Urteil des BPatG vom 02.08.2018

Urteil vom 02.08.2018

ECLI:DE:BPatG:2018:020818U5Ni17.16EP.0
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
5 Ni 17/16 (EP)
hinzuverbunden
5 Ni 18/16 (EP)
und
5 Ni 19/16 (EP)
(Aktenzeichen)
URTEIL
An Verkündungs Statt
zugestellt am
2. August 2018
In der Patentnichtigkeitssache
1.
- 2 -
betreffend das europäische Patent 1 261 177
(DE 502 04 826)
hat der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 7. März 2018 durch den Vorsitzenden Richter Voit,
- 3 -
die Richterin Martens und die Richter
Dipl.-Ing. Univ. Albertshofer,
Dipl.-Geophys. Univ. Dr. Wollny und Dipl.-Phys. Univ. Bieringer
für Recht erkannt:
I.
Das europäische Patent 1 261 177 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig
erklärt.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages
vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents
EP 1 261 177 (Streitpatent), das am 16. April 2002 angemeldet wurde und die
Priorität der deutschen Anmeldung DE 101 22 422 vom 9. Mai 2001 in Anspruch
nimmt. Das Streitpatent trägt die Bezeichnung: „Verfahren und Vorrichtung zum
Einstellen der Bandbreite einer Verbindung zwischen mindestens zwei
Kommunikationsendpunkten in einem Datennetz“ und umfasst 12
Patentansprüche. Beim Deutschen Patent- und Markenamt wird das Streitpatent
Die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 7 lauten nach der Streitpatentschrift
(EP 1 261 177 B1) wie folgt:
- 4 -
- 5 -
- 6 -
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6
und der auf Patentanspruch 7 rückbezogenen Ansprüche 8 bis 12 wird auf die
Streitpatentschrift Bezug genommen.
Mit ihrer am 4. Februar 2016 eingereichten Klage macht die Klägerin aus dem
Verfahren 5 Ni 17/16 (EP) – im folgenden kurz Klägerin zu 1 – mangelnde
Patentfähigkeit der Gegenstände des Streitpatents geltend und zwar aufgrund
mangelnder Neuheit sowie mangelnder erfinderischer Tätigkeit.
Die Klägerin zu 1 stützt ihren Vortrag zur fehlenden Patentfähigkeit auf folgende
Dokumente:
T1
Auszug aus der Klageschrift im Verletzungsstreit vor dem
Landgericht München I, Aktenzeichen 7 O 17756/15
T2
Auszug aus dem Register des DPMA vom 2. Februar 2016
zum Aktenzeichen 502 04 826.3
T3
Streitpatentschrift EP 1 261 177 B1
T4
Offenlegungsschrift EP 1 261 177 A2
- 7 -
T5
Anthony S. Acampora: „An Introduction to Broadband
Networks“, veröffentlicht im Jahr 1994, Deckblatt, Einleitung
("Preface"), Inhaltsverzeichnis, Seiten 199-212
T5a
Anthony S. Acampora: „An Introduction to Broadband
Networks“, Plenum Press, 1994, Seiten 1-36
T6
US 5 889 956 A
T7
US 5 673 253 A
T8
WO 00/13369 A2
T9
GB 2 345 613 A
T10
Merkmalsgliederung des Streitpatentanspruchs 1
T11
Andrew S. Tanenbaum: „Computer Networks“, 3. Auflage von
T11a
T12
Larry S. Peterson et al.: „Computer Networks“, 1996, S. 150-
188
T13
Abhijit S. Pandya und Ercan Sen: "ATM Technology for
Broadband Telecommunications Networks", CRC Press,
1999, S. 27-28, 44-47, 58, 60, 145-149, 177-184, 191;
T14
Chung-Ju Chang, Chih-Hen Lin, Dah-Sheng Guan und Ray-
Guang Cheng: "Design of a Power-Spectrum-Based ATM
Connection Admission Controller for Multimedia
Communications", IEEE TRANSACTIONS ON INDUSTRIAL
ELECTRONICS, VOL. 45, NO. 1, 1998;
T15
RFC 1633 "Integrated Services in the Internet Architecture: an
Overview" , Internet Engineering Task Force (IETF), 1994
T16
Stephen McQuerry, Kelly McGrew und Stephen Foy: "Cisco
Voice over Frame Relay, ATM and IP", Cisco Press, 2001,
S. 132;
T16a
T17
RFC 1577 "Classical IP and ARP over ATM", Internet
Engineering Task Force (IETF), 1994.
- 8 -
T18
Technischer Report ETSI TR 101 694 V3.0.2: ,,Asynchronous
Transfer Mode (ATM); Provision of internet applications via
ATM based networks and interworking with IP networks",
September 1999;
T19
D. Bonjour et al.: ,,Internet applications over native ATM',
Computer Networks and ISDN Systems, Volume 30, Issue 12,
13 July 1998, S. 1097 - 1110.
Mit ihrer unter dem Aktenzeichen 5 Ni 18/16 (EP) gemeinsam erhobenen Klage
vom 4. Februar 2016 greifen die Huawei Technologies Deutschland GmbH (kurz
Klägerin zu 2) und die Vodafone GmbH (kurz Klägerin zu 3) das Streitpatent
ebenfalls in vollem Umfang an. Sie machen geltend, das Streitpatent sei wegen
mangelnder Patentierbarkeit (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische
Tätigkeit) für nichtig zu erklären. Zudem sei das Streitpatent auch wegen
unzulässiger Erweiterung und wegen mangelnder Ausführbarkeit für nichtig zu
erklären.
Die Klägerinnen zu 2 und 3 stützen ihren Vortrag auf folgende Dokumente:
N3
Offenlegungsschrift EP 1 261 177 A2
N4
Auszug aus der Klageerweiterung im Verletzungsstreit vor dem
Landgericht München I
NK1
W0 00/49824 A1
NK2
US 5 687 167 A
NK3
EP 1 011 230 A2
NK3a
NK4
UMTS Standard Release 4, bestehend aus NK4a bis NK4d:
NK4a
Signalling Procedures, veröffentlicht März 2001
NK4b
over Iu, veröffentlicht März 2001
- 9 -
NK4c
veröffentlicht Dezember 2000
NK4d
Signalling, veröffentlicht März 2001
NK5
WO 00/62494 A1
NK6
US 4 625 308 A
NK7
Anthony S. Acampora: „An Introduction to Broadband
Networks“, veröffentlicht im Jahr 1994, Deckblatt, Einleitung
("Preface"), Inhaltsverzeichnis, Seiten 199-212
NK8
US 5 889 956
NK9
Handbuch zur Software Fritz!32, veröffentlicht im Juli 2000,
(Handbuch)
NK10
NK11
NK12
NK13
NK4a-pub
NK4b-pub
NK4c-pub
NK4d-pub
NK4c*-pub
NK4d*-pub
- 10 -
NK4e-pub
NK4c*
veröffentlicht am 7. November 2000,
NK4d*
Signalling”, veröffentlicht am 13. Februar 2001,
NK4e
13. Februar 2001.
NK14
September 1997.
NK15
März 1990.
Die Klägerin zu 4 aus dem Verfahren 5 Ni 19/16 (EP) greift mit ihrer
Nichtigkeitsklage vom 5. Februar 2016 das Streitpatent lediglich teilweise an und
zwar im Umfang des Patentanspruchs 1. Insoweit macht sie geltend, das
Streitpatent sei wegen mangelnder Patentierbarkeit (mangelnde Neuheit und
mangelnde erfinderische Tätigkeit) für nichtig zu erklären. Zudem sei das
Streitpatent im Umfang des Anspruchs 1 auch wegen unzulässiger Erweiterung
und wegen mangelnder Ausführbarkeit für nichtig zu erklären. Ihren Vortrag
insbesondere zur fehlenden Patentfähigkeit stützt die Klägerin zu 4 auf die
Dokumente, die bereits die Klägerinnen zu 2 und 3 vorgelegt haben.
Die Klägerinnen zu 1, 2 und 3 beantragen,
das europäische Patent 1 261 177 mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem
Umfang für nichtig zu erklären.
- 11 -
Die Klägerin zu 4 beantragt,
das europäische Patent 1 261 177 mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang des
Patentanspruchs 1 teilweise für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt zuletzt,
die Nichtigkeitsklagen kostenpflichtig abzuweisen, hilfsweise
nach Maßgabe der als Anlagen HA1 bis HA4 überreichten
Hilfsanträge I bis IV gemäß Schriftsatz vom 25.01.2018, des
Hilfsantrags IVa, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom
07.03.2018, sowie der als Anlagen HA5 bis HA9 überreichten
Hilfsanträge V bis IX gemäß Schriftsatz vom 25.01.2018, in
dieser Reihenfolge.
