Urteil des BPatG vom 15.07.2003

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BPatG 253
9.72
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
4 Ni 40/02 (EU)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
15. Juli 2003
In der Patentnichtigkeitssache
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betreffend das europäische Patent 0 755 692
(DE 596 06 227)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2003 unter Mitwirkung des Richters Müllner
als Vorsitzenden, des Richters Dipl.-Ing. Klosterhuber, der Richterin Schuster so-
wie der Richter Dipl.-Phys. Dr. Strößner und Dipl.-Phys. Dr. Maksymiw
für Recht erkannt:
1. Das europäische Patent 0 755 692 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig er-
klärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesre-
publik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 755 692 (Streitpatent), das
am 12. Juli 1996 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Gebrauchs-
musteranmeldung 295 12 163 vom 28. Juli 1995 angemeldet worden ist. Das in
der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlichte Streitpatent, das beim Deutschen
Patentamt unter der Nummer 596 06 227 geführt wird, betrifft eine Einrichtung
zum Ionisieren von Gasen. Es umfasst 10 Ansprüche, von denen Patentan-
spruch 1 folgenden Wortlaut hat:
"Einrichtung zur Ionisierung von Gasen, insbesondere von
Sauerstoff für eine Sauerstofftherapie, zur Verbindung mit einer
Atemmaske oder dergleichen unter Verwendung einer
Schlauchverbindung zur Gasversorgung und eines Hochspan-
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nungserzeugers, wobei das Gas (2) und die Hochspannung (3)
einem an die Atemmaske anschließbaren Ionisator zugeleitet
werden, dadurch gekennzeichnet, dass der Ionisator als Hohl-
körper zweiteilig derart aufgebaut ist, dass in einem Unterteil (1)
die Anschlüsse für Gas (2) und Hochspannung (3) verbunden
sind und in einem betriebsmäßig davon lösbaren Oberteil (4)
- Ionisationskammer - eine metallische mit einem Gasauslass
verbundene Bezugselektrode (17, 31), Ionisationselektroden
(20, 32) und im Bereich des Maskenanschlusses (12) ein für
das ionisierte Gas durchlässiger Berührungsschutz (21) ange-
ordnet sind."
Wegen der unmittelbar und mittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Pa-
tentansprüche 2 bis 10 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Mit der Behauptung, die Lehre des Streitpatents sei nicht neu bzw beruhe nicht
auf einer erfinderischen Tätigkeit, verfolgt die Klägerin das Ziel, das Streitpatent
mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu
erklären. Zur Begründung beruft sie sich auf folgende Druckschriften:
- DE 90 10 571 U1 (Anlage 4)
- DE 93 01 194 U1 (Anlage 5), im folgenden E2 genannt
- DE 693 21 920 T2 (Anlage 6)
- DE 43 03 693 A1 (Anlage 7)
Die KIägerin beantragt,
das europäische Patent 0 755 692 mit Wirkung für das Hoheits-
gebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist dem Vorbringen der Klägerin entgegengetreten und hält das Streitpatent im
verteidigten Umfang für bestandsfähig.
Die Parteien wurden vom Senat auf die im Prüfungsverfahren vor der Erteilung ge-
nannte Druckschrift US 5 396 882 hingewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, mit der der in Art II § 6 Absatz 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Absatz 1 lit a
EPÜ iVm Artikel 54 Abs 1, 2 und Art 56 EPÜ vorgesehene Nichtigkeitsgrund der
mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, ist zulässig und begründet.
