Urteil des BPatG vom 08.11.2000

BPatG (Beschreibende Angabe, Wiedereinsetzung in den Vorigen Stand, Ablauf der Frist, Marke, Verkehr, Bild, Klasse, Englisch, Unterscheidungskraft, Verwendung)

BUNDESPATENTGERICHT
29 W (pat) 172/00
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 399 31 125.4
hat der 29. Senat des Bundespatentgerichts (Marken-Beschwerdesenat) in der
Sitzung vom 8. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter Meinhardt, den
Richter Baumgärtner und den Richter Guth
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß der Mar-
kenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts
vom 15. Februar 2000 aufgehoben.
BPatG 152
10.99
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G r ü n d e
I
Die Wortmarke
"VisionGate"
soll für die Waren und Dienstleistungen
"Elektrische, elektronische, optische, Meß-, Signal-, Kontroll- oder
Unterrichtsapparate und -instrumente (soweit in Klasse 9 enthal-
ten); Apparate zur Aufzeichnung, Übertragung, Verarbeitung und
Wiedergabe von Ton, Bild oder Daten; maschinenlesbare Daten-
aufzeichnungsträger; Verkaufsautomaten und Mechaniken für
geldbetätigte Apparate; Datenverarbeitungsgeräte und Computer;
Druckereierzeugnisse, insbesondere bedruckte und/oder geprägte
Karten aus Karton oder Plastik; Lehr- und Unterrichtsmittel
(ausgenommen Apparate); Büroartikel (ausgenommen Möbel);
Werbung und Geschäftsführung; Finanzwesen; Immobilienwesen;
Telekommunikation; Betrieb und Vermietung von Einrichtungen für
die Telekommunikation, insbesondere für Funk und Fernsehen"
in das Markenregister eingetragen werden.
Die Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die
Anmeldung mit Beschluß vom 15. Februar 2000 zurückgewiesen, weil die ange-
meldete Marke freihaltungsbedürftig sei und ihr außerdem jegliche Unterschei-
dungskraft fehle. Die Marke bestehe aus den Wörtern "Vision" (= Sehvermögen,
Bild, Vorstellungsvermögen, Phantasie, Wunschbild, Zukunftsbild, Bildkom-
munikation) und "Gate" (= Kurzform für "Gateway" = Schnittstelle zwischen zwei
Kommunikationssystemen), die sowohl für sich gesehen als auch in ihrer
Gesamtheit eine ohne weiteres
verständliche beschreibende Angabe für die
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beanspruchten Waren und Dienstleistungen darstellten. Es handele sich lediglich
um einen Hinweis darauf, daß mit Hilfe der beanspruchten Waren und
Dienstleistungen ein solcher "Visions(Bildkommunikations)-Gateway" bereitgestellt
werde bzw. die Dienstleistungen mit Hilfe solcher Gateways erbracht würden. Die
Bereitstellung solcher Gateways sei wegen der überragenden Bedeutung der
Bildkommunikation beispielsweise im Multimediabereich alltäglich.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Das rechtliche Gehör sei
verletzt worden, weil die Markenstelle trotz einer beantragten Verlängerung der
Äußerungsfrist entschieden und eine Eingabe der Anmelderin nicht berücksichtigt
habe. Die Marke sei unterscheidungskräftig und nicht freihaltungsbedürftig. Der
angemeldete Begriff sei in gängigen Wörterbüchern der deutschen Sprache nicht
verzeichnet. Auch lasse sich nicht nachweisen, daß "gate" als Abkürzung von
"gateway" verwendet werde. Die angemeldete Wortzusammensetzung besitze
daher keinen klaren Aussagegehalt. Eine Zurückweisung wegen fehlender
Unterscheidungskraft komme aber nur ausnahmsweise bei allgemein
verständlichen Ausdrücken in Betracht und sei ausgeschlossen, wenn bei einem
zusammengesetzten Wort auch nur eine Komponente mehrdeutig sei. Auch ein
Freihaltungsbedürfnis sei nicht belegt worden, da es keinerlei tatsächliche
Hinweise gebe, daß das angemeldete vieldeutige Wort vom Verkehr gegenwärtig
oder in Zukunft benötigt werde.
Die Anmelderin beantragt sinngemäß,
den angefochtenen Beschluß aufzuheben,
und regt an, gegebenenfalls die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt
zurückzuverweisen.
