Urteil des BPatG vom 18.03.2008
BPatG: patentanspruch, stand der technik, zusammensetzung, fluor, form, neuheit, trennung, patentfähigkeit, produkt, derivate
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 25/06 (EU)
führend
verbunden mit
3 Ni 46/06,
3 Ni 27/07
3 Ni 42/07 und
3 Ni 5/08
(Aktenzeichen)
URTEIL
An Verkündungs Statt
zugestellt am
…
In der Patentnichtigkeitssache
…
BPatG 253
08.05
- 2 -
…
- 3 -
…
betreffend das europäische Patent 0 334 429
(DE 689 03 516)
und das ergänzende Schutzzertifikat DE 196 75 037
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 18. März 2008 unter Mitwirkung der Vorsitzenden
Richterin Dr. Schermer sowie des Richters Engels, der Richterin
Dipl.-Chem. Dr. Proksch-Ledig, des Richters Dipl.-Chem. Dr. Gerster und der
Richterin Dr. Schuster
- 4 -
für Recht erkannt:
1. Das europäische Patent EP 0 334 429 wird mit Wirkung für
das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland teilweise
für nichtig erklärt, soweit es über Patentanspruch 5, Patentan-
sprüche 7 bis 8 in ihrer Rückbeziehung auf Patentanspruch 5
sowie Patentanspruch 13 in seiner Rückbeziehung auf Pa-
tentansprüche 7 und 8, soweit diese wiederum auf Patentan-
spruch 5 rückbezogen sind, hinausgeht.
Im Übrigen werden die Klagen der Klägerinnen 1 und 4 abge-
wiesen.
2. Das ergänzende Schutzzertifikat DE 196 75 037 wird für nich-
tig erklärt.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten und ihren
Streitgenossinnen auferlegt.
4. Das Urteil wird hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleis-
tung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vor-
läufig für vollstreckbar erklärt.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 16. März 1989 beim Europäischen
Patentamt angemeldeten, die Priorität der US-Patentanmeldung 172 747 vom
23. März 1988 in Anspruch nehmenden und mit Wirkung für die Bundesrepublik
Deutschland erteilten europäischen Patents 0 334 429 (Streitpatent), dessen Er-
teilung am 19. November 1992 veröffentlicht worden ist und das vom Deutschen
Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 689 03 516 geführt wird. Das
Streitpatent betrifft „Mittel zur Senkung des Blutdrucks“ und umfasst in der erteilten
Fassung 14 Patentansprüche, die folgendermaßen lauten:
- 5 -
1. Verwendung
einer
Verbindung der Formel
oder eines pharmazeutisch annehmbaren Säureadditionssalzes
hiervon, worin
R
1
und R
2
jeweils unabhängig Wasserstoff oder C
1-6
-Alkyl bedeu-
ten;
R
3
, R
4
, R
5
, R
6
, R
7
, R
8
, R
9
und R
10
jeweils unabhängig Wasser-
stoff, Halogen, C
1-6
-Alkyl, C
1-6
-Alkyloxy, Hydroxy, Cyano, Carboxy
oder C
1-6
-Alkyloxycarbonyl bedeuten;
oder zwei benachbarte Reste von R
3
, R
4
, R
5
, R
6
, R
7
, R
8
, R
9
und
R
10
gemeinsam einen -CH=CH-CH=CH- oder -(CH
2
)
4
-Rest bilden
können,
zur Herstellung eines Medikaments zum Potenzieren der Wirkun-
gen von blutdrucksenkenden Mitteln mit adrenerger und/oder va-
sodilatorischer Aktivität, die von den Mitteln der Formeln (l) ge-
mäß vorstehender Definition verschieden sind.
2. Verwendung nach Anspruch 1, worin R
3
, R
4
, R
6
, R
7
, R
8
und R
10
Wasserstoff bedeuten.
3. Verwendung nach Anspruch
1, worin die Verbindung
[2R,αS,2’S,α’S]-α,α’-[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-dihydro-2H-
1-benzopyran-2-methanol] ist.
4.
Pharmazeutische Zusammensetzung, umfassend einen
pharmazeutisch annehmbaren Träger, eine Verbindung der For-
- 6 -
mel (I), wie in einem der Ansprüche 1 bis 3 definiert, und ein blut-
drucksenkendes Mittel mit adrenerger und/oder vasodilatorischer
Aktivität, welches Mittel von der genannten Verbindung der For-
mel (I) verschieden ist.
5. Zusammensetzung nach Anspruch 4, worin das blutdrucksen-
kende Mittel unter Atenolol, Propanolol, Metoprolol, Prazosin,
Hydralazin, Guanethidin, Phentolamin, Verapamil, Nifedipin,
Carteolol und Celiprolol ausgewählt ist.
6. Zusammensetzung nach Anspruch 4, worin das blutdrucksen-
kende Mittel [2S,αR,2’R,α’R]-α,α’-[Iminobismethylen]bis[6-fluor-
3,4-dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] ist.
7. Zusammensetzung nach Anspruch 5 oder 6, worin das Mol-
verhältnis der beiden wirksamen Bestandteile 1:1 beträgt.
8. Zusammensetzung nach Anspruch 5 oder 6, worin das Mol-
verhältnis der beiden wirksamen Bestandteile von 1:1 verschie-
den ist.
9. Produkt, das eine chemische Verbindung der Formel (I), wie in
einem der Ansprüche 1 bis 3 definiert, und ein blutdrucksenken-
des Mittel enthält, als ein kombiniertes Präparat für die gleichzei-
tige, getrennte oder aufeinanderfolgende Anwendung in der Blut-
drucksenkungstherapie.
10.
Chemische Verbindung der Formel (I), wie in einem der
Ansprüche 1 bis 3 definiert, unter Ausnahme der Verbindung
(RSSS)-α,α’-[Iminobis-(methylen)bis(3,4-dihydro-2H-1-benzopy-
ran-2-methanol]-ethandioat (1:1).
- 7 -
11.
Verbindung
nach
Anspruch
10 zur Verwendung als eine Medi-
zin.
12.
Pharmazeutische Zusammensetzung, umfassend einen
pharmazeutisch annehmbaren Träger und als wirksamen Be-
standteil eine zum Potenzieren der Wirkungen von blutdrucksen-
kenden Mitteln fähige Menge einer Verbindung der Formel (I), wie
in Anspruch 10 beansprucht.
13. Verfahren zur Herstellung einer Zusammensetzung nach den
Ansprüchen 4 bis 8 und 12, dadurch gekennzeichnet, dass der
wirksame Bestandteil oder die wirksamen Bestandteile innig mit
dem pharmazeutischen Träger vermischt wird oder werden.
14. Verfahren zur Herstellung einer Verbindung nach Anspruch 10,
gekennzeichnet durch Umsetzen eines Oxirans der Formel
mit einem Amin der Formel
- 8 -
oder Umsetzen eines Reagens PNH
2
mit (II-a) und (II-b) in einem
Eintopfverfahren in einem reaktionsinerten Lösungsmittel, wobei
P für Wasserstoff oder eine N-Schutzgruppe steht; und, falls P
eine N-Schutzgruppe bedeutet, Abspalten der Schutzgruppe aus
den solcherart erhaltenen N-geschützten Derivaten der Formel (I);
und gewünschtenfalls Herstellen eines pharmazeutisch annehm-
baren Säureadditionssalzes durch Behandlung mit einer Säure;
oder umgekehrt, Herstellung der freien Basenform durch Be-
handlung mit einer Base.
Auf der Grundlage des Streitpatents wurde der Beklagten vom Deutschen Patent-
und Markenamt mit Beschluss vom 18. März 2003 das ergänzende Schutzzertifi-
kat DE 196 75 037 für den Wirkstoff des Arzneimittels Hypoloc in allen den Schutz
des Streitpatents umfassenden Formen, einschließlich Nebivololhydrochlorid, mit
einer Laufzeit vom 17. März 2009 bis zum 18. Oktober 2010 erteilt.
Mit den vorliegenden Klagen machen die Klägerinnen die Nichtigkeit bzw
Teilnichtigkeit des Streitpatents gestützt auf den Klagegrund der fehlenden
Patentfähigkeit wegen mangelnder Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit
geltend. Darüber hinaus machen die Klägerinnen zu 3 und 5 die Nichtigkeit des
o. g. Schutzzertifikats DE 196 75 037 wegen fehlender Patentfähigkeit des
Streitpatents geltend. Zur Begründung ihres Vorbringens stützen sich die
Klägerinnen auf folgende Dokumente, die seitens des Senates fortlaufend neu
nummeriert worden sind:
- 9 -
HE1
EP 0 145 067 A2
HE2 Prüfungsbescheid
des
Europäischen Patentamtes vom 31. Juli 1991
HE3
Rote Liste 2006, Präpatat „Nebilet®”
HE4 Packungsbeilage des in Südafrika vertriebenen Produktes „Nebilet®
Tablets 5 mg“
HE5
GB 1 054 655
HE6
EP 0 050 585 A1
HE7
Ariens, E. J., Trends Pharm. Sci. 1986, 7, 200-5
HE8
Ariens, E. J., Eur. J. Clin. Pharm. 1984, 26, 663-8
HE9
Ariens, E. J., Med. Res. Rev. 1986, 451-66
HE10 McNeely, W., Goa, K. I., Drugs 1999, 57, 633-51
HE11 Status SPC DE 196 75 037
HE12 De Cree, J. et al., Angiology 1987, 38, S. 440 bis 448
HE13 SPC-Antrag vom 29. Oktober 1996 mit Anlagen 1 und 2
HE14 US 4 654 362 A
HE15 Supplement to WHO Chronicle 1986, Vol. 40, No. 5: „Nebivolol”
HE16 Siebert, C. D., Pharm. Unserer Zeit, 2004, 33, S. 450 bis 454
HE17 Mutschler,
E.:
„Arzneimittelwirkungen - Ein Lehrbuch der Pharmakologie
für Pharmazeuten, Chemiker und Biologen“, 4. Aufl., 1981 Wissenschaftli-
che Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, S. 419 bis 425
HE18 EP 0 215 357 A2
HE19 Zeittabelle zum Streitpatent
HE20 De Cree, J. et al., Acta Antwerpiensa, 1987, S. 2 bis 18
HE21 Van de Water, A. et al., Europ. J. Pharmacol. 1988, 156, S. 95 bis 103
HE22 Van de Water, A. et al., J. Cardiovasc. Pharmacol. 1988, 11, S. 552
bis 563
HE23 De Cree J., Angiology 1988, 39, S. 526 bis 534
HE24 Pauwels, P. J. et al., Molecular Pharmacology 1988, 34, S. 843 bis 851
HE25 Lu, H. R. et al., Arch. int. Pharmacodyn. 1989, 301, S. 165 bis 181
HE26 Gutachten Prof. K… vom 23. Februar 2008 mit Anlagen
HE26/Ref 2
US 6 545 040 B1
HE26/Ref 7
US 4 313 955
- 10 -
HE26/Ref 8
US 4 380 653
HE26/Ref 9
Ruffolo, Jr., R. R., „Stereoselectivity in Adrenergic Ago-
nists and Adrenergic Blocking Agents” in Stereochem-
istry and Biological Activity of Drugs”
(Ed.: Ariens, E. J., Soudijn, W. Timmermans, P. B. M.
W. M.), 1983, Blackwell Scientific Publications Oxford,
S. 103 bis 125
HE26/Ref 10
Gold, E. H. et al., J. Med. Chem 1982, 25, S. 1363
bis 1370
HE27
Woestenborghs, R. et al., Methodological Surveys in
Biochemistry and Analysis 1988, Vol.
18, S.
215
bis 216
HE28
Van Gestel, S. and Schuermans, V., Drug Develop-
ment Research 1986, 8, S. 1 bis 13
HE29
De Cree, J. et al., Drug Development Research 1986,
8, S. 109 bis 117
HE30
“Biochemistry” (Ed.: D. Voet, J. G. Voet), 3
rd
Ed., 2004,
John Wiley & Sons, Inc., New York, S. 75 bis 76
Die Klägerinnen zu 1 und 4 beantragen:
das europäische Patent 0
334
429 mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im vollen Umfang
für nichtig zu erklären.
Die Klägerinnen zu 2, 3 und 5 beantragen,
das europäische Patent 0
334
429 mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland teilweise im
Umfang der Patentansprüche 1 bis 4 und 6 bis 14 für nichtig zu
erklären.
- 11 -
Die Klägerinnen zu 3 und 5 beantragen darüberhinaus,
das
ergänzende
Schutzzertifikat
DE 196 75 037 für nichtig zu
erklären.
