Urteil des BPatG vom 23.08.2006

BPatG: stand der technik, fig, patentanspruch, patentfähigkeit, fahrzeug, einspruch, messung, erfahrung, neuheit, abhängigkeit

BUNDESPATENTGERICHT
20 W (pat) 330/03
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
23. August 2006
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 42 29 967
hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 23. August 2006 durch …
BPatG 154
08.05
- 2 -
beschlossen:
Das Patent wird in vollem Umfang aufrecht erhalten.
G r ü n d e
I.
Im Einspruch ist fehlende Patentfähigkeit geltend gemacht worden.
Die Einsprechende beantragt,
das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt,
das Patent unverändert aufrechtzuerhalten, hilfsweise, das Patent
aufrecht zu erhalten unter Zusammenfassung der Ansprüche 1
bis 3 und entsprechender Anpassung des Anspruchs 5, weiter
hilfsweise nach Hilfsantrag 1 unter Aufnahme des Wortes „nur“ vor
„nicht angetriebenen Rädern“.
Der Patentanspruch 1 lautet:
„Verfahren zur Ermittlung einer Querbeschleunigung eines Kraft-
fahrzeuges, bei welchem die Beschleunigung in einem vorgegebe-
nen Zeitintervall mit Hilfe von mindestens zwei senkrecht zur Be-
wegungsrichtung des Kraftfahrzeuges mit Abstand zueinander an-
dadurch
gekennzeichnet,
den Teilen des Kraftfahrzeuges jeweils zurückgelegten Wegstre-
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cken gemessen werden und dass mit Hilfe der gemessenen Weg-
strecken die Querbeschleunigung errechnet wird.“
Der nebengeordnete Patentanspruch 5 lautet:
„Anordnung zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1,
wobei zwei Messeinrichtungen (4, 5) am Kraftfahrzeug mit Ab-
stand senkrecht zur Bewegungsrichtung des Kraftfahrzeuges an-
geordnet sind und dass ein Zeitintervallgeber und eine Verarbei-
tungseinheit vorgesehen sind, dadurch gekennzeichnet, dass die
Messeinrichtungen (4, 5) als Wegstreckenmesseinrichtungen aus-
gebildet sind, und die Verarbeitungseinheit Ausgangssignale des
Zeitintervallgebers und der Wegstreckenmesseinrichtung
(4,
5)
empfängt und daraus die Querbeschleunigung berechnet.“
Folgende Druckschriften sind zu berücksichtigen:
(1) DE 39 03 709 A1 und
(2) DE 40 37 328 A1.
Die Einsprechende führt im Wesentlichen aus, der Gegenstand des Patentanspru-
ches 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend von den in
Druckschrift (1) und (2) beschriebenen Verfahren gelange der Fachmann auf
Grund seines Fachwissens und Fachkönnens in nahe liegender Weise zum Ge-
genstand des Patentanspruches 1.
Die Patentinhaberin ist dagegen der Ansicht, der Fachmann gelange nur durch er-
finderische Tätigkeit zum Gegenstand des Patentanspruches 1.
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II.
Der zulässige Einspruch führt nicht zum Erfolg.
1. Stand der Technik
Die Druckschrift (1) beschreibt ein Antiblockierbremsregelverfahren für ein Kraft-
fahrzeug, bei dem für jedes der vier Räder ein eigener Radgeschwindigkeitssen-
sor 3b, 4b, 5b bzw. 6b vorgesehen ist (Anspruch 1 u. Sp. 3 Z. 24-27 i. V. m.
Fig. 1). Die Beschleunigung des Fahrzeugs in seiner Längsrichtung wird dabei mit
Hilfe eines Vorwärts-Rückwärts-G-Sensors, die Beschleunigung in seiner Quer-
richtung mit Hilfe eines Querbeschleunigungs-G-Sensors ermittelt (Zusammenfas-
sung u. Sp. 5 Z. 44 - 52 i. V. m. Fig. 2). Außerdem verweist die Druckschrift (1)
darauf, dass die Querbeschleunigung des Kraftfahrzeuges auch ohne Querbe-
schleunigungssensor, nämlich durch eine Berechnung ausgehend von dem Lenk-
einschlagwinkel, der durch einen Lenkeinschlagwinkelsensor erfasst wird, und von
der Fahrgeschwindigkeit durch eine Berechnung ausgehend von der Differenz der
Radgeschwindigkeit zwischen den kurveninneren und den kurvenäußeren Räder
oder durch die Kombination solcher Berechnungen, gewonnen werden kann
(Sp. 6 Z. 14-25). Ein konkretes Ausführungsbeispiel zur Durchführung der entspre-
chenden Berechnungen wird in der Druckschrift (1) nicht gezeigt.