Mit am 17. März 2000 eingegangenen Beschwerdeschriftsatz gegen den am
22. Februar 2000 per Einschreiben abgesandten Beschluß ist ein Abbuchungs-
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auftrag über DM 300,-- erteilt worden. Auf ein Schreiben des Rechtspflegers, daß
die Gebühr nach den seit dem 1. Januar 2000 geltenden Sätzen nicht in voller
Höhe entrichtet worden sei, stellt die Anmelderin
Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Der Differenzbetrag von DM 45,-- zur neuen Beschwerdegebühr ist nach Zah-
lungsaufforderung vom 2. August 2000 am 16. August 2000 eingegangen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdegebühr rechtzeitig
gezahlt, weil die Zahlung der Gebühr nach den bis zum 31. Dezember 1999 gel-
tenden Sätzen innerhalb der Frist des § 66 Abs. 5 MarkenG sowie innerhalb von
drei Monaten nach Inkrafttreten der neuen Gebührensätze erfolgt und der Diffe-
renzbetrag zu den neuen Gebührensätzen innerhalb von einem Monat nach Auf-
forderung durch das Bundespatentgericht gezahlt worden ist (vgl. § 6 Abs. 1
PatGebG). Einer Wiedereinsetzung bedurfte es daher nicht. Die Beschwerde ist
auch begründet.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist entgegen der Meinung der Anmelderin
allerdings nicht erkennbar, weil sich in der Amtsakte weder ein Schriftsatz der
Anmelderin zur Frage der Schutzfähigkeit befindet, noch ein - wie die Anmelderin
behauptet - Fristverlängerungsgesuch vom "25. Oktober 00" (gemeint ist offenbar
"25. Oktober 1999") für zwei Monate übergangen worden ist. Vielmehr wurde allen
Fristverlängerungsgesuchen, die jeweils auf Fristverlängerungen von einem Monat
gerichtet waren, - auch dem vom 25. Oktober 99 - stattgegeben und der Ablauf
der Frist vor der Entscheidung abgewartet.
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An der angemeldeten Marke läßt sich weder ein Freihaltungsbedürfnis feststellen
noch fehlt ihr jegliche Unterscheidungskraft (§§ 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG).
Ein gegenwärtiges Freihaltungsbedürfnis an der angemeldeten Marke ist nicht
ersichtlich. Die angemeldete Wortkombination "VisionGate" stellt keinen hinrei-
chend konkreten sprachüblich beschreibenden Hinweis auf die beanspruchten
Waren und Dienstleistungen dar. Nach den Ermittlungen des Senats kann nicht
festgestellt werden, daß diese Wortzusammensetzung für die angemeldeten Wa-
ren und Dienstleistungen gegenwärtig als sprach- und werbeübliche Sachangabe
dient. Die beschreibende Verwendung des Ausdrucks "VisionGate" in Verbindung
mit beanspruchten Waren und Dienstleistungen konnte weder lexikalisch, in der
Fachliteratur, sonstigen Druckschriften noch bei einer Internetrecherche nachge-
wiesen werden. Dagegen finden sich im Internet zahlreiche Fundstellen für die
firmenmäßige Verwendung dieser Wortzusammensetzung auf den hier angespro-
chenen Waren und Dienstleistungsgebieten, was allein kein Indiz für einen be-
schreibenden Begriffsinhalt darstellt.
Ein zukünftiges Freihaltungsbedürfnis kann ebenfalls nicht festgestellt werden.
Anhaltspunkte dafür, daß Dritte künftig ein legitimes Interesse an der werblichen
Verwendung der angemeldeten Wortkombination für die beanspruchten Waren
und Dienstleistungen haben könnten, sind nicht ersichtlich. An ein solches po-
tentielles Freihaltungsbedürfnis sind strenge Anforderungen zu stellen. Es sind
konkrete Anhaltspunkte für eine entsprechende Entwicklung erforderlich, die bloße
theoretische Möglichkeit genügt nicht (vgl. BGH GRUR 1990, 517, 518
"SMARTWARE"; 1992, 515, 516 "VAMOS"). Das Wort "Vision" bezeichnet in der
deutschen Sprache eine "übernatürliche Erscheinung als religiöse Erfahrung;
optische Halluzination; Vorstellung, insbesondere in Bezug auf Zukünftiges
entworfenes Bild" (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache,
3. Aufl.). Im Englischen bedeutet das Wort "Sehkraft, Sehvermögen, Sicht;
übernatürliche Erscheinung; bildliche Vorstellung; Weitblick; Bild (Television)"
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(Duden Oxford Großwörterbuch Englisch 1990; Pons Collins Großwörterbuch
Englisch-Deutsch, 1999) und wird in technischen Fachbegriffen wie z.B. "vision
mixer" Bildmischer(in), Bildmischgerät, verwendet (Pons Collins a. a O.). Der
weitere Bestandteil "gate" existiert ebenfalls im Englischen und bedeutet in der
Umgangssprache "Tor"; in der Elektronik ist das Wort die Bezeichnung für "Gatter,
