Urteil des BPatG vom 21.09.2000
BPatG: verwechslungsgefahr, gesamteindruck, eugh, kennzeichnungskraft, aufmerksamkeit, wiedergabe, inhaber, heilmittel, ware, dienstleistung
BUNDESPATENTGERICHT
25 W (pat) 217/99
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
…
betreffend die angegriffene Marke 397 19 055
BPatG 152
10.99
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hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 21. September 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Kliems sowie der Richter Knoll und Engels
beschlossen:
Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I
Die Bezeichnung
CORTALIS
ist für "Arzneimittel, Stärkungspräparate für medizinische Zwecke, Mineraltablet-
ten, Vitaminpräparate, Lutschtabletten für medizinische Zwecke, Präparate und
Getränke für medizinische Zwecke zum Aufbau der Körperfunktionen" am
30. September 1997 in das Markenregister eingetragen worden. Die Veröffentli-
chung der Eintragung erfolgte am 30. Oktober 1997.
Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der am 29. März 1921 für "chemische
Produkte für medizinische Zwecke, pharmazeutische und therapeutische Präpa-
rate, Heilmittel" eingetragenen Marke 271 794
Cordalin,
deren Benutzung nicht bestritten ist.
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Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat in dem
angefochtenen Beschluß eine Verwechslungsgefahr zwischen den Marken ver-
neint und den Widerspruch zurückgewiesen. Ausgehend von möglicher Wareni-
dentität, einem durchschnittlichen Schutzumfang der Widerspruchsmarke und zu
berücksichtigenden allgemeinen Verkehrskreise sei ein deutlicher Markenabstand
zu fordern. Diesen halte die jüngere Marke in jeder Hinsicht ein. Klanglich seien
wegen des unterschiedlichen Sprech- und Betonungsrhythmus der Markenwörter
sowie der auffallenden konsonantischen Abweichungen in der jeweiligen Wort-
mitte und am Wortende Verwechslungen nicht zu erwarten. Auch eine schriftbild-
liche Verwechslungsgefahr bestehe aufgrund der unterschiedlichen Umrißcha-
rakteristik der jeweiligen Endlaute nicht.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden mit dem sinnge-
mäßen Antrag,
den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Löschung der
angegriffenen Marke anzuordnen.
Da eine Rezeptpflicht in den Warenverzeichnissen nicht festgeschrieben sei und
die Marken sich auf identischen Waren begegnen könnten, reichten nur markante
Unterschiede zwischen den Marken für eine sichere Unterscheidung durch die zu
berücksichtigenden allgemeinen Verkehrskreise aus. Darüber hinaus liege im
Arzneimittelsektor das Hauptgewicht insbesondere bei freiverkäuflichen Arznei-
mitteln eher auf der mündlichen Übermittlung der Marken, die erfahrungsgemäß
ein hohes Fehlerpotential berge. Da die Betonung der Marken entgegen der Aus-
führungen in dem angefochtenen Beschluß gleichermaßen am Wortanfang auf der
ersten Silbe "cor" liege und überdies nicht nur die Silbenanzahl sowie die Vo-
kalfolge, sondern auch sechs von insgesamt acht Buchstaben übereinstimmten,
überwögen die Gemeinsamkeiten der Marken deutlich. Es existierten überhaupt
nur zwei Abweichungen in den klangverwandten Konsonanten "t" und "d" der Mit-
telsilbe sowie die etwas deutlichere Abweichung im bekanntlich weniger beachte-
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ten und im Gesamteindruck deutlich zurücktretenden Endlaut. Auch schriftbildlich
bestehe wegen deutlich überwiegenden Übereinstimmungen eine Verwechs-
lungsgefahr.