1. Das Streitpatent betrifft eine Einrichtung zum Ionisieren von Gasen, insbeson-
dere von Sauerstoff für eine Sauerstofftherapie, zum Anschluss ua an eine Atem-
maske. Nach der Patentbeschreibung wird bei einer Sauerstoff-Inhalationstherapie
eine bestimmte Mischung von medizinischem und ionisiertem Sauerstoff zu prä-
ventiven und therapeutischen Zwecken eingesetzt. Dabei werde der Sauerstoff
durch einen von einem Hochspannungsgenerator mit Spannung versorgten Ioni-
sator geleitet. Die im Stand der Technik bekannten, unmittelbar einer Atemmaske
zugeordneten Ionisatoren seien zwar in der Lage, die Gase sehr wirksam zu ioni-
sieren, seien aber nicht ausreichend hygienisch, so dass die Gefahr bestehe, über
die Atemmaske Infektionskrankheiten auf den nachfolgenden Benutzer zu übertra-
gen.
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2. Der Erfindung liegt deshalb die Aufgabe zugrunde, einen für Atemmasken ein-
setzbaren Ionisator derart zu gestalten und technisch durchzubilden, dass alle mit
dem Maskenträger in direkten oder indirekten Kontakt kommenden, also der
Atemmaske zugeordneten, Teile zumindest problemlos gereinigt, vorzugsweise
aber desinfiziert oder sterilisiert werden können.
3. Patentanspruch 1 beschreibt demgemäß in der geltenden Fassung (die mit
Gliederungspunkten versehen worden ist) folgenden Gegenstand:
1. Einrichtung zur lonisierung von Gasen, insbesondere von
Sauerstoff für eine Sauerstofftherapie, zur Verbindung mit
einer Atemmaske oder dergleichen
a) unter Verwendung einer Schlauchverbindung zur Gas-
versorgung und eines Hochspannungserzeugers,
b) wobei das Gas (2) und die Hochspannung (3) einem an
die Atemmaske anschließbaren lonisator zugeleitet
werden, dadurch gekennzeichnet, dass
2. der lonisator als Hohlkörper zweiteilig derart aufgebaut ist,
dass
a) in einem Unterteil (1) die Anschlüsse für Gas (2) und
Hochspannung (3) verbunden sind und
b) in einem betriebsmäßig davon lösbaren Oberteil (4)
- lonisationskammer -
α) eine metallische mit einem Gasauslass verbundene
Bezugselektrode (17, 31),
β) lonisationselektroden (20, 32) und
c) im Bereich des Maskenanschlusses (12) ein für das
ionisierte Gas durchlässiger Berührungsschutz (21) an-
geordnet sind.
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4. a) Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 des Streitpatents ist neu, denn
keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften weist eine Einrichtung zur Ioni-
sierung von Gasen auf, bei der das Oberteil betriebsmäßig vom Unterteil lösbar
ist, unter der Berücksichtigung, daß betriebsmäßig lösbar als "ohne Werkzeug"
lösbar zu verstehen ist. Es erübrigt sich jedoch, auf die Frage der Neuheit näher
einzugehen, denn
b) diese Einrichtung beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus der Druckschrift E2 ist eine Einrichtung zur Ionisierung von Gasen, insbeson-
dere von Sauerstoff für eine Sauerstofftherapie, zur Verbindung mit einer Atem-
maske oder dergleichen (Merkmal 1.; E2, S 1, Abs 1 bis 3) bekannt unter Verwen-
dung einer Schlauchverbindung zur Gasversorgung (erster Teil des Merkmals 1.
