Urteil des BPatG vom 09.01.2007

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BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 35/05
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
9. Januar 2007
In der Patentnichtigkeitssache
BPatG 253
08.05
- 2 -
betreffend das Patent DE 195 30 048
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 9. Januar 2007 unter Mitwirkung …
für Recht erkannt:
Das deutsche Patent 195 30 048 wird für nichtig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig voll-
streckbar.
T a t b e s t a n d :
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 16. August 1995 angemeldeten
Patents DE 195 30 048 C2 (Streitpatent). Das Streitpatent betrifft eine „Ballen-
presse“ und umfasst nach der Streitpatentschrift 10 Patentansprüche, von denen
der Patentanspruch 1 wie folgt lautet:
„Ballenpresse (1) für Papier und sonstiges schneidbare Material
mit einem in einen horizontalen Presskanal (3) einmündenden
Presskasten (2), durch den hindurch ein Pressstempel (4) bis in
den Presskanal (3) vorbeweglich und aus diesem zurückbeweglich
ist, und einem von oben in den Presskasten (2) einmündenden
Einfüllschacht (15), wobei der Presskanal (3) auf das Zusammen-
stellen von Ballen aus jeweils mit Hüben des Pressstempels (4)
- 3 -
geformten Teilballen ausgelegt und eingangsseitig oben zwischen
zwei Seitenwänden (9, 10) des Presskanals (3) durch einen hori-
zontalen Schneidbalken (5) für das Abtrennen über den Quer-
schnitt des Presskanals hinausragenden Pressguts begrenzt ist,
wobei der Schneidbalken (5) vorderseitig positiv gepfeilt ausgebil-
det ist mit von einer mittigen, gegen die Pressrichtung weisenden
Spitze (8) beidseitig, über den größten Teil der jeweiligen (hälfti-
gen) Breite durchgehend, unter einem Schneidwinkel zurückflie-
henden Schneidkanten, dadurch gekennzeichnet, dass der
Schneidbalken (5)an seinen seitlichen, an jeweils eine der Sei-
tenwände (9, 10) des Presskanal (3) heranreichenden Enden mit
negativ gepfeilten Wandabweisern (11, 12) versehen ist.“
Wegen des Wortlauts der mittelbar oder unmittelbar auf Patentanspruch 1 zurück-
bezogenen Patentansprüche 2 bis 10 wird auf die Streitpatentschrift Bezug ge-
nommen.
Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil der Ge-
genstand des Patentanspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung
hinausgehe, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Be-
hörde ursprünglich eingereicht worden sei und weil darüber hinaus der Gegen-
stand des Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Zur
Begründung bezieht sie sich insbesondere auf folgende Dokumente:
Anlage NK 4
DE 33 28 588 C2
Anlage NK 6
DE 34 35 126 C2
Anlage NK 16 US 3,906,852
Anlage NK 17 Auszug aus der Betriebsanleitung für eine Kanal-
ballenpresse Typ HPK 30, Baujahr 1992
Anlage NK 17.1 Kopie der Abb. 13 (Blatt 10 aus der Anlage NK 17)
- 4 -
Anlage NK 28 Fotos der Ballenpresse vom Typ HPK 70 der
Firma Kampwerth Umwelttechnik GmbH & Co.
KG, Bad Laer
Anlage NK 28.1
Datenblatt der Firma Kampwerth Umwelttechnik
GmbH & Co. KG, Bad Laer zu deren Kanalballen-
pressen der Typenreihe „HPK“
Anlage NK 29 Kopie des Prospekts „Wirtschaftliche Abfallentsor-
gung Ballenpresse-TEMPO 9“ der Firma HSM.
Hinsichtlich der übrigen zur Begründung ihres Vorbringens gemäß Anlagenver-
zeichnis Teil 1 und Teil 2 (Bl. 40, 41 und 142a, 142b der Akte) vorgelegten Doku-
mente wird auf den Inhalt der Verfahrensakten Bezug genommen.
Der Klägerin beantragt,
das deutsche Patent 195 30 048 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent für pa-
tentfähig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Klage erweist sich als begründet.
- 5 -
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit führt zur
Nichtigkeit des Streitpatents (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG).
I.
1.
Kanalballenpressen, wie sie beispielsweise aus der DE 34 35 126 C2 bekannt
sind, der Übergangsbereich zwischen Einfüllschacht, Presskasten und Presskanal
als eine hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und der Störungsanfälligkeit einer Bal-
lenpresse kritische Stelle bekannt. Besondere mit der oberen Vorderkante des
Pressstempels scherend zusammenwirkende Schneidbalkensysteme seien ent-
wickelt worden, die einerseits für einen schweren Dauerbetrieb hinreichend robust
seien, andererseits aber dem Bedürfnis Rechnung tragen würden, die Scherkräfte
allgemein und vor allem die Belastungsspitzen niedrig zu halten (Streitpatentschrift
Sp. 1, Z. 3 - 14).
