Urteil des BPatG vom 30.11.2004
BPatG: patent, planwidrige unvollständigkeit, rechtsmittelfrist, auflage, umdeutung, zustellung, österreich, versicherungswesen, finanzwesen, abschaffung
BPatG 152
10.99
BUNDESPATENTGERICHT
29 W (pat) 15/05
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 304 17 927
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 27.
Juni
2005 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin
Grabrucker, des Richters Baumgärtner und der Richterin Dr. Mittenberger-Huber
beschlossen:
Das Verfahren wird an das Deutsche Patent- und Markenamt zu-
rückverwiesen.
- 2 -
G r ü n d e
I.
Die Wortmarke
österreich.de
soll für die Waren und Dienstleistungen
Klasse
36: Versicherungswesen; Finanzwesen; Geldgeschäfte;
Immobilienwesen;
Klasse 38: Telekommunikation;
Klasse
39: Transportwesen; Verpackung und Lagerung von
Waren; Veranstaltung von Reisen;
Klasse 41: Erziehung; Ausbildung; Unterhaltung; sportliche und
kulturelle Aktivitäten
in das Markenregister eingetragen werden.
Die Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die
Anmeldung mit Beschluß vom 24. November 2004 zurückgewiesen. Dieser Be-
schluss wurde einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen und am 30.
Novem-
ber 2004 zur Post gegeben. Die Zustellung bei den Verfahrensbevollmächtigten
der Anmelderin ist ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 6.
Dezem-
ber 2004 (Bl. 19 VA) erfolgt.
Am 5. Januar 2005 hat die Anmelderin über ihre Bevollmächtigten per Fax einen
als „Beschwerde“ bezeichneten Rechtsbehelf eingelegt, der am selben Tag beim
- 3 -
Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen ist. Darauf hin hat das Deutsche
Patent- und Markenamt mittels eines Formblatts das Verfahren am
17. Januar 2005 zur Entscheidung über die „Beschwerde gem. § 165 Abs. 4
MarkenG“ an das Bundespatentgericht abgegeben.
Das Verfahren wurde in der Zentralen Eingangstelle registriert und an den
29. (Marken-)Beschwerdesenat weitergeleitet. Die „Beschwerde“ wurde bisher
nicht begründet.
Die Anmelderin beantragt (Bl. 6 d. A.),
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Pa-
tent- und Markenamts vom 24. November 2004 aufzuheben.
II.
Das Bundespatentgericht ist für die Entscheidung über den eingelegten Rechts-
behelf nicht zuständig.
Das Verfahren ist deshalb zur Entscheidung an das Deutsche Patent- und Mar-
kenamt zurückzuverweisen. Der am 5.
Januar
2005 fristgerecht eingelegte
Rechtsbehelf durch den Verfahrensbevollmächtigten der Anmelderin ist in eine
- allein statthafte - Erinnerung gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 1 MarkenG umzudeu-
ten.
Die angefochtene Entscheidung wurde am 24. November 2004 von einer Beamtin
des gehobenen Dienstes erlassen.
Gem. § 66 Abs. 1 MarkenG findet gegen Beschlüsse der Markenstellen und der
Markenabteilungen - soweit gegen sie nicht die Erinnerung gem. § 64 Abs. 1
MarkenG gegeben ist - die Beschwerde zum Bundespatentgericht statt. § 64
Abs. 1 MarkenG regelt, dass die Erinnerung dann der statthafte Rechtsbehelf ist,
wenn der Beschluss, bei dem es sich um einen mitwirkungsbedürftigen Verwal-
- 4 -
tungsakt handelt, von einem Beamten des gehobenen Dienstes oder einem ver-
gleichbaren Angestellten erlassen worden ist.
Der Gesetzgeber hat durch Art. 9 Nr. 37 des Gesetzes zur Bereinigung der Kos-
tenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums vom 13. Dezember 2001
(BlPMZ 2002, 14, 28) dem § 165 MarkenG folgende Absätze 4 bis 7 angefügt:
(4) Abweichend von § 64 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 kann im Zeitraum vom
1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2004 an Stelle der Erinnerung auch die
Beschwerde eingelegt werden.
