Urteil des BPatG vom 10.07.2003
BPatG: stand der technik, zustellung, erfindung, neuheit, fig, patentanspruch, zustand, stillstand, sicherheitsleistung, anschlag
BPatG 253
9.72
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
2 Ni 24/02 (EU)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
10. Juli 2003
…
In der Patentnichtigkeitssache
…
- 2 -
betreffend das europäische Patent 0 322 637
(= DE 38 65 655)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2003 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Meinhardt sowie der Richter Dipl.-Ing. Dr. Henkel, Gutermuth,
Dipl.-Phys. Ph.D./M.I.T. Cambridge Skribanowitz und Dipl.-Ing. Harrer
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreck-
bar.
Tatbestand:
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 14. Dezember 1988 unter Inan-
spruchnahme der Priorität der schweizerischen Patentanmeldung CH-5056/87
vom 24. Dezember 1987 angemeldeten, mit Wirkung auch für die Bundesrepublik
Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 322 637 (Streitpatent), das ein
Verfahren zum Schleifen der Garnituren einer Karde und eine Vorrichtung zu des-
sen Durchführung betrifft und vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der
Nummer DE 38 65 655 geführt wird. Das Patent umfasst 15 Patentansprüche, wo-
von die Ansprüche 3-15 dem Anspruch 2 untergeordnet sind.
Anspruch 1 lautet:
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„Verfahren zum Schleifen der Garnituren einer Karde, welche Ele-
mente, wie Briseur (11), Tambour (12), Wanderdeckelkette (13) und
Abnehmer (15), umfasst und jedes dieser Elemente (11, 12, 13, 15)
eine durch Zähne gebildete Garnitur (16, 17, 18, 19) besitzt und
mindestens eines dieser Elemente (11, 12, 13, 15) mit dem
Schleifmaterial (22, 41) eines Schleifmittels (32, 48, 49) zusam-
menwirkt und das Schleifmaterial (22, 41) elastisch gegen die
Zähne der Garnitur (16, 17, 18, 19) hin vorgespannt wird, dadurch
gekennzeichnet, dass mindestens bei einem Element (11, 12, 13,
15) das Schleifen während des Betriebs der Karde dauernd durch
einen, durch die betriebsbedingte Bewegung des Elements (12)
bewirkten Schleifvorgang erfolgt und der Schleifbereich (31) des
Schleifmaterials (22, 41) in einer elastisch vorgespannten Position
in drei Bewegungsfreiheitsgraden beweglich ist, d.h. Bewegungen
in drei zueinander senkrechten Richtungen zulässt, und sich da-
durch der Form der durch die Zahnspitzen definierten Mantelfläche
dauernd anpasst.“
Anspruch 2 lautet:
„Schleifvorrichtung zum Durchführen des Verfahrens nach An-
spruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Schleifmittel (32, 48,
49) mindestens dieses einen Elements (11, 12, 13, 15) zum Aus-
führen des während des Betriebs der Karde stattfindenden Schleif-
vorgangs, einen das Schleifmaterial (22, 41) tragenden Träger (23,
37, 42) umfasst und ein eine Vorspannung erzeugendes Mittel (30,
38, 47) vorgesehen ist zum Zweck, das Schleifmaterial (22, 41) in
einer vorgegebenen Position vorzuspannen, in welcher der Träger
(23, 37, 42) für das Schleifmaterial (22, 41) drei Bewegungsfrei-
heitsgrade zulässt.“
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Wegen der weiteren Patentansprüche wird auf die Patentschrift Bezug genom-
men.
Mit ihrer auf die Ansprüche 1 bis 3 und 5 gerichteten Teilnichtigkeitsklage macht
die Klägerin geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei im angegriffenen Um-
fang gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Er sei nicht neu, beruhe
aber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Sie beruft sich hierzu auf die vorveröffentlichte Patentschrift DE 516 224.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 0 322 637 mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprü-
che 1 bis 3 und 5 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit Patentanspruch 2 in der in der Ver-
handlung übergebenen Fassung, an den sich die angegriffenen Patentansprüche
3 und 5 anschließen sollen (vgl Anl. zum Protokoll).
Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das
Streitpatent für bestandsfähig.