Aus Druckschrift (2) ist ein Verfahren zur Ermittlung der Beschleunigung eines
Kraftfahrzeuges in Fahrtrichtung bekannt, das die Detektion der Beschleunigung
des Fahrzeugs in seiner Fahrtrichtung ohne störende Anteile anderer Beschleuni-
gungsrichtungen ermöglicht (Sp. 1 Z. 35 - 44). Dazu werden von einem Fahrge-
schwindigkeitsimpulsgenerator 2 in Abhängigkeit von Umdrehungen einer Achse
des Fahrzeugs Fahrzeuggeschwindigkeitsimpulse P1 bzw. P2 bereit gestellt, wo-
bei der Fahrgeschwindigkeitsimpulsgenerator 2 beispielsweise für eine zurückge-
legte Wegstrecke von einem Meter eine vorbestimmte Anzahl von Fahrzeugge-
schwindigkeitsimpulsen erzeugt (Sp. 1 Z. 65-67 u. Sp. 2 Z. 47-59 i. V. m. Fig. 2).
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Für die erforderliche Zeitmessung stehen Zeitgebungs- bzw. Taktimpulse mit vor-
gegebener konstanter Zeitdauer c zur Verfügung (Anspruch 1 i. V. m. Fig. 1 u. 3).
Die Ermittlung der (Längs-)Beschleunigung erfolgt beispielsweise in einem durch
Impulslängen P1 und P2 vorgegebenen (Sp. 3 Z. 14-20) Zeitintervall 0-t
2
, wobei in
einem durch die Länge des Fahrzeuggeschwindigkeitsimpulses P1 vorgegebenen
ersten Zeitintervall 0-t
1
die von dem Kraftfahrzeug während der Dauer des Fahr-
zeuggeschwindigkeitsimpulses P1 zurückgelegte Wegstrecke lxN1 und in einem
unmittelbar auf das erste Zeitintervall folgenden durch die Länge des Fahrzeugge-
schwindigkeitsimpulses P2 vorgegebenen zweiten Zeitintervall t
1
-t
2
die von dem
Kraftfahrzeug während eines Fahrzeuggeschwindigkeitsimpulses P2 zurückgeleg-
te Wegstrecke lxN2 gemessen wird (Sp. 3 Z. 5-29 i. V. m. Fig. 1). Dabei ent-
spricht l der Strecke in Metern, um welche das Fahrzeug während der Dauer des
Fahrzeuggeschwindigkeitsimpulses P1 bzw. P2 fährt (Sp. 3 Z. 33) und N1 bzw. N2
entspricht der zeitlichen Dauer des Fahrzeuggeschwindigkeitsimpulses P1
bzw. P2 (Fig. 1). Die Berechnung der Beschleunigung des Fahrzeuges in Fahrt-
richtung erfolgt dabei offensichtlich mit Hilfe der Differenz der gemessenen Weg-
strecken lxN1 und lxN2 (Sp. 3 Z. 55: Zähler der Formel (1)). Beim Gegenstand der
Druckschrift (2) kann beispielsweise je ein Fahrzeuggeschwindigkeitsimpulsgene-
rator 2 auf einer Antriebsradachse und einer schwimmenden Achse angebracht
sein (Sp. 2 Z. 47-53). Damit mag zwar offenbart sein, dass Fahrzeuggeschwindig-
keitsimpuls-generatoren an zwei senkrecht zur Bewegungsrichtung des Kraftfahr-
zeuges mit Abstand zueinander angeordneten Teilen angeordnet sind. Die Längs-
beschleunigung gemäß Druckschrift (2) wird hier offensichtlich jedoch lediglich mit
Hilfe der Fahrzeuggeschwindigkeitsimpulse eines einzigen Fahrzeug-geschwin-
digkeitsimpulsgenerators ermittelt. Damit lehrt die Druckschrift (2) den Fachmann,
die Wegstrecken von ein und demselben Teil eines Kraftfahrzeuges während
zweier, unmittelbar aufeinanderfolgender Zeitabschnitte 0-t
1
und t
1
-t
2
mit Hilfe ei-
nes einzigen Fahrzeuggeschwindigkeitsimpulsgenerators zu messen und mit Hilfe
dieser beiden Wegstrecken die Längsbeschleunigung zu ermitteln.