Die Beklagte beantragt,
die
Klagen
abzuweisen;
hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit den Patentansprü-
chen 1 bis 11 gemäß Hilfsantrag I, weiter hilfsweise mit den Pa-
tentansprüchen 1 bis 7 gemäß Hilfsantrag II, mit den Patentan-
sprüchen 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag III, mit einem Patentanspruch
gemäß Hilfsantrag IV, jeweils eingereicht mit Schriftsatz vom
14. Januar 2008, sowie zwei Patentansprüchen gemäß Hilfsan-
trag
V, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom
18. März 2008.
Die Nebenintervenientinnen schließen sich den Anträgen der Beklagten an.
Hilfsantrag
tentansprüche 1, 6, 7 und 8 folgenden Wortlaut haben:
1. Pharmazeutische Zusammensetzung bestehend aus einem
pharmazeutisch annehmbaren Träger und, als wirksamen Be-
standteilen:
(a) einer Verbindung der Formel (I)
- 12 -
oder einem pharmazeutisch annehmbaren
Säureadditionssalz hiervon, worin
R
1
und R
2
jeweils unabhängig Wasserstoff oder C
1-6
-Alkyl
bedeuten;
R
3
, R
4
, R
5
, R
6
, R
7
, R
8
, R
9
und R
10
jeweils unabhängig
Wasserstoff, Halogen, C
1-6
-Alkyl, C
1-6
-Alkyloxy, Hydroxy,
Cyano, Carboxy oder C
1-6
-Alkyloxycarbonyl bedeuten;
oder zwei benachbarte Reste von R
3
, R
4
, R
5
, R
6
, R
7
, R
8
,
R
9
und R
10
gemeinsam einen -CH=CH-CH=CH- oder -
(CH
2
)
4
- Rest bilden können; und
(b) einem blutdrucksenkenden Mittel mit adrenerger und/oder
vasodilatorischer Aktivität, wobei das Mittel von der Ver-
bindung (a) verschieden ist.
6. Verfahren zur Herstellung einer Zusammensetzung nach ei-
nem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass die
wirksamen Bestandteile innig mit dem pharmazeutischen Trä-
ger vermischt werden.
7. Produkt, das aus einem pharmazeutisch annehmbaren Träger
und, als wirksamen Bestandteilen (a) einer Verbindung der
Formel (I) gemäß Anspruch 1 oder einem pharmazeutisch an-
nehmbaren Säureadditionssalz hiervon, und (b) einem blut-
- 13 -
drucksenkenden Mittel mit adrenerger und/oder vasodilatori-
scher Aktivität, wobei das Mittel von der Verbindung (a) ver-
schieden ist, besteht, als ein kombiniertes Präparat für die
gleichzeitige, getrennte oder aufeinanderfolgende Anwendung
in der Blutdrucksenkungstherapie.
8. Verwendung einer Verbindung der Formel (I) gemäß An-
spruch 1 oder eines pharmazeutisch annehmbaren Säuread-
ditionssalzes hiervon zur Herstellung eines Medikaments zum
Potenzieren der Wirkungen von blutdrucksenkenden Mitteln
mit adrenerger und/oder vasodilatorischer Aktivität, die von
den Mitteln der Formel (I) gemäß Anspruch 1 verschieden
sind.
Hilfsantrag
scheiden sich von den ihnen entsprechenden Patentansprüchen 1, 7 und 8 gemäß
Hilfsantrag I dadurch, dass jeweils die Verbindung (a) nurmehr [2R,αS,2’S,α’S]-
α,α’-[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] ist
und die Verbindung (b) von der der Formel (I)
worin
R
1
und R
2
jeweils unabhängig Wasserstoff oder C
1-6
-Alkyl bedeuten;
R
3
, R
4
, R
5
, R
6
, R
7
, R
8
, R
9
und R
10
jeweils unabhängig Wasserstoff, Halogen, C
1-6
-
Alkyl C
1-6
-Alkyloxy, Hydroxy, Cyano, Carboxy oder C
1-6
-Alkyloxycarbonyl bedeu-
ten;
oder zwei benachbarte Reste von R
3
, R
4
, R
5
, R
6
, R
7
, R
8
, R
9
und R
10
gemeinsam
- 14 -
einen -CH=CH-CH=CH- oder -(CH
2
)
4
-Rest bilden können, verschieden ist. Die ab-
hängigen Patentansprüche 2 bis 5 entsprechen den rückbezogenen Patentansprü-
chen 2 bis 5 des Hilfsantrages I.
Hilfsantrag I dadurch, dass jeweils die Verbindung (a) [2R, αS, 2’ S, α’ S] -α, α’-
[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] ist und die
Verbindung (b) [2S,αR,2’R,α’R]-α,α’-[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-dihydro-2H-
1-benzopyran-2-methanol] ist. Die nachgeordneten Patentansprüche 2 und 3
entsprechen den rückbezogenen Patentansprüchen 5 und 6 des Hilfsantrages I.
Hilfsantrag
anspruch 5 des Hilfsantrages III.
Hilfsantrag
sich von den ihnen entsprechenden Patentansprüchen 1 und 5 des Hilfsantra-
ges III dadurch, dass sie jeweils die zusätzliche Maßgabe enthalten „wobei das
Molverhältnis der beiden wirksamen Bestandteile 1:1 beträgt“.
Die Beklagte und die Nebenintervenientinnen treten dem Vorbringen der Klägerin-
nen in allen Punkten entgegen und halten das Streitpatent im verteidigten Umfang
für patentfähig. Zur Stütze ihres Vorbringens verweisen sie auf folgende Doku-
mente:
B1
WHO Drug Information 1995, 9, S. 1 bis 28
B2
Berechnungen der Zahl von Verbindungen der allgemeinen Formel (I)
B3
Xhonneux, R. et al., Eur. J. Pharm. 1990, 181, S. 261 bis 265
B4
Zusammenfassung der Testergebnisse für die in B3 untersuchte
Kombination von l- und d-Nebivolol
B5
Erklärung der Erfinderin van Lommen vom 1. Dezember 2006
- 15 -
NiV1-3 Vertrags-Lizenzunterlagen
NiV4
Gutachten Prof. Dr. B… vom 11. Februar 2008 mit Anlage NiV4/1
Ruf, G. et al., Int. J. Cardiol. 1994, 43, S. 279 bis 285
NiV5
Gutachten Prof. Dr. D… vom 8. Februar 2008 mit Anlagen 1 bis 7
NiV5/1
„Enzymes in Synthetic Organic Chemistry“ (Ed.: C. H. Wong
and G. M. Whitesides), 1994, Pergamon press, Elsevier, Ox-
ford 1994, S. v bis xi
NiV5/2
Blaschke, G., Angew. Chemie 1980, 92, S. 14 bis 25
NiV5/3
Maier, N. M. und Lindner, W. „Stereoselective Chroma-
tographic Methods for Drug Analysis“ in „Chirality in Drug Re-
search“ (Ed.: E. Francotte and W. Lindner), 2006, Wiley-VCH
Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim, S. 189 bis 260
Ni5/4
„Stereoselective
Synthesis“
(Ed.: M. Nógrádi), 2nd Ed., 1995,
VCH Verlagsgesellschaft mbH, Weinheim, S. XI bis XV
Ni5/5
Brunner, H., Synthesis, 1988, S. 645 bis 654
Ni5/6
„Asymmetric Catalysis In Organic Synthesis” (Ed.: R. Noyori),
1994, John Wiley & Sons, Inc., New York , S. vii bis xi
Ni5/7
(= HE16) Siebert, C. D., Pharm. Unserer Zeit, 2004, 33,
S. 450 bis 454
NiV6
7th International Bioanalytical Forum, Guildford. U.K. - 1987 - Abstracts
NiV7
Reid, E., Vorwort in „Methodological Surveys in Biochemistry and Analy-
sis: Bioanalysis of Drugs and Metabolites, Especially Anti-inflammatory
and Cardiovascular” Vol. 18, 1988, S. v bis vi
NiV8
Gutachten Prof. Dr. D vom 10. März 2008 mit Anlagen 1 bis 5
Anlage NiV8/1 (=HE28) Van Gestel, S. and Schuermans, V., Drug
Development Research 1986, 8, S. 1 bis 13
Anlage
NiV8/2
„Organische
Stereochemie“ (Ed.: E.
L.
Eliel,
S. H. Wilen)
1994,
Wiley-VCH Verlag GmbH,
Weinheim, S. 119 bis 121
Anlage NiV8/3 Girard, C. und Kagan, H. B., Angew. Chemie 1998,
110, S. 3088 bis 3127
- 16 -
Anlage
NiV8/4
Denmark,
S. E. et al., Adv. Synth. Catal. 2007, 349, 567
bis 582
Anlage NiV8/5 Brandes, B. D., Jacobsen, E. N.,Synlett 2001, SI,
S. 1013 bis 1015
Des Weiteren überreichten die Beklagte und die Nebenintervenientinnen als An-
lage zu ihren Schriftsätzen bzw. in der mündlichen Verhandlung
-
Eidesstattliche Erklärungen von R. W…,
J. J. P. H…, L. K. M. Embrechts und F. G. V
deutscher Übersetzung
-
Liste „Aus „alter Zeit“ stammende Antihypertonika in Form der Gemi-
sche ihrer Stereoisomeren“
-
Liste „Aus „neuer Zeit“ stammende Antihypertonika in Form eines
einzelnen Stereoisomers, eingeführt in den späten 80er und frühen
90er Jahren
-
Schema „Herstellung von Enantiomeren gemäß US '362
(D1= HE 14)-Liste“: Die bevorzugten Verbindungen von D1(= HE 14)
(vgl. Sp. 2 Z. 40 Sp. 4, Z. 66 bis Sp. 5 Z. 10, Bsp. 23)
-
Guideline for Submitting Supporting Documentation in Drug Applica-
tions for the Manufacture of Drug Substances - Center for Drug
Evaluation and Research - Food and Drug Administration - Depart-
ment of Health and Human Services, February 1987
-
Pharmaceutical Manufacturing Guidelines - 1985 Edition - Edited by
the Society of Japanese Pharmacopoeia - Published by Yakugyo
Jiho-Sha (The Pharmaceutical Times Company)
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien sowie des Wortlauts
der weiteren Patentansprüche wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
- 17 -
Entscheidungsgründe
Die gegen das Streitpatent 0 334 429 (DE 689 03 516) und das ergänzende
Schutzzertifikat DE 196 75 037 gerichteten Klagen sind gemäß §§ 81 Abs. 1, 16a
Abs. 2 PatG, Art. 15 VO (EWG) Nr. 1768/92 zulässig. Auch die Nebenintervention
der Lizenznehmerin und Unterlizenznehmerin der Beklagten auf deren Seiten ist
zulässig, wobei die Nebenintervenientinnen gemäß § 69 ZPO im Hinblick auf die
Rechtskraftwirkung des Urteils und Vernichtung des Streitpatents als Streitgenos-
sinnen der Beklagten i. S. v. § 61 ZPO gelten (vgl. hierzu Busse, PatG, 6. Aufl.,
§ 82 Rdn. 120 m. w. H.; vgl auch BGH GRUR 2008, 60 - Sammelhefter II - wo-
nach in Abkehr von der früheren Rechtsprechung § 69 ZPO auch für den dem
Nichtigkeitskläger als Streithelfer beitretenden Mitbewerber gelten soll).
Die Klagen der Klägerinnen 1 und 4 sind teilweise, diejenigen der Klägerinnen 2, 3
und 5 in vollem Umfang begründet. Der von den Klägerinnen geltend gemachte
Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit des gemäß Hauptantrag und
Hilfsanträgen verteidigten Gegenstandes des Streitpatents führt zur teilweisen
Nichtigerklärung in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang (Art. II § 6
Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a i. V. m. Art. 54, 56 EPÜ). Im Übrigen
waren die Klagen der Klägerinnen 1 und 4 abzuweisen.
Mit der teilweisen Nichtigerklärung des Streitpatents fällt auch das darauf erteilte
angegriffene Schutzzertifikat DE 196 75 037 (Art. 15 Abs. 1 lit. c VO (EWG)
Nr. 1768/92), so dass sich die Klagen der Klägerinnen zu 3 und 5 auch insoweit
begründet erweisen.
I.
1.
Das Streitpatent (Grundpatent) betrifft Mittel zur Senkung des Blutdrucks ge-
mäß der Formel (I) und deren Herstellung, deren Verwendung zur Herstellung ei-
nes Medikamentes zum Potenzieren der Wirkung von blutdrucksenkenden Mitteln
mit adrenerger und/oder vasodilatorischer Aktivität, Verbindungen der Formel (I)
- 18 -
sowie blutdrucksenkende Mittel mit adrenerger und/oder vasodilatorischer Aktivität
enthaltende pharmazeutische Zusammensetzungen und deren Herstellung sowie
Produkte, die Verbindungen der Formel (I) und ein blutdrucksenkendes Mittel als
ein kombiniertes Präparat enthalten (vgl. DE 689 03 516 T2 Patentansprü-
che 1, 4, 9, 10, 12, 13 und 14).
