Urteil des BPatG vom 10.01.2002

BPatG (marke, erhebliche bedeutung, gesamteindruck, benutzung, kennzeichnungskraft, verwechslungsgefahr, arzneimittel, beschwerde, aufmerksamkeit, liste)

BUNDESPATENTGERICHT
25 W (pat) 90/00
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die angegriffene Marke 395 49 019
hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 10. Januar 2002 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Kliems
sowie der Richter Brandt und Engels
beschlossen:
BPatG 154
6.70
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Auf die Beschwerde der Inhaberin der angegriffen Marke wird der
Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom
24. März 2000 aufgehoben und der Widerspruch aus der Marke
530 176 zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Die am 21. Mai 1996 in das Markenregister eingetragene Bezeichnung
Rasotol
soll nach Beschränkung des Warenverzeichnisses durch entsprechenden Teillö-
schungsantrag, zuletzt im Beschwerdeverfahren noch für die Waren "pharmazeu-
tische Erzeugnisse, nämlich Analgetika/Antirheumatika, Präparate zur Behandlung
von Stoffwechselerkrankungen, Magen-Darm-Krankheiten, Atemwegserkran-
kungen, Diabetes, HIV/Aids und Krebserkrankungen; ausgenommen medizinische
Zahn-, Mund-, Zahnfleisch- und Rachenpflegemittel“ geschützt werden.
Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der am 8. März 1941 für "Arzneimittel für
Menschen und Tiere" eingetragenen Marke 530 176
Ranestol,
deren Benutzung bestritten ist, ausgenommen für kardioselektive Betarezeptoren-
blocker. Eine weitergehende Benutzung wird von der Widersprechenden nicht
geltend gemacht.
Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat in ei-
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nem Beschluss noch ausgehend von dem Warenverzeichnis „pharmazeutische
Erzeugnisse, ausgenommen medizinische Zahn-, Mund-, Zahnfleisch- und Ra-
chenpflegemittel“ und der nach der Registerlage möglichen Warenidentität mit den
für die Widerspruchsmarke geschützten Waren "Arzneimittel für Menschen und
Tiere" eine Verwechslungsgefahr bejaht und die Löschung der angegriffenen
Marke angeordnet. Unter Berücksichtigung einer normalen Kennzeichnungskraft
der Widerspruchsmarke seien strenge Anforderungen an den Markenabstand zu-
stellen. Diesen halte die jüngere Marke auch bei der angenommenen erhöhten
Aufmerksamkeit der beteiligten Verkehrskreise aufgrund der klanglichen Ähnlich-
keit der Markenwörter nicht ein, da die sich gegenüberstehenden Markenwörter in
der Silbenanzahl, dem Sprech- und Betonungsrhythmus sowie in der Lautfolge
"Ra" und der betonten Endsilbe "tol" übereinstimmten, während die lautlichen Ab-
weichungen lediglich den unbetonten und wenig auffälligen Unterschied im Wort-
inneren beträfen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke mit
dem Antrag,
den angefochtenen Beschluss des DPMA aufzuheben und den
Widerspruch aus der Marke 530 176 zurückzuweisen.
Schon unter Berücksichtigung des ursprünglichen Warenverzeichnisses könne die
Auffassung der Markenstelle nicht geteilt werden. Zunächst sei darauf hinzuwei-
sen, dass es sich bei der Widerspruchsmarke ausschließlich um eine Exportmarke
handele, der im Inland daher nur geringe Kennzeichnungskraft zukomme. Der
Beschluss stelle im wesentlichen darauf ab, dass die Marken eine Überein-
stimmung in den jeweiligen Lautfolgen "Ra" und "tol" aufwiesen, lasse aber außer
acht, dass die Endsilbe "tol" für Arzneimittelmarken verbraucht sei und auch die
völlig verschiedenen Mittelsilben "nes" und "so" geeignet seien, den phonetischen
Gesamteindruck hinreichend sicher zu differenzieren. Der Gesamteindruck der
Marken werde durch die Wortbestandteile "Ra-nes" und "Ra-so" geprägt, wobei
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den Unterschieden in den klangtragenden Vokalen eine erhebliche Bedeutung zu-
komme.