In dieser Hinsicht hätten sich Schneidbalken als vorteilhaft herausgestellt, die (in
der Draufsicht) eine zentrale Spitze und von dieser mit einer positiven Pfeilung
nach hinten fliehende Schneidkanten aufweisen würden. Die zentrale Spitze sei
besonders gut geeignet, das mit der Annäherung des Pressstempels sich immer
stärker verdichtende Material fest zu halten und an einem seitlichen Abdrängen zu
hindern. Die seitliche Abfließbewegung des Materials habe auch Vorteile hinsicht-
lich einer außenseitig festen und dichten Ballenstruktur (Streitpatentschrift Sp. 1,
Z. 15 - 25).
Andere Schneidbalkengestaltungen, etwa solche mit einer negativen Pfeilung,
hätten sich als weniger vorteilhaft herausgestellt, weil die Seitenflächen der Ballen
unzulänglich verdichtet würden und weil das zur Mitte hin zusammenfließende
Material am Ende des Schneid- bzw. Abschervorgangs, bei dem auch der voran
bewegte Pressstempel zu einer höheren Teilballenverdichtung beitragen würde,
- 6 -
eine sehr hohe abschließende Belastungsspitze im Abschervorgang mit sich
bringe (Streitpatentschrift Sp. 1, Z. 26 - 34).
2
liegende Aufgabe darin, ohne hohen baulichen Aufwand oder Einbußen an Ro-
bustheit die Leistungsfähigkeit einer solchen Presse zu erhöhen, bzw. den Kraft-
und Leistungsbedarf zu senken (Streitpatentschrift Sp. 1, Z. 45 - 48).
3
Ballenpresse (1) für Papier und sonstiges schneidbare Material
mit einem in einen horizontalen Presskanal (3) einmündenden
Presskasten (2),
durch den hindurch ein Pressstempel (4) bis in den Presskanal (3)
vorbeweglich und aus diesem zurückbeweglich ist, und
einem von oben in den Presskasten (2) einmündenden Einfüll-
schacht (15),
wobei der Presskanal (3) auf das Zusammenstellen von Ballen
aus jeweils mit Hüben des Pressstempels (4) geformten Teilballen
ausgelegt und
eingangsseitig oben zwischen zwei Seitenwänden (9, 10) des
Presskanals (3) durch einen horizontalen Schneidbalken (5) für
das Abtrennen über den Querschnitt des Presskanals hinausra-
genden Pressguts begrenzt ist,
wobei der Schneidbalken (5) vorderseitig positiv gepfeilt ausgebil-
det ist
mit von einer mittigen, gegen die Pressrichtung weisenden
Spitze (8) beidseitig, über den größten Teil der jeweiligen (hälfti-
gen) Breite durchgehend,
unter einem Schneidwinkel zurückfliehenden Schneidkanten,
dadurch gekennzeichnet
- 7 -
der Schneidbalken (5)an seinen seitlichen, an jeweils eine der
Seitenwände (9, 10) des Presskanals (3) heranreichenden Enden
mit negativ gepfeilten Wandabweisern (11, 12) versehen ist.
II.
1) Die erteilten Patentansprüche
1 bis 10 sind zulässig. Eine unzulässige
Erweiterung gegenüber der Ursprungsoffenbarung (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21
Abs. 1 Nr. 4 PatG) liegt nach Ansicht des Senats nicht vor.
Der erteilte Patentanspruch 1 ergibt sich aus dem ursprünglichen Anspruch 1 und
hinsichtlich des eingefügten Merkmals
„über den größten Teil der jeweiligen (hälftigen) Breite durchge-
hend“
aus Fig. 2 i. V. m. S. 1, Abs. 2, Satz 1 und S. 3, Abs. 2 der Anmeldungsunterlagen.
Schon allein aus der Tatsache, dass der Schneidbalken erfindungsgemäß in
seinem äußeren Bereich mit Wandabweisern versehen sein soll, welche die
außen liegenden Teile des Messers abdecken, ergibt sich bei einer die gesamte
Lehre der Offenbarung würdigenden Betrachtung, dass die -
wirksamen
-
Schneidkanten nur „über den größten Teil der jeweiligen (hälftigen) Breite“
verlaufen können. Weiterhin ergibt sich aus Fig. 2, dass die Schneidkanten
„durchgehend positiv gepfeilt“ ausgebildet sind, und nicht - wie im Stand der
Technik nach der DE 33 28 588 C2 (vgl. Fig. 2) - mehrere Spitzen aufweisen.
Die erteilten Ansprüche 2 bis 10 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 2
bis 10.
2) Unabhängig von der Frage der unzulässigen Erweiterung, die letztlich
dahinstehen kann, beruht die mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte Ballen-
- 8 -
presse des Streitpatents gegenüber der DE 34 35 126 C2 i. V. m. dem Prospekt
„Wirtschaftliche Abfallentsorgung Ballenpresse-TEMPO
9“ der Firma
HSM
(Anlage NK29) jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
a.) Die DE 34 35 126 C2 zeigt eine Ballenpresse mit den im Oberbegriff des
erteilten Patentanspruchs 1 angegebenen Merkmalen.