Entscheidungsgründe:
Die Klage, mit der der in Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Ab-
satz 1 lit a EPÜ iVm Artikel 54 Absatz 1, 2 und Artikel 56 EPÜ vorgesehene Nich-
tigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, ist zulässig,
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jedoch nicht begründet. Neuheit kann dem Gegenstand des Streitpatents nicht
abgesprochen werden. Die Klägerin konnte den Senat auch nicht davon überzeu-
gen, dass der Durchschnittsfachmann, hier ein ein Fachhochschulingenieur für
Maschinenbau mit einschlägigen Kenntnissen und Erfahrungen in der Konstruk-
tion und Anwendung von Schleifmaschinen, insbesondere zum Schleifen von Kar-
den in Spinnereien, die in Patentanspruch 1 beanspruchte Lehre in naheliegender
Weise aus dem Stand der Technik unter Einsatz seiner fachlichen Fähigkeiten
auffinden konnte. Dies geht zu Lasten der Klägerin. Die durch die ordnungsge-
mäße Patenterteilung erlangte Rechtsstellung kann der Patentinhaberin nur dann
wieder genommen werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass sie diese zu Unrecht
erlangt hat (BGH GRUR 91, 522 ff mwN), was vorliegend nicht der Fall ist.
I.
Das Streitpatent betrifft das Schleifen der Garnituren einer Karde, wobei bei be-
kannten Kardenschleifvorrichtungen das Schleifmittel zum Schleifen elastisch ge-
gen die Kardenwalze gedrückt und längs dieser hin- und herbewegt wird. Nachtei-
lig ist dabei, dass eine Abweichung der Achse der Schleifeinrichtung von der Wal-
zenachse ungleichlange Zähne, eine nicht zylindrische Mantelfläche und somit
eine schlechte Vliesqualität ergibt. Wenn das Schleifen nicht dauernd während
des Betriebs erfolgt, ergibt sich außerdem ein großer Qualitätsunterschied der
Vliesbildung vor und nach dem Schleifen.
eine Vorrichtung zum Schleifen von Kardengarnituren zu schaffen, welche eine
genaue Einstellung der Achse der Schleifvorrichtung nicht erforderlich macht und
somit mit einem geringen Einstellungsaufwand das Schleifen kostengünstig und
mit besonders guter Qualität des in der Karde gebildeten Vlieses ermöglicht. Au-
ßerdem sollen lange Laufzeiten der Karde bei eben dieser gleichbleibenden Qua-
lität des Vlieses ermöglicht werden.
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Diese Aufgabe soll ausgehend vom bekannten Kardenschleifen gemäß den An-
sprüchen 1 und 2 mit einem in einer elastisch vorgespannten Position in drei Be-
wegungsfreiheitsgraden beweglichen Schleifmittel gelöst werden, das während
des Betriebs der Karde durch ihre betriebsbedingte Bewegung die Zähne der Gar-
nitur dauernd schleift. Dabei ist gemäß der Beschreibung iVm den Figuren die
eine Bewegungsrichtung die durch die elastische Vorspannung bewirkte Zustel-
lung des Schleifmittels zur Walzenoberfläche hin (z-Achse), die andere Bewe-
gungsrichtung die Schwenkbewegung um eine Kippachse parallel zur Walzen-
drehachse (x-Achse) und die dritte Bewegungsrichtung die weitere Schwenkbe-
wegung um eine Kippachse senkrecht und versetzt zur Walzendrehachse (y-
Achse), wobei die beiden Schwenkbewegungen ebenfalls unter elastischer Vor-
spannung erfolgen. Diese erfolgt beim Ausführungsbeispiel nach Fig. 2 durch die
Feder 30, beim Ausführungsbeispiel nach Fig. 4 durch den Druckschlauch 38 und
beim Ausführungsbeispiel nach Fig. 4 und 5 durch den Druckschlauch 47.
II.
Der Patentgegenstand ist patentfähig. Die Klägerin konnte den Senat nicht davon
überzeugen, dass das Verfahren nach Anspruch 1 und der Gegenstand des An-
spruchs 2 nicht neu sind und nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.