Wie einleitend im Streitpatent ausgeführt wird, stellen die in der US-Patentschrift
4 654 362 beschriebenen 2,2’-Iminobisethanolderivate mit ß-adrenergen Blocker-
eigenschaften den Ausgangspunkt der vorliegenden Erfindung dar (vgl.
DE 689 03 516 T2 S. 1 Abs. 1).
2.
Davon ausgehend ist die dem Streitpatent zu Grunde liegende Aufgabe darin
zu sehen, neue Isomere bereitzustellen, mit denen die Aktivität von blutdrucksen-
kenden Mitteln potenziert wird, ferner, weitere, verbesserte Blutdruckmittel bereit-
zustellen sowie die Wirkung von blutdrucksenkenden Mitteln mit adrenerger
und/oder vasodilatorischer Aktivität zu verbessern (vgl. DE 689 03 516 T2 S. 1
Z. 2 bis 4 sowie Schriftsatz der Beklagten zur Klage 3 Ni 27/07 (EU) vom
14. Januar 2008 S. 18 Abs. 4 und Schriftsatz der Nebenintervenientinnen vom
21. Februar 2008 S. 8 Abs. 3).
Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 10 durch die Bereitstellung
von
a) RSSS-Stereoisomeren der allgemeinen Formel (I)
oder eines pharmazeutisch annehmbaren Säureadditionssalzes hiervon,
worin R
1
und R
2
jeweils unabhängig Wasserstoff oder C
1-6
-Alkyl bedeuten;
- 19 -
R
3
, R
4
, R
5
, R
6
, R
7
, R
8
, R
9
und R
10
jeweils unabhängig Wasserstoff, Halo-
gen, C
1-6
-Alkyl, C
1-6
-Alkyloxy, Hydroxy, Cyano, Carboxy oder C
1-6
-Alkylo-
xycarbonyl bedeuten; oder zwei benachbarte Reste von R
3
, R
4
, R
5
, R
6
, R
7
,
R
8
, R
9
und R
10
gemeinsam einen -CH=CH-CH=CH- oder -(CH
2
)
4
- Rest bil-
den können,
b) unter Ausnahme der Verbindung (RSSS)-α,α’-[Iminobis-(methylen)bis
(3, 4-dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol]-ethandioat (1:1)
und ein Verfahren zu deren Herstellung gemäß Patentanspruch 14.
Diese Aufgabe wird ferner gelöst durch die pharmazeutischen Zusammensetzun-
gen gemäß den Patentansprüchen 4 und 12 und ein Verfahren zu deren Herstel-
lung gemäß Patentanspruch 13.
Die Aufgabe wird des Weiteren durch ein Produkt als ein kombiniertes Präparat
gemäß Patentanspruch 9 gelöst.
Schließlich wird diese Aufgabe auch durch die Verwendung einer Verbindung der
Formel (I) zur Herstellung eines Medikamentes zum Potenzieren der Wirkungen
von blutdrucksenkenden Mitteln mit adrenerger und/oder vasodilatorischer Aktivi-
tät gemäß Patentanspruch 1 gelöst.
3.
Der zuständige Fachmann ist ein organischer oder pharmazeutischer
Chemiker, der typischerweise promoviert hat und mehrere Jahre Berufserfahrung
auf dem Gebiet der Herstellung und Untersuchung von Wirkstoffkandidaten besitzt
und in ein Team eingebunden ist, dem ein Pharmakologe, der über ein
abgeschlossenes Medizinstudium verfügt, typischerweise promoviert hat, Facharzt
für Pharmakologie und Toxikologie ist, und mehrere Jahre Berufserfahrung auf
dem Gebiet der Untersuchung einerseits von Wirkstoffkandidaten und
andererseits von Wirkungsmechanismen besitzt, die im vorliegenden Fall
insbesondere auch Kenntnisse über ß-Rezeptorblocker umfassen, und ein
- 20 -
Mediziner, der über ein abgeschlossenes Medizinstudium verfügt, typischerweise
promoviert hat und mehrere Jahre Berufserfahrung auf dem Gebiet der
Behandlung von Bluthochdruck besitzt, angehören (vgl. Schriftsätze der Klägerin
zu 2 vom 19. Juni 2006, S. 10 - Gliederungspunkt 4., der Klägerin zu 3 vom
26. April 2007, S. 6/7 - Gliederungspunkt 3 und der Nebenintervenientinnen vom
21. Februar 2008, S. 8 Abs. 4 sowie auch BGH GRUR 2007, 404, 406 Rdn. 26 -
Carvedilol II).
II.
Der Gegenstand des Streitpatentes in seiner gemäß Hauptantrag verteidigten er-
teilten Fassung erweist sich in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang als
nicht patentfähig, weil Stereoisomere und deren Herstellung sowie diese als wirk-
same Bestandteile enthaltende pharmazeutische Zusammensetzungen gemäß
den Patentansprüchen 10, 11, 12 und 14 nicht mehr neu sind und die Verwendung
gemäß Patentanspruch 1 sowie die Bereitstellung der pharmazeutischen Zusam-
mensetzung, das Verfahren zu deren Herstellung und die Bereitstellung des Pro-
duktes gemäß den Patentansprüchen 4, 9 und 13 jedenfalls nicht auf einer erfin-
derischen Tätigkeit beruhen.
1.
Die
Patentansprüche
10,
11, 12 und 14 erweisen sich mangels Neuheit als
nicht bestandsfähig.
1.1.
Geltender Rechtsprechung folgend ist eine chemische Verbindung nicht mehr
neu, wenn sie ein Fachmann ohne weiteres einer Vorveröffentlichung entnehmen
kann, d. h. die Vorveröffentlichung einen konkreten Hinweis auf die Verbindung
enthält, und der Fachmann auch in der Lage war, sie herzustellen. Erforderlich ist
es dabei nicht, dass diese Verbindung zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits
hergestellt war, vielmehr ist es ausreichend, wenn in der Vorveröffentlichung die
Ausgangsstoffe für die Herstellung des Stoffes angegeben sind, die zwangsläufig
zum gewünschten Stoff führen (vgl. Schulte PatG 7. Aufl. § 1 Rdn. 345, 346 sowie
BGH GRUR 1978, 696, 697 II. 1. b - „α-Aminobenzylpenicillin“). Dies stimmt mit
- 21 -
dem allgemeinen Grundsatz überein, dass der Offenbarungsgehalt eines
Dokumentes nicht auf dessen Wortlaut beschränkt ist, vielmehr auch alles das
zum Gegenstand einer Entgegenhaltung gehört, was der Fachmann als
selbstverständlich oder nahezu unerlässlich ergänzt oder was er bei deren
aufmerksamer Lektüre ohne weiteres erkennt und in Gedanken gleich mitliest (vgl.
Schulte PatG 7. Aufl. § 3 Rdn. 95, 96 sowie BGH GRUR 1995, 330 Ls. 2.,
332 II. 2. c) - „Elektrische Steckverbindung“). So gelten auch spezielle
stereospezifische Formen dann als neuheitsschädlich vorbeschrieben, wenn in
einer Vorveröffentlichung die chemische Struktur der in Form eines
Enantiomerengemisches anfallenden Verbindungsgruppe und Wege zu deren
Herstellung angegeben sind, ohne dass dabei expressis verbis auf die Existenz
des betreffenden Enantiomeren als Stoff hingewiesen wird. Bereits anhand einer
Strukturformel vermag der Fachmann nämlich vorhandene stereochemische
Zentren einer chemischen Verbindung ohne weiteres zu erkennen und diesen die
jeweils entsprechende Raumform zuzuordnen (vgl. Hansen/Hirsch: „Protecting
Inventions in Chemistry“, Wiley-VCH Verlag GmbH, Weinheim 1997, S. 113
bis 118, insb. S. 113/114 übergreifender Absatz, S. 115 Abs. 4 bis S. 116 Abs. 1,
S. 116/117 übergreifender Absatz, BGH GRUR 1978, 696, 697 II.1.b) - „α-
Aminobenzylpenicillin“; EPA T 12/81 GRUR. Int. 1982, 744 Ls. 1, 746 Abs. 7.
bis 9. und 13. - „Diastereoisomere“ sowie BPatG GRUR Int. 1996, 822 - „Herbicid
wirksames Enantiomer“).
1.2.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Gegenstand des
Patentanspruches 10, der - wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung
ausgeführt hat - vor allem im Umfang des erteilten Patentanspruches 3, d. h. im
Umfang der Verbindung [2R,αS,2’S,α’S]-α,α’-[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-
dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] (dessen Trivialnamen l-Nebivolol lautet),
verteidigt wird, gegenüber der US-Patentschrift US 4 654 362 (= HE14) als nicht
mehr neu anzusehen. Diese Druckschrift betrifft Derivate von 2,2’-Iminobisethanol
gemäß der allgemeinen Formel (I) sowie alle stereochemisch isomeren Formen
davon (vgl. Patentanspruch 1 und Beschreibung Sp. 1 Z. 11 bis Sp. 2 Z. 34, insb.
Sp. 1 Z. 36/37). Dabei wird das Grundgerüst dieser chemischen Verbindungen,
- 22 -
das vier asymmetrische Kohlenstoff-Atome enthält, nicht nur in Form der
allgemeinen Formel an sich angegeben, es werden in dieser Strukturformel auch
die chiralen Zentren direkt bezeichnet (vgl. Sp. 5 Z. 5 bis 10). In diesem
Zusammenhang wird in der US-Patentschrift HE14 ferner ausgeführt, dass jedes
dieser Zentren die S- oder R-Konfiguration aufweisen könne und reine
stereochemisch isomere Formen der Verbindungen gemäß der Formel (I) durch
die Anwendung an sich bekannter Verfahren erhalten werden könnten. Ferner sei
es klar, dass die stereochemisch isomeren Formen wiederum mit üblichen
Methoden in ihre optischen Isomeren (= (+) und (-)) aufgetrennt werden könnten
(Sp. 4 Z. 34 bis 58). Beispielhaft aufgezeigt wird die Herstellung von unter die
allgemeine Formel (I) subsumierbaren, in unterschiedlichen stereochemisch
isomeren Formen auftretenden Verbindungen sodann anhand der in der Tabelle
des Beispieles 23 angegebenen definierten Verbindungen mit unterschiedlichem
Substitutionsmuster. Im Rahmen dessen wird mit der Substanz 84 auch ein
Stereoisomerengemisch genannt, wobei das Substitutionsmuster der Isomeren
dem der streitpatentgemäß verteidigten Verbindung [2S,αR,2’R,α’R]-α,α’-
[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] entspricht
und die Substanz 84 selbst durch die Angabe „AB“ hinsichtlich ihrer isomeren
Form gekennzeichnet ist. Wie in der US-Patentschrift HE14 in diesem
Zusammenhang ausgeführt, wird - wie im Übrigen auch streitpatentgemäß (vgl.
DE 689 03 516 T2 S. 9 Abs. 4) - mit „A“ jene stereochemisch isomere Form
bezeichnet, die bei der Trennung als erstes, mit „B“ jene, die anschließend isoliert
wurde. Dabei wurde im Zusammenhang mit der unter die Formel (I) fallenden,
unsubstituierten Verbindung α,α’-[Iminobis(methylen)]bis[3,4-dihydro-2H-1-
benzopyran-2-methanol] der Bezeichnung „A“ die Konfigurationen RS oder SR
zugeordnet und der Bezeichnung „B“ die Konfigurationen SS oder RR. Inwiefern
diese Systematik auch auf die Substanz 84 übertragbar ist, nachdem sich diese
von der unsubstituierten Verbindung lediglich darin unterscheidet, dass die Reste
R
12
und R
16
in der allgemeinen Formel
(I) Wasserstoff darstellen,
streitpatentgemäß dagegen Fluor (vgl. HE14 Sp. 4 Z. 66 bis 68 und Sp. 5 Z. 5
bis 10 Formel sowie DE 689 03 516 T2 Patentansprüche 1 und 3), ein
grundsätzlich voneinander abweichendes Elutionsverhalten im Zuge einer z. B.