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Die Ermittlung einer Querbeschleunigung ist in der Druckschrift (2) nicht offenbart.
2. Neuheit
Der zweifelsfrei gewerblich anwendbare und unbestritten zulässige Gegenstand
des Patentanspruches 1 ist neu, denn keine der beiden Druckschriften (1) bzw. (2)
zeigt alle seine Merkmale, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zum
Stand der Technik ergibt.
3. Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand des Patentanspruches 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Ausgehend von der aus Druckschrift (1) bekannten Schaltungsanordnung mag der
Fachmann, ein Diplomingenieur der Fachrichtung Kraftfahrzeugtechnik mit mehr-
jähriger Erfahrung in der Entwicklung von Komponenten zur Fahrzeugstabilisie-
rung, sich zwar zum Ziel setzen, aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus die An-
zahl bereits vorhandener unterschiedlicher Sensortypen zu reduzieren. Angeregt
durch die Druckschrift (2) wird er auch noch Überlegungen anstellen, ob er auf
den Einsatz von Beschleunigungssensoren verzichten und allein mit Hilfe der Rad-
geschwindigkeitssensoren die Beschleunigung des Fahrzeugs ermitteln kann.
Die Einsparung eines Vorwärts-Rückwärts-G-Sensors gelingt ihm dabei ohne wei-
teres durch das in der Druckschrift (2) beschriebene Verfahren zur Ermittlung der
Längsbeschleunigung eines Kraftfahrzeuges mit Hilfe eines Radgeschwindigkeits-
sensors.
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Auf der Suche nach einer Möglichkeit zur Einsparung des Querbeschleunigungs-
sensors mag der Fachmann zudem der Druckschrift (1) Anregungen dahingehend
entnehmen, auf eine Erfassung des Lenkeinschlagwinkels zu verzichten und die
Querbeschleunigung ausgehend von der Differenz der Radgeschwindigkeiten zwi-
schen den kurveninneren und den kurvenäußeren Rädern zu berechnen (Sp. 6
Z. 14-25), was allerdings dort nicht näher erläutert wird. Aus der Druckschrift (2)
weiß der Fachmann ferner auch noch, dass Radgeschwindigkeiten mit Fahrzeug-
geschwindigkeitsgeneratoren messbar sind, die pro Wegstrecke eine vorbestimm-
te Anzahl von Impulsen abgeben und Fahrzeuggeschwindigkeitsgeneratoren so-
mit in Übereinstimmung mit der Auffassung der Einsprechenden letztlich Wegstre-
cken messen. Die Zählung der Impulse N1, N2 bzw. die Messung der daraus ab-
leitbaren Wegstrecken erfolgt beim Gegenstand der Druckschrift (1) innerhalb
zeitlich aufeinander folgender Intervalle.
Der aufgezeigte Stand der Technik gibt jedoch kein konkretes Vorbild dafür, dass
die Ermittlung einer Querbeschleunigung in einfacher Weise möglich ist, indem in
einem vorgegebenen Zeitintervall mit Hilfe von mindestens zwei senkrecht zur Be-
wegungsrichtung eines Kraftfahrzeuges mit Abstand zueinander angeordneten
Teilen des Kraftfahrzeuges lediglich die von den (beiden) Teilen des Kraftfahrzeu-
ges jeweils in dem(selben) vorgegebenen Zeitintervall, also gleichzeitig zurückge-
legten Wegstrecken gemessen werden und mit Hilfe der gemessenen Wegstre-
cken die Querbeschleunigung errechnet wird.
Mit dem aufgezeigten Stand der Technik gelangt der Fachmann somit nicht in na-
he liegender Weise zum Gegenstand des Patentanspruchs 1.
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4. Für die Patentfähigkeit des auf eine Anordnung zur Durchführung des Verfah-
rens nach Patentanspruch 1 gerichteten Patentanspruchs 5 gelten die o. g. Grün-
de ebenfalls. Auch die auf den Patentanspruch 1 bzw. 5 rückbezogenen Patentan-
sprüche 2 bis 4 bzw. 6 bis 8 haben Bestand. Sie betreffen über das Selbstver-
ständliche hinausgehende Ausgestaltungen des Gegenstandes des Patentanspru-
ches 1 bzw. 5.
gez.
Unterschriften