a); E2, S 4, 1. Abs Sauerstoffanschluss 9) und eines Hochspannungserzeugers
(zweiter Teil des Merkmals 1. a); E2, Hochspannungsanschluss 7). Hierbei wer-
den das Gas und die Hochspannung einem an die Atemmaske anschließbaren
Ionisator zugeleitet (Merkmal 1. b); E2, S 2, 4. Abs, Figur). Der Ionisator ist als
Hohlkörper zweiteilig ausgebildet (Merkmal 2.; E2, zylindrisches Gehäuse 2 mit in-
nenliegendem Ionisator und Halterung 6), nämlich einem Unterteil in dem die An-
schlüsse für Gas und Hochspannung verbunden sind (Merkmal 2. a); E2, Halte-
rung 6 und Sauerstoffanschluss 9 sowie Leitung 7 für die Hochspannung) und ei-
nem davon lösbaren Oberteil - Ionisationskammer - (Teil des Merkmals 2. b). Die
Lösbarkeit nach dem Gegenstand von E2 ergibt sich aus der Beschreibung Seite
4, 3. Absatz, wo es heißt: "Vorzugsweise werden die Teile gegeneinander dauer-
haft verklebt. Falls dies gewünscht wird, kann jedoch ganz oder teilweise auch ei-
ne Schraub- oder Klemmverbindung vorgesehen werden". Somit ist bei dieser Ein-
richtung im Falle des Vorsehens der Schraubverbindung das Oberteil vom Unter-
teil lösbar. Im Oberteil schließlich ist eine metallische, mit einem Gasauslass ver-
bundene Bezugselektrode (Merkmal 2. b)
α); E2, Gegenelektrode 4) angeordnet.
Diese Bezugselektrode besteht beispielsweise aus einem metallischen Rohr (S 4,
le Abs) und erstreckt sich bis in den sich verjüngenden Teil des Gehäuses 2 an
dem die Atemmaske angeschlossen wird und der den Gasauslass darstellt. Somit
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ist die Bezugselektrode auch beim Gegenstand von E2 "als mit dem Gasauslass
verbunden" im Sinne des Merkmals 2. b)
α) anzusehen. Außerdem sind die Ioni-
sationselektroden im Oberteil (Merkmal 2. b)
β); E2, Elektrode 3 im Bereich des
Gehäuses 2) und ein für das ionisierte Gas durchlässiger Berührungsschutz
(Merkmal 2. c); E2, Schutzgitter 1, Beschreibung S 4, Z 1 bis 3) im Bereich des
Maskenanschlusses angeordnet.
Damit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 vom Stand der Tech-
nik nach E2 lediglich dadurch, dass Oberteil und Unterteil betriebsmäßig vonein-
ander lösbar sind.
Mit dieser Trennmöglichkeit soll beim Gegenstand des Anspruchs 1 erreicht wer-
den, dass alle mit dem Maskenträger in direkten oder indirekten Kontakt kommen-
den Teile, also die der Atemmaske zugeordneten Teile, zumindest problemlos ge-
reinigt, vorzugsweise aber desinfiziert oder sterilisiert werden können (vgl Abs
[0007] nach Streitpatentschrift).
Wenn an den Fachmann, das ist hier der mit Entwicklung und Herstellung solcher
Ionisationseinrichtungen befaßte Techniker, vom Anwender herangetragen wird,
dass es bei dem Gerät zB nach E2 Hygieneprobleme gibt, da nacheinander ver-
schiedene Benutzer mit dem selben Gerät versorgt werden müssen, so ist dieser
nach Auffassung des Senats ohne weiteres in der Lage, Maßnahmen zu ergreifen,
um dieses Problem zu vermeiden. Schon aufgrund seines Fachwissens ist ihm be-
kannt, dass es in allen Bereichen der Technik üblich ist, bestimmte Geräte, die
nicht insgesamt im Bedarfsfall einer Reinigung unterzogen werden können, zu zer-
legen und die relevanten Einzelteile entsprechend ihrem jeweiligen Einsatzfall ent-
weder nur zu reinigen oder, zB im medizinischen Bereich, zu desinfizieren oder
auch zu sterilisieren. Hierzu bietet es sich im vorliegenden Fall an, die gemäß E2,
Seite 4, 3. Absatz vorgegebene schraubbare Trennung zwischen der Halterung 6
und dem Gehäuse 2 - nach der Terminologie des Streitpatents Ober- und
Unterteil - heranzuziehen und diese so zu gestalten, dass die Trennung "betriebs-
mäßig" erfolgen kann. Unter "betriebsmäßig" ist hier zu verstehen, wie vorstehend
schon angedeutet und von der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung
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dargelegt worden ist, dass eine Trennung von Ober- und Unterteil zB vor oder
nach einem Behandlungseinsatz ohne besondere Werkzeuge möglich ist. Für eine
derartige Maßnahme bedarf es keiner erfinderischen Tätigkeit, da der Fachmann
stets bestrebt ist, Geräte so einfach und bedienerfreundlich wie möglich zu gestal-
ten. Dazu gehört auch eine Trennmöglichkeit ohne Werkzeug.