Die Klägerinnen beantragen im Umfang ihres jeweiligen Angriffs auf das
Streitpatent auch insoweit dessen Nichtigerklärung.
Wegen des Wortlauts der Hilfsanträge wird auf die Anlagen HA1 bis HA9
des Schriftsatzes vom 25.1.2018 sowie auf das Sitzungsprotokoll vom
7. März 2018 Bezug genommen.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen. In
der mündlichen Verhandlung rügt sie darüber hinaus die Zulässigkeit der beiden
Klagen aus dem Verfahren 5 Ni 18/16 (EP) wegen Einzahlung lediglich einer
Klagegebühr. Sämtliche Klagen seien darüber hinaus auch abzuweisen, da das
Streitpatent jedenfalls in einer der hilfsweise verteidigten Fassungen Bestand
habe. Es sei nicht unzulässig erweitert und seine Lehre ausführbar. Die
Gegenstände der nebengeordneten Patentansprüche 1 und 7 seien neu und
- 12 -
beruhten auf erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem von den
Nichtigkeitsklägerinnen geltend gemachten Stand der Technik.
Zur Stützung ihres Vortrags reicht die Beklagte folgende Dokumente ein:
T9‘
WO 99/66689 A1
T9a‘/NK13a
B1
Merkmalsanalyse der Streitpatentansprüche 1 und 7
B2
Auszug aus Wikipedia vom 21.11.2016 zu DS0
B3
Auszug aus Wikipedia vom 21.11.2016 zu AAL2
B4
Michael Norton: „Basics of Network Segmentation: Switching
and Bridging", vom 16. März 2001, abgerufen über das Archiv
des Verlags O'Reiily
(http://archive.oreilly.eom/pub/a/network/
2001/03/16/net_2nd_lang.html)
B5
B4 über Wayback Machine;
(https://web.archive.org/web/20010416233327...).
B6
Barden, R. et al.: Request for Comments (RFC) 2205,
September 1997.
B7
Abdruck von https://de.wikipedia.org/wiki/Router vom
24.02.2018
B8
ETSI Webseite zu NK4a
B9
ETSI Webseite zu NK4d
B10
B11
B12
Europäischen Patentamts zum Verfahren T 401/12 vom
8. November 2017
B13
Zwischenmitteilung der Beschwerdekammer 3.4.01 des
Europäischen Patentamts zum Verfahren T 401/12 vom
15. September 2017
- 13 -
Der Senat hat die insgesamt drei Nichtigkeitsklagen zur gemeinsamen
Verhandlung und Entscheidung nach § 147 ZPO verbunden. Mit einem Hinweis
nach § 83 Abs. 1 PatG vom 14. November 2017 hat er den Parteien die
Gesichtspunkte mitgeteilt, die für die Entscheidung voraussichtlich von besonderer
Bedeutung sind.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf das Sitzungsprotokoll
vom 7. März 2018 sowie auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
- 14 -
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Nichtigkeitsklagen sind zulässig. Dies gilt entgegen der Ansicht der Beklagten
auch für die von der Klägerin zu 2 (Huawei Technologies Deutschland GmbH) und
der Klägerin zu 3 (Vodafone GmbH) im Verfahren 5 Ni 18/17 (EP) gemeinsam
erhobene Klage, die von einem gemeinsamen Prozessbevollmächtigten mit
demselben Klageantrag und denselben Nichtigkeitsgründen eingereicht wurde.
Unter diesen Voraussetzungen ist ausnahmsweise nur eine Klagegebühr zu
zahlen (vgl. BGH GRUR 87, 348 – Bodenbearbeitungsmaschine). Soweit die
Beklagte sich auf den bei Schulte/Voit, PatG, 10. Auflage, § 81, Rdn 66 und
Fn 153 zitierten Beschluss des 5. Senats vom 20. September 2012 (5 Ni
58/11(EP)) beruft, wonach bei gemeinsamer Klageerhebung mehrerer rechtlich
selbständiger Klageparteien in einem solchen Fall jede Klagepartei eine
gesonderte Gebühr zu zahlen habe, hält der Senat an dieser Entscheidung nicht
länger fest.
Eine gesonderte Klagegebühr ist auch nicht im Laufe des Verfahrens dadurch
fällig geworden, dass sich Patentanwalt Dr. Pelzer für die Klägerin zu 3 bestellt
hat. Wie die Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen zu 2 und 3 im Termin
übereinstimmend vorgetragen haben, erfolgte lediglich eine zusätzliche Bestellung
von Patentanwalt Dr. Pelzer zu dem Zweck, eine arbeitsteilige Bearbeitung des
umfangreichen Streitstoffes vornehmen zu können. Entgegen der Ansicht der
Beklagten waren somit die Klägerinnen zu 2 und 3 weiterhin durch einen
gemeinsamen Prozessbevollmächtigten vertreten, so dass weder eine zweite
Klagegebühr hätte eingezahlt werden müssen, noch deren Nichtzahlung aus
diesem Grund die Fiktion nach § 6 Abs. 2 PatKostG ausgelöst hätte.
Die Nichtigkeitsklagen sind auch begründet. In der erteilten Fassung ist das
Streitpatent wegen fehlender Patentfähigkeit für nichtig zu erklären, Artikel II § 6
Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Art. 52 bis
56 EPÜ. Es kann auch nicht in einer der Fassungen Bestand haben, mit denen die
Beklagte das Streitpatent in der mündlichen Verhandlung hilfsweise verteidigt hat,
- 15 -
denn keiner seiner Gegenstände, soweit damit das Streitpatent in zulässiger
Weise verteidigt wird, beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
A.
I. Zum Gegenstand des Streitpatents
1.
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Einstellen der Bandbreite einer
Verbindung zwischen mindestens zwei Kommunikationsendpunkten in einem
Datennetz sowie eine Vorrichtung zur Durchführung dieses Verfahrens (vgl.
Steitpatentschrift, Absatz [0001]).
Die Lehre des Streitpatents geht davon aus, dass Sprachverbindungen in
Telekommunikationsnetzen bisher überwiegend verbindungsorientiert aufgebaut
würden, wobei eine Leitung zwischen zwei Kommunikationsendpunkten für diese
Sprachverbindung reserviert
werde
(Leitungsvermittlung). Paketorientierte
Datennetze würden im Vergleich zu leitungsorientierter Telekommunikation eine
preisgünstigere Telekommunikation ermöglichen, da die Ressourcen,
insbesondere Übertragungskapazitäten, besser genutzt würden als bei
Übertragung mit zugesicherter Leitungskapazität (Absätze [0002] und [0003]). Als
Beispiele für paketorientierte Übertragungsverfahren für Sprache nennt die
Streitpatentschrift VoIP („voice over IP“) und VoFR („voice over Frame Relay“),
vgl. Absatz [0004].
Bei paketorientierter Übertragung von Sprachdaten wirke sich nachteilig aus, dass
die zur Verfügung stehende Übertragungsbandbreite schwanke und häufig zu
Verzögerungen, Aussetzern oder gar zu einem kompletten Abbruch führe. Im
Vergleich zu einer leitungsvermittelten Übertragung sei die Dienstgüte (QoS) bei
paketorientierter Sprachverbindung geringer. Wichtig sei, eine Mindestbandbreite
für eine als Minimum definierte Verbindungsqualität zu erhalten. Zum Aufbau von
VoIP-Verbindungen bedeute dies konkret, dass in Abhängigkeit der gerade
erforderlichen Bandbreite mindestens ein neuer Übertragungskanal aufgebaut
werde (Streitpatentschrift, Absätze [0005] und [0006]).
Zwar sei aus dem Stand der Technik bekannt, zusätzlich Übertragungskanäle
aufgrund von Anforderungen für besonders gekennzeichnete Dienste
- 16 -
bereitzustellen oder auf eine Initialisierungsanfrage hin zu einem ersten
Verbindungskanal einen weiteren Verbindungskanal zu allokieren, jedoch sei
damit eine völlig ungestörte Sprachverbindung nicht möglich, da die Entscheidung
zur Bandbreiteneinstellung erst getroffen werde, wenn die zusätzlich benötigte
Bandbreite bereits erforderlich sei (Streitpatentschrift, Absätze [0007] bis [0009]).
