Urteil des BPatG vom 24.10.2007
BPatG (papier, marke, klasse, zeichen, kennzeichnungskraft, wirkung, www, anschlussbeschwerde, patent, verarbeitung)
BUNDESPATENTGERICHT
29 W (pat) 241/03
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
…
BPatG 152
08.05
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betreffend die Marke 300 40 835.8
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 24.
Oktober
2007 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin
Grabrucker, sowie der Richterinnen Fink und Dr. Mittenberger-Huber
beschlossen:
1. Der Beschluss der Markenstelle des Deutschen Patent- und Mar-
kenamts für Klasse 16 vom 30. Juli 2003 wird aufgehoben, soweit
der Widerspruch aus der Marke 399 46 232.5 zurückgewiesen
worden ist, und das Deutsche Patent- und Markenamt angewie-
sen, die Löschung der angegriffenen Marke hinsichtlich der Waren
„Verpackungsbeutel, Hüllen und Verpackungstaschen aus Pappe,
Papier, Cellulosefaservlies, auch als Verbundwerkstoff und mit Be-
schichtung oder Inkorporierung von Adsorbentien und Geruchs-
unterbindern; Verpackungshilfsmittel, nämlich Matten, Bahnen und
Saugeinlagen aus Pappe, Papier, Cellulosefaservlies, auch als
Verbundwerkstoff und mit Beschichtung oder Inkorporierung von
Adsorbentien und Geruchsunterbindern“
anzuordnen.
2. Die Anschlussbeschwerde der Markeninhaberin wird zurückgewie-
sen.
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G r ü n d e
I.
Gegen die Eintragung der Wortmarke 300 40 835.8
Hisorb
für die Waren der
Klasse 16:
Verpackungsbeutel, Hüllen und Verpackungstaschen aus Pappe, Pa-
pier, Cellulosefaservlies und Kunststofffolie, auch als Verbundwerk-
stoff und mit Beschichtung oder Inkorporierung von Adsorbentien
und Geruchsunterbindern; Verpackungshilfsmittel, nämlich Matten,
Bahnen und Saugeinlagen aus Pappe, Papier, Cellulosefaservlies
und Kunststofffolie, auch als Verbundwerkstoff und mit Beschichtung
oder Inkorporierung von Adsorbentien und Geruchsunterbindern;
wurde Widerspruch erhoben aus der Wortmarke 399 46 232.5
HySorb
eingetragen für die Waren und Dienstleistungen der
Klasse 1:
Kunststoffe im Rohzustand (in Form von Pulvern, Dispersionen, Gra-
nulaten, Pasten oder Flüssigkeiten), insbesondere polymere Verbin-
dungen mit absorbierender Wirkung.
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Für die Waren
„Verpackungsbeutel, Hüllen und Verpackungstaschen aus Kunst-
stofffolie, auch als Verbundwerkstoff und mit Beschichtung oder
Inkorporierung von Adsorbentien und Geruchsunterbindern; Ver-
packungshilfsmittel, nämlich Matten, Bahnen und Saugeinlagen
aus Kunststofffolie, auch als Verbundwerkstoff und mit Beschich-
tung oder Inkorporierung von Adsorbentien und Geruchsunterbin-
dern“
bestehe hingegen die Gefahr von Verwechslungen. Sie hat insoweit die Löschung
der jüngeren Marke angeordnet. Die zu vergleichenden Waren überschnitten sich
im Verwendungszweck und der stofflichen Beschaffenheit, auch wenn es sich ei-
nerseits um Fertigprodukte und andererseits um Rohfabrikate handele. Bei durch-
schnittlicher Kennzeichnungskraft sei der Abstand zwischen den Vergleichszei-
chen zu gering, da „i“ und „y“ verwandte Laute seien und klanglich nicht ausrei-
chend unterschieden werden könnten.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden vom
29. August 2003. Sie ist der Auffassung, dass nicht nur im Umfang des Beschlus-
ses im Hinblick auf die dort genannten Waren aus Kunststofffolie, sondern insge-
samt hinsichtlich aller Waren, nämlich auch aus Pappe, Papier, Cellulosefaser-
vlies, Verwechslungsgefahr bestehe.