elektronisches Schaltelement, das eine bestimmte Boolesche Verknüpfung
zwischen anderen Schaltelementen durchführt; elektronisches Schaltelement, das
zwei Eingänge und einen Ausgang hat" und wird - auch in der deutschen
Fachsprache - häufig als Abkürzung für "Gateanschluß", "Gateelektrode" oder
Gatezone" verwendet (Fachausdrücke der Informationsverarbeitung Englisch -
Deutsch Deutsch - Englisch IBM, Computer Fachlexikon Fachwörterbuch Ausgabe
2000 Microsoft Press; Beck EDV-Berater, Irlbeck, Computer-Englisch, 3. Auflage).
Außerdem gibt es zahlreiche Fachbegriffe mit "gate" am Anfang wie "gate control
(Steueranschlußsteuerung) gate current (Gatestrom), gate electrode, gate field-
effect transistor, gate terminal (Gateanschluß, Steueranschluß), gate thyristor"
sowie "AND-gate, dump gate, common gate", die sich aber stets auf eine
Gatterwirkung oder ein Gatter (im elektronischen Sinn) beziehen. Weiterhin gibt es
etwa den zusammengesetzten Begriff "film gate" (Bildfenster). Als Abkürzung für
"gateway" (Schnittstelle zwischen zwischen zwei Kommunikationssystemen, etwa
Mailboxen und Online-Diensten, die mit unterschiedlicher Systemsoftware
betrieben werden) - wie die Markenstelle meint - ist "gate" nicht nachweisbar.
Versteht der Verkehr demnach die Marke entsprechend der allgemeinsprachlichen
Bedeutung als "Tor zu einer Vorstellung, Wunschbild, Zukunftsbild (Vision)" so
liegt ein Verständnis als rein beschreibende Angabe wegen des poetisch
überhöhten und außerdem inhaltlich unklaren Ausdrucks in Verbindung mit den
beanspruchten Waren und Dienstleistungen fern. Wird die Marke aufgefaßt als
"Tor zum Bild oder für Bilder, Bildtor, TV-Fenster, Sichtfenster" oder als "Tor zur
Sicht", ergibt dies ebenfalls keinen klaren beschreibenden Begriffsinhalt. Die Teile
der angesprochenen Verkehrskreise, die die technische Bedeutung von "gate"
kennen, werden zwar möglicherweise die Marke auch mit "Gatter für Bildsignale
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oder Bilder" bzw. "Steuerschaltung für Bildsignale" interpretieren. Dies ergibt
jedoch ebenfalls keinen klaren sachlichen Bezug zu den angemeldeten Waren
und Dienstleistungen. Denkbar wäre allenfalls, daß es sich bei Waren der Klasse
9 um solche Steuerelemente für den TV- oder Video-Bereich handelt oder daß
diese Waren mit solchen Teilen ausgerüstet sind. Es kann aber weder
nachgewiesen werden, daß es solche Steuerelemente speziell für Bildsignale gibt,
noch daß dies für die angemeldeten Waren und Dienstleistungen, insbesondere
Geräte der Klasse 9, ein verkehrswesentlicher Hinweis, mit dem geworben wird,
sein könnte. Es ist darum nicht ersichtlich, daß das diese Wortkombination als rein
beschreibende Angabe vom Verkehr benötigt werden könnte.
Bei dieser Ausgangslage ist auch die erforderliche Unterscheidungskraft (§ 8
Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) gegeben. Da der Verkehr mit der angemeldeten Marke in
Bezug auf die Waren und Dienstleistungen allenfalls nach Art eines "sprechenden
Zeichens" nur ungenaue, diffuse Assoziationen und keinen im Vordergrund ste-
henden beschreibenden Begriffsgehalt (vgl. BGH MarkenR 1999, 347, 348 f
"ABSOLUT"; BGH WRP 1999, 1169, 1171 "FOR YOU"; WRP 1999, 1167, 1168
"YES") verbindet, fehlen hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß der Verkehr die
Marke als reinen Sachhinweis und nicht als betriebliche Herkunftskennzeichnung
auffassen wird (vgl. BGH GRUR 1997, 627, 628 "à la carte"). Es handelt sich auch
nicht um einen sonst gebräuchlichen Ausdruck der deutschen oder einer
bekannten Fremdsprache, der vom Verkehr - etwa wegen einer entsprechenden
Verwendung in der Werbung - stets nur als solcher und nicht als Unterschei-
dungsmittel verstanden wird (vgl. BGH MarkenR 1999, 347, 348 f "ABSOLUT";
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BGH WRP 1999, 1169, 1171 "FOR YOU"; WRP 1999, 1167, 1168 "YES").
Meinhardt Baumgärtner
Guth
Cl