Urteil des BPatG vom 28.06.2006

BPatG: patentanspruch, luft, klimaanlage, vorbenutzung, einspruch, patentfähigkeit, wechsel, meinung, zeichnung, fahrzeug

BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
9 W (pat) 375/03
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
28. Juni 2006
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 101 51 618
- 2 -
hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2006 unter Mitwirkung …
beschlossen:
Das Patent wird widerrufen.
G r ü n d e
I.
Gegen das am 23.
Oktober
2001 angemeldete und am 24.
April
2003
veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung
"Vorrichtung zum Klimatisieren eines Kraftfahrzeugs und
Filtergehäuse"
ist von der Fa. A… GmbH & Co. KG Einspruch erhoben worden.
Die Einsprechende stützt ihren Einspruch u. a. auf offenkundige Vorbenutzung.
Filtergehäuse für eine Fahrzeug-Klimaanlage seien von der Fa. A… an die
Fa. B… GmbH geliefert (Vorbenutzung D7) und jeweils zusam-
men mit der entsprechenden Klimaanlage zum Einbau in MAN-LKW des Typs TG-
A gekommen. Derart ausgerüstete LKW seien vor dem Anmeldetag des Streitpa-
tents in jeweils gesonderter Veranstaltung der Fachpresse und der Öffentlichkeit
- 3 -
vorgestellt sowie darauffolgend an Händler ausgeliefert und durch diese an be-
liebige Kunden vertrieben worden (Vorbenutzung D8). Zum Nachweis bietet sie
Zeugenbeweis an und legt folgende Unterlagen vor:
Offenkundige Vorbenutzung D7
- Zeichnung Nr.
95.00913 "FILTERGEHÄUSE KPL"
(Anlage E1)
-
6 Figuren "Geometrie des Filtergehäuses kpl MAN TG-
A - Filtergehäuse kpl 95.00913" (Anlagenkonvolut E2)
-
Rechnung der Fa. A… an die Fa. B…
vom 5. Juli 1999
-
Lieferscheinübersicht vom 24. Juli 2003
Offenkundige Vorbenutzung D8
-
Einladung der Fa. B… AG an die Ge-
schäftsleitung der Fa. A… GmbH & Co. (Anlage E3)
-
Auszug aus der Produktbroschüre "MAN-TGA-Truckno-
logy Generation" (5 Seiten; Anlage E4)
Die Einsprechende vertritt die Auffassung, dem Gegenstand des Streitpatents
mangele es gegenüber den behaupteten Vorbenutzungen an der Neuheit.
Sie stellt den Antrag,
das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag,
das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten,
hilfsweise,
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das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuer-
halten:
-
Beschreibung Spalten 3 bis 6, überreicht in der mündlichen
Verhandlung,
-
im Übrigen Patentansprüche, Beschreibung und Zeichnun-
gen gemäß Hauptantrag.
Sie bestreitet die behaupteten Vorbenutzungshandlungen nicht, ist jedoch der
Meinung, diese könnten dem Gegenstand des Streitpatents die Patentfähigkeit
nicht nehmen.
Patentanspruch 1 (Haupt- und Hilfsantrag) lautet:
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Rückbezogene Unteransprüche 2 bis 10 sowie ein rückbezogener Nebenan-
spruch 11 sind jeweils gleichlautend für Haupt- und Hilfsantrag dem jeweiligen Pa-
tentanspruch 1 nachgeordnet.
II.
Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch PatG §147 Abs. 3 Satz 1
begründet.
Der Einspruch ist zulässig. Er hat Erfolg durch den Widerruf des Patents.
1. Das Patent betrifft nach Haupt- und Hilfsantrag eine Vorrichtung zum Klimati-
sieren eines Kraftfahrzeugs sowie ein Filtergehäuse zur Verwendung in einer
derartigen Vorrichtung. In der Beschreibungseinleitung der Streitpatentschrift
ist sinngemäß ausgeführt, dass bei bekannten Vorrichtungen der genannten
Art am Filtergehäuse ein Deckel angeschraubt sei. Das bei einem Wechsel
des Luftfilters bzw. des Filtereinsatzes stets notwendige Lösen bzw. Herstellen
der Schraubverbindung sei umständlich, zumal ein Werkzeug zum Lösen und
Festziehen der Schrauben erforderlich sei. Des weiteren müssten bei Syste-
men des Standes der Technik die Filtereinsätze im allgemeinen nach unten
aus dem Filtergehäuse entnommen werden, wobei durch im allgemeinen unter
dem Filtergehäuse verlaufende Bauteile, beispielsweise Leitungen und Rohre,
der Austausch behindert werde (Spalte 1, Zeilen 17-43).
