Urteil des BPatG vom 21.10.2002

BPatG (marke, verwechslungsgefahr, bestandteil, wild, beschwerde, beurteilung, grad, kennzeichnungskraft, bezug, gefahr)

BUNDESPATENTGERICHT
30 W (pat) 192/01
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die angegriffene Marke 398 37 157
BPatG 154
6.70
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hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 21.
Oktober
2002 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr. Buchetmann sowie der Richterin Winter und des Richters Schramm
beschlossen:
Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Wildall
zahlreiche Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 9, 18, 20, 21, 24, 25, 28,
29, 30, 32, 33, 34, 36 und 42 in das Register eingetragen worden. Die Veröffentli-
chung der Eintragung erfolgte am 17. Dezember 1998.
Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der am 25. April 1996 für eine Vielzahl von
Waren der Klassen 5, 29, 30 und 32 eingetragenen Wort-/Bildmarke 395 51 457
siehe Abb. 1 am Ende
Die Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts hat unter
Verneinung von Verwechslungsgefahr den Widerspruch zurückgewiesen. Es be-
stehe schon deshalb keine Verwechslungsgefahr, weil sich die Marken durch den
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zusätzlichen Bestandteil "-all" der angegriffenen Marke in ihrer Gesamtheit deut-
lich unterschieden. Gedankliche Verwechslungsgefahr scheitere insbesondere an
der fehlenden Eigenständigkeit des Bestandteils "Wild-".
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie
hält mit näheren Ausführungen den Bestandteil "Wild-" der angegriffenen Marke
für alleinprägend und insbesondere klangliche Verwechslungsgefahr für gegeben,
weil die Schlußsilbe "-all" verschluckt oder nur undeutlich ausgesprochen werde
und aufgrund regionaler Sprachbesonderheiten in der Pfalz nicht zum Tragen
komme.
Die Widersprechende beantragt sinngemäß,
den Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts vom
20. August 2001 aufzuheben und die Marke 398 37 157 zu lö-
schen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluß der Markenstelle für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluß sowie auf
die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden ist nicht begründet. Die Ähn-
lichkeit der Marken ist nach Auffassung des Senats in keiner Richtung derart aus-
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geprägt, daß unter Berücksichtigung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchs-
marke, der uneingeschränkt angesprochenen allgemeinen Verkehrskreise und der
Warenlage die Gefahr von Verwechslungen im Sinne des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG
zu bejahen wäre.
Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr erfolgt durch Gewichtung von in Wech-
selbeziehung zueinander stehenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der
Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kenn-
zeichnungskraft der Widerspruchsmarke, so daß ein geringer Grad der Ähnlichkeit
der Waren durch einen hohen Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen wer-
den kann und umgekehrt (st. Rspr. zB BGH GRUR 2001, 507, 508 - EVIAN/-
REVIAN; GRUR 2000, 506, 508 - ATTACHÉ/TISSERAND jew mwN).
Bei seiner Entscheidung geht der Senat von einer durchschnittlichen Kennzeich-
nungskraft und damit von einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke
aus, da entgegenstehende Anhaltspunkte nicht ersichtlich sind.
In Bezug auf die Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 9, 18, 20, 21, 24, 25,
28, 34, 36 und 42 kann allenfalls ein sehr geringer Grad von Warenähnlichkeit in
Betracht kommen. In Bezug auf die Waren der Klassen 29, 30, 32 und 33 ist Wa-
renidentität bzw. engere Ähnlichkeit möglich. Auch bei Anlegung eines insoweit
gebotenen strengen Maßstabs ist aber ein zur Vermeidung von Verwechslungen
ausreichender Markenabstand eingehalten.