Die Widersprechende beantragt (sinngemäß),
1. den Beschluss der Markenstelle für Klasse 16 des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 30. Juli 2003 im Umfang der Zu-
rückweisung aufzuheben und die vollumfängliche Löschung der
angegriffenen Marke anzuordnen und
2. die Anschlussbeschwerde zurückzuweisen.
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Mit Schriftsatz vom 26. Juli 2007 hat die Markeninhaberin Anschlussbeschwerde
erhoben und zugleich die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für
andere Waren als „Kunststoffe im Rohzustand (in Form von Pulvern, Disper-
sionen, Granulaten, Pasten oder Flüssigkeiten), nämlich polymere Verbindungen
mit absorbierender Wirkung“ bestritten.
Sie trägt vor, bei den Waren „Kunststoffe im Rohzustand“ handle es sich um ein
außerordentlich weites Spektrum von Produkten, die z. B. als Ausgangsstoffe für
die Kunststoffproduktion oder Baustoffproduktion oder als Filterhilfsmittel einge-
setzt würden. Erfolge eine Beschränkung durch die tatsächliche Benutzung ledig-
lich für „polymere Verbindungen mit absorbierender Wirkung“ bestehe keine Ähn-
lichkeit mehr zu den Waren der angegriffenen Marke. Dem Beschluss der Marken-
stelle sei damit teilweise die Grundlage entzogen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt daher,
1. die Beschwerde zurückzuweisen und
2. im Wege der Anschlussbeschwerde, den Beschluss der Mar-
kenstelle für Klasse 16 des Deutschen Patent- und Marken-
amts vom 30. Juli 2003 im Umfang der Teillöschung aufzuhe-
ben.
II.
Die gem. § 165 Abs. 4 MarkenG a. F. i. V. m. § 66 Abs. 1 und 2 MarkenG zulässi-
ge Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Anschlussbeschwerde hat dagegen
keinen Erfolg. Es besteht nach Auffassung des Senats zwar nur eine durchschnitt-
liche Warenähnlichkeit. Aufgrund der überaus engen Ähnlichkeit der sich gegen-
überstehenden Marken in klanglicher Hinsicht bei durchschnittlicher Kennzeich-
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nungskraft besteht jedoch für den Verkehr die Gefahr von Verwechslungen gem.
§§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG.
Die Frage der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1
Nr. 2 MarkenG ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfas-
send zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen den einzelnen
Beurteilungsfaktoren der Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit, der Markenähn-
lichkeit und der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke in der Weise auszu-
gehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen
durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann
und umgekehrt (st. Rsp.; vgl. BGH GRUR 2007, 321 ff. - Rn. 18 - COHIBA; BGH
GRUR 2006, 859 - Rn. 16 - Malteserkreuz; GRUR 2005, 326 - il Padrone/il
Portone; GRUR 2004, 598, 599 - Kleiner Feigling; GRUR 2004, 779, 781
- Zwilling/Zweibrüder). Nach diesen Grundsätzen besteht im vorliegenden Fall für
das Publikum die Gefahr von Verwechslungen.
Waren und Dienstleistungen sind dann als ähnlich anzusehen, wenn unter Berück-
sichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen,
so enge Berührungspunkte bestehen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Mei-
nung sein könnten, die Waren bzw. Dienstleistungen stammten aus denselben
oder ggf. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, sofern sie mit identischen Mar-
ken gekennzeichnet sind (st. Rsp.; vgl. EuGH GRUR 2006, 582 ff. - Rn. 85
- VITAFRUIT; GRUR 1998, 922 - Rn. 23 - Canon; BGH GRUR 2006, 941 ff.