Um eine bestimmte Dienstgüte (QoS – „Quality of Service“) für Anwendungen
über das Internet zu erhalten, könne das RSVP („Resource Reservation Setup
Protocol“) verwendet werden, womit Übertragungskapazitäten reserviert und
dynamisch angepasst werden können. Jedoch sei das RSVP-Protokoll zum einen
ein proprietäres Protokoll, das von allen beteiligten Komponenten beherrscht
werden müsse, und zum anderen sei der technische Aufwand zur
Implementierung des Protokolls beträchtlich (Streitpatentschrift, Absatz [0012]).
Davon ausgehend stelle sich gemäß Streitpatent die Aufgabe, ein Verfahren zum
Einstellen der Bandbreite einer Verbindung zwischen mindestens zwei
Kommunikationsendpunkten in einem Datennetz und eine Vorrichtung zur
Durchführung des Verfahrens bereitzustellen, die eine für Sprachverbindungen
ausreichende Bandbreite bereits vor einer Übertragung gewährleisten können und
in herkömmlichen Telekommunikationsnetzen ohne zusätzlichen Protokollaufwand
einsetzbar sind (Streitpatentschrift, Absatz [0013]).
2.
Der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung sowie die nun
verteidigten Gegenstände des Streitpatents richten sich an einen Diplomingenieur
der Elektrotechnik oder Nachrichtentechnik mit Universitätsabschluss, der über
Erfahrung in der Ressourcenverwaltung von Telekommunikationssystemen verfügt
und dem Abläufe und Protokolle bei paketorientierter Datenübertragung, inklusive
Sprachübertragung über ISDN sowie über Mobilfunk und Internet aufgrund seines
Fachwissens bekannt sind, ebenso wie die zum Prioritätszeitpunkt einschlägigen
Standards der verwendeten Übertragungsprotokolle. Der Senat ist nicht der
Ansicht, dass dieser Fachmann Mitglied in einem der Standardisierungsgremien
sein müsste.
- 17 -
3.
Zur Lösung der genannten Aufgabe schlägt das Streitpatent in Anspruch 1
ein Verfahren vor, das sich in folgende Merkmale gliedern lässt
(Merkmalsgliederungen eingefügt):
M1 Verfahren zum Einstellen der Bandbreite einer Verbindung (10)
zwischen mindestens zwei Kommunikationsendpunkten (12, 14) in
einem Datennetz, in dem
M1.1 der Verbindung (10) mindestens ein Übertragungskanal (16,
18) zur Datenübertragung zugewiesen wird,
M1.2 die Verbindung (10) eine Signalisierungs- und
Nutzkanalverbindung umfasst,
M1.2.1
wobei über die Nutzkanalverbindung paketorientiert
Nutzdaten zwischen den Kommunikationsendpunkten (12,
14) übertragen werden und
M1.2.2
die Nutzdaten mindestens einer Kommunikationsverbindung,
insbesondere Sprachverbindung, zugeordnet sind,
M1.3 eine Überwachungseinheit (20)
M1.3.1
die Signalisierungsverbindung auf Anforderungen
mindestens einer weiteren Kommunikationsverbindung
überwacht und
M1.3.2
bei einer Anforderung einer Steuereinheit (22) signalisiert,
der Verbindung (10) einen oder mehrere zusätzliche freie
Übertragungskanäle für die mindestens eine angeforderte
Kommunikationsverbindung zuzuweisen,
dadurch gekennzeichnet, dass
M1.4 bei einer signalisierten Anforderung (S1)
M1.4.1
geprüft wird, ob die Bandbreite für die angeforderte
Kommunikationsverbindung ausreicht (A1),
M1.4.2
falls dies nicht der Fall ist, ermittelt wird, ob für den
Bandbreitenbedarf der angeforderten
Kommunikationsverbindung entsprechend viele
Übertragungskanäle (18) frei sind (A2),
- 18 -
M1.4.3
die Verbindungsanforderung in einer Warteschlange
gespeichert wird (S2),
M1.4.4
freie Übertragungskanäle (18) aufgebaut (S3) werden,
M1.4.5
die gespeicherte Verbindungsanforderung abgearbeitet wird
(S4) und
M1.4.6
die aufgebauten Übertragungskanäle (18) der
Nutzkanalverbindung zugewiesen werden (S6).
Die Vorrichtung nach Anspruch 7 der erteilten Fassung lässt sich in folgende
Merkmale gliedern (Gliederungszeichen eingefügt):
M7 Vorrichtung zum Einstellen der Bandbreite einer Verbindung (10)
zwischen mindestens zwei Kommunikationsendpunkten (12, 14)
in einem Datennetz, wobei
M7.1
der Verbindung (10) mindestens ein Übertragungskanal (16,
18) zur Datenübertragung zugewiesen ist,
M7.2
die Verbindung (10) eine Signalisierungs- und
Nutzkanalverbindung umfaßt,
M7.2.1
wobei über die Nutzkanalverbindung paketorientiert
Nutzdaten zwischen den Kommunikationsendpunkten (12,
14) übertragen werden, und
M7.2.2
die Nutzdaten mindestens einer Kommunikationsverbindung,
insbesondere Sprachverbindung, zugeordnet sind,
M7.3
mit einem Router (24) der eine Überwachungs- und einer
Steuereinheit (20, 22) umfasst, wobei die Überwachungseinheit
(20) über eine SignaIIeitung (26) mit der Steuereinheit (22)
verbunden ist,
M7.3.1 die Überwachungseinheit (20) die Signalisierungsverbindung
auf Anforderungen mindestens einer weiteren
Kommunikationsverbindung überwacht und
M7.3.2
bei einer Anforderung einer Steuereinheit (22) signalisiert,
der Verbindung (10) einen oder mehrere zusätzliche freie
- 19 -
Übertragungskänale für die mindestens eine angeforderte
Kommunikationsverbindung zu zuweisen,
M7.4 bei einer signalisierten Anforderung (S1)
M7.4.1
geprüft wird, ob die Bandbreite für die angeforderte
Kommunikationsverbindung ausreicht (A1),
M7.4.2
falls dies nicht der Fall ist, ermittelt wird, ob für den
Bandbreitenbedarf der angeforderten
Kommunikationsverbindung entsprechend viele
Übertragungskanäle (18) frei sind (A2),
M7.4.3
die Verbindungsanforderung in einer Warteschlange
gespeichert wird (S2),
M7.4.4
freie Übertragungskanäle (18) aufgebaut (S3) werden,
M7.4.5
die gespeicherte Verbindungsanforderung abgearbeitet wird
(S4) und
M7.4.6
die aufgebauten Übertragungskanäle (18) der
Nutzkanalverbindung zugewiesen werden (S6).
4.
verwendeten Begrifflichkeiten des Streitpatents wie folgt:
„Kommunikationsendpunkte“: Als Beispiele sind in der Streitpatentschrift Router,
PPP-Schnittstellen (Absatz [0010]) auch Telekommunikationsanlagen, ISDN-
Terminals und/oder Personal-Computer mit Datennetzanschlüssen genannt
(Absatz [0024]). Aus der Beschreibung als Ganzes entnimmt der Fachmann, dass
es darauf ankommt, dass zwischen zwei Kommunikationsendpunkten eine
Verbindung über ein Datennetz besteht. Insofern kann jedes an der
Datenübertragung beteiligte Gerät einen Kommunikationsendpunkt bilden, also
auch Basisstationen, Gateways, Switches, Telefone und andere Endgeräte (vgl.
Abs. [0044]). Jedoch ist „Kommunikationsendpunkt“ nicht mit dem enger gefassten
Begriff „Kommunikationsendgerät“ zu verwechseln.
- 20 -
Zu den Begrifflichkeiten „verbindungsorientiert“, „leitungsvermittelt“,
„paketorientiert“: Unter „verbindungsorientiert“ soll gemäß Streitpatentschrift,
Absatz [0002], verstanden werden, dass für die Signalübertragung zwischen zwei
Kommunikationsendpunkten ausschließlich eine Leitung vorgesehen ist, die für
diese Sprachverbindung reserviert ist. Dieser technische Sachverhalt ist dem
Fachmann als „Leitungsvermittlung“ bekannt. Das beanspruchte paketorientierte
Übertragen von Nutzdaten (Merkmal M1.2.1) spezifiziert nicht die Art der
Vermittlung. Diese kann entweder paketvermittelt, z.B. von Knoten zu Knoten
usw., oder leitungsvermittelt, z.B. über eine durchgeschaltete Leitung bzw. Träger,
erfolgen. Entscheidend ist, dass Pakete übertragen werden.