Von der in der DE-PS 516 224 (K2) beschriebenen Vorrichtung zum Schärfen und
Geraderichten der Zähne an Krempelkardenbelägen unterscheidet sich der Pa-
tentgegenstand nach den Ansprüchen 1 und 2 schon dadurch, dass die Zähne
während des Betriebs der Karde dauernd geschliffen werden, wogegen darüber
der K2 nichts zu entnehmen ist. Im Gegenteil ist in S 3, Z 66-83 der K2 die Wir-
kungsweise der Vorrichtung so beschrieben, dass aufgrund der konstruktiven An-
ordnung der Schleifvorrichtung diese für den Schleifvorgang erst zugestellt wird
und „alsdann die Schraube 28 (für den axialen Vorschub der Schleifvorrichtung)
und die Trommel der Krempel zur Drehung gebracht werden“, was wegen der im-
mer wieder erforderlichen Zustellung auf einen intermittierenden Schleifbetrieb in
Kardenbetriebspausen, aber nicht auf einen dauernden Betrieb der Schleifvor-
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richtung während der Kardenarbeit hinweist. Darauf deutet auch das in mehreren
Durchgängen erfolgende Schleifen hin, das nur so lange andauert, „bis nach dem
fertigen Schärfen das Werkzeug nicht mehr aus seiner Stützlage an den Anschlä-
gen zurückspringt“, vgl S 4, Z 15-20.
Auch aus der in der Beschreibungseinleitung abgehandelten spanischen Patent-
schrift Nr. 250111 ist kein Hinweis auf einen dauernden Schleifvorgang während
des Betriebes der Karde zu entnehmen. Abgesehen davon weist dieses bekannte
Schleifmittel keine drei Bewegungsfreiheitsgrade auf, weil es starr auf seinem
Träger befestigt ist und sich lediglich längs der Drehachse des sich drehenden
Kardenzylinders bewegt.
Aufgrund dieser Unterschiede ist die Neuheit der Gegenstände der Ansprüche 1
und 2 gegeben.
Die DE-PS 516 224 (K2) betrifft zwar eine Kardenschleifeinrichtung mit einem -
wie beim Patentgegenstand - in drei zueinander senkrechten Richtungen bewegli-
chen, über die Blattfedern 6 vorgespannten Schleifwerkzeug. Dabei ist eine Be-
wegungsrichtung die Zustellung des Schleifwerkzeugs (1, 2, 3) zur Walzenoberflä-
che hin (z-Achse), eine andere Bewegungsrichtung die Schwenkbewegung um
eine Kippachse (durch den Befestigungsort der Blattfedern 6 beim Querstab 7
oder einen Schneidenanschlag 5') parallel zur Walzendrehachse (x-Achse) und
eine dritte Bewegungsrichtung die weitere - soweit es die Blattfedern 6 zulassen -
Schwenkbewegung um eine Kippachse senkrecht und versetzt zur Walzendreh-
achse (y-Achse), vgl. Abb. 1, 3 und 5 iVm S 2, Z 25-39 und S 4, Z 8-15. Aber ein
grundlegender Unterschied dieser bekannten Schleifvorrichtung gegenüber dem
Streitgegenstand liegt aber darin, dass nach der K2 die Beweglichkeit in der Zu-
stellrichtung des Schleifwerkzeugs (1, 2, 3) zur Walzenoberfläche hin (z-Achse)
nicht frei wie beim Patentgegenstand ist, sondern durch Anschläge 5’ beschränkt
wird, was ein "Schwimmen" des Schleifwerkzeuges auf den Zahnspitzen begrenzt.
Durch diese Begrenzung in Richtung der z-Achse kann sich der Schleifkörper
nicht völlig der von den Zahnspitzen gebildeten Kontur der Walzenoberfläche an-
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passen, so dass die kürzeren Zähne, die wegen der Anschläge 5’ vom Schleif-
werkzeug nicht erfasst werden, nicht geschliffen werden. Diejenigen Zähne, die
eine Länge aufweisen, die vom an den Anschlägen 5’ anliegenden Schleifmittel
erfasst wird, werden geschliffen oder heben bei erhöhtem Widerstand das gefe-
derte Schleifmittel von den Anschlägen 5’ solange ab, bis durch wiederholte
Schleifvorgänge auch sie nicht mehr über die Kontur der Garnitur überstehen,
womit nach der K2 das Schärfen der Zähne fertig ist, S 4, Z 8-31.
