Urteil des BPatG vom 08.05.2006

BPatG: verwechslungsgefahr, gesamteindruck, aufmerksamkeit, wortmarke, ware, verkehr, kennzeichnungskraft, begriff, sorgfalt, erfahrung

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
30 W (pat) 167/04
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Marke 302 52 790
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 8. Mai 2006 unter Mitwirkung …
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beschlossen:
Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Eingetragen am 4. März 2003 unter 302 52 790 für die Waren
Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie
chemische Erzeugnisse für die Gesundheitspflege; diätetische Er-
zeugnisse für medizinische Zwecke, für Kinder und Kranke;
Pflaster, Verbandstoffe, Desinfektionsmittel
ist die Wortmarke
Koridin.
Widerspruch wurde erhoben aus der im Jahre 1937 unter 50 12 12 für die Waren
Diätetische, medizinische und pharmazeutische Präparate
eingetragenen Wortmarke
Cordichin.
Die Markenstelle für Klasse 5 hat den Widerspruch wegen fehlender Verwechs-
lungsgefahr zurückgewiesen. Trotz gleicher Silbenzahl, gleicher Vokalfolge und
ähnlichem Sprech- und Betonungsrhythmus werde der Verkehr wegen des Hin-
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weises auf „Herz“ am Wortbeginn – gerade im pharmazeutischen Bereich - den
weiteren abweichenden Wortteil beachten. Der Sinnanklang des Wortendes der
Widerspruchsmarke an „Chinidin“ wirke sich zudem verwechslungsmindernd aus.
Hiergegen hat die Widersprechende Beschwerde eingelegt, eine Begründung ist
nicht eingegangen.
Sie beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom
10.
Juni
2004 aufzuheben und die Löschung der Marke
302 52 790 anzuordnen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke 501 212 besteht
nicht die Gefahr von Verwechslungen im Sinne von § 9 Absatz 1 Nr. 2 MarkenG,
so dass die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen war.
Die Frage der Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstände,
insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähn-
lichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der
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Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbeson-
dere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad
der Ähnlichkeit der Waren ausgeglichen werden kann und umgekehrt (BGH in st.
Rspr., vgl. WRP 2004, 1281 – Mustang; WRP 2004, 907 – Kleiner Feigling; WRP
2004, 1043 – NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).
Nach diesen Grundsätzen ist hier die Gefahr von Verwechslungen zu verneinen.
Bei seiner Entscheidung hat der Senat mangels anderer Anhaltspunkte eine nor-
male Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke in ihrer Gesamtheit zugrunde
gelegt.
Ausgehend von der Registerlage können die Vergleichsmarken wegen der weit-
reichenden Warenoberbegriffe beider Marken zur Kennzeichnung identischer und
sehr ähnlicher Waren verwendet werden. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass bei
den vorliegenden pharmazeutischen und medizinischen Erzeugnissen eine Re-
zeptpflicht in den Warenverzeichnissen nicht festgeschrieben ist, so dass allge-
meine Verkehrskreise uneingeschränkt zu berücksichtigen sind. Dabei ist aber
davon auszugehen, dass grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der
Ware befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksa-
men und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerk-
samkeit je nach Art der Ware unterschiedlich hoch sein kann (vgl. BGH GRUR
2000, 506 ATTACHÉ/TISSERAND) und der insbesondere allem, was mit der Ge-
sundheit zusammenhängt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt
(vgl. BGH GRUR 1995, 50 – Indorektal/Indohexal).
Der unter diesen Umständen gebotene deutliche Markenabstand wird von der an-
gegriffenen Marke eingehalten.
Die Ähnlichkeit von Wortzeichen ist anhand ihres klanglichen und schriftbildlichen
Eindrucks sowie ihres Sinngehalts zu ermitteln. Für die Annahme einer Verwechs-
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lungsgefahr reicht in aller Regel bereits die hinreichende Übereinstimmung in ei-
ner Hinsicht aus. Dabei kommt es auf den jeweiligen Gesamteindruck der sich
gegenüberstehenden Zeichen an. Dies entspricht dem Erfahrungssatz, dass der
Verkehr Marken regelmäßig in der Form aufnimmt, in der sie ihm entgegentreten
und sie nicht einer analysierenden, zergliedernden, möglichen Bestandteilen und
deren Bedeutung nachgehenden Betrachtung unterzieht. Dabei bleibt auch ein
beschreibender Bestandteil bei der Feststellung des Gesamteindrucks nicht außer
Betracht, sondern ist mit zu berücksichtigen. Zudem ist bei der Prüfung der Ver-
wechslungsgefahr grundsätzlich mehr auf die gegebenen Übereinstimmungen der
zu vergleichenden Zeichen als auf die Unterschiede abzustellen (vgl. BGH a. a. O.
NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die sich gegenüberstehenden
Marken in ihrem klanglichen Gesamteindruck ausreichende Unterschiede aufwei-
sen.
So stimmen die Marken zwar bei gleicher Silbenzahl sowie gleichem Sprech- und
Betonungsrhythmus in der Anfangssilbe „K(C)or“ überein. Dabei ist aber zu be-
rücksichtigen, dass die Übereinstimmung in dem Anfangsbestandteil „K(C)or“ bei
der Beurteilung des jeweiligen Gesamteindrucks und der Markenähnlichkeit weni-
ger ins Gewicht fällt, als dies bei einem reinen Phantasiebestandteil der Fall wäre.
Bei dem Wortelement „K(C)or“ handelt es sich um einen beschreibenden und da-
mit kaum individualisierend und kennzeichnend wirkenden Hinweis auf den lateini-
schen Begriff „cor, cordis“ für „Herz“, der in Marken für Produkte aus dem Pharma-
bereich mit Auswirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem häufig verwendet wird
(vgl. Rote Liste 2005).
Auch wenn derartige beschreibende und kennzeichnungsschwache Zeichenele-
mente bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr nach dem Gesamteindruck
angemessen mit zu berücksichtigen sind, so bewirken sie doch eine Verlagerung
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der Aufmerksamkeit auf die übrigen Markenteile „- i-din“ und „- di-chin“, so dass
die hier vorhandenen Unterschiede um so eher wahrgenommen werden.
Die Unterschiede in der zweiten und dritten Silbe der Vergleichsmarken sind trotz
der gemeinsamen Vokale „i“, hinreichend deutlich. So werden der zusätzliche
Konsonant „d“ in der zweiten Silbe vor allem aber der markante Kehllaut „ch“ in
der Widerspruchsmarke statt des weichen Zungenlautes „d“ hinreichend sicher
wahrgenommen und führen zu einem hinreichend unterschiedlichen klanglichen
Gesamteindruck der Marken.
In schriftbildlicher Hinsicht halten die Vergleichsmarken in allen üblichen Wieder-
gabeformen ebenfalls einen noch ausreichenden Abstand ein. Hierbei ist zu be-
rücksichtigen, dass die Marken im Schriftbild erfahrungsgemäß mit etwas größerer
Sorgfalt wahrgenommen werden als im eher flüchtigen Klangbild, das häufig bei
mündlicher Benennung entsteht. Zudem steht beim schriftlichen Markenvergleich
der Fachverkehr, der aufgrund seiner beruflichen Praxis und Erfahrung im Um-
gang mit Arzneimittelmarken über ein erhöhtes Unterscheidungsvermögen verfügt,
im Vordergrund. Unter diesen Voraussetzungen reichen auch bei einer schriftli-
chen Wiedergabe die Abweichungen zwischen den Buchstaben „K(or)-id-(in)“ und
„C(or)-dich-(in)“ aus, um eine Unterscheidbarkeit der Marken zu gewährleisten.
Wie die Markenstelle zutreffend festgestellt hat, trägt zur Unterscheidbarkeit der
Marken schließlich auch - jedenfalls für Fachkreise - der Begriffsgehalt in den
weiteren Bestandteilen der Widerspruchsmarke bei durch die Anlehnung an den
Wirkstoff „Chinidin“, der als Antiarrhythmikum bei Herzrhythmusstörungen ange-
wendet wird.
Anhaltspunkte dafür, dass aus sonstigen Gründen die Gefahr von Verwechslun-
gen bestehen könnte, sind nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich.
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Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bietet der Streitfall keinen An-
lass (§ 71 Abs 1 MarkenG).
gez.
Unterschriften