- 23 -
chromatographischen Trennung über Silica-Gel daher von vornherein nicht ohne
weiteres zu erwarten sein dürfte, kann vorliegend dahingestellt bleiben (vgl. auch
HE14 Sp. 14/15 Beispiel 17). Unabhängig von der in der Entgegenhaltung HE14
angegebenen Zuordnung ergibt sich für die Bezeichnung „AB“ stets – was auch
von der Beklagten nicht bestritten wurde (vgl. auch SS der
Nebenintervenientinnen vom 21. Februar 2005, S. 24 Abs. 3) - das Vorliegen von
vier Stereoisomeren, die die zwei Enantiomerenpaare RSSS/SRRR und
RSRR/SRSS bilden, die wiederum diastereomer zueinander sind (vgl. dazu auch
SS der Klägerin zu 3 vom 26. April 2007 Ziffer 4.2.4 auf der S. 11 ff.). Entgegen
der Auffassung der Beklagten wird der fachkundige Leser nach Überzeugung des
Senates in Verbindung mit diesem Stereoisomerengemisch 84 aber auch die
jeweils einzelnen Stereoisomeren ohne weitere Überlegungen als offenbart mit-
lesen. Dieses trifft nicht nur deshalb zu, weil - wie vorstehend ausgeführt - die
Patentansprüche explizit auch auf die stereochemisch isomeren Formen der dort
angegebenen Verbindungen der allgemeinen Formel (I) gerichtet sind und in der
Beschreibung der US-Patentschrift expressis verbis darauf hingewiesen wird, dass
neben den reinen stereochemisch isomeren Formen natürlich auch deren optische
Isomeren von der Erfindung mit umfasst werden (vgl. insb. Sp. 4 Z. 56 bis 58). Es
trifft insbesondere auch deshalb zu, weil optische Isomere in dieser Druckschrift
darüber hinaus anhand der im Beispiel 23 angegebenen unsubstituierten
Verbindungen 74 sowie 78 bis 83 beschrieben werden. Nachdem der
Offenbarungsgehalt eines Dokumentes nicht auf einzelne Beispiele beschränkt ist,
sondern sich aus dem Gesamtzusammenhang einer Vorveröffentlichung ergibt,
wird der fachkundige Leser angesichts dieses Sachstandes zumindest in
Verbindung mit den in der Tabelle des Beispieles
23 angegebenen
Stereoisomerengemischen daher auch die jeweils von diesen umfassten
einzelnen Stereoisomeren als eigenständige chemische Verbindungen als
vorbeschrieben mitlesen.
Das von der Beklagten in Verbindung mit dem Patentanspruch 10 vorrangig
verteidigte Stereoisomere war zum maßgeblichen Zeitpunkt aber auch herstellbar.
So wird nicht nur in der US-Patentschrift HE14 - wie im übrigen auch in der
Streitpatentschrift selbst (vgl. DE 689 03 516 T2, S. 2 Abs. 4, S. 4 Abs. 1 und 2,
- 24 -
S. 5, 4. Zeile von unten bis S. 6 Abs. 1) - ausgeführt, dass die Auftrennung der
reinen stereochemisch isomeren Formen durch die Anwendung von dem
Fachmann an sich bekannten Standardmethoden erfolgt. Es wird im Dokument
HE14 darüber hinaus im einzelnen auch darauf hingewiesen, dass Diastereomere,
mit physikalischen Trennmethoden, wie selektiver Kristallisation oder
chromatographischen Techniken, aufgetrennt werden können und Enantiomere
z. B. durch selektive Kristallisation ihrer diastereomeren Salze mit optisch aktiven
Säuren (vgl. Sp. 4 Z. 40 bis 48 sowie Z. 53 bis 56). Darüber hinaus war es dem
Fachmann zum maßgeblichen Zeitpunkt ebenfalls wohl bekannt, optisch aktive
Verbindungen über eine stereoselektive Synthese herzustellen. In der
Entgegenhaltung HE14 wird diese sowohl in allgemeiner Form (vgl. Sp. 2 Z. 44
bis Sp. 4, Z. 16, Z. 40 bis 42 und Z. 49 bis 52) als auch am Beispiel der
unsubstituierten, unter die Formel (I) fallenden 2,2’-Iminobisethanol-Derivate 78
bis
83 der Tabelle des Beispieles
23 auch beschrieben (vgl. dazu die
Beispiele 13, 16 und 17). Dieses Dokument gibt dem Fachmann gleichzeitig aber
auch direkte Hinweise, von welchen Ausgangsverbindungen er auszugehen hat
und welche Zwischenstufen erforderlich sind, um das streitpatentgemäß
beanspruchte Enantiomer [2S,αR,2’R,α’R]-α,α’-[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-
dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] (= l-Nebivolol) in die Hand zu bekommen.
Im Beispiel 14 dieser Druckschrift, das die Herstellung der Aldehyde, die als Vor-
stufe der im Streitpatent als Ausgangsmaterialien bezeichneten Oxirane
(Formeln (II) und (IV-a-1) in den allgemeinen Reaktionsschemata auf den Seiten 2
und 4) dienen, beschreibt (Formel (IV-a) im allgemeinen Reaktionsschema auf
S. 4 der Streitpatentschrift DE 689 03 516 T2), wird als Zwischenverbindung 35 „6-
Fluor-3,4-dihydro-2H-benzopyran-2-carboxaldehyd“ genannt, die eine Ausgangs-
verbindung für die Synthese des auch das streitpatentgemäß beanspruchte
Stereoisomer umfassenden Stereoisomerengemisches 84 ist. Es wird in diesem
Zusammenhang zudem ausgeführt, dass diese nach dem gleichen Verfahren wie
die entsprechende unsubstituierte Verbindung 34 mit den äquivalenten Mengen
des geeigneten Ausgangsmaterials gewonnen werden könne (vgl. Sp. 13 Bei-
spiel 14, insb. Z. 28 bis 32). Diese Verbindung wird sodann gemäß Beispiel 17 in
die Oxirane 55 und 56 mit den isomeren Formen „A“ und „B“ weiterverarbeitet (vgl.
- 25 -
Sp. 14/15 Beispiel 17 i. V. m. Tabelle Z.
15/16). Im Folgenden wird die
Verbindung 55 ferner in die Zwischenverbindung 89 überfKaufbeurer Straße 55,
86830 Schwabmünchen,ührt, d.
h. in (A)-6-Fluor-3,4-dihydro-α-
[[(phenylmethyl)amino]methyl]-2H-1-benzopyran-2-methanol (vgl. Sp.
16
Beispiel 19). Gemäß den Beispielen 21 bis 23 werden diese Zwischenprodukte,
d. h. die Oxirane und die alkylierten Amine, sodann ohne weitere Differenzierung,
d. h. ohne zu unterscheiden, ob es sich um ein reines Stereoisomer handelt oder
ein Razemat, nach den gleichen Verfahrensweisen zu den in der Tabelle des
Beispieles 23 genannten Endprodukten weiter verarbeitet. Nachdem es als
Selbstverständlichkeit für den Fachmann angesehen werden muss, dass zur
Herstellung reiner Stereoisomerer die entsprechenden optisch aktiven
Ausgangsverbindungen eingesetzt werden müssen (vgl. DE 689 03 516 T2 S. 3/4
übergreifender Absatz sowie auch Gutachten NiV5 S. 12 Abb. 5 und S. 13 Abb.),
erhält der Fachmann mit dem Dokument HE14 nicht nur konkrete Angaben dahin
gehend, welche Ausgangsverbindung er zur Synthese der Verbindung
[2S,αR,2’R,α’R]-α,α’-[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-dihydro-2H-1-benzopyran-2-
methanol] einsetzen muss, er erhält damit auch alle erforderlichen Informationen
hinsichtlich der Reaktionsbedingungen, um diese Verbindung herzustellen. An
keiner Stelle dieser Entgegenhaltung ist ein Hinweis dahingehend zu entnehmen,
die in den Beispielen genannten Reaktionsbedingungen könnten nicht für alle
gemäß dieser Schrift in Betracht kommenden Verbindungen gleichermaßen
gelten. Dieses ist insbesondere für die vorliegend in Rede stehende Verbindung
auch nicht ersichtlich, nachdem der Unterschied im Substitutionsmuster, d. h. der
Austausch von jeweils einem Wasserstoff-Atom gegen ein Fluor-Atom, marginal
ist und davon nur die äußersten Ringe des Moleküls, nicht aber die Bereiche
betroffen sind, die in die stereoselektive Synthese einbezogen sind. Bestätigung
erfährt diese Darlegung im Übrigen durch das von der Beklagten vorgelegte
Gutachten NiV5, in dem im Zusammenhang mit der stereoselektiven Synthese der
von der Verbindung 84 umfassten Enantiomeren ausgeführt wird, dass sämtliche
zu deren Herstellung eingesetzten Reaktionen Standardreaktionen der
organischen Chemie verkörperten, die dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt des
Streitpatentes bestens bekannt gewesen seien, und der anhand der
- 26 -
unsubstituierten Derivate aufgezeigte Syntheseweg auch auf die Stereoisomeren
der Verbindung 84 übertragbar sei (vgl. S. 12 Abs. 1 le. Satz sowie S. 14 bis S. 16
Abs. 1).
Die vorstehende Argumentation gilt entsprechend auch für die weiteren unter die
Formel (I) fallenden Verbindungen, die die RSSS-Isomeren der unter die
Formel (I) des Dokumentes HE14 subsumierbaren Verbindungen darstellen (vgl.
HE14 Patentanspruch 1).
Damit aber werden von der Entgegenhaltung HE14 beide Voraussetzungen für die
neuheitsschädliche Vorbeschreibung eines chemischen Stoffes erfüllt. Die US-
Patentschrift 4 654 362 (HE14) gibt nicht nur einen konkreten Hinweis auf die in
Rede stehende Verbindung, der Fachmann war auf Grund der dort gegebenen
allgemeinen und experimentellen Hinweise auch ohne weiteres in der Lage, sie
herzustellen. Der Verbindung [2S,αR,2’R,α’R]-α,α’-[Iminobismethylen]bis[6-fluor-
3,4-dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] (= l-Nebivolol), sowie aber auch den
weiteren unter die Formel
(I) fallenden Verbindungen gemäß erteiltem
Patentanspruch 10 fehlt daher gegenüber diesem Dokument die Neuheit.
Der Vortrag der Beklagten kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Die
Auffassung, mit der allgemeinen Formel (I) der US-Patentschrift 4 654 362 (HE14)
werde eine unübersehbar große Anzahl von Verbindungen angegeben, aus der
der Fachmann am Prioritätstag des Streitpatentes das in Rede stehende SRRR-
Enantiomer (= l-Nebivolol) nicht ohne weiteres hätte herausfinden können, konnte
den Senat ebenso wenig überzeugen, wie der Einwand, der Fachmann habe
dieses Stereoisomer als Einzelverbindung in Verbindung mit der Substanz 84 auf
keinen Fall mitgelesen, auch wenn dieses aus nur vier Enantiomeren bestehe,
weil es sich bei der Substanz 84 im Gegensatz zu den unsubstituierten
Verbindungen nicht um eine dort als bevorzugt anzusehende Substanz handle,
dieses Dokument die in Rede stehende Verbindung auch nicht explizit nenne und
dort bis auf einen Fall nur Verbindungsgemische offenbare. Wie vorstehend
dargelegt, musste der Fachmann die in Rede stehende Verbindung nicht mühselig
- 27 -
aus allen unter die allgemeine Formel (I) der Druckschrift HE 14 fallenden
Verbindungen auswählen, vielmehr werden ihm mit der Substanz 84 bereits die
vier Stereoisomeren RSSS, SRRR, RSRR und SRSS offenbart, einer Substanz im
übrigen, die sogar - obwohl dies für die Neuheitsschädlichkeit nicht einmal
erforderlich wäre - jener Gruppe von Verbindungen zuzurechnen ist, die in der
Entgegenhaltung HE14 als bevorzugt bezeichnet werden (vgl Sp. 2 Z. 36 bis 39).
Ferner sind in diesem Dokument die Stereoisomeren ausdrücklich in den
Offenbarungsgehalt mit eingeschlossen, weshalb der Fachmann die optisch
aktiven Verbindungen insbesondere in Verbindung mit den in der Tabelle des
Beispieles 23 angegebenen Stereoisomerengemischen, somit auch in Verbindung
mit der Substanz 84, jeweils als Einzelverbindungen erkennen und mitlesen wird.
Dazu ist es nicht erforderlich, dass für jedes dieser Enantiomeren auch explizit
Herstellungsbeispiele angegeben werden oder Ausgangsverbindungen bzw.
Reaktionsbedingungen zu seiner Herstellung hervorgehoben werden. Es
entspricht nämlich üblicher Praxis, die Herstellbarkeit von unter allgemeine
Formeln fallenden Verbindungen an wenigen Beispielen, bisweilen auch nur
einem, darzulegen, ohne dass der Offenbarungsgehalt auf diese Beispiele als
beschränkt anzusehen wäre (vgl. Schulte PatG 7. Aufl. § 34 Rdn. 314, 384).