Für den Fachmann ist klar, dass der einer Verbindung zugewiesene
Übertragungskanal ein physikalischer oder logischer Kanal sein kann (vgl.
Widerspruchsbegründung der Beklagten zu 5 Ni 17/16 vom 22. November 2016,
Seite 13, letzter Absatz).
„Verbindung“: Was gemäß Streitpatent unter einer Verbindung zu verstehen sein
soll, ist nicht definiert. Die Merkmalsgruppe M1 weist der Verbindung jedoch
Eigenschaften zu:
- Die Verbindung besteht zwischen mindestens zwei
Kommunikationsendpunkten (M1),
- der Verbindung ist mindestens ein Datenübertragungskanal
zugewiesen (M1.1),
- Die Verbindung umfasst eine Signalisierungs-
und
Nutzkanalverbindung (M1.2).
Da die Nutzkanalverbindung paketorientiert überträgt, muss auch die Verbindung
zumindest teilweise paketorientiert sein. Sie ist also logisch, was nicht ausschließt,
dass sie auch durch ein (einziges) physikalisches Übertragungsmedium (Leitung,
Funkverbindung) gebildet sein kann.
„Kommunikationsverbindung“: Was gemäß Streitpatent unter einer
„Kommunikationsverbindung“ zu verstehen sein soll, wird in Absatz [0017] der
Streitpatentschrift definiert: „Unter einer Kommunikationsverbindung wird ganz
allgemein eine Verbindung zum Austauschen von Daten zwischen
- 21 -
Kommunikationsendpunkten verstanden.“ Im Besonderen kann die
Kommunikationsverbindung eine Sprachverbindung sein. In diesem Sinne ist eine
Sprachverbindung nur fakultativ beansprucht (Merkmal M1.2.2), obligatorisch ist
eine Kommunikationsverbindung in ihrer ganzen Allgemeinheit (Merkmal M1.2.2).
Zum Patentanspruch 1 als Ganzes: Das gemäß Patentanspruch 1 beanspruchte
Verfahren betrifft das Einstellen der Bandbreite einer Verbindung (Merkmal M1),
die eine Signalisierung – und Nutzkanalverbindung umfasst (Merkmal M1.2). Aus
der Beschreibung, Absatz [0036], entnimmt der Fachmann, dass damit die
Fachbegriffe Controlplane und Userplane gemeint sein sollen. Der Verbindung
wird mindestens ein Übertragungskanal zugewiesen (Merkmal M1.1). Zum
Einstellen der Bandbreite wird die Anzahl der Übertragungskanäle eingestellt
(Merkmale M1.4.2 und M1.4.4). Weitere Möglichkeiten, die Bandbreite
einzustellen, sind nicht beansprucht.
Das beanspruchte Verfahren nutzt eine Überwachungseinheit (Merkmal M1.3),
eine Steuereinheit (Merkmal M1.3.2) und zwei Kommunikationsendpunkte in
einem Datennetz (Merkmal M1), zwischen denen die Nutzdaten einer
zugeordneten Kommunikationsverbindung paketorientiert (d.h. als Pakete)
übertragen werden sollen (Merkmale M1.2.1, M1.2.2). Gemäß Ausführungs-
beispiel soll das Datennetz vorzugsweise das ISDN-Datennetz sein (Abs. [0025]),
was den Anspruch in seiner Allgemeinheit aber nicht beschränkt.
Die Einstellung der Bandbreite erfolgt auf Anforderung mindestens einer weiteren
Kommunikationsverbindung (Merkmal M1.3.1), woraufhin die Steuereinheit der
weiteren Kommunikationsverbindung freie Übertragungskanäle zuweisen soll
(Merkmal M1.3.2).
Gemäß Merkmalsgruppe M1.4 soll zunächst geprüft werden, ob genügend
Bandbreite für die weitere Kommunikationsverbindung vorhanden ist. Im positiven
Fall sind weitere Maßnahmen nicht beansprucht. Das beanspruchte Verfahren
betrifft insofern nur den Fall, dass die Bandbreite als nicht ausreichend betrachtet
wird, was der Fachmann bereits aus Merkmal M1.3.2 so versteht. In diesem Fall
werden die Maßnahmen gemäß M1.4.3 bis M1.4.6 ausgeführt, d.h. die
Anforderung wird in einer Warteschlange gespeichert, danach werden die (gemäß
Merkmal M1.3.2 zuzuweisenden) freien Übertragungskanäle aufgebaut, die
- 22 -
Anforderung aus der Warteschlange abgearbeitet und die Zuweisung der
aufgebauten Übertragungskanäle zur Nutzkanalverbindung der weiteren
Kommunikationsverbindung vorgenommen.
Der Fachmann erkennt, dass der Ausgang des beanspruchten Verfahrens
grundsätzlich zwei Möglichkeiten haben kann: Entweder die Bandbreite wird um
weitere Übertragungskanäle erhöht oder die Anforderung wird zurückgewiesen
(vgl. Streitpatent, Anspruch 2). Eine gesonderte Behandlung für eine
Sprachverbindung gegenüber anderen Kommunikationsverbindungen ist nicht
beansprucht. Für jede Anforderung werden gemäß Merkmal M1.3.2 freie
Übertragungskanäle zugewiesen. Eine Auswahl erfolgt nicht.
Soweit auch die Charakterisierung der Kommunikationsverbindung durch eine
TCP-Portnummer gemäß erteiltem Anspruch 3 unter den Wortlaut des
Patentanspruchs 1 fällt, erfolgt damit auch keine Auswahl.
Soweit der Diskussion zur Auslegung der Merkmale M1.4.1 und M1.4.2 von den
Parteien viel Raum gegeben wurde, ist der Senat im Ergebnis der Überzeugung,
dass geprüft wird, ob die Gesamtbandbreite der Verbindung mit allen bereits
bestehenden Übertragungskanälen ausreichend ist, um die geforderte Dienstgüte
(QoS) der bestehenden Kommunikationsverbindung(en) und der weiteren
(angeforderten) Kommunikationsverbindung zu gewährleisten.
Welche
physikalische Größe hier verwendet wird, ist im einzelnen nicht beansprucht.
Zu Patentanspruch 7: Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 7 betrifft
einen Router (Merkmal M7.3) mit Überwachungseinheit und Steuereinheit, die
miteinander verbunden sind. Die Verfahrensschritte unterscheiden sich technisch
nicht von denen des Patentanspruchs 1. Obwohl nicht explizit beansprucht, dürfte
der Fachmann verstehen, dass der Router geeignet sein soll, die Ausführung der
Verfahrensschritte M7.4.1 bis M7.4.6 zu gewährleisten.
- 23 -
II. Zur erteilten Fassung
1.
mit der Klage geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit
nach Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ i.V.m Art. 54 EPÜ gegeben ist, denn sämtliche
Merkmale des Patentanspruchs 1 sind aus der Druckschrift T5 (Auszug aus
Anthony S. Acampora: „An Introduction to Broadband Networks“) bekannt. Ob
darüber hinaus auch die von den Klägerinnen zu 2, 3 und 4 geltend gemachten
weiteren Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung und mangelnder
Ausführbarkeit gegeben sind, kann bei dieser Sachlage dahinstehen.
Die als Anlage T5 eingereichte Druckschrift ist ein Auszug aus dem
Grundlagenfachbuch „An Introducion to Broadband Networks“ von Anthony S.
Acampora aus dem Jahre 1994. Sie betrifft Breitband-ISDN und ATM,
insbesondere Verfahren zum Rufaufbau (T5, Kap. 5.3. „Call Setup Procedures“)
und zum Bereitstellen zusätzlicher Bandbreite für einen virtuellen Pfad (T5, Fig.
5.8 mit Beschreibung). In der Druckschrift T5 wird als Übertragungsverfahren ATM
beschrieben, bei dem Informationen als Pakete (ATM-Zellen) über ein Breitband-
Netzwerk (B-ISDN) gesendet werden (vgl. T5, S. 199 und Preface, S. ix). Explizit
werden in der Druckschrift T5 als Nutzanwendungen „packet video“ und „packet
voice“ mit variabler Bitrate sowie „digital video“ und „digital voice“ mit konstanter
Bitrate angesprochen (vgl. T5, S. 203, 1. Absatz des Abschnitts 5.2). Die dort
betrachtete Verbindung besteht zwischen einem sendenden und einem
empfangenen CP node (vgl. T5, S. 207, siebtletzte Zeile; S. 200, 2. Absatz), was
im Sinne des Streitpatents zwei Kommunikationsendpunkten entspricht.