(5) Abweichend von § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 und Abs. 3 gilt für den Zeitraum
vom 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2004 Folgendes:
1. Die Beschwerde gegen die Beschlüsse der Markenstellen und der
Markenabteilungen steht den am Verfahren vor dem Patentamt Beteiligten zu.
2. Ist gegen einen Beschluss der Markenstellen oder der Markenabteilungen,
gegen den auch die Erinnerung gegeben ist, von einem Beteiligten Erinnerung
und von einem anderen Beteiligten Beschwerde eingelegt worden, so kann der
Erinnerungsführer ebenfalls Beschwerde einlegen. Wird die Beschwerde des Er-
innerungsführers nicht innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der
Beschwerde des anderen Beteiligten gemäß § 66 Abs. 4 Satz 2 eingelegt, so gilt
seine Erinnerung als zurückgenommen. Für die Beschwerde des Erinnerungsfüh-
rers ist keine zusätzliche Beschwerdegebühr zu entrichten.
(6) Für Erinnerungen und Beschwerden, die vor dem 1. Januar 2002 eingelegt
worden sind, gelten die §§ 64 und 66 in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden
Fassung. Für mehrseitige Verfahren, die bis zum 31. Dezember 2004 anhängig
werden, bestimmt sich die Anwendbarkeit der Absätze 4 und 5 nach dem Tag der
Einlegung der Beschwerde.
- 5 -
(7) Für die in § 96 genannten Verfahren, die vor dem 1. Januar 2002 anhängig
geworden sind, gilt § 96 in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung.
Diese „Entlastungsregelung“ ist ausdrücklich auf drei Jahre befristet und sollte den
Beteiligten die Möglichkeit eröffnen, anstelle der Erinnerung sogleich gegen den
- von einem Beamten des gehobenen Dienstes oder einem vergleichbaren Ange-
stellten - erlassenen Beschluss Beschwerde zum Bundespatentgericht, und damit
den direkten Weg zur gerichtlichen Überprüfung, einzulegen. In der Beschluß-
empfehlung und dem Bericht zum Gesetzentwurf der Bundesregierung führt der
Rechtsausschuß aus, dass dadurch eine deutliche Entlastung des Deutschen
Patent- und Markenamts erwartet werde (BlPMZ 2002, 65, 66). Die faktische Ab-
schaffung des Erinnerungsverfahrens wurde ausdrücklich hingenommen. Ab
1. Januar 2005 sollten die Bestimmungen der geltenden §§ 64 und 66 MarkenG
wieder Anwendung finden. § 165 Abs. 6 MarkenG regelt insoweit ausdrücklich,
dass für Erinnerungen und Beschwerden, die vor dem 1. Januar 2002 eingelegt
worden sind, die §§ 64 und 66 MarkenG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden
Fassung anzuwenden seien.
Der Verfahrensbevollmächtigte hat den am 5.
Januar 2005 eingelegten
Rechtsbehelf als „Beschwerde“ bezeichnet, obwohl mit Ablauf des
31. Dezember 2004 die Frist für die alternative Möglichkeit der Wahl zwischen
Erinnerung und Beschwerde ausgelaufen ist.
Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes in § 165 Abs. 6 S. 1 MarkenG
bleibt es bei Erinnerungen und Beschwerden, die v o r dem 1. Januar 2002
eingelegt wurden, bei der Anwendung des früheren Rechts. Es wird also nicht auf
den Zeitpunkt der Beschlussfassung und der Zustellung, die die Rechtsmittelfrist
in Gang setzt, abgestellt, sondern ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Einlegung
des Rechtsbehelfs. Dies gilt damit auch für das Ende der Entlastungsregelung
(Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7.
Auflage, §
165 Rn.
19, Ingerl/Rohnke,
Markengesetz, 2.
Auflage, §
66 Rn.
12 u. 16). Dies folgt bereits aus der
ausgesprochenen zeitlichen Begrenzung auf den 31. Dezember 2004 im Gesetz.