Ziel der Schleifvorrichtung nach der K2 ist demnach eine gleichmäßige Mantelflä-
chen-Kontur der Garnitur ohne überstehende Zähne, wobei in Kauf genommen
wird, dass eventuell ungeschliffene kürzere Zähne verbleiben, weil sie wegen der
Begrenzung der freien Bewegung des Schleifwerkzeugs in z-Richtung von vorn-
herein zu kurz waren, oder insgesamt ungeschliffene Zähne vorhanden sind, weil
nach fertigem Schärfen (S 4, Z 18) erst eine Zustellung der Anschläge 5’ ein er-
neutes Schleifen der weiterhin im Betrieb befindlichen Zähne ermöglicht. Eine er-
neute Einstellung behindert aber - wie zur Neuheit des Patentgegenstandes ge-
genüber der K2 bereits ausgeführt - ein erfindungsgemäßes dauerndes Schleifen
während des Betriebs der Karde, weil dies nach K2 nicht bei laufenden Walzen
der Karde erfolgt. Zwar ist nach S 4, Z 44-58 der K2 eine Besichtigung des
Schleifwerkzeugs 3 während des Schleifvorganges möglich, was aber nichts über
den Zustand der Zahnspitzen aussagt. Erst eine – den Stillstand der Karde vor-
aussetzende – Besichtigung der Zahnspitzen und die sich daraus ggf. ergebende
Forderung nach einem erneuten Schleifen der Garnitur wird zu einer Neujustie-
rung der Anschläge des Schleifwerkzeuges führen, was dem erfindungsgemäßen
dauerndem, auf den Zahnspitzen frei schwimmenden Schleifen während des Be-
triebs der Karde und somit der Qualität des zu erzeugenden Vlieses entgegen-
steht.
Daher gibt die bekannte Vorrichtung nach der K2 dem Fachmann keine Veranlas-
sung sie näher in Betracht zu ziehen, da er mit der Erfindung eine Schleifvorrich-
tung schafft, mit der alle Zähne, sowohl kürzere als auch längere, der Kontur der
Garnitur folgend – auch wenn es sich um eine Delle handelt - während des Be-
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triebs dauernd geschliffen werden. Anders als bei der Vorrichtung nach der K2 ist
demnach das Ziel der Erfindung, ständig alle Zähne im geschliffenen Zustand zur
Verfügung zu stellen, auch wenn die Mantelfläche von der idealen Zylinderform
abweicht. Ermöglicht wird dies erfindungsgemäß mit den Merkmalen der Ansprü-
che 1 bzw. 2, wonach das Schleifmittel in drei Bewegungsfreiheitsgraden beweg-
lich ist, wobei der Schleifvorgang während des Betriebs dauernd erfolgt und ins-
besondere in Richtung auf die Walzenoberfläche hin (z-Achse) kein Anschlag das
Schleifen auch kürzerer Zähne verhindert. Damit wird aufgabengemäß eine gute
Qualität des in der Karde gebildeten Vlieses ermöglicht. Der Senat konnte sich
nicht davon überzeugen, dass der Weg zu dieser Lösung - sowohl nach dem
Verfahren nach Anspruch 1 als auch gemäß der Vorrichtung nach Anspruch 2 –
keine erfinderische Tätigkeit erforderte.
Da die Schleifvorrichtung nach der spanischen Patentschrift Nr. 250111 noch
weiter abliegt, gibt sie dem Fachmann keine zum Patentgegenstand führenden
Hinweise. Insbesondere weist die daraus bekannte Schleifvorrichtung keine drei
Bewegungsfreiheitsgrade auf, weil das Schleifmittel zwar in z-Richtung anstellbar,
aber ansonsten starr auf seinem Träger befestigt ist.
Aus diesen Gründen haben die nebengeordneten Ansprüche 1 und 2 Bestand.
Die angegriffenen Unteransprüche 3 und 5, die Ausgestaltungen der Erfindung
nach Patentanspruch 2 enthalten, werden vom beständigen Hauptanspruch getra-
gen, ohne dass es hierzu weiterer Feststellungen bedurfte (BPatGE 34, 215). Da-
her kann dahinstehen, ob die Ansprüche 3 und 5 die von der Beklagten vorgetra-
gene eigenständige erfinderische Qualität aufweisen.
Da das Patent in seiner erteilten Fassung Bestand hat, erübrigt sich das Eingehen
auf den Hilfsantrag.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO,
der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709
ZPO.
Meinhardt Dr.
Henkel
Gutermuth
Skribanowitz
Harrer
Pr