In ihrer Gesamtheit unterscheiden sich die Vergleichsmarken klar und unverwech-
selbar in allen für die Beurteilung des Gesamteindrucks wesentlichen Kriterien; die
angegriffene Marke besteht aus zwei Sprechsilben im Vergleich zur einsilbigen
Widerspruchsmarke und weist fast die doppelte Anzahl von Buchstaben auf. Auch
wenn die Widerspruchsmarke - formal betrachtet - identisch in der angegriffenen
Marke enthalten ist, führt dies nicht zur Bejahung einer unmittelbaren Verwechs-
lungsgefahr. Solches würde abweichend von dem Grundsatz, daß ein Elementen-
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schutz dem Markenrecht fremd ist (vgl Althammer/Ströbele MarkenG 6. Aufl § 9
Rdn 157 zu mehrgliedrigen Marken), nur dann in Betracht kommen, wenn der Be-
standteil "Wild" die angegriffene Marke allein kollisionsbegründend prägen würde,
was bei Einwortmarken ohnehin nur im Ausnahmefall in Betracht kommt. Eine le-
diglich mitprägende Wirkung auf den Gesamteindruck reicht dabei nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nicht einmal bei mehr-
gliedrigen Marken aus, um die weiteren Bestandteile bei der Beurteilung des Ge-
samteindrucks und der Verwechslungsgefahr in den Hintergrund treten zu lassen
(vgl BGH MarkenR 2000, 21 - RAUSCH/ELFI RAUCH). Eine allein oder selbstän-
dig kollisionsbegründende Wirkung kommt dem Bestandteil "Wild" innerhalb der
angegriffenen Marke nicht zu. Der Erfahrungssatz, daß der Verkehr Marken re-
gelmäßig ohne analysierende Betrachtungsweise aufnimmt (vgl BGH MarkenR
1999, 199, 201 liSp 2. Absatz - MONOFLAM/POLYFLAM) spricht dafür, daß die
Widerspruchsmarke als geschlossene Gesamtbezeichnung erfaßt wird, ohne daß
einem der Zeichenbestandteile eine allein prägende Bedeutung zugemessen wird.
Unabhängig von diesem allgemeinen Erfahrungssatz gibt auch eine genauere Un-
tersuchung der konkreten Bezeichnung "Wildall" keinen Anlaß für eine andere Be-
urteilung. Die Bezeichnung "Wildall" wirkt vielmehr als geschlossene Ge-
samtbezeichnung, innerhalb der keines der beiden Zeichenelemente besonders in
den Vordergrund oder in den Hintergrund tritt, was eine gedankliche Zergliederung
der Widerspruchsmarke ausschließt (vgl auch BGH GRUR 1999, 733, 735 - LION
DRIVER; GRUR 1999, 586, 587- White Lion).
Soweit die Widersprechende darauf verweist, daß "-all" im klanglichen Gesamt-
eindruck als Schlußsilbe "verschluckt" werde bzw wegen sprachlicher Besonder-
heiten in der Pfalz untergehe, führt dies nicht zur Bejahung einer klanglichen Ver-
wechslungsgefahr. Auszugehen ist vom allgemeinen Sprachgebrauch; eine hier-
von abweichende Aussprache legt die Wortbildung jedenfalls nicht nahe; da "-all"
auch keine verbrauchte Wortendung darstellt, kann nicht davon ausgegangen
werden, daß dieser Bestandteil bei der Aussprache unterdrückt oder aber überhört
wird (vgl Althammer/Ströbele aaO § 9 Rdn 99, 102, 105 mwN).
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Es besteht auch keine Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt, daß der
Verkehr den Bestandteil "-all" der angegriffenen Marke gedanklich abspaltet und
deshalb der Bestandteil "Wild" der Widerspruchsmarke isoliert gegenüberzustellen
wäre. Eine solche Abspaltung kommt nur in Ausnahmefällen bei glatt be-
schreibenden und üblichen Zusatzangaben, insbesondere Mengen-, Wirk-, oder
Beschaffenheitshinweisen, wie zB "extra, forte, retard", in Betracht (vgl hierzu
BPatGE 10, 93 ff - EXTRAVERAL/Verla; BPatG Mitt 1993, 310 ff - Innovaaktiv).
Um einen solchen Bestandteil handelt es sich bei "-all" offensichtlich nicht.
Anhaltspunkte dafür, daß aus sonstigen Gründen die Gefahr von Verwechslungen
bestehen könnte, sind nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich.
Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß,
(§ 71 Abs 1 MarkenG).
Dr. Buchetmann
Winter
Schramm
Hu
Abb. 1