Aus dem Prospekt „Wirtschaftliche Abfallentsorgung Ballenpresse-TEMPO 9“ der
Firma
HSM ist eine weitere Ballenpresse bekannt, die folgende Merkmale
aufweist:
Ballenpresse für Papier und sonstiges schneidbare Material
mit einem in einen horizontalen Presskanal einmündenden Press-
kasten,
durch den hindurch ein Pressstempel bis in den Presskanal vor-
beweglich und aus diesem zurückbeweglich ist, und
einem von oben in den Presskasten einmündenden Einfüllschacht,
wobei der Presskanal auf das Zusammenstellen von Ballen aus
jeweils mit Hüben des Pressstempels geformten Teilballen aus-
gelegt und
eingangsseitig oben zwischen zwei Seitenwänden des Presska-
nals durch einen horizontalen Schneidbalken für das Abtrennen
über den Querschnitt des Presskanals hinausragenden Pressguts
begrenzt ist.
Weiterhin ist diesem Prospekt ein Schneidbalken zu entnehmen (vgl. auf der
Rückseite die Abb. rechts oben), der
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vorderseitig positiv gepfeilt ausgebildet ist
mit von einer mittigen, gegen die Pressrichtung weisenden Spitze
beidseitig, über den größten Teil der jeweiligen (hälftigen) Breite
durchgehend,
unter einem Schneidwinkel zurückfliehenden Schneidkanten; und
der
an seinen seitlichen, an jeweils eine der Seitenwände des Press-
kanals heranreichenden Enden mit negativ gepfeilten Wandab-
weisern versehen ist.
Bei diesem Schneidbalken handelt es sich allerdings nicht - wie beim Streitpatent -
um den feststehenden Schneidbalken, sondern um den am beweglichen
Pressstempel angeordneten Schneidbalken, so dass der einzige Unterschied
zwischen der Ballenpresse nach dem Streitpatent und der Ballenpresse nach dem
Prospekt „Wirtschaftliche Abfallentsorgung Ballenpresse-TEMPO
9“ der
Firma HSM darin besteht, dass dort die streitgegenständliche Ausgestaltung am
beweglichen Schneidbalken realisiert ist, während sie patentgemäß am
feststehenden Schneidbalken verwirklicht ist.
Es kann aber keine Erfindung darin gesehen werden, wenn die für einen be-
weglichen Schneidbalken bekannte Ausgestaltung an einem feststehenden
Schneidbalken vorgesehen wird, da eine solche Maßnahme im Belieben des
Fachmannes - hier ein mit der Konstruktion von Ballenpressen befasster Ma-
schinenbau-Ingenieur mit langjähriger Erfahrung - liegt.
Ein Schneidergebnis resultiert aus der Relativbewegung zwischen beweglicher
und feststehender Schneidekante. Von daher ist es gleichgültig, wo die
patentgemäß beanspruchte Ausgestaltung vorgesehen ist. In beiden Fällen wird
der an den seitlichen, an jeweils eine der Seitenwände des Presskanals
- 10 -
heranreichenden Enden vorgesehene negativ gepfeilte Schneidbalkenbereich ein
Abweisen des Schneidgutes von den Seitenwänden des Presskanals bewirken
und verhindert damit ein Einklemmen des Schneidguts im Spalt zwischen
Schneidkante und Presskanalwand.
Die Beklagte hat zwar in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, es bestehe ein
Unterschied darin, ob die erfindungsgemäße Ausgestaltung am feststehenden
oder am beweglichen Schneidbalken vorgesehen sei. Dieser Vortrag konnte den
Senat jedoch nicht überzeugen, denn wie sich leicht z. B. an einer herkömmlichen
Schere nachvollziehen lässt, kommt man stets zu dem gleichen Schneidergebnis,
unabhängig davon, ob man beim Schneidvorgang die untere Scherenhälfte
festhält und die obere auf die untere, feststehende Scherenhälfte zu bewegt oder
die obere Scherenhälfte festhält und die untere Scherenhälfte auf die obere,
feststehende Scherenhälfte zu bewegt. Selbst wenn man beide Scherenhälften
aufeinander zu bewegt, ändert sich nichts am Schneidergebnis.
Dies zeigt aber, dass es in technischer Hinsicht unerheblich ist, ob eine spezielle
Schneidbalkenausgestaltung am feststehenden oder am beweglichen
Schneidbalken ausgeführt ist. Von daher lag es für den Fachmann nahe, eine am
beweglichen Schneidbalken bekannte und als vorteilhaft angesehene
Ausgestaltung zum gleichen Sinn und Zweck auf den feststehenden Schneid-
balken zu übertragen.
Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ergibt sich somit aus einer
einfachen und nicht erfinderischen Zusammenschau der DE 34 35 126 C2 mit
dem Prospekt „Wirtschaftliche Abfallentsorgung Ballenpresse-TEMPO
9“ der
Firma HSM (Anlage NK29).
b.) Hinsichtlich der angegriffenen Unteransprüche 2 bis 10 hat die Beklagte eine
erfinderische Qualität nicht einmal andeutungsweise behauptet und hierfür auch
keinen selbständigen Schutz beantragt. Sie teilen daher das Schicksal des
Patentanspruchs 1.
- 11 -
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m.
§ 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
gez.
Unterschriften