Damit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tä-
tigkeit.
Die Beklagte vermochte den Senat auch nicht mit dem Einwand zu überzeugen,
gemäß dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents sei das lösbare Ober-
teil mit der Bezugselektrode und den Ionisationselektroden verbunden, bilde also
eine Einheit. Auch ein so verstandenes Merkmal vermag nicht die erfinderische
Tätigkeit zu begründen. Bei der Einrichtung nach E2 ist die Bezugselektrode be-
reits mit dem als Oberteil aufzufassenden Gehäuse 2 verbunden, vergleiche Sei-
te 4, letzter Absatz, wonach die Gegenelektrode aus einer aufgeklebten Metallfolie
aus zB Kupfer, Edelstahl oder aus einer auf die Innenseite des Gehäuses 2 auf-
galvanisierten Metallschicht besteht.
Wenn der Fachmann aus den vorstehend genannten Gründen in nicht erfinderi-
scher Weise die Einrichtung nach E2 "betriebsmäßig lösbar" ausbildet, so beste-
hen bezüglich der Anordnung der Ionisationselektroden (Elektroden 3) zwei Mög-
lichkeiten: er belässt sie im Unterteil (Halterung 6) oder er ordnet sie dem Oberteil
(Gehäuse 2) zu. Da im erstgenannten Fall die Ionisationselektroden beim Entfer-
nen des Unterteils quasi ungeschützt vorstehen, wird er, falls es dadurch beim
Reinigungsvorgang zu Beschädigungen kommt, die zweite Alternative wählen und
die Ionisationselektroden dem Oberteil zuordnen, also damit verbinden. Wie er
diese Verbindung bewerkstelligt, bleibt dabei seinem fachlichen Können überlas-
sen - auch beim Gegenstand des Anspruchs 1 muss er entsprechende handwerk-
liche Maßnahmen ergreifen. Somit kann auch in der Anordnung von Ionisations-
elektrode und Bezugselektrode im Oberteil nichts Erfinderisches gesehen werden.
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5. Die ebenfalls angegriffenen nachgeordneten Ansprüche 2 bis 10 teilen das
Schicksal des Hauptanspruchs.
Ihre Gegenstände beruhen ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Gegenstand des Anspruchs 2 wird dem Fachmann durch die Druckschrift
US 5 396 882 nahegelegt. Deren Gegenstand betrifft ein Inhalationsgerät mit ei-
nem Filter, das Bakterien und unerwünschte Komponenten aus der eingeführten
Luft zurückhält (Fig 1 mit zugehöriger Beschreibung, insbes Sp 5, Z 19 bis 24).
Der Fachmann erhält hieraus die Anregung, bei medizinischen Geräten, die die
Atemluft beaufschlagen, Filter vorzusehen. So wird er im Bedarfsfall auch bei ei-
ner Einrichtung nach E2 ein solches Filter einsetzen und selbstverständlich auch
eine geeignete Aufnahme für dieses Filter einbauen.
Die Gegenstände der Unteransprüche 3 bis 9 beinhalten nur handwerkliche Aus-
gestaltungen. Beim Gegenstand des Anspruchs 10 handelt es sich um übliche
Materialien, die bei den in Rede stehenden Einrichtungen eingesetzt werden (vgl
hierzu zB auch E2, S 3, 3. Abs).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG iVm § 91 Abs. 1 Satz 1
ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG iVm
§ 709 ZPO.
Müllner Klosterhuber Dr.
Strößner Schuster Dr.
Maksymiw
Be