Der Inhaber der angegriffenen Marke beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Auch wenn die sich gegenüberstehenden Waren eine gewisse Nähe aufwiesen,
seien keine besonders strengen Anforderungen an den von der jüngeren Marke
einzuhaltenden Markenabstand zu stellen, da auch Endverbraucher Produkte aus
dem Bereich der Arznei- und Heilmittel mit einer gewissen Sorgfalt zu erwerben
pflegten und in hohem Maße daran gewöhnt seien, auf Unterschiede bei den Be-
zeichnungen zu achten. Ein Vergleich der Marken lasse trotz formaler Gemein-
samkeiten erkennen, daß die Wörter sich in ihrem Gesamteindruck klar unter-
schieden. Der gemeinsame Wortanfang "Cor" sei bei pharmazeutischen Erzeug-
nissen, insbesondere bei Mitteln zur Behandlung von Herzerkrankungen, so häu-
fig, daß dieser nur eine geringe Kennzeichnungskraft besitze, während den weite-
ren, sich klanglich und schriftbildlich deutlich unterscheidenden Bestandtei-
len "talis" und "dalin" eine größere Bedeutung für den jeweiligen Gesamteindruck
zukomme. Klanglich sei insbesondere zu berücksichtigen, daß die Wider-
spruchsmarke vorwiegend auf der letzten, mit weichem "d" eingeleiteten Silbe
- wie "Kamin, Berlin" - betont werde, während in "talis" die kurze scharfe En-
dung "is" zu einer Betonung des Vokals der Vorsilbe - wie zB bei "Basis, Iris" -
führe. Auch die Übereinstimmung der Vokalfolge verliere aufgrund dieser Unter-
schiede in der Betonung und Konsonantenbildung an Gewicht. In schriftbildlicher
Hinsicht werde eine Verwechslungsgefahr durch die unterschiedliche Kontur der
Endbestandteile ausgeschlossen, zumal diese vorliegend wegen der Kennzeich-
nungsschwäche der jeweiligen Anfangsbestandteile zusätzliche an Bedeutung ge-
winnen würden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluß sowie die
Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II
Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig, insbesondere statthaft sowie
form- und fristgerecht eingelegt, § 66 Abs 1 Satz 1, Abs 2 MarkenG.
Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Es besteht auch nach
Auffassung des Senats keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2
MarkenG, so daß die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen war
(§§ 42 Abs 2 Nr 1, 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG).
Der Senat geht bei seiner Entscheidung von einer durchschnittlichen Kennzeich-
nungskraft und einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus, auch
wenn sich der Wortbestandteil "Cor" (=Lat. "Herz") wegen seines Indikationshin-
weises und seiner nach der Registerlage vielfachen Verwendung in Drittmarken
(über 530 Eintragungen von "Cor"-Marken zu Klasse 5) als kennzeichnungs-
schwach erweist (vgl zur Bedeutung der Registerlage Althammer/Ströbele, Mar-
kenG, 5.
Aufl, §
9 Rdn
122; BGH GRUR
1999, 241; 243 - Lions; BGH
GRUR 1967, 246, 250 und 251 - Vitapur). Aus einer damit verbundenen isolierten
Kennzeichnungsschwäche kann jedoch nicht ohne weiteres auf die allein maßge-
bende Kennzeichnungskraft der Gesamtbezeichnung geschlossen werden, zumal
es bei pharmazeutischen Erzeugnissen der üblichen Praxis entspricht, Marken in
der Weise zu bilden, daß diese als sogenannte sprechende Zeichen durch eine
phantasievolle Zusammenstellung jedenfalls für den Fachmann erkennbarer
Wirkstoff- und/oder Anwendungsangaben die stoffliche Beschaffenheit und/oder
das Indikationsgebiet kenntlich machen (vgl BGH GRUR 1998, 815, 817 - Nitran-
gin; PAVIS PROMA, Kliems, BPatG 30 W (pat) 186/99 - CORSOLVIN = Korodin).
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Nach der maßgebenden Registerlage können sich die jeweils gegenüberstehen-
den Marken auf identischen Waren begegnen, für die eine Rezeptpflicht in den
Warenverzeichnissen nicht festgeschrieben ist und für welche auch in tatsächli-
cher Hinsicht nicht der Fachverkehr im Vordergrund steht, so daß die allgemeinen
Verkehrskreise uneingeschränkt für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu
berücksichtigen sind. Auch insoweit ist allerdings davon auszugehen, daß grund-
sätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern auf
einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher
abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware oder Dienstleistung
unterschiedlich hoch sein kann (vgl BGH MarkenR 2000, 140, 144 ATTACHÉ /
TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li Spalte - ALKA-SELTZER; EuGH Mar-
kenR 1999, 236, 239 unter 24. - Lloyd / Loints) und der insbesondere allem, was
mit der Gesundheit zusammenhängt eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumes-
sen pflegt (vgl BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal/Indohexal).
Auch wenn danach an den zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr erforderli-
chen Markenabstand strenge Anforderungen zu stellen sind, so ist die Ähnlichkeit
der Marken auch nach Auffassung des Senats in keiner Richtung derart ausge-
prägt, daß die Gefahr von Verwechslungen im Sinne des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG
zu bejahen wäre. Die angegriffenen Marke hält vielmehr in jeder Hinsicht einen zur
Vermeidung von Verwechslungen noch ausreichenden Abstand zu der Wider-
spruchsmarke ein.