Die Widersprechende hat sich im Beschwerdeverfahren nicht zur Sache geäußert
und keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss sowie die
Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist zulässig, insbesondere
statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Mar-
kenG) und hat auch in der Sache Erfolg. Nach Auffassung des Senats besteht je-
denfalls unter Berücksichtigung der für die Beschwerdeentscheidung maßgebli-
chen Konstellation der Waren keine Verwechslungsgefahr mehr zwischen den
sich gegenüberstehenden Marken iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG. Die angefochtene
Entscheidung war deshalb aufzuheben und der Widerspruch zurückzuweisen
§§ 42 Abs 2 Nr 1, 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG.
Der Senat geht bei seiner Entscheidung von einer ursprünglichen durchschnittli-
chen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke aus, auch wenn der Wortbe-
standteil "tol" wegen seiner sowohl nach der Registerlage als auch der tatsächli-
chen, dem Arzneimittelverzeichnis „Rote Liste“ zu entnehmenden, vielfachen Ver-
wendung als Endbestandteil von Arzneimittelkennzeichnungen eher kennzeich-
nungsschwach sein dürfte (vgl auch BGH zur Bedeutung der Registerlage Alt-
hammer/Ströbele, MarkenG, 6. Aufl., § 9 Rdn 144; BGH GRUR 1999, 241; 243 -
Lions; BGH GRUR 1967, 246, 250 und 251 - Vitapur). Aus der Kennzeichnungs-
schwäche eines Wortbestandteils kann jedoch nicht ohne weiteres auf die allein
maßgebende Kennzeichnungskraft der Gesamtbezeichnung geschlossen werden,
zumal es bei pharmazeutischen Erzeugnissen sogar der üblichen Praxis ent-
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spricht, Marken in der Weise zu bilden, dass diese als sogenannte sprechende
Zeichen durch eine phantasievolle Zusammenstellung jedenfalls für den Fach-
mann erkennbarer Wirkstoff- und/oder Anwendungsangaben die stoffliche Be-
schaffenheit und /oder das Indikationsgebiet kenntlich machen (vgl BGH
GRUR 1998, 815, 817 - Nitrangin). Auch führt entgegen der Ansicht der Inhaberin
der jüngeren Marke der Umstand, dass es sich bei der Widerspruchsmarke aus-
schließlich um eine Exportmarke handelt, nicht zu einer Schwächung des Schutz-
umfanges, da der Gesetzgeber diesen losgelöst von einer tatsächlichen Betrach-
tung inländischer Verkehrsbekanntheit aus Rechtsgründen der Inlandsbenutzung
gleichstellt hat, wie auch § 26 Abs 4 MarkenG zur gleichstellten Benutzung der
Marke als Exportmarke belegt.
Nachdem die Inhaberin der angegriffenen Marke die nach § 43 Abs 1 MarkenG
mögliche Einrede mangelnder Benutzung der Widerspruchsmarke für alle Waren
mit Ausnahme für "kardioselektive Betablocker" erhoben und die Widerspre-
chende eine weitergehende Benutzung auch nicht behauptet hat, ist für die Beur-
teilung der Warenähnlichkeit im Rahmen der Integrationsfrage auf Seiten der Wi-
derspruchsmarke von diesen Arzneimitteln (Betarezeptorenblockern) ganz allge-
mein und mangels entgegenstehender Festschreibung im Warenverzeichnis ohne
Beschränkung auf eine Rezeptpflicht, bestimmte Darreichungsformen oder ent-
haltene Wirkstoffe auszugehen (st Rspr, vgl BPatG Mitt 1979, 223 - Mastu; vgl all-
gemein zur Integrationsfrage auch BGH GRUR 1990, 39 ff - Taurus - und
GRUR 1999, 164, 165 - JOHN LOBB). Diese werden nach der Auffassung des
Verkehrs als zum Bereich des konkret benutzten Arzneimittels gehörend angese-
hen (vgl auch BGH MarkenR 2001, 371, 376 – ISCO; Arzneimittelverzeichnis
"Rote Liste" zur Hauptgruppe 27).
