Urteil des BPatG vom 15.02.2010
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BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
19 W (pat) 59/06
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
15. Februar 2010
…
der Geschäftsstelle
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
…
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betreffend das Patent 195 03 511
hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 15. Februar 2010 unter Mitwirkung des Vorsit-
zenden Richters Dipl.-Ing. Bertl, der Richterin Pagenberg und der Richter
Dr.-Ing. Kaminski und Dr.-Ing. Scholz
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Patentinhaberinnen wird der Beschluss
der Patentabteilung 32 des Deutschen Patent- und Markenamts
vom 28. Juni 2006 aufgehoben, und das Patent 195 03 511 wird
mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
Patentansprüche 1 bis 6, überreicht in der mündlichen
Verhandlung,
Beschreibung Spalte 1 bis Spalte 3, Zeile 13 mit
Einfügungen,
überreicht
in
der
mündlichen
Verhandlung, und
2 Seiten Zeichnungen, Figuren 1 bis 6 gemäß
Patentschrift.
G r ü n d e
I.
Das Deutsche Patent- und Markenamt – Patentabteilung 1.32 - hat das Patent mit
dem Anmeldetag 3. Februar 1995 und der Bezeichnung "Synchron-Linearmotor"
auf den Einspruch vom 27. März 2001 durch Beschluss vom 28. Juni 2006 mit der
Begründung widerrufen, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber
dem Stand der Technik nicht erfinderisch sei.
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Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberinnen.
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Die Patentinhaberinnen haben in der mündlichen Verhandlung einen neuen
Patentanspruch 1 mit zugehörigen Unteransprüchen 2 bis 6 eingereicht.
Die Beschwerdeführer- und Patentinhaberinnen stellen den Antrag,
den Beschluss der Patentabteilung 32 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 28. Juni 2006 aufzuheben und das Pa-
tent 195 03 511 auf der Grundlage folgender Unterlagen.
Patentansprüche 1 bis 6, überreicht in der mündlichen Verhand-
lung,
Beschreibung Spalte 1 bis Spalte 3, Zeile 13 mit Einfügungen,
überreicht in der mündlichen Verhandlung,
und 2 Seiten Zeichnungen, Figuren 1 bis 6 gemäß Patentschrift
beschränkt aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdegegnerin und Einsprechende beantragt,
die Beschwerde der Patentinhaberinnen zurückzuweisen.
Die Einsprechende ist der Meinung, dass das Patent, soweit es über den nachge-
wiesenen Stand der Technik hinausgeht, nur Fachmännisches und Triviales ent-
hält, das dem Patenschutz nicht zugänglich ist.
Die Patentinhaberinnen treten den Ausführungen der Einsprechenden in allen
Punkten entgegen und halten das Streitpatent in der beantragten Fassung für pa-
tentfähig.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
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II.
Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat Erfolg, soweit das Streit-
patent über die beantragte Fassung hinausgeht.
1.
Das Patent betrifft einen Synchron-Linearmotor mit einem Sekundärteil, das
aus einer langgestreckten, ferromagnetischen Trägerplatte besteht, auf der Per-
manentmagnete festgeklebt sind. Bei Synchron-Linearmotoren dieser Art besteht
der Patentschrift zufolge das Problem, dass sich die in alternierender magneti-
scher Nord-Südpolung anzuordnenden Permanentmagnete während des Klebe-
vorganges infolge der Einwirkung der gegenseitigen magnetischen Kräfte fortbe-
wegen und nicht auf den vorgesehenen Positionen fixieren lassen. Die Patent-
schrift führt dazu aus, dass deshalb die Magnete in der Regel im unmagnetisierten
Zustand auf die Trägerplatte aufgebracht und erst nach erfolgter Montage auf-
magnetisiert werden (Sp. 1, Abs. 2 der Patentschrift).
Hieraus ergibt sich die Aufgabe, fertig aufmagnetisierte Permanentmagnete mit
geringem Bauaufwand und mit hoher Präzision am Sekundärteil bzw. an der Trä-
gerplatte zu befestigen (Sp. 1, Z. 29 bis 32).
