Denn der Fachmann kann
sich auf Grund seines Fachwissens auch vorstellen, dass das Schaltwerk 23
selbst die Auswahl der Schalter s1 bis s5 vornimmt, z. B. dadurch, dass dort spe-
zielle Schalterkombinationen s1 bis s5 gespeichert sind, etwa die drei Schalter-
kombinationen nach der Tabelle der Figur 5. Die Auswerteeinheit 12 müsste dann
über den Steuereingang 22 das Schaltwerk 23 nur in der Weise ansteuern, dass
dort die jeweils nächste Schalterkombination eingestellt wird. Denn sonst erscheint
das Schaltwerk 23 als eigenständiges Bauelement nutzlos, da die Auswerteeinheit
12 als Prozessor [0045] die Schalter s1 bis s5 auch direkt, also ohne Zwischen-
schaltung des Schaltwerks 23 ansprechen könnte.
Zwar kann im Zuge einer Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch
eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, auch dasjenige offenbart
sein, was im Patentanspruch und in der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt
ist, aus der Sicht des Fachmanns jedoch für die Ausführung der unter Schutz ge-
stellten Lehre selbstverständlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung
bedarf, sondern "mitgelesen" wird. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem
erlaubt jedoch keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern
dient, nicht anders als die Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, ledig-
lich der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, d. h. derjenigen technischen In-
formation, die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines
Fachwissens entnimmt (BGHZ 179, 168-186 - Olanzapin). Nachdem der für die
Beurteilung der Neuheit einer Erfindung einschlägige Offenbarungsbegriff kein an-
derer ist, als er auch sonst im Patentrecht zugrunde gelegt wird, ist dieser Offen-
barungsbegriff auch der Beurteilung des Gehalts der ursprünglich eingereichten
Unterlagen zugrunde zu legen in Hinblick darauf, was der Fachmann diesen Un-
terlagen als zur Erfindung gehörend entnehmen kann.
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Im Lichte des so zu verstehenden Offenbarungsbegriffs erfolgt ein Auswählen der
Segmente des Empfangselementes gemäß dem Offenbarungsgehalt des Streit-
patents nicht zwingend durch die Auswerteeinheit 12; denn für den Fachmann
sind auch andere Bauelemente denkbar (vgl. oben), die die notwendige „Auswahl“
festlegen. Der Fachmann kann somit die im Patentanspruch 1 nach Haupt- und
Hilfsantrag festgelegte Auswahl der Segmente durch die Auswerteeinheit unter
Berücksichtigung der ursprünglich eingereichten Unterlagen auch nicht als selbst-
verständlich für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre mit einbeziehen
oder mitlesen. Denn die optische Vorrichtung, wie sie sich aus dem Patentan-
spruch 1 des Haupt- bzw. Hilfsantrags bzgl. der Auswahl der Segmente durch die
Auswerteeinheit ergibt, wäre gegenüber der, wie sie sich aus den ursprünglichen
Unterlagen ergibt, neu.
Die in den Figuren 6 und 7 und den zugehörigen Beschreibungsteilen aufgezeig-
ten sonstigen Ausführungsbeispiele gehen über den vorstehend dargestellten Of-
fenbarungsgehalt nicht hinaus.
Die optoelektronische Vorrichtung des geltenden Patentanspruchs 1 nach Haupt-
und Hilfsantrag geht somit über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinaus,
in der die Anmeldung beim Deutschen Patent- und Markenamt ursprünglich einge-
reicht worden ist.
2.
Ob der im Einspruch geltend gemachte Widerrufsgrund der mangelnden
Patentfähigkeit vorliegt, kann folglich dahingestellt bleiben.
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3.
Da die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang der
vorliegenden Anspruchssätze nach Haupt- und Hilfsantrag begehrt und der Pa-
tentanspruch 1 nach Hauptantrag wie auch nach Hilfsantrag sich als nicht rechts-
beständig erweist, ist das Patent im vollem Umfang zu widerrufen (BGH
GRUR 2007, 862-865 - Informationsübermittlungsverfahren II).
Dr. Mayer
Dr. Hartung
Werner
Gottstein
prö