Urteil des BPatG vom 05.09.2007

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BUNDESPATENTGERICHT
19 W (pat) 314/05
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
BPatG 152
08.05
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betreffend das Patent 102 31 675
hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
5. September 2007 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Bertl,
der Richter Dipl.-Ing. Groß, Dr.-Ing. Scholz sowie des Richters am OLG Zimmerer
beschlossen:
Das Patent 102 31 675 wird widerrufen.
G r ü n d e
I.
Für die am 12. Juli 2002 im Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene
Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents am
23. September 2004 veröffentlicht worden. Es betrifft ein
„Simulationssystem für die Maschinensimulation und Datenausgabe von Steuer-
daten für ein Automatisierungssystem“.
Gegen das Patent hat die Einsprechende zu
I) mit Schriftsatz vom
22. Dezember 2004 (eingegangen per Fax am selben Tag) Einspruch mit der Be-
gründung erhoben, dass es dem Gegenstand des Patents an Neuheit bzw. erfin-
derischer Tätigkeit mangele. Die Einsprechende zu I) nennt dazu druckschriftli-
chen Stand der Technik.
Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2004 (eingegangen am 23. Dezember 2004)
hat die Einsprechende zu II) gegen das Patent mit der Begründung eingespro-
chen, dass der Patentgegenstand nicht neu sei. Sie legt hierzu druckschriftlichen
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Stand der Technik vor. Weiterhin ist sie der Auffassung, dass der Erfindung die
Technizität fehle.
Die Patentinhaberin teilte schriftsätzlich mit, dass sie nicht beabsichtige, zu den
Schriftsätzen der Einsprechenden Stellung zu nehmen; sie teilte weiterhin mit,
auch nicht an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen zu wollen (Schriftsatz
vom 21. März 2007).
Die Einsprechende zu I) stellt schriftsätzlich (22. Dezember 2004) den Antrag,
das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Einsprechende zu II) beantragt schriftsätzlich (22. Dezember 2004) ebenfalls,
das deutsche Patent 102 31 675 B4 in vollem Umfang zu wider-
rufen.
Die Patentinhaberin stellt sinngemäß (21. März 2007, 20. Juli 2007) den Antrag,
das Patent aufrecht zu erhalten.
Der (erteilte) Patentanspruch 1 lautet:
„System (1) zur Simulation von Produktions- und/oder Ferti-
gungsmaschinen mit
- einer ersten Erstellvorrichtung (2) zum Erstellen mindestens ei-
nes Mechanikmodells mindestens einer Produktions- und/oder
Fertigungsmaschine,
-
Simulationsmitteln
(3) zur Durchführung mindestens einer
Mechaniksimulation mindestens einer Produktions- und/oder Fer-
tigungsmaschine sowie zur Bereitstellung von Simulationsdaten
- 4 -
und
- einer zweiten Erstellvorrichtung (4) zum Erstellen mindestens ei-
nes Steuerungs- und/oder Antriebsmodells für mindestens eine
Produktions- und/oder Fertigungsmaschine auf Basis der Simulati-
onsdaten.“
Patentanspruch 15 (gemäß Streitpatentschrift) lautet:
„Verfahren zur Simulation von Produktions- und/oder Ferti-
gungsmaschinen bei dem
- mindestens ein Mechanikmodell mindestens einer Produktions-
und/oder Fertigungsmaschine erstellt wird,
-
mindestens eine Mechaniksimulation mindestens einer
Produktions- und/oder Fertigungsmaschine durchgeführt wird,
- Simulationsdaten bereitgestellt werden und
- mindestens ein Steuerungs- und/oder Antriebsmodell für mindes-
tens eine Produktions- und/oder Fertigungsmaschine auf Basis
der Simulationsdaten erstellt wird.“
Der (erteilte) Patentanspruch 29 lautet:
„Computerprogrammprodukt zur Steuerung von Fertigungs-
und/oder Produktionsmaschinen hergestellt mit einem System (1)
und einem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 28.“
Dem Patentgegenstand soll die Aufgabe zugrunde liegen, ein System sowie ein
Verfahren anzugeben, mit dessen Hilfe eine ganzheitliche Konstruktion von Pro-
duktions- und/oder Fertigungsmaschinen durchgeführt werden kann, bei der die
Mechanik sowie die Steuerung der Maschine im Entwurf frühzeitig aufeinander ab-
gestimmt werden (Absatz 0004 der Streit-PS).