Die Lehre der Druckschrift T5 betrifft u.a. drei Möglichkeiten für das Multiplexing
beim Rufaufbau (T5, S. 210 ff.). In dieser wird davon ausgegangen, dass weder
das unkontrollierte Zulassen weiterer Kommunikationsverbindungen (T5, S. 210,
2. Abs.; Rufaufbau entsprechend dem „first type“) noch das exklusive Reservieren
von Bandbreite für jede Kommunikationsverbindung (T5, S. 210, 3. Abs. – S. 211,
1. Abs; Rufaufbau enstprechend dem „second type“) wünschenswert ist. Da weder
das dauernde Anfüllen einer Warteschlange für Pakete noch das Verschwenden
- 24 -
physikalischer Bandbreite gewollt sein kann, wird die dritte Variante (T5, S. 211, 2.
Abs.; „third technique“) gelehrt, wobei weitere Bandbreite bei Bedarf (und falls
möglich) allokiert wird. Dies entspricht auch der Erkenntnis der
streitpatentgemäßen Lehre, vgl. dortige Absätze [0005], [0012] und [0017].
Gemäß Druckschrift T5 wird bei einer neuen Rufanforderung geprüft, ob der
weitere Anruf in ausreichender Qualität (QoS, Qualitiy of Service) über die bereits
bestehende Verbindung gewährleistet werden kann, oder ob weitere Bandbreite
bereitgestellt werden muss, falls dies möglich ist (vgl. T5, Fig. 5.8).
Im Einzelnen zeigt die Druckschrift T5 dem Fachmann mit den Worten des
Streitpatents die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1:
Merkmal M1:
Ein „virtual path“ besteht zwischen korrespondierendem Sender und
Empfänger (vgl. T5, Abschnitt 5.4, S. 207), ist also eine Verbindung
zwischen zwei Kommunikationsendpunkten i.S. des Streitpatents. Die
dort als „CP nodes“ bezeichneten „Customer Premisses nodes“ (T5,
S. 207 ebenda; S. 200; Fig. 5.2) sind Kommunikationsendpunkte i.S.
des Streitpatents. Auf Seite 211, letzter Absatz i.V.m. Fig. 5.8 der
Druckschrift T5 wird das Einstellen der Bandbreite beschrieben, wobei
- 25 -
als Reaktion auf eine Anforderung zusätzliche Bandbreite für die
Verbindung allokiert wird (ebenda: „... the call processor will attempt to
allocate additional bandwidth to that Virtual Path, ...“). Das zugrunde
gelegte Breitbandnetzwerk B-ISBN mit den CP nodes (vgl. T5,
Abschnitt 5.1 mit Fig. 5.2) entspricht dem beanspruchten Datennetz.
Merkmal M1.1:
Dem „virtual path“ gemäß der Druckschrift T5 ist zumindest ein „virtual
channel“ zugewiesen, was dem Zuweisen eines Übertagungskanals für
die Verbindung entspricht (T5, S. 210, 3. Abs.: „… Each Virtual Path is
allocated a fixed bandwidth […]“; Fig. 5(a) i.V.m. S. 207, Abschnitt 5.4)
Merkmal M1.2:
Gemäß Druckschrift T5 erfolgt die Signalisierung der Verbindung über
die „Control Plane“ und die Nutzdatenübertragung sowohl für
verbindungsorientierte als auch für verbindungslose Verbindungen über
die „User Plane“ (vgl. T5, Fig. 5.4 mit Beschreibung S. 203). Dies betrifft
die in der Fachwelt übliche getrennte Verwaltung von
Signalisierungsdaten und Nutzdaten einer Verbindung. Gemäß dortiger
Seite 205, vorletzter Absatz, wird bei ATM über B-ISDN zwischen
„permanent virtual circuit“ und „switched virtual circuit“ unterschieden,
was einer Signalisierungsverbindung und einer Nutzkanalverbindung im
Sinne der Streitpatentschrift entspricht. Die Signalisieriungsverbindung
trägt hier Steuerinformationen zwischen Kommunikationsendpunkten
(T5, S. 205, vorletzter Absatz, letzter Satz: „Permanent virtual circuits
might also be used to carry signaling and control information among CP
nodes, network switches, management entities, and call processing
units.“).
Merkmal M1.2.1:
- 26 -
Die Nutzdaten werden hier als Pakete über ATM-Zellen übertragen,
somit ist die Nutzkanalverbindung paketorientiert i. S. des Streitpatents
(vgl. T5, S. 204 i.V.m. S. 199, Z. 5 - 8: „In the B-ISDN vision, all types of
traf
fic presented by end-users of the telecommunication network would
be formatted (either by the user or at the user interface to the network)
into short,
fixed-length packets containing an information field and a
routing
field (header).“)
Merkmal M1.2.2:
Ein (switched) „virtual circuit“ gemäß der Druckschrift T5 stellt ein
Videotelefonat, Sprachtelefonat u.ä. dar, das von einem Nutzer
angefordert wird (vgl. T5, S. 203, Abschnitt 5.2). Die gemäß der Lehre
der Druckschrift T5 hierbei übertragenen Nutzdaten werden mittels
einer Routing-Tabelle einem „virtual circuit identifier“ zugeordnet (vgl.
T5, S. 202, Z. 12 - 14: „Here, at call setup time, a routing table is
provided with the switch output port number to which all cells bearing
the newly assigned virtual circuit identi
fier are to be sent.“ i.V.m. S.
206, 2. Absatz).
Merkmal M1.3:
Das Verfahren gemäß Druckschrift T5 nutzt einen „call processor“,
der u.a. Steuerungs- und Verwaltungsaufgaben wahrnimmt (vgl.
S. 205, letzter Absatz; S. 207, erste Zeile). Dieser entspricht somit
einer Überwachungseinheit i. S. des Streitpatents.
Merkmal M1.3.1:
Der genannte „call processor“ nimmt Anfragen für weitere
Rufverbindungen entgegen (vgl. T5, S. 206, zweiter Absatz, Z. 3 und 4:
„The process starts with a request by the user for establishment of a
new virtual circuit.“), welche über die „control plane“ (i.S. des
Streitpatents eine Siganalisierungverbindung) als Nachricht an den „call
- 27 -
processor“ gesendet werden (vgl. T5, S. 206, viertletzter Satz: „ […] to
prepare a message for the call processor […]“).
Merkmal M1.3.2:
Gemäß der Lehre der Druckschrift T5 wird signalisiert, eine weitere
„virtual circuit number“ (Identifizierungsparameter für eine neue
Kommunikationsverbindung) zuzuordnen (vgl. T5, Satz im
Seitenumbruch von S. 206 und 207), wobei der „call processor“ bei
Bedarf und nach Möglichkeit zusätzliche Bandbreite in Form weiterer
„Virtual Channels“ zuweist (vgl. T5, S. 211, 2. Absatz, Z. 16 und 17: „..
the call processor will attempt to allocate additional bandwidth to that
Virtual Path …“ i.V.m. Figuren 5.5 und 5.8).
Merkmal M1.4:
In Reaktion auf eine Anforderung beginnt gemäß Druckschrift T5 eine
Rufaufbau-Prozedur (vgl. T5, S. 205 ff., Abschnitt 5.3; insb. S. 206, 2.
Absatz, 2. Satz: „The process starts with a request by the user for
establishment of a new virtual circuit.“)
Merkmal M1.4.1:
Das in der Druckschrift T5 gelehrte Verfahren prüft, ob die Bandbreite
für die neue Verbindung für die geforderte Dienstgüte ausreicht (vgl. T5,
S. 211, 2. Absatz, Z. 9 – 12: „To determine admissibility of a new
request for a Virtual Channel, the call processor needs to con
firm the
quality of service for those Virtual Channels sharing the same Virtual
Path to be used by the new request, and if the guaranteed quality of
service can be maintained, the new request is admitted“).
- 28 -
Merkmal M1.4.2:
Gemäß Verfahren der Druckschrift T5 prüft der „call processor“, ob
zusätzliche Bandbreite angefordert werden kann, (vgl. T5, S. 211,
2. Absatz, Z. 16 und 17 : „… the call processor will attempt to allocate
additional bandwidth to that Virtual Path […]“ i.V.m. Fig. 5.8, Mitte,
Abfrage an der Verzweigung: „Can more bandwidth be requested?“).