Wie in dem angefochtenen Beschluß der Markenstelle zutreffend ausgeführt ist,
kann dem übereinstimmenden Wortanfang "Cor" wegen seiner Kennzeichnungs-
schwäche kein entscheidendes Gewicht für die Begründung einer markenrechtli-
chen Verwechslungsgefahr beigemessen werden, wenn dieser auch bei der Prü-
fung der maßgebenden Gesamtwirkung der Zeichen nicht unberücksichtigt bleiben
darf (st Rspr vgl Althammer/Ströbele Markengesetz, 5. Aufl, § 9 Rdn 129, 161 mit
weiteren Hinweisen). Auch der Erfahrungssatz, daß Wortanfänge häufig stärker
als die übrigen Markenteile beachtet werden, gilt dabei nicht in gleicher Weise für
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derart schwache Bestandteile, zumal wenn - wie vorliegend - auch in klanglicher
Hinsicht die Betonung und Schwerpunkte der Vergleichsmarken nicht aus-
schließlich oder überwiegend auf dem jeweiligen Wortanfang der Marken liegen
(vgl Althammer/Ströbele aaO, § 9 Rdn 83).
In klanglicher Hinsicht ergibt sich ein wesentlich verschiedener Gesamteindruck
der jeweils dreisilbigen Markenwörter durch die auffälligen Abweichungen in den
konsonantischen Anlauten der zweiten Sprechsilbe sowie in den Endkonsonanten,
die selbst bei einer undeutlicheren Aussprache der Wörter oder schlechteren
Übermittlungsbedingungen nicht unbemerkt bleiben werden. Insoweit hat bereits
der Inhaber der angegriffenen Marke zutreffend darauf hingewiesen, daß die Wi-
derspruchsmarke gegenüber der angegriffenen Marke ein weicheres Klangbild
aufweist und auch die Betonung und Sprechweise des übereinstimmenden Vo-
kals "i" sich in der Widerspruchsmarke von derjenigen in der jüngeren Marke durch
seine gedehnte und betonte Artikulation deutlich unterscheidet. Insgesamt erweist
sich deshalb der jeweilige Gesamteindruck der Markenwörter unter Be-
rücksichtigung der sie unterscheidenden und dominierenden Elemente (vgl EuGH
GRUR 1998, 387, 390 - Springende Raubkatze; MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd /
Loints) als noch so verschieden, daß diese aus der Erinnerung heraus (vgl hierzu
BGH GRUR 1993, 972, 974 - Sana / Schosana; EuGH MarkenR 1999, 236, 239 -
Lloyd / Loints) mit ausreichender Sicherheit auseinandergehalten werden können
und eine Verwechslungsgefahr auch unter Berücksichtigung strenger Anforderun-
gen und des Unterscheidungsvermögens von Laien zu verneinen ist (vgl auch
PAVIS PROMA, Kliems, BPatG 25 W (pat) 38/97 - Corline
≠ Cordalin).
Im schriftbildlichen Markenvergleich halten die Markenwörter gleichfalls in jeder
verkehrsüblichen Wiedergabeform noch einen ausreichenden Abstand ein. Wenn
hierzu nicht nur die Wiedergabe in Normalschrift und Versalien, sondern in einge-
schränktem Umfang auch die handschriftliche Wiedergabe zählt (vgl Altham-
mer/Ströbele, Markengesetz, 5. Aufl, § 9 Rdn 65; Ingerl/Rohnke, Markengesetz,
1998, § 14 Rdn 345 mit weiteren Hinweisen auf die st Rspr) und der Senat die
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Entscheidung knapper als bei der klanglichen Gegenüberstellung der Marken-
wörter sieht, so reichen dennoch auch insoweit die in der Buchstabenkontur der
abweichenden Konsonanten liegenden deutlichen Unterschiede aus, eine hinrei-
chend sichere Unterscheidung der Wörter in ihrem bildlichen Gesamteindruck zu
gewährleisten, zumal das Schriftbild erfahrungsgemäß sehr viel besser eine ruhi-
ge oder auch wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnung gestattet als das
schnell verklingende gesprochene Wort.
Nach alledem war die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen.
Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß,
§ 71 Abs 1 MarkenG.
Kliems Knoll Engels
Pü