1.3.
Der dem Patentanspruch 10 nachgeordnete Patentanspruch 11 teilt das
Schicksal des Patentanspruches
10. Die Verbindung [2R,αS,2’S,α’S]-α,α’-
[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] (= l-
Nebivolol) bzw. die RSSS-Isomeren der allgemeinen Formel (I) in der Medizin zu
verwenden, wird mit der US-Patentschrift HE14 nämlich gleichfalls
neuheitsschädlich vorweggenommen, denn auch gemäß dieser sind die
Verbindungen der allgemeinen Formel
(I) zur Behandlung von
Krankheitszuständen vorgesehen (vgl. Patentanspruch 5 i. V. m. Beschreibung
Sp. 6 Z. 55 bis 65).
1.4.
Die pharmazeutische Zusammensetzung gemäß Patentanspruch 12, die als
wirksamen Bestandteil eine Verbindung der Formel (I), wie in Anspruch 10
beansprucht, enthält, weist gegenüber dem US-Patent 4 654 362 (HE14) ebenfalls
- 28 -
nicht die erforderliche Neuheit auf. Wie vorstehend im Zusammenhang mit
Patentanspruch 10 dargelegt, gibt dieses Dokument dem Fachmann nicht nur
einen konkreten Hinweis auf die bevorzugt verteidigte Verbindung [2R,αS,2’S,α’S]-
α,α’-[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] (= l-
Nebivolol) bzw. die RSSS-Isomeren der allgemeinen Formel (I), er war auf Grund
der dort gegebenen allgemeinen und experimentellen Hinweise auch ohne
weiteres in der Lage diese Verbindungen herzustellen, weshalb diese
Stereoisomeren als in der Druckschrift HE14 vorbeschrieben anzusehen sind. Die
US-Patentschrift beschreibt darüber hinaus aber auch pharmazeutische
Zusammensetzungen, die diese Verbindungen neben einem pharmazeutisch
annehmbaren Träger enthalten und eine antihypertensive, d.
h. Blutdruck
senkende Wirkung aufweisen (vgl. Patentanspruch 3 i. V. m. Beschreibung Sp. 5
Z. 58 bis 66 und Sp. 6 Z. 56 bis 65).
Das in diesem Patentanspruch in Verbindung mit dem Wirkstoff genannte
Merkmal „zum Potenzieren der Wirkung von blutdrucksenkenden Mitteln“ kann der
beanspruchten pharmazeutischen Zusammensetzung nicht die erforderliche
Neuheit verleihen. Damit wird nämlich nicht ein neues therapeutisches
Anwendungsgebiet angegeben, vielmehr handelt es sich bei diesem Merkmal um
die Erklärung der technischen Wirkung der in Rede stehenden Verbindungen zur
Erzielung des im Dokument HE14 bereits z. B. i. V. m. der Substanz 84 in der
Tabelle des Beispieles 26 beschriebenen Erfolges, nämlich der Senkung des
Blutdruckes (vgl. Benkard PatG 10. Aufl. § 3 Rdn. 89, 90 und 91c sowie Busse
PatG 6. Aufl. § 3 Rdn. 198).
Auch der Patentanspruch 12 ist daher nicht bestandsfähig.
1.5.
Der Patentanspruch 14 fällt ebenfalls der Nichtigkeit anheim. Auch das dort
angegebene Verfahren zur Herstellung einer Verbindung nach Patentanspruch 10
weist gegenüber der Druckschrift HE14 nicht die erforderliche Neuheit auf. Die in
diesem Patentanspruch angegebene Umsetzung der Verbindungen (II-a) oder (II-
b) mit den Verbindungen (III-a) bzw. (III-b) unter den angegebenen
- 29 -
Reaktionsbedingungen wird so in diesem Dokument nämlich ebenfalls
beschrieben (vgl. Sp. 2 Z. 44 bis Sp. 3 Z. 37).
2.
Die eine pharmazeutische Zusammensetzung und deren Herstellung bzw.
ein Produkt betreffenden Patentansprüche 4, 6, 7 und 8, soweit sich letztere nicht
auf Patentanspruch 5 rückbeziehen, 9 und 13, soweit sich dieser nicht mittelbar
auf Patentanspruch 5 rückbezieht, sowie die die Verwendung einer Verbindung
der Formel (I) betreffenden Patentansprüche 1 bis 3 erweisen sich ebenfalls als
nicht bestandsfähig. Diese Patentansprüche fallen der Nichtigkeit anheim, weil die
Bereitstellung ihrer Gegenstände jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit
beruht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob die Gegenstände dieser
Patentansprüche überhaupt noch neu sind, nachdem die Verbindungen der US-
Patentschrift HE14 ebenfalls als Bestandteile pharmazeutischer
Zusammensetzungen vorgesehen sind (vgl. Patentanspruch 3) und der Fachmann
in diesem Dokument nicht nur - wie vorstehend dargelegt - die optischen Isomeren
und, nachdem dort auch auf die Trennung von Diastereomeren verwiesen wird,
die zwei Enantiomerenpaare RSSS/SRRR und RSRR/SRSS als offenbart ohne
weiteres mitliest. Dies trifft umso mehr zu, als die beanspruchten
Zusammensetzungen nicht auf zwei Wirkstoffe beschränkt sind und daher auch
jegliche in diesem Dokument beschriebenen Mischungen mit mehr als zwei
Enantiomeren mit gleichem Substitutionsmuster, wie z. B. die Substanz 84,
enthalten können.
2.1.
Der erteilte Patentanspruch 4 umfasst u. a. solche pharmazeutische Zusam-
mensetzungen, die als Wirkstoffe neben den unter die allgemeine Formel (I) ge-
mäß Streitpatent genannten Verbindungen mit der Konfiguration „RSSS“ auch
zumindest deren Enantiomeren mit der Konfiguration „SRRR“ als blutdrucksen-
kendes Mittel mit adrenerger und/oder vasodilatorischer Aktivität enthalten, wie
z. B. das unter dem Trivialnamen „d,l-Nebivolol“ bzw. „Nebivolol“ bekannte Enanti-
omerenpaar [2R,αS,2’S,α’S]-α,α’-[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-dihydro-2H-1-
benzopyran-2-methanol] und [2S,αR,2’R,α’R]-α,α’-[Iminobismethylen]bis[6-fluor-
3,4-dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] (vgl. auch die nachgeordneten Patent-
- 30 -
ansprüche 3 und 6). Den nächstliegenden Stand der Technik stellt nach Auffas-
sung des Senates daher die US-Patentschrift 4 654 362 (HE14) dar. Diese betrifft
2,2’-Iminobisethanol-Derivate der dort angegebenen Formel (I) und deren stereo-
chemisch isomeren Formen mit selektiver ß
1
-Rezeptor blockierender Wirkung
kombiniert mit vasodilatorischen Eigenschaften sowie die Verwendung dieser Ver-
bindungen als blutdrucksenkende Mittel (vgl. Patentansprüche 1 und 3 sowie Be-
schreibung Sp. 1 Z. 26 bis Sp. 3 Z. 34, Sp. 5 Z. 52 bis 66, Sp. 6 Z. 55 bis 65 und
Beispiele 26 und 27). Als bevorzugt werden in diesem Zusammenhang jene Ver-
bindungen beschrieben, bei denen nicht mehr als zwei der Substituenten R
10
bis
R
17
in der allgemeinen Formel (I) nicht Wasserstoff sind (vgl. Sp. 2 Z. 37 bis 39).
Nur solche Verbindungen, die diese Vorgabe erfüllen, sind sodann auch Gegens-
tand der Herstellungsbeispiele (vgl. Beispiel 23 Tabellen) und pharmakologischen
Versuche (vgl. Beispiel 26 Tabelle I). Bei diesen Versuchen handelt es sich um die
Messung der erwünschten, die Kontraktionskraft des Herzens steigernden ß
1
-Akti-
vität am isolierten rechten Meerschweinchen-Vorhof, und der vorliegend nicht er-
wünschten, die Relaxation der glatten Bronchialmuskulatur beeinflussenden ß
2
-
Aktivität an der präparierten Meerschweinchen-Trachea. Dabei haben sich gemäß
der US-Patentschrift HE14 vier Stereoisomerengemische, die Substan-
zen 90, 89, 99 und 84, als sehr wirksam erwiesen. Sie besitzen gegenüber den
weiteren getesteten Substanzen nämlich einen sehr hohen Selektivitätsqotienten
ß
2
/ß
1
, d. h. eine hohe ß
1
-Affinität und gleichzeitig eine geringe Wirkung auf den ß
2
-
Rezeptor. Von diesen vier Substanzen wiederum weisen die Substanzen 84
und 99 die höchste ß
1
-Affinität, von diesen beiden aber die Substanz 84 eine nied-
rigere ß
2
-Affinität auf, nachdem der dafür ermittelte Wert in der Tabelle I des Bei-
spieles 26 für dieses Stereoisomerengemisch mit größer 10 angegeben wird, da-
gegen bei dem Stereoisomerengemisch 99 mit gleich-größer 10. Zum maßgebli-
chen Zeitpunkt war dem Fachmann aus den in Teilen übereinstimmenden Publi-
kationen zu Untersuchungen zum hämodynamischen Effekt verschiedener ß
1
-Blo-
cker desselben jeweils federführenden Autors, nämlich Jean De Crée, in Drug De-
velopment Research 1986, 8, S. 109 bis 117 (HE29) und Angiology, 1987, S. 440
bis 448 (HE12) überdies bekannt gewesen, dass eine Substanz mit der Bezeich-
nung „R 67 555“, die dort einmal als „Nabivolol“ einmal als „Nebivolol“ bezeichnet
- 31 -
wird, sich sowohl in vitro als auch in vivo als ein potenter und selektiver ß
1
-Adre-
nozeptor-Blocker erwiesen hat. Darüber hinaus wusste er aus diesem Stand der
Technik auch, dass diese Substanz in geringerer Dosierung als herkömmliche
Wirkstoffe - genannt werden in diesem Zusammenhang Atenolol, Pindolol und
Propanolol - bei der Reduzierung der Herzfrequenz und bei der Absenkung des
systolischen Blutdruckes eine mit diesen vergleichbare Wirkung zeigt. Gleichzeitig
besitzt diese Substanz, den Ausführungen in diesen Entgegenhaltungen folgend,
ein einzigartiges hämodynamisches Profil, weil es die linksventrikuläre Leistung
nicht beeinträchtigt bzw. sogar die Herzfunktion fördert (vgl. HE29 S. 110 „Intro-
duction“ und S. 115 vorletzter Satz bis S. 116 Abs. 1 sowie HE12 S. 440 „Abstract“
bis S. 441 „Introduction“ i. V. m. S. 448 „References“ 3. und S. 447/448 „Discus-
sion“). Über die Substanz mit der Bezeichnung „R 67 555“ wusste der Fachmann
ferner, dass sie die gleiche Grundstruktur wie die in der US-Patentschrift HE14
beschriebene Substanz 84 und darüber hinaus zumindest auch die gleiche iso-
mere Form „AB“ aufweist. Im gleichen Heft der Zeitschrift „Drug Development Re-
search“, in dem der wissenschaftliche Beitrag HE29 publiziert worden ist, dem
Heft 8 aus dem Jahr 1986 (HE28), ist nämlich in einem vorausgehenden Artikel,
der 33 Jahre Wirkstoff-Forschung mit Dr. Paul Janssen beschreibt, auf S. 5 in der
Fig. 2, re. Sp. letzte Formelzeichnung die Substanz „R 67 555“ mit der isomeren
Form (AB)
1
angegeben. Auf S. 13 dieses Artikel wird sodann in Verbindung mit
dem Synthesejahr 1985 auf den nachfolgenden Artikel HE29 hingewiesen.