Zur Lösung dieser Aufgabe werden gemäß dem geltenden Anspruch 1 Einzelrah-
men auf der Trägerplatte fixiert und aneinander zentriert, die dann ihrerseits die
Permanentmagnete in ihrer Position halten.
Der geltende Anspruch 1
(
mit einer für diesen Beschluss eingefügten Gliederung)
beschreibt das wie folgt:
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Synchron-Linearmotor
a)
mit einem mit einer Wicklung versehenen Primärteil
b)
und einem Sekundärteil,
c)
das aus einer langgestreckten ferromagnetischen Trägerplatte
besteht,
d)
auf der jeweils einen Parallelspalt zueinander einschließende,
Permanentmagnete
d1)
festgeklebt sind,
dadurch gekennzeichnet,
e)
dass zwischen den fertig aufmagnetisierten Permanentmag-
neten (4) dem Polteilungsrastermaß des Synchron-Linear-
motors entsprechende, an der Trägerplatte (1) fixierte Quer-
sprossen (2,14,15)
e1) aus unmagnetischem Material angeordnet sind
f)
und dass die Distanzelemente aus jeweils einen oder meh-
rere Permanentmagnete einschließenden einstückigen Ein-
zelrahmen (13) bestehen,
f1)
wobei an der Außenseite der Kontaktseiten (14,15) eines je-
den Einzelrahmens (13) keilförmige Nasen (16) angeordnet
sind, die in entsprechend keilförmig ausgebildete Abschrä-
gungen (17) des benachbarten Einzelrahmens eingreifen,
- 7 -
2.
Für diesen Sachverhalt ist der sieht der Senat einen
Diplomingenieur (FH) der Fachrichtung Elektrische Energietechnik mit
Erfahrung in der Entwicklung von Elektromotoren, insbesondere
Linearmotoren als Fachmann.
3.
Die Ansprüche 1 bis 6 sind ursprünglich offenbart und zulässig.
Der gültige Anspruch 1 setzt sich aus den erteilten Ansprüchen 1, 7 und 8 zu-
sammen, die den ursprünglichen Ansprüchen 1, 3, 8 und 10 entsprechen. Die ur-
sprünglichen Ansprüche 3 und 8 gehörten zu unterschiedlichen Ausführungsfor-
men. Der ursprüngliche Anspruch 1 hatte allgemein Distanzelemente zum Ge-
genstand, die nach Anspruch 2 als Stifte nach Anspruch 3 (Fig. 1, 2) als Quer-
sprossen und nach Anspruch 8 (Fig. 3, 4) als Einzelrahmen ausgebildet wurden,
wobei die Quersprossen funktionell den Kontaktseiten der Einzelrahmen entspre-
chen. Der erteilte Anspruch 1 bezog sich nur noch auf die Quersprossen, wobei
der Begriff „Distanzelemente“ im Erteilungsverfahren aus dem Anspruch 1 gestri-
chen wurde. Nach dem erteilten, auf den Anspruch 1 rückbezogenen Anspruch 7,
wurden aber die in den vorherigen Ansprüchen nicht mehr erwähnten Distanzele-
mente als Einzelrahmen weitergebildet.
Soweit darin ein gewisser Widerspruch gesehen wird, kann ihn der Fachmann
nach Überzeugung des Senats ohne weiteres lösen, denn er sieht, dass die Quer-
sprossen funktionell den Kontaktseiten 14, 15 der Einzelrahmen entsprechen, und
die Quersprossen somit als Bestandteile der Einzelrahmen anzusehen sind. Mit
der Einfügung in der Beschreibung Spalte 2 nach Zeile 24, dass die Figuren 1,2
und 5 nicht unter die Erfindung fallen, ist zusätzlich klargestellt, dass nun keine
Mischform von Ausführungsbeispielen unter Schutz gestellt wird.
Der Senat sah davon ab für die Distanzelemente bei ihrer erstmaligen Erwähnung
im jetzt geltenden Anspruch 1 den sonst üblichen unbestimmten Artikel zu fordern.
Von dieser Praxis wurde bereits beim erteilten Anspruch 7 abgewichen, und der
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Senat geht davon aus, dass bei einer Änderung mehr Fragen aufgeworfen als ge-
klärt würden.