- Rn. 13 - TOSCA BLU; 2004, 241, 243 - GeDIOS; GRUR 1999, 731, 732 –
Canon II; GRUR 1999, 586, 587 – White Lion). Demgemäß sind beim Vergleich
der sich gegenüberstehenden und als mit der Marke benutzt anzusehenden Wa-
ren für die Widersprechende die Waren „Kunststoffe im Rohzustand (in Form von
Pulvern, Dispersionen, Granulaten, Pasten oder Flüssigkeiten), nämlich polymere
Verbindungen mit absorbierender Wirkung“ einzustellen. Die Markeninhaberin
hatte den Einwand der Nichtbenutzung insoweit beschränkt erhoben und eine Be-
nutzung für die vorgenannten Waren zugestanden. Diesen Rohstoffen stehen die
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für die Markeninhaberin eingetragenen Halbfabrikate und Fertigprodukte in Klas-
se 16 gegenüber. Das Produkt der Widersprechenden ist ausschließlich Rohstoff
und wird zur weiteren Fertigung verwendet, nicht jedoch an den Endabnehmer ge-
liefert. Zu weiterverarbeitenden Betrieben, die „polymere Verbindungen mit absor-
bierender Wirkung“ benötigen, gehören solche, die diese zur Fertigung eines
Halbfabrikats verwenden und solche, die es schließlich zu einem Endprodukt ver-
arbeiten. Anhand der Recherche des Senats war festzustellen, dass sowohl die
polymeren Stoffe als auch die Verbundwerkstoffe, in die der Rohstoff bereits
eingebracht worden war, zur weiteren Verarbeitung eingesetzt werden.
Die Markeninhaberin hat in der Auflistung der von ihr beanspruchten Waren neben
den Endprodukten auch solche „als Verbundwerkstoff“, und damit „Halbfertigpro-
dukte“. Der „Verbundwerkstoff“ ist ein Werkstoff aus zwei oder mehr verbundenen
Materialien und besitzt andere Werkstoffeigenschaften als seine einzelnen Kom-
ponenten. Für die Eigenschaften der Verbundwerkstoffe sind stoffliche Eigen-
schaften und Geometrie der Komponenten von Bedeutung. Insbesondere spielen
oft Größeneffekte eine Rolle. Die Verbindung erfolgt durch Stoff- oder Form-
schluss oder eine Kombination von beidem. Bei Verpackungen wird daneben der
Begriff Verbundstoff für zu diesem Zweck hergestellte Materialien verwendet
(http:de.wikipedia.org/wiki/Verbundwerkstoff). Sowohl die Rohstoffe als auch die
Halbfertigprodukte begegnen nicht dem Endverbraucher, sondern dem Hersteller
diverser Waren. Zumindest der Fachverkehr wird im vorliegenden Verfahren bei
der Verarbeitung des Rohstoffs zum Halbfabrikat mit beiden Kennzeichnungen in
Berührung kommen. Insoweit ist ein Bezug zur Entscheidung des Bundesgerichts-
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hofs „Bayer/BeiChem“ (GRUR 2000, 886), in dem sich Rohstoffe und Halbfabrika-
te auf einer Seite und Fertigprodukte auf der anderen Seite gegenüberstanden,
nicht gegeben.
Eine durchschnittliche Warenähnlichkeit besteht darüber hinaus auch im Hinblick
auf „Pappe, Papier, Cellulosefaservlies“, da deren Verarbeitung regelmäßig in den
gleichen Betrieben stattfindet. Nach der Recherche des Senats werden diese Ma-
terialien u. a. durch Betriebe verarbeitet, die im „Hauptverband der Papier, Pappe
und Kunststoffe verarbeitenden Industrie e. V.“ (www.hpv-ev.org) oder im „VBPV
- Verband der bayrischen Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie
e. V.“ (www.baypapier.com/vbpv/index.html) organisiert sind. Die Hersteller derar-
tiger Verpackungen beschränken sich dabei nicht lediglich auf die Verarbeitung
von Papier oder Kunststoff, sondern verarbeiten häufig beides, so z. B. „richter &
heß Verpackungs-Service GmbH“: Säcke aus Kunststoff, Papier, Gewebe und
Verbundfolie; Füll- und Polstermaterial, Folien und Papiere (www.richter-hess.de);
„Die VPF verfügt über ein Repertoire, das nahezu alle möglichen Haftverbundva-
riationen als Rollen- oder Bogenware …lieferbar macht. …Folien: Sicherheitsfolien
auf PE-, PVC-, PET-Basis; Papiere: gestrichene und ungestrichene Papiere …“
(www.vpf.de/Produkte/ Fertigungsprogramm/tabid/73/Default.aspx).