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Das dem Patent zugrundeliegende und mit der nach Haupt- und Hilfsantrag
gleichlautenden Aufgabe formulierte technische Problem besteht daher darin,
Dieses Problem soll durch die Vorrichtung zum Klimatisieren eines Kraft-
fahrzeugs nach dem für Haupt- bzw. Hilfsantrag gleichlautenden Patent-
anspruch
1 sowie durch das Filtergehäuse nach dem für Haupt- bzw.
Hilfsantrag gleichlautenden Patentanspruch 11 gelöst werden.
2. Patentanspruch
1
(Haupt- und Hilfsantrag)
Die Vorrichtung nach dem jeweiligen Patentanspruch 1 nach Haupt- und
Hilfsantrag mag eine gewerbliche Anwendbarkeit aufweisen, sie ist aber nicht
neu.
Zur Erleichterung von Bezugnahmen sind die Merkmale der Vorrichtung nach
Patentanspruch 1 wie folgt aufgegliedert:
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Die von der Einsprechenden als Anlage E1 vorgelegte Zeichnung 95.00913
(Filtergehäuse
kpl) sowie die als Anlagenkonvolut
E2 (Filtergehäu-
se kpl MAN TG-A - Filtergehäuse kpl 95.00913) vorgelegten 3D-Figuren zei-
gen ein Filtergehäuse (Merkmal 5) mit einem angesetzten Verdampfergehäu-
se. Gemäß den Figuren im Anlagenkonvolut E2 weist das Filtergehäuse eine
Frischluftzuführung auf (Merkmal 3), durch die dem Verdampferteil Frischluft
zugeführt wird (Figur 3 des Anlagenkonvoluts E2, Darstellung "Filtergehäuse
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ohne Deckel"). Zum Filtern der zugeführten Frischluft ist ein Luftfilter vorge-
sehen (Merkmal 4), der in dem Filtergehäuse aufgenommen ist (Figur 5). In
dem Filtergehäuse ist eine Öffnung erkennbar, durch die der Filter eingebracht
bzw. entnommen werden kann (Figuren 3,6; Merkmal 5.1). Es ist ein Deckel
zum Verschließen dieser Öffnung vorgesehen (Merkmal 6), der nach Figur 3
des Anlagenkonvoluts E2 abnehmbar und nach Figur 6 um eine Schwenkach-
se schwenkbar ist (Merkmal 6.1, 6.2). Nach den Ausführungen der Einspre-
chenden ist der Deckel während der Schwenkbewegung bei Erreichen einer
bestimmten Position abnehmbar. In dem von der Schwenkachse abge-
wandten, den unteren Teil des Filtergehäuses überdeckenden Bereich des
Deckels ist gemäß Figuren 1, 5, 6 des Anlagenkonvoluts E2 eine Luftein-
trittsöffnung vorgesehen (Merkmal 6.3, 6.4), die durch ein Luftgitter aus Ver-
tikal- und Horizontalstäben abgedeckt ist.
Nach den Ausführungen der Einsprechenden ist das derartig gestaltete Fil-
tergehäuse zusammen mit einer Fahrzeug-Klimaanlage (Merkmale 1, 2) in der
von ihr angegebenen Weise (s. o.) vorbenutzt worden (Anlage E4).
Die Vorbenutzungshandlung als solche wird von der Patentinhaberin aus-
drücklich zugestanden. Die Patentinhaberin bestreitet auch nicht die Ausge-
staltung des vorbenutzten Filtergehäuses bzw. der vorbenutzten Klimatisie-
rungsvorrichtung, soweit sie oben beschrieben ist (Merkmale 1 bis 6.4). Sie
meint aber, das Luftgitter in der Lufteintrittsöffnung des Deckels über keine
Führungswirkung auf die Luft in die Eintrittsöffnung (Merkmal 7) aus. Luftfüh-
rungsmittel im Sinne des streitpatentgemäßen Patentanspruchs 1 müssten
eine Richtungsänderung der Strömung bewirken, also die Luft dahin führen,
wohin sie ohne Führungsmittel nicht gelangen würde. Das Luftgitter im Deckel
des vorbenutzten Filtergehäuses würde diese Funktion nicht aufweisen. Viel-
mehr verenge das Luftgitter die Querschnittsfläche der Eintrittsöffnung und be-
hindere so die Strömung. Luftführungsmittel im streitpatentgemäßen Sinne
dagegen müssten gemäß Beschreibung der Patentschrift so beschaffen sein
(Spalte 2, Zeilen 21-25), dass sie das Einströmen der Luft begünstigen. Diese
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Funktion sei bei einem Luftgitter nach Art der Vorbenutzung nicht gegeben.
Folglich weise das vorbenutzte Filtergehäuse Luftführungsmittel der streitpa-
tentgemäßen Art nicht auf.