Die Angabe „Unmagnetisch“ im Merkmal e1) versteht der Fachmann als „nicht fer-
romagnetisch“. Eine weitere Unterscheidung, wie im Einspruchsschriftsatz (vom
27. März 2001, Abschnitt II) vorgenommen, ist für den Fachmann angesichts der
Aufgabenstellung unerheblich. Es kommt lediglich darauf an ob zwischen der
Platte und den Permanentmagneten eine für den Montageablauf relevante Kraft
entsteht.
Die Ansprüche 2 bis 6 entsprechen den erteilten Ansprüchen 9 bis 13 bezie-
hungsweise den ursprünglichen Ansprüchen 11 bis 15.
4.
Die Vorrichtung nach Anspruch 1 ist neu.
Für den geltenden Anspruch 1 stellt die US 5,051,225 den nächstkommenden Stand
der Technik dar. Sie zeigt eine Folienstreckvorrichtung mit kleinen Laufwagen, an de-
nen die Folie 961 aufgehängt wird (s. z. B. Fig. 10 bis 12, Sp. 25, Z. 18 ff, Sp. 26,
Z. 13 ff). Die Laufwagen sind in den Figuren 2, 12 und 14 dargestellt und in Spalte 8
und 30 beschrieben (Sp. 8, Z. 34 bis 55, Sp. 25 Z. 18 bis 48, Sp. 29 Z. 67 - Sp. 30
Z. 42). Jeder Laufwagen verfügt über einen synchronen Linearmotor 3 (in Fig. 2
oben) und einen - hier nicht interessierenden - linearen Hysteresemotor 4 (in Fig. 2
unten, Sp. 8, 34 bis 68). Das Sekundärteil des synchronen Linearmotors weist einen
Eisenträger 12 beziehungsweise 984 auf (Fig. 2 bzw. 12), an dem ein Paar von Per-
manentmagneten 9, 10, 980 befestigt ist (Sp. 8, 34 bis 55 / „affixed“, Sp. 30, Z. 3-6).
Insbesondere Figur 2 zeigt, dass sie mangels anderer Befestigungsmittel nur geklebt
sein können. Nach Figur 14 ist um die Magnete herum ein Kupfer- oder Aluminium-
käfig 1011 angeordnet und mit den in Figur 14 sichtbaren Schrauben am Eisenträ-
ger 984 festgeschraubt. Eine dünne Abdeckung ist aus Klarheitsgründen nicht darge-
stellt (Sp. 30 Z. 34-39). Diese Abdeckung ergänzt den Käfig zu einem Behälter, der
somit auch die Magneten schützt („to contain the magnets“).
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Damit ist mit den Worten des Anspruchs 1 bekannt ein:
Synchron-Linearmotor
a)
mit einem mit einer Wicklung versehenen Primärteil 5 (Fig. 2)
b)
und einem Sekundärteil,
c)
das aus einer langgestreckten ferromagnetischen Trägerplatte
984 besteht,
d)
auf der jeweils einen Parallelspalt zueinander einschließende,
Permanentmagnete 9, 10, 980
d1)
festgeklebt sind
e )
wobei zwischen den fertig aufmagnetisierten Permanentmagne-
ten dem Polteilungsrastermaß des Synchron-Linearmotors ent-
sprechende, an der Trägerplatte (mit den Schrauben) fixierte
Quersprossen (des Käfigs 1011)
e1)
aus unmagnetischem Material (Kupfer, Aluminium, Sp. 30, Z. 36)
angeordnet sind,
f)
und dass die Distanzelemente 1011 aus jeweils mehrere
(zwei) Permanentmagnete einschließenden einstückigen
Einzelrahmen bestehen.
Im Unterschied zum Gegenstand des Anspruchs 1, Merkmal f1) sind die für je-
den Laufwagen einzeln vorgesehenen Einzelrahmen nicht mit Nasen, Ab-
schrägungen oder anderen Zentrierelementen versehen.