In Kenntnis dieses Standes der Technik bedurfte es daher keines erfinderischen
Zutuns, zur Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe, die Wir-
kung von blutdrucksenkenden Mitteln mit adrenerger und/oder vasodilatorischer
Aktivität zu verbessern, eine pharmazeutische Zusammensetzung gemäß Patent-
anspruch 4 bereitzustellen, die u. a. neben einem RSSS-Isomer der allgemeinen
Formel (I) auch das SRRR-Isomer davon, d. h. das sich damit ergebende Enanti-
omerenpaar, umfasst. Wie vorstehend bereits ausgeführt, wird dem Fachmann
nicht nur mit der US-Patenschrift HE14 die Lehre vermittelt, dass die dort be-
schriebene Substanz 84 das beste Wirkungsspektrum aufweist, er wusste z. B.
aus dem wissenschaftlichen Beitrag HE29 auch, dass eine Verbindung mit glei-
- 32 -
cher Grundstruktur und zumindest entsprechender stereoisomerer Form im be-
sonderen Interesse der Fachwelt stand, weil sie über ihre selektive ß
1
-Adreno-
zeptor blockierenden Eigenschaften hinaus in weit geringerer Dosierung als her-
kömmliche Wirkstoffe den systolischen Blutdruck effektiv senkt und gleichzeitig ein
einzigartiges hämodynamisches Profil aufweist. Dem fachkundigen Leser der Ent-
gegenhaltung HE14 ist von der Substanz 84 ferner bekannt gewesen, dass diese
aus den zwei Enantiomerenpaaren RSSS/SRRR (= d,l-Nebivolol) und
RSRR/SRSS, die wiederum diastereomer zueinander sind, besteht, es sich somit
um eine Mischung von vier Enantiomeren handelt und diese Substanz gegenüber
der Substanz 87 - mit gleicher Grundstruktur jedoch anderer Stereochemie - eine
erheblich höhere ß
1
-Aktivität aufweist (vgl. Beispiel 26 Tabelle I). Dass die Aktivität
von Substanzen der allgemeinen Formel (I) gemäß Streitpatent abhängig von ihrer
Stereochemie ist, ist für ihn ergänzend dazu auch bei einem Vergleich der in die-
ser Tabelle angegebenen Werte für das Enantiomerengemisch AB der unsubsti-
tuierten Substanz 76 und der für die einzelnen Enantiomeren 79 bis 83 dieses
Gemisches gemessenen Werte ersichtlich. Solche Ergebnisse stimmen mit dem
Wissen des einschlägigen Fachmanns im Zusammenhang mit pharmakologisch
aktiven Enantiomeren in allgemeiner Form überein, dass nämlich die einzelnen
Stereoisomeren eines Enantiomerenpaares üblicherweise eine unterschiedliche
biologische Aktivität besitzen (vgl. z. B. HE9 S. 453 Abs. 2 und 3 sowie Abs. 8 bis
S. 454/455 übergreifender Absatz).
Angesichts dieses Sachstandes musste der Fachmann nur noch der im Rahmen
von Wirkstoffisolierungen aus Substanzgemischen üblichen systematischen Vor-
gehensweise folgen, um die wirksame Substanz schrittweise über Anreicherungs-
verfahren in die Hand zu bekommen. Nachdem ihm bekannt war, dass es sich im
Falle der Substanz 84 um zwei Enantiomerenpaare handelt, die diastereomer zu
einander sind, ist nach Überzeugung des Senates nichts anderes als näher lie-
gend anzusehen, als diese Enantiomerenpaare zu trennen, um über ein routine-
mäßiges Austesten der beiden sodann erhaltenen Fraktionen zu überprüfen, in
welcher sich das wirksame Prinzip angereichert hat. Dieses kann mit dem Fach-
mann vertrauten Standardmethoden erfolgen, die er in Verbindung mit der Tren-
- 33 -
nung dieser Substanzklasse von vornherein in Erwägung ziehen wird, denn bei
Diastereomeren erfolgt dieser Schritt bekanntlich durch die Anwendung physikali-
scher Methoden, wie z. B. einer Chromatographie an Silicagel oder durch Kristalli-
sation (vgl. HE14 Sp. 4 Z. 40 bis 49 sowie Sp. 14 Beispiel 17, insb. Z. 62 bis 64,
sowie DE 68 903 516 T2 S. 4 Abs. 2). Der Fachmann wird daher nicht, wie die
Beklagte vorträgt, ausgehend von der Substanz 84 alle der von dieser umfassten
vier Enantiomeren aufs Geratewohl und ohne zu wissen, welches der Paare die
Wirkung weiterhin aufweist, stereoselektiv synthetisieren, wird doch der damit ver-
bundene Aufwand durch die Eingrenzung auf nur noch zwei, als Träger des Wirk-
prinzips in Frage kommende Enantiomere, die nach einem üblichen Trennverfah-
ren erhalten wurden, erheblich verringert. Dieses trifft um so mehr zu, als - wie die
Beklagte vorgetragen hat - die Herstellung und Untersuchung jeder einzelnen
Verbindung sehr aufwändig ist und jeweils für sich ein eigenes Forschungsvorha-
ben bzw. eine Dissertation darstellt. Zur Überprüfung, welches der Paare sodann
in erster Linie die bereits in Verbindung mit der Verbindung 84 festgestellte sehr
hohe ß
1
-Aktivität und sehr geringe Wirkung auf den ß
2
-Rezeptor aufweist, bedurfte
es lediglich der Überprüfung in den auch in der Druckschrift HE14 beschriebenen
Testsystemen am isolierten rechten Meerschweinchen-Vorhof und an der präpa-
rierten Meerschweinchen-Trachea. Dabei handelt es sich um Testsysteme, die auf
dem vorliegenden Fachgebiet üblicherweise im Rahmen orientierender Versuchs-
reihen verwendet werden und sich bekanntlich durch einen geringen Zeitaufwand
und eine gute Reproduzierbarkeit auszeichnen. Konnte der Fachmann in der
Folge sodann einem der beiden Enantiomerenpaare die bei der Verbindung 84 be-
reits festgestellte hohe Wirksamkeit zuordnen, so bedurfte es keiner Überlegun-
gen erfinderischer Art mehr, die beiden Enantiomeren dieses Paares ebenfalls in
die Hand zu bekommen und entsprechend auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen.
Sind doch auch in diesem Fall die zwei zur Auswahl stehenden Vorgehensweisen,
die stereoselektive Enantiomerentrennung (vgl. dazu auch HE9 S. 452 Abs. 3
und 5) oder die stereoselektive Synthese, beides Methoden, die - wie vorstehend
bereits dargelegt - dem Fachmann zum maßgeblichen Zeitpunkt an sich bekannt
waren und unter denen er sich unter Abwägung des jeweiligen Aufwandes die ihm
am besten geeignete auswählen konnte (vgl. HE14 Sp. 4 Z. 49 bis 56,
- 34 -
DE 689 03 516 T2 S. 4 Abs. 2 und S. 6 Abs. 1). Wenn er schließlich im Zusam-
menhang mit der Testung der Einzelsubstanzen feststellt, dass keines der Enanti-
omeren für sich die Höhe der mit dem Enantiomerenpaar erhaltenen Selektivität
gegenüber dem ß
1
-Rezeptor bei gleichzeitig geringer Wirksamkeit gegenüber dem
ß
2
-Rezeptor aufweist bzw. das SRRR-Isomere in erster Linie für die blutdrucksen-
kende Wirkung verantwortlich ist, während das RSSS-Isomere diesbezüglich aber
eine weit geringere Aktivität aufweist, die Aktivität des Enantiomerenpaares wie-
derum gegenüber diesen Werten nicht nur additiv erhöht sondern potenziert ist, so
ist diese Feststellung nicht die Folge von Überlegungen erfinderischer Art, son-
dern vielmehr eine Folge des vorstehend dargelegten nahegelegten Handelns
(vgl. auch Busse, PatG, 6. Aufl. § 4 Rdn. 134).
Dieses Enantiomerengemisch sodann in der Folge zusammen mit einem pharma-
zeutisch annehmbaren Träger als pharmazeutische Zusammensetzung bereitzu-
stellen, wie es im erteilten Patentanspruch 4 beansprucht wird, kann gleichfalls
keinen Beitrag zur Begründung der erfinderischen Tätigkeit leisten, nachdem die
US-Patentschrift HE14 ebenfalls bereits pharmazeutische Zusammensetzungen
beschreibt, die die Substanzen gemäß der allgemeinen Formel (I) enthalten (vgl.
Patentanspruch 3 i. V. m. Sp. 5 Z. 67 bis Sp. 6 Z. 12).
Zu keiner anderen Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit kann das Argument der
Beklagten führen, die erfinderische Leistung sei vorliegend darin zu sehen, beide
Enantiomere kombiniert zu haben. Der Fachmann hätte nämlich ausgehend von
der Verbindung 84 diese auf keinen Fall in die Enantiomerenpaare aufgetrennt,
sondern sogleich die Einzelverbindungen synthetisiert und erst über eine Kombi-
nation von zwei der sodann vier zur Verfügung stehenden Verbindungen die nicht
vorhersehbar wirksame Kombination der in Rede stehenden Enantiomeren bereit-
gestellt. Deren Wirkung, so trägt die Beklagte weiter vor, sei umso überraschender
gewesen, als das RSSS-Enantiomer im Test nicht die gewünschte Wirkung ge-
zeigt habe, der Fachmann eine Kombination mit dieser Verbindung daher von
vornherein ausgeschlossen hätte. Diesem Vortrag kann sich der Senat nicht an-
schließen, weil der Fachmann alleine schon aus Gründen der Verfahrensökono-
- 35 -
mie - wie vorstehend ausgeführt - die Substanz 84 zunächst in an sich bekannter
Weise in die beiden Enantiomerenpaare RSSS/SRRR (= d, l-Nebivolol) und
RSRR/SRSS auftrennen wird und zur Orientierung, bei welchem dieser Paare
eine Anreicherung des Wirkprinzipes gelungen ist, deren Wirksamkeit untersuchen
wird, bevor er gegebenenfalls die stereoselektiveSynthese einzelner Enantiomere
ins Auge fasst.Nachdem sich dabei jedoch bereits erwies, dass die Wirkung des
Enantiomerenpaares RSSS/SRRR die Summenwirkung der beiden einzelnen
Enantiomeren übertrifft, liegt es auf der Hand, unter Einsparung einer Reihe von
Verfahrungsschritten, dieses bereits die Erwartungen erfüllende Enantiomeren-
paar direkt zur Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung zu ver-
wenden, anstatt ausgehend von den - erst stereoselektiv zu synthetisierenden -
einzelnen Enantiomeren diese wieder zu den entsprechenden Paaren zu rekom-
binieren, um die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe zu lösen.In diesem
Zusammenhang mag es für den Fachmann zwar von Interesse sein, dass einer
der Partner dieses Paares zwar nicht wirksam ist, ein Zusammenwirken beider
Partner jedoch in synergistischer Weise erfolgt. Die Lösung dieser Aufgabe ergab
sich für ihn aber bereits mit der Trennung der beiden die Substanz 84 bildenden
Enantiomerenpaare, die alleine schon bedingt war durch die im Zug einer für wei-
tere Untersuchungen eines Wirkprinzipes erforderlichen Wirkstoff-Anreicherung.
Auch der Vortrag der Beklagten kann den Senat nicht überzeugen, der Fachmann
habe auch deshalb nur die jeweils einzelnen Enantiomeren im Auge gehabt, weil
Wirkstoffe in Form von Razematen bzw. Enantiomerenpaaren - in diesem Zu-
sammenhang verweist die Beklagte auf die in der mündlichen Verhandlung über-
reichten Zulassungsbestimmungen für Japan (Guideline for Submitting Supporting
Documentation in Drug Applications for the Manufacture of Drug Substances -
Center for Drug Evaluation and Research - Food and Drug Administration - De-
partment of Health and Human Services, February 1987 sowie Pharmaceutical
Manufacturing Guidelines - 1985 Edition - Edited by the Society of Japanese
Pharmacopoeia - Published by Yakugyo Jiho-Sha (The Pharmaceutical Times
Company)) - zum maßgeblichen Zeitpunkt von den dafür zuständigen Behörden
nicht mehr zugelassen worden seien. Abgesehen davon, dass vorliegend in Japan
- 36 -
geltende Zulassungsbestimmungen keine Rolle für die Bereitstellung von Wirk-
stoffen spielen dürften, die in Deutschland gegebenenfalls zugelassen werden
sollen, enthalten diese Bestimmungen nicht ein Verbot von Zulassungen von
Enantiomerenpaaren als Wirkstoffe. In diesen Dokumenten wird vielmehr darauf
hingewiesen, dass es wünschenswert sei, die Stereoisomeren einzeln hinsichtlich
ihrer strukturellen, pharmakologischen und toxikologischen Eigenschaften zu un-
tersuchen (vgl. Guideline for Submitting Supporting Documentation in Drug Appli-
cations for the Manufacture of Drug Substances ..., S. 36, Abs. 3 sowie Pharma-
ceutical Manufacturing Guidelines ...., 6. Seite der eingereichten Unterlagen,
Abs. 1). Dieses liegt im Einklang mit der in der Fachwelt zum maßgeblichen Zeit-
punkt herrschenden Auffassung, dass die Trennung von Stereoisomeren und die
Untersuchung der individuellen Isomeren wichtig für eine korrekte biologische
Auswertung ist (vgl. HE8 S. 667 li. Sp. Abs. 3). Nachdem dem Fachmann zudem
bekannt war, dass die Wirksamkeit der einzelnen Enantiomeren eines Razemates
bzw. Enantiomerenpaares nicht nur von unterschiedlicher Höhe sein kann, son-
dern sich die Wirksamkeit grundsätzlich unterscheiden kann, wobei eines davon in
erster Linie für unerwünschte Nebenwirkungen verantwortlich sein kann (vgl. z. B.