Danach können sich die Vergleichsmarken auch bei der Benutzung der Wider-
spruchsmarke nur für die Waren „polymere Verbindungen mit absorbierender Wir-
kung“ in Unternehmen mit denselben Vertriebsstätten und -wegen begegnen. Es
ist von einer durchschnittlichen Warenähnlichkeit auszugehen. Dies führt dazu,
dass demnach grundsätzlich ein normaler Abstand der Marken voneinander zu
fordern ist.
Dieser wird auch nicht vergrößert aufgrund einer verringerten Kennzeichnungs-
kraft der Widerspruchsmarke. Die Kennzeichnungskraft eines Zeichens ist stets
produkt- bzw. dienstleistungsbezogen festzustellen, da sie je nach Ware oder
Dienstleistung für die das Zeichen eingetragen ist, unterschiedlich sein kann (BGH
GRUR 2004, 235, 237 - Davidoff II; GRUR 2004, 779, 781 - Zwilling/Zweibrüder).
Für die Widerspruchsmarke „Hysorb“ ist von durchschnittlicher Kennzeichnungs-
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kraft auszugehen. Das Zeichen ist im Hinblick auf die damit geschützten Waren
von Haus aus geeignet, die Waren eines Unternehmens von denjenigen eines an-
deren Unternehmens zu unterscheiden. Erst bei einer analytischen Betrachtung
der Einzelteile des Zeichens aus der Zusammensetzung der Begriffe „high“ (hoch)
und „absorb“ (absorbieren; Flüssigkeit aufnehmen bzw. aufsaugen) zu dem Zei-
chen „Hysorb“, erkennt der aufmerksame Betrachter, dass es sich um die Produkt-
eigenschaft „hoch absorbierend“ handeln kann. Anhaltspunkte für die Annahme ei-
ner verringerten Kennzeichnungskraft liegen nicht vor.
Beim Vergleich der Zeichen auf ihre Ähnlichkeit ergibt sich bei ihrer Beurteilung
nach Klang, (Schrift-)Bild und Sinngehalt (EuGH GRUR 2006, 413, 414 - Rn. 19
- ZIRH/SIR; BGH GRUR 2006, 60 ff. - Rn. 17 - coccodrillo) im Hinblick auf das
Verständnis des angesprochenen Durchschnittsverbrauchers, der nicht auf die
verschiedenen Einzelheiten achtet und der die Zeichen jeweils als Ganzes wahr-
nimmt (vgl. EuGH GRUR Int 2004, 843 Rn. 29 – MATRATZEN; BGH GRUR 1999,
241, 243 – Lions; GRUR 2004, 783, 784 – NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRA-
FLEX), dass die Marken „Hisorb“ und „Hysorb“ klanglich unmittelbar verwechsel-
bar sind. Sie verfügen über die gleiche Anzahl an Buchstaben, in derselben Abfol-
ge und sind bis auf den zweiten Buchstaben, der einmal „i“, einmal „y“ ist, iden-
tisch. Diese beiden Buchstaben unterscheiden sich dagegen kaum. Sie werden
häufig sogar gleich ausgesprochen. Im maßgeblichen Gesamteindruck auch be-
züglich der Silbengliederung und der Betonung stimmen die Zeichen ebenfalls
überein. Es ist davon auszugehen, dass beide Marken insbesondere von den hier
betroffenen Fachverkehrskreisen, die sich mit der Fertigung von Halbfabrikaten
beschäftigen und im naturwissenschaftlichen Bereich mit der Sprache Englisch
vertraut sind, als [hai:sorb] ausgesprochen werden. Das geringfügige Abweichen
in einem Vokal bzw. Konsonanten, der ähnlich ausgesprochen wird, reicht für eine
Unterscheidbarkeit der sich gegenüberstehenden Marken daher nicht aus.
Unter Abwägung der einzelnen eine rechtserhebliche Verwechslungsgefahr be-
gründenden Faktoren ergibt sich daher, dass auch bei durchschnittlicher Ähnlich-
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keit der Waren aufgrund der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Wider-
spruchsmarke und des überaus geringen Zeichenabstands die Gefahr von Ver-
wechslungen zu befürchten ist.
Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst (§ 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG).
Grabrucker
Richterin Fink ist wegen
Urlaubs an der Unter-
schriftsleistung verhindert.
Grabrucker
Dr. Mittenberger-Huber
Ko