Merkmal M1.4.3:
Zwar ist die Warteschlange in der Druckschrift T5 nicht explizit
formuliert, jedoch ist dem Fachmann klar, dass der Prozess zum
Aufbau einer Kommunikationsverbindung eine Vielzahl von Schritten
erfordert (vgl. T5, Abschnitt 5.3, S.206, 2. Absatz, Z. 2: „sequence of
events“ und folgende Auflistung „event 1“ bis „event 13“) und die
Anforderung solange gehalten werden muss.
Merkmal M1.4.4:
Gemäß Druckschrift T5, Fig. 5.8 werden neue „Virtual Channels“
aufgebaut, was den Übertragungskanälen i.S. des Streitpatents
entspricht.
Merkmal M1.4.5:
Die Abarbeitung der Kommunikationsverbindungsanforderung (T5,
S.205, letzter Absatz, Z. 1: „request establishment of new virtual
circuits“) entnimmt der Fachmann der Druckschrift T5, Figur 5.5 mit
zugehöriger Figurenbeschreibung, beginnend auf S. 206, 2. Absatz.
Merkmal M1.4.6:
Die zusätzlich aufgebauten „Virtual Channels“ werden dem „Virtual
Path“ zugewiesen (vgl. T5, Fig. 5.8), und zwar insbesondere der
- 29 -
Nutzkanalverbindung, da die neue Kommunikationsverbindung damit
hergestellt wurde (T5, S. 207, 1. Absatz, letzter Satz: „events 12 and
13“).
Somit sind sämtliche Merkmale aus der Druckschrift T5 bekannt.
Die Beklagte hat vorgetragen, das Merkmal M1.4.1 sei der Druckschrift T5 nicht zu
entnehmen, da dort nur geprüft werde, ob die Dienstgüte (QoS, Quality of Service)
garantiert werden könne. Zur Stützung ihres Vorbringens zitiert sie die dortige
S. 211, neuntletzte Zeile: „if the guaranteed quality of service can be maintained,
the new request is admitted“. Sie vertritt die Auffassung, dass damit ein
eventueller Paketverlust angesprochen und kein Bandbreitenvergleich zu
verstehen sei. Der Senat tritt dieser Auffasung nicht bei. Sowohl das Verfahren
gemäß Patentanspruch 1 als auch die Lehre der Druckschrift T5 betreffen das
Einstellen der Bandbreite einer Verbindung, falls die Dienstgüte nicht
gewährleistet werden kann. Soweit das Merkmal M1.4.1 explizit prüft, ob die
Bandbreite ausreichend ist, weiß der Fachmann, dass Bandbreite und Dienstgüte
miteinander gekoppelt sind. Denn die erforderliche Bandbreite hängt von der
geforderten Dienstgüte (QoS) ab. Dem Fachmann ist auch klar, dass die
Dienstgüte schlechter wird, je mehr Kommunikationsverbindungen sich die zur
Verfügung stehende Bandbreite der Verbindung teilen müssen (vgl. Streitpatent,
Abs. [0017], Zeilen 5 bis 10 sowie T5, Brückensatz zwischen S. 206 und S. 207).
Daher bedingt aus fachmännischer Sicht eine geforderte Dienstgüte eine
ausreichende Bandbreite.
Der „call processor“ der Druckschrift T5 stellt sicher, dass die Datenlast, die über
die weitere Kommunikationsverbindung zu erwarten ist, die Dienstgüte der bereits
bestehenden Kommunikationsverbindungen nicht unzulässig verringert (vgl. T5,
Brückensatz zwischen S. 205 und 206: „The decision as to whether or not such a
request can be granted is made by the call processor which, among other things,
must ascertain that the traf
fic expected to be offered over that newly requested
virtual circuit will not cause the quality of service enjoyed by existing virtual circuits
- 30 -
to degrade below some guaranteed level.“, Unterstreichungen hinzugefügt). Der
Fachmann entnimmt dem einen Bandbreitenvergleich.
Soweit die Beklagte vorgetragen hat, die Fig. 5.8 der Druckschrift T5 zeige, dass
auch Übertragungskanäle („Virtual Channels“) erteilt würden, falls die Bandbreite
ausreichend sei (vgl. dazu T5, Fig. 5.8, oberer Pfad), kann dies hinsichtlich des
erteilten Patentanspruchs 1 dahingestellt bleiben, da nicht beansprucht ist, wie bei
positivem Ergebnis im Merkmal M1.4.1 verfahren werden soll.
2.
mit der Klage u. a. geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden
Patentfähigkeit nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a)
EPÜ gegeben ist, denn sein Gegenstand beruht nicht auf einer erfinderischen
Aus der Druckschrift T5 sind die Verfahrensmerkmale M7 bis M7.2.2 und M7.3.1
bis M7.4.6 bekannt; siehe hierzu die Ausführungen zum erteilten Patentanspruch
1 und die angegebenen Fundstellen zu den wortgleichen Verfahrensmerkmalen.
Da der „call processor“ der Druckschrift T5 eine Überwachungseinheit im Sinne
des Streitpatents darstellt, ist das Merkmal M7.3 zumindest teilweise aus der
Druckschrift T5 bekannt. Die streitpatentgemäße Vorrichtung unterscheidet sich
von der Überwachungseinheit („call processor“) der Druckschrift T5 dadurch, dass
jene mit einer Steuereinheit verbunden sein soll und gemeinsam einen Router
ausbildet.
Der Senat folgt dem Vortrag der Klägerin zu 1, dass ein TCP/IP-Protokollstack und
der diesen verabeitende Router am Prioritätstag zum Fachwissen zählte, was
auch durch mehrere Druckschriften belegt wurde (T13, S.178 und S. 184; T16, S.
xxv; T19, Fig. 1; T18, S. 13). Zum Wissen des Fachmanns am Prioritätstag zählte
auch, dass Router für Voice over IP (VoIP) über ATM-Verbindungen am Markt
erhältlich waren. Die Klägerin zu 1 reichte hierfür als Nachweis die Druckschrift
T16 ein, welche vom Senat im Beisein der Parteivertreter in der mündlichen
Verhandlung im Original in Augenschein genommen wurde. Danach hat der Senat
- 31 -
an der Vorveröffentlichung der Druckschrift T16, die im April 2001 gedruckt
vorgelegen hat, keinen Zweifel, zumal es sich um ein Lehrbuch für den Umgang
mit bereits auf dem Markt befindlichen Routern der Fa. Cisco handelt. Aus
fachmännischer Sicht muss der bekannte Router selbstverständlich für VoIP eine
Steuereinheit aufweisen, die mit der Managementebene des ATM (vgl. T5, Fig.
5.5) kommuniziert, und auch einen „call prozessor“ gemäß Druckschrift T5, um die
ATM-Verbindungen gemäß dem aus der Druckschrift T5 bekannten Verfahren
aufzubauen. Angeregt durch das in der Druckschrift T5 auf den Seiten 206 bis 207
i.V.m mit der Figur 5.5 beschriebene Verfahren zum Verbindungsaufbau, welches
außer dem explizit genannten „call processor“ noch eine Steuervorrichtung für die
Aufgaben der Management-Plane benötigt, war es naheliegend, hierfür auch den
bekannten Router, auf den sich die Druckschrift T16 bezieht, einzubinden.
3.
Unteransprüchen eigenständig erfinderische Gegenstände enthalten seien, hat die
Beklagte weder geltend gemacht, noch ist dies für den Senat ersichtlich. Vielmehr
hat die Beklagte im Rahmen ihrer Hilfsanträge versucht, zur Patentfähigkeit der
dort beanspruchten Gegenstände zu gelangen.
III. Zu den Hilfsanträgen
Keiner der Hilfsanträge ist zur Selbstbeschränkung des erteilten Patents geeignet.
Die Hilfsanträge IV und IX sind nicht zulässig und dem jeweiligen Gegenstand der
Hilfsanträge I bis III und V bis VIII fehlt jeweils die Patentfähigkeit. Gleiches gilt für
Hilfsantrag IVa.
Gegenüber der erteilten Fassung unterscheidet sich der Patentanspruch 1 gemäß
Hilfsantrag I
M1.2.3
H1
eingefügt ist:
[und
M1.2.3
H1
übertragen werden
- 32 -
Entsprechendes ist in den Vorrichtungsanspruch 6 nach dem Merkmal M7.2.2 des
H1
bezeichnet).
Gegenüber der erteilten Fassung unterscheidet sich der Patentanspruch 1 gemäß
Hilfsantrag II
M1.2.3
H1
M1.2.4
H2
eingefügt sind:
[und]
M1.2.3
H1
übertragen werden [und]
M1.2.4
H2
die paketorientierte Übertragung von Nutzdaten mittels
TCP/IP erfolgt,
Entsprechendes ist in den Vorrichtungsanspruch 5 nach dem Merkmal M7.2.2.