Diesen Arzneimitteln stehen mit den für die jüngere Marke nunmehr noch bean-
spruchten Waren "pharmazeutische Erzeugnisse, nämlich Analgetika/Antirheu-
matika, Präparate zur Behandlung von Stoffwechselerkrankungen, Magen-Darm-
Krankheiten, Atemwegserkrankungen, Diabetes, HIV/Aids und Krebserkrankun-
gen; ausgenommen medizinische Zahn-, Mund-, Zahnfleisch- und Rachenpflege-
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mittel“ nunmehr nur noch Arzneimittel gegenüber, die hierzu einen sehr beträchtli-
chen Indikationsunterschied aufweisen, was die Gefahr von Verwechslungen
deutlich mindert.
Da in den Warenverzeichnissen eine Rezeptpflicht nicht festgeschrieben ist, sind
auch die allgemeinen Verkehrskreise für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr
zu berücksichtigen. Dies gilt vorliegend aber nur in reduziertem Umfang, da in tat-
sächlicher Hinsicht Arzneimittel der Hauptgruppe 27 (Betarezeptorenblocker) der
"Roten Liste" ausschließlich der Rezeptpflicht unterliegen und deshalb in der Pra-
xis der Fachverkehr deutlich im Vordergrund steht (vgl zur Bedeutung der Rezept-
pflicht auch BPatGE 44, 33, 36-37 – ORBENIN) . Aber auch soweit danach als
maßgebliche Verkehrskreise Laien einzubeziehen sind, muss berücksichtigt wer-
den, dass grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassen-
den, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verstän-
digen Verbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware
oder Dienstleistung unterschiedlich hoch sein kann (vgl BGH MarkenR 2000, 140,
144 ATTACHÉ / TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li Spalte - ALKA-
SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239 unter 24. - Lloyd / Loints) und der ins-
besondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt eine gesteigerte Auf-
merksamkeit beizumessen pflegt (vgl BGH GRUR 1995, 50, 53 – Indorektal / In-
dohexal).
Danach sind an den zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr iSv § 9 Abs 1
Nr 2 MarkenG von der jüngeren Marke einzuhaltenden Markenabstand jedenfalls
keine strengen Anforderungen mehr zu stellen. Diese sind nach Auffassung des
Senats in jeder Hinsicht eingehalten, so dass der Widerspruch zurückzuweisen
war.
Die sich die gegenüberstehenden wie "ra-so-tol" und "ra-nes-tol gesprochenen
Markenwörter unterscheiden sich in klanglicher Hinsicht ihrem jeweiligen Gesamt-
eindruck nach noch hinreichend, da sie trotz nicht unerheblicher Übereinstimmun-
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gen in den Anfangs- und Endsilben deutlich voneinander abweichende Mittelsilben
aufweisen, deren klangliche Unterschiede auch im jeweiligen Gesamteindruck der
Wörter nicht unbemerkt bleiben werden. So weisen die jeweiligen Mittelsilben nicht
nur in ihrer konsonantischen Zusammensetzung, sondern insbesondere auch
hinsichtlich der jeweiligen Vokale "o" zu "e" auffällige Klangunterschiede auf,
welche jedenfalls unter Berücksichtigung der reduzierten Anforderungen an den
Markenabstand noch ein hinreichend sicheres Auseinanderhalten der Wörter in
ihrem jeweiligen Gesamteindruck gewährleisten, auch wenn erfahrungsgemäß die
Auffassung des Verkehrs eher von einem undeutlichen Erinnerungsbild bestimmt
ist (vgl hierzu auch EuGH MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd / Loints).
Ebenso weisen die Marken im Schriftbild in jeder üblichen Schreibweise aufgrund
der abweichenden Wortlänge und Kontur der Buchstaben noch einen hinreichen-
den Abstand auf, zumal das Schriftbild der Marken erfahrungsgemäß sehr viel
besser eine ruhige oder auch wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnung ges-
tattet als das schnell verklingende gesprochene Wort.
Nach alledem erweist sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke
als begründet.
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Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlass,
§ 71 Abs 1 MarkenG.
Kliems Brandt
Engels
Na