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Beide Einsprechende beantragen hilfsweise die Durchführung einer mündlichen
Verhandlung.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Gemäß der eindeutigen Zuständigkeitsregelung in § 147 Abs. 3 PatG in der Fas-
sung vom 9. Dezember 2004 liegt die Entscheidungsbefugnis über die zulässigen,
vor dem 30. Juni 2006 eingegangenen, d. h. vor Aufhebung des § 147 Abs. 3
PatG noch anhängigen, Einsprüche bei dem hierfür zuständigen 19. Senat (Tech-
nischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts (19 W (pat) 344/04).
Da den Anträgen der Einsprechenden entsprochen wurde und die Patentinhaberin
sich in der Sache nicht geäußert und mitgeteilt hat (Schriftsatz vom
21. März 2007), dass sie nicht beabsichtige an einer mündlichen Verhandlung teil-
zunehmen, war eine solche nicht veranlasst (§§ 59, Abs. 3, 46 Abs. 1 PatG).
Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.
Die zulässigen Einsprüche sind begründet.
1. Fachmann
Als zuständiger Fachmann ist hier ein Diplom-Ingenieur (FH) des Maschinenbaus
mit Berufserfahrung in der Entwicklung und Simulation von industriellen Ferti-
gungs- und Produktionsmaschinen anzusehen.
2. Patentfähigkeit
Das System gemäß Patentanspruch 1 ist nicht mehr neu, denn aus der
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Dissertation von Karsten Kreusch: Verifikation numerischer Steue-
rungen an virtuellen Werkzeugmaschinen, BTU Cottbus, Tag der
mündlichen Prüfung 23. November 2001, aufgenommen in den
Katalog der Bibliothek der BTU Cottbus am 3. Juni 2002,
ist ein System mit allen Merkmalen des Patentanspruchs
1 für die Alternative „An-
triebsmodell für mindestens eine Produktions- und/oder Fertigungsmaschine“
(letztes Anspruchsmerkmal) bekannt.
Die Dissertation zeigt ein
System zur Simulation von Produktions- und/oder Fertigungs-
maschinen (S. 80 Abb. 21 bzw. S. 93 Abb. 24: Simulationssystem
für Werkzeugmaschinen als Produktions- und/oder Fertigungs-
maschinen) mit
- einer ersten Erstellvorrichtung zum Erstellen mindestens eines
Mechanikmodells mindestens einer Produktions- und/oder Ferti-
gungsmaschine (S. 101 Kapitel 4.3.3: Modellrechner zur Nach-
bildung eines Mechanikmodells als erste Erstellvorrichtung
i.
V.
m. S.
104 2.
Abs.: Bereitstellung von Quellcode mittels
MATLAB/SIMULINK),
- Simulationsmitteln
zur
Durchführung mindestens einer
Mechaniksimulation mindestens einer Produktions- und/oder Fer-
tigungsmaschine (Kapitel 3.4.2: 2. Satz: Nachbildung des Ver-
haltens realer Werkzeugmaschinen auf Basis von Simulations-
modellen) sowie zur Bereitstellung von Simulationsdaten (Aus-
gangsdaten des Modellrechners) und
- einer zweiten Erstellvorrichtung zum Erstellen mindestens eines
Antriebsmodells für mindestens eine Produktions- und/oder Ferti-
gungsmaschine auf Basis der Simulationsdaten (S. 111 3. Abs.
1. Satz: Modellrechner zur Nachbildung eines Antriebsmodells,
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d. h. eines Modells für Antriebsverstärker bzw. Motor als zweite
Erstellvorrichtung i.
V.
m. S.
104 2.
Abs.: Bereitstellung von
Quellcode mittels MATLAB/SIMULINK).
Für den gehaltsmäßig mit dem Patentanspruch
1 vergleichbaren, auf ein Verfah-
ren gerichteten Patentanspruch
15 gilt die gleiche Beurteilung.
3. Weitere
Patentansprüche
Mit den nicht gewährbaren Patentansprüchen 1 und 15 sind auch die jeweils dar-
auf rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 14 bzw. 16 bis 28 nicht gewährbar. Der
ein Computerprogrammprodukt betreffende Patentanspruch 29 umfasst die nicht
gewährbaren Patentansprüche 1 bis 28 und fällt mit diesem.
Bertl Groß
Dr.
Scholz
Zimmerer
Pr