Die US 4,859,974 zeigt in Figur 11 (Sp. 8, Z. 4 bis 30) den Läufer eines Line-
armotors mit einer unmagnetischen Basisplatte 302, Permanentmagneten 310
und Quersprossen 304. Eine zweite Platte 302 ist aus Gründen der Klarheit
weggelassen (Sp. 8, Z. 23 bis 27).
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Damit ist mit den Worten des Anspruchs 1 bekannt ein:
Synchron-Linearmotor
a)
mit einem mit einer Wicklung versehenen Primärteil 90,100
(Fig. 8,9)
b)
und einem Sekundärteil,
c
teilw
) das aus einer langgestreckten Trägerplatte 302 besteht,
d)
auf der jeweils einen Parallelspalt zueinander einschließende,
Permanentmagnete 310
(angeordnet sind,)
e )
wobei zwischen den fertig aufmagnetisierten Permanentmagne-
ten dem Polteilungsrastermaß des Synchron-Linearmotors ent-
sprechende, an der Trägerplatte fixierte Quersprossen 304
e1)
aus unmagnetischem Material angeordnet sind (Sp. 8, Z. 10),
Im Unterschied zum Gegenstand des Anspruchs 1, Merkmal c), d1) f) und f1) sind
dort keine Einzelrahmen mit Nasen und Abschrägungen vorgesehen, die Perma-
nentmagnete sind nicht festgeklebt und die Trägerplatte ist unmagnetisch.
Die weiteren noch im Verfahren befindlichen Druckschriften wurden in der mündli-
chen Verhandlung weder vom Senat noch von den Beteiligten aufgegriffen.
Sie bringen auch keine neuen Gesichtspunkte, zeigen insbesondere keine Einzel-
rahmen, so dass auf sie nicht eingegangen zu werden braucht.
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5.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätig-
keit.
Ausgehend von der Anordnung nach US 5,051,225 stellt sich die patentgemäße
Aufgabe (Sp. 1, Z. 29 bis 32) von selbst, denn der Fachmann ist stets bestrebt den
Bauaufwand gering zu halten.
Dort wird der Fachmann aber schon deshalb nicht in Richtung eines modularen
Aufbaus der Distanzelemente denken, weil dort die einzelnen Laufwagen ohnehin
nur einen Rahmen für ein Magnetpaar haben, und eine Modularisierung sinnlos
wäre. Deshalb gibt es auch keinen Anlass die Einzelrahmen mit Nasen oder anderen
Zentrierelementen zu versehen.
Der Erfinder hat nun erkannt, dass mit den zentrierenden keilförmigen Vorsprün-
gen und Abschrägungen aufgrund der Ausziehungskraft jeweils zweier benach-
barter Permanentmagnete die Einzelrahmen selbstzentrierend zusammengepresst
werden und somit in ihrer Gesamtheit zu einer exakt geraden und stabilen Leiter-
struktur zusammengefügt werden (Sp. 1, Z. 52 bis 63 der geltenden Beschrei-
bung). Dafür gab es im gesamten Stand der Technik keinen Hinweis.
Die Einsprechende hat zwar zu Recht auf die dem allgemeinen Wissen zuzurech-
nende Kenntnis von Nut und Feder als Verbindungsmittel hingewiesen. Von Nut
und Feder ist aber in dem Patent gar nicht die Rede, und eine Ähnlichkeit der Na-
sen und Ausnehmungen zu dem bei Brettern bekannten Nut- und Federprinzip er-
gibt sich allenfalls in der Rückschau in Kenntnis der Erfindung, denn dort spielt
weder eine Zentrierung von Einzelrahmen aneinander, noch eine Positionierung
von Elementen innerhalb einer durch die Rahmen gebildeten Leiterstruktur eine
Rolle.
Um zur Vorrichtung nach Anspruch 1 zu kommen, bedurfte es somit erfinderischer
Tätigkeit.
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6.
Der Anspruch 1 hat somit ebenso wie die auf ihn rückbezogenen
Patentansprüche 2 bis 6 Bestand.
Bertl
Richterin
Pagenberg ist we-
gen Urlaub an der
Unterschrift
ver-
hindert
Bertl
Dr. Kaminski
Dr. Scholz
Ko/prö