Die Patentinhaberin bestreitet ferner nicht die von der Einsprechenden be-
hauptete Möglichkeit des Eingreifens in das Luftgitter zum Öffnen/Schließen
des Deckels. Da das Luftgitter aber ein Luftführungsmittel nicht bilde, könne
auch nicht die Rede sein von Luftführungsmitteln, die gleichzeitig als Griff
dienen (Merkmal 8).
Die Merkmale 7 und 8 seien der vorbenutzten Vorrichtung somit nicht zu
eigen. Die zugestandenermaßen vorbenutzte Vorrichtung, so wie sie aus den
von der Einsprechenden vorgelegten Unterlagen entnehmbar sei, könne dem
Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 die Patentfähigkeit daher nicht
nehmen.
Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Die Patentinhaberin übersieht, dass
die vertikal und horizontal angeordneten Gitterstäbe grundsätzlich einen Ein-
fluss auf die eintretende Luftströmung ausüben müssen. Die von außen her
auf die Lufteintrittsöffnung zu gerichtete Strömung muss nämlich, um durch
das Gitter in die Eintrittsöffnung einzutreten, die Gitterstäbe umströmen. Da,
wie die Patentinhaberin selbst ausführt, die Gitterstäbe eine Verengung des
Eintrittsquerschnitts und somit auch des Strömungsquerschnitts bilden, ist
davon auszugehen, dass die Strömung dadurch zumindest bereichsweise
eine das Einströmen begünstigende Beschleunigung erfährt. Auf jeden Fall
aber bewirken die Gitterstäbe durch ihre zwangsläufig vorhandene - wenn
auch möglicherweise nur geringe - Erstreckung in Strömungsrichtung eine
Führung der Luft "in die Lufteintrittsöffnung" hinein. Die Gitterstäbe haben
somit - selbst wenn nicht speziell daraufhin gestaltet - eine zwar möglicher-
weise nur geringfügige, auf jeden Fall aber vorhandene Führungs-Wirkung auf
die Luft in Richtung Eintrittsöffnung. Sie sind deshalb als Luftführungsmittel im
Sinne des Patentanspruchs 1 anzusehen (Merkmal 7).
Da der Deckel außerdem schwenkbar ist, bietet es sich an, ihn zum Ausführen
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dieser Schwenkbewegung in einem von der Schwenkachse möglichst weit
beabstandeten Bereich zu ergreifen. Denn zur Erzeugung des für die
Schwenkbewegung notwendigen Drehmoments ist wegen des dann entspre-
chend großen Hebelarms nur eine verhältnismäßig kleine Kraft erforderlich. In
diesem von der Schwenkachse beabstandeten Bereich befindet sich nach der
oben angegebenen, unbestrittenen Ausgestaltung des Deckels das Luftgitter.
Wenngleich der Deckel zum Öffnen/Schließen in besagtem Bereich auch
außerhalb des Luftgitters z. B. an seinen dieses umgebenden Randflächen
ergreifbar sein mag, ist nach Überzeugung des Senats das Gitter als Mittel
zum Ergreifen des Deckels für die Schwenkbewegung bestens geeignet. Denn
durch Hintergreifen der Gitterstäbe wird auf einfache Weise eine sichere
Krafteinleitung (Formschluss) möglich. Dieses trägt nach Meinung des Senats
- im Gegensatz zur von der Patentinhaberin geäußerten Auffassung - zu einer
erhöhten Sicherheit bei der Betätigung bei und beinhaltet wegen der nur
kleinen benötigten Kraft (s. o.) auch kein Verletzungsrisiko. Im Übrigen sind
die Luftführungsmittel auch nach dem Streitpatent nicht etwa als Griff ge-
staltet, sondern sollen vielmehr in der Ausgestaltung als Luftführungsmittel nur
"als Griff dienen". Genau diese Möglichkeit ist aber - wie sich aus vorstehen-
den Ausführungen ergibt - bei dem Luftgitter des vorbenutzten Filtergehäuses
ebenfalls gegeben (Merkmal 8).
Damit ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch die unstreitig offen-
kundig vorbenutzte Vorrichtung zum Klimatisieren eines Kraftfahrzeugs in
allen seinen Merkmalen bekannt und deshalb neuheitsschädlich vorwegge-
nommen.
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3. Patentansprüche 2 bis 11 (Haupt- und Hilfsantrag)
Die Unteransprüche 2 bis 10 sowie der nebengeordnete Patentanspruch 11
teilen das Schicksal des jeweiligen Patentanspruchs 1, da über einen Antrag
immer nur in seiner Gesamtheit entschieden werden kann (BGH GRUR 1997,
120 ff., - "Elektrisches Speicherheizgerät").
gez.
Unterschriften