HE8 S. 664 li. Sp. Abs. 3 Mitte oder HE 9 S. 454 Pkt. 1.), lag es überdies alleine
schon deshalb im Interesse des Fachmannes, seiner Sorgfaltspflicht nachzukom-
men und die beiden Enantiomeren des in Rede stehenden Enantiomerenpaares
auch getrennt für sich zu untersuchen.
2.2.
Die auf den Patentanspruch 4 direkt oder indirekt rückbezogenen Patentan-
sprüche 6 sowie 7 und 8, soweit diese nicht auf Patentanspruch 5 rückbezogen
sind, teilen dessen Schicksal und fallen ebenso der Nichtigkeit anheim.
2.2.1.
Mit dem Patentanspruch 6 wird eine pharmazeutische Zusammensetzung
beansprucht, die als blutdrucksenkendes Mittel das auch unter dem Trivialnamen
d-Nebivolol bekannte [2S,αR,2’R,α’R]-α,α’-[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-di-
hydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] enthält. Diese Verbindung bildet mit dem
RSSS-Isomer gleicher Grundstruktur eines der beiden von der in der Entgegen-
haltung HE14 beschriebenen Verbindung 84 umfassten Enantiomerenpaare. Die
- 37 -
vorstehend zum übergeordneten Patentanspruch 4 dargelegten Argumente gelten
daher auch für diesen Patentanspruch voll umfänglich.
2.2.2.
Gemäß erteiltem Patentanspruch 7 werden die Anteile der beiden wirksa-
men Bestandteile der pharmazeutischen Zusammensetzungen gemäß Patentan-
spruch 4 auf ein Molverhältnis von 1:1 beschränkt. Liegen die d- und l-Form einer
Verbindung, d. h. beide Enantiomere, in gleichen Teilen vor, so wird von einem
Razemat gesprochen. Razemate bilden sich - und dieses gehört zu den Grundre-
geln der organischen Chemie - üblicherweise stets dann, wenn chirale, d. h. op-
tisch aktive Verbindungen aus achiralen, d. h. optisch inaktiven Verbindungen
hergestellt werden (vgl. z. B. HE8 S. 663 re. Sp. Abs. 2 sowie HE9 S. 452 Abs. 6).
Dies trifft nach Überzeugung des Senates so jeweils auch auf die beiden die Sub-
stanz 84 der US-Patentschrift HE14 bildenden zwei Enantiomerenpaare und damit
das vorliegend in Rede stehende Enantiomerenpaar RSSS/SRRR (= d,l-Nebivolol)
zu. Das Merkmal gemäß Patentanspruch 7, das Vorliegen der beiden wirksamen
Bestandteile in einem Molverhältnis von 1:1, wird von diesem Enantiomerenpaar
daher von vornherein erfüllt. Für den Senat haben sich keine Anhaltspunkte - we-
der aus der Entgegenhaltung HE14 noch aus dem Streitpatent - ergeben, die Her-
stellung der Verbindungen der allgemeinen Formel (I) gemäß der US-Patentschrift
HE14 folge nicht dieser allgemein gültigen Regel und die einzelnen Stereoisome-
ren der dort offenbarten Enantiomerenpaare würden in unterschiedlichen Anteilen
gebildet. Dieses trifft um so mehr zu, als auch in der nachveröffentlichten Literatur
im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Enantiomerenpaar, das dort
ebenfalls unter dem Trivialnamen „Nebivolol“ geführt wird, von einem Razemat
gesprochen wird (vgl. HE13 S. 33 FW 13.1 Abs. 1 sowie HE16 S. 453 li. Sp.
Abs. 1). Läge jedoch ein Enantiomerenpaar vor, dessen Stereoisomeren in unter-
schiedlichen Anteilen während der Reaktion gebildet würden, so wäre dieses al-
leine schon daran zu ersehen, dass dieses optisch aktiv wäre, was die Aufmerk-
samkeit der Fachwelt auf jeden Fall auf sich gezogen hätte und nach Überzeu-
gung des Senates keineswegs in der Literatur unerwähnt geblieben wäre.
- 38 -
Der Argumentation der Beklagten, man könne - wie auch aus dem von ihr vorge-
legten Gutachten NiV8 ersichtlich sei - nicht davon ausgehen, dass innerhalb des
in Rede stehenden Enantiomerenpaares ein razemisches Gemisch vorliege, ver-
mag der Senat daher nicht zu folgen. Werden bei der Synthese die Enantiomeren
eines Paares nicht in gleichen Anteilen gebildet, so handelt es sich, wie auch aus
den dem Gutachten NiV8 beiliegenden, allesamt nachveröffentlichten Dokumen-
ten zu entnehmen ist, um Sonderfälle (vgl. NiV8 i. V. m. Anlagen 2 bis 5). Von
Seiten der Beklagten ist nicht belegt worden, dass das Verfahren zur Herstellung
der in Rede stehenden Verbindung gemäß der Druckschrift HE14 von dem übli-
chen Verlauf abweicht. Vielmehr wird im Gutachten NiV8 selbst nur von der Mög-
lichkeit der Enantiomerenbildung in unterschiedlichen Anteilen gesprochen bzw.
ausgeführt, dass nicht von vornherein à priori davon ausgegangen werden könne,
dass jeweils beide Enantiomere in gleichen Anteilen vorliegen müssten (vgl. NiV8
S. 5 Abs. 2 bis S. 6 Abs. 2 und S. 7 4.4). Auf Befragen des Senates trug der von
Seiten der Beklagten zu diesem Sachverhalt benannte Gutachter darüber hinaus
ergänzend vor, dass sich 1:1-Gemische in den meisten Fällen so ergäben und
auch vorliegend die Bildung eines 50:50-Gemisches nicht auszuschließen sei.
2.2.3.
Die Maßgabe gemäß Patentanspruch 8, dass das Molverhältnis der beiden
wirksamen Bestandteile von 1:1 verschieden ist, kann die Patentfähigkeit der da-
mit beanspruchten pharmazeutischen Zusammensetzung gleichfalls nicht begrün-
den. Dem Fachmann war im Zusammenhang mit razemischen Wirkstoffen näm-
lich bekannt, dass dieses üblicherweise von vornherein vorgegebene Anteilsver-
hältnis der Enantiomeren gleichzeitig nicht auch optimal sein muss, nachdem
beide Enantiomere sehr unterschiedliche pharmakologische Wirkungen aufweisen
können (vgl. HE8 S. 664 re. Sp. Abs. 3 und S. 667 li. Sp. Abs. 2 sowie HE9 S. 454
Pkt. 1. bis 4., insb. Pkt. 4.). Es ist daher der Routinetätigkeit des einschlägigen
Fachmannes zuzurechnen, einen aus zwei Wirkkomponenten vorliegenden Wirk-
stoff mit unterschiedlichen Anteilen der einzelnen Komponenten auszutesten, um
auf diese Weise die ihm als optimal erscheinende Zusammensetzung zu ermitteln.
Dabei handelt es sich aber lediglich um eine Optimierung, zu deren Durchführung
der Fachmann alleine schon in Kenntnis der allgemeines Fachwissen repräsentie-
- 39 -
renden wissenschaftlichen Übersichtsartikel HE8 bzw. HE9 veranlasst ist und die
im Rahmen seines fachmännischen Könnens erfolgen wird (vgl. Benkard, PatG
10. Aufl., § 4 Rdn. 61; Schulte, PatG 7. Aufl. § 4 Rdn. 113).
2.3.
Der erteilte Patentanspruch 9 ist aufgrund mangelnder erfinderischer Tätig-
keit gleichfalls nicht bestandsfähig.
Die Bereitstellung eines Produktes gemäß Patentanspruch 9, das eine Verbindung
der Formel (I) und ein blutdrucksenkendes Mittel enthält, somit z. B. auch das in
Rede stehende Enantiomerenpaar „d,l-Nebivolol“, zur gleichzeitigen, getrennten
oder aufeinanderfolgenden Anwendung in der Blutdrucktherapie beruht nicht auf
Überlegungen erfinderischer Art. Bei diesen Applikationsformen handelt es sich
um die drei dem Fachmann zur Verfügung stehenden Alternativen, wenn im Zuge
einer Therapie mehr als ein Wirkstoff verabreicht werden soll. Aus diesen wird er
sodann die ihm jeweils am besten geeignete auswählen, wobei maßgeblich für die
Auswahl in jedem Fall der beabsichtigte Anwendungsbereich und die Praktikabili-
tät ist. Die zweckmäßige Herrichtung eines Arzneimittels erfordert aber kein erfin-
derisches Zutun, sondern stellt eine Routinetätigkeit des mit der Entwicklung von
Arzneimitteln befassten Fachmannes dar.
2.4.
Auch das Verfahren nach Patentanspruch
13 zur Herstellung einer
Zusammensetzung nach den Patentansprüchen 4, 6, 7 und 8, soweit letztere nicht
auf Patentanspruch 5 rückbezogen sind, und 12 weist keine Merkmale auf, die
seine Patentfähigkeit begründen könnten. Die Maßgabe, die wirksamen Bestand-
teile innig mit dem pharmazeutischen Träger zu vermischen stellen nicht nur eine
selbstverständliche Maßnahme im Zuge des Herstellungsverfahrens dar, sie wird
so im übrigen auch in dem Dokument HE14 genannt (vgl. Sp. 6 Z. 3 bis 12).
2.5.
Die gemäß den Patentansprüchen 1 bis 3 beanspruchte Verwendung der
RSSS-Enantiomeren der allgemeinen Formel (I) ergibt sich bei einer Zusammen-
schau der US-Patentschrift HE14 mit dem wissenschaftlichen Beitrag von
De Cree, J. et al. in Drug Development Research aus dem Jahr 1986 (= HE29)
- 40 -
und dem allgemeines Fachwissen repräsentierenden Übersichtsartikel von
Ariens, E. in J., Eur. J. Clin. Pharm. aus dem Jahr 1984 (=HE8) in nahe liegender
Weise. Diese Patentansprüche können daher ebenfalls keinen Bestand haben.
2.5.1.
Die beanspruchte Verwendung der unter die Formel
(I) fallenden
Verbindungen gemäß Patentanspruch 1 umfasst auch solche Ausführungsformen,
bei denen deren Enantiomere, d. h. die SRRR-Enantiomere, als blutdrucksen-
kende Mittel mit adrenerger und/oder vasodilatorischer Aktivität eingesetzt wer-
den. Dabei stellt eine darunter zu subsumierende Ausführungsform die in den
Patentansprüchen 3 und 6 angegebenen und streitpatentgemäß am meisten be-
vorzugten (vgl. Beschreibung S. 2 Abs. 3 und S. 5 Z. 6/7 von unten), ein Enantio-
merenpaar bildenden, Stereoisomeren [2R,αS,2’S,α’S]-α,α’-[Iminobismethy-
len]bis[6-fluor-3,4-dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] und [2S,αR,2’R,α’R]-α,α’-
[Iminobismethylen]bis[6-fluor-3,4-dihydro-2H-1-benzopyran-2-methanol] (= d,l-Ne-
bivolol) dar.
Wie unter II.2.1. dargelegt, wird die dem Streitpatent zu Grunde liegende Aufgabe,
dieWirkung von blutdrucksenkenden Mitteln mit adrenerger und/oder vasodilatori-
scher Aktivität zu verbessern, bereits durch die durch die Dokumente HE14 und
HE29 nahe gelegte Bereitstellung des die beiden vorstehend genannten Stereoi-
someren umfassenden Enantiomerenpaares gelöst. Der Fachmann war aber auch
angehalten, die beiden individuellen Enantiomeren - die er, wie vorstehend eben-
falls dargelegt, ohne erfinderisches Zutun in die Hand bekommen konnte - wegen
der zu erwartenden unterschiedlichen biologischen Aktivität jedenfalls für sich zu
untersuchen, sei es um deren Einzelwirkungen zu überprüfen, sei es auf Grund
von Vorschriften der Zulassungsbehörden oder sei es bedingt durch seine Sorg-
faltspflicht (vgl. Guideline for Submitting Supporting Documentation in Drug Appli-
cations for the Manufacture of Drug Substances ..., S. 36, Abs. 3 sowie Pharma-
ceutical Manufacturing Guidelines ...., 6. Seite der eingereichten Unterlagen,
Abs. 1 sowie HE8 S. 667 li. Sp. Abs. 3 i. V. m. HE8 S. 664 li. Sp. Abs. 3 Mitte).