M7.2.3
H1
M7.2.4
H2
bezeichnet).
Gegenüber der erteilten Fassung unterscheidet sich der Patentanspruch 1 gemäß
Hilfsantrag III
M1.2.3
H3
eingefügt ist:
[und]
M1.2.3
H3
Kommunikationsverbindung, insbesondere
Sprachverbindung, zugeordnet sind, wobei eine
Kommunikationsverbindung durch eine TCP-Portnummer
charakterisiert wird und eine Anforderung einer
Kommunikationsverbindung durch eine Meldung einer TCP-
Portnummer signalisiert wird,
Entsprechendes ist nach dem Merkmal M7.2.2 des Patentanspruchs 7 der
H3
bezeichnet).
- 33 -
Gegenüber der erteilten Fassung unterscheidet sich der Patentanspruch 1 gemäß
Hilfsantrag IV
M1.4.1.1
H4
eingefügt ist:
M1.4.1.1
H4
Verbindungsanforderung über den mindestens einen
Übertragungskanal (16, 18), der der Verbindung zur
Datenübertragung zugewiesen ist, geroutet wird (S6),
Entsprechendes ist nach dem Merkmal M7.4.1 des Patentanspruchs 7 der
H4
bezeichnet).
Patentanspruch 1 des in der mündlichen Verhandlung überreichten
Hilfsantrags IVa
M1.4.1.1
H4
das Wort „gespeicherte“
M7.4.1.1
H4
Das
Merkmal hat folgenden Wortlaut:
M1.4.1.1
H4a
mindestens einen Übertragungskanal (16, 18), der der
Verbindung zur Datenübertragung zugewiesen ist, geroutet
wird (S6),
Hilfsantrag V
Patentanspruch 7 der erteilten Fassung. Die Unteransprüche 2 bis 6 entsprechen
den Unteransprüchen 8 bis 12 der erteilten Fassung.
Hilfsantrag VI
Patentanspruch 7 der erteilten Fassung, wobei nach dem Merkmal M7.2.2 das
M1.2.3
H1
eingefügt ist, was somit dem Patentanspruch 6 gemäß
Hilfsantrag I entspricht.
- 34 -
Hilfsantrag VII
Patentanspruch 7 der erteilten Fassung, wobei nach dem Merkmal M7.2.2 das
M1.2.3
H1
M1.2.4
H2
eingefügt sind, was somit dem
Patentanspruch 5 gemäß Hilfsantrag II entspricht.
Hilfsantrag VIII
Patentanspruch 7 der erteilten Fassung, wobei nach dem Merkmal M7.2.2 das
M1.2.3
H3
eingefügt ist, was somit dem Patentanspruch 5 gemäß
Hilfsantrag III entspricht.
Hilfsantrag IX
Patentanspruch 7 der erteilten Fassung, wobei nach dem Merkmal M7.2.2 das
M1.4.1.1
H4
eingefügt ist, was somit dem Patentanspruch 7 gemäß
Hilfsantrag IV entspricht.
1.
Die jeweiligen Patentansprüche 1 der Hilfsanträge I bis III und V bis VIII
beschränken den erteilten Patentanspruch 1 (Hilfsanträge I bis III) bzw.
Patentanspruch 7 (HIlfsanträge V bis VIII) um Merkmale, die den Kennzeichen der
erteilten Unteransprüche 2 bis 5 entnommen sind. Die beanspruchten
Gegenstände fallen somit in den erteilten Schutzbereich und waren auch mit den
ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen offenbart. Sie sind somit zulässig.
Die beanspruchten Gegenstände betreffen jeweils die Übertragung der Nutzdaten
(Merkmal M1.2.1) gemäß Internet Protokoll über ATM. Dem Fachmann war am
Anmeldetag bekannt, Daten von Internetanwendungen mittels eines
entsprechenden Internetprotokolls wie TCP/IP (oder andere) über ATM (mit
zugrundeliegendem ISDN-Netzwerk) zu übertragen. Nach Überzeugung des
Senats handelt es sich hierbei nicht um Spezialwissen, sondern dies gehört zum
Fachwissen des o.g. Fachmanns (siehe Ziff. A.I.2). Die Klägerin zu 1 hat eine
Vielzahl von Druckschriften (T13, T16, T17, T18, T19) eingereicht, mit denen
dieses Fachwissen belegt wird. Da die Streitpatentschrift an keiner Stelle nährere
- 35 -
M1.2.3
H1
), TCP/IP (Merkmal
M1.2.4
H2
M1.2.3
H3
) anstellt, geht auch das Streitpatent
erkennbar davon aus, dass dies als Fachwissen bekannt ist.
T13
Protokoll-Stapel, wie TCP/IP, Zugriff auf das ATM Netzwerk bekommen (vgl. T13,
S. 178: „To allow existing software applications to access ATM network using
traditional LAN protocol stacks such as TCP/IP, IPX, NetBIOS, APPN and
AppleTalk“).
T16
Internetanwendung
Voice-over-Internet-Protocol (VoIP) über ATM-
Kommunikationverbindungen erfolgt (vgl. T16, S. 132: „VoIP, regardless of the
transport technology, offers advanced H 323-based,
Web-applications
interworking to desktop. Methods of VoIP include the following: […] - VoIP over
ATM (ATM ciruits) using ATM circuits to provide connectivity between sites can bei
used zu carry hig traffic volumes“).
T17
dem Titel „Classical IP and ARP over ATM“ lehrt die Anbindung von IP-
Endgeräten und Routern an das ATM-Netzwerk (vgl. T17, S. 1, Abstract: „[...]This
memo considers only the application of ATM as a direct replacement for the
"wires" and local LAN segments connecting IP end-stations ("members") and
routers operating in the "classical" LAN-based paradigm.“).
T18
Zusammenbringen von ATM-Netzwerken mit IP-Netzwerken, um
Internetanwendungen zu unterstützen (vgl. T18, S. 5, 1, Abschnitt), wobei unter
Internetanwendung jede Anwendung zu verstehen ist, die auf TCP/IP oder UDP/IP
läuft (vgl. T18, S. 6, Anschnitt 3.1 „Definitions“; S.13,. Fig. 7 zeigt den Protokoll-
Stapel mittels TCP/IP über ATM für ein Endgerät):
- 36 -
T19
1998 letztlich Grundwissen des Fachmanns, insbesondere dass TCP-basierte
Anwendungen über das ATM-Netzwerk laufen (T19, Abstract) und das klassische
Internetprotokoll („classical IP“) über einen ATM-Host verwendet wird (vgl. T19, S.
1099 mit Figur 1). Die Druckschrift T19 dokumentiert zudem den klassischen
Protokoll-Stapel in der dortigen Figur 1 (vgl. T19, S. 1099):
2.
a.
patentfähig, da er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Der
Hilfsantrag I ist zur Selbstbeschränkung nicht geeignet.
- 37 -
M1.2.3
H1
besagt, dass die Nutzdaten mittels VoIP übertragen
werden. Dies betrifft sowohl das verteidigte Verfahren (Anspruch 1) als auch die
verteidigte Vorrichtung (Anspruch 6).
Soweit dem Fachmann am Prioritätstag der klassische IP-Protokoll-Stapel und
Vorrichtungen (Router), die VoIP verwenden und über ATM-Verbindungen
M1.2.3
H1
), allgemein bekannt waren (T13; vgl.
T16, S. XXV und S. 132; T18, Abschnitt 7; T19, Fig. 1), musste der Fachmann
auch für VoIP-Verbindungen die Bandbreite gemäß dem aus der Druckschrift T5
bekannten Verfahren einstellen. Die Umsetzung der Anforderungen für VoIP über
ATM führt somit zwangsläufig zur Anwendung des Verfahrens aus der Druckschrift
T5 und legt daher das Verfahren gemäß dem Patentanspruch 1 in der Fassung
des Hilfsantrags I nahe.
Gleiches gilt für die Vorrichtung des nebengeordneten Patentanspruchs 6. Aus
fachmännischer Sicht muss der dem Fachmann allgemein bekannte Router (siehe
Ausführungen zum erteilten Vorrichtungsanspruch Ziff. II.2) selbstverständlich für
VoIP eine Steuereinheit aufweisen, die mit der Managementebene des ATM (vgl.