- 6 -
Anhaltspunkte dafür, dass im Gegensatz zum Beginn der Regelung andere
Konditionen für das Ende der Regelung gelten sollten, liegen nicht vor. Hätte der
Gesetzgeber für den Ablauf der Dreijahresfrist an den Ablauf der Rechtsmittelfrist
anknüpfen und nicht auf den Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels, abstellen
wollen, hätte er dies ausdrücklich regeln müssen. Eine - ausfüllungsbedürftige –
Regelungslücke liegt insoweit allerdings nicht vor. Eine Lücke im Gesetz liegt nicht
schon immer dann vor, wenn eine Regelung fehlt, sondern nur dann, wenn eine
planwidrige Unvollständigkeit gegeben ist, die ihrerseits nach dem dem Gesetz
zugrundeliegenden Regelungsplan im Wege historischer und teleologischer
Auslegung zu ermitteln ist. Aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 165 Abs. 6
S. 1 MarkenG und der Feststellung der Erheblichkeit des Einlegungszeitpunkts
des Rechtsbehelfs durch den Gesetzgeber muss davon ausgegangen werden,
dass von der grundsätzlichen Konzeption und Festlegung auf den Zeitpunkt der
Erhebung des Rechtsmittels nicht ohne sachlichen Grund abgewichen werden
sollte.
Eine extensive Anwendung der „Entlastungsregelung“ auch über den
31. Dezember 2004 hinaus für Beschlüsse, die im Dezember 2004 zugestellt
wurden, und deren Rechtsmittelfrist erst im Januar
2005 abläuft, ist nicht
erforderlich. Den Betroffenen bleibt durch die weitere Tatsacheninstanz am
Deutschen Patent- und Markenamt der Rechtsweg erhalten. Ihre
Rechtschutzgarantie wird nicht eingeschränkt. Nach der Entscheidung durch das
Amt besteht die Möglichkeit, im Falle einer verbliebenen Beschwer, die
Beschwerde zum Gericht einzulegen.
Aus den vorgenannten Ausführungen ergibt sich, dass die Anmelderin damit nur
Erinnerung, nicht aber Beschwerde einlegen konnte. Eine Nachholung der Einle-
gung des „richtigen“ Rechtsbehelfs ist aufgrund der Fristgebundenheit der Erinne-
rung nicht mehr möglich. Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Effektivität
des Rechtsschutzes als Auslegungshilfe ist im Zweifel zugunsten des Rechtsmit-
telführers anzunehmen, dass er den in der Sache in Betracht kommenden
Rechtsbehelf einlegen wollte. Die Umdeutung von Rechtsmittelerklärungen ist da-
- 7 -
bei ausnahmsweise zulässig, da auch im Verfahrensrecht der Gedanke des § 140
BGB herangezogen werden kann (BGH NJW 1987, 3263; Zöller/Gummer/Heßler,
ZPO, 24. Auflage, vor § 511 Rn. 37). Der BGH hat die Zulässigkeit der Umdeutung
prozessrechtlicher Erklärungen in einem -
wegen der auch dort erfolgten
Gesetzesänderung
- vergleichbaren Fall für gerechtfertigt gehalten, da der
Rechtsanwalt eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, dass er die ergangene Ent-
scheidung überprüfen und das dafür zulässige Rechtsmittel habe einlegen wollen.
Dem liege, so der BGH (NJW 1962, 1820), „letztlich der Gedanke zugrunde, daß
das Prozeßrecht und seine Handhabung nicht Selbstzweck ist, sondern der Ver-
wirklichung des sachlichen Rechts dienen sollen. Einer derartigen Grundhaltung
entspricht es, Prozeßerklärungen der Parteien nicht nur als bei gegebenen Um-
ständen auslegungsfähig und auslegungsbedürftig zu betrachten, sondern sie,
wenn auch mit einer namentlich auch auf die Belange der Gegenseite achtenden
Zurückhaltung einer Umdeutung für zugänglich zu erachten.“
Die Anmelderin hat folglich fristgerecht den statthaften Rechtsbehelf der Erinne-
rung eingelegt, über den das Deutsche Patent- und Markenamt zu entscheiden
hat.
Grabrucker Baumgärtner
Dr. Mittenberger-Huber
Cl