Wenn der Fachmann im Rahmen dessen sodann die Beobachtung machte, dass
die pharmakologische Wirkung des Enantiomerenpaares über der Summenwir-
- 41 -
kung der beiden Enantiomeren lag, d. h. das Zusammenwirken beider Enantiome-
rer zu einer Potenzierung der Wirkung führte, wobei sich eines der Enantiomeren,
nämlich das RSSS-Stereoisomer, als weit wirksamer hinsichtlich der adrenergen
und/oder vasodilatorischen Aktivität erwies als das SRRR-Enantiomer, so ist diese
Erkenntnis lediglich die zwangsläufige Folge des durch den Stand der Technik
nahe gelegten Handelns, kann aber nicht die erfinderische Tätigkeit begründen
(vgl. auch BGH GRUR 2003, 317 Ls., 320 II.2.d.bb) - „Kosmetisches Sonnen-
schutzmittel“ und EPA T 254/93 ABl. 1998, 285 - Verhütung von Hautatro-
phie/ORTHO PHARMACEUTICAL). Die Verwendung des in Rede stehenden
SRRR-Enantiomeren zusammen mit dem RSSS-Enantiomeren zur Potenzierung
der in erster Linie mit dem RSSS-Stereoisomer verbundenen adrenergen und/oder
vasodilatorischen Aktivität beruht daher aus vorstehend genannten Gründen nicht
auf einem erfinderischen Zutun.
Die Beklagte hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung zur Verteidigung dieses
Patentanspruches nichts vorgetragen, vielmehr verwies sie dazu auf die im Zu-
sammenhang mit der Verteidigung des erteilten Patentanspruch 4 vorgetragenen
Argumente.
2.5.2.
Die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 und 3 tei-
len dessen Schicksal und fallen ebenso der Nichtigkeit anheim. Sie betreffen le-
diglich streitpatentgemäß als bevorzugt erachtete Verbindungen der im erteilten
Patentanspruch 1 angegebenen Formel (I). Die zum Patentanspruch 1 dargeleg-
ten Gründe gelten hier daher ebenfalls vollumfänglich.
III.
Die von der Beklagten hilfsweise verteidigten Fassungen gemäß den Hilfsanträ-
gen I bis V erweisen sich aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit als gleich-
falls nicht bestandsfähig, soweit sie nicht Patentanspruch 5 erteilter Fassung oder
der hierauf unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Patentansprüche erteilter
Fassung entsprechen.
- 42 -
1.
Die Patentansprüche 1 bis 11 gemäß Hilfsantrag I entsprechen den erteilten
Patentansprüchen 1, 3 bis 6, 9 und 13 gemäß Hauptantrag, mit der Ausnahme,
dass die mit Patentanspruch 1 beanspruchte pharmazeutische Zusammensetzung
nunmehr ausschließlich aus den dort genannten zwei Wirkstoffkomponenten be-
steht. Damit mag der beanspruchte Gegenstand beschränkt worden sein, nach-
dem er aber weiterhin als wirksame Komponenten nicht nur die in der US-Patent-
schrift HE14 vorbeschriebenen Verbindungen der Formel (I) mit ß
1
-Rezeptor blo-
ckierenden Eigenschaften enthält, sondern insbesondere auch die in den erteilten
Patentansprüchen 3 und 6 genannten difluorierten Enantiomeren, treffen die zu
den entsprechenden erteilten Patentansprüchen jeweils dargelegten Nichtigkeits-
gründe hier ebenso zu.
2.
Nichts anderes gilt für die Patentansprüche 1 bis 6 gemäß Hilfsantrag II und
die Patentansprüche 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag III, die sich von den erteilten Pa-
tentansprüchen 4, 13, 9 und 1 gemäß Hauptantrag lediglich durch eine weitere
Beschränkung der Verbindung (a) bzw. auch (b) auf die in den erteilten Patentan-
sprüchen 3 und 6 genannten Enantiomeren unterscheiden. Die Diskussion der er-
finderischen Tätigkeit des Patentgegenstandes gemäß Hauptantrag erfolgte be-
reits im Hinblick auf diese bevorzugte Ausführungsform, weshalb die dort unter
II.2. genannten Nichtigkeitsgründe entsprechend gelten.
3.
Der einzige Patenanspruch gemäß Hilfsantrag IV ist nur noch auf die
Verwendung des im erteilten Patentanspruch 3 angegebenen RSSS-Enantiome-
ren zur Potenzierung der Wirkung des im erteilten Patentanspruch 6 genannten
SRRR-Enantiomeren beschränkt. Die im Zusammenhang mit den die Verwendung
betreffenden erteilten Patentansprüchen 1 bis 3 gemäß Hauptantrag unter II.2.5.
dargelegten Argumente gelten daher auch für diesen Patentanspruch voll umfäng-
lich.
4.
Der Hilfsantrag V umfasst wiederum zwei Patentansprüche, von denen sich
der eine pharmazeutische Zusammensetzung betreffende Patentanspruch 1 vom
erteilten Patentanspruch 4 gemäß Hauptantrag nicht nur durch eine Beschränkung
- 43 -
der Wirkstoffe auf die in den erteilten Patentansprüchen 3 und 6 ein Enantiome-
renpaar bildenden Stereoisomeren unterscheidet, sondern auch durch die im er-
teilten Patentanspruch 7 angegebene Maßgabe, dass deren Molverhältnis 1:1 ist.
Auch der die Verwendung betreffende Patentanspruch 2 unterscheidet sich in die-
sen Merkmalen vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag. Mit diesen Beschrän-
kungen hat sich gegenüber den Gegenständen gemäß den erteilten Patentan-
sprüchen 1 und 4 jeweils i. V. m. den erteilten nachgeordneten Patentansprü-
chen 3, 6 und 7 nach Hauptantrag kein anderer Sachverhalt ergeben. Daher wird
auf die vorstehenden Ausführungen unter II.2. insbesondere II.2.1., II.2.3 und
II.2.5. voll umfänglich verwiesen.
IV.
Damit erweist sich auch das von den Klägerinnen 2 und 5 ebenfalls angegriffene
ergänzende Schutzzertifikat DE 196 75 037 als nicht bestandsfähig, weil das
Grundpatent, wie im Urteilstenor angegeben, nicht bestandsfähig ist. Die Nichtig-
keit des ergänzenden Schutzzertifikats folgt daher gemäß Art. 15 Abs. 1 c) VO
(EWG) Nr. 1768/92 (AMVO) aus der Nichtigkeit des Grundpatents.
V.
Was die pharmazeutische Zusammensetzung gemäß erteiltem Patentanspruch 5
betrifft, erweist sich diese entgegen der Ansicht der Klägerinnen 1 und 4 als be-
standsfähig, weil sie neu ist und ihre Bereitstellung auf einer erfinderischen Tätig-
keit beruht.
1.
Pharmazeutische
Zusammensetzungen,
die als wirksame Komponenten eine
Verbindung der Formel (I) sowie als blutdrucksenkendes Mittel mit adrenerger
und/oder vasodilatorischer Aktivität die im erteilten Patentanspruch 5 angegebe-
nen Substanzen enthalten, sind gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der
Technik neu. In keinem der vorliegenden Dokumente werden Kombinationen der
Verbindungen der Formel (I) mit den im Patentanspruch 5 angegebenen Substan-
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zen genannt. Die Neuheit wurde auch von keiner der Klägerinnen in Abrede ge-
stellt.
2.
Die Bereitstellung dieser pharmazeutischen Zusammensetzungen beruht
auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Keinem der vorliegenden Dokumente, die sich - soweit sie blutdrucksenkende
Mittel betreffen - nur mit der Aktivität von Wirkstoffen befassen, die ausschließlich
von Enantiomerenpaaren gebildet werden, sind Anregungen dahingehend zu ent-
nehmen, die dem Streitpatent zu Grunde liegende Aufgabe, nämlich verbesserte
Blutdruckmittel bereitzustellen bzw. die Wirkung von blutdrucksenkenden Mitteln
mit adrenerger und/oder vasodilatorischer Aktivität zu verbessern, dadurch zu lö-
sen, dass diese blutdrucksenkenden Mittel mit einem als geringer wirksam er-
kannten Stereoisomeren der Formel (I) eines Enantiomerenpaares, das als sol-
ches ebenfalls eine adrenerge und/oder vasodilatorische Aktivität aufweist, kombi-
niert werden. Auch wenn der Fachmann bei der Untersuchung dieses Enantiome-
renpaares festgestellt hatte, dass die beiden Enantiomeren dieses Paares insofern
zusammen wirkten, als die Höhe der gemessenen Aktivität des Enantiomerenpaa-
res über der Summenwirkung beider individuellen Enantiomeren lag, konnte er
nicht von vornherein davon ausgehen, dass diese insbesondere i. V. m. dem
Enantiomerenpaar gemäß den erteilten Patentansprüchen 3 und 6 (= d,l-Nebivo-
lol) beobachtete potenzierende Wirkung auch dann beobachtet werden kann,
wenn das Enantiomere gemäß der Formel (I) mit Substanzen mit abweichender
Grundstruktur kombiniert wird (vgl. DE 689 03 516 T2 S. 14/15 Pharmakologische
Beispiele). Die Bereitstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung wie sie
mit dem erteilten Patentanspruch 5 beansprucht wird, hat daher im Hinblick auf
den vorliegenden Stand der Technik nicht nahe gelegen.
3.
Mit Patentanspruch 5 haben auch die Patentansprüche 7, 8 und 13 Bestand,
soweit sie auf Patentanspruch 5 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind. Der
Senat geht seiner Spruchpraxis folgend (z.
B. Urteil vom 10.
Juli
2006,
3 Ni 3/04 (EU); Urteil vom 8. März 2007, 3 Ni 27/04 (EU) davon aus, dass im
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Rahmen des Klagebegehrens auch ein Minus in Form einzelner, von dem geltend
gemachten Nichtigkeitsgrund nicht betroffener Patentansprüche oder alternativ
formulierter Anspruchsteile zuzusprechen ist, ohne dass hierauf ein konkret be-
schränkter Anspruch oder Anspruchssatz des Patentinhabers gerichtet sein
müsste, sofern dies nicht seinem ausdrücklich erklärten Willen widerspricht (vgl.
auch Busse, PatG, 6. Aufl., § 83 Rdn. 26). Dementsprechend ist auch bei der ge-
mäß § 133 BGB gebotenen, an dem wirklichen und erkennbar erklärten Willen der
Klägerinnen 2, 3 und 5 orientierten Auslegung ihrer Klageanträge (vgl. Thomas/-
Putzo ZPO 28. Aufl., Einl. III Rdn. 16; BGH NJW 2001, 3789-3790 m. w. N.;
Schulte PatG 7. Aufl., Einl. Rdn. 106 sowie Rdn. 110 zur Auslegung von Verfah-
rensrecht) davon auszugehen, dass von der Klage die Patentansprüche 7, 8
und 13 in ihrem unmittelbaren Rückbezug auf Patentanspruch 5 ebenfalls ausge-
nommen sind.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 92 Abs. 2 Nr. 1,
100 Abs. 2 und 101 Abs. 2 ZPO. Von der Bildung einer Kostenquote entsprechend
dem anteiligen Unterliegen der Klägerinnen 1 und 4 und Obsiegen der Beklagten
und ihrer Streitgenossinnen hat der Senat abgesehen, weil das wirtschaftliche In-
teresse der Allgemeinheit, insbesondere der Mitbewerber der Patentinhaberin an
der Vernichtung des Patentanspruchs 5 sowie der Patentansprüche 7, 8 und 13 in
ihrer unmittelbaren oder mittelbaren Rückbeziehung auf diesen Patentanspruch,
der eine nicht zugelassene pharmazeutische Zusammensetzung betrifft, für die
kurze Restlaufzeit des Grundpatents als so geringfügig erscheint, dass es im
Verhältnis zu dem Umfang des Obsiegens vernachlässigt werden kann. Für die
als Streitgenossen der Beklagten geltenden Nebenintervenienten war gemäß
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§ 101 Abs. 2 ZPO die Kostenfolge des § 100 ZPO anzuwenden. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1
und Satz 2 ZPO.
Dr. Schermer
Engels
Dr. Proksch-Ledig
Dr. Gerster
Dr. Schuster
Pr