T5, Fig. 5.5) kommuniziert, und einen „call prozessor“ gemäß Druckschrift T5
einsetzen, um die ATM-Verbindungen gemäß dem aus der Druckschrift T5
bekannten Verfahren aufzubauen. Angeregt durch das in der Druckschrift T5 auf
den Seiten 206 bis 207 i.V.m mit Figur 5.5 beschriebene Verfahren zum
Verbindungsaufbau, welches außer dem explizit genannten „call processor“ noch
eine Steuervorrichtung für die Aufgaben der Management-Plane benötigt, war es
naheliegend, den bekannten Router, auf den sich die Druckschrift T16 bezieht,
vorzusehen.
b.
patentfähig, da er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Der
Hilfsantrag II ist zur Selbstbeschränkung nicht geeignet.
- 38 -
M1.2.4
H2
besagt, dass die Übertragung der Nutzdaten mittels
TCP/IP erfolgen soll. Dies betrifft sowohl das verteidigte Verfahren (Anspruch 1)
als auch die verteidigte Vorrichtung (Anspruch 5).
Das paketorientierte Übertragen von Daten mittels TCP/IP (entspricht Merkmal
M1.2.4
H2
), war zum Prioitätstag bereits Fachwissen (siehe Ausführungen unter
Ziff. III.1). Der Fachmann, der IP-Anwendungen über das ATM-Netz zu übertragen
hatte, und entsprechend Bandbreite gemäß dem aus der Druckschrift T5
bekannten Verfahren bereitstellen musste, konnte wahlweise TCP oder UDP (vgl.
T18, Fig. 7 oder T19, Fig. 1 bzgl. des IP-Protokoll-Stapels) verwenden und die
Pakete an die darunterliegende OSI-Schicht zum Transport über das ATM-Netz
weitergeben. Eine bloße Auswahl zwischen TCP oder UDP zu treffen, kann eine
erfinderische Tätigkeit nicht tragen. Gleiches gilt für die Vorrichtung des
nebengeordneten Patentanspruchs 5, da auch ein entsprechender Router, wie
oben ausführlich abgehandelt, bereits bekannt ist (vgl. T16; T17).
c.
patentfähig, da er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Der
Hilfsantrag III ist zur Selbstbeschränkung nicht geeignet.
M1.2.3
H3
besagt, dass eine Kommunikationsverbindung durch eine
TCP-Portnummer charakterisiert ist. Dies betrifft das hiermit verteidigte Verfahren
(Anspruch 1) und die verteidigte Vorrichtung (Anspruch 5).
Dem Fachmann sind TCP-Ports bekannt, wovon auch die Streitpatentschrift
ausgeht, da ein dazu ausführbarer technischer Sachverhalt nicht beschrieben
wird. Der Fachmann weiß, dass Portnummern ein Mittel zur Charakterisierung von
Verbindungen darstellen und zusammen mit der Adresse zur Signalisierung
übertragen werden, was beispielsweise in der Druckschrift T19, Seite 1102, 1.
Absatz, dokumentiert ist. Ausgehend von dem Verfahren der Druckschrift T5 war
es für den Fachmann naheliegend, für die Abarbeitung des IP over ATM Stapels
auch die geläufigen TCP-Ports zu verwenden. Eine erfinderische Tätigkeit kann
- 39 -
der Senat in der Anwendung des Fachwissens zur Signalisierung von TCP-
Verbindungen nicht erkennen.
Gleiches gilt für die Vorrichtung des nebengeordneten Patentanspruchs 5, da
auch ein entsprechender Router bekannt ist (vgl. T16; T17).
d.
Hilfsanträge V, VI und VII ist nicht patentfähig, da er nicht auf erfinderischer
Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Die Hilfsanträge V, VI und VII sind zur
Selbstbeschränkung nicht geeignet.
Da der jeweilige Hauptantspruch in der Fassung der Hilfsanträge V, VI und VII
dem jeweiligen nebengeordneten Vorrichtungsanspruch der Hilfsanträge I, II und
III entspricht, gelten die Ausführungen zu den Hilfsanträgen I, II und III
entsprechend (siehe oben).
3.
a.
ursprünglich beim Europäischen Patentamt eingereichten Anmeldeunterlagen
nicht offenbart und stellt somit eine unzulässige Erweiterung (Art. 138, Abs. 1,
Ziff c, EPÜ) dar. Der Hilfsantrag IV ist zur Selbstbeschränkung nicht geeignet.
In den ursprünglichen Unterlagen wird eine Verbindungsanforderung nur
gespeichert, solange auf den Aufbau eines zusätzlichen neuen Kanals gewartet
M1.4.1.1
H4
),
dass die Bandbreite ausreicht, ist eine Speicherung nicht ursprünglich offenbart
(vgl. Offenlegungsschrift T4, Abs. [0036] bis [0038]). Im Kontext des gesamten
Offenbarungsgehalts der ursprünglichen Anmeldung geht der Fachmann vielmehr
davon aus, dass die Anforderung für die Kommunikationsverbindung geroutet
wird, sobald die Bandbreite ausreicht und daher ein Speichern nicht veranlasst
wird.
- 40 -
b.
patentfähig, da er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Der
Hilfsantrag IVa ist zur Selbstbeschränkung nicht geeignet.
M1.4.1.1
H4a
beanspruchte Verfahren betrifft einen
Verfahrenszweig, bei dem keine weiteren Übertragungskanäle allokiert werden.
Soweit die Anforderung nach freien Übertragungskanälen gemäß Merkmal M1.3.2
obligatorisch für das verteidigte Verfahren ist, wird die Anforderung an sich zwar
gestellt, aber aus Sicht des Fachmann so nicht mehr abgearbeitet.
Die Zuweisung der Nutzkanalverbindung an den bereits bestehenden mindestens
einen Übertragungskanal, wie es für die neu allokierten Übertragungskanäle im
anderen Verfahrenzweig (d.h. bei negativer Prüfung im Merkmal M1.4.1) mit
M1.4.1.1
H4a
betreffenden
Verfahrenszweig (d.h positive Prüfung in Merkmal M1.4.1) nicht beansprucht.
M1.4.1.1
H4a
wird lediglich die Verbindungsanforderung (aus
fachmännischer Sicht: die Anforderung zum Aufbau einer weiteren
Kommunikationsverbindung) geroutet. Ein Zuordnen der Nutzdaten zu einem
bestimmten Übertragungskanal ist damit nicht beansprucht.
M1.4.1.1
H4a
entspricht der
Anforderung eines „virtual circuit“ gemäß der Druckschrift T5. Diese Anforderung
wird auch dort über den bereits bestehenden Kanal geroutet (vgl. T5, S. 205,
Abschnitt 5.3 „Call Setup Procedures“, vorletzter Absatz, Z. 6 – 8: „…and route the
ATM cells produced from that datagram to their destination by means of a
preexisting permanent virtual circuit to that destination“). Das unmittelbare Routen
der Anforderung kann die erfinderische Tätigkeit daher nicht begründen.
Ob ein Zuordnen der Nutzdaten zu einem bestimmten Übertragungskanal
ursprünglich offenbart wäre, wie von der Klägerin zu 1) schriftsätzlich bestritten,
kann bei dieser Sachlage dahingestellt bleiben.
- 41 -
c.
ursprünglich beim Europäischen Patentamt eingereichten Anmeldeunterlagen
nicht offenbart (Art. 138, Abs. 1, Ziff c, EPÜ). Der Hilfsantrag IX ist zur
Selbstbeschränkung nicht geeignet.
In den ursprünglichen Unterlagen wird die Verbindungsanforderung nur
gespeichert, solange auf den Aufbau eines neuen Kanals gewartet wird. Für den
M1.4.1.1
H4
), dass die Bandbreite
ausreicht, ist eine Speicherung nicht ursprünglich offenbart (vgl.
Offenlegungsschrift T4, Abs. [0036] bis [0038]). Im Kontext des gesamten
Offenbarungsgehalts der ursprünglichen Anmeldung geht der Fachmann vielmehr
davon aus, dass die Kommunikationsverbindung unmittelbar aufgebaut wird,
sofern die Bandbreite ausreicht und daher ein Speichern nicht veranlasst wird.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91 Abs. 1
Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99
Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
C.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gemäß § 110 PatG
gegeben.
Die Berufungsfrist beträgt einen Monat. Sie beginnt mit der Zustellung des in
vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf
Monaten nach der Verkündung (§ 110 Abs. 3 PatG).
- 42 -
Die Berufung wird nach § 110 Abs. 2 PatG durch Einreichung der Berufungsschrift
beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe eingelegt.
Voit
Martens
Albertshofer
Dr. Wollny
Bieringer